Tunnel durch Raum und Zeit - Rüdiger Vaas - E-Book
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Tunnel durch Raum und Zeit E-Book

Rüdiger Vaas

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Beschreibung

Sind Zeitreisen möglich? Öffnen Schwarze Löcher den Weg zu anderen Universen? Was gestern noch wie Science-Fiction klang, wird heute von Wissenschaftlern ernsthaft erforscht. Der Kosmologie-Spezialist Rüdiger Vaas berichtet über die verwegenen Theorien von Einstein, Hawking & Co., von der Suche nach einer "Weltformel" und den neuesten Erkenntnissen über Schwarze Löcher, Zeitschleifen und den Urknall. Ein spannender Streifzug durch die Rätsel von Raum und Zeit.

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Vorspann

Vierdimensionales Vorspiel

»Mannigfach und seltsam sind die Universen, die wie Blasen im Schaum des Zeitstroms treiben. Einige – es sind nur wenige – bewegen sich entgegen oder gar quer zu dem Strom. Noch wenigere aber liegen jenseits seines Bereichs und wissen nichts von Vergangenheit oder Zukunft.« So hat Arthur C. Clarke seine Kurzgeschichte Der Wall der Finsternis (The Wall of Darkness) begonnen. Das war im Jahr 1949. Diese fantastische Überlegung verdient schon aufgrund dieses faszinierenden Anfangs einen Ehrenplatz im Pantheon der Science Fiction. Doch das ist nicht alles: Was gestern Fiction war, kann heute schon Science sein und morgen vielleicht ein erwiesenes Faktum. Tatsächlich spekuliert der Kosmologe Stephen Hawking gegenwärtig über ein solches Universum »entgegen« des Zeitstroms – das heißt mit einer Zeitrichtung umgekehrt zur unsrigen. Mehr noch: Diese verkehrte Welt könnte unsere eigene hervorgebracht haben. Denn das »Rückwärtszeit«-Universum war vielleicht der Vorläufer unseres Universums – wenn sein Kollaps den Urknall ausgelöst hat.

Dieses Buch handelt aber von noch viel (scheinbar) verrückteren Vorstellungen. Von einer Zeitschleife zum Beispiel, die am Anfang des Kosmos gestanden haben könnte – oder die die ganze Geschichte des Alls zu einem bizarren Kreis schließt, sodass die ferne Zukunft identisch wäre mit der frühen Vergangenheit. Vom Ende der Zeit in Schwarzen Löchern – oder einem Neuanfang. Und von überlichtschnellen Reisen durch alle Zeiten und Räume. Das klingt nach Science Fiction, und deren Ideen werden hier auch thematisiert – nicht selten waren die Gedankenexperimente der harten Physik voraus, aber immer häufiger ist es jetzt umgekehrt. Doch überwiegend berichtet dieses Buch über neue Erkenntnisse und Spekulationen der Naturwissenschaften – auf der Basis von Relativitäts- und Quantentheorie, den besten wissenschaftlichen Theorien in der gesamten Geschichte der Menschheit.

Die Erstauflage dieses Buchs erschien in April 2005, ein Jahr später eine etwas aktualisierte Zweitauflage. Es ist selbstverständlich sehr erfreulich zu erfahren, dass innerhalb von fünf Jahren beide Auflagen komplett ausverkauft waren. Zumal es viele wunderbare Resonanzen gab: Besprechungen in zahlreichen Zeitschriften und Zeitungen, Kommentare im Internet, Verweise in anderen Büchern, persönliche Zuschriften sowie interessierte Fragen und Überlegungen bei meinen Vorträgen und Seminaren. Dafür danke ich allen Lesern und Zuhörern.

Eine dritte Auflage wurde Anfang 2010 komplett überarbeitet, neu gesetzt und beträchtlich erweitert, eine vierte Auflage im Oktober 2010 noch einmal ergänzt. Gegenüber der Zweitauflage wurden viele Updates vorgenommen sowie neue Themen hinzugefügt (einschließlich Tipps für eine exquisite Unterhaltung mit Party-Girls). So enthält diese Ausgabe zusätzliche Abschnitte und Unterkapitel über physikalische Einsichten und metaphysische Aussichten, über nackte Singularitäten, kosmische Zensur, Extradimensionen und eine zweite Zeit, über kosmische Informationen, Neutrinos, überlichtschnelle Teilchen und Schwarze Minilöcher (vielleicht längst in uns allen oder alsbald im Labor), über Alternativen zu Schwarzen Löchern, über den Warp-Antrieb (eher unerquicklich), große und kleine Wurmlöcher (eher ermutigend), neue Modelle für Zeit»maschinen« sowie über Fortschritte und Irritationen in der Kosmologie.

Die vorliegende, erneut aktualisierte Taschenbuchausgabe enthält außerdem einen 16-seitigen Epilog. Darin wird die erstaunliche Geschichte der Neutrinos beschrieben, die vom Forschungszentrum CERN bei Genf zum OPERA-Detektor im Gran Sasso durch die Erde flitzten – überlichtschnell, wie es im Herbst 2011 schien. Das war ein kurioser Messfehler – und eine spannende Detektiv-Story der Physik.

Es ist eigentlich erstaunlich, dass auf diesen entlegenen Gebieten der Naturwissenschaft gegenwärtig eine so große Dynamik herrscht, zumal viele Aspekte außerordentlich spekulativ und durch physikalische Experimente oder astronomische Beobachtungen noch kaum berührt sind. Andererseits zeigt diese Entwicklung, dass diese Forschungszweige florieren und faszinieren – Wissenschaftler und Laien gleichermaßen –, und dass viele kreative neue Ideen ausprobiert, aber auch kritisch hinterfragt werden. Dennoch werden die Grenzbereiche mitunter beargwöhnt (was ja kein Fehler ist) oder gar ins Reich der Science Fiction gestellt (was kein Makel, aber ein Missverständnis wäre). Um solche eher wissenschaftstheoretischen und -soziologischen Facetten ebenfalls zu beleuchten, wurde ein neues großes Kapitel aufgenommen (Fantastische Physik), das sich aus einem philosophischen Blickwinkel mit diesen Einwänden auseinandersetzt, jedoch auch andere Seiten der (spekulativen) Physik und Kosmologie betrachtet sowie ihren wissenschaftlichen Wert verdeutlicht und verteidigt.

Darüber hinaus haben diese Forschungen aber noch eine größere und vielleicht sogar wichtigere Bedeutung: Es sind Expeditionen des menschlichen Geistes. Mit diesen vermögen wir unseren kleinkarierten Erdenstaub ein bisschen abzuschütteln, wovon langfristig unsere Zukunft abhängt. Und wir können die Antwortversuche auf die grundlegenden Fragen nach dem Wie, Warum, Woher und Wohin der Welt vorantreiben, wozu nur die Wissenschaften – zusammen mit der modernen Philosophie – in der Lage sind (was nicht heißt, die Künste wären irrelevant – ganz im Gegenteil, wie das Buch mit vielen literarischen Beispielen auch illustriert). Diese Themen dürfen nicht den diversen politischen und religiösen Ideologen, den Blendern und profitgierigen Märchenerzählern überlassen werden, die mit primitiven und völlig falschen Behauptungen die Dummheit unserer Gegenwart vermehren, die menschliche Intelligenz und ihre Errungenschaften beleidigen, Ressourcen verschwenden, nicht zuletzt Zeit, Unheil säen und die offenen Fragen und Möglichkeiten ins Dunkle stellen.

Die Evolution des Menschen, des Lebens, des Weltalls währt erst wenige Millionen beziehungsweise Milliarden Jahre. Und das Abenteuer der Erkenntnis hat erst begonnen. Wir sollten es nicht aufs Spiel setzen. Wie sagte die amerikanische Astronomin Annie Jump Cannon: »Teil eins der Menschheitsgeschichte ist einfach: Wir entstanden aus dem Urschlamm, um nach den Sternen zu schauen. Teil zwei der Geschichte muss noch geschrieben werden.«

Terranische Provinz (Koordinaten 48,9 / 9,2),

Murmeltiertag 2010 und Sommersonnenwende 2012

Teil I

Im Schlund von Raum und Zeit

Rätsel um unersättliche Schwerkraftfallen im All

Was wäre die Physik ohne die Gravitation?

Albert Einstein, Physiker (1950)

Schwarze Sterne am Leeregrund der Ewigkeit. – Die Langeweile entsteht aus einer letzten Eintrübung weltabgelösten Empfindens.

Émile Michel Cioran, Essayist (1940)

Prolog auf der Erde

»Hallo!«

Die Stimme tönte technisch, stereotyp und emotionslos – und das war sie auch, denn ein Sprachcomputer hatte sie erzeugt. Doch der schmächtige Mensch, der hinter dem Monitor verrenkt in seinem motorisierten Rollstuhl kauerte, sprühte trotz seines tragischen Schicksals vor Lebensfreude.

Es war nicht meine erste Begegnung mit Stephen Hawking, der einer Studie des britischen Fernsehsenders BBC zufolge der berühmteste lebende Wissenschaftler ist. Als der 1942 geborene Medienstar mit dem noch immer jugendlichen Gesicht im Oktober 2001 in München eine Pressekonferenz zum Erscheinen seines BuchsDas Universum in der Nußschalegab, saß ich ihm gegenüber und hatte auch Gelegenheit, eine Frage zu stellen. Damals war selbst unter hart gesottenen Journalisten spontaner Beifall ausgebrochen, als Hawking in den Saal einrollte, bevor sie sich wie eine Horde Affen mit Kameras um ihn scharten und ein mehrere Minuten dauerndes Blitzlichtgewitter entfesselten. Aber dann warteten sie beinahe andächtig auf jede seiner Antworten – und das dauert eine Weile. Denn er musste jedes Wort mit einem Finger in seinen Sprachcomputer eingeben. (Seit Sommer 2005 ist Hawkings Hand zu schwach und er bedient den Computer inzwischen mittels einem Sensor, der Wangen- und Augenbewegungen registriert.) Seit einem Luftröhrenschnitt 1985 verleiht der Computer Hawking eine monotone und doch eigenartig ätherische Kunststimme. Dies und die Wartezeit auf eine Antwort haben etwas Orakelhaftes, wenn Hawking dann spricht – vor allem aber, weil sein immenser Aufwand ihn zur äußersten Prägnanz zwingt. Und während der Zuhörer sich auf die Antwort geduldet, kommt in ihm unwillkürlich eine gespannte Erwartung auf.

Hawkings schreckliche Krankheit ist wohl ein wesentlicher Grund für seine Publicity. Denn die wenigsten können seine Theorien über den Urknall, die Schwarzen Löcher und die Natur des Universums wirklich verstehen. Aber der Physiker passt perfekt zum Klischee des an den Leib gefesselten genialen Geistes, der alle Grenzen der Erkenntnis zu sprengen trachtet. Und dass er noch lebt, ist ein medizinisches Wunder. Seit seinem Todesurteil im Jahr 1963, der Diagnose von Amyotropher Lateralsklerose (ALS) kurz nach seinem 21. Geburtstag, stellt Stephen Hawking nämlich Stunde um Stunde einen neuen Rekord auf. Gewöhnlich leben Patienten nach der Diagnose des heimtückischen, unheilbaren Muskelschwunds – bedingt durch ein noch immer ungeklärtes Absterben der Nervenzellen, die die Muskulatur steuern – nur noch wenige Jahre. Doch Hawkings ALS kam zum Stillstand – so als hätten seine geistigen Energien ihr Paroli geboten.

Obwohl er bis auf Teile seiner Gesichtsmuskulatur und der linken Hand total gelähmt ist, erhielt er 1979 den von dem englischen Parlamentarier Henry Lucas 1663 gestifteten Lucasischen Lehrstuhl der britischen University of Cambridge, auf dem vor 300 Jahren Isaac Newton saß. »Allerdings wurde er damals noch nicht elektrisch betrieben«, wie Hawking im Hinblick auf seinen Rollstuhl scherzt, den er liebevoll »Quantum Jazzy« nennt. Im November 2009 wurde Hawking, was bei seinem Antritt wohl niemand gedacht hatte, mit 67 Jahren emeritiert. Als sein Nachfolger wurde Michael Green, bereits Professor in Cambridge, gewählt. Er wird nicht aus Hawkings Schatten – besser: Glanz – heraustreten können und gilt als »Übergangslösung« (es gab Streit und kaum Bewerber), denn 2014 erreicht auch er das Pensionsalter. Seine Verdienste sind aber unumstritten: Er gehört zu den Mitbegründern der Stringtheorie, von der in diesem Buch noch häufig die Rede sein wird.

Von Ruhestand kann bei Hawking noch keine Rede sein. Wenn sein Gesundheitszustand es erlaubt, hält Hawking Vorträge und willigte sogar zu einer Gastprofessur am Perimeter-Institut für Theoretische Physik in Kanada ein. Auch schreibt er an einem Buch über Naturgesetze und wirkt an einem Film über sein Leben mit. Und er forscht mit seinen Kollegen weiter – so erschien 2010 wieder ein umfangreicher Beitrag zur Kosmologie. Außerdem hat Hawking mit Spendengeldern und eigenem Geld das Centre for Theoretical Cosmology (CTC) gegründet, das am Centre for Mathematical Sciences der Cambridge University beheimatet ist. Finanziert von der Stephen Hawking Foundation mit 20 Millionen Pfund für zunächst fünf Jahre, ermöglicht es mehrere Forschungsstellen und Gastprofessuren sowie Workshops und Konferenzen, um führende Theoretiker und talentierte junge Wissenschaftler anzuziehen und zu fördern. Wenn sich das Konzept bewährt, wird das CTC zu einem größeren, permanenten Institut umgestaltet. »Dies ist eine aufregende Zeit in der Kosmologie, denn neue Beobachtungsdaten werden in großen Mengen gewonnen und große Experimente auf der Erde und mit Satelliten sind geplant und laufen an. Ich möchte sicherstellen, dass dieser Fortschritt auch weiterhin auf der theoretischen Seite eine Entsprechung hat«, sagte Hawking bei der Eröffnung des CTC am 19. Dezember 2007 in Cambridge, der auch der Autor beiwohnen durfte.

Hawking erforscht nicht nur die fundamentalsten Geheimnisse der Natur, sondern schreibt auch populärwissenschaftliche Bestseller, die zu den meistverkauften Büchern der Welt zählen. Am erfolgreichsten war seine 1988 erschieneneKurze Geschichte der Zeit, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt wurde, und die angeblich fast jeder 500. Mensch erworben hat (aber bestimmt nicht gelesen). Mit seiner Tochter Lucy veröffentlichte er 2007 und 2009 zwei spannende Kinderbücher, die auch astronomische Seiten haben:Der geheime Schlüssel zum UniversumundDie unglaubliche Reise ins Universum. »Ich könnte in einer Nussschale eingesperrt sein und mich für einen König von unermesslichem Gebiete halten«, heißt es in William Shakespeares DramaHamlet. Hawking nahm dies als Motto eines weiteren Sachbuch-Bestsellers, der in Deutschland ein halbes Jahr ununterbrochen auf Platz 1 derSpiegel-Bestsellerliste stand:Das Universum in der Nußschale. Darin schrieb er: »Obwohl wir Menschen physischen Einschränkungen unterworfen sind, können unsere Gedanken frei und ungebunden das Universum erforschen«, interpretiert dies Hawking, dessen reger Geist – in seinen gelähmten Körper selbst wie in eine Nussschale eingesperrt – doch nicht müde wird, Raum und Zeit zu erkunden. »Ich lebe gern. Es gibt so viel zu tun und zu entdecken.«

Die Entdeckungen Hawkings in der Theoretischen Physik können sich sehen lassen. Seine kosmologischen Beiträge zum Urknall und der Frage nach einem Anfang der Zeit waren wegweisend. Vor der Suche nach einer »Weltformel« und der Frage nach der Stellung des Menschen im Kosmos macht sein Forschergeist ebenso wenig Halt wie vor Zeitreisen und Wurmlöchern – hypothetischen Tunnel durch die Dimensionen, mit denen sich die Barriere der Lichtgeschwindigkeit austricksen ließe. Und immer wieder wendet er sich den Schwarzen Löchern zu. Diese ominösen Schlünde in der Raumzeit, die scheinbar alles verschlucken können, aber nichts wieder von sich zu geben scheinen, zählen zu den bizarrsten Vorstellungen, die sich Menschen gemacht haben – und sind doch keine Hirngespinste, sondern bevölkern wohl zu Myriaden das Weltall. Die größten haben die Masse von zehn Milliarden Sonnen, die kleinsten könnten winziger als ein Atom sein und sogar in unseren Körpern hausen.

Aber seit Stephen Hawking 1974 berechnete, dass Schwarze Löcher aufgrund bizarrer Quantenprozesse eine Temperatur besitzen, sind die Schwerkraftfallen auch nicht mehr das, was sie einmal zu sein schienen – nämlich weder schwarz noch ewige Löcher im Gewebe der Raumzeit. Sie geben vielmehr eine extrem schwache Strahlung ab, die aber irgendwann so stark wird, dass selbst das massereichste Schwarze Loch eines Tages in einer Explosion förmlich zersprengt wird und verschwindet. Für viele Wissenschaftler, Hawking eingeschlossen, war diese Erkenntnis ein Schock; doch es kam noch schlimmer. 1975 folgerte er nämlich, dass mit der Auflösung der Schwarzen Löcher auch die physikalischen Informationen vernichtet wären, die mit der Materie und Energie verbunden sind, die einst ins Gravitationsgefängnis dieser seltsamen Himmelskörper gerieten. Und das hätte so alarmierende Konsequenzen für fast alle grundlegenden Bereiche der Physik, dass das mühsam errichtete Gebäude unseres naturwissenschaftlichen Weltbilds nicht nur erschüttert wäre, sondern unweigerlich zusammenstürzen müsste. Nicht einmal fundamentale Prinzipien wie der Satz von der Erhaltung der Energie hätten noch Bestand. Und womöglich gäbe es gespenstische Stellen im All, aus denen buchstäblich alles hervorsprudeln könnte wie aus einem Zauberbrunnen – nicht nur Elementarteilchen und Energie, sondern beispielsweise auch elektrische Eisenbahnen, Elefanten, Elfen und Einhörner. Inzwischen hat Hawking seine Meinung allerdings revidiert und sogar eine Wette hierzu verloren gegeben: 2004 verkündete er auf einer internationalen Konferenz zu Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie vor einem eigens herbeigeeilten Aufgebot der Weltpresse, dass Schwarze Löcher doch keine irreversiblen Informationsvernichter seien.

Andere hochkarätige Physiker sehen es ähnlich, aber die Argumente sind noch keineswegs hieb- und stichfest. Die entscheidende Rolle dafür spielt nämlich letztlich eine Theorie der Quantengravitation. Sie wird mitunter als »Heiliger Gral« der Theoretischen Physik bezeichnet und bedeutet eine Verknüpfung von Mikro- und Makrokosmos. Die Welt des Allergrößten, das Universum als Ganzes, ist der Zuständigkeitsbereich der Allgemeinen Relativitätstheorie, die auch die Grundlage für die Beschreibung der Schwarzen Löcher liefert. Die Welt des Allerkleinsten, also der Elementarteilchen und Naturkräfte, ist das Regime der Quantentheorie. Diese beiden Theorien sind experimentell exzellent bestätigt, teilweise auf 14 Stellen hinter dem Komma. Es gibt keine präziseren Theorien in der Geschichte der Wissenschaft. Und doch vertragen sich die beiden Säulen, auf denen die moderne Physik ruht, nicht richtig. Denn bei extremen Bedingungen, wie sie beispielsweise in den Schwarzen Löchern vorherrschen, kommt es zu Widersprüchen. Diese werden sich, wenn überhaupt, erst mit einer neuen Theorie ausräumen lassen, die die Quantentheorie und die Allgemeine Relativitätstheorie miteinander verbindet beziehungsweise als Spezialfälle für bestimmte, eingeschränkte Bedingungen enthält.

Eine solche Theorie der Quantengravitation wäre eine Art »Weltformel« oder auch »Theorie von Allem« (jedenfalls von allem, was fundamental ist), wie manche Physiker in augenzwinkernden Anwandlungen der Unbescheidenheit zuweilen sagen. Sie würde Materie, Energie und alle fundamentalen Wechselwirkungen einheitlich beschreiben. Noch ist eine solche Theorie Zukunftsmusik und Gegenstand enormer intellektueller Anstrengungen. Hätten wir sie und könnten wir mit ihr auch rechnen – was genauso wichtig und keineswegs trivial ist –, dann wären womöglich sogar der Urknall und die Schwarzen Löcher nicht länger rätselhaft; wir würden erfahren, ob es Wurmlöcher und Zeitmaschinen gibt und könnten vielleicht sogar eines Tages die Fesseln von Raum und Zeit abstreifen und mit beliebigen Geschwindigkeiten alle Orte und Epochen der Welt erreichen.

Der bislang aussichtsreichste Kandidat für eine solche »Weltformel« ist die Stringtheorie. Ihr zufolge sind nicht punktförmige Elementarteilchen, sondern winzige eindimensionale Strings die grundlegenden Bausteine der Natur – die bekannten Elementarteilchen wären demnach einfach Schwingungen solcher Strings. Der größte Haken freilich ist die notwendige Annahme bislang unbekannter zusätzlicher Raum-Dimensionen. Ohne sie lässt sich die Stringtheorie nicht widerspruchsfrei formulieren. Diese Extradimensionen wären allerdings extrem winzig, gleichsam aufgerollt an jedem Punkt der Raumzeit und insofern unsichtbar für unseren Alltagsverstand. Neben eindimensionalen Strings werden inzwischen im Rahmen der Stringtheorie auch mehrdimensionale Gebilde beschrieben, so ge­nannte p-Branen. Das p steht dabei für die Anzahl ihrer Dimensionen, und »Bran« kommt von »Membran«, da zweidimensionale 2-Branen an solche flatternde Gebilde erinnern. (Außerdem blitzt der Schalk durch den Begriff, denn p-Bran spricht sich englisch wie »pea brain«, also Erbsengehirn.)

Seit 1995 sind die bisherigen Ansätze der Stringtheorie – es gab fünf verschiedene Versionen – als mathematisch gleichberechtigt und Teil einer höheren elfdimensionalen Theorie erkannt worden. Sie wird M-Theorie genannt. Das »M« steht wahlweise für »Membranen«, »Master«, »Matrix«, »majestätisch«, »Mysterium«, »Magie« oder »Mutter aller Theorien« (oder, zumindest für Kritiker, auch für »missing«, »Murks« oder ein umgedrehtes W als Witten-Selbstlob, weil der Mathematiker Edward Witten die M-Theorie prägte und benannte). Sie ist noch sehr spekulativ und nur rudimentär verstanden, aber von enormer mathematischer Eleganz und verwirrenden Konsequenzen. Hawking hat sich ihr in den letzten Jahren verstärkt zugewandt und auf einer Kosmologie-Konferenz im kalifornischen Davis dazu im März 2003 auch einen Vortrag gehalten – genauer: von seinem zuvor entsprechend präparierten Computer halten lassen. In einem Hörsaal der dortigen Universität war es auch, als er sich mir in einer Kaffeepause zuwandte: »Hallo!«

Was folgte, war ein naturgemäß leider etwas einseitiges Gespräch. Aber ich ergriff die Gelegenheit, um Stephen Hawking eine persönliche Frage zu stellen, mit der ich schon viele Forscher konfrontiert habe (als Wissenschaftsjournalist kann man sich das erlauben, auch wenn mancher Redaktionskollege deswegen schon die Augen verdrehte): Angenommen, eine allwissende Fee würde eine beliebige Frage auf eine hinreichend verständliche Weise beantworten – welche würde Hawking ihr stellen? Er grinste und klickte sich durch die Buchstaben und Wörter seines Sprachprogramms. Ob die M-Theorie vollständig sei, wollte er schließlich wissen: »Is M-Theory complete?«

An den Fronten der Forschung

Leider kann bislang niemand den Gehalt und die Reichweite der M-Theorie auch nur annähernd abschätzen, geschweige denn ihre Konsequenzen für die Beschreibung der Welt verstehen, wenn die Theorie richtig wäre. Trotzdem versuchen Physiker mit Vereinfachungen und Hilfsannahmen bereits, den einen oder anderen Winkel der M-Theorie auszuloten – oder jedenfalls ein wenig zu erhellen – und Schlussfolgerungen für die Natur unseres Universums abzuleiten. Und so war es Überraschung und Triumph gleichermaßen, als es 1996 im Rahmen der M-Theorie gelang, die Entropie Schwarzer Löcher abzuschätzen (zumindest in einem speziellen Fall). Die Entropie ist ein Maß für die Unordnung eines physikalischen Systems. Das Ergebnis war identisch mit dem, was Hawking bereits 1974 in einer bahnbrechenden Arbeit auf einem ganz anderen, konservativeren Weg entdeckt hatte. Die Quantengeometrie, ein alternativer Ansatz für eine Theorie der Quantengravitation, kam inzwischen zum selben Resultat. Das beflügelt die Zuversicht der Physiker, auf der richtigen Spur zu sein.

Weitere Fortschritte – auch im Rahmen der M-Theorie – veranlass­ten Hawking schließlich, einen neuen Blick auf das wohl größte Rätsel der Schwarzen Löcher zu werfen: Was geschieht mit der Materie und Energie sowie den mit ihnen geführten Informationen beim Sturz ins Schwarze Loch? Werden sie vollständig vernichtet, wie Hawking seit 1975 argwöhnte? Oder kommen sie doch irgendwie und irgendwo wieder zum Vorschein, wie viele Kritiker entgegneten? Hawking beharrte auf der Hypothese der Informationsvernichtung – wohl wissend, dass sie die gesamte Physik in eine Krise stürzen könnte. Im Sommer 2004 änderte er aber überraschend seine Ansicht. In den bereits vorhandenen Teilen der M-Theorie glaubt er jetzt zu erkennen, dass Schwarze Löcher doch keine irreversiblen Informationsvernichter sind. Seine Kollegen sind sich noch immer im Unklaren, ob die Argumentation stichhaltig ist.

Währenddessen vollziehen sich in anderen Bereichen der Quantengravitation Schwarzer Löcher noch aufregendere Entwicklungen: Die Schwerkraft-Schlünde können womöglich sogar Teilchen wieder ausspucken oder sie wie perfekte Spiegel einfach reflektieren. Außerdem lassen sich Schwarze Löcher mit Hilfe einer hypothetischen »Geisterstrahlung« in echte Tunnel durch die Raumzeit umwandeln – in Wurmlöcher, die quasi überlichtschnelle Reisen in weit entfernte Regionen des Kosmos ermöglichen würden, vielleicht sogar in andere Universen und in die eigene Vergangenheit.

Das sind abenteuerliche Perspektiven, die mehr nach Science Fiction (SF) klingen als nach Science. Doch die Wissenschaft hat die Fiktion stellenweise schon längst überholt. Andererseits konnte die literarische Fantasie der wissenschaftlichen immer wieder gedanklich den Weg bereiten. Insbesondere beim Thema Zeitreisen gibt es kaum ein Szenario, das heute Physiker in Betracht ziehen und das SF-Autoren zuvor nicht schon durchgespielt hätten.

»Die Verbindung zwischen Science Fiction und Wissenschaft führt in beide Richtungen. Die von der Science Fiction präsentierten Ideen gehen ab und zu in wissenschaftliche Theorien ein. Und manchmal bringt die Wissenschaft Konzepte hervor, die noch seltsamer sind als die exotischste Science Fiction«, beschreibt es Hawking. Er tauchte sogar einmal als Gast in einerStar Trek-Folge auf: Er durfte auf dem Holodeck mit Isaac Newton, Albert Einstein und dem Androiden Data pokern – und gewinnen. »Science Fiction wieStar Trekist nicht nur Unterhaltung, sondern erfüllt auch einen ›ernsten‹ Zweck: Sie erweitert die menschliche Vorstellungskraft«, sagt Hawking.

Viele andere Physiker stehen der Science Fiction ebenfalls sehr aufgeschlossen gegenüber – und manche hätten ohne sie gar nicht die Wissenschaft zum Studium und Beruf gemacht. »Ich glaube, die Verbindung ist ganz einfach: Wir werden alle von denselben Fragen inspiriert«, sagt Lawrence Krauss, Physik-Professor und Autor des populärwissenschaftlichen BuchsDie Physik von Star Trek. »Während jedoch die beste Science Fiction unser Interesse erregt, indem sie die Dramatik und die Spannung in den Was-wäre-wenn-Fragen einfängt, lässt sie die Antworten für gewöhnlich offen. Die moderne Wissenschaft hat den Schlüssel zum Wissen, was möglich ist und was nicht.«

Doch was ist möglich? Sind es Zeitreisen? Flüge in die fernste Zukunft oder Vergangenheit? Oder wenigstens Nachrichtenübermittlungen? Könnten Zeitarchitekten gar eine neue, bessere Zukunft erstellen? Und verdanken wir vielleicht auch unsere Vergangenheit – oder sogar buchstäblich alles – einer Zeitreise? Müsste es womöglich heißen: Im Anfang war die Zeitschleife? Und wie verhält es sich mit überlichtschnellen Spritztouren durch den Weltraum? Lässt sich die von Albert Einstein aufgestellte »Lichtmauer« durchbrechen? Oder gibt es gar Schlupflöcher – Abkürzungen durch die Dimensionen? Und verbergen sich diese womöglich im Inneren Schwarzer Löcher? Sind sie zugleich die Notausgänge für eines der größten Rätsel der modernen Physik: die Frage, was mit den Informationen geschieht, die in den unersättlichen Schwerkraftfallen verschwinden?

Davon handelt dieses Buch. Es beansprucht keine Vollständigkeit, sondern versteht sich eher als eine Art Frontbesichtigung an den Grenzen der aktuellen Forschung. Viele andere Aspekte des Themas müssen daher fehlen: Albert Einsteins Relativitätstheorie wird im Einzelnen genauso wenig erläutert wie die Stringtheorie oder die Kosmologie mitsamt den Erklärungsversuchen des Urknalls, der eine Art umgekehrtes Schwarzes Loch war. Auch die Natur der Zeit und ihrer selbstverständlichen und doch höchst rätselhaften Gerichtetheit – wir erinnern uns an die Vergangenheit, aber nicht an die Zukunft – ist hier nicht das Thema. Die Vielfalt astronomischer Indizien für die Existenz von Schwarzen Löchern wird hier nur gestreift, ebenso deren Quantenmechanik und Thermodynamik. Schwarze Minilöcher und Gravitationswellen bleiben am Wegesrand. Die fast magisch anmutenden Effekte bei den unheimlichen Gravitationsmonstern können hier nicht beschrieben werden, ebenso wenig die effiziente Energieerzeugung am Ereignishorizont und die Wechselwirkung mit dem übrigen Universum. Doch viele dieser Aspekte sind bereits in anderen Büchern beschrieben worden. Von den Themen Zeit, Quantenkosmologie und Urknall – speziell auch Stephen Hawkings Forschungen dazu – handeln beispielsweise meine BücherHawkings neues Universum. Wie es zum Urknall kam(5. Auflage 2010) undHawkings Kosmos. Darin wird auch über Hawkings neues Weltmodell berichtet, demzufolge der Urknall aus einem früheren Universum mit umgekehrter Zeitrichtung hervorging. Im vorliegenden Buch hingegen werden noch abenteuerlichere Hypothesen vorgestellt, denen zufolge unser Universum aus einem Schwarzen Loch, einem Wurmloch oder gar einer Zeitschleife entsprang. Trotz der Raum und Zeit übergreifenden Thematik ist aber der Platz – wie die Lesezeit – begrenzt. Und wenn ich versucht hätte, alles, was über Schwarze Löcher berichtet werden könnte, in diesem Buch mit seinem vorgegebenen Umfang unterzubringen, dann hätte die Druckerschwärze nicht nur so extrem verdichtet werden müssen, dass es jedem Leser schwarz vor den Augen werden würde, sondern die Masse des Materials hätte womöglich selbst zu einem Gravitationskollaps geführt, und das Buch wäre zu einem kleinen Schwarzen Loch zusammengestürzt.

Der Schwerpunkt liegt daher auf den aktuellen Entwicklungen, wie sie sich in den Denkstuben der Theoretischen Physiker, auf Konferenzen und in Fachzeitschriften abspielen, sowie auf Hypothesen und Ideen, die noch nicht in den einschlägigen Sach- und Lehrbüchern zu finden sind. Was schon Fakt, was gewagte Spekulation oder gar ein kühner Irrtum ist, das lässt sich allerdings nicht immer klar entscheiden. Die morastige Forschungsfront verläuft unübersichtlich, und die Grenze verschwimmt bisweilen. Nebel zieht auf, Abgründe öffnen sich, Schwierigkeiten und Mühsal werden teilweise unerträglich. (Falls dieser Eindruck auch beim Lesen entsteht, dann hilft der Mut zur Lücke – im nächsten oder übernächsten Absatz beziehungsweise Unterkapitel wird sich das Gelände wieder lichten …)

Faktenwissen ist, daran zweifelt niemand, von großem Wert. Aber nicht alles. Und manchmal sogar ein wenig langweilig. Da sieht es an den Plätzen der großen Streitigkeiten schon ganz anders aus. Wie besonders das noch ausführlich zu schildernde Informationsparadoxon der Schwarzen Löcher zeigt, aber auch die Frage nach der Möglichkeit von Zeitreisen, gibt es mitunter abenteuerliche Vielstimmigkeiten. Das ist verwirrend, aber gerade hier gärt die Forschung. Sie ist ein komplizierter Prozess, oft tastend, mitunter sich in Sackgassen verheddernd, manchmal mit brachialen Durchbrüchen erfolgreich. Etwas von den häufig hart, aber auch selbstironisch geführten Kontroversen soll dieses Buch ebenfalls zeigen. Denn Physik ist – wie Philosophie – mehr als nur ein Katalog von Tatsachen und Naturgesetzen. Zumindest zur Grundlagenforschung zählt auch Neugierde, das freie Spiel der Gedanken und eine Art Denken auf Vorrat. Viele bahnbrechende – und übrigens, man nehme nur die Quantenphysik, inzwischen teilweise wirtschaftlich extrem lukrative – Entdeckungen sind quasi am Schreibtisch gemacht worden, im Lehnstuhl oder in unzähligen Cafeteria-Gesprächen mit den berühmten Rechnungen auf Papierservietten oder der Rückseite eines Briefumschlags. So haben Wissenschaftler zum Beispiel Antimaterie und Supraleitung, Radiostrahlung und Gravitationswellen, Neu­tronensterne und Schwarze Löcher, Neutrinos und andere exotische Elementarteilchen sowie die Kosmische Hintergrundstrahlung vom Urknall und die den Weltraum zur beschleunigten Ausdehnung antreibende Dunkle Energie ersonnen, lange bevor man sie nachweisen konnte – oder überhaupt auf die Idee kam, sie einmal nachzuweisen.

»So etwas geschieht oft in der Physik: unser Fehler ist nicht, dass wir unsere Theorien zu ernst nehmen, sondern dass wir sie nicht ernst genug nehmen«, hat der Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg einmal geschrieben. »Man kann sich stets nur schwerlich vorstellen, dass die Zahlen und Gleichungen, mit denen wir an unseren Schreibtischen spielen, etwas mit der wirklichen Welt zu tun haben.« Daher sollten auch die gegenwärtigen Spekulationen – oder Voraussagen? – über Schwarze Löcher, Zeitreisen und Überlichtgeschwindigkeit nicht als versponnenes Wunschdenken abgetan werden (was nicht heißt, ihren Hypothesencharakter zu leugnen). Vielleicht wird man in 100 oder 1000 Jahren nicht nur über unsere Irrtümer, sondern auch über unseren Mangel an Mut und Fantasie schmunzeln, weil wir unsere Theorien nicht ernst (genug) genommen haben.

Wie sich zeigen wird, hängen viele Fragen in diesem Buch zusammen – und zielen letztlich auf eine künftige Theorie der Quantengravitation. Auch deshalb wäre es wichtig zu wissen, ob die M-Theorie korrekt und vollständig ist. Es bleibt also spannend. Zumindest wollte Hawking, als ich ihn deswegen anschrieb, seine Frage nicht revidieren; und meines Wissens hat er bis heute auch noch keine Antwort von der Fee erhalten.

1. Schwarze Löcher

Das Einfachste der Welt

»Das Universum ist voll von magischen Dingen, die geduldig darauf warten, dass wir scharfsinniger werden«, schrieb einst der britische Dichter und Dramatiker Eden Philpotts. Kaum anders als magisch zu nennen ist die einfachste, aber zugleich auch gewichtigste Sache der Welt: Schwarze Löcher.

Gefräßige Ruine:Stellare Schwarze Löcher sind nur wenige Kilometer groß, haben aber die Masse mehrerer Sonnen. Sie entstehen beim Kollaps eines ausgebrannten Sterns. War dieser Teil eines Doppelsternsystems und bläht sich der Nachbarstern am Ende seines Lebens zu einem Roten Riesen auf, dann können seine äußeren Schichten in den Gravitationsschacht des Schwarzen Lochs hineingestrudelt werden.

Gewichtig sind diese rätselhaften Himmelskörper, weil ihre Schwerkraft so hoch ist, dass nicht einmal Licht ihnen entkommen kann. Und einfach sind sie, weil man nur drei physikalische Kenngrößen braucht, um sie vollständig zu beschreiben: Masse, elektrische Ladung und Drehimpuls. Einfacher geht es nicht mehr. Nichts sonst im Universum lässt sich mit so wenig Informationen charakterisieren.

Wesentlich komplizierter wird es aber, wenn man verstehen will, wie sich diese seltsamen Objekte bilden können und was in ihrem Inneren vor sich geht. Vieles ist so bizarr und brachial, dass es die Anschaulichkeit des Alltagsverständnisses bei weitem übersteigt oder sogar jegliches Vorstellungsvermögen sprengt. Bei der Beschäftigung mit Schwarzen Löchern stellt sich daher leicht ein irritierendes Gefühl der Unwirklichkeit ein. Und es erfordert sogar Mut und gedankliche Flexibilität, sich auf das Thema einzulassen – vor allem dann, wenn man auch die kühnen Theorien und Spekulationen an der Front der aktuellen Forschung verfolgen möchte. Dies lohnt sich aber, selbst wenn man nicht immer jedes Detail nachvollziehen kann (das ergeht den Wissenschaftlern nicht anders), und es ist keine Quelle der Frust­ration, sondern eine Herausforderung. Schwarze Löcher ermöglichen nicht nur einen Blick in die Abgründe der Welt, sondern zugleich auch ein tieferes Verständnis der Wirklichkeit – und von uns selbst. Ohne Schwarze Löcher hätte sich das Universum nämlich ganz anders entwickelt oder wäre vielleicht gar nicht erst mit dem Urknall entstanden – und Menschen gäbe es nicht.

Zwar sind Schwarze Löcher unsichtbar, aber sie machen sich indirekt bemerkbar aufgrund ihrer Gravitation. Denn sie beeinflussen die Bewegung von sichtbaren Objekten in ihrer Nähe. Dass die Sternruinen nicht das Fantasieprodukt findiger »Schreibtischdenker« sind, sondern wirklich im Weltraum vorkommen, zeichnete sich ab den 1960er und 1970er Jahren ab. Inzwischen haben Astronomen mehrere Dutzend Kandidaten für stellare Schwarze Löcher in der Milchstraße und einigen benachbarten Galaxien entdeckt: finstere Gesellen, die nur wenige Kilometer groß sind und doch eine Masse von 3 bis etwa 15 Sonnenmassen haben. (Eine Sonnenmasse sind rund zwei Milliarden Milliarden Milliarden Tonnen oder das 330.000fache der Erdmasse). So fand man Dutzende von stellaren Schwarzen Löchern als eine Komponente in Doppelstern-Systemen. Dort entsteht auch Röntgen- und Gammastrahlung, wenn das Schwarze Loch dem Nachbarstern Materie entreißt und sich diese einverleibt.

Doch stellare Schwarze Löcher sind wahre Leichtgewichte im Vergleich zu den Dickwänsten in den Milchstraßen. Denn die Bahnen von Sternhaufen, Einzelsternen und Gaswolken um Galaxienzentren sowie hochenergetische Teilchenströme (Jets), die von dort entweichen, verraten, dass im Mittelpunkt vieler Galaxien, auch in unserer Milchstraße, so genannte galaktische oder supermassereiche Schwarze Löcher stecken. Sie haben einige Millionen bis zehn Milliarden Sonnenmassen. Diese gefräßigen Schwerkraft-Monster gelten heute als Standarderklärung für die enormen Energien, die in Quasaren – den feurigen Zentren junger Galaxien – und aktiven Galaxien entfesselt werden und sich noch über Milliarden von Lichtjahren messen lassen.

Kosmischer Staubsauger:Fast jede Galaxie hat ein finsteres Herz, das heißt in ihrem Zentrum steckt ein supermassereiches Schwarzes Loch. Das gilt auch für NGC 4261, eine 100 Millionen Lichtjahre entfernte aktive Elliptische Galaxie im Sternbild Jungfrau (Bild links). Das Schwarze Loch hat die Masse von 500 Millionen Sonnen und wird von einer 800 Lichtjahre großen Scheibe aus Gas und Staub umlaufen – Futter für den unersättlichen Schwerkraft-Schlund (Bild rechts). Dabei werden hochenergetische Teilchenströme (Jets) entlang der Rotationsachse fast lichtschnell davongeschleudert. Sie erstrecken sich jeweils 50.000 Lichtjahre ins All hinaus und regen bereits früher ausgestoßene Gaswolken zur Abgabe von Radiostrahlung an (»keulenförmige« Strukturen über und unter der Galaxie im linken Bild).

Vielleicht existieren auch winzige Schwarze Löcher, viel kleiner als ein Atom: Relikte der kosmischen Urzeit, aus denen ein Teil der ominösen ­Dunklen Materie im All bestehen könnte. Sie macht nachweislich ein Mehrfaches der Gesamtmasse der sichtbaren Materie (Gas, Staub, Planeten, Sterne und so weiter) aus, ist aber noch nicht direkt identifiziert. Inzwischen spekulieren Physiker sogar über Schwarze Minilöcher, die sich beim Aufprall der Kosmischen Strahlung in der Erdatmosphäre bilden, die demnächst mit Teilchenbeschleunigern erzeugt werden könnten, oder als Schwarze Atomkerne vielleicht sogar in unseren Köpfen he­rum­spuken, ohne bloße Hirngespinste zu sein.

Es vergeht kein Monat, in dem in den Medien nicht über neue Entdeckungen im Zusammenhang mit Schwarzen Löchern berichtet wird, und kaum ein Tag, an dem keine Forschungsbeiträge in Fachzeitschriften oder im Internet erscheinen. Schwarze Löcher sind ein Dauerbrenner geworden, und ihre Faszination nimmt noch zu. Dabei war es ein langer, verschlungener und mitunter von Sackgassen gesäumter Weg von den ersten tastenden theoretischen Überlegungen zu den handfesten Beobachtungen heute.

Nomen est Omen

Selbst zu ihrem treffenden Namen kamen die Schwarzen Löcher (englisch: Black Holes) erst spät. Ihn prägte der amerikanische Physiker John Archibald Wheeler: Man könne nicht dauernd »gravitativ vollständig kollabiertes Objekt« sagen, murrte er in einem Vortrag am Goddard Institute for Space Studies der amerikanischen Weltraum­agentur NASA in New York im Herbst 1967. »Wie wäre es mit Schwarzem Loch?« fragte ein Zuhörer. Und Wheeler, der schon seit Monaten nach einer passenden Bezeichnung gesucht hatte, war sofort überzeugt. »Als ich einen weiteren Vortrag in New York einige Wochen später hielt, am 29. Dezember 1967, verwendete ich den Begriff und übernahm ihn auch in der schriftlichen Vortragsfassung, die im Frühjahr 1968 publiziert wurde«, erinnert sich Wheeler in seiner AutobiographieGeons, Black Holes&Quantum Foam(1998). Diese Bezeichnung setzte sich sofort durch – »Nomen est omen«, der Name als Charakter-Kennzeichnung, so könnte man auch hier mit dem römischen Komödiendichter Plautus sagen. Der Begriff hat sich in seiner Bedeutung inzwischen sogar so weit verselbständigt, dass im Alltag immer häufiger von Schwarzen Löchern die Rede ist – allerdings meist im Zusammenhang mit den Haushaltslöchern der Staatsfinanzen oder dem Sumpf der schwarzen Kassen von Parteien und Management. (In der SF-Literatur tauchte »Black hole« übrigens schon früher auf: 1950 inTypewriter from the Futurevon Peter Worth.)

Physikalisch könnte der Begriff passender kaum sein. Schwarze Löcher sind wirklich kohlrabenschwarz, weil sie – zumindest in der klassischen Theorie – nichts mehr von sich geben oder reflektieren, weder Materie noch Strahlung. Selbst das Licht mit seiner astronomischen Geschwindigkeit von fast 300.000 Kilometern pro Sekunde kann der Gravitation nicht entrinnen. Und Löcher sind die Schwerkraftfallen auch: bodenlose Gruben im Gewebe der Raumzeit, in die zu stürzen unaufhaltsam und tödlich wäre. Wie Tunnel bohren sie sich durch die Dimensionen. Und ob so ein Tunnel gleichsam spitz zuläuft und alles zermalmt (Physiker sprechen von einer Singularität), ob er in ein unendlich tiefes Kellergeschoss führt oder wie ein Maulwurfsloch in andere Regionen, womöglich in andere Universen, oder ob sogar noch etwas Sonderbareres geschieht, das gehört bis heute zu den spannendsten Fragen der Naturwissenschaft.

Der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman unterstellte Wheeler später trotzdem augenzwinkernd eine etwas anzügliche Fantasie bei der Namenswahl. Tatsächlich hatte Wheeler aber den seit Ende des 19. Jahrhunderts gebräuchlichen Begriff der Schwarzen Körper im Hinterkopf. Diese idealisierten Objekte absorbieren jegliche elektromagnetische Strahlung und senden sie in Form der so genannten Schwarzkörper-Strahlung auch wieder aus. Diese Strahlung hängt nur von der Temperatur, nicht aber der materiellen Beschaffenheit des Körpers ab. (Die Sonne ist zum Beispiel näherungsweise ein solcher Strahler, was verwirrend erscheinen mag, da sie ja alles andere als schwarz ist.) Im Experiment kann ein Schwarzer Strahler durch einen innen geschwärzten Hohlraum realisiert werden, der eine kleine Öffnung hat. Schwarze Löcher sind nun ebenfalls perfekte Absorber, nur emittieren sie nichts. (Kuriosität nebenbei: Wenn Hawking Recht hat, geben sie aufgrund von Quantenprozessen allerdings doch Strahlung ab, und diese ist sogar exakt thermisch wie die Schwarzkörper-Strahlung.) Solche physikalischen Assoziationen sind freilich nicht jedermanns Geschmack. Und so besagt eine Anekdote, dass sich »Schwarzes Loch« nicht überall sofort durchgesetzt hat, weil das Wort auch despektierlich gegenüber Frauen verwendet wird – insbesondere im Russischen, »chernaya dyra«, wo es in den 1970ern dennoch die bis dahin gebräuchliche Bezeichnung »gefrorener Stern« ersetzt hat.

Dunkle Sterne

Wenn der Halbmesser einer Kugel mit derselben Dichte wie die Sonne mit ihr im Verhältnis von 500 zu 1 steht, und wenn man annimmt, dass Licht von der Schwerkraft genauso angezogen wird wie jeder andere Körper, »dann würde alles Licht, das von einem solchen Körper ausgesandt wird, aufgrund von dessen Schwerkraft zu ihm zurückkehren«. So lautet die erste Erwähnung dessen, was heute Schwarzes Loch genannt wird. Die Überlegung stammt von dem englischen Pfarrer und Geologen John Michell, der in Thornhill, Yorkshire, lebte. Obwohl heute weitgehend vergessen, war er in seiner Zeit fast so bekannt wie sein Freund, der Physiker Henry Cavendish, und gilt als Begründer der Seismologie. Er vermutete auch, dass sich Erdbeben am Meeresboden ereignen können und versuchte sie mit dem Gasdruck zu erklären, der sich durch ein vulkanisches Aufheizen von Wasser aufbaut. Am 27. November 1783 wurde an der ehrwürdigen Royal Society, der Akademie der Wissenschaften in London, ein von Cavendish kommuniziertes Forschungspapier vorgetragen, in dem Michell detailliert konkrete Vorschläge machte, um die Distanzen, Massen und Größen von Sternen mit Hilfe der Verzögerung zu ermitteln, die das von ihren Oberflächen abgestrahlte Licht erfährt. (Dass die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum konstant ist, hat erst Albert Einstein 1905 erkannt.) Das waren keine luftigen Spekulationen, sondern Argumente, die auf dem Gravitationsgesetz von Isaac Newton und dessen Korpuskeltheorie des Lichts basierten, nach der Licht aus Teilchen besteht und der Schwerkraft unterliegt. Damals waren auch noch keine Sternentfernungen gemessen worden. Eher nebenbei bemerkte Michell in dem dann 1784 erschienenen Artikel: »Wenn es in der Natur wirklich Körper gibt, deren Dichte nicht geringer als die der Sonne ist und deren Durchmesser mehr als das 500fache der Sonne beträgt, können wir keine Informationen von ihnen erblicken, weil ihr Licht uns nicht zu erreichen vermag.« In seinem 1795 erschienenen BuchExposition du Système du Mondeformulierte der französische Mathematiker und Astronom Pierre Simon de Laplace unabhängig davon eine ganz ähnliche Argumentation. Michell wies sogar darauf hin, wie solche Dunkelsterne, obwohl nicht sichtbar, ihre Existenz indirekt verraten könnten: »Wenn um sie herum irgendwelche anderen leuchtenden Körper kreisen, könnten wir vielleicht doch aus den Bewegungen dieser umlaufenden Körper die Existenz der zentralen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erschließen, insofern diese einen Anhaltspunkt für die augenscheinlichen Unregelmäßigkeiten der umlaufenden Körper geben.« Und genau so ist es knapp 200 Jahre später dann gekommen.

Auch die Vorstellung der supermassereichen Schwarzen Löcher, die 1964 aufkam, hat einen Vorläufer. 1801 berechnete der deutsche Astronom Johann Georg von Soldner nämlich die Ablenkung des Lichts bei einem Stern nach Newtons Gesetzen und spekulierte über die Möglichkeit, die er jedoch verwarf, dass die Sterne in der Milchstraße um ein zentrales dunkles Objekt kreisen. (Erst 1921 stellte Sir Oliver Lodge von der University of Birmingham wieder solche Überlegungen an.) Im selben Jahr, 1801, entdeckte der britische Physiker Thomas Young die Interferenz des Lichts, das daraufhin als Wellenphänomen aufgefasst wurde, und beseitigte damit zunächst einmal die Idee, dass es von der Schwerkraft beeinflusst würde. Dies entzog den Dunkelstern-Vermutungen fürs erste die Grundlage.

Der Schwarzschild-Radius

Die theoretische Wiedergeburt der Schwarzen Löcher – zunächst allerdings unbemerkt – erfolgte 1916. Ein Jahr zuvor vollendete Albert Einstein in Berlin seine Allgemeine Relativitätstheorie. Schon 1905 hatte er – damals noch als Technischer Experte III. Klasse am Patentamt in Bern und »ehrwürdiger eidgenössischer Tintenscheisser« (Einstein über sich selbst) – in seiner Speziellen Relativitätstheorie Raum, Zeit, Masse und Energie als absolute und eigenständige Kategorien aufgehoben. Raum und Zeit verschmolzen zur Raumzeit. »Von Stund’ an sollen Raum und Zeit für sich völlig zu Schatten herabsinken, und nur noch eine Union der beiden soll Selbständigkeit bewahren«, lautete die klassische Interpretation des Göttinger Mathematikers Hermann Minkowski im Jahr 1908. Außerdem erwiesen sich Masse m und Energie E als zwei Seiten derselben Medaille. Die Lichtgeschwindigkeit c, die Einstein im Gegensatz zu allen anderen relativen Bewegungen und Geschwindigkeiten als konstant und unabhängig vom Bezugssystem erkannt hat, ist das fundamentale Bindeglied. (Das c steht für »constant« oder auch »celeritas«, das lateinische Wort für Geschwindigkeit). Über die Lichtgeschwindigkeit sind Masse und Energie gemäß Einsteins berühmter Formel E = mc2un­mittelbar miteinander verbunden.

Im Gegensatz zur Speziellen beschreibt die Allgemeine Relativitätstheorie auch die Gravitation. In Einsteins zehn Feldgleichungen wird Newtons Vorstellung, sie sei eine Kraft, die sich ohne Zeitverlust ausbreitet, begraben. Stattdessen wird die Gravitation als Eigenschaft der Raumzeit aufgefasst, quasi als Folge ihrer Geometrie. Materie krümmt das Raumzeit-Kontinuum. Selbst die sich scheinbar so geradlinig ausbreitenden Lichtstrahlen müssen den Deformationen der Raumzeit folgen. »Die Raumzeit sagt der Materie, wie sie sich bewegen muss, und die Materie sagt der Raumzeit, wie sie sich krümmen muss«, brachte es John Wheeler später auf den Punkt.

Bei der totalen Sonnenfinsternis vom 29. Mai 1919 gelang es dem britischen Astronomen Arthur Stanley Eddington erstmals, den von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorausgesagten Effekt zu messen. Einstein wurde quasi über Nacht zum Medienstar.

Die Lichtablenkung im Schwerefeld lässt sich veranschaulichen, indem man sich die vierdimensionale Raumzeit als zweidimensionale Gummihaut vorstellt. Masse, zum Beispiel die der Sonne, krümmt sie. Dementsprechend wird die Gummihaut eingedrückt. Aufgrund der so modifizierten Geometrie ändert sich auch der Lauf von Lichtstrahlen, die immer den kürzestmöglichen Weg zurücklegen. Sie geraten gleichsam auf die schiefe Bahn und machen krumme Touren. Aus diesem Grund lassen sich Sterne, die sich knapp hinter dem Sonnenrand befinden, noch wahrnehmen. Voraussetzung dafür ist freilich, dass die alles überstrahlende Sonnenscheibe ausgeblendet wird, wie dies der Mond bei einer totalen Sonnenfinsternis ja tut.

Einsteins Feldgleichungen sind ein extrem schwieriges und anspruchsvolles Terrain. Sie lassen sich nur für wenige Fälle exakt lösen. Der erste, der eine genaue Lösung ableitete, war der deutsche Astronom Karl Schwarzschild, seit 1909 Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam. Er publizierte 1916 zwei Artikel (und starb noch im selben Jahr an einer unheilbaren Hautkrankheit, die er sich im Ersten Weltkrieg zugezogen hatte), doch seine Lösung fand lange Zeit kaum Beachtung. Erst Jahrzehnte später wurde klar, dass Schwarzschilds Formel die Größe eines Schwarzen Lochs beschreibt – und zwar des einfachsten, nämlich ungeladenen und nicht rotierenden Typs – und dass dies keine bloße »Schreibtischtat« war, sondern etwas über die Natur aussagt. Die Formel definiert den Schwarzschild-Radius RS2(G ist Newtons Gravitationskonstante, m wieder die Masse und c die Lichtgeschwindigkeit). Damit lässt sich für jedes Objekt, dessen Masse bekannt ist, ausrechnen, wie klein es wäre, wenn sich seine gesamte Materie zu einem Schwarzen Loch verdichten würde. Der Schwarzschild-Radius der Sonne beträgt nur 2,8 Kilometer, der der Erde etwa 1,5 Zentimeter – die Größe einer Murmel. Ein typisches Schwarzes Loch von zehn Sonnenmassen hat Schwarzschild zufolge einen Halbmesser von rund 30 Kilometern. Und alle Sterne unserer Galaxie hätten Platz in einem Schwarzen Loch mit 0,06 Lichtjahren Durchmesser.

Sterne so klein wie die Erde

Dass Schwarze Löcher nicht nur mathematische Lösungen der Allgemeinen Relativitätstheorie darstellen, sondern in der Natur wirklich vorkommen könnten, und zwar als kollabierte Reste ausgebrannter Sterne, war Astronomen lange nicht klar. Zwar spekulierte Alexander Anderson vom University College in Galway im Februar 1920, bald nach Eddingtons Nachweis der Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne, dass die Sonne beim Verbrauch ihres Brennstoffs immer weiter schrumpfen müsste, bis »sie sich in Finsternis hüllt, nicht weil kein Licht mehr zu verstrahlen wäre, sondern weil ihr Gravitationsfeld für Licht nicht mehr durchlässig ist.« Doch die Vorgänge im Inneren der Sterne waren damals noch äußerst rätselhaft. Und inzwischen ist es auch erwiesen, dass die Materie der Sonne nicht ausreicht, um unter ihrer eigenen Masse zu einem Schwarzen Loch zu kollabieren. Aber die Sonne ist nicht das Maß aller Dinge. Es gibt regelrechte Schwergewichte unter den Gestirnen, und diese haben außerordentlich finstere Zukunftsaussichten.

Über 100 Milliarden Sterne leuchten allein in der Milchstraße, unserer Heimatgalaxie. Und rund 100 Milliarden Galaxien befinden sich im beobachtbaren Weltall. Hinsichtlich ihrer Eigenschaften wie Masse, Leuchtkraft, Zusammensetzung und Größe unterscheiden sich die Sterne teilweise beträchtlich voneinander. Allen gemeinsam ist aber, dass sie ihre Energieabstrahlung durch Kernfusion decken. Beispielsweise verschmelzen in der Sonne, ein typischer Durchschnittsstern im Mittelfeld der physikalischen Skalen, 597 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 593 Millionen Tonnen Helium – in jeder Sekunde. Die restlichen vier Millionen Tonnen werden nach Einsteins Formel E = mc2in Strahlung umgewandelt. Der aus diesem Prozess entstehenden Wärme- und Lichtenergie – sie würde ausreichen, um eine Million Jahre lang den gesamten heutigen Energiebedarf der Menschheit zu decken – verdankt alles irdische Leben seine Existenz.

Die Strahlungsenergie ist auch der Grund, warum die Sterne nicht unter ihrer eigenen Masse zusammenstürzen. Im Gegensatz zu dem stabilen Gleichgewicht fester Körper wie Planeten, wo die elektromagnetische Abstoßung zwischen den Atomen der Schwerkraft Paroli bietet, ist das Gleichgewicht in den Sternen dynamisch. Es ändert sich dauernd. Dennoch leuchten auch Sterne teilweise viele Milliarden Jahre lang. Allerdings ist das »Leben« der massereichen Sterne kürzer. Im Extremfall währt es nur einige hunderttausend Jahre, diese Sterne gehen geradezu verschwenderisch mit ihrem Brennstoff um. Zumindest bei den Sternen reduziert Reichtum also die Lebensdauer, und Be­scheidenheit ist vielleicht keine Zier – die massearmen Roten Zwergsterne glühen relativ lichtschwach vor sich hin –, aber ein Lebenselixier. Doch auch bei ihnen ist der Wasserstoff irgendwann verbraucht: erst im Zentrum und später in weiter außen liegenden Schalen.

Dann hat bereits das so genannte Helium-Brennen eingesetzt. In vielfältigen Kernverschmelzungsprozessen werden nun immer schwerere Elemente erzeugt: Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff und so weiter bis hin zum Eisen. Dabei steigt die Dichte im Sterninneren immer mehr an, wird heißer und kontrahiert unter der eigenen Gravitation. Dies geht so weit, bis die aufsteigende Hitze und der damit einhergehende Druck die äußeren Schichten des Sterns aufblähen: Ein Roter Riese entsteht. Die Sonne wird in etwa 7,6 Milliarden Jahren in dieses Altersstadium eintreten und dann größer sein als die heutige Umlaufbahn der Erde.

Auf krummen Touren:Albert Einstein hat entdeckt, dass Masse den Raum krümmt. Dadurch gerät Licht gleichsam auf die schiefe Bahn – es muss der Gravitationsgeometrie folgen und kann sich nicht mehr »geradlinig« wie im fast leeren Raum ausbreiten. Dieser Effekt wurde erstmals 1919 bei einer totalen Sonnenfinsternis gemessen. Hier waren noch Sterne nahe des Rands der vom Mond bedeckten Sonne sicht­bar, die sich eigentlich hinter der Sonne befanden. Die Grafik veranschaulicht die »wahren« und »scheinbaren« Lichtwege. Der Raum ist als zweidimensionales »Gummituch« symbolisiert, seine Krümmung durch die Masse der Sonne als »Delle« darin.

Hat bislang die Sternmasse hauptsächlich die Dauer des Sternenlebens beeinflusst, hängt von ihr nun auch die Richtung der weiteren Entwicklung ab. Massearme Sterne wie unsere Sonne beginnen alsbald zu schrumpfen, denn ihr Brennstoff ist nahezu aufgezehrt. Somit gewinnt die Gravitation die Überhand, und ein so genannter Weißer Zwerg ist die Folge. Zuvor ist etwa die Hälfte der Sternmaterie in Form von immer stärker werdenden Sternwinden ins All gewichen und wird dort für einige hunderttausend Jahre als leuchtende Gas- und Staubschwaden sichtbar. Planetarische Nebel – ein missverständlicher Name aufgrund der irrtümlichen Annahme, es seien Planeten – heißen diese Relikte eines kosmischen Striptease, bei dem die ausgebrannten Sterne ihre Hüllen abstreiften.

Weiße Zwerge sind also nackte Sternkerne. Sie sind nicht viel größer als die Erde, aber wesentlich massereicher. Zu den bekanntesten Beispiele zählen die Begleiter von Sirius und Prokyon. Die Weißen Zwerge gaben den Astronomen schon im 19. Jahrhundert Rätsel auf, weil ihre Massen in der Größenordnung der Sonne liegen, ihre Leuchtkraft jedoch hundertmal geringer ist. 1916 verfasste dann Ernest J. Öpik aus Estland, der damals in Moskau forschte, einen Artikel, in dem er die Dichten von 40 Weißen Zwergen in Doppelstern-Systemen auf 25.000 Gramm pro Kubikzentimeter schätzte (heute geht man sogar von über einer Tonne pro Kubikzentimeter aus). Arthur Eddington fand in den 1920er Jahren dafür die physikalische Erklärung: Weiße Zwerge – die Bezeichnung stammt von ihm – bestehen aus entarteter, dicht gepackter Materie: komprimierten Atomkernen in einem Elektronengas. Nur so kann sich die elektromagnetische Abstoßung der dichtgedrängten Teilchen der Schwerkraft noch widersetzen. Weiße Zwerge sind stabil und erkalten im Lauf der Zeit. Sie werden immer lichtschwächer und somit zu Schwarzen Zwerg­sternen.

Kollaps ins Bodenlose

Ganz anders verläuft die Entwicklung von Sternen, die nach ihrem Striptease noch mehr als die 1,4fache Masse der Sonne besitzen. Dieser Zahlenwert heißt Chandrasekhar-Grenze. Benannt wurde sie nach Subrahmanyan Chandrasekhar, der sie im Juli 1930 entdeckt hat – als 19jähriger Student auf einer Schifffahrt von Indien nach England. Ein Jahr später, und ohne Chandrasekhars noch nicht veröffentlichte Arbeit zu kennen, stieß der russische Physiker Lew Landau in Zürich ebenfalls auf den Grenzwert. »Ich verstand damals nicht, was die Grenze bedeutete, und ich wusste nicht, wie das enden würde«, erinnerte sich Chandrasekhar später. 1934 schrieb er: »Die Lebensgeschichte eines Sterns kleiner Masse muss sich wesentlich von der eines Sterns mit großer Masse unterscheiden. Für einen Stern kleiner Masse ist das natürliche Stadium eines Weißen Zwergs der erste Schritt zu seiner völligen Auslöschung. Ein Stern großer Masse kann dieses Weiße-Zwerg-Stadium nicht durchlaufen, und man muss über andere Möglichkeiten spekulieren.« Von Eddington und anderen Theoretikern erntete Chandrasekhar heftigen Widerspruch. Doch schließlich setzte sich seine Erkenntnis durch und wurde mit dem Physik-Nobelpreis gewürdigt – allerdings erst 1983.

Es dauerte noch Jahrzehnte, bis klar wurde, dass die Chandrasekhar-Grenze die Schwelle zu Supernovae markiert. Das sind ungeheuere Explosionen, bei denen massereiche Sterne in einem spektakulären Abgang von der kosmischen Bühne aufgrund verschiedener, noch nicht völlig verstandener Prozesse ihre äußeren Schichten davonschleudern. Dabei strahlen sie einige Tage heller als eine ganze Galaxie. Solch ein kosmisches Feuerwerk ereignet sich in jeder Galaxie einmal alle paar Dutzend bis hundert Jahre. Die letzten – sogar am Taghimmel erkennbaren – Supernovae in der Milchstraße flammten 1572 und 1604 auf, noch vor der Erfindung des Teleskops. Die jüngste Sternexplosion in einer Nachbargalaxie wurde am 24. Februar 1987 in der rund 170.000 Lichtjahre entfernten Großen Magellanschen Wolke am Südsternhimmel entdeckt.

Mit der Absprengung der Sternhülle schließt sich ein kosmischer Kreislauf. Neues Material gelangt in den Weltraum, aus dem sich wieder einmal Sterne bilden können. Das Gas ist nun mit schwereren Elementen angereichert, die der explodierte Stern erbrütet hat. Bei der Supernova selbst entstehen alle Elemente, die schwerer als Eisen sind – bis hin zum Uran. Ohne Kernfusion in den Sternen und die Verteilung der synthetisierten Elemente ins All durch Sternwinde und Supernovae gäbe es keinen Rohstoff für Planeten und Lebewesen, denn mit dem Urknall vor rund 13,7 Milliarden Jahren sind nur Wasserstoff und Helium in nennenswerten Mengen entstanden. Dies bedeutet, dass jeder Mensch aus den Relikten längst erloschener Sterne besteht. Wir sind lebender Sternenstaub.

Doch nicht der ganze Stern wird bei einer Supernova zerrissen. Eine kompakte Leiche bleibt übrig, die schwerer als 1,4 Sonnenmassen ist. Unmittelbar vor der Explosion kommt es nämlich zu einem Kollaps des Sterninneren. Dabei werden die Elektronen gleichsam in die Protonen gepresst, so dass Kernreaktionen stattfinden, die zu Neutronen führen. Nun kann nur noch die lediglich im subatomaren Bereich wirkende Starke Kernkraft der Gravitation trotzen. Sie ist hundertmal stärker als die Elektromagnetische Wechselwirkung. Weil die kollabierte Sternleiche überwiegend aus dicht gepackten Neutronen besteht, nennt man sie Neutronenstern.

Schon bald nach der Entdeckung des Neutrons im Februar 1932 durch den englischen Experimentalphysiker James Chadwick haben Astronomen und Physiker, darunter wiederum Landau, über solche Objekte spekuliert. Besonders hellsichtig war Fritz Zwicky, der in Bulgarien geboren wurde, in der Schweiz aufwuchs und am California Institute of Technology forschte. Er prägte auch die Bezeichnung »Supernova«. Mit seinem Kollegen Walter Baade vom Mount Wilson Observatory schrieb er 1934: »Eine Supernova ist der Übergang von einem gewöhnlichen Stern zu einem Neutronenstern, der hauptsächlich aus Neutronen besteht. So ein Stern dürfte einen sehr kleinen Radius und eine extrem hohe Dichte haben. Weil sich Neutronen sehr viel enger zusammenlagern können als gewöhnliche Atomkerne und Elektronen, repräsentiert ein Neutronenstern die stabilste Konfiguration der Materie.«

Dies physikalisch nachzuweisen erforderte freilich Rechnungen im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie und Atomphysik, die damals nur ansatzweise möglich waren. Und so blieb Zwicky über 20 Jahre lang fast der einzige Befürworter dieser Sichtweise. Erst 1967 wurde klar, dass Neutronensterne tatsächlich existieren. Damals entdeckten Antony Hewish und seine Studentin Jocelyn Bell mit dem Radioteleskop des Mullard Radio Astronomy Observatory bei Cambridge die Pulsare – kosmische Leuchtfeuer, die wie Rasensprenger in teilweise Bruchteilen von Sekunden Strahlung zur Erde schießen. Es sind rotierende Neutronensterne, deren Dichte 100 Millionen Tonnen pro Kubikzentimeter übersteigt. Die gesamte Wassermenge der fünf Großen Seen zwischen Kanada und den USA ließe sich problemlos in ein Spülbecken packen, wäre sie so dicht komprimiert wie die Materie eines Neutronensterns.

Doch was geschieht, wenn der kollabierende Sternkern so schwer ist, dass selbst die Starke Kernkraft zwischen den Neutronen der Schwerkraft keinen Widerstand mehr entgegensetzen kann? Nichts im Universum vermag den endgültigen Zusammenbruch dann noch zu verhindern – ein Schwarzes Loch entsteht. Und Schwarzschilds Formel gibt genau die Grenze an, auf die schon Michell gestoßen war: Dort, wo die Fluchtgeschwindigkeit die Lichtgeschwindigkeit ist.

Auf der Erde ist die Grenze zum Weltraum nur etwa eine Autostunde entfernt – wenn man immer geradeaus nach oben fahren könnte. Um die irdischen Fesseln abzustreifen, wäre dabei freilich eine Geschwindigkeit von 40.000 Kilometer pro Stunde oder 11,2 Kilometer pro Sekunde nötig. Die Raketen, die Menschen zum Mond gebracht hatten, haben diese so genannte Fluchtgeschwindigkeit überwunden. Woanders wären freilich noch viel leistungsfähigere Triebwerke nötig: Auf Jupiter beträgt die Fluchtgeschwindigkeit 60, auf der Sonne 620, auf der Oberfläche eines Weißen Zwergs 3400 und auf der eines Neutronensterns rund 200.000 Kilometer pro Sekunde. Im Fall eines Schwarzen Lochs dagegen entkommt nicht einmal mehr Licht dem Schwerefeld. Wie eine Art Einwegmembran verschlucken sie alles, geben aber nichts mehr her, nicht einmal Licht. Deshalb sind Schwarze Löcher stockfinster.

Ein solcher Finsterling ist unvermeidbar, wenn der Sternkern die so genannte Oppenheimer-Volkoff-Grenze überschreitet, die bei etwa drei Sonnenmassen liegt. Allerdings muss der ganze Vorläuferstern mindestens 30 Sonnenmassen besessen haben, weil er den Hauptteil seiner Materie aufgrund der Sternwinde und der Supernova ins All bläst. Julius Robert Oppenheimer – der spätere »Vater« der ersten Atombombe – veröffentlichte zusammen mit seinen Studenten Hartland Snyder und Michael Volkoff 1939 in Princeton zwei bahnbrechende Arbeiten, die Michells ursprüngliche Idee auf der Basis von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie wiederbelebten.

»Wenn alle thermonuklearen Energiequellen erschöpft sind, wird ein hinreichend schwerer Stern kollabieren. Wenn nicht eine Spaltung durch Rotation, die Abstrahlung von Materie oder die Absprengung von Masse durch Strahlung die Masse des Sterns auf eine Größenordnung von der der Sonne reduziert, wird diese Kontraktion unendlich weitergehen. Licht von dem Stern wird fortschreitend röter und kann nur noch in einem immer enger werdenden Winkel entkommen«, schrieben Oppenheimer und Snyder in »einem der kühnsten und unheimlich prophetischsten Artikel, der jemals publiziert wurde«, wie der kanadische Physiker Werner Israel später kommentierte, »es gibt nichts darin, das heute einer Revision bedarf.« Selbst die drastischen Vereinfachungen, zu denen die Forscher damals aus rechentechnischen Gründen gezwungen waren (etwa die Beschränkung auf eine exakt sphärische Symmetrie), erwiesen sich im Rückblick als berechtigt. Realistischere Abschätzungen und Berechnungen gelangen John Archi­bald Wheeler und seinen Assistenten B. Kent Harrison und Masami Wakano erst 1957 mit dem MANIAC-Computer von Princeton. Sie be­stätigten die Ergebnisse von Chandrasekhar und Oppenheimer.

Einsteins Irrtum

Selbst Genies wie Albert Einstein machen manchmal Fehler. Kurioserweise widerlegten Robert Oppenheimer und Hartland Snyder – ohne zunächst überhaupt davon zu wissen – Einstein in einem Punkt, auf dessen Relativitätstheorie sie sich doch maßgeblich stützten. Nach Diskussionen mit dem Kosmologen Howard Percy Robertson in Princeton hatte Einstein zwei Monate vorher, ebenfalls 1939, einen Artikel publiziert, in dem er die Schwarzschild-Lösung als physikalisch unrealistisch aus der Welt schaffen wollte. Der Schwarzschild-Radius ist nämlich eine Singularität, bei dem die Mathematik Amok läuft, die Zeit zum Verschwinden bringt und den Raum unendlich werden lässt.

»Das wesentliche Resultat dieser Untersuchung ist ein klares Verständnis, warum ›Schwarzschild-Singularitäten‹ in der physikalischen Realität nicht existieren«, schrieb Einstein. »Die Schwarzschild-Singularität taucht nicht auf, weil Materie nicht beliebig konzentriert werden kann.«

Einstein begründete dies mit der Untersuchung eines rotierenden Kugelhaufen-Modells. Er zeigte, dass sich eine Ansammlung kleiner Teilchen, die sich unter dem Einfluss ihrer gegenseitigen Schwerkraft auf Kreisbahnen bewegen, nicht beliebig verdichten kann. Denn sie müss­te sich, um die Konfiguration aufrechtzuerhalten, überlichtschnell bewegen, wenn sie auf weniger als drei Schwarzschild-Radien kollabiert wäre. (Tatsächlich hatte der holländische Physik-Student Johannes Droste bereits 1916 berechnet, dass Licht im Abstand von exakt drei Schwarzschild-Radien um ein Schwarzes Loch kreisen kann.) Somit dürfte es Schwarze Löcher in der Natur gar nicht geben.

»Obwohl Einsteins Überlegung in sich schlüssig ist, geht seine Schlussfolgerung am Thema vorbei: Dass ein kollabierender Stern beim Schwarzschild-Radius instabil ist, besagt überhaupt nichts, da der Stern – eben weil er weiter kollabiert – den Radius ohnehin unterschreitet«, kommentierte der amerikanische Physiker Jeremy Bernstein später. »Mich hat übrigens sehr berührt, dass der damals sechzigjährige Einstein in seinem Artikel Tabellen mit numerischen Resultaten anführt, die er mit einem Rechenschieber gewonnen haben muss. Heute ist der Artikel so überholt wie dieses Instrument.«

Zu Einsteins Ehrenrettung muss allerdings gesagt werden, dass es noch lange dauerte, bis klar war, dass die Schwarzschild-Singularität keine unpassierbare Barriere ist, sondern lediglich eine Koordinaten-Singulariät – vergleichbar mit dem Nord- und Südpol im Breitengrad-Netz der Erde – und mit der Wahl eines anderen Koordinatensystems verschwindet. Dies wurde zwar schon 1933 von dem belgischen Kosmologen Georges Lemaître vermutet, aber erst um 1960 von den Mathematikern David Finkelstein, Martin Kruskal und George Szekeres bewiesen. Und erst 1962 konnte in Princeton der Student David Beckedorff die Raumzeit innerhalb und außerhalb der Schwarzschild-Grenze einheitlich beschreiben.

Hinter dem Ereignishorizont

Die Uneinheitlichkeit zuvor hat auch viel zur Verwirrung beigetragen. Die Schwarzschild-Lösung blickt gleichsam aus der Ferne auf ein Schwarzes Loch und beschreibt, dass einstürzende Materie von dort aus gesehen immer langsamer zu fallen scheint, bis sie schließlich an der imaginären Oberfläche eingefroren zu verharren scheint. Physiker – hauptsächlich in der Sowjetunion – sprachen deshalb auch von »gefrorenem Stern«. Der Grund ist die von Einstein entdeckte gravitative Zeitdehnung: Je größer die Schwerkraft, desto langsamer die Zeit. Am Schwarzen Loch bleibt sie, von außen betrachtet, förmlich stehen. Allerdings kleben keine geisterhaften Schattenbilder der zum Untergang verdammten Objekte dort fest, den Blicken nekrophiler Voyeure in alle Ewigkeit preisgegeben. Denn ein anderer Effekt der Relativitätstheorie, die gravitative Rotverschiebung, führt dazu, dass das letzte Licht rasch so energiearm wird, dass die Wellenlängen der Strahlung immer größer werden und in den unsichtbaren Infrarot- und Radiobereich abwandern. Nicht einmal ein düsteres Glimmen bleibt also übrig.

Soweit die Perspektive von außen. In der Eigenzeit der einstürzenden Objekte dagegen bleibt die Zeit nicht stehen, wenn sie den Ort ohne Wiederkehr passieren. Der Kollaps ist unaufhaltsam, wie Oppenheimer und Snyder erkannten. Aus diesem Blickwinkel ist also die – überwiegend in England und den USA gebräuchliche – Bezeichnung »kollabierter Stern« oder »Kollapsar« treffender. Doch erst mit der Erkenntnis, dass beide Sichtweisen korrekt – und eben relativ – sind, entstand in den Köpfen der Theoretiker das richtige, vollständige Bild und fand in Wheelers Begriff »Black Hole« dann auch den angemessenen, beide Aspekte gleichermaßen charakterisierenden Ausdruck.

Ebenso treffend ist die Bezeichnung »Ereignishorizont« für den imaginären »Rand« beziehungsweise die Oberfläche eines Schwarzen Lochs. Diesen Begriff hat Wolfgang Rindler von der Cornell University 1956 vorgeschlagen. Er passt, denn ein Horizont – auch beim Blick über die Erdkugel – trennt Beobachtbares von Unbeobachtbarem. Das Wort stammt vom griechischen »horizon kyklos«, was »begrenzender Kreis« bedeutet. Ein Ereignishorizont schirmt alles, jedes Ereignis, das hinter ihm liegt, für einen Beobachter außerhalb vollkommen ab. Weil Schwarze Löcher einen Ereignishorizont haben, kann niemand in sie hineinspähen.

Das ist nicht unbedingt ein Nachteil, denn das Problem der Singularität war mit der neuen Sichtweise nicht aus der Welt verbannt, und grässliche Dinge könnten im Inneren eines Schwarzen Lochs lauern. 1964 bewies der britische Mathematiker Roger Penrose, dass Krümmungssingularitäten ein unvermeidliches Merkmal des Gravitationskollaps sind: Die Allgemeine Relativitätstheorie bricht im Zentrum Schwarzer Löcher gleichsam in sich zusammen, weil die physikalischen Parameter Null oder unendlich werden. Dies war zuvor nicht klar, sondern galt vielmehr als ein Artefakt spezieller, vermeintlich unrealistischer Anfangsbedingungen der Rechnungen, insbesondere der Annahme der sphärischen Symmetrie. Mit Stephen Hawking verfeinerte Penrose dieses Resultat in den darauffolgenden Jahren noch und übertrug es auch auf den Urknall.

Die Singularität ist es, in der der Relativitätstheorie zufolge die gesamte Masse eines Schwarzen Lochs steckt. Dies ist eine abenteuerliche und eigentlich unhaltbare Vorstellung. Denn im Fall von statischen Schwarzen Löchern ist die Singularität ein ausdehnungsloser Punkt. Wie können darin die riesigen Massen ganzer Sterne und Sternhaufen unterkommen?! Physiker bringen das Paradoxon mit dem Slogan »Masse ohne Masse« auf den (singulären) Punkt.

Schwarze Löcher haben keine Haare

»Herum geht unser Tanz der Fragen im Kreis, und in der Mitte sitzt das Geheimnis, das alles weiß.« Auf diesen Vers des amerikanischen Dichters Robert Frost können Physiker und Astronomen ein Lied singen. Viele ihrer Fragen tanzen noch immer um das Geheimnis im Inneren der Schwarzen Löcher. Was geschieht dort? Was wird aus der Materie des kollabierten Sternes? Dass sie noch irgendwie vorhanden sein muss, scheint die Gravitation des Schwarzen Lochs doch zu beweisen. Doch wohin gelangt all die Masse und die mit ihr verbundenen physikalischen Kenngrößen?

Selbst ein Schwarzes Loch vor der Haustür würde diese Fragen nicht beantworten. Auch Selbstmordkommandos, die sich wagemutig in den Raumzeit-Schlund versenken würden, um seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen, könnten ihren Hinterbliebenen nichts berichten. Denn ihre Botschaften – seien es Raketensonden oder lichtschnelle Funksendungen – schaffen es nicht, dem kosmischen Gefängnis innerhalb des Ereignishorizonts zu entrinnen. Also können nur Theoretische Physiker weiterhelfen – vielleicht mit reichhaltigeren, realistischeren Modellen?

Schwarze Löcher haben keine Haare:So heißt ein fundamentales Theorem der klassischen Physik. Gemeint ist, dass sich alle Schwarzen Löcher gleichen, abgesehen von maximal drei Eigenschaften: Masse, Drehimpuls und Ladung. Alle anderen Kennzeichen der einfallenden Materie und Energie scheinen auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.