... und dann für immer! - Rubinius Rabenrot - E-Book

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Rubinius Rabenrot

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Beschreibung

... und dann für immer! Ein spannender und anrührender Liebesroman, den viele in einer Nacht verschlingen werden. Im Aufzug trifft Ralf die Liebe seines Lebens... aber wie kann er sie finden? Und hat sie ihn bemerkt? Wer Cecilia Ahern und Nicolas Sparks mag, ist hier richtig.

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Seitenzahl: 630

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Rubinius Rabenrot

... und dann für immer!

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Donnerstag, 13.06., um 8:30 Uhr. Im Aufzug der Firma Henning Manufaktur GmbH & Co. KG

Donnerstag, 13.06., um 8:30 Uhr. Im 4. Stockwerk der Firma Henning Manufaktur Co. KG

Donnerstag, 13.06., um 8:30 Uhr. Im Büro der Firma Henning Manufaktur & Co. KG

Donnerstag, 13.06., um 13:15 Uhr. Auf dem Weg zum Flughafen München.

Donnerstag, 13.06., um 13:15 Uhr. Von der Kantine zurück ins Büro

Donnerstag, 13.06., um 20:52 Uhr. London, Flughafen Heathrow – Hotel Thistle

Donnerstag, 13.06., um 21:56 Uhr. London, Hotel Thistle

Donnerstag, 13.06., um 20:20 Uhr in der Wohnung von Jana

Donnerstag, 13.06., um 20:29 Uhr. In Cindy Hennings Haus.

Donnerstag, 13.06., um 23:40 Uhr. Hotelzimmer in London

Freitag, 14.06., um 6:00 Uhr. Hotelzimmer mit Panoramablick in London

Freitag, 14.06., um 6:30 Uhr. In der Wohnung von Jana

Freitag, 14.06., um 7:30 Uhr. Auf dem Weg zu Mister Gerald Owen

Freitag, 14.06., um 7:40 Uhr. Jana unterwegs zur Arbeit

Freitag, 14.06., 17:00 Uhr. Auf der Fahrt zum Flughafen Heathrow.

Freitag, 14.06., um 18:30 Uhr. In Janas Wohnung

Freitag, 14.06., um 18:25 Uhr. Flughafen München

Freitag, 14.06., um 23:05 Uhr. Auf Janas Balkon

Samstag, 15.06. um 05:10 Uhr. Morgendliches Joggen

Samstag, 15.06., um 9:45 Uhr. In Janas Wohnung

Samstag, 15.06, um 10:00 Uhr. Im Nobelcafé

Samstag, 15.06., um 11:50 Uhr. Sender Schickeria

Samstag, 15.06., um 15:03 Uhr. Im Auto, auf der Fahrt nach München

Samstag, 15.06., um 19:00 Uhr. Am Stachus in München

Samstag, 15.06., um 19:40 Uhr. In der Bayerstraße

Samstag, 15.06., um 20:30 Uhr. Im Tanzclub am Stachus

Samstag, 15.06., um 21:35 Uhr. Im Tanzclub am Stachus

Samstag, 15.06., um 21:59 Uhr. Tanzsaal im Tanzclub

Samstag, 15.06., um 22:17 Uhr. Tanzsaal im Tanzclub

Samstag, 15.06., um 22:43 Uhr. Tanzsaal

Samstag, 15.06., um 23:29 Uhr. Auf einer Bank an der Sonnenstraße

Sonntag, 16.06., um 00:02 Uhr. Vor dem Tanzclub auf der Straße

Sonntag, 16.06., um 00:43 Uhr. In der U-Bahn Richtung Münchner Freiheit

Sonntag, 16.06., um 00:50 Uhr. Auf Ralfs Balkon

Sonntag, 16.06., um 01:54 Uhr. Auf dem Balkon in Janas Wohnung

Sonntag, 16.06., um 3:00 Uhr. Ralf in seiner Wohnung.

Sonntag, 16.06., um 6:05 Uhr. Janas Schlafzimmer

Sonntag, 16.06., um 10:34 Uhr. In Janas Wohnung

Sonntag, 16.06., um 16:45 Uhr. Hand in Hand durch den Englischen Garten

Sonntag, 16.06., um 18:26 Uhr. In der Eisdiele

Sonntag, 16.06., um 21:53 Uhr. In Ralfs Wohnung

Montag, 17.06., um 5:30 Uhr. In Ralfs Wohnung

Montag, 17.06., um 8:30 Uhr. In dritten Stock der Firma Henning

Montag, 17.06., 09:00 Uhr. Paul Hennings Büro

Montag, 17.06., um 16:30 Uhr. In Janas Büro

Montag, 17.06., um 17:03 Uhr. Im Grünwalder Haus bei Cindy

Montag, 17.06., um 18:27 Uhr. Am Flughafen in München

Montag, 17.06., um 19:10 Uhr. Auf dem Weg zu Gate der BA

Montag, 17.06., um 19:30 Uhr. S-Bahn Richtung Marienplatz

Montag, 17.06., um 20:00 Uhr. Über den Wolken

Montag, 17.06., um 20:34 Uhr. Bei Cindy im Wohnzimmer

Montag, 17.06., um 20:35 Uhr. Am Flughafen London Heathrow

Montag, 17.06., um 21:30 Uhr. Janas Schlafzimmer

Montag, 17.06., um 23.58 Uhr. In einem Schloss irgendwo bei London

Dienstag, 18.06., um 12:05 Uhr. Auf dem Weg zum Golfplatz

Dienstag, 18.06., um 16:00 Uhr. Auf dem Parkplatz vor dem Golfclub

Dienstag, 18.06., 18:32 Uhr. Janas Schlafzimmer

Dienstag, 18.06., um 20:00 Uhr. Im Schloss von Gerald Owen.

Dienstag, 18.06., um 23:00 Uhr. In Janas Wohnung

Mittwoch, 19.06., um 06:30 Uhr. Schlafzimmer von Jana

Mittwoch, 19.06., um 09.00 Uhr. Im Schloss von Gerald Owen.

Mittwoch, 19.06., 09:17 Uhr. In Grete Mayerhases Büro

Mittwoch, 19.06., um 09:30 Uhr. Ralf auf dem Weg zum Meeting

Mittwoch, 19.06., um 12:00 Uhr. Bei Jana zu Hause

Mittwoch, 19.06., um 18: 10 Uhr. Auf dem Weg nach Heathrow

Mittwoch, 19.06., 21:30 Uhr. Im Englischen Garten

Mittwoch, 19.06., um 21:35 Uhr. Ankunft in München

Mittwoch, 19.06., um 22:50 Uhr. In Ralfs Wohnung

Mittwoch, 19.06., um 23:04 Uhr. Auf dem Sofa in Janas Wohnung

Mittwoch, 19.06., um 23:00 Uhr. Bei Paul Henning zu Hause

Mittwoch, 19.06., um 23:59 Uhr. Cindy in ihrem Wohnzimmer

Donnerstag, 20.06., um 05:05 Uhr. In Paul Hennings Haus

Donnerstag, 20.06., um 06:30 Uhr. In München

Donnerstag, 20.06., um 06:40 Uhr. Ein paar Häuser weiter

Donnerstag, 20.06., um 07:00 Uhr. Hennings Büro

Donnerstag, 20.06., um 8:23 Uhr. In Janas Wohnzimmer

Donnerstag, 20.06., um 08:38 Uhr. Hennings Büro

Donnerstag, 20.06., um 09:45 Uhr. In Hennings Büro

Donnerstag, 20.06., um 10:10 Uhr. Cindys Schlafzimmer

Donnerstag, 20.06., um 12:02 Uhr. Auf dem Weg zu Jana

Donnerstag, 20.06., um 12:17 Uhr. Janas Wohnung

Donnerstag, 20.06., um 16:00 Uhr. Im Auto von Henning

Donnerstag, 20.06., um 17.03 Uhr. Im Vorzimmer von Hennings Büro

Donnerstag, 20.06., um 18:43 Uhr. In Janas Wohnzimmer

Donnerstag, 20.06., um 18:44 Uhr. Im Haus der Cindy Henning

Donnerstag, 20.06., um 19:30 Uhr. München

Donnerstag, 20.06., um 19:43 Uhr. München-Grünwald

Donnerstag, 20.06., um 19:49 Uhr. In Ralfs Wohnung

Donnerstag, 20.06., 20:01 Uhr. In Janas Wohnzimmer.

Donnerstag, 20.06., 23:59 Uhr. Schwabing, Grünwald, Allach und Bogenhausen

Freitag, 21.06., um 07:46 Uhr. Am Parkplatz vor der „Henning Manufaktur“.

Freitag, 21.06., um 08:06 Uhr. Hennings Büro

Freitag, 21.06., um 08:012 Uhr. Etwas weiter von der Bushaltestelle entfernt

Freitag, 21.06., um 08:39 Uhr. In Hennings Büro

Freitag, 21.06., um 08:39 Uhr. Im Cafè „Kleine Konditorei“

Freitag, 11.07., um 20:45 Uhr. Im Hafen von Genua

Impressum neobooks

Donnerstag, 13.06., um 8:30 Uhr. Im Aufzug der Firma Henning Manufaktur GmbH & Co. KG

Über der Stadt München breitete sich satt und weit der herrlichste Himmel aus. Blau und wolkenlos soweit man schaute.

Schon jetzt, um kurz nach halb neun, war es eher heiß als warm. Ein sommerlicher Tag würde es laut Radio werden. Ein Jahrhundertsommertag, wie man so sagt, war zu erwarten.

An diesem herrlichen Morgen ging Jana Blume eilig über den Parkplatz in das Hauptgebäude der Firma Henning Manufaktur GmbH & Co KG. Sie war spät dran an diesem herrlichen Tag.

Im Erdgeschoss eilte sie schleunigst zur Vorrichtung mit den Stempelkarten, entnahm ihre Karte und stempelte sie ab. Der Aufzug wartete bereits am anderen Ende der Eingangshalle mit offenen Schiebetüren, jederzeit bereit nach oben zu fahren. Sie bemerkte, dass ein Mann etwas verdeckt hinter der Tür des Aufzugs stand und vertieft in einem Schreiben las.

Als Jana bemerkte, dass sich die Aufzugstüren bewegten, rannte sie durch die Eingangshalle. Kurz bevor sie den Fahrstuhl erreicht hatte, waren die Türen, so kam es ihr vor, nur noch einen Spaltbreit offen. Sie nahm sich ein Herz und zwängte sich, schlank wie sie war, durch Spalt hindurch und: Sie sah IHN vor sich stehen.

Ein Mann - wie aus einem Hochglanzkatalog. Schick, das dunkle Haar nach hinten gekämmt. Sonnengebräuntes Gesicht. Der anthrazitfarbene Anzug, sicherlich maßgeschneidert. Die orangefarbene Krawatte und das weiße Hemd. In der einen Hand hielt er den ledernen Aktenkoffer, in der anderen das Schreiben, in dem er gelesen hatte.

Lächelnd sah er sie an. Jana schaute in seine braunen Augen und ihr war, als würde sie in einen See voller anmutiger Lust und Wärme eintauchen. In ihrem Bauch breitete sich ein loderndes Feuer aus. Ihre Wangen glühten.

„Hallo“, sagte er und atmete den Duft ihres Parfüms ein. Er sah direkt in ihre smaragdgrünen Augen.

„Guten Morgen“, antwortete sie und ihre Stimme klang so weich wie ein Hauch von Schokolade.

Beide schauten sich an und wirkten wie gelähmt. Janas Herzschlag schlug bis zum Zerbersten und ihm wurde heiß beim Anblick dieser schönen Frau. Für beide war die Welt um sie herum einfach stehen geblieben. Erst der Klingelton der Aufzugsanlage brachte sie wieder in die Wirklichkeit zurück.

„Dritter Stock“, flüsterte er ihr zu. Seine Stimme lösten in ihr feine Wellen aus und diese Wellen legten sich auf ihre Haut. Eine Gänsehaut überzog ihren Nacken bis hinunter zum großen Zeh.

Rückwärts verließ Jana den Aufzug, ohne den Blick von dem Mann abzuwenden, den sie drei Stockwerke tiefer zufällig getroffen hatte.

„Auf Wiedersehen“, und wieder erklang seine sonore Stimme, während sich die Schiebetüren des Fahrstuhls wieder schlossen.

Jana hob die Hand und winkte ihm zum Abschied zu.

Regungslos stand sie auf dem Flur und schaute hoch auf die Anzeige über dem Fahrstuhl.

Im vierten Stock hielt der Aufzug an. Jana war es heiß. Das Herz in der Brust raste und sie brauchte ihre volle Konzentration, um weiter zu atmen und nicht zu kollabieren.

„Guten Morgen, Jana.“ Von weiter Ferne vernahm sie die Stimme Carolins, ihrer Arbeitskollegin. „Alles gut?“, fragte die Kollegin sie.

„Ja, ja, alles gut. Guten Morgen“, wiederholte Jana und konnte einfach nicht den Blick von der Anzeige lassen.

„Siehst ja aus als hättest einenSchock.“

„Wirklich gut. Bin nur spät dran“, sagte Jana und starrte weiter auf die Zahlen der Fahrstuhlanzeige. Wie benommen drehte sie sich um, sah ihre Kollegin grinsend an und ging zum Büro, an dessen Tür ihr Namensschild hing.

Drinnen angekommen schloss Jana die Bürotür und lehnte sich für einen Augenblick dagegen, um sich wieder zu fangen.

Sie fühlte sich benommen. Eine Regung durchströmte sie, wie sie es in ihrem Leben noch nie gespürt hatte.

Niemals vorher war ihr ein solch schöner Mann begegnet. Die Kraft und gleichzeitige Sanftmut, die er ausstrahlte, warfen sie einfach um. Seine Eleganz und dazu diese Präsenz, mit der er ihr gegenübergestanden hatte. Vor allem aber dieses sanfte Lächeln! Eine solch aufregende Gestalt! Noch nie vorher war er ihr in der Firma aufgefallen.

Donnerstag, 13.06., um 8:30 Uhr. Im 4. Stockwerk der Firma Henning Manufaktur Co. KG

In der vierten Etage stieg Ralf Rössler aus dem Aufzug. Noch nie hatte er ein solches Maß an Sinnlichkeit einer Frau wahrgenommen. Jede Faser ihres Körpers strahlte Schönheit aus: Das Grün der Augen, das schulterlange, kastanienbraune Haar. Fein wie Seide! Die Haut ihrer nackten Arme schimmerte wie blankpolierte Bronze. Eine perfekt schlanke Figur und die wohlgeformten Brüste unter dem olivgrünen Kleid. Ihr Lächeln hatte sich federleicht, tief in sein Herz gelegt. Die leicht rot geschminkten Lippen hatten ihn betört. Ralf brauchte einen Augenblick, um sich von dieser Erscheinung zu erholen.

Im dritten Stock war sie ausgestiegen. Bestimmt arbeitete sie in einem der Büros der Firma, die für den Kundenkontakt zuständig sind. „Puh.“ Er stieß die Luft aus der Lunge oder vielmehr versuchte er das Erstaunen loszuwerden, das sich in ihm ausgebreitet hatte. Das Lächeln dieser betörend reizvollen Frau und die smaragdgrünen Augen…

Erst die Stimme von Paul Henning vermochte ihn aus seinen Gedanken zu reißen.

„Na, Ralf, wie sieht es aus?“ Ralf errötete, als er sich erschrocken zu seinem Chef umdrehte.

„Guten Morgen, Paul. Gut schaut es aus“, antwortete er. „Hast du jetzt Zeit für mich?“, fragte er Paul Henning, um etwas zu sagen und ein wenig Zeit zu gewinnen.

„Ja, ja, komm mit in mein Büro. Gretchen soll uns einen Kaffee kochen. Hast du bereits gefrühstückt?“

„Bin seit fünf Uhr früh wach. Bei diesem herrlichen Tag hab ich mir es nicht nehmen lassen durch den Englischen Garten zu joggen.“

„Sehr gut, sehr gut. Halt dich fit, Ralf. Die Gesundheit ist das wichtigste Gut, mit dem wir gütig umgehen sollten. Ich muss noch ein Telefonat führen mit Hamburg. Dort scheint es Probleme mit einem unserer Container zu geben.“

„Kann ich helfen?“

„Nein, lass nur. Ich will ja auch noch was zu tun haben“, sagte Henning und klopfte Ralf freundschaftlich auf die Schulter.

Zusammen schritten sie durch das Vorzimmer in Hennings Büro. An der Tür hing ein Schild, auf dem in stilvollen Lettern der Name ‚Paul Henning’ geschrieben stand und etwas kleiner darunter, in kursiver Schrift ‚Direktor‘ zu lesen war.

Ralf grüßte kurz angebunden Frau Mayerhase. Er mochte Gretchen, die Chefsekretärin, nicht sonderlich. Sie war ihm zu heuchlerisch, zu geschwätzig und sicher arrogant zu jedem, der unter ihr stand. Eine alte, verbitterte Schachtel eben. Aber für Paul Henning war sie genau die Richtige, vor allem seit der Krankheit und dem Tod seiner Frau. Damals, wohl vor jetzt beinahe fünf Jahren, war Grete Mayerhase es, die sich ständig um ihn kümmerte, für ihn das Nötigste besorgte und ihm schließlich auch in vielen Bereichen seines privaten Haushalts aushalf. Dafür war Paul Henning ihr sehr verbunden. Gretchen war außerdem seit über dreißig Jahren seine Chefsekretärin und täglich, von Montag bis Freitag, an seiner Seite. Auf irgendeine Weise gehörte sie zum Inventar der Firma, wie Paul Henning zu sagen pflegte. Genauso wie die alte, schon mit etwas Patina überzogene Büroeinrichtung. Paul liebte es, sich von Grete Mayerhase umsorgen zu lassen und sie tat alles, um für ihren Chef unentbehrlich zu sein.

„Gretchen, bringen sie uns Kaffee und ein paar Kekse. Aber von den wirklich guten, Sie wissen schon“, rief Henning im Gehen seiner Sekretärin zu.

„Steht längst alles bereit“, gab sie selbstbewusst zurück, ohne sich weiter um Henning zu kümmern.

„Perfekt wie immer, mein Gretchen.“ Sie errötete und lächelte zufrieden.

Während Paul Henning telefonierte, saß Ralf Rössler am Konferenztisch. Wie stets regelte Henning die Angelegenheit mit dem Hamburger Hafen auf seine bedachte Art. Mit den Fragen, die er stellte, schaffte er es, seinem Gesprächspartner das Gefühl zu geben, mit ihm gemeinsam eine Lösung zu suchen - ihm schließlich dankend seinen Arbeitsauftrag zu erteilen, der für den Anderen kein Auftrag war, sondern die Umsetzung der eigenen Idee. Dabei vergaß Henning niemals, geduldig zu zuhören, seinen Humor spielen zu lassen und immer ein Lächeln auf den Lippen zu haben, auch wenn er telefonierte. Dieses Geschick und dieses Können bewunderte Ralf an Paul Henning, dem „alten Hasen“.

Auf der Granitplatte des Konferenztisches stand Ralfs offener Aktenkoffer. Die Unterlagen säuberlich vor sich ausgebreitet, ging er die Planung für die Reise nach London noch einmal Punkt für Punkt durch. Vor allem die Zahlen, die bei der Verhandlung eine bedeutende Rolle spielen würden, wollte er noch einmal mit seinem Chef abstimmen. Denn jetzt konnte er Paul Henning noch fragen, eventuell Details noch korrigieren, gegebenenfalls besprechen, wie er den nächsten Schritt planen konnte.

An diesem Morgen fiel es ihm allerdings nicht leicht, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Immer wieder tauchte zwischen den Zahlen die Frau mit der erotisch-bronzenen Haut in seinen Gedanken auf. Ihr Lächeln, ihr strahlender Blick. Er war in dieses Grün der Augen eingetaucht, bis in die Tiefe ihrer Seele. Wie konnte er die Frau wieder treffen? Wer war diese Schönheit, die im dritten Stock ausstiegen war und die er vorher noch nie gesehen hatte? War er in den letzten Jahren so blind durch dieses Gebäude gegangen?

Donnerstag, 13.06., um 8:30 Uhr. Im Büro der Firma Henning Manufaktur & Co. KG

Jana legte ihre Handtasche ab, setzte sich an den Schreibtisch, schaltete den Computer ein. Während der Rechner hochfuhr, ging sie in den Flur hinaus, um sich aus dem Pausenraum ein Mineralwasser zu hohlen.

Seltsam war es. Immer wieder tauchte in ihren Gedanken das Gesicht des Mannes im Aufzug auf. Sie schloss einen Augenblick die Augen und sah, wie er sie anlächelte. Jana spürte, wie der Blick des Fremden schmeichelnd über ihre Haut streifte.

Eine Ewigkeit war es her, dass sie dieses Gefühl zuletzt verspürt hatte. Seit drei Jahren war sie allein. Seit jener schrecklichen Nacht, als es passiert war. Von da an hatte sie sich kein Leben in einer Partnerschaft mehr vorstellen können.

Aber dieser Mann, den sie eben im Fahrstuhl gesehen hatte, vermochte es, sie zu beeindrucken. Sie zu reizen. Sein Lächeln entfachte einen Funkenregen. Die braunen Augen weckten in Jana ein tiefes Vertrauen. Geschehe was wolle! Sie musste diesem Mann wieder begegnen! Wie sie ihn finden konnte, wusste sie nicht. Sie wusste nichts über den Mann, der ihr den Kopf verdrehte.

Mit der Flasche Mineralwasser und einem Glas ging sie zurück in ihr Büro. Als Erstes sah sie die Post durch und sortierte sie nach Dringlichkeit. Viele Mails waren über Nacht in ihrem Postfach aufgelaufen. Heute würde es spät werden, denn sie musste mit Geschäftspartnern in Amerika telefonieren und einige Bestellungen in Übersee bestätigen.

Sie liebte ihre Arbeit als Fremdsprachenkorrespondentin. Seit zwei Jahren war Jana in der Schokoladenfabrik von Paul Henning angestellt. Jeden Tag, wenn sie die Firma Henning Manufaktur betrat, wusste sie, dass alles Bisherige, trotz der Mühsal, im Beruf ideal verlaufen war.

Den Vormittag über führte Jana Telefonate mit Hamburg, wegen des Containers, der eiligst nach Philadelphia verschifft werden sollte. Aber aus irgendeinem Grunde hakte es in Hamburg und der Container konnte nicht verladen werden - bis sie einen Herrn am anderen Ende der Leitung hatte, der ihr erklärte, dass Henning mit ihm persönlich gesprochen habe und der Container jetzt an Bord sei.

Sie schrieb Mails an die amerikanischen und asiatischen Geschäftspartner. An Gerald Owen, den Impresario von „Lizzy & Sweets“, musste sie einen Brief schreiben. Sie schmunzelte, als sie den Namen las.

Mit den Schleckereinen von „Lizzy“ verband sie die Zeit ihrer Ausbildung in London. Die Pralinés von „Lizzy & Sweets“ waren häufig die stillen Tröster, wenn sie vor lauter Heimweh, fernab der schönen Stadt München, in ihrem tristen Untermietzimmer zu vergehen glaubte. Oder sie beschenkte sich mit den köstlichen Pralinen, wenn sie Tests oder Prüfungen gut bestanden hatte. „Lizzys“ halfen immer und Jana musste damals achtgeben, dass sie nicht zu viel von den kleinen, aber hintertückischen Köstlichkeiten in sich hineinschaufelte. Denn die Delikatessen von Mister Owen hingen alles andere als federleicht an den Hüften und dem Bauch.

Seltsam. Seit sie in der Schokoladenfabrik beschäftigt war, hatte sie mit Mister Owen, dem Besitzer von „Lizzy & Sweets“ bereits des Öfteren telefoniert. Ein sehr sympathischer Mensch. Im besten Oxfordenglisch schrieb sie an Gerald Owen, dass Herr Rössler, Vertriebsmanager der Firma Henning Manufaktur, auf dem Weg zu ihm sei.

Noch schnell vor dem Mittagessen vergewisserte sich Jana im Münchner Lager, dass die kurzfristige Bestellung der 60 Tonnen heller und weißer Kuvertüre, in Containern verfrachtet und mit den LKWs bereits unterwegs zum Einschiffen nach Antwerpen gebracht worden war. Pünktlich am 22.06. mussten sie in Kanada sein. Eine Karenzzeit von einem Tag wurde ihnen von den Kanadiern gewährt.

Auf dem Weg in die Kantine hoffte Jana den Mann, den sie am Morgen getroffen hatte, wieder zu sehen. Sobald ihr diese Idee gekommen war, spürte sie, wie ihr Puls schneller wurde. Vielleicht würde sie ihm in der Kantine begegnen. Der Gedanken breitete in ihr fiebrige Hitze aus und ließ sie erröten. Dies Denken an den Fremden beschwingten sie eigenartig. Sie drückte auf den Knopf der Aufzugsanlage. Sie wartete - und umso näher der Fahrstuhl kam, desto heftiger pochte das Herz in ihrer Brust. Denn was wäre, wenn die Türen aufgingen und er drinnen stehen würde, mit seinen Lächeln und seinen Augen? Die Schiebetüren öffneten sich und der Aufzug war leer. Enttäuschung breitete sich in ihr aus.

‚Ach, wie kindisch’, dachte sie, fuhr in das Kellergeschoss und ging durch die Kellerflure hin zur Kantine. Lächelnd ging sie, von einem seltsamen Glück getragen, an den Menschen vorbei, die ihr entgegen kamen.

Donnerstag, 13.06., um 13:15 Uhr. Auf dem Weg zum Flughafen München.

Nachdem er alles mit Paul besprochen und geklärt hatte, verabschiedete sich Ralf und machte sich mit besten Wünschen seines Chefs auf den Weg.

Ab jetzt konnte er seine Gedanken den gesamten übrigen Tag lang der Frau im Fahrstuhl widmen. An sie denken und von ihr träumen.

Ralf sah auf die Armbanduhr. Fast halb zwei. Zeit blieb ihm genug. Sein Flieger würde erst am frühen Abend Richtung London abheben.

Das Einzige, was er noch am Nachmittag zu tun hatte, bevor er am Abend zum Flughafen fuhr, war nach Hause zu fahren und das Nötigste für die nächsten zwei Tage zu packen. Bis dahin konnte er seinen Gedanken nachhängen und den Tag gennießen.

Morgen war es endlich soweit. Ralf hatte den langersehnten Termin in London, um sich mit dem größten Pralinenfabrikanten Großbritanniens über eine Kooperation zu unterhalten. Mister Gerald Owen hatte ihm signalisiert, dass er sich gegebenenfalls, wenn das Angebot stimmte, für die Henningsche Kuvertüre entscheiden würde. Die Chancen standen verdammt gut, endlich mit Mister Owen von „Lizzy & Sweets“ ins Geschäft zu kommen.

Ein Bombengeschäft wäre es für Ralf Rössler, wenn er diesen Deal zum Abschluss bringen würde. Er war überzeugt, dass er den Engländer von einer Zusammenarbeit und der hohen Qualität des Produktes überzeugen konnte. Ralf war absolut sicher, mit der Kuvertüre aus München Mister Owen den besten Überzug für seine Pralinen zu liefern. Trotzdem war es prickelnd, ein solch großes Geschäft anzubahnen, und er war nervös.

Am Fahrstuhl meinte er, den Duft der Frau im olivgrünen Kleid zu riechen. Was, wenn die Aufzugtüren aufgingen und sie im Aufzug stünde? Er würde mit der schönsten aller Frauen von der dritten Etage bis ins Erdgeschoss fahren dürfen. Noch einmal ihr nahestehen, den zitronigen Duft mit diesem Hauch von Muskat einatmen, der ihn so sehr betörte! Das wäre die Krönung an diesem ausgezeichneten Sommertag.

Ein sonderbares Gefühl beschlich ihn. Eine Ahnung drängte ihn geradezu, die Frau im olivgrünen Kleid zu suchen und sie nochmals zu treffen. Er musste unbedingt erfahren, wer dieses feenhafte Wesen war. In den letzten Stunden, in denen er bei Paul saß, hatte er es genossen, dem Duft und der Schönheit dieser Frau in Gedanken nachzuhängen und beiden ausgeliefert zu sein.

Aber wenn sich die Türen öffneten und sie wirklich vor ihm stand, was sollte er zu ihr sagen?

„Hallo, ich bin Ralf Rössler und mit der „Henning Manufaktur“ sozusagen verheiratet. Ich hab zwar niemals Zeit, aber vielleicht findet sich noch ein kleines Zeitfenster, um miteinander auszugehen!“

Blöder konnte eine Anmache nicht klingen. In etwas weniger als vier Wochen wäre es aber soweit. Dann könnte er sich mit ihr treffen. Wie hatte seine Mutter immer gesagt: ‚Zuerst muss man eine Sache erledigen, bevor man eine neue beginnt.’ Wieder sah er die smaragdgrünen Augen vor sich. So strahlend, so erotisch. Die Lippen so sinnlich. Die ganze Gestalt. Die Form ihres Körpers unter dem engen Kleid. Formvollendet, ein Kunstwerk - nur noch schöner, weil lebendig. Und dieses Lächeln an ihr.

Ralf vernahm, wie der Aufzug nach oben kam. Im dritten Stock blieb er stehen. Blechern öffneten sich die Türen des Fahrstuhls. Sein Herzschlag setzte für einen Augenblick aus, sein Atem stockte. Nach einer kurzen Zeit schlossen sich die Schiebetüren gemächlich und der Fahrstuhl fuhr weiter zu ihm hoch. Mit einem Seufzer, als wäre es der Ausdruck aller Mühsal, blieb der Aufzug stehen. Ralf stand wie gelähmt vor dem Aufzug und hielt den Atem an. Die Türen öffneten sich und erst als er sah, dass die Kabine des Aufzugs leer war, nahm sein Herz seine Tätigkeit wieder auf und schlug weiter. Tief atmete Ralf ein und bei diesem Atemholen kroch ihm das Molekül eines Zitronenhains in die Nase, blumige Wiesen, zärtlich wurde der Duft von einer Prise von Muskat umwoben. Während er einstieg, schnupperte er nach dem Parfüm und der Duft beschwor das Bild von der Frau im olivgrünen Kleid herauf. Sie musste vor kurzem hier im Aufzug gestanden haben. Er dachte kurz nach. Überlegte den Knopf mit der Drei zu drücken. Es war seine Chance zu erfahren, wer die Frau war, die ihn so beeindruckt hatte. Er musste nur auf den Knopf für die dritte Etage drücken, aussteigen und nach der Schönen mit den smaragdgrünen Augen Ausschau halten. Die Fingerkuppe des Zeigefingers berührte bereits die Taste mit der Drei.

Aber plötzlich hielt Ralf inne. Was würden die Leute denken, denen er auf dem Flur begegnete? Was sollte er der Frau im grünen Kleid sagen, wenn sie plötzlich, ganz zufällig auf dem Flur vor ihm stand? Ein unnötiges Getratsche konnte er sich im Moment nicht leisten! Halb totlachen würden sich die Damen und Herren im dritten Stock über den liebestrunkenen Rössler. Schnell zog er seine Hand zurück. Er konnte es nicht. Er hatte nicht den Mut und er fühlte seinen Pulsschlag bis zum Hals. Der Zeigefinger zitterte, als er auf den Knopf für das Erdgeschoss drückte. Mit geschlossenen Augen fuhr er hinunter. Jede kleinste Ahnung ihres Duftes nahm er in sich auf und irgendwo, ganz hinten in seinem Kopf, tobte ein kleines Männchen und ärgerte sich über seine Mutlosigkeit.

Es war der dezente Klingelton des Aufzugs, der ihn unsanft aus seinen Gedanken riss und ihn wieder ins Jetzt katapultierte.

Aufrecht schritt er mit seinem Aktenkoffer unterm Arm durch die Eingangshalle und spürte, wie sich ein Empfinden in ihm ausbreitete. Aber so recht konnte dieses Empfinden noch nicht begreifen. Ralf Rössler ging am Pförtner vorbei, der gerade dabei war, einem Besucher den Weg zu irgendjemandem in der Firma aufzuzeigen. Obwohl Ralf Rössler viel in der Welt unterwegs war, wusste man im Unternehmen, dass er der Vertriebsmanager war. Aber so richtig kannte ihn niemand.

So wäre es doch auch in einer Partnerschaft, überlegte er. Seine Arbeit war auch für eine Partnerschaft nicht besonders förderlich. Das Beste wäre - ach, es wäre ein Traum -, wenn er mit der Frau, die er liebte, gemeinsam seinen Beruf ausüben könnte. Aber welche Frau wollte schon wochenlang unterwegs sein und von einem Hotelzimmer zum nächsten ziehen und bis spät in die Nacht mit ihrem Mann arbeiten? Ein Traum, sonst nichts. Unvorstellbar.

Rössler verließ die Firmenzentrale und fuhr mit der U-Bahn nach Schwabing, bummelte durch die Leopoldstraße auf der Suche nach einem Café. Er hatte noch gute drei Stunden Zeit, bis er sich auf den Weg zum Flughafen machen musste.

Donnerstag, 13.06., um 13:15 Uhr. Von der Kantine zurück ins Büro

Nach dem Essen war Jana mit dem Fahrstuhl auf dem Weg zurück in den dritten Stock gefahren. Als die Aufzugstür unten im Keller aufgegangen war, hatte sie inständig gehofft, der Mann von heute Morgen stünde wieder in der Kabine des Lifts.

Aber im Aufzug stand nur ein dicklicher Mann, der sie anglotzte. Um den Mann mit den wundersamsten Augen wieder zu treffen, war wohl ein Zufall nötig. Was war nur los mit ihr? Kapriziös wie bei einem Teenager führte sich ihr Gefühlsleben auf.

Wieder im Büro kam Jana dann die einfachste aller Ideen. Sie setzte sich an den Schreibtisch und ging ins Internet, auf die Homepage der Henning Manufaktur & Co KG. Dort schaute sie sich die Menüleiste an, auf der Suche nach den Mitarbeitern der Firma. Als sie den Menüpunkt gefunden hatte, klickte sie ihn an.

Wie ein Donnerschlag traf es sie, als sie das Bild des Mannes sah, dem sie am Morgen im Aufzug fast in die Arme gelaufen war.

Ihr Herz raste, sie rang nach Atem. Jana wurde es heiß und die Wangen verfärbten sich rot. Sie kam sich vor wie jemand, der sich versteckte, um die Privatsphäre eines Fremden auszuspähen. Aber sie konnte ihren Blick nicht vom Bild lassen. Sie musste hinschauen.

Ralf Rössler hieß er und war 32 Jahre alt. Seit dem Studium war er in der Firma. Zu seinen Zuständigkeiten gehörte die Organisation des weltweiten Vertriebes. Der Name war ihr schon häufiger begegnet. Erst heute Morgen, als sie die Post für Mister Owen erledigte, wurde Ralf Rössler darin erwähnt. Ralf Rössler war der, der nach London reiste, um sich mit Gerald Owen zu treffen.

Sie lehnte sich zurück und genoss den Anblick seines Gesichtes. Ein wunderschöner Mann und das Lächeln auf dem Bild faszinierte sie weiterhin, wie sie schon das Original am Morgen betört hatte. Jana schloss die Website. Dieser Mann, Ralf Rössler, erschien ihr unerreichbar.

Bis weit nach sieben Uhr abends arbeitete Jana. Jetzt war es Zeit nach Hause zu gehen, um den sommerlichen Abend auf den Balkon noch ein wenig zu genießen.

Als die Aufzugstüren aufgingen, stand Paul Henning, der Chef des Unternehmens, im Fahrstuhl. Mit einem herzlichen „Guten Abend, Herr Henning“, grüßte sie den Chef, der ihr nur einmal bisher begegnet war.

„Guten Abend. So spät noch in der Firma?“ Er hob die Augenbrauen und sah sie mit gespielter Strenge an.

„Ich hatte noch einiges telefonisch mit Chicago und New York zu erledigen. Das geht am späten Nachmittag am besten.“ Paul Henning nickte und sah auf seine Schuhspitzen. „Arbeiten Sie nicht zu lange“, sagte er ernst. „Das Leben ist zu kurz und die Jugend verfliegt allzu rasch, um in diesem alten Gemäuer zu verweilen.“

Jana stimmte zu und versprach den Rat zu beherzigen. Gemeinsam fuhren sie schweigend ins Erdgeschoss.

„Genießen sie den schönen Abend noch“, brummelte Henning verbindlich während die Aufzugtüren langsam aufgingen. Mit einer Handbewegung zeigte er ihr an, ganz Gentleman, der er war, dass er ihr den Vortritt ließ.

„Danke sehr, Herr Henning. Auch Ihnen einen schönen Abend noch“, sagte sie.

Sie stolzierte mit einem höflichen Gruß am Pförtner vorbei, stempelte die Karte und verließ das Gebäude.

‚Siehst du, ihn hättest du fragen können, wo man den Rössler antreffen kann’, dachte sie und dabei lächelte sie über ihren törichten Gedanken.

Auf dem Nachhauseweg, in der U-Bahn, auf dem Bürgersteig, immerzu sann sie über das Schmunzeln von Ralf Rössler nach. Sein Lächeln und die samtweiche Stimme waren Amors Pfeile und sie war von ihnen mitten ins Herz getroffen worden.

Donnerstag, 13.06., um 20:52 Uhr. London, Flughafen Heathrow – Hotel Thistle

Ralf kam in London an und natürlich empfing ihn ein leicht windiges Schmuddelwetter. Aber das konnte ihm die Stimmung nicht annähernd verderben. Gut, dass er den Trenchcoat mitgenommen hatte.

Während des gesamten Fluges hatte er versuchte, mit geschlossenen Augenlidern das Bild der womöglich reizvollsten Frau auf diesem Planeten in seiner Erinnerung wach zu halten. Die Augen, die Lippen und die so geschmeidig wirkende, sonnengebräunte Haut. Alles an dieser formvollendeten Schönheit harmonierte, wie die vollkommenste Melodie. Er mochte keinen anderen Gedanken zulassen, um das Bild dieser Frau nicht zu verlieren. Nur dieses Bild wollte er in sich tragen. Wenn ihm wenigstens das Bild dieser Frau in Erinnerung blieb, war er im Moment mehr als nur zufrieden.

Ralf überlegte, wie er es einrichten müsste, um einer Frau, die er nicht kannte, von der er nichts wusste, wieder zu begegnen. Wie sollte er ihr, so zufällig wie nur möglich, über den Weg laufen können? Im Hotel nahm er sich vor, mit Lisa zu telefonieren. Sie war der gewitzteste Kumpel, den er je hatte. Wenn nicht mit Lisa, mit wem sonst konnte er über alles reden? Lisa, die Kreative, war immer für einen Tipp gut.

Mit dem Taxi fuhr er vom Flughafen Heathrow in die Innenstadt zum Thistle Westminster, seinem Lieblingshotel in London. An der Rezeption lag bereits eine Nachricht von Gerald Owen. Ralf öffnete den Umschlag und las die Zeilen. Er freue sich auf das Treffen, stand in geschwungener Handschrift auf der Karte. Ralf staunte über so viel Freundlichkeit. Das war ein überaus günstiges Vorzeichen.

Donnerstag, 13.06., um 21:56 Uhr. London, Hotel Thistle

Er fuhr mit dem Aufzug in den achten Stock und ging in das für ihn reservierte Zimmer. Nett war die Räumlichkeit. Durch das riesige Panoramafenster drang viel Tageslicht ins Zimmer. Die Wände waren in warmen Rottönen gehalten. Ein Fernseher stand auf der Anrichte und das obligatorische Briefpapier lag für den Gast bereit. Auf einem Tablett standen liebevoll die Wasserkaraffe und die Whiskygläser. Ralf musste schmunzeln, als er den Wasserkocher, die Teebeutel und den lösliche Kaffee sah. Unter der Anrichte die Minibar. Der Kleiderschrank war unauffällig in der Ecke hinter der Tür angebracht. Alles äußerst praktisch und geschmackvoll.

Am breiten Bett stand ein Nachttisch. Der bequeme weinrote Ledersessel mit dem Tischchen davor animierte zum Lesen. Keine scheußlichen Bilder an den Wänden. Aus dem großflächigen Fenster hatte er einen herrlichen Blick auf die darunter liegenden Straßen. Seinen Trolley hinter sich herziehend, ging er weiter durch das Zimmer, entledigte sich Ralf der Schuhe legte beiläufig den Mantel über die Sessellehne. Zog den Anzug aus, hängte ihn in den leeren Schrank und streifte sich den Frotteebademantel über, der für den Gast im Badezimmer bereit hing. Aus der Minibar nahm er sich ein kleines Fläschchen Talisker. Ein forschender Blick auf das Etikett verriet, dass der Malt-Whisky zwölf Jahre alt war. Ralf schraubte den Verschluss auf, goss den Whisky in ein bereitgestelltes Glas und gab einen Schluck Wasser aus der Karaffe dazu. Entspannt schritt er barfuß zum Panoramafenster. Das Glas mit dem Whisky führte er zur Nase und roch das rauchige Aroma. Aus dem Fenster konnte er weit über die Dächer der Stadt schauen. Unter ihm in den Straßen staute sich der Verkehr. Er mochte London. Das Grün einer überdimensionalen Plakatwand lenkte seine Gedanken wieder auf die Frau im olivgrünen Kleid.

Ralf nahm sein iPhone aus dem Trenchcoat. Geschickt tippte er auf die App mit der Kontaktliste, scrollte sich durch, bis er Lisas Nummer angezeigt bekam. Ralf wischte mit dem Finger über das Display und schon wurde der Anruf zu Lisa aufgebaut.

„Hey“, sagte sie, „wo in der weiten Welt bist du heute?“

„Servus Lisa“ begrüßte er die Freundin. „Heute nur im nahen London.“

„Wow, beneidenswerter Mann. Was steht an?“

„Eine Pralinenfabrik möchte sich unsere Kuvertüre anschauen und deshalb bin ich hier. Wäre genial, wenn ich das Geschäft abschließen könnte. Drück mir die Daumen. Aber Lisa, weshalb ich dich anrufe. Ist zwar ein bisserl delikat, aber ich kenn nur dich, mit der ich über so etwas reden würde. Lisa, ich hab eine Frage an dich.“

„Wenn’s was Geschäftliches ist, möchte ich aber am Erfolg beteiligt werden.“

Ralf lachte.

„Ich schau, wie ich‘s einrichten kann. Lisa, was würdest du tun, wenn du auf der Suche nach einer Frau wärst …“

„… du weißt, ich bin immer auf der Suche nach einer Frau mit Chic.“

„Gut so. … wenn du eine Frau suchen würdest, die du nur einmal gesehen hast, wie würdest du jemanden suchen, den du nur kurz in einem Aufzug gesehen hast, nichts von ihr weißt und sie wieder treffen möchtest?“

„Hast du überhaupt das Recht dazu, du weißt schon, und die Zeit für eine Liaison?“, mäkelte sie gespielt vorwurfsvoll.

„Moralisch wahrscheinlich noch nicht.“ Ralf lachte sein charmantes Lächeln. „Ist ja wurscht Lisa, spielt doch keine Rolle. Nur ein lästiger Termin vor Gericht, ansonsten: unbedeutend. Na und wegen der Zeit, ich weiß nicht, mal sehen.

Was würdest du an meiner Stelle machen, in so einer Situation? Wie könnte man jemanden finden, den man nicht kennt?“

Am anderen Ende der Leitung hört Ralf ein glucksendes Lachen.

„Ralf, hast du dich verliebt?“ Ein wenig amüsiert klang die Frage.

„Ich möchte sie einfach wiedersehen“, sagte Ralf ernsthaft, aber was sie nicht sehen konnte war sein Erröten. Ralf Rösslers Kopf erglühte von der Halskrause bis hoch zum Haaransatz. Von der einen Ohrspitze bis zur anderen.

„Oh, das klingt mir beunruhigend gefährlich.“ Wieder war so ein spitzes Lächeln von ihr zu hören.

„Lisa, ich weiß nicht.“ Auf irgendeine Weise fand er es jetzt blöd, Lisa angerufen zu haben. Es endstand eine kurze Pause.

„Bist du noch dran?“, fragte Lisa.

„Bin noch dran.“ antwortete er verunsichert.

„Ralf, ich glaub, dich hat es gigantisch erwischt.“

„Woher willst du das wissen?“ Dieses Gequatsche nervte ihn langsam.

„Erkenne ich an dem Atem und an deiner Stimme. Ich hör sogar, wie du rot geworden bist!“

„Oh, am Atem erkennst du’s? An meiner Stimme?“

„Wo musst du suchen, weltweit oder nur in London?“

„In München.“

„Ach, nur in München. Das ist ein Leichtes“, meinte sie ironisch. „Lass mich kurz überlegen.“

Er nippte an seinem Glas und das Finish des Whiskys hinterließ einen rauchig-malzigen Geschmack und breitete sich wie eine cremige Schicht in Ralfs Gaumen aus.

„Wann bist du wieder in München?“, fragte Lisa.

„Morgen, am Freitag bin ich wieder zu Hause, so um acht Uhr abends glaub ich,.“

„Bis dahin werde ich mir irgendetwas überlegen. Du könntest schon mal eine Annonce in zwei oder drei Zeitungen schalten oder vielleicht übers Radio eine Liebesfahndung starten. Da gibt es so was, ich erkundige mich. Du solltest daraus was wahrhaftig Gewaltiges machen, was Tolles lancieren.“

„Naa, Lisa, nichts Gigantisches. Ganz leise möchte ich suchen. Keinesfalls auffällig.“

„Ja, is scho‘ recht, der Herr. Ralf, mit einem leisen Ton kannst du heute niemanden mehr hinterm Ofen hervorlocken. Das weißt du doch selber am besten. Wir machen etwas ganz Großes, Spektakuläres daraus, in einem wahrhaft lauten Flüsterton.“ Ihr unverkennbares Lächeln war zu hören. „Bist endlich wieder frei und aufs Neue vergeben.“ Lisa seufzte übertrieben.

„Kommst du am Freitag zu mir oder treffen wir uns beim Italiener?“

„Wenn du zahlst, Ralf, beim ‚Italianissimo‘ in der Leopoldstraße.“

„Geht klar, beim Italiener. So um neun, oder ist dir das zu spät?“, fragte er.

„Wart a bissl.“ Das Blättern im Kalender war zu hören. „Passt, Ralf. Ich freu‘ mich auf dich.“

„Wie geht es dir, Lisa?“ Die Frage hatte heute wohl mehr rhetorischen Charakter.

„Sehr gut und fast ein bisschen zu gut. Meine kleine Firma verhindert erfolgreich, dass ich mich in Liebschaften verstricke, so wie du. Erzähl ich dir morgen. Ich muss jetzt Schluss machen, Ralf. Hab noch einiges zu erledigen und treffe mich nachher mit Herrn Kazumi in einer Weinstube an der Feldherrnhalle. Er möchte mit mir über die Frühjahrskollektion im nächsten Jahr reden. Er hat gesagt, dass mein Stil bei den Kunden in Tokio sehr gut ankommt.“ Aus der Art, wie sie sprach, konnte er ihre Zuversicht heraushören.

„Das ist ja großartig. Gratuliere! Hättest dir auch nicht gedacht, dass du in so einem Tempo erfolgreich sein wirst.“ Er konnte durch das Telefon hindurch spüren, wie sich ihr schlanker Körper vor lauter Stolz reckte und sie nochmals ein wenig größer wurde, als sie so wieso schon war.

„Ja, fantastisch is des! Wir reden am Freitag darüber. Ralf, mach’s gut. Ich drück dir die Daumen für deine Besprechung morgen und den eventuellen Abschluss. Bis dann, beim Italiener. Ciao.“

„Servus Lisa und danke dir.“

„Bussi und bye, bye!“ hörte er Lisa sagen, dann war die Leitung unterbrochen.

„Eine Annonce“, wisperte er vor sich hin. „Nicht schlecht.“ Ralf ließ sich mit dem Whisky in der Hand in den Ledersessel fallen. Er schloss die Augen und dachte an die Frau, die er nicht kannte. Die er bis zum heutigen Tag noch nie bemerkt und in die er sich, so plötzlich, auf den ersten Blick verliebt hatte.

Sie war die Schönste, die er je gesehen hatte. Sie war für ihn unbeschreiblich. So viel Leichtigkeit umgab sie, so viel Klarheit. Sie war wie ein Feenwesen für ihn.

Donnerstag, 13.06., um 20:20 Uhr in der Wohnung von Jana

Zu Hause angekommen zog Jana die Sandalen aus und entledigte sich des olivgrünen Kleides aus Wildseide. Sie zog sich ihre Lieblingsshorts von Sisley an und streifte sich ein T-Shirt über.Die Kühle der Terrakottafliesen tat ihren Füßen gut. Erleichtert atmete sie ein. Endlich wieder zu Hause.

In der Küche schenkte sie sich ein Glas sizilianischen Rotwein des Weinguts Corvo ein. Ralf Rössler - was für ein fescher Mensch, dachte sie und nahm das Glas Wein. Im Gehen nippte sie genüsslich am Rotwein. Auf dem Balkon hielt sie einen Moment inne und schaute hinüber in den Englischen Garten. Diese Augen von Ralf Rössler. Jana war in seinen weichen und doch so starken Blick eingetaucht.

Sie stellte das Weinglas auf das Tischchen ab und leichtfüßig, fast tänzelnd ging sie ins Wohnzimmer. Konzentriert sah sie die Post durch. Eine Postkarte aus Australien von Tante Elli freute Jana und sie musste schmunzeln. Tantchen Elli machte das Beste, was sie nur machen konnte: Sie genoss ihr Leben und bereiste die Welt. Ansonsten war in keiner Weise was Gescheites in der Post. Wie immer: nur lästige Rechnungen und überflüssige Reklame.

Sie nahm die Tageszeitung, schaute auf die Titelseite. Nichts Neues, immer dasselbe. Sie ging in die Küche und nahm sich aus dem Kühlschrank ein Stück Käse.

Am Balkon setzte sie sich und genoss den Blick, über die Baumkuppen hinweg, hin zum Englischen Garten. Jetzt, im Juni, war es mild an den Abenden, oder gar heiß so wie heute. Nachdem die Sonne den gesamten Tag lang ihre sommerlichen Strahlen über die Stadt ergossen und die Hitze sich in das Mauerwerk abgespeichert hatte, war es schon beinahe zu heiß, um zu atmen.

Mit Genuss aß sie den Käse und trank dazu den fruchtigen Rotwein. Müde war sie. Der Tag neigte sich dem Ende zu. München, blauer Himmel und der Geruch nach Sommer. Etwas Reizvolleres war nicht denkbar. Von der Straße her drangen die Geräusche der ausgelassenen Menschen bis zu ihr in den dritten Stock hoch. Aus der nahegelegenen Eisdiele konnte sie das Lied „Azzurro“ hören, mit der unverkennbaren Stimme von Adriano Celentano.

Jana nippte am Rotwein. Die Zeitung überflog sie nur, denn immer wenn sie versuchte, sich auf einen Artikel zu konzentrieren, flitzten ihre Gedanken vom Inhalt weg, hin zu Ralf Rössler.

Nicht mehr lang, dann würden das letzte Licht des Tages erlöschen und die Nacht über die immer ruhiger werdende Stadt hereinbrechen. Ralf Rössler. Sein starker Blick hatte sie wie ein Pfeil getroffen und alles um sie herum verändert. Sie schaute in den Himmel und entdeckte die ersten Sterne im Osten der Stadt.

‚Ob er schon in London ist?’, überlegte Jana. ‚Aber was machst‘n dir für Hoffnungen. Ein Mann mit dem Aussehen hat hundertprozentig eine Freundin. Womöglich ist er gar verheiratet’, ermahnte sie sich. Obwohl, einen Ring hatte sie nicht an seinem Finger gesehen.

Plötzlich stand Jana auf, lief ins Wohnzimmer und holte den Laptop. Das Gerät brauchte eine Ewigkeit um hochzufahren. Wieder ging sie auf die Webseite der Henning Manufaktur und abermals klickte sie sich durch, bis das Foto von Ralf Rössler erschien. Beim Anblick des Bildes stockte ihr erneut der Atem.

Sie stellte den Laptop auf den Tisch vor ihr, nahm das Glas Rotwein und trank einen Schluck. Lange schaute Jana das Foto des attraktiven Mannes an. Das Herz raste in der Brust. Ein Kribbeln breitete sich in Janas Bauch aus, als würden tausende von Schmetterlingen flatternd den Frühsommer genießen. Das Lächeln von Ralf Rössler, sein Blick hatten heute Morgen in ihr einen Funken gelegt, der im Laufe des Tages aufgeglommen war und bald schon lichterloh zu brennen begann. Liebestrunken war sie und WIE sie sich verliebt hatte! Von einem Moment zum anderen und sie kannte diesen Ralf Rössler doch gar nicht!

Das Klingeln des Telefons riss sie aus den Träumen. Jana ließ das Telefon läuten, bis der Anrufbeantworter ansprang.

„Servus Jana, ich bin’s, die Kathy. Hast Lust, dich am Samstag mit mir zu treffen? Schreib mir eine Mail. Ich könnt so um zwölf bei dir sein.“

Ein Pieps und das Gerät schaltete sich ab. Was blieb, war das Blinken des roten Lichtleins in der Dunkelheit des Wohnzimmers.

Wenn Kathy am Samstag vorbeischaute, dann würde sie mit ihr über den Ralf Rössler reden. Der Gedanke löste ein euphorisches Gefühl in ihr aus. Sie fühlte innerlich die Wucht einer Welle, die, aus Hitze bestehend, langsam wie eine unheimliche Feuerwalze durch ihren Körper strömte.

Donnerstag, 13.06., um 20:29 Uhr. In Cindy Hennings Haus.

Cynthia Henning, die konsequent von allen verlangte mit Cindy angesprochen zu werden, weil sie den altbackenen Namen Cynthia hasste, den sie ihrer Mutter, diesem verblödeten Lennon-Fan zu verdanken hatte, trank gelangweilt einen Schluck Cola.

Cindy war den ganzen Tag am Flaucher an der Isar gewesen, dem Nacktbadestrand der Münchner Müßiggänger. Wieder mal umgeben von Leuten, mit denen sie eigentlich gar nicht zusammen sein wollte, aber die ihr eben die Langeweile vertrieben. Sie konnte nichts und wollte auch nichts mit ihrem Leben anfangen. Das Einzige, das sie tat, war, auf das Ableben ihres Vaters zu warten, um endlich die väterliche Firma übernehmen zu können. Das, nur das war ihr Lebensziel. Ziel und Aufgabe genug, wie sie fand.

Nur war der alte Sack anscheinend nicht bereit, ihr in nächster Zeit diesen Gefallen zu tun. Strotzend vor Gesundheit lenkte er sein kleines Imperium und das gefährlich am Rand des Ruins entlang. Völlig ineffizient agierte der Alte. Sie musste es schaffen, dass er abdankte und sich zurückzog. Er musste ihr dieses wunderbare Juwel einer Firma übergeben, so dass sie endlich so herrschen konnte, wie sie es mühsam an der Universität gelernt hatte. Er musste den Chefsessel endlich abgeben und wenn alles nicht half, dann – in Gottes Namen - musste sie eben nachhelfen. Waldemar Hintzinger, ihr Anwalt und Freund, hatte schon Recht: Überall gab es Mittel und Wege, um die Macht an sich zu reißen und sich zum neuen Herrscher auszurufen – oder besser: zur neuen Herrscherin.

Warum zum Teufel hatte ihr Vater überhaupt darauf bestanden, dass sie das stupide Studium im langweiligen Hannover durchzog, wenn er sie dann in der Firma nicht etablierte und mitentscheiden ließ?

Obwohl es draußen noch hell war und sicherlich noch einige Zeit hell bleiben würde, zog Cindy die Vorhänge zu und zündete die Kerzen auf dem Wohnzimmertisch an. Das Flackern des Kerzenlichts beruhigte sie. Im Badezimmer zog sie sich die Hotpants aus, streifte sich das trägerlose Top und den Slip ab und zog sich den seidenen Bademantel mit dem kunstvoll aufgestickten Drachen über.

Solange der Alte noch lebte, konnte sie nur warten und sich ihre Zeit mit Partys vertreiben - So wie sie es seit Wochen und Monaten tat und so wie heute. Mittags hatte sie die ganze Bagage, die sich am Flaucher um sie versammelt hatte, zu einem Snack und reichlich Bier eingeladen. Nach einer Maß Bier hatte sie sich dick mit Sonnencreme eingecremt und sich wieder voll in die Sonne, ans Ufer der Isar gelegt. Im Rauschen des Flusses dämmerte sie dahin. Der Alkohol begann leicht zu wirken. Wattig fühlte es sich an.

Seit Tagen verfolgte sie diese Unruhe. Wie ein Flattern fühlte es sich im Bauch an. Nur mit Alkohol war es möglich, dieses grässlichen Flatterns Herr zu werden. Waldemar, ihr Kumpel aus der gemeinsamen Schulzeit und ihr Scheidungsanwalt, war schuld daran. Eines Abends, oder vielmehr in der Nacht vor einigen Tagen, hatte sie ihm im Vollsuff von ihrem Kummer berichtet.

„Scheiße“, sagte sie laut, „und der Waldi hat doch recht.“

Am Schrank mit all den CDs suchte sie nach einer Musik, die ihre Laune jetzt verbessern sollte und entschied sich für „The Best of R.E.M.“ Unruhig ging ihr Atem. Sie legte die CD in den CD-Player. Zu den Klängen von „All the Way to Reno“ bewegte sie sich tänzelnd im Wohnzimmer ihres Bungalows. Sie schloss die Augen und dachte über den vergangenen Tag nach.

Der Junge mit den schulterlangen Haaren fiel ihr wieder ein. Als sie nach ihrem mittäglichen Nickerchen aufgewacht war, hatte er plötzlich vor ihr gestanden und sie angelächelte. Dreist hatte er sie angegrinst und in ihr hatte sich das Leben zu regen begonnen. Der Junge hätte ihr wirklich gut gefallen. Breitschultrig war er und mit einem Lächeln gesegnet, mit dem er die Polkappen zum Schmelzen hätte bringen könnte. Oberarme wie ein Boxer und am Bauch kein Gramm Fett. So durchtrainiert hätte der Kerl sie wahrscheinlich den ganzen Nachmittag bis spät in die Nacht hinein durchvögeln können, bis sie bewusstlos in seine starken Arme gesunken wäre.

Siebzehn war er, und sie dagegen eine alte Frau, deren Haut von Tag zu Tag immer mehr schrumpelte. Im Mai, vor einem Monat, war sie einunddreißig Jahre alt geworden und das Leben rann täglich immer mehr durch ihre schlanken und tadellos manikürten Finger hindurch. Aber was sollte es! Ihre Figur war immer noch top und wenn das nicht reichen sollte, dann angelte sie die Jungs mit ihrem Geld. Sie liebte diese unbeherrschten, vor Geilheit strotzenden jungen Burschen, bei denen sie das Sagen hatte. Die an ihr leckten und alles machten, was sie sich von ihnen wünschte.

Als sie sich dem Jungen im Gespräch näherte, sich vor ihm nackt, wie sie war, aufreizend aufrichtete und dem Jungen ihre nackten Brüste ein wenig entgegenreckte, sah sie das Feuer, das sie in seinem Blick entfachte. Diese unbändige Gier des Jungen erregte sie. Mit den Fingern strich sie über seine unbehaarte, muskulöse Brust und beobachtete dabei, wie sich zwischen seinen Lenden die Lust zu regen begann.

Just in dem Moment als sie ihn fragen wollte, ob er mit zu ihr kommen wolle, rief eine noch pubertierende kleine Schlampe seinen Namen. René hieß der Bengel. Erschrocken hatte er sich umgesehen und der kleinen, halbwüchsigen Tussi zugewinkt.

„Ich muss los“, stammelte er nervös und sie erkannte in seinem Blick, wie sehr er es bedauerte, einfach so, unverrichteter Dinge, gehen zu müssen.

„Musst du wohl“, hatte sie verächtlich erwidert, sich ohne einen weiteren Gruß umgedreht und sich wütend zurück in die Sonne gelegt.

Wieder hatte man sie allein gelassen. Sie lebte seit einem Jahr in Scheidung und war froh, dass dieser Lebensabschnitt bald zu Ende ging. Langweilig war ihre Ehe gewesen und wenn sie ihren Ehegatten einen Langweiler nannte, dann war in dem Wort immer noch zu viel Temperament enthalten, um das auszudrücken, was er tatsächlich war. Ein Schauer voller Wollust durchströmte ihren Unterleib, wenn sie daran dachte, dass sie bald frei war.

Aber manchmal, wenn sie allein war so wie jetzt, und ihr Denken von einem Thema zum nächsten huschte, empfand sie beim Gedanken an ihre Ehe ein entsetzliches Versagen.

Aber das Leben musste weitergehen - und wie es weiter zu gehen hatte, bestimmte sie. Waldemar hatte sie auf die Spur gebracht. Sie musste nur noch einen guten Zeitpunkt finden, um ihren Plan ins Rollen zu bringen. Waldemar und sie mussten akribisch genau vorgehen, um nichts dem Zufall zu überlassen.

Ihr Vater, der alte Henning, hatte genügend Leute um sich herum, mit denen er sich beratschlagen konnte. Kluge Leute. Ausgebuffte Leute. Der Übelste von allen war der Rössler, diese Kreatur, die aus der Gosse hochgekrabbelt war. Ein Individuum, das sich ganz oben in der Firmenstruktur festzusetzen drohte. Sie, blöde wie sie war, hatte den Ralf Rössler in der väterlichen Firma untergebracht. Jetzt war er auf dem Posten, der eigentlich ihr von ihren Fähigkeiten her zugestanden hätte.

Dieser Ralf Rössler durfte auf keinen Fall mehr Macht erlangen als er schon erlangt hatte. So schnell wie möglich musste sie diesen Schmarotzer zu Fall bringen. Am besten wie ein lästiges Insekt zerquetschen.

Donnerstag, 13.06., um 23:40 Uhr. Hotelzimmer in London

In London saß zur selben Zeit Ralf Rössler auf dem Bett, den Laptop auf dem Schoß, und schrieb an einer Annonce für die Abendzeitung.

Suche das Mädchen mit grünem Kleid und smaragdgrünen Augen.Umgeben von Schokoladenduft habe ich dich am 13. Juni im Aufzug gesehen. Bitte melde dich.

Nein, so konnte er das keinesfalls schreiben. Das kam dem Gefühl, das er empfand, in keinerlei Weise, nicht einmal ansatzweise nahe.

Umgeben von Schokoladenduft habe ich dich im Aufzug gesehen. Deine smaragdgrünen Augen gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. Bitte melde dich.

Schon besser, aber keineswegs gut genug.

Wieder tippte Ralf einen Text in den Computer. Aber alles, was er schrieb, vermochte kein bisschen das auszudrücken, was er schreiben wollte.

Du, mit den grünen Augen und dem grünen Kleid. Seit ich dich im Aufzug sah, umgeben von Schokoladenduft, gehst du mir nicht mehr aus dem Sinn. Bitte melde dich.

Ach, egal! Er war kein Schreiber. Er war ganz der Zahlen- und Faktenmensch. Und außerdem: Wie hoch war schon die Wahrscheinlichkeit, dass dieses feenhafte Wesen überhaupt die Anzeige las? Las sie überhaupt Zeitung in Zeiten des Internets? Und wenn, las sie wirklich genau die „Abendzeitung“? Die Chance, sie über die Annonce wieder zu treffen, lag bei eins zu einer Million.

Auf der Internetseite der Münchner Abendzeitung fand Ralf die Annoncenseite „Treffpunkt“. Er füllte das vorgegebene Formular aus, überlegte eine Weile und entschied sich für den zweiten Text, den er geschrieben hatte:

Umgeben von Schokoladenduft habe ich dich im Aufzug gesehen. Deine smaragdgrünen Augen gehen mir nicht mehr aus dem Sinn. Bitte melde dich.

‚Na ja, ganz schön verschlüsselt, der Text’, überlegte er.

Ralf zahlte mit Visa und schickte den Auftrag für das Inserat mit klopfendem Herzen los.

Dann grinste er. Ein erster Schritt war getan. Die Annonce erschien am Freitag. Freitagabend am Flughafen würde er sich die Zeitung kaufen und sie Lisa zeigen. Die würde Augen machen, wenn sie den Text las.

Er schaltete den Laptop aus und ging ins Badezimmer, um sich für die Nacht fertigzumachen. Morgen war ein bedeutender Tag und er musste ausgeschlafen und vollauf fit sein.

Ralf knipste die Zimmerbeleuchtung aus und das Nachttischlämpchen ein. Irgendwie war er müde und legte sich ins Bett, obwohl er sicher war, keinen Schlaf finden würde. Aber wenn der Schlaf partout nicht kommen wollte, gab es immer noch Tricks, sich in den Schlaf zu mogeln. Sein Lieblingstrick war der, sich gedanklich nochmals mit dem Termin am nächsten Tag zu beschäftigen. Sich den Ansatz für das Gespräch klar zu machen und die genauen Schritte zu überlegen, wie er zum Erfolg kommen konnte. Diese Strategie half fast immer.

Bei geschlossenen Augen, völlig entspannt auf seinem Bett liegend, visualisierte er das Firmengebäude von „Lizzy & Sweets“. Er versuchte sich Gerald Owen vorzustellen, den er nur von einigen Fotos her kannte. Aber zwischen dem Firmengebäude und Owens Fotos tauchten wieder und wieder das wunderschöne Gesicht und die smaragdgrünen Augen der Frau im Aufzug auf. Wie eine Fee sah sie ihn an. Mit ihrem Lächeln schien sie all seine Wünsche erfüllen zu können. Er versuchte nicht allzu lange an sie zu denken und doch kam er mit seinem Einschlaftrick keinen Deut weiter. Viel stärker als sein Wille waren das Lächeln und der strahlende Blick der Frau. Immer wenn er dachte, dass er kurz davor stände und endlich in den Schlaf sinken würde, rüttelte ihn seine Fee wieder wach.

Ralf stand auf und holte den neuesten Thriller von der Reimers aus dem Trolley: „Blinde Passagiere“. Im Bett fing er an zu lesen. Zwei, drei Sätze und abermals waren die Gedanken bei den grünen Augen, den weichen Lippen und den kastanienbraunen Haaren. Er begann erneut mit der Lektüre und wieder verschwammen die Buchstaben, und er glitt vom Lesen wie durch einen Nebel hin zu ihr. Es hatte keinen Sinn. Ralf legte das Buch auf den Nachttisch und knipste das Licht aus.

Schließlich, Stunden später, hüllte ihn dunstiger Schlaf ein. Und selbst in Morpheus' Armen war sein Geist mit dem der unbekannten Schönheit verwoben.

Freitag, 14.06., um 6:00 Uhr. Hotelzimmer mit Panoramablick in London

Der Wecker klingelte. Ralf brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er nicht dort war, wo er glaubte zu sein. Nur langsam kam er zu sich. Ihm war, als hätte er die gesamte Nacht den zarten Körper der unbekannten Frau in den Armen gehalten. Weiterhin fühlte er die innige Umarmung und ihre Brüste an seinem nackten Körper.

Dann flatterten ihm einzelne Bilder des Traumes wieder zu, wie Schmetterlinge. Sie schwirrten tänzelnd in seine Erinnerung und brachten den Duft der Fremden mit sich. Tief atmete er ein, als könne er so diesen Hauch an Parfüm besser in sich aufnehmen. Wie schön sie war in seinem Traum!

Beschwingt von den Impressionen in seiner Erinnerung schwang sich Ralf aus dem Bett. Er riss die schweren Gardinen am Panoramafenster mit einem Ruck auf und schaute hinaus ins gräuliche Nass, auch „britisches Schmuddelwetter“ genannt. Es war, wie es meistens war, wenn er in London zu tun hatte. Aber heute würde es ihm leicht fallen, mit der grauen Suppe zurecht zu kommen. Ralf schlang die Arme um sich selbst, schloss die Augen und in dieser Umarmung konnte er die Zärtlichkeit des Traumes wieder spüren.

Lange ließ Ralf beim Duschen das heiße Wasser über seinen Körper laufen und er konnte spüren, wie sich die Lebensgeister langsam wieder in ihm ausbreiteten.

Nachdem er nochmals die Unterlagen für den Elf-Uhr-Termin bei Owen durchgesehen und den Trolley zusammengepackt hatte, machte Ralf sich auf den Weg in den Frühstücksraum.

So fröhlich und leicht fühlte sich der Tag an. Lange war es her, dass er das Leben in solch einer Intensität gefühlt hatte. Als er an den Menschen in den Fluren und im Foyer des Hotels beschwingt vorbeiging, bemerkte er ihren eigenartigen Blick.

‚Ja’ , dachte er, ‚sie sehen die Aura des Verliebten.’

Freitag, 14.06., um 6:30 Uhr. In der Wohnung von Jana

1.124,8 Kilometer südöstlich von London, in der Mandelstraße in München, klingelte im dritten Stock der Wecker.

Sechs Uhr dreißig zeigte die digitale Uhr an. Völlig gerädert, aber von Glückseligkeit erfüllt, wachte Jana von einem seltsamen, beeindruckenden Traum auf. Sie und Ralf waren über die weiten Wiesen und durch frisch duftende Wälder gelaufen. Über die höchsten Bergspitzen waren sie geflogen. Stundenlang, Hand in Hand. Sie und Ralf Rössler. Lachend und glückselig, unterwegs in ein gemeinsames Leben.

Matthias saß in der Ferne auf einem Felsen und lachte dem beschwingten Paar zu. Noch im Fliegen rief Jana Matthias zu: „Matthi, ist‘s in Ordnung, wenn ich endlich wieder mein Leben lebe und glücklich werde?“

„Jana“, rief der Geist ihr vom Felsen aus zu, „du musst lebend dein Leben leben. Nur ein kleines Stück des Weges bin ich mit dir gegangen. Nimm den Ralf an die Hand und lass ihn nie wieder los.“ Matthias lachte und verschwand im Aufblitzen eines Lichtstrahls.

Ja, sie hatten ihr Glück gehabt, bis zu jener Nacht im Mai vor drei Jahren. Zwei Polizisten standen vor der Wohnungstür. Sofort ahnte Jana, was die Polizei um zwei Uhr morgens wollte. Geschockt war sie gewesen. Ihr Körper hatte sich stundenlang verkrampft. Erst später am Tage, mit sehr viel Mühe konnte sie das Geschehene akzeptieren und den Lauf der Tränen zulassen.

„Nicht der Matthi, verdammt“, hatte sie immer wieder, tagelang, mit erstickter Stimme wiederholt.

Matthias war mit seinen Kumpeln unterwegs gewesen. Mit dem Motorrad waren sie auf Achse. Leichtsinnigerweise ohne Helm waren sie gefahren. An einer Kreuzung hatte ein Besoffener die rote Ampel überfahren und Janas Verlobten mit voller Wucht getroffen. Er hatte keine Chance gehabt. Auf der Stelle war er tot gewesen. So furchtbar zugerichtet, dass man ihr geraten hatte, ihn so in Erinnerung zu behalten, wie sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte.

Am meisten schmerzte sie der Umstand, dass es für sie beide keinen Abschied gegeben hat. Bis vor kurzem noch war es für sie undenkbar gewesen, sich auf eine neue Partnerschaft einzulassen. Zu stark fühlte sie sich mit ihrem toten Verlobten weiterhin verpflichtet und es wäre einer Lüge, einem Verrat gleichgekommen, wenn sie sich wieder auf einen Mann eingelassen hätte.

Sonderbar. Gestern schon, als sie den gesamten Tag über an Ralf Rössler dachte, hatte sie nicht an Matthias denken müssen - und jetzt dieser lange Traum, in dem ihr verstorbener Verlobter sie bat, endlich loszulassen.

Müde rappelte sich Jana auf. Sie ging zur Kommode ins Wohnzimmer, auf dem das Bild des ehemaligen Verlobten stand.

„Du“, sagte sie und streichelte zärtlich über das Glas des eingerahmten Fotos. „Ich danke dir.“ Sie sah Matthias auf dem Bild an und ihr war, als würde er ihr zulächeln. Mit beiden Händen nahm sie den Bilderrahmen und drückte ihn an ihre Brust. Sie öffnete die oberste Schublade der Kommode und legte das Bild hinein. Sie hatte ausreichend getrauert. War genügend einsam zu Hause gesessen, um Matthias zu beweinen.

Jetzt fühlte sie sich frei. Sie musste Ralf Rössler finden und mit ihm reden. Über was, dass würde sich zeigen. Jana schloss die Augen und wieder sah sie sich mit Ralf über die Wiesen und Wälder laufen. Sie atmeten den frischen Duft der Tannen und der Gräser ein. Lachend schwebten sie weit oben im strahlend blauen Himmel und schauten beglückt auf die Welt herunter. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl umgab sie.

Ihr Gang war mehr ein Gleiten als Jana Richtung Bad ging und sich unter die Dusche stellte. Nachdem ausgiebig Wasser über ihren jungen Körper gelaufen war, trocknete sie sich ab und streifte sich den Bademantel über. In der Küche bereitete sie das Frühstück zu, nahm das Tablett mit Kaffee und einer Scheibe Toast und setzte sich damit auf den Balkon.

Ein wolkenloser, strahlendblauer Himmel über der Stadt München. Frech zwitscherten die Spatzen von den Dächern und schwungvoll schwebten die Schwalben trotz der frühen Morgenstunden durch die Lüfte. Sie roch den leichten Geruch von Hopfen und Malz und den Duft der blühenden Wiesen des nahe liegenden Englischen Gartens. Jetzt, am Morgen fühlte sich die Luft frisch an. Jana liebte es, in dieser schönsten aller Städte zu leben, und seit gestern, seit heute Nacht, war es wie-auch-immer wieder möglich zu leben. Und noch sehr viel mehr: Sie war bereit, wieder zu lieben.

Freitag, 14.06., um 7:30 Uhr. Auf dem Weg zu Mister Gerald Owen

Nachdem Ralf im geschmackvoll eingerichteten Frühstücksraum, umgeben von gestressten und müden Geschäftsleuten, mit reichlich Speck, Rührei, Toast und Tee gefrühstückt hatte, machte er sich auf den Weg.

Vor dem Hotel wartete bereits eines der typischen englischen Taxis auf ihn. Ralf stieg hinten in das Fahrzeug ein und lächelte dem Taxifahrer zu. Ohne das Lächeln zu erwidern, legte der breitschultrige Taxichauffeur die Sportzeitung neben sich auf den Beifahrersitz. Wortlos schaute er durch den Rückspiegel zum Fahrgast nach hinten.

„Good Morning“, grüßte Ralf und nannte dem Taxifahrer die Straße, in der er gefahren werden wollte.

„Yes, Sir“, erwidert der Fahrer mit einem vibrierenden Bass, der den Wagen zum Schwingen brachte. Auf der Windschutzscheibe setzten sich die feinen Tropfen des Nieselregens und wurden vom monoton hin und her wischenden Scheibenwischer weggewischt. Ralf spürte immer noch den Körper der feenhaften Frau in seinen Armen.