Ungeborene Hoffnung - Eldoie López - E-Book
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Ungeborene Hoffnung E-Book

Eldoie López

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Beschreibung

Wie Unfruchtbarkeit das Leben nachhaltig verändert – die wahre Geschichte einer jungen Bloggerin. Das Leben besteht nicht nur aus Glitzer und Zuckerwatte, das müssen Elodie und Egar lernen, als sie sich ihren sehnlichsten Wunsch erfüllen wollen — ein eigenes Kind. Als "unbezwingbare Julieta" berichtet Elodie auf ihrem Blog mit emotionaler Offenheit davon, wie durch Unfruchtbarkeit ihre Welt aus den Fugen gerät. Sie verschweigt dabei nichts: den Neid auf das Familienglück anderer, die Wut auf den gesellschaftlichen Druck, ihre Sorgen hinsichtlich künstlicher Befruchtung und die Belastung der Beziehung. Und doch schafft es Elodie dabei immer wieder, ihren Followern Hoffnung zu schenken und mit der Erkenntnis umzugehen, dass manchmal der größte Traum im Leben genau das bleibt: ein Traum.

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Seitenzahl: 332

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Inhaltsverzeichnis
Danksagung
1. Nie hätte ich diese Worte sagen sollen
2. Was passiert da bloß?
3. Nur Vögelchen im Kopf!
4. Das Geständnis
5. Der Jahrestag
6. Als ich mich fand
7. Auf der Straße
8. Überwindung
9. Fliegende Herzen
10. Die Herausforderung
11. Ich bin dein Zuhause
12. Mehr Zeit
13. Das Geschenk
14. Der erfüllte Wunsch
15. Die Punktion
16. Ich darf sie nicht verlieren
17. Steine brechen nicht
18. Wer tapfer ist, gibt nicht auf
19. Die Einpflanzung
20. Die Magie des Lebens
21. Und wenn es möglich wäre?
22. Wenn die Seele ausbüxt
23. Eine Liebe namens Thailand
24. Das kann doch nicht passieren
25. Die wärmende Nähe des ›Langen‹
26. Ein Hauch Realität
27. Das Versprechen
28. Letzte Möglichkeit
29. Stärke
Leseprobe

Originaltitel: Hope © 2018 Elodie López

© 2018 Ediciones Especializadas Europeas SL. CIF: B-61.731.360

EEEliteraria (www.eeeliteraria.com)

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

Copyright © 2021 bei EDITION Ladies Lounge, ein Imprint von Bookspot Verlag GmbH, Behringstr. 10, D-82152 Planegg

1. Auflage

Übersetzung aus dem Spanischen: Karoline Toso

Lektorat/Korrektorat: Jara Dressler

Satz/Layout: Martina Stolzmann

Cover: Martina Stolzmann unter Verwendung eines Fotos von Elodie López

E-Book: Jara Dressler

ISBN 978-3-95669-153-9

www.bookspot.de

Für dich, Egar, weil auch du unbezwingbar bist.

Ich schulde dir Augen, denn du hast deine mir gewidmet, um meine Welt zu betrachten.

Ich schulde dir Hände, denn obwohl ich zwei hatte, unterstützten mich deine.

Ich schulde dir Tränen, denn du hast deine für mich vergossen, damit ich meine bewahre.

Ich schulde dir Worte, denn du hast mir deine geborgt, um die Welt zu verstehen.

Ich schulde dir Schultern, denn du trugst für mich Rucksäcke, damit ich leichter wanderte.

Ich schulde dir ein Herz, denn du hast deines herausgerissen und mir überlassen, damit ich lernen konnte, aufs Neue zu lieben.

Ich schulde dir ein Leben, denn du hast mir deines geschenkt, als meines vom Schmerz aufgebraucht war.

Danksagung

Als man mir die Möglichkeit bot, unsere Erfahrungen in diesem Buch zu veröffentlichen, drehte sich zunächst alles in mir. Es war mir alles zu viel, denn genau am selben Tag erhielten wir den negativen Bescheid unserer letzten künstlichen Befruchtung. Ich war am Boden zerstört.

Beim Öffnen der Post, um ein Uhr nachts, fand ich eine Nachricht von Lorena, die mir vorschlug, der Welt unseren langen Weg bis hierher zu beschreiben. Das war wie ein Richtungswechsel, als wäre alles, was mir im Kopf herumgeschwirrt war, nicht mehr Teil meines Lebens. Es bedeutete für mich frischen Wind, den ich brauchte, ein kleiner Anflug von Freude. Einfach war es dennoch nicht, mich dafür zu entscheiden, all unsere Erinnerungen noch mal zu durchleben, um sie hier aufzuschreiben, um sie mit dir zu teilen, mit dir, der Person, die jetzt dieses Buch in den Händen hält. Ich begann damit, Kapitel zusammenzustellen, und bemerkte dabei, dass sich nichts so entwickelt hatte wie geplant. Unfruchtbar zu sein, hatte ich mir nicht ausgesucht. Nichts von dem, was ich dadurch erlebte, hätte ich je für mich gewählt. So wurde mir klar, wie stark wir in all den Jahren gewesen waren und als ich den letzten Satz dieses Buches schrieb, erfüllte mich unendlicher Stolz darüber, zu welcher Frau ich geworden war. Alles passiert aus einem bestimmten Grund … Ich wusste nun, dass meine Erfahrung viele Herzen erreichen konnte, um diese mit Hoffnung zu füllen.

So widme ich dieses Buch dir, der Person, die es liest. Es ist auch für euch, die ihr uns seit fünf Jahren täglich Umarmungen auf unserem Instagram-Account @indomablejulieta – »Unbezwingbare Julieta« – schickt, für alle, die wir in diesem Forum eine große Gemeinschaft der Liebe und des Guten bilden, denn nie konnte ich euch einfach nur ›Follower‹ nennen. Das Buch ist auch für meine Eltern, die mir dieses wunderbare Leben geschenkt und mir gezeigt haben, dass sich alles zum Guten entwickelt, wenn man für seine Ziele kämpft. Manchmal kann es hart sein, manchmal einsam, aber es zahlt sich aus, denn wenn das Ziel unerreichbar scheint, erkennt man, dass der Weg ein falscher war und das Erhoffte nicht unbedingt so aussehen muss wie erwartet. Ich widme dieses Buch auch meiner Schwester, die mir bewiesen hat, dass zwei Herzen im Gleichklang schlagen können, auch wenn man voneinander getrennt lebt. Es ist auch für meine Oma, denn nie habe ich eine Liebe empfunden, wie jene, die uns beide verbindet. Für ›meinen Engel‹, die Tante, welche uns auf diesem schweren Weg so sehr geholfen hat. Für meine ganze Familie mit ihrer bedingungslosen Unterstützung. Für meine Freundinnen, die auch ohne Worte, allein mit Blicken, alles sagen können, was ich brauche. Für Lorena, ohne die ich nicht mehr sein kann, seit sie in meinem Leben aufgetaucht ist. Für Juan, meinen Verleger, für seine professionelle Begleitung und Geduld, er war meine rechte und linke Hand. Ich bin keine Autorin, er aber holte diesbezüglich liebevoll das Beste aus mir heraus. Für alle, die im Hintergrund daran arbeiteten, dieses Buch entstehen zu lassen.

PS: Für meine Hunde. Und ja, ich widme es, wem ich will, denn mit ihnen haben wir es schließlich geschafft, eine hübsche Familie zu werden, Egar, ich und sie.

Bedenkt: Das Leben ist zu kurz, zu schön und viel zu beschissen, um es nicht intensiv zu genießen. Lebt!

1. Nie hätte ich diese Worte sagen sollen

Ich dachte immer, dass alles in meinem Leben damit zusammenhängt, welche Möglichkeiten sich mir auftun, welche Türen ich dabei öffne und welche ich verschlossen lasse. Im entscheidendsten Moment meines Lebens beschloss ich etwas, das sich für mich gut anfühlte. Es war vielleicht nicht der einfachste Weg, den ich damit beschritt, wohl aber der realistischste.

Viele kennen mich als Julieta, aber bevor ich mehr von mir erzähle, möchte ich preisgeben, dass dies nicht mein wahrer Name ist.

Beim Frühstück las ich einmal in einer Illustrierten ohne Angabe des Autors, dass es einen sogenannten unsichtbaren roten Faden zwischen zwei bestimmten Menschen geben soll, der sie verbindet, bis sie einander begegnen. Diese Idee fand ich töricht und überlegte: Man sagt ja, dass jeder Mensch eine verwandte Seele habe, eine sogenannte Zwillingsseele, als wäre man die Hälfte einer Orange oder einer Zitrone, je nach Geschmack. Eine Hälfte könnte in Los Angeles leben, die andere in Chipiona, Südspanien. Wie könnten sie einander begegnen? Also eine unglaubwürdige Theorie, wie mir schien. Aber stellt euch vor, ich hatte mich geirrt. Manchmal sind die Dinge einfacher als gedacht und Kausalitäten existieren wirklich.

Ich dachte immer, dass Leute, die solche Bücher anonym veröffentlichen, es nur machen, um sich dabei gut zu fühlen und um von Tausenden gelesen zu werden. Für mich waren es Feiglinge. Damals glaubte ich, die Liebe sei nur eine Form, sich gehen zu lassen. Über viele Jahre mit demselben Partner zu schlafen war üblich, also konnte es wohl nicht so schwer sein, schließlich lebten meine Eltern nach diesem Prinzip. Zu beobachten, wie mein Vater noch immer zärtlich den Hintern meiner Mutter berührte, so oft sich ihm die Gelegenheit dazu bot, bedeutete damals für mich, dass dies die Norm sei. Liebevoller Umgang, über Jahrzehnte hinweg, musste wohl so leicht zu leben sein, wie gehen und essen. Alles in allem bestand meine Reaktion auf das Thema Liebe darin, meinen Impulsen zu folgen und täglich die Bettwäsche zu wechseln.

Heute staune ich, wenn ich an das Kind denke, welches ich damals mit zweiundzwanzig Jahren noch war. Nicht nur mein Denken war das eines Kindes, auch mein Körper. Bei einer Körpergröße von 1,57 Meter wog ich vierzig Kilogramm und meine Brüste waren winzig, kaum größer als die Nippel selbst. Manchmal überlegte ich mir, eine Brustvergrößerung machen zu lassen, doch als ich auf YouTube mit eigenen Augen sah, was dabei geschieht, verging mir diese Dummheit schnell wieder. Aber das sind Geschichten, die ich hier nicht weiter ausführen werde. Ich dachte nur, dass euch vielleicht interessiert, welche Art von Mädchen ich war, bevor ich beginne, über meinen Weg zu erzählen, um den es in diesem Buch geht. Damals trug ich lange Haare mit vielen knallroten Strähnchen. Zwar zählte ich nicht zu jenen, die ständig mit ihrer Frisur herumexperimentierten, aber wie es oft vorkommt, kompensierte auch ich so manchen Frust mit dem Gang zum Friseur, um mir Dinge machen zu lassen, die ich bei guter Stimmung so bestimmt niemals gewollt oder gewagt hätte. Jedenfalls ruinierte ich meine schönen, glatten brünetten Haare mit diesen Strähnchen.

Ich hatte immer das Gefühl, mein Erscheinungsbild ließe mich noch dünner wirken, als ich ohnehin war: lange Haare, große braune Augen mit langen Wimpern und buschigen Brauen. Mein Freund betonte immer, dass er mich wunderschön fände, egal wie ich mein Äußeres präsentierte. Über ihn muss ich euch noch viel erzählen, aber später. Zunächst zu mir: Ich arbeitete damals in einem Schuhgeschäft meines Dorfes Blanes an der Küste von Girona. Die Arbeit bereitete mir viel Freude, sie war genau das, was ich gern machte. Ich begann dort mit siebzehn Jahren zu arbeiten. Ihr könnt euch vorstellen, wer mich praktisch großgezogen hat: meine Chefs. Okay, das stimmt nicht ganz, meine Eltern haben mich großgezogen, aber auch meine Vorgesetzten hatten einen enormen Einfluss auf mich. Ich habe mehr Stunden bei der Arbeit verbracht als zu Hause. Ach ja, natürlich hatte ich eine Wohnung, lebte aber nicht allein, sondern mit meinem Freund. Diesen besonderen Menschen möchte ich euch, wie gesagt, später vorstellen. ›Das Beste zum Schluss‹, seid also nicht ungeduldig.

Mein Leben verlief vollkommen normal, ganz gewöhnlich, wie bei allen Menschen. Ich arbeitete von Montag bis Samstag, Vollzeit, und genoss die Wochenenden, um mit Freunden tanzen zu gehen oder mich ganz einfach mit ihnen zu treffen. Da ich nicht mehr bei meinen Eltern wohnte, lebte ich in mancher Hinsicht verantwortungsbewusster als meine Freundinnen, zahlte pünktlich meine Rechnungen, lernte kochen, machte den Führerschein, sparte, so gut ich konnte, damit das Geld bis zum Ende des Monats reichte. Und wenn, dann gönnte ich mir mitunter eine Kleinigkeit, ein neues Kleid etwa oder ein hübsches Top. Was für eine Leistung! Ich dachte, eine Wohnung zu haben, mit dem Freund zusammenzuleben, regelmäßig in die Arbeit zu gehen und gleichzeitig freundschaftliche Kontakte zu pflegen, wäre alles, was ich wissen musste, um das Leben zu verstehen und zu meistern.

Meine Einstellung half mir dabei sehr. Ich war immer ein verträumtes Mädchen gewesen und glaubte fest daran, den Weg zu gehen, der mich direkt zur Erfüllung meiner Träume führte. Vom Leben hatte ich eine unwirkliche Vorstellung, betrachtete die Dinge verklärt. Oft musste ich mir Vorträge meines Vaters anhören, der mir versuchte zu erklären, wie schwer es mitunter sein konnte, alles zu meistern und dass ich endlich aus den Wolken auf den Boden der Tatsachen kommen solle. Die Welt bestehe nicht nur aus Glitzer und Konfetti.

– »Elodie, in deinem Leben wirst du noch viel durchzustehen haben, glaube es mir.«

Jetzt kennt ihr meinen richtigen Namen und wisst auch, dass mein Vater mich immer zurückholte, wenn ich aus der Reihe tanzte. Wenn ich ehrlich bin, gibt es Tage, an denen ich mich nach diesem Mädchen sehne, das ich damals war; rebellisch, eigenwillig. Doch ich sehne mich nicht wegen des Mädchens zurück. An damals zu denken verdeutlicht mir einmal mehr, wie verliebt ich in ihn war.

Ich lernte ihn mit fünfzehn Jahren kennen, und zwar auf eine absolut absurde Weise. Wenn es wirklich ein rotes Band zwischen zwei Seelen gibt, das sie verbindet, bis sie einander treffen, dann verband uns beide ein recht stümperhaftes, nämlich ein Stück Plastikschnur, mit dem ich am rechten Handgelenk so stark gefesselt war, dass mir die Finger taub wurden. Ich beschreibe euch keine Szene aus »Saw«, sondern die Geschichte meiner Liebe.

Es war so: Ein Freund nahm mich zur Garage seines Cousins mit … Wartet, wenn ich es so erzähle, klingt es wie eine Krimiszene, doch es ist der schönste Krimi der Welt. Alles verlief normal, der Kumpel brauchte ein Ersatzteil für sein Motorrad. Wir lachten und scherzten dann so lange herum, bis ich schließlich an eine Stange gefesselt war. Wie peinlich! Mir schwitzen heute noch die Hände, wenn ich mich daran erinnere. Es gelang uns nicht, mich von dieser verfluchten Plastikschnur zu befreien. Je mehr ich daran zog, um sie zu zerreißen oder zu lockern, desto fester zog sie sich zusammen und schnitt mir ins Fleisch. In dieser ausweglosen Situation erschien der Held, attraktiv, mit grünen Augen und einem Lächeln, das mir den Atem raubte. Ohne den Kumpel und mich wie Trottel dastehen zu lassen, bemühte er sich zu helfen und vor allem, mir nicht wehzutun. Er wirkte wie so ein blöder Erwachsener, gleichzeitig aber wie einer, der mit magischen Kräften alle Not lindert. Als er mich befreit hatte, schien sein Blick zu schreien:

– Erschrick mich nie wieder so sehr!

In diesem Augenblick wusste ich, dass mir meine Zwillingsseele begegnet war. Ich spürte, wie er sich ab dieser Minute für mich verantwortlich fühlte, als sei es sein Recht und seine Pflicht, mein Leben zu begleiten, mich zu beschützen. So lernte ich Egar kennen.

Unsere Beziehung war immer und in jeder Hinsicht sehr leidenschaftlich. Also seit wir ein Paar waren, oder genauer gesagt, seit er mich an einem Weihnachtsabend bat, mit ihm zu gehen. Wir waren beide gerade sehr betrunken, muss ich sagen. Für mich war es, als wäre ich in einem jener Romane, die immer ein Happy End haben und die Wahrheit ist, dass wir glücklich waren. Mitten in der Nacht, nach langen Gesprächen und sinnlosem Gekichere wegen Übermüdung – ich nannte diese Stimmung »das Müdigkeitslachen« – wollte ich oft nur schlafen, konnte aber nicht, weil die Momente mit ihm nie enden sollten. Oft fuhren wir hunderte Kilometer, um miteinander ein bestimmtes Eis zu essen, das es nur in einem verlorenen Dorf in den Bergen gab. Aufgrund solcher Verrücktheiten entdeckten wir manchmal schöne Plätze, die anderen verborgen blieben. Nur verrückt Verliebte konnten sie erkunden …

Er war diese Art Mensch, die dir den Atem raubt, um ihn dir durch Küsse wiederzugeben. Wenn sich meine Lippen mit seinen verbanden, verschwand mein Sein, ich wurde in eine irrationale Welt entrückt, in der wahnsinnige Liebe meinen kompletten Verstand auslöschte.

Häufig sprachen wir darüber, wie viele Paare mit der Liebe allein nicht auskämen und sich wieder trennten. Doch wir wussten, dass unsere Geschichte nicht nur eine fürs Bett war. Unsere Liebe wurde täglich neu erschaffen, sei es durch ein Lächeln, durch liebevolle Worte und nicht zuletzt durch unerschütterliches Vertrauen. Von ihm kamen keine Schwüre, mir den Mond vom Himmel zu holen. Vielmehr begleitete er mich, damit ich ihn mir selbst schnappen konnte, wenn mir danach war, während er mir flüsternd Mut zusprach, neue Wege zu beschreiten. Er war grundsätzlich bereit, mir Türen zu öffnen, auch wenn er auf der Schwelle warten musste, um zu sehen, ob ich meine Ziele erreichte. Ich wusste, er würde sein Leben für mich geben, wenn es darauf ankäme, denn ohne mich wäre es ihm nichts mehr wert gewesen. So manchen Abend beendeten wir tanzend im Wohnzimmer zu Liedern von Extremoduro, die wir lauthals mitsangen. »Golfa« war mein Lieblingslied.

»Wenn die Sonne scheint, hält einen nichts mehr im Bett. Wie auf Knopfdruck heben sich die Wolken. Die Spinnennetze vor deinem Herzen zerreiße ich, du wirst sehen, wie sie sich erschrecken.«

Hättest du uns damals doch sehen können, es hätte dich beeindruckt. Durch ihn verwandelte sich das verträumte Kind, das ich war, zu einer erwachsenen, selbstbewussten Frau. Wir hatten alles: gute Arbeit, zwei Autos, einen Kleinbus, eine ordentliche Wohnung und viel, also wirklich viel Liebe. So war Egar. Kurz nach seinem vierundzwanzigsten Geburtstag unterhielten wir uns darüber, wie es wohl wäre, Kinder zu haben, wem sie wohl ähnlich sähen, wie sich dadurch unser Leben verändern würde. Ich war damals neunzehn Jahre alt. In einem Anflug von totaler Euphorie schwärmte mir Egar vor, Vater werden zu wollen, und zwar real, nicht als verträumte Theorie. Und obwohl es mir damals noch unrealistisch schien, stimmte ich zu, eine junge Mutter werden zu wollen. Sowohl seine als auch meine Eltern waren sehr jung gewesen, als ihre Kinder geboren wurden. Wir liebten uns wie verrückt, waren finanziell abgesichert, doch trotz dieses kleinen Anfalls von Reife in unserem Gespräch sagte ich ihm etwas, das ich nie wieder vergessen kann. Gleich werdet ihr wissen warum:

– »Von dir will ich doch keine Kinder, du bist mir viel zu hässlich.«

Natürlich war das nur ein dummer Scherz, doch ich wusste damals nicht, dass diese Worte für den Rest meines Lebens in meiner Erinnerung nachhallen würden.

2. Was passiert da bloß?

In den ersten Monaten, in denen wir eine Schwangerschaft anstrebten, blieben wir ganz entspannt. Wir verhüteten einfach nicht mehr und ließen uns gehen. Aber die Zeit verging ohne Ergebnisse. Wir merkten auch nicht, dass uns dieser Umstand verunsicherte.

Wir hatten wir mehrere Cliquen. Manchmal trafen wir uns mit Egars Kindheitsfreunden, zu denen auch meine Cousinen gehörten, dann wieder mit den Freundinnen aus der Innenstadt, die so wie ich dort arbeiteten. Da wir ähnliche Arbeitszeiten hatten, trafen wir einander fast täglich zur Mittagszeit in einem Café, welches schon fast unser Zuhause geworden war. Wir verabredeten uns nicht einmal mehr, denn es war klar, dass man immer Freunde traf, denen man Probleme oder Frust anvertrauen oder mit denen man einfach nur Tratsch austauschen konnte. Als wir an einem Nachmittag gerade wieder mit einer unserer Clique Kaffee tranken, kam mir eine Erkenntnis. Eine von uns fühlte sich gerade recht unzufrieden, denn seit voriger Woche war sie täglich mit einem Typen zusammen gewesen, der es ihr mächtig angetan hatte. Nun aber fand sie plötzlich, es sei genug, diese Beziehung überzeuge sie nicht. Wir lachten darüber und versuchten, ihr zu erklären, dass es im Leben eben nicht nur strahlend blauen Himmel gebe, doch wenn sie selbst ihren Teil beitrage, könne auch ein nicht perfekter Freund der perfekte für sie sein. Sie solle den Dingen zunächst ihren Lauf lassen und beobachten, wohin es führe.

Während des Zuhörens wurde mir bewusst, dass etwas in dieser Runde nicht passte und dass ich das war. Meine Sorgen hatten nichts mit denen der anderen zu tun. Wenn sie mir von ihren »großen Problemen« erzählten, wie »Mein Chef hat mir für diesen Samstag nicht freigegeben ...«, »Meine Mutter setzt mich wegen meines Studiums unter Druck ...«, »Seit drei Tagen ruft mich mein Freund nicht an ...« und so weiter, unterhielt ich mich köstlich, aber ich fühlte mich von solchen Geschichten weit entfernt.

Ich war zu schnell erwachsen geworden. Die vier Jahre Altersunterschied zwischen Egar und mir ließen mich mit Riesenschritten reifen. Ich lebte mit meinem Partner zusammen, wir hatten unsere eigene Wohnung und die Probleme der Erwachsenen, nicht mehr die von Jugendlichen:

»Mein Tag braucht mehr Stunden, wenn ich die Arbeit und den Haushalt unter einen Hut bekommen soll. Urlaub mit euch ist leider nicht drin, das Geld reicht einfach nicht. Ich schaffe es nicht, schwanger zu werden.«

Mal ehrlich, konnte ich solche Probleme mit meinen Freundinnen besprechen? Ich hatte mich nie schlecht gefühlt, genau diesen Lebensstil gewählt zu haben, auch wenn ich damit auf manches verzichtete, oder einfach gesagt, ich konnte nicht so viel reisen wie sie, so manche Modeneuheit konnte ich nicht mitmachen, doch meine Entscheidung war aus ganzem Herzen getroffen worden, seit der ersten Minute war sie auf Egar ausgerichtet gewesen.

Also wartete ich den passenden Moment ab. Ich erzählte, wie sehr ich mich bemüht hatte, schwanger zu werden. Die Gesichter meiner Freundinnen hätten Teil einer Show sein können, wie zu Masken erstarrt waren sie auf mich gerichtet. Sobald ich mich ihnen mitgeteilt hatte, die Karten sozusagen offen auf dem Tisch lagen, wurde mir bewusst, dass mir meine Freundinnen niemals bei meinem Problem helfen konnten. Natürlich verurteilte ich sie deswegen nicht. Sie waren mit ihren höchstens achtzehn Jahren noch weit davon entfernt, mit solchen Überlegungen etwas anfangen zu können. Auch ich war noch jung, lebte aber bereits mit dem Geheimnis meiner Unfruchtbarkeit. Das machte mich niedergeschlagen, ich verstand nicht, was bloß mit mir geschah.

In meiner Erinnerung ist alles von jenem Unglück überschattet, das mich so früh schon heimsuchte. Jetzt kennt ihr also meinen wirklichen Namen: Elodie. Warum nannte ich mich nicht länger Julieta? An einem Abend, als ich gerade das Schuhgeschäft verließ, um nach Hause zu gehen, fasste ich den Plan, mein Leben radikal zu ändern. Ich wurde der Routine müde, nur zu arbeiten, um Geld zu verdienen, abends in die unaufgeräumte Wohnung zu kommen und nicht einmal ein wenig Zeit für Egar übrig zu haben. Er hatte Frühschicht in einer Textilfabrik, dadurch kam er viel früher nach Hause als ich. Wenn ich abends müde heimkam, wartete das Abendessen bereits auf mich. Ja, so war Egar.

Nachts fanden wir immer etwas Zeit, um eine Art Blase zu bilden, einen Ort, an dem wir Zuflucht suchten und vielleicht auch uns selbst finden konnten. Ich wusste nicht wirklich, was ich aus meinen Gedanken machen sollte, die mich schon lange betrübten, aber da ich mir immer die ganze Scheiße auf einmal vom Herzen redete, tat ich es auch diesmal. Ich gab zu, dass ich mich in meinem Leben nicht wohlfühlte, dass es mich überhaupt nicht glücklich machte und bevor ich explodierte, wollte ich eine Lösung finden.

Er wusste von Anfang an, was ich meinte. Bereits zwei Jahre versuchten wir erfolglos, Eltern zu werden. Ihr fragt euch jetzt vielleicht: Und in dieser ganzen Zeit habt ihr nichts deswegen unternommen? Doch, das haben wir. Ich bat meinen Gynäkologen, uns in die Liste der Sozialversicherung einzutragen, um eine künstliche Befruchtung durchführen lassen zu können. Davor hatte ich bereits längere Zeit Medikamente eingenommen, die meine Fruchtbarkeit steigern sollten. Der Arzt erklärte uns, dass wir dafür zu jung seien und bestimmt keiner Hilfe bedürften. Es genüge, den Stress bezüglich des Kinderwunsches zu vermindern, möglicherweise unseren Lebensstil zu ändern, und schon wäre das Problem gelöst. Tief in mir spürte ich aber, dass er sich irrte.

Wir ließen weitere Monate ins Land ziehen, gönnten uns schöne Momente und bemühten uns, nicht an unser Problem zu denken, es ja nicht zur Obsession werden zu lassen. Aber irgendwann konnten wir der Wahrheit nicht mehr entfliehen. Ich konnte den ganzen inneren Frust, der mir jeglichen Elan nahm, nicht mehr für mich behalten, musste ihn hinausschleudern. Als Ergebnis beschloss ich, mein Leben zu ändern. Zunächst wollte ich den Job im Schuhgeschäft aufgeben. Obwohl er mir gefiel, bedeutete er auch viel Einsatz, ich führte den Laden vorwiegend allein. Mir schwebte etwas Neues vor, möglichst abgestimmt mit Egars Arbeitszeiten, mit seinem Arbeitsbereich. Vier Monate lang bemühte ich mich, in seiner Firma eine Anstellung zu bekommen. Wir wussten, dass sie dort nicht gern Paare beschäftigten, da diese vielleicht Beziehungsprobleme mit auf den Arbeitsplatz schleppen könnten. Dennoch bewarb ich mich alle zwei Wochen, bis ich den Job endlich bekam. Ich gab zwar an, verheiratet zu sein, aber nicht, dass mein Mann auch in der Fabrik arbeitete.

Es war schwer, einander im Gang oder wo auch immer zu begegnen und nicht miteinander sprechen zu können, das könnt ihr mir glauben. Nur unsere Blicke sagten alles. So ergab sich für uns die beste Möglichkeit, von vorne zu beginnen, denn durch die gleichen Arbeitszeiten konnten wir viel mehr miteinander unternehmen, einander noch näherkommen. Niemand, wirklich niemand hätte erkennen können, dass dieser junge zurückhaltende und sehr tüchtige Mann sein Herz an jenes Mädchen verloren hatte, das da temperamentvoll und immer lächelnd morgens mit allen anderen zum Tor hereinkam.

Wir versteckten uns manchmal für kurze Momente in Ecken am Gang, um einander zu grüßen. Egar fragte mich in den ersten zwei Monaten immer nach meinem Befinden und ob ich gut akzeptiert würde. Er, mein kleiner Adrenalinkick, den ich brauchte, denn nach meiner Schicht war ich völlig fertig, zum Umfallen müde. Oft half er mir, schwere Schachteln zu tragen, um meinen Rücken zu schonen. So war er, arbeitsam, hilfsbereit und vor allem ein wahrer Freund.

Das Gelände getrennt zu verlassen, um uns außer Reichweite leidenschaftlich in die Arme zu fallen, war ein pikantes süßes Abenteuer. Doch die Geheimniskrämerei währte nicht lang. Nach einem Jahr wusste jeder in der Fabrik, dass wir verheiratet waren. Da wir aber bewiesen hatten, wie verantwortungsvoll und gewissenhaft wir arbeiteten, akzeptierte man uns. Egar blieb nach wie vor der Stille, der Zurückhaltende, ich aber freundete mich rasch mit allen in meiner Abteilung an.

Jetzt habt ihr uns beide ein wenig kennengelernt, unterschiedlich wie Tag und Nacht und doch verbunden wie diese.

Obwohl wir beide sichere Anstellungen hatten und genug Zeit füreinander, fehlte mir noch etwas, um mich ganz verwirklicht zu fühlen. Die Fotografie zog mich immer schon an, so überlegte ich nicht lange und richtete mir eine anonyme Facebook-Seite im Internet ein, wo ich Beiträge posten konnte, ohne bei Arbeitskollegen Aufmerksamkeit zu erregen. Ich hatte große Angst, in diese Welt einzutauchen, und fühlte mich ehrlich gesagt noch nicht bereit, da ich immer noch lernte und nicht die Königin der Fotografie war. Ich musste einen Namen finden, einen, mit dem ich mich identifizierte, der leicht zu merken war und eine Geschichte hatte.

Ich war mir sicher, dass mich diese kreative Herausforderung endlich von meinem nagenden Frust ablenken würde, nicht Mutter sein zu können. Meine Psychologin, ja, ich suchte eine auf, riet mir eindringlich zu einer Freizeitbeschäftigung, zu Kontakten mit Familien und Kindern, um mich besser zu fühlen und damit gegen die Ablenkung zu kämpfen, die ungewollt in mir gewachsen war. Nicht mehr so wie alle anderen zu sein, ließ einen Druck in mir wachsen, der sich mehr und mehr verstärkte, obwohl mir klar war, dass niemand etwas davon merkte. Nach außen war ich die Fröhliche, wie immer, vielleicht sogar eine Spur mehr als sonst, um meinen inneren Frust besser zu verbergen.

Sah ich eine Schwangere auf der Straße, schmerzte es. Manchmal verbrachte ich die Nachmittage damit, auf einer Bank des Kinderspielplatzes die spielenden Kinder mit ihren Müttern zu beobachten. Es schmerzte, es schmerzte so sehr, dass ich es nicht schaffte, zu verstehen, warum sie Familien- und Mutterglück erfahren durften, ich aber nicht. Dann wieder fühlte ich mich miserabel bei dem Gedanken, man könne mich bemerken, mich als Verrückte betrachten, die aus sicherer Entfernung auf ihre Kinder starrte. Heute muss ich sagen, dass sie damit auch nicht ganz Unrecht gehabt hätten, aber die Kleinen spielen zu sehen, war für mich der einzige Trost. Nur so fühlte ich mich lebendig. Es gab meiner Hoffnung einen kleinen Auftrieb, einmal selbst als Mutter dasitzen zu können. So kam es, dass ich in meiner Freizeit Fotos von Familien machte. Wenn ich also auf ein Wunder wartete und der Name meiner Facebook-Seite etwas mit mir persönlich zu tun haben sollte, passte doch am besten »Julietas Lächeln«. Zwar war mir damals noch nicht klar, wie ich das Ganze angehen sollte, doch dieser Blog rettete mein Leben. Täglich brachte mir die Arbeit daran neues Glück. So wurde ich zu Julieta.

Ich fotografierte Familien, bat sie natürlich zuvor um Erlaubnis, und versicherte ihnen, dass niemand wusste, wer diese ›Julieta‹ sei, die Bilder demnach keiner bestimmten Stadt zugeordnet werden konnten. Diese Leidenschaft, der ich an meinen freien Wochenenden nachging, erfüllte mich. Bei all dem blieb Egar meine Stütze in der Fabrik, er inspirierte meine Fotografien und zu Hause blieb er weiterhin mein besonderer Schatz. Es fiel ihm auf, dass ich mich veränderte, selbstbewusster wurde. Ich lächelte wieder.

In der Firma mussten wir schließlich unsere Versuche, Eltern zu werden, zugeben, weil es dafür mehrere medizinisch notwendige Termine gab, für die wir einzelne Urlaubstage benötigten. Unser Gynäkologe der Sozialversicherung wollte weitere Untersuchungen vornehmen, um nur ja nichts zu übersehen, was eine Schwangerschaft verhindern könnte. Wir begannen mit Blutanalysen. Bei einer dieser Konsultationen begleitete mich Egar nicht, damit wir nicht ständig beide von der Arbeit fernbleiben mussten. Ich fröstelte, als ich dem Arzt allein gegenübersaß und er mir das Resultat der letzten Analyse mitteilte. Das Problem waren nämlich zu hohe Prolaktinwerte.

Ihr könnt euch vorstellen, dass ich keine Ahnung hatte, was Prolaktin war. Der Gynäkologe erklärte es mir mit recht wenig Taktgefühl. Ich verstand nicht, warum wir so sehr kämpfen mussten. Wir waren doch nur Kinder. Das Hormon Prolaktin regt die Milchbildung nach der Geburt an. Bei mir hatte sich jedoch ein Tumor gebildet, der erhöhte Prolaktinwerte verursachte. Der Arzt meinte, man könne diesen Tumor durch Medikamente eindämmen oder, falls er sich vergrößere, operativ entfernen. Dies sei ein kleiner Eingriff, der über die Nase erfolge.

Könnt ihr euch vorstellen, in welchem psychischen Zustand ich mich nach dieser Beratung befand? Ein Tumor? Ein Hormon? Eine Operation? Als ich nach Hause kam und Egar alles erzählte, brach ich zusammen. Warum passierte all das Schlechte nur mir? Er erzählte mir im Grunde, dass der Prolaktinspiegel auf eine Art Tumor zwischen den Augen und der Nasenwurzel zurückzuführen sei. Ihn überforderte all das auch sehr. Er zählte nicht zu den Jungs, die ihre Gefühle artikulierten, im Gegenteil. Ich musste ihm seine Meinung dazu regelrecht aus der Nase ziehen. Nie sprach er mit jemandem über unser Problem, weil er meinte, es sei zu persönlich, außerdem schien er sich zu schämen. ›Ich kann nicht Vater werden! Liegt es an mir?!‹ Diese Gedanken überschwemmten sein Bewusstsein und nur mit mir sprach er darüber. Doch für mich war er in all unseren Gesprächen der Fels in der Brandung, mein rettender Anker. Als er mich so gebrochen sah, am Boden zerstört, brach er in Tränen aus, es schüttelte ihn vor Weinen, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Von einem Moment auf den anderen war er zu einem kleinen Kind geworden, das ich umarmte. Ich wiegte ihn tröstend wie einen Jungen, der hart gebüffelt hatte und die Prüfung dann doch nicht bestand. »Ich werde die nötigen Medikamente nehmen, wir geben nicht auf und versuchen alles, um es zu schaffen. Solange wir nur zusammenhalten, wird uns nichts und niemand kleinkriegen können«, versprach ich ihm und auch mir.

Als ich eines Tages aus der Fabrik kam, gab es mehrere versäumte Anrufe auf meinem Handy, alle von einer meiner besten Schulfreundinnen. Ich habe eine Idee: Um die Privatsphäre der hier genannten Personen zu wahren, werde ich jede gemäß ihrer Persönlichkeit nach einem Land oder einer Stadt benennen. In diesem Fall ist es Sevilla, lebendig, immer fröhlich, mit ganz besonderer Ausstrahlung. Den ganzen Vormittag hatte sie versucht, mich zu erreichen, was ich nicht verstand, weil sie ja meine Arbeitszeiten kannte. Irgendetwas Wichtiges musste vorgefallen sein.

Ich saß neben Egar im Auto und rief Sevilla zurück. Sie war so aufgekratzt, dass ich sie kaum verstehen konnte. Ich bat sie, sich zu beruhigen, da wurde sie still. Sie wusste nicht, wie sie beginnen sollte. »Es tut mir leid, ich muss dir etwas erzählen«, platzte sie endlich heraus. In diesem Augenblick wusste ich, was es war. Die Farbe wich aus meinem Gesicht, ich blickte Egar an und musste mich bemühen, das Handy nicht fallen zu lassen. Sie erzählte mir überglücklich, schwanger zu sein, und dass ich es als Erste erfahren sollte, schließlich war sie mit meinem Cousin Jamaika zusammen. Sie liebte ihn seit ihrem sechsten Lebensjahr. Unter Aufbietung all meiner Kraft musste ich sie anlügen, musste mich unglaublich beherrschen, um sie nicht durchs Handy spüren zu lassen, dass ich am liebsten laut losgeheult hätte. »Ich freue mich so sehr für dich, für euch! Sei lieb umarmt!« Als ich auflegte, brannten meine Augen, sie waren rot wie Blut, aber keine einzige Träne floss. Egar sollte mich so nicht sehen, sollte meinen immensen Schmerz nicht fühlen müssen. Immer betonte ich ihm gegenüber, dass ich eine starke Frau sei und er sich um mich keine Sorgen machen müsse. Doch ich konnte mich nicht länger kontrollieren. Nach wenigen Augenblicken angespannter Stille weinte, schrie und schluchzte ich los. Seine Hand lag auf meinem Oberschenkel, sein Blick war starr auf die Fahrbahn gerichtet. Ich wusste, dass diese versteinerte Haltung seine Art zu leiden war.

3. Nur Vögelchen im Kopf!

Zu Hause vermieden wir Blickkontakt. Fürs gemeinsame Essen pflegten wir ein Ritual: Ich wärmte das Vorbereitete auf, während er den Tisch deckte. An diesem Tag kam er wiederholt in die Küche und stellte irgendwelche unnötigen Fragen. Das tat er nur, um im Gespräch zu bleiben, denn niemand wollte ansprechen, was uns lähmte und zermürbte. Wir hofften, die Schwere unserer Herzen zu verscheuchen, wenn sie nur lange genug unausgesprochen bliebe. Es gab Zeiten, da hätte es uns überfordert, bestimmte Themen in ihrer Tiefe zu behandeln, das wussten wir. Dieser Tag jedenfalls verlangte uns schon alles ab, um wenigstens halbwegs normal funktionieren zu können. Mehr hätten wir nicht geschafft.

Nach dem Essen legten wir uns wortlos für die Siesta hin. Als ich erwachte, spürte ich Scheiße in mir, aber keine, die nach der Toilette verlangte; loslassen und fertig. Es war Scheiße, die meine Seele erdrückte. Ich bekam kaum Luft, es war, als steckten fünfzig Messer in mir. In meinem Hals schien eine große Walnuss quer zu liegen und jemand presste meine Lunge immer fester zusammen, so fühlte es sich an. Eindeutig, Leute, ich hatte eine verdammte Panikattacke. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass Liebe so zerstörerisch sein kann, unerfüllte Liebe zum nicht empfangenen Kind. Einen Abgrund wie diesen hatte ich zuvor noch nie erlebt.

Es war ein Gefühl des Erstickens, ein innerliches Verbrennen, das dich in die Knie zwingt, die Hände auf die Brust gedrückt, schreiend. Es nimmt dir jegliche Kraft, saugt dein Blut aus, vernichtet deinen Geist in Sekundenschnelle und dann deinen Körper. Mit der Redewendung ›aus Liebe sterben‹ (span. morir de amor) konnte ich nie etwas anfangen, bis ich am eigenen Leib erfuhr, was das bedeutete. Und ich versichere euch, seit dieser verdammten Sache wusste ich, dass ich Egars Hand nie loslassen würde. Mir war klar, niemand gibt sein Leben für nichts hin. Doch die Liebe ist launisch, täglich spielt sie mit dir eine Partie Karten und sobald du verlierst, bist du verdammt. Und ich war definitiv verdammt.

Ich hatte diese gebrochene Liebe lange Zeit gespürt. Es war wie eine Liebe, die ziellos in der Luft flog, etwas, das ich in mir hatte. Eine Energie, die ich verschenken musste und von der ich nicht wirklich wusste, was ich damit machen sollte. Ich fühlte die Mutterliebe in mir, diese bedingungslose Liebe, doch sie fand kein Ziel.

Bestimmt fragt ihr euch, warum wir beide dieses Thema so sehr mieden. Um ehrlich zu sein, wir waren schlichtweg zu jung, um uns mit dem Problem der Unfruchtbarkeit auseinanderzusetzen. Zunächst dachte ich, etwas Entspannung, weniger Stress genüge, und der Rest erledige sich von selbst. Ich hatte von Paaren gehört, die stillschweigend an ihrer Kinderlosigkeit litten. Dass wir beide aber einmal dazugehören würden, hatte ich nie geglaubt. Plötzlich stand eine Tür zwischen unserer Liebe. Und sie blieb verschlossen.

Wann wir das erste Mal ernsthaft darüber gesprochen haben, weiß ich gar nicht mehr, doch ganz deutlich kann ich mich daran erinnern, wie ich mich diesbezüglich fühlte: schuldig, sehr schuldig. Ich war mir bewusst, dass ich Egar nicht geben konnte, was er sich am meisten ersehnte. Die Ergebnisse der ersten Tests waren für Egar immer korrekt und lagen innerhalb der für sein Alter normalen Werte; bei mir dagegen … Nach jedem Test zeigten die Ergebnisse, dass mein Körper aus dem Gleichgewicht geraten war. Ich sage es nicht gern, aber unser Gynäkologe schien nicht die richtige Diagnose zu stellen. Er glaubte, dass wir in unserem Alter keine Behandlung benötigten und maß dem Prolaktinspiegel keine große Bedeutung bei. Als ich im Internet recherchierte, was das Einzige war, was ich zur Hand hatte, fand ich niemanden in der gleichen Situation wie ich und verbrachte Abende in den unterschiedlichsten Foren. Damals wusste ich, dass es eine Behandlung gab, um meinen Prolaktinwert zu kontrollieren. Ich habe einmal mit meinem Gynäkologen darüber gesprochen, aber er bestand darauf, dass meine Werte niedrig waren und ich keine Behandlung brauchte.

Ich war schon so frustriert und ratlos, dass ich einmal unter falschem Namen in den Chats mit den anderen Frauen diskutierte. Was ich dabei erfuhr, erstickte mich fast, so viel Unverständnis von Seiten der Medizin, aber auch der Angehörigen. Ich konnte nicht länger allein damit umgehen, musste mit Egar darüber sprechen. Ihn frustrierte die Situation ebenso, einige seiner Freunde hatten bereits Babys. Und wir? Doch wir sagten uns, alles läuft in Etappen ab: Diskotheken, Bekanntschaften, gemeinsame Abendessen in der neuen Wohnung, Hochzeit, dann die Kinder – der Kreislauf des Lebens, aber entspannt, ruhig, alles zu seiner Zeit.

Natürlich hatten wir auch Freunde, die ein ganz anderes Leben führten, ohne Kinder und vollauf glücklich. Es gibt kein Gleichmaß für den allgemeinen Lebensstil, auch keine Struktur, der man buchstabengetreu folgen müsste. Es gibt Milliarden verschiedene Lebensstile, aber wir beide hatten uns für einen bestimmten entschieden. Wir wollten Eltern werden, dieser Wunsch entsprang unseren Seelen.

Egar befand sich durch unser Problem in einer unbekannten Welt, sehr intim und schwierig. Er erlebte etwas, das in keiner Weise erklärt werden konnte, etwas, das auf uns speziell und niemand anderen zutraf. In einer unserer nächtlichen langen Unterhaltungen überlegten wir uns mögliche Perspektiven als Eltern. Da schlug ich ihm vor, doch mal an künstliche Befruchtung zu denken. »Natürlich nicht!« Er konnte sich das nicht vorstellen, noch weniger, ein Kind zu haben, das nicht seines sei. »Was heißt, nicht deines?!«

Es fällt mir sehr schwer, diese Phase unseres Lebens zu erklären, weil sie unsere Unreife, unsere Unkenntnisse hinsichtlich dieses Themas, unseren Egoismus, unsere Dummheit und den Mangel an Informationen aufzeigt. Die Welt war so groß und wir mussten sie erst noch entdecken.

Ihr werdet jetzt lesen, was bei einer künstlichen Befruchtung passiert, alles, worüber wir uns Gedanken gemacht haben und was wir dazulernen mussten. Während ich das jetzt beschreibe, empfinde ich Bedauern darüber, dass wir mit den Menschen, die dabei erwähnt werden, keinerlei Kontakte mehr pflegen, aber ich muss bei der Wahrheit bleiben und betonen, dass auch darin, wie in allem, letztendlich ein tieferer Sinn liegt.

Es gefiel mir nicht, dass Egar keinesfalls einer künstlichen Befruchtung zustimmen wollte. Ich fühlte mich von ihm unverstanden. Warum wollte er sich nicht einmal darüber informieren? Ich wusste, wie schlimm es für ihn war, womöglich keine Kinder bekommen zu können. Zu Beginn unserer Beziehung gefiel uns die Vorstellung, wie unsere Kinder wohl mal aussähen. Fasziniert überlegten wir, ob sie seine grünen Augen, meinen Mund, seinen athletischen Körper und meine Augenbrauen hätten. Bestimmt malen sich die meisten Verliebten so etwas aus. Es war wunderbar! Nun konnte ich seine Angst spüren, konnte ihn verstehen, denn uns lähmte die gleiche Sorge. Früher wussten wir nichts vom Leben, wussten nicht, dass durch künstliche Befruchtung das Baby von uns beiden stammte. Es wäre uns nie in den Sinn gekommen, über eine Entnahme meiner Eizellen, über Samenspende des Partners und die Einpflanzung der Embryos nachzudenken. Von all dem hatten wir keine Ahnung und dachten doch, wir wüssten alles: wie naiv!

Oft wollte ich mich aussprechen, mein bedrücktes Herz erleichtern, er aber reagierte nicht darauf, war wie eine unüberwindbare Wand, wenn es um unser Problem ging. Er wusste, dass es ihm wirklich schlecht ging und er konnte nicht verstehen, was er fühlte, konnte sich nicht ausdrücken. Dass er nicht darüber sprechen konnte, belastete ihn mindestens ebenso wie mich. Dann wieder ärgerte ich mich über sein Verhalten, fand, dass wir längst nicht mehr auf einer Wellenlänge waren. Nachts setzte ich mich an den Computer und flüchtete in meine Collagewelt der Fotos über glückliche Familien. Stunde um Stunde besänftigte ich damit meine Leere. Tränen liefen mir dabei still über die Wangen. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum gerade wir beide so weit von solch einem Familienglück entfernt sein mussten. Ich nutzte meine Seite Julietas Lächeln (span. La sonrisa de Julieta), doch falls ihr sie sucht, sie existiert nicht mehr. Als ich mehr als fünfzigtausend Follower hatte, schloss ich sie. Diese Tätigkeit erfüllte mich nicht mehr, aber das ist ein Thema für ein anderes Kapitel.