unlebbar - Franziska Streun - E-Book

unlebbar E-Book

Franziska Streun

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Beschreibung

Der 75-jährige Fred bricht in seiner Wohnung zusammen. Seine Nachbarin Nicole und ihr Sohn Leo finden ihn und alarmieren den Notarzt. Dieser verordnet dem Alleinstehenden Bettruhe, und Nicole übernimmt widerwillig die Aufgabe, regelmässig nach ihm zu schauen. Fred nutzt die Gelegenheit, sein Gewissen zu erleichtern. Doch Nicole hat mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen. Nach und nach realisiert sie, dass ihre traumatische Kindheit auf verhängnisvolle Weise mit Freds Vergangenheit verknüpft ist. Der Roman basiert auf wahren Begebenheiten. Die daraus konstruierte Handlung ist jedoch frei erfunden. Franziska Streun verbindet in «unlebbar» die jahrelangen Nachrecherchen zu ihrem 2013 erschienenen Buch «Mordfall Gyger – eine Spurensuche» über das Tötungsdelikt am 14-jährigen Beat Gyger im Jahr 1973 mit dem Schicksal einer Frau, die als Kind in dieser Zeit von Männern aus demselben Kreis missbraucht wurde. Mit ihrem verstörenden Kammerspiel gibt die Autorin all jenen eine Stimme, die Opfer schwerster Gewalt wurden und werden, ohne darüber reden zu können.

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Inhalt

Cover

Impressum

Titel

Einleitende Worte

Prolog

Fügung

Beichte

Läuterung

Nachwort der Autorin

Darüber reden ist ein Anfang

Dank

Über die Autorin

Über das Buch

Franziska Streun

unlebbar

Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur miteinem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

Autorin und Verlag danken für die Unterstützung:

© 2022 Zytglogge Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, BaselAlle Rechte vorbehaltenLektorat: Thomas GierlUmschlaggestaltung: Michael Streun

Franziska Streun

unlebbar

Roman

Sähe unser Auge die Seele des Menschen so sichtbar wie einen physischen Körper,wäre vieles anders.Sähe das Herz, dann erst recht.

Franziska Streun

für Nicole,

für Beat

und alle

Einleitende Worte

Der Roman «unlebbar» basiert auf zwei wahren Begebenheiten: zum einen auf dem Tötungsdelikt an Beat Gyger, das ich in meinem Buch «Mordfall Gyger – eine Spurensuche» recherchiert und verarbeitet habe, zum anderen auf einem Missbrauchsfall, in dem ein Mädchen (im Buch nenne ich sie «Nicole») von ihrer Familie gegen Geld Männern angeboten wurde.

Im Roman habe ich meine Recherchen und Nachrecherchen im Fall Gyger sowie die Geschichte und die Erinnerungen der Frau an ihre Vergangenheit teilweise verarbeitet und miteinander verbunden; trotzdem sind Personen und Handlung in «unlebbar» fiktional gestaltet. Zwar haben sich die Geschehnisse ereignet, doch die Geschichte könnte in jeder beliebigen Stadt oder Gemeinde und in jedem Land stattgefunden haben und wiederholt sich so oder ähnlich jeden Tag rund um den Globus.

Das zu wissen macht ohnmächtig und schmerzt. Doch zu schweigen, weder davon hören noch darüber sprechen oder schreiben zu wollen, verharmlost Gewalt und deckt, stützt und stärkt jene, die diese ausüben. Das ist der Grund, weshalb ich «unlebbar» geschrieben habe.

Prolog

In der Ferne heulen Sirenen. Irritiert schreckt Nicole vom Sofa hoch. Der schrille Ton wird lauter und eindringlicher. Sie eilt ans Fenster. Stella, ihre alte Schäferhündin, die bis vorhin auf dem kühlen Parkett im Flur gedöst hat, springt sofort auf und rennt zu ihr hin. Warnend knurrt sie ein paar Mal und setzt sich hechelnd neben sie.

Die Sonne drückt die Hitze an die Scheiben und ins Wohnzimmer. Durch die Blumenornamente im Vorhangstoff und die heruntergefahrenen Lamellen beobachtet sie, wie die Ambulanz vor dem Mehrfamilienhaus auf dem Bürgersteig mit einer Vollbremsung zum Stehen kommt. Die Sirenen verstummen. Endlich Stille. Zwei Sanitäter springen aus dem Wagen, reißen die Hecktüren auf und schultern rote Notfallrucksäcke mit gelben Streifen. Sie hasten an hellbraunen, ausgedörrten Rasenflächen vorbei und über die Steinplatten voller Unkraut zur Haustür.

Der Nachbar. Bis vor einer Viertelstunde saß sie noch neben ihm.

Sie dreht sich um und eilt durch den Flur, Stella läuft ihr nach. Sie presst ihr Ohr an die Haustür und hört die Männer durchs Treppenhaus hochrennen. Tritte hallen im Sekundentakt lauter zu ihr hin. Durch den Türspion späht sie zur gegenüberliegenden Wohnung ihres Nachbarn. Die beiden Sanitäter tauchen auf und klingeln ungeduldig. Zweimal, dreimal. Ohne noch länger zu warten, stoßen sie die angelehnte Tür auf und rennen hinein.

Sie wirft einen Blick auf ihre Uhr am Handgelenk. Viertel vor vier. Sie lässt sich mit dem Rücken am Türblatt entlang zu Boden sinken. Die Arme zwischen Brust und Oberschenkel eingeklemmt, das Gesicht in den Händen vergraben, zählt sie bis zehn und zurück, wieder bis zehn und zurück. Stella weicht keine Sekunde von ihrer Seite. Sie sitzt neben ihr und legt die feuchte Schnauze auf ihre nackten Knie. Die warme Luft, die ihre Hündin mit jedem Hecheln aus ihren Nasenlöchern stößt und die ihre verschwitzt-feuchte Haut streift, kitzelt sie.

Es ist alles gut, dich belastet keine Sünde, es ist seine Schuld, du bist unschuldig, redet sie sich zu.

Vom Treppenhaus her dringen keine Geräusche mehr zu ihr hinein. Langsam nimmt sie die Hände vom Gesicht. Sie richtet ihren Rücken auf und dehnt ihre Arme an der Haustür entlang nach oben. Dann streichelt sie Stella über den Kopf, die sich niedergelassen hat und ein wenig entfernt von ihr liegt. Sie streckt die Beine aus und schiebt sie zu ihrer Schäferhündin hinüber, bis ihre Haut das Fell berührt. Mit dem lebendigen Körperkontakt zu ihrem Liebling kann sie sich selbst wieder ganz spüren. Sie lächelt.

Der Hausarzt hat nun doch die Ambulanz gerufen. Vielleicht sind die Sanitäter ja noch rechtzeitig eingetroffen.

Ich musste gehen, sagt sie sich. Der Schweiß rinnt ihr in die Augen, der dünne Stoff ihres Kleides haftet an ihrer Haut. Mit steifen Gliedern steht sie auf. Stella erhebt sich mit ihr. Sie setzt einen Fuß vor den anderen. Vorbei am Badezimmer, das sie sonst verführerisch zu sich hineinzieht.

Zurück im Wohnzimmer lässt sich Nicole wieder aufs Sofa fallen. Sie winkelt die Beine an, senkt die Lider und wünscht sich Stille im Kopf. Der Doktor darf unter keinen Umständen wie der Notarzt bei ihr klingeln. Keinesfalls darf er fragen, wie es dem Nachbarn in den vergangenen drei Stunden ergangen ist.

Ob er ins Krankenhaus muss oder in seinem Bett in diesem Augenblick stirbt, spielt für sie keine Rolle.

Sie dreht sich zur Seite und nimmt die Fernbedienung zur Hand.

Fügung

«Beeil dich, Mama. Komm endlich. Musst du denn immer trödeln!»

Nicole hört Leo rufen. Die verzweifelte Stimme ihres Sohnes hallt ihr durch das Treppenhaus entgegen. Außergewöhnlich verunsichert, beinahe panisch – wo ihr vierzehneinhalbjähriger, pubertierend-halbstarker Sohn doch sonst peinlich darauf achtet, sich locker zu geben, und lieber schweigt, als sich mitzuteilen. Sogar Stella, ihre treue Schäferhündin, ist ihm trotz Hitze und wackeligen Beinen nachgerannt. Die drei Stoffbeutel voller Einkäufe hängen schwer an ihren Armen. Strähnen kleben an ihrer schweißnassen Stirn.

«Jaaaaa, Leo, ich bin gleich bei dir.»

Während sie nach Atem ringt, quält sie sich Schritt für Schritt nach oben. Bei ihrer Größe von nur knapp einem Meter fünfzig sind die Abstände zwischen den Stufen viel zu groß. Ein Glück wenigstens, dass sie eher untergewichtig ist und neben den Einkäufen keine überflüssigen Pfunde mit sich herumschleppen muss.

Und das erst recht an Tagen wie heute, wo sie am liebsten im Bett geblieben wäre. Weil es ein endloser Kampf ist, sich überhaupt aufzuraffen. Weil der heutige 16. Juli 2022 ein weiterer unerträglich heißer Sommertag ist. Weil der Krieg in der Ukraine viel Leid verursacht. Weil die Coronapandemie unheilvoll stumm ist. Weil ihr Sohn in den Urlaub fahren möchte. Weil sie sich vor der Zukunft fürchtet.

Heute ist einer jener Tage, an denen sie die Angst vor Panikattacken bereits beim Aufwachen lähmt.

Während sie Stufe um Stufe erklimmt, hört sie Leo oben auf dem Treppenabsatz ungeduldig mit den Füßen stampfen.

Er ruft: «Mam, wie lange brauchst du denn noch?»

Erst hat er sich vorhin geweigert, dir beim Tragen zu helfen, jetzt drängt er dich auch noch zur Eile, empört sich ihre innere Stimme. Dem Frieden zuliebe zwingt sie sich zu verständnisvoller Sanftmut: Immerhin ist er trotz der Hitze mit mir zum Einkaufen mitgegangen, tröstet sie sich. Bestimmt will er so rasch wie möglich essen, damit er sich im nur drei Fußminuten entfernten See abkühlen oder zu seinen Schulkameradinnen und -kameraden zum Flussbad inmitten der Stadt oder ins Schwimmbad am Stadtrand radeln oder – was sie allerdings verwünscht – sofort wieder am Computer spielen kann.

«Ma. Maaaamaaaaa!» Leos Stimme klingt noch drängender als zuvor. «Unser Nachbar ruft in seiner Wohnung die ganze Zeit um Hilfe! Immer wieder!»

Sie stellt die Tüten auf dem Zwischenboden für eine kurze Verschnaufpause ab. Ihr Herz pocht, ihr Puls rast. Ein hektischer Blick auf die Uhr lässt sie rechnen. Es ist gleich 12.30 Uhr. Die Nachrichten während des Kochens sind ihr heilig. Zittrig fährt sie sich durch die dünnen Strähnen.

«Hörst du ihn nicht? Mama, bist du nun obendrein noch taub, oder was? Jetzt beeil dich endlich!»

Gerät ihr Sohn etwa in Panik? Das macht ihr Angst. «Ich bin gleich da, Leo.» Den Schmerz durch das Gewicht der Taschen an ihren Fingern ignorierend packt sie die Schlaufen. Noch ein Stockwerk. «Ist seine Haustür offen?», japst sie ihm keuchend entgegen. Ihr ist, als würde ihr Herz gleich platzen.

«Nein, das Schloss ist verriegelt», antwortet Leo, nun fast verzweifelnd schreiend.

Sie möchte sich augenblicklich hinsetzen. Nie mehr aufstehen, nie mehr einkaufen, nie mehr erwachen.

Leo ist auf mich angewiesen, spornt sie sich an. Nun auch noch dieser Nachbar? Hätte ihr Sohn nur ihr Verbot, diesen Mann zu besuchen, befolgt. Dann wäre dieser Stress bestimmt jetzt anders, und ihm wäre dieser Herr von Gantern piepegal. Plötzlich droht das volle Gewicht des Augenblicks auf sie herabzustürzen. Die Mauern, das Licht, die Erwartungen. Der freie Fall. Das schwarze Loch.

Als sie von den letzten Stufen her zu Leo hochschaut, blickt er abwechselnd vorwurfsvoll zu ihr hin, dann wieder zur Haustür des Nachbarn, der auf derselben Etage ihnen gegenüber im dritten Stockwerk wohnt. Leos schulterlange Haare sind durcheinandergeraten. Die Haut im Gesicht ist gerötet und zeichnet sich von den hellbraunen Wellen ab, sein Arm zeigt auf die Klinke. Stella wedelt aufgeregt und weicht nicht von seiner Seite. Plötzlich bellt sie sogar, was außergewöhnlich ist.

Nun hört auch sie die Rufe des Nachbarn.

«Hilfe! Leo, lieber Junge, bist du es, der da draußen steht? Hol deine Mutter. Bitte, rasch!»

Sie findet diesen Fred von Gantern unausstehlich und abstoßend. Nie suchte sie den Kontakt mit ihm und ärgert sich jetzt darüber, dass Leo sich ihr widersetzt und sich trotz ihres Verbotes mit diesem Mann angefreundet hat – und es ihr misslungen ist, sich bei ihrem Sohn durchzusetzen.

Jetzt soll sie diesem eigenartigen Mann, mit dem Leo gestern Nachmittag auf dessen Geburtstag angestoßen hat, leibhaftig noch helfen. Diesem versnobten, überparfümierten und übertrieben charmanten Angeber, der für sich allein eine Viereinhalbzimmerwohnung bewohnt, wo doch viele Familien mit Kindern froh um ein größeres Zuhause wären. Sollen sich doch andere um den schreienden Nachbarn kümmern! Was soll sie nur tun?

Sie benötigt erneut eine Verschnaufpause und stellt die Taschen auf der letzten Treppenstufe ab.

Leo schüttelt den Kopf. Er hebt die Stirn und verdreht die Augen. «Was machst du jetzt?»

«Gib mir eine Sekunde, Leo.»

Innerlich versucht sie, sich auf den Nachbarn vorzubereiten. Normalerweise, wenn sie sich zufällig beim Briefkasten oder im Treppenhaus begegnen, hebt sie vielleicht gerade einmal den Kopf zum Gruß. Dann reagiert er stets mit beleidigtem Gesicht und zugleich augenzwinkernd und sagt in betont belehrendem Ton: «Mein Name ist auch heute von Gantern.» Sie bringt als Antwort jeweils ein besonders leises «Schönen Tag» über die Lippen und eilt davon. Und jedes Mal ist ihr danach übel.

Was für sie alles verschlimmert, ist, dass Leo seit einigen Monaten an diesem nach Alkohol und Rauch riechenden, aufdringlichen Nachbarn einen Narren gefressen hat. Das Wissen um die gelegentlichen Treffen der beiden zieht sie noch tiefer in den Abgrund.

Das Mädchen presst die Augen zu. Wieder zwingt dieser Mann es an der Tür zur Großmutter, eine scheußliche Flüssigkeit zu trinken. Schläfrig steigt es neben ihm die Treppen zum Auto hinunter. Die Hand des Mädchens verliert sich in der seinen. Er legt es auf die Rückbank und bedeckt es mit der modrigen und kratzigen Decke. Mit jeder Kurve wird es müder. Es lauscht dem Pfeifen des Chauffeurs.

Das Mädchen denkt an Großmutters Worte: «Du musst tapfer und artig sein!»

«Ist denn da niemand?», jammert der Nachbar.

Leo schreit sie an: «Auf was wartest du noch!»

Wortlos hebt sie die Einkäufe auf und redet sich zu. Nein, dir wird jetzt weder übel noch schwindlig. Alles ist gut.

Neben der Tür des Nachbarn lässt sie die prall gefüllten Beutel endgültig los. Die Finger sind vom Gewicht blutleer und steif gekrümmt.

Stella bellt und trippelt von einem Vorderbein aufs andere.

«So helft mir doch endlich.» Wieder der Nachbar.

Heftiger als beabsichtigt, schiebt sie Leo beiseite. Sie drückt ein Ohr an das Türblatt. Sie lauscht und fixiert dazu mit aufgesperrten Augen ihren Sohn.

«Herr von Gantern, was ist los?», fragt sie mit zittriger Stimme durch die Tür. «Hallo? Was sollen wir tun?»

«Einfach endlich irgendetwas!», hört sie den Nachbarn reklamieren. In ihren Ohren ein klägliches Winseln.

«Ich habe Sie verstanden. Doch Sie müssen schon den Schlüssel drehen, damit ich eintreten kann.» Ein dumpfer Aufprall lässt sie aufhorchen. Irritiert zuckt sie zurück.

Leo zwängt sich aufgeschreckt neben sie und poltert mit den Fäusten auf die geschlossene Tür.

Sie verscheucht ihren Sohn. «Geh ein paar Schritte zurück.»

Sie hört ein Keuchen. Dann ein paar Fluchwörter. Offenbar versucht der Mann, sich an der Klinke hochzuziehen. «Es geht unmöglich, den Schlüssel zu drehen. Viel zu anstrengend.» Er stöhnt. Bald darauf hört sie, wie Schlüssel zu Boden fallen. «Mir fehlt die Kraft.»

Stella dreht sich nervös um die eigene Achse. Dann stößt sie ihre Nase an die Tür. Durch die eingeengten Nasenflügel wird jeder ihrer Atemzüge zu einem gepressten Schnauben.

«Doch, doch, Sie schaffen es. Versuchen Sie es noch einmal!»

Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, wird endlich das Schloss geöffnet.

Schroff stößt Leo seine Mutter beiseite. Doch erst unter Einsatz seines ganzen Körpergewichts gelingt es ihm, die Tür zu bewegen. Als sie einen Spaltbreit offen ist, drängt sich Stella an ihrem Sohn vorbei und dringt in die Wohnung. Leo eilt gleich hinterher.

Dabei hätte sie doch als Erste reingehen wollen. Wer weiß, was sie drinnen erwartet. Sofort folgt sie den beiden in Herrn von Ganterns Wohnung.

Was Nicole sieht, ekelt sie an. Nur knapp kann sie den Impuls zu erbrechen unterdrücken.

Zusammengekrümmt wimmert der Nachbar seitwärts liegend auf den glänzenden Marmorplatten. Die Knie angewinkelt. Dem Weinen nahe. Aus den Augenwinkeln schielt er zu ihr hoch. Das Gesicht ist gerötet. Das bunte Kurzarmhemd und der pastellgrüne Seidenschal um den Hals haften zerknittert an ihm.

«Endlich!», murmelt er. «Mir ist so übel und es wird mir sofort schwarz vor den Augen, mein Herz rast.» Er schnappt nach Luft.

«Was war denn los? Ich rufe gleich den Hausarztnotdienst an. Oder vielleicht im Krankenhaus.»

Stella rennt um alle herum, hechelt und bellt. Sie stolpert sogar über die Beine des Nachbarn, knurrt und jault. Als sich Nicole nervös dazwischenzwängt, stolpert auch sie fast über ihre eigene Hündin. Stella hört nicht auf zu bellen.

«Stella, sitz! Ist ja gut!»

Mit halbem Ohr hört sie ihn erklären: «Wir feierten gestern bis in die frühen Morgenstunden hinein meinen Geburtstag, und ich erwachte spät, noch beduselt, und war auf dem Weg ins Wohnzimmer, um das Handy zu holen. Doch im Korridor wurde mir schwindlig. Im Kopf drehte sich alles, und ich bekam Brechreiz. Dann bin ich wohl ohnmächtig geworden und irgendwann später hier am Boden aufgewacht.»

Sein Geruch nach Angst, Parfum und Rauch widert sie an. Sie rollt die Augen und kniet sich widerwillig neben ihn hin. Sie sucht den Blick des Nachbarn, sein Körper zittert. «Ich friere», hört sie ihn flüstern.

Leo tigert hinter ihr unruhig hin und her. «Jetzt mach doch was!», herrscht er sie an und fährt sich ein paar Mal hintereinander durch die gewellten Haare.

Mit der Fingerspitze berührt sie die Halsschlagader des Nachbarn. Sein Puls schlägt schwach. Die dünne runzlige Haut ist heiß. Er wirkt auf sie verloren und hilflos. Trotzdem findet sie, dass er maßlos übertreibt. Schließlich liegt er weder im Sterben, noch ist er überfallen worden. Er hat zu viel gefeiert und gesoffen, das ist alles. Was soll das Gejammer, geht ihr durch den Kopf.

Trotzdem ist sie verunsichert. Ein Hitzestau? Hat er einfach zu wenig getrunken und ist nun verwirrt zu Boden gefallen? Oder hat er einen Schwächeanfall gehabt? Ist sein Kreislauf zusammengebrochen? War es ein Herzinfarkt? Ein leichter Schlaganfall? Was soll ich tun? Sofort den Notdienst rufen, richtig! Oder seinen Hausarzt? Wer wäre das überhaupt? Ihre Gedanken rasen, doch ihre innere Stimme begehrt auf: Lass ihn liegen! Er ist sicher selbst schuld an seiner Krise. Das ist eine Strafe.

Reiß dich zusammen, maßregelt sie sich.

Mit betont verständnisvollem Ton versucht sie, den Mann zu beruhigen: «Bleiben Sie am besten vorerst liegen, Herr von Gantern. Leo, hol doch bitte ein Kissen vom Sofa im Wohnzimmer und lege seinen Kopf darauf. Ich gehe telefonieren.»

Der Nachbar nickt und verzieht dazu das Gesicht, da er etwas von der Tür wegrobbt und versucht, sich entgegen ihres Ratschlags aufzusetzen.

Leo spurtet ins Wohnzimmer und kommt mit einem seidenen Kissen zu ihnen zurück. Neben ihr lässt er sich hastig auf die Knie fallen und stammelt: «Herr Fred, geht’s? Geht’s schon besser? Können Sie aufstehen?» Unbeholfen stützt ihr Sohn den Nachbarn bei dessen Versuch, sich aufzurichten.

«Ach herrje, mein Junge, ich schaffe es nicht. Wie peinlich.» Mit einem Seufzer gibt er auf und lässt stattdessen seinen Kopf auf die weiche Unterlage fallen.

«Mich friert», hört Nicole ihn wiederholen. Sie beobachtet, wie Leo sofort aufsteht, die erstbeste Jacke an der Garderobe schnappt und damit von Ganterns Oberkörper bedeckt.

Feiner Leinenstoff, braun meliert mit weißen Farbmischungen, für die lauen Sommerabende, wenn die Nacht die Luft abkühlt.

Aus den Zimmern wirft die Sonne gleißende Rechtecke in den Flur, von draußen dringt Kinderkreischen in das Wohnungsinnere. Sie bildet sich ein, dass das Geschehen in diesem Korridor lediglich eine absurde Theaterszene ist. Dass der Nachbar vom Boden aus ihren Sohn umarmt, weil er die Decke geholt hat. Dass er, während Leo ihn damit bedeckt, seine Arme fest um ihn schlingt und ihn zu sich hinunterzieht.

«Danke, Leo», hört sie ihn raunen. Seine Stimme holt Nicole in die Realität zurück. Irritiert beobachtet sie, wie er ihrem Sohn zublinzelt.

Leo schämt sich für seine Mutter. Nie geht sie unter Leute, stets prägt Angst alles, was sie tut oder sagt. Wer sonst auf der ganzen Welt hat eine Mutter, deren Lieblingsort das Badezimmer ist und die sich ständig übergibt? Die ewig zu Ärztinnen und Therapeuten rennt. Sie allein ist schuld an seinem gestörten Verhältnis zu Mädchen, protestieren seine Gedanken trotzig, während er es lächerlich findet, wie verkrampft sie neben dem Nachbarn am Boden kauert. Ohnehin ist allein sie schuld, dass er sich lieber in seinem Zimmer hinter dem Computer versteckt, statt mit seinen Schulkameraden unterwegs zu sein. Und natürlich genauso daran, dass er ihre Bitten ignoriert und so laut Musik hört, dass er sich zwangsläufig selbst Kopfhörer als Gehörschutz anziehen muss.

Auch jetzt benimmt sie sich wieder unmöglich, ärgert er sich und versucht, sie und die ganze Situation zu verstehen. Nie erzählt sie ihm, warum sie regelmäßig zu diesen Psychoheinis geht.

Nicole schmerzen die Knie. Sie rappelt sich auf die Beine hoch. Stella stellt sich sofort neben sie.

Sie versucht, ihre Gedanken zu ordnen. Während sie sich überlegt, was sie tun soll, haftet ihr Blick am Nachbar. Er liegt nach wie vor seitwärts im Korridor und nahe der Tür, den Kopf auf dem Kissen hochgelagert. Döst er? Fahrig rückt sie ihr Kleid zurecht. Mit dem Handrücken fährt sie sich über ihre verschwitzte Stirn.

«Sobald ich den Hausarzt oder Notdienst erreicht habe, komme ich zurück.»

Ihr bleibt nichts anderes übrig, als ihren Sohn in der Zwischenzeit bei diesem Mann zu lassen. Er muss über ihn wachen in diesem Zustand, obwohl er protestiert und in sein Zimmer möchte. «Mach schon, ich bin doch keine Krankenschwester!»

Leos weit aufgesperrte Augen werfen ihr Fragezeichen entgegen. Er starrt zu ihr hoch und wirft ihr einen erbosten Blick zu.

Sie starrt zurück.

Das Mädchen kennt die Villa. Sie befindet sich am See, umgeben von einem parkähnlichen Garten mit hohen Bäumen und buschigen Sträuchern. Sie verhindern die Sicht auf das Anwesen. Eine hohe Mauer schirmt das riesige Gebäude von der Straße her ab. In einem der Nebengebäude steigen sie jeweils in das Untergeschoss.

Allzu bekannt sind dem Mädchen die Einfahrt, der gepflasterte Holperweg, die große Hand des Chauffeurs.

Leo sitzt unverändert am Boden. Sein Rücken ist an die dunkelgrüne Tapete voller goldener Ornamente gelehnt. Der Nachbar döst mit angewinkelten Beinen neben ihm, ein Arm unter dem Kissen, den anderen unter der Jacke. Die Vertrautheit zwischen den beiden irritiert Nicole.

Sie dreht sich ab. «Komm, Stella», sagt sie, streichelt ihrer Schäferhündin über den Kopf und setzt sich in Bewegung. «Ich rufe jetzt einen Notarzt herbei, und sobald ich die Einkäufe eingeräumt habe, komme ich wieder.»

Sicherheitshalber lässt sie die Haustür des Nachbarn weit geöffnet. «So dringt ein wenig kühle Luft aus dem Treppenhaus zu euch hinein», erklärt sie ihrem Sohn über die Schulter. Den wahren Beweggrund behält sie für sich. Sie will von ihrer Wohnung durch den Türspion jederzeit freie Sicht auf die beiden haben.

Sie hebt die drei Beutel auf, stellt sie vor ihrer Tür wieder hin und lauscht, ob sie Stimmen aus dem Flur des Nachbarn hört. Stille. Vorsichtig steckt sie den Schlüssel ins Schloss, dreht ihn langsam um und öffnet ihre Wohnung. Stella eilt ihr voraus in den Korridor. Mit den Taschen in den Händen tritt sie ein und stößt die Tür mit dem Ellbogen zu. In der Küche lässt sie die Taschen erschöpft auf den Boden sinken.

Neben dem Spülbecken türmt sich das schmutzige Geschirr. Rechts und links davon liegen Tüten mit Chips und Abfallresten, auf einem Teller daneben noch zwei Scheiben Brot mit Butter und Konfitüre vom Frühstück.

Fahrig sucht sie in ihrer Handtasche nach dem Smartphone. Sie legt es auf den Tisch und reißt das Fenster auf. Heiße Luft drückt ihr entgegen.

Sie gießt sich ein Glas Wasser ein und setzt sich mit einem tiefen Seufzer hin. Draußen quietschen und planschen die Kinder auf dem Spielplatz in aufblasbaren Becken, welche die Mütter mit Wasser gefüllt haben.

Einer Sphinx ähnlich lässt sich Stella auf dem Küchenboden nieder. Hechelnd schaut sie zu ihr hoch. Dazu schlägt sie mit ihrem kräftigen Schwanz ein paar Mal auf den Boden.

«Bei dieser Hitze würdest du deine Pfoten lieber im Wasser abkühlen, statt mit mir beim Nachbarn zu wachen, da bin ich sicher.»

Nicole hadert. Ich sollte endlich den Notdienst anrufen, mahnt sie sich. Oder einfach einen Arzt, der gerade erreichbar ist. Was ist, wenn der Nachbar in der Zwischenzeit stirbt? Einen erneuten Zusammenbruch erleidet? Gar einen zweiten Infarkt oder Schlaganfall? Und das auch noch mit ihrem Sohn als Zeugen! Sie schafft es kaum, die Arme zu heben und das Handy in die Hand zu nehmen. Ihr surrender Kopf verweigert ihr den Befehl. Gedankenkarussell. Freier Fall. Ins Bett kriechen. Der Wunsch, Albträume auszuradieren. Wozu bin ich noch hier? Die Todessehnsucht brüllt ihr zu. Sie würde zwar schon gerne leben. Aber anders. Sich unbeschwert fühlen. Angstfrei sein.

Du solltest die Küche aufräumen und die Jalousien nach unten kurbeln, du bist schlampig! Die fremde Stimme in ihr meldet sich wieder.

Sie steht auf, schließt das Fenster, nimmt das Smartphone in die Hand und überlegt, wen sie anrufen soll. Den Hausarztpikett? Sie wählt den Notdienst.

Fred lässt seinen Kopf auf dem verschwitzten Kissen ruhen. Er will sicherheitshalber bis zum Eintreffen eines Doktors liegen bleiben und ist froh, dass Leo geblieben ist. Es scheint ihm bequem zu sein, wie er stumm im Schneidersitz neben ihm auf dem Steinboden sitzt. Es freut ihn, dass der Junge um ihn besorgt ist.

Ihm ist abwechselnd schlecht und schwummrig, dann wieder heiß und frostig. Sobald er den Kopf heben will, dreht sich alles um ihn herum. An Aufstehen ist nicht zu denken. Wo bleibt nur die Ambulanz?

«Ich will leben, Leo», murmelt er. «Eine Strafe kann entsetzlich sein. Glaub mir, Leo. Geheimnisse aus der Vergangenheit können zu erdrückend werden. Du wirst dich eines Tages noch an meine Worte erinnern. Langsam komme ich in die alten Tage. Mein Herz ist müde. Ich frage mich, ob ich es ab jetzt geruhsamer angehen soll. So, wie es normale Rentner tun. Doch du weißt, mein Lieber, wie sehr ich Glamour und schöne Dinge liebe. Romantische Filme, guten Wein, dicke Zigarren und Freunde wie dich. Wenn ich diese Misere hier überlebe, werde ich über meine Zukunft nachdenken.»

Fred verschweigt dem Nachbarsjungen, dass dieser ihm schließlich zum Verhängnis geworden ist. Leo erinnerte ihn vom ersten Augenblick an Christian, seinen blond gelockten Liebling. Das war vor gut einem Jahr gewesen. Als die Frau mit ihrem pubertierend-rebellischen Jüngling in die Wohnung nebenan einzog, rief der in ihm das schlechte Gewissen wach. Immer mehr sah er sich zurückversetzt, wie er damals den Dreizehnjährigen verführt hatte und sich auch die Männer aus seinem Kreis gerne mit dem vorwitzigen Bengel ihre Fantasien befriedigt hatten. Wie schlitzohrig der Frechdachs im Slip vor ihnen rumgetanzt und mit einem süffisanten Lächeln seine Show vor ihnen abgezogen hatte. Wie der Blondschopf sie gekonnt gereizt und sich ihnen gegenüber in diesem Moment stark, reif und begehrenswert gegeben hatte. Nie hätte er Leo anvertraut, dass er leidet, wenn er ihn pfeifend im Treppenhaus hört, und dass er sich ans Fenster stellt, wenn er mit Schulkameraden auf dem Bürgersteig vor dem Haus plaudert.

Fred atmet schwer und schließt die Augen. Ihm wäre wohler, wenn Leo aus seinem Blickfeld verschwinden würde. Wo bleibt bloß seine verdammte Mutter?

Leo harrt neben dem Nachbarn im schwülen Korridor aus. Das T-Shirt klebt unangenehm an seiner Haut. Die Hitze. Er denkt an seine Kameraden. Bestimmt übertrumpfen sie sich gegenseitig mit ihren Sprüngen vom Turm, um die Mädchen am Rand des Schwimmbeckens zu beeindrucken.

Was soll er nur mit Herrn von Gantern reden? Überhaupt, was wird jetzt geschehen und wann wird die Mutter zurückkehren? Wieso hat sie ihm befohlen, bei ihm warten zu müssen? Sie weiß doch, dass er sein Handy ihr zuliebe im Zimmer gelassen hat!

Um sich die Zeit zu vertreiben, folgen seine Augen den Linien der Ornamente auf der Tapete, wandern dann wieder zum Nachbarn neben ihm. Wie er da hilflos liegt, sieht er in ihm einen kindlichen Greis und denkt an seine gelegentlichen Besuche bei ihm zurück. Diesem Mann, dem er vertraut und der ihm trotzdem fremd ist. Wie kleine Jungs liefern sie sich jeweils im Wohnzimmer in der flauschigen Sofalandschaft Kissenschlachten. Meistens schauen sie sich danach zusammen einen seiner Filme aus alten Zeiten an. Ständig kommentiert er dazu die Szenen. Dass er in jenen Zeiten einen Mercedes gefahren habe. Dass ihn einer seiner Freunde zu sich in einen ähnlichen Pool eingeladen habe. Oder er servierte ihm einen viel zu süßen Limonaden-Cocktail, den er eigens für ihn in der Küche mit Eiswürfeln gemixt hatte.

Leo findet Herrn von Gantern eigentlich aufregend und unterhaltsam. Er ist für ihn neben seiner ewig besorgten, unberechenbaren und zurückgezogenen Mutter und der ätzenden Schule eine willkommene Abwechslung. Zudem macht ihn der Alte neugierig auf das Leben eines Erwachsenen. Innerhalb kurzer Zeit ist er ihm ein väterlicher Freund geworden, der ihm das Gefühl gibt, etwas Besonderes zu sein. Wenn er in Form ist, weiß er endlos abenteuerliche Geschichten aus der Vergangenheit zu erzählen, von Fahrten in Cabriolets, Übernachtungen im Gartenhäuschen eines Freundes, Trinkgelagen rund um ein Feuer am Strand, Pokerspielen in Casinos, Theaterbesuchen in Berlin, in Paris und in Cannes.

Doch jetzt?

Er bringt kein Wort über die Lippen und schaut durch die weit geöffnete Tür in das Treppenhaus zur eigenen Wohnungstür hin. Er könnte laut herausschreien, weil ihn seine Mutter einmal mehr viel zu lange allein lässt.

Fred schielt vom Kissen her zu Leo hin. Er spürt seine Unsicherheit. Und schämt sich, wie er da am Boden liegt. Dass er ihn in dieser hilflosen Position sieht. Aber genauso dafür, dass er sich von diesem Jüngling noch immer angezogen fühlt. Dass es ihm ein Zwang ist, ihn zu bezirzen, und es ihm guttut, dass ihn der Teenager bewundert. In seiner Nähe fühlt er sich wieder alterslos und trotz seiner erschlafften Haut attraktiv.

Doch schließlich, besänftigt sich Fred in seinem inneren Dialog, sind es immer die Jugendlichen selbst, die es darauf anlegen, Männer wie ihn zu verführen. Sie genießen ihre Macht und wollen sich überlegen fühlen und mit Geld Dinge kaufen, die sich andere in der Schulklasse kaum jemals leisten können.

Leos jugendlich-pubertäre Unbeschwertheit hat nach mittlerweile fast fünf Jahrzehnten diese alte Sache doch wieder hochkommen lassen, wie sein Zusammenbruch beweist. Jetzt, da er verunsichert am Boden liegt, drängt es Fred, nach all den Jahren sein Schweigen endlich zu brechen und sich vor dem Tod von der Last des Wissens zu befreien. Aber sich jemandem anvertrauen? Niemals! Wem? Keinesfalls Leo, der schweigend neben ihm sitzt und unverkennbar seine Mutter herbeisehnt.

Die Sekunde wird zur Minute, die Minute zur Ewigkeit. Kaum bewegt er den Kopf, wird ihm schwindlig. Der Puls rast, manchmal pochend, manchmal leiser. Wann endlich kommt der Notarzt, fragt er sich. Ich sterbe, geht ihm durch den Kopf. Das ist die Strafe. Jetzt muss ich für mein Verhalten büßen. Er senkt die Lider.

Zum ersten Mal weiß er dem Jungen nichts zu erzählen.

Müde drückt er seinen Kopf ins Kissen und schiebt die Jacke ein wenig nach unten. Die Hitze ist unerträglich. Trotzdem friert er.

Leo streckt die Beine aus, winkelt sie wieder an, schiebt sie wieder nach vorn. Hätte er sich nur nicht von seiner Mutter überreden lassen, sie vor dem Schwimmen zum Einkaufen zu begleiten. Dann wäre er jetzt bereits bei seinen Schulfreunden.