Unter Uns - Gabriele Schienmann - E-Book

Unter Uns E-Book

Gabriele Schienmann

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Beschreibung

Gabriele Schienmann nimmt uns mit auf eine Reise durch das Abenteuer Leben. Sie lässt ordentlich die Wortmuskeln spielen in ihren spöttelnd-ironischen Ausführungen zu allgemeiner Weltlage, über das Gestern und Heute, das Geben und Nehmen, das Auf und Ab des Daseins, aber auch in liebevollen Betrachtungen zur Familie. Dabei erzählt sie sowohl Sonnenscheingeschichten als auch über „gebrauchte Tage“. Ihr Fazit: mit Humor ist vieles leichter zu bewältigen. Und wenn Tränen stramm in der Warteschleife stehen und die Seele Schnupfen hat - es schlüpfen auch wieder Glitzerfäden ins Gemüt, und unser breites Lächeln lässt Zahnfüllungen schmelzen.

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Seitenzahl: 188

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Gabriele Schienmann

Unter uns

Geschichten aus dem Leben

Bibliografische Informationen der Deutschen Bibliothek:- Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte Dateien sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Impressum:

© Verlag Kern GmbH, Ilmenau

© Inhaltliche Rechte beim Autor

1. Auflage, März 2024

Autorin: Gabriele Schienmann

Layout/Satz: Brigitte Winkler

Bildquellen:

Cover: Pixabay

Seite: 14, 38, 59, 66, 70, 82, 91, 113, 130, 138, 152, 156, 165, 170, 178, 188, 197, 208, 213: Pixabay

Seite 205: privat

Seite 216, 217: Lore Schienmann

Lektorat: Heike Funke

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Sprache: deutsch

ISBN: 978-3-95716-384-4

ISBN E-Book: 978-3-95716-405-6

www.verlag-kern.de

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Übersetzung, Entnahme von Abbildungen, Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, Speicherung in DV-Systemen oder auf elektronischen Datenträgern sowie die Bereitstellung der Inhalte im Internet oder anderen Kommunikationsträgern ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags auch bei nur auszugsweiser Verwendung strafbar.

Inhalt

So etwas wie ein Vorwort …

Rückschau Wendezeit

Wendenovember 1989 Spaziergang am Ku’damm

Einführung in den Westen durch meine Eltern

Mein Verhältnis zum KaDeWe

Meine Fettnäpfchen Abenteuertour Hamburg

Hallo, Selbständigkeit ab Wende!

1. Beginn Ich wollte es noch mal wissen …!

2. Büroeinweihung

3. Fortbildung

Kelleraktion und Nostalgiebetrachtungen

Geliebter Trabi

Disco-Fieber

Ost-Miederhose zur Wendezeit

Worte und Bücher

„Andocken“

Frühlingsbetrachtungen

Gartengeschichte Immer Ärger mit dem Maulwurf

Meine Gedanken zur Klimarettung

Frauentag

Reise-Potpourri

Mein Körper und ich

Ach, Brüssel …

Indianer, Gendern, KI und anderes

Briefe – Vergangen, aber unvergessen Käthe und Lorsche

Cousinen-Telefonate

Telefonat – Erinnerung an Hans

Meine Mutti – Abschied im Friedwald

Die neue Generation

Janos

Gedicht für die Uroma

Gedicht für die Oma

Walprojekt Teneriffa

Luca

Lucas Traum

Lore

Schlussbemerkung

So etwas wie ein Vorwort …

Warum ist Schreiben für mich so wertvoll und wichtig? Hm! Ich setze mal zu einem Erklärungsversuch an.

Jeder Mensch benötigt ein Ventil, um zufrieden zu sein. Damit meine ich nicht die vielen Dinge, die eventuell mit einer Berufstätigkeit im Zusammenhang stehen, sondern ein Hobby, das selbsterfüllend ist, Spaß macht und im Idealfall auch Dritten Freude bringt.

Sportliche Aktivitäten fallen bei mir schon mal weg. Ich bin ein fauler Hund – sorry, genderkorrekte Bezeichnung: „Hündin“. Zwar laufe ich gern regelmäßig durch die Natur, aber gemäßigten Schrittes und nur ab und zu mit Walking-Stöcken bewaffnet. Nur nicht schweißtriefend joggen und dabei stinken wie ein Moschusochse. Da mein Mann und ich aber täglich unsere sechs- bis zehntausend Schritte schaffen, finde ich meine Leistung akzeptabel und fühle mich auch noch wohl dabei. Und darum geht’s doch, oder? Wenn ich einen Pool zur Verfügung hätte, wäre regelmäßiges Schwimmen gleichfalls eine Option. Im Urlaub nutze ich das Nass mit Begeisterung. Aber ins nächste Spaßbad fahren, sich umständlich umziehen, mich mit den Massen im Wasser amüsieren, verrückten Beckenspringern ausweichen, um anschließend wieder umständlich Haare zu trocknen, in verkeimten Bädern das stinkende Chlor abzuduschen und, und, und – ach, nee!

Setze ich mich aber an meinen Laptop und schreibe meine Kinderbücher und kleinen Kurzgeschichten, bin ich entspannt und mit mir im Reinen.Ich liebe mein Hobby. Wenn ich die fertigen Bücher in Händen halte, bin ich total stolz und happy, und noch glücklicher macht es mich, wenn die Zuhörer bei meinen Lesungen, ob Jung oder Alt, zufrieden und interessiert zuhören, wir uns anschließend über unser unterschiedlich-pralles Leben austauschen – und vor allem gemeinsam lachen.

Jeder Mensch, gerade auch ein älteres Modell, braucht einen Rückzugsort und Aufgaben ohne Wenn und Aber, ohne äußere Einmischung und fern von nervigen Ge- und Verboten – halt ein Loslegen aus eigener Entscheidung und mit viel Freude. Und es macht Spaß, mit seinen Wortmuskeln zu spielen und den ollen Kopp auf die ganz eigene höchstpersönliche Weise in Stellung zu bringen.

Mit zunehmendem Alter nehmen Wortfindungsstörungen zu, aber wenn ich den Inhalt meiner Fantasie ordentlich in meinen Computer füttern möchte, malträtiere ich meine träge Denkmurmel so lange, bis mich das Ergebnis zufriedenstellt. Aber Obacht! Die verfluchte Denkmaschine versucht auch ständig, Herz und Bauch zu kontrollieren, und das ist oft gesundheitsschädigend. Daher bestimme ich selbst die Dauer meiner niederzulegenden literarischen Ergüsse. Ja, eine kreative Auszeit ist für mich lebenswichtig. Übermäßigen Nachrichtenterror verkneife ich mir immer öfter. Auch kann ich das Gehaspel unserer Politiker nicht mehr hören – ständig dieses „Wir sind auf gutem Weg“ heißt doch in der Übersetzung nur: Es dauert lange. Wo bleibt endlich sofortige konsequente Lösung? Daher vermeide ich auch Talkshows. Krieg in Europa, Weltklima kippt, nicht endende Bildungsmisere, marode Schulen, abstruse Begründungen für Inflation und damit ständig steigende Preise und, und, und. Negativschlagzeilen zermürben das Hirn, Überreizung der Nerven auf TikTok und Co. ist Programm – gerade Letzteres ist eine Zumutung unserer Zeit.

Leider ist es nachvollziehbar, dass eine bisher nicht im Fokus der Menschen stehende Partei im Moment bei etlichen Menschen punktet; das ist allerdings der falsche Weg, denn bei genauem Hinsehen gibt’s hier auch keine realistischen Pläne zur Umsetzung dringend erforderlicher Aufgaben. Einige Worthülsen gleichen leider geistiger Brandstiftung und stärken ultrarechte Ansichten. Ich war und bin seit jeher Brecht-Fan, und seine Warnung „Dass keiner von uns zu früh da triumphiert; der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!“ ist aktueller denn je. Rechtsextreme Gewalt in Deutschland, wie in Mölln, Solingen, Rostock und Hoyerswerda sollten uns die Augen geöffnet haben und Vorsicht walten lassen. Manches Herz hat erschreckend große Löcher, sodass man förmlich hören kann, wie der Wind durchpfeift. Das rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren, hat Priorität. Ein überfällig zu fassender Beschluss zur Änderung der Asylpolitik steht kurz vor der Neuordnung, denn gerade auch die unbefriedigende Migrationspolitik lässt manchen Wähler in die falsche Richtung schauen. Uns überrollenden flachen Fernsehkitsch lasse ich auch aus. Da wird gebuhlt und geschmachtet, bis sich „die Kühe selbst melken“. Zum Glück kann die Flimmerkiste ausbleiben, sonst würde ich peu à peu zur strunzblöden Ziege und würde es nicht mal merken. Nö, ich nehme lieber meinen Laptop und lege los, gerade auch bei auftretender seniler Bettflucht.

Eigentlich brauche ich nur vor die Tür zu treten, und schon gibt es Dinge, die man beleuchten, beschreiben, loben und bemeckern kann, und auch berührende wundervolle Begegnungen, die es wert sind, sie niederzuschreiben und die gern geteilt werden.

Betrachtungen sind generell subjektiver Natur: Der Inhalt von Büchern und literarische Umsetzungen sind reine Geschmacksache. Wenn Kritiker Romane zerreißen und als Schund klassifizieren, heißt das nicht viel, denn man macht sich selbst ein Bild, hat Vorlieben für entweder einfache oder intellektuell hoch komplizierte Sprache; der Buchmarkt ist voll Konkurrenz und von verschiedenster Couleur – gut so, denn wir Menschlein sind auch unterschiedlichen Naturells; für jeden Topf findet sich der passende Deckel. Das gilt auch für die Wahl einer Buchlektüre.

Also, lass ich mein Gedankenkarussell weiter kreisen! Und der Wunsch wiederholt sich, kleine Begebenheiten – ob fröhlich oder traurig – aus dem prall gefüllten Leben mit euch, meinen Lesern, zu teilen. Ja, wir leben vorwärts, verstehen aber rückwärts. Also – Stifte gespitzt bzw. Laptop aufgeklappt – nichts wird aufgeschoben – das Leben ist zu kurz. Unser Motto: Wenn ich etwas tun will, mache ich’s, wenn ich etwas sagen will, sage ich’s: Geschichten und Gedichte, die beweisen, dass nicht die Jahre eines Lebens zählen, sondern das Leben in diesen Jahren. Wir alle haben keine Generalprobe für unser Dasein. Tapfer haben wir uns der jeweiligen Situation gestellt und sie gemeistert – naturgemäß nicht perfekt, ganz klar. Aber an übertriebener Perfektion zu basteln, wird ohnehin überschätzt und bringt nur unser empfindliches Seelenkostüm durcheinander.

In diesem kleinen Band sind nicht nur Sonnenscheingeschichten enthalten, logisch. Wir sollten nicht weinen, weil es vorbei ist, sondern lächeln, weil es oft schön war. Das sollte sich in unserer Sprache ausdrücken. Lass sie schlicht sein, Gefühle transportieren – und Erinnerungen werden authentisch und schnörkellos.

Kein Gegockel und übertriebenes Pathosgeschwafel – das wird uns oft genug vorgelebt von Menschen, deren Klingelschild länger ist als unseres, die aber von ihrer Wertigkeit nicht über uns stehen. Wer möchte schon hinter jemandem ein Ausrufezeichen machen, der hinter uns nur ein Komma macht? Das lassen wir doch schön bleiben, oder?!

Ich habe mich in Lyrik versucht, aber ich kann damit nix anfangen. Sie ist für mich ein ewiges Herumgeeiere und hat keine klaren Aussagen. Ach, nö!

Wenn ich erst die Bedeutung durchgeistigt lyrischer Worte übersetzen muss, bin ich nur genervt. „Schuster, bleib bei deinen Leisten“, jedenfalls entscheide ich das für mich und bleibe brav bei meiner bisherigen Textgestaltung.

Unsere Zeit ist nicht leicht, aber das war sie vorher auch nicht. Wie oft mussten wir vor Aufregung in Tüten atmen, um uns wieder zu beruhigen; und so ist es heute noch. „Gebrauchte“ Tage wird es immer geben. Wenn die Seele Schnupfen hat, lassen wir die Trauer zu und tun uns furchtbar leid. Das ist nur menschlich und in Ordnung. Glitzerfäden im Nervenkostüm stehen in der Warteschleife und unser Lächeln lässt bald wieder Zahnfüllungen schmelzen.

Gemessen am Leid der Welt geht es uns doch heute hier gut. Geben und nehmen, hoch und runter – das ist das Abenteuer Leben. Und einen ganz kleinen Teil davon findet ihr in meinen nachfolgenden Betrachtungen und Geschichten.

Besonders freue ich mich, dass meine drei Enkelkinder in meine bescheidenen Fußstapfen treten. Dieser Band enthält einige Texte von unseren Jüngsten der Familie, und ich bin megastolz auf sie!

(Hoffentlich) viel Spaß am Schmökern wünscht euch Gabriele Schienmann

Rückschau Wendezeit

„Heute ist das Morgen, über das ich mir gestern den Kopf zerbrach.“

Ich weiß nicht mehr, von wem ich diesen Spruch habe, aber ich finde ihn sehr passend.

Jeder hat seine eigene Geschichte zu erzählen, die für andere vielleicht langweilig und unbedeutend ist.

Sofern man keine Schlagzeilen macht und keine weltbewegenden Dinge tut, findet man kaum Resonanz.

Ich versuche es trotzdem mit kleinen, humorigen Begebenheiten, die sich fest eingeprägt haben und die naturgemäß im Laufe der Jahre immer deutlicher zutage treten.

Es ist nun bereits 34 Jahre her, dass die Mauer fiel, aber die Erinnerungen bleiben.

Wendenovember 1989 Spaziergang am Ku’damm

Die politische und soziale Situation stand bereits länger auf Sturm, aber niemand der Familie – und wir haben wahrlich „Durchdenker“ in der Sippe! – kam auf die Idee, dass mit einem Schlag Ernst gemacht werden würde. Die Mauer fiel! Schabowski verkündete die Maueröffnung, während unser Fernsehgerät pausierte. Laut Kommentar meiner Freundin kam sein Lächeln dabei wie ein Blitz aus heiterem Himmel und war so warm wie eine Fürst-Pückler-Torte. Erst am Morgen danach schlüpfte unsere Sippe aus dem Mustopf der Erkenntnis.

Die Begeisterung hielt sich erstaunlicherweise zunächst in Grenzen. Bei mir sowieso, da sich bei sehr abrupt veränderten Situationen mein Schalter zum Kleinhirn nur äußerst bedächtig umlegt.

Als ich die Tragweite dessen endlich geschnallt hatte, dachte ich zu meiner Schande lediglich an den Aspekt freier Reisetätigkeit, sprich, anspruchsvolle Tour von Ost- nach Westberlin. Das war am naheliegendsten und zunächst begreiflich.

Aber dieser Trip sollte auch erst geruhsame zwei Wochen nach Grenzöffnung vollzogen werden. Wir waren spät dran, denn die Grenzübergänge waren bis dato von meinen DDR-Mitbewohnern längst ekstatisch erstürmt worden.

Für meine sehr jungen Töchter war die ganze Aufregung ohnehin recht nebensächlich und die allgemeine Euphorie nicht recht klar.

Die in der Schule vermittelte Marxsche Ideologie hatte noch nicht ihr gesamtes Wesen erfasst, und sie waren lediglich erfreut über die Aussicht, einen Blick in den kapitalistischen Westen zu erhaschen, sprich, einige D-Mark in Naschereien oder Spielwaren umzusetzen. Also reihten wir uns ein in die Warteschlange der Bank, gestählt im Anstehen und gewöhnt an Wurzelschlagen, und erhielten – Hossa! – das willkommene Geschenk des Westens: den Begrüßungshunderter. Was für ein unvergleichliches Lusterlebnis.

Im Übrigen nicht nur bei mir. Die Mundwinkel sämtlicher Wende-Skeptiker, die noch Opfer der Schwerkraft waren, schnellten nach Erhalt des Hunderters gleich einem freundlichen Smiley, in Richtung Jochbein. Welche Freude!

Ich denke mit gemischten Gefühlen, aber auch mit Grienen an unseren ersten gemeinsamen Spaziergang im Westen zurück.

„Gang“ trifft’s eigentlich nicht richtig, denn etwa 1.000 Meter Kurfürstendamm konnten wir dank der Menschenmassen nur in Trippelschritten absolvieren, oft auf Zehenspitzen gestellt, um wenigstens einige Blicke auf die Dächer der avantgardistischen Prachtbauten zu erhaschen. Ich kam mir dabei vor wie eine übergewichtige Ballerina, deren ungewohnte Fußbekleidung ihre Aufgabe nicht erfüllen konnte.

Auch vom berühmten Café Kranzler konnte ich leider an diesem Tag nicht den eigentlichen Anziehungspunkt, die „Rampe“, sehen, die angeblich eines der Wahrzeichen der City West sein sollte. Das sollte sich später nachholen lassen. Aber inzwischen gibt’s das berühmte Café nicht mehr, es musste gnadenlos anderen Gebäuden weichen – schade!

Also, zunächst in Trance freudiger Erregung, die aber nach Stunden schneckenähnlicher Schritte sichtlich genervt abnahm, überkam mich ein massives Heimatgefühl. Ich wollte nur noch nach Hause. Das setzten wir auch in die Tat um, allerdings erst nach erfolgreicher Erbeutung der Objekte der Begierde.

Noch heute muss ich liebevoll schmunzeln, wenn ich an die allerersten Einkäufe meiner Mädels denke.

Trotz unseres unverhofften und gefühlt unermesslichen Reichtums und der Ermunterung an meine Töchter, sich auszuwählen, was auch immer sie mögen, wurden sie wie folgt fündig:

Meine Große wählte mit Bedacht ein Netz mit bunten Paprikaschoten – rote, gelbe, grüne Frucht – und war hocherfreut. Und mein Nesthäkchen drückte ein mittelfingergroßes Babyfläschchen, in welchem ein ebenso winziges Püppchen saß, innig an ihre Brust und war glücklich.

Meine Güte – was habe ich für bescheidene Kinder!

Ich selbst war scharf auf meinen ersten Labello und gehe seither nie ohne einen überlebensnotwendigen Fettstift aus dem Haus, getreu dem Motto: An meinen Mund lasse ich nur Wasser und Lippenpomade!

Das war mein direkter Erstkontakt mit dem Westen.

Einführung in den Westen durch meine Eltern

Chinesisches Essen – ich komme!

Meine Eltern nahmen das Jahrhundertereignis unterschiedlich auf.

Sowohl mein Vater als auch meine Mutter waren bereits Kenner der Szene.

Mein Vater hatte etliche Jahre beruflich im Westen zu tun und meine Mutter war eifrige Grenzgängerin seit ihrem 60. Lebensjahr.

Wir waren daher bereits einige Jährchen zuvor zufriedene Nutznießer von Mitbringseln jeglicher Art – allein der Geruch, der Geschmack, die Farben … Ob Lebensmittel, Kleidung oder Drogerieartikel, alles wurde freudig und äußerst dankbar entgegengenommen.

Für meinen den Sozialismus bejahenden, politisch hochgebildeten Vater war die Wende generell ein Schock. Die Welt geriet aus den Fugen und es begannen schlaflose Nächte und gesundheitliche Probleme. Meine Mutter war bereits Rentnerin, und bar etwa auftretender beruflicher Handicaps nahm sie die Wende mit Humor und Gelassenheit.

Beide waren aber erfreut und willig, uns, den im Tal der Ahnungslosen Lebenden, das ihnen bereits vertraute Westberlin aus ihrer Perspektive zu präsentieren.

So erinnere ich mich beispielsweise sehr genau an meinen ersten Chinarestaurant-Besuch mit meinen Eltern im bekannten Ku’damm-Karree der Stadt.

Ehrfürchtig und freudig erregt begleitete ich meine Eltern über die Marmortreppe des Domizils und betrat erwartungsvoll die schillernde, bunt glitzernde Pracht des angesagten Restaurants. Allein der im Eingangsbereich befindliche Goldfischteich, umsäumt von üppigen grünen Pflanzen und dicken Buddhafiguren war der Hammer.

Heute würde ich dieses Ambiente locker als übertrieben, protzig und hoffnungslos kitschig bezeichnen, aber vor 30 Jahren hatte ich das Gefühl, je kaum etwas Schöneres gesehen zu haben.

Meine lieben Eltern entzückte mein entrückter Gesichtsausdruck, und sie leiteten mich behutsam, aber bestimmt über eine Speisekarte, deren Inhalt und Umfang mich total irritierte.

Allein die vielen Wassersorten und deren unverschämte Preise waren empörend, schließlich wollte ich mich nicht waschen, sondern hatte Durst!

Dank meiner einfühlsamen Eltern wurde es aber ein tolles und zusehends entspanntes Essen, mit angenehmen Gesprächen und viel Gelächter.

Ein Krönchen wurde dem Ganzen aber durch folgendes Ereignis aufgesetzt:

Während wir tafelten, näherte sich unserem Tisch ein gut aussehender Herr mittleren Alters, sprach mich mit meinem Namen an, stellte sich als Herr X vor und zog mich alsdann überraschend von meinem Stuhl, um mich gerührt an seine breite Brust zu drücken.

Hallo!?

Die Situation erklärte sich wie folgt:

Als ehemalige Leiterin der Grundstücksabteilung einer kommunalen Wohnungsverwaltung (KWV) hatte ich unter anderem die leidige Aufgabe, mit Ausreisewilligen den Amtsschimmel der Übergabe ihres Grundstückes zu klären. Das tat ich mit sehr gemischten Gefühlen und so diplomatisch und sensibel wie nur möglich.

Viele intime Gespräche gingen dem Prozedere voran. Der Wille der Ausreise war zwar definitiv vorhanden, aber die tiefe Trauer über ein Verlassen des gewohnten Umfeldes und die Angst über einen unbestimmten Neuanfang im Westen der Stadt überschatteten alles. Ich will die Einzelheiten hier nicht vertiefen. Auf jeden Fall war Herr X wohl zufrieden mit der Art meiner Abwicklung, denn er erklärte meinen Eltern seine Dankbarkeit mir gegenüber, spezifizierte mich als „Mensch in einer moralisch verkommenen Gesellschaft“, drückte mich nochmals an sich und verschwand alsdann zufrieden winkend hinter dem Fischbecken.

Wir waren alle baff, meine Eltern stolz, dass ihr Töchterchen gelobt wurde, und das Essen schmeckte nun noch mal so hervorragend.

Dieses erste Westmahl war also aus verschiedenen Gründen sehr einprägsam und daher durchaus erwähnenswert!

Seither war ich etliche Male mit meinen Eltern auf Reisen und auch Essen; wir beschnatterten dabei Höhen und Tiefen des täglichen Lebens, begleitet von Gelächter und immer mit viel Liebe!

Das blieb bis zum Ableben meiner Eltern noch lange Jahre so.

Mein Verhältnis zum KaDeWe

1989 war meine Mutter besessen von dem Gedanken, mir das größte Kaufhaus Europas, das KaDeWe, zu präsentieren.

Ich war willig und bereit zur Besichtigung, aber etwas verwundert, was ein stinknormales Kaufhaus so sehenswert machen sollte.

Mich irritierte auch der wissend-amüsierte Gesichtsausdruck meiner mütterlichen Reiseleiterin.

Also, rein ins Geschehen! Schon die Größe und die üppige Ausgestaltung des Foyers ließen mich Schreckliches ahnen. Meine Mutter ersparte mir keines der Stockwerke.

Dutzende Markenfirmen präsentierten sich auf geräumiger Fläche. Luxus pur von Hermes, Fendi, Prada, Chloé, Chanel und, und, und – in Reih und Glied gehängte und gelegte teuerste Kleidung. Borniert wirkende, arrogante Verkäuferinnen, behängt und beringt mit Schmuck und gesegnet mit großer Schnauze zwecks Gehirnwäsche zur Kaufmotivation – all das war gar nicht mein Ding.

Nach außen wird eisern der Schein gewahrt, aber im Herzen war ich halt ein bescheidenes und bodenständiges Frauchen mit, ich gestehe es mit Scham, einem „gewissen Hang zum Niederen“.

Dass sich meine Einstellung im Laufe der Jahre geringfügig änderte, soll hier nur am Rande Erwähnung finden.

Nach der Wende erlebte das Kaufhaus wohl den größten Andrang seiner Geschichte. Aber ich, die ich zwar diese Statistik mit bediente, aber meist nur genötigt zum „Gucken“, werde definitiv niemals zu den treuen Kunden dieses Hauses gehören.

Ich wollte nix wie raus – keine Chance! Meine Mutter war bis zum Äußersten bereit, mir noch die berühmte Feinschmeckerabteilung des KaDeWe zu präsentieren, und die war ja wohl die Höhe!

Nach Besichtigung dieses Gourmet-Tempels von Nahrungsmitteln, diesen vielen laufenden Metern von Fleisch, Salaten, verschwenderischen Bergen von Obst und Gemüsen, Tausenden Sorten von Backwerk und seinen exorbitanten Preisen hatte ich die Nase gestrichen voll.

Crème brûlée, gratinierte Auster, vom Aussehen her wie Windelausschlag auf Toast – sicher kein Pflichtprogramm für mich! Das hieße Perlen vor die Säue werfen! Hunderte Fische aus der Südsee, dem Indischen Ozean, Pazifik und Atlantik glotzen mich strafend aus toten Augen an. Ich fühlte mich schuldig und beschämt dazu, da ich im Geiste die Seekarte der Erde abrief, in dem Unvermögen, die Flossenträger niemals – auch nicht namentlich – korrekt ihren Heimatgebieten zuordnen zu können.

Also, wie gesagt, ich hatte keinerlei Freude an der Selbstdarstellung übersättigten Wohlstandskonsums und wollte hier schnellstens weg. Zwei Stunden nach der Begehung hatte ich so viel Luft geschnappt, dass man damit an die 100 Luftballons hätte füllen können. Meine Mutter lächelte leise in sich hinein und drückte mir ein großes leckeres Lachsbrötchen zwecks Verzehr in die Hand.

Essen hat mich immer beruhigt und tut es noch heute. Wer mich kennt, weiß diese Tatsache zu seinen und meinen Gunsten einzusetzen.

Gibt es heute mal Stress mit meinem Mann, kommt es vor, dass er mir ein Beruhigungseis vor die Nase hält – und mein Groll hat Waffenstillstand.

Fazit: Sicher muss man diese sagenhafte KaDeWe-Fressmeile wirklich mal gesehen haben.

Aber in den mehr als 30 Jahren, die nach diesem Erstbesuch vergangen sind, war ich lediglich noch drei weitere Male dort, wiederum mit gemischten Gefühlen und in Scham ob der Armen dieser Welt, die sicherlich der Schlag treffen würde ob der Verschwendungssucht dieses Domizils.

Auch wenn manche meiner sich zum KaDeWe bekennenden Mitbürger empört über diese Einstellung sind: Die Gedanken sind frei, und ich persönlich brauche weitere Besuche dort nicht.

Meine Fettnäpfchen Abenteuertour Hamburg

Ich gestehe, ein Tollpatsch zu sein, mal mehr, mal weniger spektakulär. Ein kleines Beispiel: Die erste Aufregung der Maueröffnung war vorüber, Berlin durchquert, und da Deutschland auch andere nette Städte seine Kinder nennt, ging’s ab nach Hamburg.

Also, Mädels, in den Wartburg und ab Richtung westliche Ostsee.

Im Zentrum Hamburgs war mittlere Parkplatzkatastrophe angesagt.

Ich war bis zu diesem Tag noch nie in einem Parkhaus gewesen und lenkte meinen Wartburg mit lediglich aufgesetztem Selbstbewusstsein bis vor dessen Schranke, in der irrigen Meinung, sie würde sich nach angemessener Wartezeit öffnen.

Also wartete ich und wartete …

Gefühlte Stunden später gaben die hinter mir stehenden Fahrer von Mercedes, Golf und BMW ein nettes kostenloses Hupkonzert.

Meine Gesichtsfarbe wechselte von blass zu tomatig, sodass sich der mir am nächsten stehende übergewichtige Mercedes-Nutzer behäbig aus seiner Nobelkarosse schälte, langsam auf mich zurollte, mir altväterlich zunickte, etwas von „typisch Osten“ in sein Doppelkinn murmelte und vor meinen Augen mit Fingern, die Würsten ähnelten, den an der Schranke befindlichen Knopf betätigte, einen Chip entnahm, ihn mir kulant in die Hand drückte und sich wieder zu seinem Wagen verdrückte.

Verdammt, war das peinlich! Insgeheim erwartete ich richtig das Beifallklatschen der übrigen Protz-Autofahrer.

Aber die Schranke des Parkdomizils öffnete sich endlich und überraschenderweise ohne Beifallsäußerungen. Ich Nervenbündel zerrte unsensibel an der Gangschaltung herum, und das Ergebnis konnte sich lautstark hören lassen.

Schönen Gruß vom Getriebe – der Gang war drin!

Aber wir schließlich auch, und bekanntlich zählt das Ergebnis.

In den nächsten Fettnapf trat ich in der Fressabteilung des Einkaufscenters.

Verschwenderisch luden wir Obst und Gemüse in den Einkaufswagen und strebten zur Kasse.

Die sichtlich von uns unwissenden Ossis geplagte Kassiererin murmelte etwas von „Erst wiegen und auspreisen und dann noch mal anstellen!“

Ich hatte null Schimmer, was die Dame eigentlich wollte.

Ein blutjunger, langhaariger, pickliger Bursche, dessen Atem noch nach Muttermilch roch, klärte mich huldvoll über den gängigen Ablauf des Einkaufs auf, allerdings nicht ohne dabei einen lüsternen Nebenblick auf meine leckeren Mädels zu werfen.

Ich war bedient, wog dann aber weisungsgemäß die Produkte meiner Wahl ab, drückte den dafür vorgesehenen Knopf, klebte das Preisschild auf und trabte zielstrebig zur Kasse.

Natürlich allzu siegesgewiss. Die Augen nur auf die Kassiererin gerichtet, übersah ich eine auf dem Boden liegende weiche Pflaume und trat voll ins Geschehen. Dick und Doof wären begeistert gewesen!

Es kam, wie’s kommen musste! Jede andere Frau hätte den Sturz einigermaßen elegant abgefangen, nicht aber ich Trampel.

Rumms, rauf aufs Becken, die Beine in Grätsche gen Himmel, die Einkaufstüten mit Schwung in die Beine der Kunden – so ein Mist! Ich hatte wieder einen sehr guten Eindruck hinterlassen.

Meine Güte, war das alles anstrengend!