Unwesen - John Ajvide Lindqvist - E-Book
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John Ajvide Lindqvist

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Beschreibung

Eine Welt ohne Lächeln ist wie ewige Finsternis Norrtälje, eine verschlafene Küstenstadt in Nordschweden. Als am Hafen ein Container auftaucht, von dessen Herkunft niemand etwas wissen will, geschieht erst einmal nichts. Nur Siv, Halbwaise und alleinerziehende Mutter eines kleinen Mädchens, spürt eine Bedrohung. Als der Container endlich aufgebrochen wird, legt sich etwas Dunkles über die Stadt. Freundlichkeit und Mitgefühl verschwinden aus Norrtälje. Es gibt keine helfenden Hände mehr, kein tröstendes Wort. Siv weiß, dass die Zeit des Wartens für sie zu Ende geht. Zusammen mit Freunden folgt sie der Spur des Bösen ... 

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Seitenzahl: 1085

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John Ajvide Lindqvist

Unwesen

Roman

Aus dem Schwedischen von Thorsten Alms

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

 

 

 

Für Jenny und Love

Das Leben ist noch ein bisschen lustiger,

seit wir Freunde wurden.

 

 

 

Vor vielen Jahren ging ich in Norrtälje spazieren, als sie mir plötzlich auffiel: die Freundlichkeit. Zwei Bauarbeiter standen zusammen und lachten, der eine klopfte dem anderen auf die Schulter, ein Autofahrer hielt an und ließ jemanden die Straße überqueren, eine Tür wurde aufgehalten, und ein paar Fußgänger hoben einen Kinderwagen in den Bus.

Kaum hatte ich Augen für die Freundlichkeit, sah ich sie überall. Hände werden ausgestreckt, Hilfe wird angeboten, irgendetwas wird gemeinsam angehoben oder transportiert, ein Hindernis wird aus dem Weg geräumt.

Die Freundlichkeit lebt auch in unseren Worten. Angenehmes Wochenende. Einen schönen Tag noch. Viel Glück. Passt auf euch auf. Es sind nur Redewendungen, aber sie entspringen einer Quelle des Wohlwollens. Blicke begegnen sich, man lächelt andere an, sagt Danke. Die Freundlichkeit schützt uns vor dem Niedergang, und wir tun gut daran, uns hin und wieder auf sie zu besinnen. Sie ist so wichtig und gleichzeitig so zerbrechlich.

Was wäre, wenn uns die Freundlichkeit abhandenkäme, und was würde dann aus uns?

Prolog, 20. September 2002Ich bin ein Sturm aus dem Nirgendwo

1

Ein Mädchen steht vor der Stadtbibliothek in Norrtälje. Sie heißt Siw Waern und ist dreizehn Jahre alt. Sie sieht sich um, als würde sie nach etwas Ausschau halten. Sie geht ein paar Schritte, als wollte sie diesen Ort verlassen, hält aber inne, dreht sich um und nimmt ihr zielloses Spähen wieder auf. Sie tritt von einem Bein aufs andere, schüttelt den Kopf. Sie scheint weniger zu suchen als auf etwas zu warten. Siw wartet auf etwas, das aus einer unbekannten Richtung kommen wird.

Sie hat etwas Besonderes an sich, und es würde sich lohnen, dabei zu verweilen, wenn sie nicht gerade so ein auffälliges Verhalten an den Tag legte. Sie ist etwas kleiner als der Durchschnitt, ein bisschen schwerer als der Durchschnitt. Klein und dick kann man nicht sagen, aber es geht ein wenig in die Richtung. Mittellanges, dunkles Haar mit einem Pony, der über die tief liegenden Augen fällt, dazu runde Wangen und ein ausgeprägtes Kinn. Siw hat Ähnlichkeit mit einer Inuit und man kann sie sich in einer Tracht aus Robbenfell und mit einer Harpune in der Hand vorstellen. Stattdessen trägt sie aber diesen schwarzen, altmodisch geschnittenen Mantel, dessen Wirkung von einem neongelben Rucksack verstärkt wird, der ihr über der Schulter hängt.

Jetzt scheint sie erneut aufgeben zu wollen. Sie holt ihr Handy heraus und sieht auf die Uhr. 15.43. Sie betrachtet das Café vor der Bibliothek. An einem der Tische sitzt eine Mutter mit einem Kinderwagen und trinkt Tee, an einem anderen ein junges Paar, vertieft in ein Gespräch. Ein Mann mit einem Tablett in den Händen manövriert sich gerade durch die Tür nach draußen. Siw macht eine unbestimmte Geste mit den Händen, steckt das Handy wieder ein und beginnt zu gehen, während sie das Lied Visa vid vindens ängar singt. Nicht gerade das, was man von einer Dreizehnjährigen erwartet.

Nach zwei Schritten bleibt sie stehen. Ein kleiner Samhall-Bus kommt mit hoher Geschwindigkeit die Billborgsgatan heruntergefahren. Der Fahrer ist mit irgendetwas auf dem Armaturenbrett beschäftigt, und der Wagen kommt ins Schlingern, als er an der Videothek vorbeifährt. Siw dreht sich wieder zum Café um.

Der Mann mit dem Tablett ist herausgekommen und will zwischen der Mutter und dem Kinderwagen hindurch zu einem freien Tisch gelangen. Er dreht sich seitwärts, um vorbeizukommen, und stößt mit der Hüfte gegen den Kinderwagen. Die Mutter scheint vergessen zu haben, die Bremsen des Kinderwagens zu arretieren, denn der Stoß bringt den Wagen ins Rollen. Das Vorderrad fällt über die oberste der drei Stufen, die zu der Caféterrasse hinaufführen, und als das Hinterrad folgt, gewinnt der Wagen an Fahrt nach unten und zur Seite.

Die Mutter hat noch nicht bemerkt, was passiert ist, weil ihre Sicht vom Körper des Mannes verdeckt wird. Der Wagen hoppelt eine weitere Stufe hinunter und beschleunigt in Richtung Straße, auf der sich der Samhall-Bus mit mindestens fünfzig Kilometern pro Stunde nähert. Zwei bewegliche Körper werden aufeinandertreffen und eine Tragödie erzeugen.

Erst als der Wagen die unterste Stufe hinter sich gelassen hat und über den Bürgersteig rollt, entdeckt die Mutter, was in diesem Augenblick geschieht. Ihr Gesicht verzieht sich zu einer Maske des Schreckens, und sie schreit vor Verzweiflung. Sie stößt ihren Tisch um, als sie aufspringt, weiß aber bereits, dass sie zu spät ist. Dass ihr Leben jetzt zerstört wird.

Die Vorderräder des Kinderwagens sind gerade über den Bordstein gerollt, als sich Siws Faust um den Griff schließt. Der Samhall-Bus fährt einen halben Meter an ihr vorbei und lässt ihren Pony vor den Augen hochflattern, die weit offen sind und skeptisch blicken.

Das Kind im Wagen schreit. Die Mutter weint hysterisch und umarmt Siw so fest, dass es ihr den Atem raubt. Über die Schulter der Frau sieht Siw, wie der Mann, der den Kinderwagen angestoßen hat, die Hände vor den Mund presst. Das Tablett liegt vor seinen Füßen. Siw schließt die Augen. In diesem Augenblick weiß sie, dass sie auf einer entscheidenden Ebene kein Mensch ist.

2

»Komm schon! Was glotzt du denn so?«

Max winkt Johan zu, der zwei Schritte zurückgetreten ist, um die rostigen Sprossen besser beurteilen zu können, die an der Seite des Silos nach oben laufen. Johan zeigt auf eine Stelle dreißig Meter über dem Boden, etwa auf halber Strecke. »Ist da nicht etwas abgebrochen?«

Max stellt sich neben ihn und schirmt die Augen mit der Hand gegen die tief stehende Sonne ab. Als er fertig ist, zuckt er mit den Schultern. »Na und?«

»Aber das ist doch nicht gut? Wenn da etwas abgebrochen ist?«

»Dafür haben wir ja diese Sachen dabei.«

Max schüttelt den Stoffbeutel, in dem sie alles gesammelt haben, was im Werkzeugschuppen auf Max’ Grundstück nach Bergsteigerausrüstung aussieht. Seile, Karabinerhaken und Keile. Johan kratzt sich im Nacken. »Also, ich weiß nicht.«

»Scheiße, runter!«

Ein Lieferwagen mit der Aufschrift »Odalmannen« kommt den Hafenkai entlanggefahren, und die Jungen werfen sich hinter einem Stromkasten in Deckung. Man kann sich leicht ausrechnen, dass das, was sie vorhaben, verboten ist. Man muss nur dieses grelle, gelbe Schild am Zaun lesen, unter dem sich ironischerweise eine ausgegrabene Senke befindet, durch die ein schlanker Körper hineinkriechen kann.

Sowohl Max als auch Johan sind schlank. Geradezu hager. Obwohl sie schon dreizehn sind, sind sie feingliedrig und wirken noch wie Kinder, allerdings wie große Kinder. Johan misst 1,73m ohne Schuhe, Max 1,78m, und keiner von ihnen ist ausgewachsen. Beide haben sie schmale und sensible Gesichter, beide mittelblondes Haar und eine Ist-mir-doch-egal-Frisur. Man könnte sie für Brüder halten, wenn die Augen nicht so unterschiedlich wären. Max’ Augen sind groß und von so hellem Blau, dass sie etwas Durchscheinendes haben, besonders dann, wenn sie den Himmel spiegeln. Johans Augen sind ganz normal, braun, und darunter liegen Schatten von schlechtem Schlaf. Sie sind beste Freunde seit der ersten Klasse.

»Machen wir es jetzt oder nicht?«, sagt Max, als der Lieferwagen wieder weg ist und sie unter den Sprossen stehen. »Ich werde es jedenfalls tun.«

»Ja, ja«, erwidert Johan. »Aber gib nicht mir die Schuld, wenn wir sterben.«

Sie binden sich ein Seil um ihre Taillen. Weil Max derjenige ist, der sich damit auskennt, kümmert er sich um die Knoten, zieht schließlich noch eine Schlinge durch und befestigt einen Karabinerhaken an dessen Ende. »Wir machen sie immer ein paar Stufen über uns fest, okay? Wenn die Sprosse, auf der man steht, abbricht, dann …«

»Und wenn auch die Sprosse abbricht, an der der Karabiner hängt?«

Max sieht Johan durchdringend an, so lange, bis Johan den Blick senkt. »Was ist denn? Was glotzt du so?«

»Hast du dir nie gewünscht, tot zu sein?«

»Doch. Aber das bedeutet ja nicht, dass ich sterben möchte.«

»Was bedeutet es dann?«

Johan zuckt mit den Schultern. »Dass ich nicht leben will.«

»Wie willst du denn nicht leben und gleichzeitig nicht tot sein? Willst du lieber ein Zombie werden, oder was?«

»Können wir jetzt mal anfangen?«

»Natürlich.«

Ohne weitere Anstalten geht Max zu der Leiter und klettert zehn Sprossen nach oben, bevor er den Karabiner zum ersten Mal befestigt. Johan bleibt unten stehen und sieht ihm zu.

Mit zehn haben sie angefangen, über die Besteigung des Silos von Norrtälje zu sprechen. Zu der Zeit hörten sie, dass ein paar Jungen aus der Mittelstufe es getan hatten. In den folgenden Jahren kam das Thema hin und wieder auf, und immer war es Max, der damit anfing.

Max ist der Mutigere von ihnen. Als sie ihre Rollenspiele auf dem Hügel hinter Johans Haus am Glasmästarbacken spielten, war Max derjenige, der auf die höheren Bäume kletterte, und Max war derjenige, der fast die Felswand zur Tillfällegatan hinunterfiel. Er machte den Taucherschein, als er zwölf war und mit seinen Eltern auf Mauritius Urlaub machte. Johan war noch nie außerhalb von Schwedens Grenzen.

Im Gegenlicht wird Max zu einer unförmigen Silhouette, die von Sprosse zu Sprosse nach oben strebt und zwischendurch den Karabinerhaken mit einem lauten Klappern ein paar Stufen höher hängt. Johan wiegt seinen Haken in der Hand und seufzt. Dann geht er zu der Leiter.

Die größte Angst hat er nicht davor, dass eine Sprosse abbrechen könnte, sondern dass sich die gesamte Steigleiter von der Silowand löst und nach außen fällt, dass sie mit ihr hinunterfallen und wie Fliegen von einer Klatsche aus rostigem Eisen zerquetscht werden. Als er ein paar Sprossen nach oben geklettert ist, sieht er ein, dass er sich geirrt hat. Eine abgebrochene Sprosse wäre schlimmer.

Max klettert voran und erprobt damit gleichzeitig die Festigkeit der Sprossen. Falls ein Unfall passiert, wird es also Max erwischen. Klar, er kann auf Johan fallen und ihn mit nach unten in den Tod reißen, aber das erscheint ihm unwahrscheinlich. Wenn jemand stirbt, dann Max.

Johan klettert noch ein paar Sprossen hinauf. Er ist erst fünf Meter über dem Boden, aber trotzdem zieht es schon im Magen, als er über die Schulter nach unten sieht. Er befestigt den Karabinerhaken an der Sprosse über seinem Kopf, die am wenigsten rostig aussieht.

»Hallo!«, ruft Max von oben. »Wie läuft’s?«

Wenn er es gewagt hätte, die Hand von der Sprosse zu lösen, hätte Johan den Daumen in die Luft gestreckt. Stattdessen ruft er nur: »Bin gleich bei dir!«

»Soll ich warten?«

»Nein, nein.«

Johan möchte nicht, dass Max sieht, wie ihm der Schweiß ausgebrochen ist. Die Handflächen kleben an dem rauen, rostigen Eisen, und ein Zittern steigt in seinem Brustkorb auf. Er bewegt sich weiter nach oben und versucht den Gedanken zu beenden, den er gerade begonnen hat.

Wenn jemand stirbt, dann Max.

Das ist kein guter Gedanke. Eigentlich sogar ein richtiger Scheißgedanke. Wenn Max jetzt sterben würde, hätte Johan niemanden mehr, außer seiner verrückten Mutter. Niemanden, mit dem er zum Hügel gehen oder Videospiele spielen könnte, niemanden, mit dem er reden könnte oder der ihn begreifen würde. Er wäre, kurz gesagt, ganz allein auf der Welt.

Also …

Also würde er es vorziehen, wenn sich die Leiter löste und sie beide zu Fliegenmatsch zerdrücken würde. Es stimmt zwar, dass er viele Male gedacht und sogar gesagt hat, dass er nicht leben wolle, weil in seinem Leben so viel Mist passiert, aber das stimmt nicht ganz. Solange es Max gibt, will er leben. Ohne ihn nicht.

Als Johan sich fünfzehn Meter über dem Boden befindet und erneut nach unten sieht, ist er sich nicht mehr so sicher. Er will jetzt nur noch, dass es vorbei ist. Er drückt die Stirn an die Sprosse vor seinem Kopf. Sie ist so schrecklich dünn, genauso dünn wie die, auf der er steht. Dünne Stäbe aus Eisen sind sein einziger Halt. Nur diese dünnen Stäbe schützen ihn davor, zu stürzen, zu zerschmettern und seine Eingeweide auf dem Asphalt zu vergießen.

»Lieber Gott«, murmelt er. »Lieber Gott, du verdammter Scheißkerl, sorg dafür, dass wir es beide überleben. Tu einfach mal irgendetwas für mich, dann werde ich versuchen, dich etwas weniger zu hassen.«

Er schließt die Augen, während er weiter nach oben klettert, drei, vier, fünf, sechs Sprossen. Plötzlich passiert etwas. Eiskalte Finger greifen nach seiner Lunge und wringen sie aus wie Scheuertücher, als er spürt, dass ihn etwas nach unten zieht. Die Hände verkrampfen an den Sprossen und Johan beißt geradezu in die Eisenstange vor seinem Mund, drückt sich an die Wand und zittert wie ein gepeitschter Hund, der sich weigert, seinen Knochen loszulassen. Plötzlich fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. Er hat vergessen, den Karabinerhaken zu lösen, und jetzt sitzt er ein paar Sprossen unter ihm und bremst.

Ihm steigen Tränen in die Augen, während seine Hände sich nach wie vor weigern, ihren Griff zu lösen, und er atmet in flachen, keuchenden Zügen. Wenn er jetzt fiele, würde die Sprosse, an der der Haken sitzt, die Belastung auf keinen Fall aushalten. Also muss er nach unten klettern und ihn ablösen. Er zwingt sich, nicht länger in die Sprosse zu beißen, spuckt ein paar Rostflocken aus und sieht nach unten.

Der Sog.

Was ihn am meisten erschreckt, ist sein starker Impuls, es geschehen zu lassen. Loszulassen und zu fallen, sich von dem ganzen Scheiß zu verabschieden. Keine Nachtwachen mehr, um die Mutter daran zu hindern, nackt auf die Straße zu laufen und zu predigen, keine nagende Unruhe, dass alles schiefgehen und er im Heim landen könnte. Einfach nur zu fallen, einen Augenblick zu schweben und sie dann weinen zu lassen, alle zusammen.

Auch die Durchführung dieses kleinen Projekts verlangt, dass er zuerst den Karabinerhaken löst. Wenn die Sprosse entgegen seiner Vermutung hält, bricht er sich vielleicht nur den Rücken. Von oben hört er Max’ Stimme. »Ist das nicht großartig?«

In diesem Augenblick hasst Johan seinen besten Freund. Max kennt ihn und weiß, wie es ihm geht. Max sollte ihn nicht dieser Versuchung aussetzen. Er ist gefühllos und dumm, es sei denn … es sei denn, dass genau das der Plan war. Johan schluchzt, und ein paar Tränen laufen ihm die Wangen hinunter. Vielleicht will Max ja, dass er stirbt. Vielleicht ist Max es leid, dass Johan ständig bei ihm zu Hause rumhängt, damit er dort vielleicht eine warme Mahlzeit bekommt, vielleicht mag er die Pokémon-Jagd und die Rollenspiele auf dem Hügel nicht mehr, die sie immer noch spielen, wenn sonst niemand in der Nähe ist. Vielleicht will Max ihn loswerden und hat sich für diese Methode entschieden.

Die Trauer geht in einen Zorn über, der ihn in die Lage versetzt, die vier Stufen nach unten zu klettern, sodass er seinen Haken lösen kann.

»Steigst du aus, oder was?«, hört er Max rufen.

»Nein!«, schreit Johan, klettert zurück zu der Stelle, an der er seinen Panikanfall hatte, und macht den Haken oberhalb seines Kopfes fest.

Nein! Nein heißt nein!

»Johan!«, ruft Max. »Hier ist alles gut mit den Sprossen. Sie sind nur ein bisschen verbogen.«

Johan drückt die idiotischen Gedanken weg. Es ist vollkommen verrückt von Max, ihn diesen Strapazen auszusetzen, aber der Zweck wird wohl kaum sein, ihm das Leben zu nehmen. Es würde auch ziemlich schlecht aussehen für Max, wenn Johan tot wäre. Ganz egal, wie wenig Johan von sich selbst hält, aber er weiß, dass ein toter Dreizehnjähriger eine große Sache ist. Große Schlagzeile in der Norrtelje Tidning, mindestens. Polizeiverhöre, große Aufregung. Er sieht nach unten, und wieder ist die Versuchung da, in einer anderen Gestalt. Die ganze Stadt würde über ihn sprechen.

Nein! Nein heißt NEIN!

Max hat über den Zustand der Sprossen gesprochen, also hat er die Stelle erreicht, die Johan von unten aufgefallen ist. Auf halber Höhe. Es ist noch ein gutes Stück bis dahin, und das soll er jetzt klettern. Er, Johan Andersson, schafft es nicht, und deshalb muss er jemand anderes sein, also wird er zu … Uruk-hai.

Viel von dem, was Max und er seit Jahren spielen, stammt aus dem Herrn der Ringe. Sie haben alle Bücher gelesen und die Filme gesehen, sehnten sich jeweils nach der nächsten Folge. Sie haben Elfen, Hobbits, Zauberer und Gollum gespielt, aber vor allem Orks. Ihre kurz angebundene Einfalt macht sie zu lustigen Figuren.

Während eines Skilanglaufrennens der Schule im letzten Winter standen Max und er kurz vor dem Zusammenbruch. Sie waren weder durchtrainiert noch besonders skitüchtig, und als noch drei Kilometer der Fünf-Kilometer-Runde übrig waren, standen sie kurz vor der Aufgabe. In dem Moment zischte Johan zu Max hinüber: »Wir sind kämpfende Uruk-hai.« Max musste grinsen und begann seine Stäbe mechanisch zu bewegen, fuhr Ski wie ein Ork, zielstrebig und ohne nachzudenken. So kamen sie wieder voran auf der Loipe, während sie Dinge sagten wie »Töten« oder »Zerstören«, und erreichten das Ziel in einer beachtlichen Zeit.

Ich bin ein kämpfender Uruk-hai.

Johan schüttelt alle Gedanken aus seinem Kopf und sieht nur noch die leckeren, kleinen Hobbits vor sich, die auf dem Dach des Silos ihr Lager aufgeschlagen haben im Glauben, dass sie dort sicher wären. Dorthin kommen. Schlagen. Töten. Er knurrt und schiebt seinen schweren Orkkörper nach oben. Im Mund hat er immer noch den Geschmack von Rost, und das ist gut, denn er ähnelt dem Geschmack von Blut, und sein großer Blutdurst gibt sich jetzt zu erkennen. Schlabber, schmatz.

Johan klettert nach oben wie ein kämpfender Uruk-hai. Jedes Mal, wenn er den Haken über sich befestigt, grunzt er vor Verachtung für diese menschliche Erfindung, der er sich unterwerfen muss. Ohne etwas anderes als Orkgedanken im Kopf erreicht er die Stelle, an dem die Sprossen nach rechts verbogen sind.

»Mann, wie schnell du auf einmal bist«, hört er Max ein paar Meter über sich, und er schaut hoch. Max hat eine Hand von der Sprosse genommen, damit er sich nach hinten beugen und besser nach unten sehen kann. Johans Magen dreht sich fast um, und er fällt fast aus seiner Fantasie heraus, aber das kann er sich nicht leisten, und deshalb beißt er die Zähne zusammen und faucht: »Ich bin ein kämpfender Uruk-hai.«

Max schiebt die Augenbrauen zusammen, lächelt zweideutig und ein bisschen herablassend. Es war nicht Johans Absicht gewesen, diese Worte zu sagen, sie sind einfach herausgerutscht. Er hat die Veränderungen wahrgenommen. Max ist ein halbes Jahr älter als er. Vielleicht geht es gar nicht so sehr um den Altersunterschied als um Vorlieben oder Bedürfnisse, aber Max verlässt gerade die Welt, die sie gemeinsam während der letzten sieben Jahre aufgebaut haben.

Johan steckt in einem unauflöslichen Dilemma. Auf der einen Seite die glühende Sehnsucht, endlich erwachsen zu werden und der Wohnung und der erstickenden Atmosphäre zu entkommen, die der unberechenbare Wahnsinn seiner Mutter erzeugt. Auf der anderen Seite möchte er seine Fantasiewelten nicht verlassen, um die Pflichten auf sich zu nehmen, die das Erwachsenenleben mit sich bringt. Die einfachste Lösung wäre es, selber wahnsinnig zu werden, und vielleicht wird er es auch eines Tages.

Max klettert weiter hinauf, und Johan schnaubt verächtlich. Soll Max doch zu einem langweiligen Erwachsenen werden, wenn er es unbedingt will. Johan jedenfalls würde ein kämpfender Uruk-hai bleiben, bis Aragorn kommt und ihm den Kopf abhackt.

Aragorn!

Vielleicht steckt dieser Schurke dort oben mit den Hobbits zusammen? Dann wäre die Stunde der Rache gekommen für das viele Orkblut, das dieser höllische Halbelfe vergeudet hat! Weiter, weiter!

Johans Fantasie hält fast den ganzen Weg. Er sieht nicht nach unten, er denkt nicht daran, wo er sich gerade befindet. Er sieht nur die Sprossen an seinen gelben Orkaugen vorbeiziehen und bewegt seine Hände und den Haken mechanisch, während er schlichten Gedanken über Rache und Blut nachhängt. Er hat noch etwa drei Meter bis zur Spitze vor sich, als Max über die Kante verschwindet und laut loslacht. Es ist kein Lachen des Entzückens über das Gelingen des Projekts, sondern es gilt etwas anderem. Was kann es denn dort oben geben, das so lustig ist? Diese Überlegungen schlagen einen Keil in Johans Fantasien und er spürt, wie sie zerspringen.

Ich bin ein kämpfender … ich bin … auf einer schmalen Sprosse, die jederzeit abbrechen kann.

Genau hier wird es passieren, kurz vor seinem Ziel, denn jetzt kann die Fliegenklatsche mit der größten vorstellbaren Kraft zuschlagen. Du großer Gott, man wird ihn mit dem Löffel einsammeln müssen. Die Hände zittern und die ganze Weite des Falls öffnet sich wie ein sägender Schmerz in seinem Bauch. Er kneift die Hinterbacken zusammen. Wenn er schon so weit gekommen ist, kann er sich unmöglich noch in die Hose scheißen.

Oben sagt Max irgendetwas, aber Johan kann es nicht verstehen. Er holt tief Luft und denkt: Drei Meter. Zehn Sprossen. Du schaffst es. Irgendwie erreicht er auch das Ziel, aber als er über die Kante kommt, bleibt er erschöpft mit dem Bauch auf der herrlich waagerechten Fläche liegen. In seinem Kopf dreht sich alles, und in seiner Verwirrung meint er, eine weitere Stimme hören zu können, eine Stimme, die ihm entfernt bekannt vorkommt.

»Das ist ja noch mal eine gewisse Zugabe«, sagt Max. Was meint er damit? Johans Leistung war vielleicht etwas größer, weil er vorher mehr Angst hatte, aber für so etwas hat Max doch noch nie Verständnis gehabt. Johan hebt den Kopf.

Um die Außenkante des Silodachs läuft ein Metallgeländer, das noch rostiger ist als die Sprossen. Vor diesem Geländer sitzt Marko und lässt die Beine über die Kante hängen. Mit ihm hat Max geredet. Er ist die gewisse Zugabe.

Marko ist nach den Sommerferien in ihre Klasse gekommen und ist somit erst einen guten Monat dabei. Er stammt aus Bosnien und ist jetzt seit zwei Jahren in Schweden. Vor Kurzem ist seine Familie nach Norrtälje gezogen. Obwohl der Zufall es wollte, dass sie jetzt auch in Johans Mietshaus am Glasmästarbacken wohnten, nur ein paar Eingänge weiter, hat er nie mehr zu Marko gesagt als »Hi« und dessen Vater ein paarmal zugenickt, der oft auf dem Balkon steht und raucht. Aber jetzt sitzt Marko auf dem Dach des Silos und sieht so ruhig und gelassen aus, als würde er gerade auf den Bus warten.

»Hast du gehört?«, wendet sich Max an Johan. »Marko ist quasi jeden Tag hier oben. Er steigt einfach die Leiter hoch, während wir hier wie irgendwelche, wie heißt es, Alpinisten hinaufklettern.«

Max lacht erneut auf, und Marko lächelt. In der Theorie versteht Johan, dass es lustig ist, aber Lachen ist nicht gerade die Gefühlsäußerung, die ihm im Augenblick am nächsten liegt, und sie könnte auch schnell in ein Erbrechen übergehen, sodass er nur ermattet nickt. Er ist sich nicht sicher, ob er hier oben überhaupt auf die Füße kommt. Erst jetzt scheint Max zu merken, wie es ihm geht, und kniet sich neben ihn.

»Wie geht es dir?«, fragt er. »War es schlimm?«

»Ja«, sagt Johan. »Es war verdammt schlimm.«

»Fand ich auch. Ich hatte eine Heidenangst.«

»Das war dir gar nicht anzumerken.«

»Du kennst mich ja.«

Stimmt, Johan kennt ihn. Max hat ein passables Verhältnis zu seinen Eltern, sagt aber, er wolle auf keinen Fall so werden wie sein Vater. Trotzdem ist er ihm am ähnlichsten. Durch Selbstdisziplin und harte Arbeit – er liebt es, diese Worte zu sagen – ist der Vater von einem einfachen Gerüstbauer zum stellvertretenden Geschäftsführer eines mittelgroßen Bauunternehmens geworden und ist mittlerweile eine der zwanzig reichsten Personen in Norrtälje. Er steht jedes Jahr auf der Liste der Norrtelje Tidning.

Diese Selbstdisziplin kommt auch in seinen Gefühlsäußerungen zur Geltung, soweit es überhaupt welche gibt. Es muss schon einiges passieren, bevor man Max’ Vater ansieht, was in seinem Inneren vor sich geht. Wenn er richtig wütend ist, rümpft er vielleicht die Nase, aber weiter geht es nicht. Max ist ihm in vieler Hinsicht ähnlich, aber im Gegensatz zu seinem Vater besitzt er immerhin die Fähigkeit zu lachen.

»Ja«, sagt Johan. »Ich kenne dich.«

»Kannst du aufstehen?«

»Ganz ehrlich, ich weiß es nicht.«

»Soll ich dir helfen? Es wäre ja schade, wenn du die schöne Aussicht verpasst.«

Gestützt von Max, kommt Johan auf die Beine. Der Boden unter ihren Füßen ist kreisrund und hat einen Durchmesser von ungefähr acht Metern. Gerade jetzt hat Johan die Formel vergessen, mit der man die Größe der Oberfläche ausrechnen kann. Er sieht Marko an und sagt: »Hi.«

»Hi«, sagt Marko und sieht ihn ausdruckslos an.

»Stimmt es, dass du jeden Tag hier bist?«

»Nicht jeden«, sagt Marko mit einem leichten Akzent. »Vielleicht … jeden zweiten.«

»Hast du das Loch gemacht? Unter dem Zaun?«

Marko nickt. Johan erwidert das Nicken. Max geht zu Marko und stellt sich neben ihn. Er lehnt sich an das Geländer und breitet die Arme aus. »Scheiße, Mann«, sagt er. »Norrtälje! Das scheiß verdammte Norrtälje!«

Marko zieht ihn am Hosenbein und zeigt auf das Geländer. »Lehn dich nicht dagegen, sehr rostig. Du wirst Pfannkuchen.«

Max hebt die Hände und tritt einen Schritt zurück. Erst jetzt bemerkt Johan eine Besonderheit an Marko. In der Schule wirkt er sehr ordentlich, um nicht zu sagen steif. Gebügelte Hemden, die bis zum Hals zugeknöpft sind, und Chinohosen, die aussehen, als wären sie am selben Morgen aus der chemischen Reinigung gekommen. Wenn er jemand anderes gewesen wäre, hätte ihn das zum Ziel von Sticheleien gemacht, aber er ist nun einmal kein anderer. Marko umgibt eine Aura von Kraft, und niemand wagt es, sich mit ihm anzulegen.

Jetzt trägt er ein zerknittertes kariertes Hemd mit einem Loch am Ellenbogen und Jeans mit schmutzigen Knien. Johan kann seine Füße nicht sehen, weil sie über die Kante hängen, aber vermutlich trägt er nicht die polierten Schuhe, die er in der Schule anhat. Der Anblick von Markos baumelnden Beinen lässt Johan wieder schwindelig werden. Er stellt sich genau in die Mitte des Plateaus, so weit wie möglich entfernt von der Kante.

Ein Samhall-Bus rollt mit hoher Geschwindigkeit den Glasmästarbacken hinunter. Johan muss den Kopf nur ein kleines Stück drehen, dann sieht er seinen Balkon. Aus dieser Entfernung kann man nicht erkennen, dass er voller Müll ist, da sich seine Mutter gerade in einer Phase befindet, in der gar nichts weggeworfen werden darf. Johan wirft einen hastigen Blick auf seine Armbanduhr. 15.42 Uhr. Bald wird seine Mutter anfangen, in der Wohnung auf und ab zu gehen und sich zu fragen, wo er wohl abgeblieben sein könnte.

Johans Blick wandert nach links, zu den Bäumen im Sozietätspark. Aus dieser Perspektive sind ihre Kronen aufgeblähte Wolken, die im fallenden Sonnenlicht ins Gelbe spielen. Es ist wirklich unglaublich. Sie befinden sich hoch über den Baumkronen.

Der Samhall-Bus erreicht die Sozietätsbrücke und fährt hinauf in die Stadt. Max legt seine Hände um ein unsichtbares Gewehr und richtet es auf ein Paar, das Hand in Hand auf der anderen Seite des Hafenbeckens geht.

»Ein perfekter Ort für einen Heckenschützen«, sagt er und betätigt einen fiktiven Abzug.

Marko steht auf, legt den Kopf schief und sagt: »Heckenschütze?«

»Tja, also«, antwortet Max und sieht Johan an, der fast unmerklich den Kopf schüttelt. Max beißt sich auf die Zunge, schließt die Augen und sagt: »Ach, nichts Besonderes.«

»Aha«, erwidert Marko. »Du musst dir keine Sorgen machen. Aus meiner Familie ist niemand von einem … Heckenschützen angegriffen worden.«

»Schön zu hören«, antwortet Max lahm und scheint kurz davor zu stehen, eine Hand auf Markos Schulter zu legen. Johan rollt mit den Augen. Max kann ein richtiger Idiot sein. Jetzt lehnt er sich zum Beispiel an das Geländer, obwohl Marko gerade gesagt hat …

Irgendetwas stimmt nicht. Max’ Augen sind verdreht, sodass man nur noch das Weiße sieht. Der Kopf zuckt von einer Seite zur anderen. Marko zieht die Augenbrauen zusammen und weicht einen halben Schritt zurück, bevor er fragt: »Max, was ist los? Pass auf …«

Johan weiß es bereits. Seit Max und er klein waren, hat Johan einige Male erlebt, wie Max einen Anfall bekam. Als er Dinge sah, von denen man am nächsten Tag in der Norrtelje Tidning lesen konnte. Unfälle, Brände, und einmal sogar einen Mord. Es waren ausnahmslos Ereignisse, bei denen es schwere Verletzungen oder sogar Todesfälle gab.

Johan weiß auch, dass Max mittlerweile die Kontrolle über seinen Körper verloren hat, weil er vollkommen entrückt ist. Er sollte jetzt zu ihm gehen und etwas unternehmen. Das Problem ist nur, dass seine Füße wie festgenagelt in der Mitte des Dachs stehen, er ist körperlich nicht in der Lage, sich dem Rand zu nähern.

Max lässt das Geländer los und fällt seitwärts darauf zu. Ein scharfes Knacken verrät, dass das rostige Metall bricht und sich die Stange unter dem Gewicht nach außen biegt. Obwohl der ganze Prozess wie in Zeitlupe verläuft, hat Johan nicht die geringste Chance, ihn rechtzeitig zu erreichen, selbst wenn er sich bewegen könnte. Sein Mund öffnet sich und er saugt Luft ein, während ein ohnmächtiger Schrei in seiner Brust heranwächst. Er wird hier stehen und seinen besten Freund sterben sehen.

Max’ rechte Hand streckt sich nach Johan aus, während seine Pupillen in ihre normale Position zurückkehren, sodass er sehen und verstehen kann, was gerade geschieht. Ihre Blicke begegnen sich für eine Sekunde, dann kommt etwas ins Sichtfeld geflogen und unterbricht den Kontakt. Markos Arm. Er greift nach Max’ Handgelenk und versucht seinen Fall aufzuhalten. Aber die Bewegung ist schon eingeleitet, und Max ist groß gewachsen, was seine Hebelkraft nach außen verstärkt.

Marko wird zum Rand gezogen, während er versucht, dagegen anzukämpfen. Er dreht den Kopf nach hinten, streckt seinen freien Arm nach Johan aus und ruft: »Hilfe!«

Sein ganzes Leben lang wird sich Johan für das verachten, was danach geschieht. Statt Marko die Hilfe zu geben, die er verdient, und die Unterstützung, die er braucht, unterwirft sich Johan dem Schrei, der in ihm brodelt. Er schreit und kreischt, weicht sogar eine Fußlänge zurück.

Marko ist kurz davor, zusammen mit Max über die Kante zu fallen. Das goldgelbe Licht über den Baumkronen verblasst, als die Sonne hinter dem Stallmästarberg versinkt, und es blinkt kurz, als die letzten Strahlen den Glockenturm auf dem Rathaus treffen. Dieser Augenblick wird für immer in Johan eingebrannt sein.

In einem letzten, verzweifelten Versuch packt Marko mit beiden Händen nach Max’ Arm, sein rechter Fuß findet die Verankerung eines Geländerpfostens, und er wirft seinen eigenen Körper in dem Moment zurück, in dem sein linker Fuß über die Kante gleitet. Max’ Oberkörper wird etwa zwanzig Zentimeter nach oben gerissen, und danach wiegen sie hin und her. Die beiden Jungen bilden ein V, das sich nicht entscheiden kann, in welche Richtung es fallen soll. Schließlich findet Markos linker Fuß eine Unebenheit in der Kante, die ihm den fehlenden Halt liefert. Er drückt sich noch einmal ab und fällt auf den Rücken. Einen Augenblick später taumelt Max heran und landet neben ihm auf dem Bauch.

Johans Schrei verstummt, als hätte jemand auf einen Schalter gedrückt. Seine Augen öffnen sich und schließen sich wieder, als die Scham in dunklen Wellen durch seine Brust spült.

Feigling. Du verdammter, mieser, kleiner Feigling.

Was hätte er nicht gegeben, um derjenige zu sein, der neben Max liegt und keucht und jetzt den Kopf schüttelt? Der ihn mit großer Gefahr für sein eigenes Leben gerettet hat. Das hätte sie für den Rest des Lebens zusammengeschweißt. Was würde er dafür geben? Aber er hat es nicht getan.

Auf den dunklen Wellen treiben dunkle Gedanken heran. Johan hasst Marko, der dort liegt und sich in seinem heldenhaften Einsatz suhlt, er will ihn am liebsten selbst über die Kante stoßen, ihn verschwinden lassen. Als Johan einsieht, was er da denkt, wird die Scham nur noch größer. Marko hat gerade seinen besten Freund gerettet. Falls sie jetzt noch beste Freunde sind.

Max und Marko sehen einander an. Und beginnen zu lachen. Sie lachen und lachen, bis Max die Handfläche auf den Zement klatscht und sich hinkniet. Er sieht Marko mit leuchtenden Augen an und sagt: »Du hast mich gerettet! Verdammt, du hast mir wirklich das Leben gerettet!«

»Ja, ja«, erwidert Marko. »Schon gut.«

Max zieht eine seltsame Miene, beinahe eine Grimasse. »Du kapierst das nicht!« Er zeigt auf die Kante. »Ich hätte tot dort unten gelegen, wenn du nicht gewesen wärst. In genau diesem Augenblick, jetzt, würde ich total zermatscht da unten liegen!«

»Ist mir schon klar«, erwidert Marko. »Aber so schwierig war es nicht.«

Max’ Mund öffnet sich und klappt wieder zu, als könnte er nicht formulieren, was er sagen will. In der Stille, die daraufhin entsteht, bekommt Johan endlich ein Wort aus seiner zusammengeschnürten Kehle heraus, und das Wort lautet: »Entschuldigung.«

Max und Marko sehen Johan an, als hätten sie vergessen, dass er überhaupt existiert, und Johan würde am liebsten durch den Boden sinken, der eigentlich ein Dach ist, hinab in die dunklen Innereien des Silos, welchen Mist sie auch immer dort aufbewahren. Er zieht wie ein kleines Kind an seinem T-Shirt, und seine Wangen laufen rot an, als er erneut flüstert: »Verzeih mir, ich …«

Er bekommt die Worte nicht heraus, weil es zu viele sind. Max ist für ihn auf eine ganz grundlegende Art das Leben selbst, und der Schock, dieses Leben in einem Wimpernschlag verschwinden zu sehen, war so überwältigend, dass er ihn davon abgehalten hat, das Rettende zu tun. Er kann es nicht erklären, also starrt Johan auf seine Füße und hört, wie sich Schritte nähern. Max steht vor ihm.

»Du«, sagt Max. »Hör mir zu.« Johan hebt den Kopf, aber die Anklage, die er in Max’ Blick erwartet hat, ist dort nicht zu finden. Stattdessen strahlt aus seinen Augen ein Licht, das er von seiner Mutter kennt, wenn sie eine ihrer Offenbarungen hat.

»Sieh mich an«, sagt Max und zeigt auf sich selbst. »Ich stehe hier. Ich bin nicht tot. Selbst wenn …« Max’ Blick verschwindet nach innen, und Johan ist alles andere als begeistert davon. Für einen Moment befürchtet er, dass Max gleich schreien und mit den Armen rudern wird wie seine Mutter, aber Max holt seinen Blick zurück und fährt fort: »… Ich weiß nicht, wie ich reagiert hätte, okay? Vielleicht hätte ich es genauso gemacht wie du. Alles ist gut, Johan. Alles ist gut.«

Johan nickt, obwohl er nicht glaubt, dass Max genauso reagiert hätte wie er. Max’ Grundgefühl ist nicht die Angst, Max ist kein Feigling. Trotzdem ist Johan dankbar dafür, dass sein Freund diese Dinge sagt. Es lindert die Scham ein bisschen. Max macht eine Armbewegung zu Marko hin. »Obwohl es ein verdammtes Glück war, dass Marko hier oben war. Ansonsten wäre ich, wie hast du es gesagt, ein Pfannkuchen.«

Zum ersten Mal wagt Johan es, den Blick auf Marko zu richten, der in den Schneidersitz gegangen ist und ihn ruhig und ohne Vorwürfe betrachtet. »Du bist ein Held, Marko«, sagt Johan vorsichtig.

Marko schüttelt den Kopf. »Mein Vater ist ein Held.«

Johan kann den Begriff Held nicht mit dem nervösen, kleinen Mann in Zusammenhang bringen, der ständig auf dem Balkon steht und raucht. Trotzdem nickt er, als verstünde er genau, was Marko gemeint hat. Vor ihm ist Max ein Stückchen zusammengesunken und der Glanz in seinen Augen verblichen.

»Was ist passiert?«, fragt Johan mit leiser Stimme. »Du hast etwas gesehen, stimmt’s?«

Max nickt und Johan schielt zu Marko hinüber. Soweit Johan weiß, ist er der Einzige, der in das Geheimnis eingeweiht ist, und er weiß nicht, ob Max es auch mit Marko teilen will. Er selbst möchte um alles in der Welt vermeiden, dass Max es zulässt. Leider steht Marko jetzt auf und stellt dieselbe Frage. »Was ist denn mit dir passiert? Hast du Epilepsie oder so etwas?«

Max schüttelt den Kopf. »Manchmal sehe ich Dinge«, sagt er. »Dinge, die geschehen werden.«

Das war es dann, denkt Johan, sieht aber ein, dass Marko das Recht erworben hat, davon zu wissen. Alles in allem war das Projekt mit dem Silo eine richtige Scheißidee. Johan hat nur mitgemacht, um wieder näher an Max heranzukommen, aber stattdessen ist das genaue Gegenteil passiert.

»Du kannst also … in die Zukunft sehen?«, fragt Marko.

»Aber nur ein ganz kurzes Stück«, sagt Max. »Ein paar Sekunden, bevor es passiert. Manchmal ein bisschen mehr.«

Um seine Daseinsberechtigung nicht vollkommen zu verlieren, wirft Johan ein: »Das stimmt. Ich bin schon ein paarmal dabei gewesen, als es passiert ist. Max hat etwas gesehen, und am nächsten Tag stand es in der Zeitung.«

Marko nickt langsam und sagt: »Okay.«

Max zieht die Augenbrauen hoch. »Du glaubst mir?«

»Warum nicht? Was hast du denn gesehen?«

»Das habe ich doch gerade gefragt«, sagt Johan, und Marko wirft ihm einen langen Blick zu, woraufhin Johan sich wieder mehr für seine Schuhe interessiert. Wenn Johan allmählich merkt, dass Max älter ist als er, dann kommt ihm Marko eher wie ein Erwachsener vor.

»Ich sah …«, sagt Max und sieht in den Himmel, an dem die Wolken immer noch von der Sonne beleuchtet sind und das Licht auf sein Gesicht abstrahlt, sodass es einen seligen Schimmer bekommt, »… eine Treppe. Ein Kinderwagen rollte die Treppe hinunter. Und einen Bus. Von dieser Firma, die … Behinderten Arbeit gibt …«

»Samhall?«, fragt Johan. »Ich habe diesen Bus gesehen. Gerade eben.«

»Dann ist es ganz in der Nähe passiert, oder …« Max massiert sich die Schläfen und schließt die Augen. »Genau, ja. Ich sah den Kinderwagen vor den Bus rollen. Rums. Das Baby fliegt heraus und der Wagen kommt unter den Bus. Der Bus macht eine Notbremsung, kommt ins Schleudern und rollt über den Kopf des Babys. Das war alles.«

»Wie schrecklich«, sagt Johan. »Und du weiß nicht, wo es passiert ist?«

»Es könnte vor der Bibliothek gewesen sein, an der Treppe zur Straße, aber …« Max’ Blick wandert von Marko zu Johan und zurück, als wollte er in ihren Gesichtern eine Erklärung finden. Er massiert sich erneut die Schläfen und sagt: »Also es ist so: Es ist nicht passiert. Fragt mich nicht, woher ich das weiß, aber ich weiß es genauso deutlich, wie ich gewusst habe, dass es passieren sollte. Es ist nicht passiert.«

»Aber … dann hast du ja nicht in die Zukunft gesehen?«, sagt Marko.

»Doch!«, erwidert Max und sieht beinahe wütend aus. »Das habe ich! Aber irgendetwas … kam dazwischen.«

»Aber das war doch gut«, sagt Johan.

»Ja, natürlich war das gut!«, antwortet Max, immer noch wütend. »Das war fantastisch! Aber es ist unbegreiflich. Als gäbe es dort etwas, das ich nicht sehen kann. Etwas, das irgendwie … anders ist.«

1Entei

Der Wind hält eine Rede

Es gab eine Zeit, in der mich nichts aufhielt und ich wie ein göttlicher Geist in diesen nördlichen Gebieten über das Wasser fegte und weiter vordrang. Manchmal verwandelte ich mich in einen Sturm und ließ die Wellen steigen, manchmal ruhte ich mich aus und ließ das Meer spiegelblank daliegen, aber es war wie ein Baum, der im Wald fiel. Niemand sah, was ich tat, und niemand kommentierte es, weil es kein Land gab, auf dem Leben war. Es war eine langweilige Zeit, und sie währte lange.

Dann erhoben sich die Inseln langsam aus dem Meer, und ich war entzückt. Endlich etwas Neues zum Beobachten und zum Spielen, mageres Sanddorngestrüpp mit Blättern, die man schütteln konnte. Langsam hob sich das Land, nachdem die Eisdecke geschmolzen war, wie ein Mensch, der sich reckt, nachdem er eine Last abgeworfen hat. Die Inseln wurden immer zahlreicher und wuchsen zusammen, sie bildeten Landmassen. Ich hatte geschäftige Jahre, weil ich sie alle besuchen wollte, die Kronen der Laubbäume zum Zittern bringen und manchmal einen ganzen Stamm fällen, einfach nur zum Spaß.

Dann endlich kamen die Menschen. Oh, die Menschen! Ich spreche aus langjähriger Erfahrung, und ich kann euch verkünden: Kein Tier bereitet mir größeres Vergnügen als der Mensch. Mag sein, dass dies auf Eitelkeit beruht, da sich kein Tier so sehr für mich interessiert und so ausgiebig über mich diskutiert wie der Mensch, insbesondere diejenigen Exemplare, die an der Küste wohnen oder zur See fahren. Aber ich vermute, dass es eine andere Ursache hat, nämlich die Kombination aus Vernunft und Unvernunft, die diese Menschen so unendlich interessant macht.

Die anderen Tiere machen Dinge, zu denen sie der Instinkt oder ein schlichtes Denkvermögen treibt. Der Mensch wägt ab und überlegt, zögert vor Entscheidungen und verspürt anschließend gelegentlich Reue. Welches andere Tier hat das Vermögen, etwas zu bereuen? Der Mensch benutzt seine Vernunft, um zur besten Entscheidung zu gelangen, worauf seine Unvernunft ihn manchmal verleitet, genau das Gegenteil zu tun. Das gibt ein Drama! Es ist eine unerschöpfliche Quelle der Unterhaltung für eine überall gegenwärtige Kraft, wie ich es bin.

Aber ich schweife ab. Hier soll von Norrtälje die Rede sein. Vor langer Zeit war der See Lommaren der Teil einer tiefen Furche, die ins Land einschnitt und jetzt Norrtäljebucht genannt wird. Von dort stammt auch der Name, von tälja, schnitzen, weil die Bucht wie eine Kerbe in Schwedens Bauch geschnitten ist. Dann stieg das Land weiter und aus der Bucht wurde ein Fluss, der Norrtäljefluss, und aus dem Lommaren ein Binnensee.

Fischerboote liefen aus, und ich warf mich gegen ihre Segel, gab den Ruderern Gegenwind oder Rückenwind, ganz nach Laune. Die Menschen priesen mich oder verfluchten mich. Ich folgte ihrer Fahrt in die Bucht und sorgte dafür, dass sich der Heringsduft vom Markt weit ins Land verbreitete. Es herrschten volles Leben und lebhafter Verkehr nach Finnland, und meine wechselhaften Launen waren ein ständiges Gesprächsthema.

Nun, ich muss gestehen, dass ich eitel bin, und die Vergabe der Stadtrechte an Norrtälje im Jahr 1622 stellte sich als Fehler heraus. Es wurde eine Gewehrmanufaktur gegründet, und jede Menge deutscher Schmiede traf ein. So weit war alles gut, sie hatten lustige, breitkrempige Hüte, die ich ihnen von den Köpfen reißen konnte, aber die Aufmerksamkeit begann sich vom Meer zum Fluss hin zu verschieben, weil er die Manufaktur und auch etliche Mühlen antrieb.

Der Fluss! Man nannte ihn »Norrtäljes Herz und Schlagader« und »Gottes Segen für uns Norrtäljebürger«. Der Fluss! Was habe ich mit dem Fluss zu tun? Nichts! Ich kann seine Oberfläche kräuseln und das Laub von den Bäumen auf ihn regnen lassen, aber anders als das Meer ist der Fluss auf eine aufreizende Weise sich selbst genug. Die Fischerei und der Schiffsverkehr gingen weiter, und ich wurde auch nicht ganz vergessen, aber es wurden keine Messen mehr abgehalten, um mich zu besänftigen und um mir Achtung zu erweisen.

Vielleicht habe ich deswegen nichts getan, als im Jahr 1719 die Russen kamen. Ich hätte mich nach Osten wenden und ihre Flotte dorthin zurücktreiben können, woher sie gekommen war. Stattdessen schenkte ich ihr angenehmen Rückenwind, und nachdem sie die Stadt in Brand gesteckt hatten, trieb ich durch die Gassen und nährte die Flammen. Eine Rache, die meiner Natur entsprach.

Nach und nach wurde die Stadt wieder aufgebaut, und an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert war Norrtälje der vornehmste Badeort der Ostküste, auch wenn es unglaublich klingen mag.

Hui! Bei den Damen, die im Hafenbecken von Bord der S/S Rex und anderer Dampfboote stiegen, können wir fürwahr von breitkrempigen Hüten sprechen, in die man fahren konnte! Im Gänsemarsch schritten die elegant gekleideten Damen und Herren über die neu errichtete Sozietätsbrücke in den Sozietätspark, um das Sozietätshaus zu erreichen. Sozietät gab es in allen Richtungen! Sie nahmen ein Kaltbad, ein Warmbad und ein Schlammbad, und abends besuchten sie das Freiluftkonzert, wo ich die Notenblätter mit mir riss, unter die weiten Kleider der Damen fuhr und die gepflegten Bärte der Herren kitzelte. Das waren Zeiten!

Irgendwann geriet der wundertätige Schlamm Norrtäljes in Vergessenheit. Die Dampfboote kamen nicht mehr und das Sozietätshaus wurde abgerissen. Wenn ich jetzt durch den Sozietätspark brause, muss ich zwischen Menschen mit Kinderwagen und Alten und Jugendlichen kreuzen, deren Blicke auf Bildschirme geheftet sind. Der einzige Trost ist eine große Wetterfahne, die zu meinen Ehren errichtet wurde.

Aber neue Zeiten brechen an! Ein Schiff nähert sich über das Meer, ein Frachter mit einer nur schwer zu löschenden Ladung, die vieles verändern wird. Meine Natur ist flüchtig, und ich liebe Veränderung, um nicht zu sagen, das Chaos. Meine Zeit wird kommen.

Nichts passiert hier

1

Zwei Frauen gehen über die Rasenfläche, wo früher einmal Norrtäljes Flugplatz lag. Als sie sich dem Schützenbunker nähern, der gebaut worden ist, um selbigen Flugplatz zu bewachen, holt eine der Frauen ihr Handy heraus. Seht nur, es ist Siw, der wir zuletzt vor der Bibliothek begegnet sind, als sie eine vorausbestimmte Tragödie verhinderte. Dieselbe Hand, die sich vor sechzehn Jahren um einen Kinderwagengriff schloss, flattert jetzt geübt über das Display, als sie eine Art Fantasiefigur manipuliert. Siw ist runder als damals, ja, wir müssen sie eigentlich übergewichtig nennen. Den eigenwilligen Stil, den sie im Alter von zwölf Jahren zeigte, hat sie mittlerweile aufgegeben und trägt graue Jogginghosen und einen verblichenen Kapuzenpullover mit dem aufgedruckten Håkan-Hellström-Text »Ta mig till kärlek«, den man kaum noch entziffern kann. Ihre Füße stecken in Crocs. Ihr Haar ist schwarz gefärbt mit einem zentimeterlangen Ansatz ihrer ursprünglichen Haarfarbe.

Es ist eine gewisse Enttäuschung, Siw in dieser Form wiederzubegegnen. Anscheinend hat das Leben sie zurechtgestutzt. Nun gut, der Blick, mit dem sie das Handy betrachtet, ist munter und aufmerksam, ihre Körperhaltung sieht alles andere als gedrückt aus, und was weiß man schon über die Bestimmung eines Menschen! Die Zukunft kann immer noch große Aufgaben für unsere Siw bereithalten.

Die andere Frau heißt Anna. Sie ist genauso alt wie Siw und offensichtlich sehr unzufrieden mit dem Zeitvertreib ihrer Freundin. Sie rollt mit den Augen und zerrt irritiert am Riemen des kleinen Rucksacks, der an ihrer Schulter hängt. »Kannst du diesen Mist irgendwann auch einmal weglegen?«, fragt sie. »Mittlerweile bin ich wohl mit einem blöden Pokémon-Zombie befreundet.«

»Warte«, sagt Siw. »Ich muss nur noch.«

Siw scrollt in ihrer Liste hinunter, findet das feiste Relaxo und setzt es in die Arena des Schützenbunkers. Offensichtlich handelt es sich um Pokémon Go, und Siws Pokémon-Sammlung ist umfassend, da sie sich auf Level 35 befindet. Anna zeigt auf Relaxo und sagt: »Du weißt schon, dass wir dort landen werden, wenn wir uns nicht zusammenreißen.«

Genau wie die Jungen, die wir betrachtet haben, ähneln die beiden Freundinnen einander. Auch Anna ist übergewichtig, etwa zwanzig Kilo zu viel, die ungünstig verteilt sind. Auch Annas Haare sind schwarz gefärbt, aber sie arbeitet sorgfältiger als Siw, weil sie auch den Haaransatz in Schuss hält. Beide Frauen sind ungefähr gleich groß, oder eher gleich kurz, aber damit hören die offensichtlichen Ähnlichkeiten auch auf.

Annas Augen sind grün und stehen ein bisschen vor, was ihr einen herausfordernden, wenn nicht gar frechen Ausdruck verleiht, und ihr breiter Mund deutet in Ruhelage ein ironisches Lächeln an. Ihre Nase ist groß und zeigt ein bisschen nach oben, sodass man ihre Nasenlöcher sehen kann. Hübsch würde man sie vielleicht nicht nennen, aber ihr Aussehen hat etwas Ansprechendes. Anna hat viel von allem. Ihre Hüften sind breit und ihr Busen wippt, wenn sie geht. Sie ist unübersehbar.

Auch Siw trägt einen Rucksack mit Trainingskleidung, weil die beiden Freundinnen auf dem Weg zum Fitnessstudio Friskis & Svettis sind. Siw sieht, dass es bereits nach fünf ist, und sagt: »Heute geht es nur kurz. Ich muss Alva um sechs abholen.«

»Klar«, sagt Anna. »Wir checken nur die Lage. Ob es irgendwelche Honks in Tights gibt oder so.«

»Hoffentlich nicht.«

»Warum denn nicht?«

»Willst du das etwa? Dass da jede Menge von diesen, wie sagt man, definierten Männern herumsteht, und Mädchen natürlich auch, die uns anglotzen, wenn wir da … herumhüpfen?«

»Immer mit der Ruhe. Wir schaffen höchstens zehn Minuten, bis wir zusammenbrechen. Kurz wird es also auf jeden Fall.«

Siw kaut an einem Daumennagel, und ihre Augen beginnen ein wenig zu glänzen, als sie sagt: »Ich will das wirklich. Ich will es wagen.«

»Dann wag es doch«, sagt Anna, bevor sie plötzlich stehen bleibt und sich an die Stirn schlägt. »Verdammt!«

»Was ist denn?«

Anna zeigt auf den Parkplatz vor dem Friskis & Svettis, der mit Marktständen gefüllt ist, deren Lampen die Septemberdämmerung erhellen. »Ich hatte versprochen, meiner Schwester zu helfen. Was hast du gesagt, wie spät ist es? Fünf? Dann muss ich danach noch einspringen. Aber vorher sage ich kurz Hallo.«

Siw und Anna bewegen sich in die Duftwolke aus Zuckerwatte, heißen Würstchen und Karamellstangen, sie kommen an Ständen vorbei, die Handyhüllen, lustige T-Shirts und Schaffellpantoffeln anbieten, bis sie schließlich vor einem Stand mit Americana stehen bleiben.

Mit wahrem amerikanischem Überschwang hat Annas große Schwester Lotta den gesamten Platz mit Krimskrams vollgestopft, der an eine verschwundene USA erinnert. Es gibt Blechmodelle von Autos aus den Fünfzigerjahren, Bakelitbüsten von Elvis, Spardosen in Form von Jukeboxes, Brylcreem in der Dose und Taschenkämme. An der Hinterwand hängt eine große Südstaatenflagge, und aus zwei Lautsprechern schallt »I walk the Line« von Johnny Cash.

Mitten drin thront Lotta, die eins neunzig groß ist und kaum unter die Regenplane passt. Ihr von Natur aus schwarzes Haar ist zu einem Zopf geflochten, der über ihre Schulter hängt wie eine kampfbereite Mamba. Sie starrt Anna böse an, als diese auf sie zukommt.

»Wo hast du denn gesteckt, du dumme Kuh?«, fragt Lotta und gestikuliert mit der Hand, die für ihren großen Körper erstaunlich klein geraten ist. »Ich musste den ganzen Mist alleine auspacken. Hi, Siw.«

Siw nickt und lächelt vorsichtig. In ihrer Jugend war sie manchmal auf Annas Bauernhof bei Rimbo zu Gast gewesen, und stets hatte sie eine gewisse Angst vor der Begegnung mit der Familie ihrer Freundin verspürt. Anna hat zwei Brüder und zwei Schwestern, die alle genauso groß und stattlich sind wie ihr Vater. »An dem Tag, an dem er mich gezeugt hat, muss er krank gewesen sein«, erklärt sie Siw ihre Ausnahmestellung. Sie kommt eher nach ihrer Mutter, die von durchschnittlicher Größe ist, was sie allerdings mit einem Mundwerk kompensiert, das sich gewaschen hat und Siw in Angst und Schrecken versetzen konnte.

»Ich komme danach«, sagt Anna und nickt mit dem Kopf zum Friskis & Svettis hinüber. »Siw und ich wollen trainieren.«

»Trainieren«, erwidert Lotta. »Wofür willst du denn trainieren? Wenn du Sachen hochheben willst, habe ich hier genug davon.«

»Manche Leute interessieren sich vielleicht dafür, wie sie aussehen«, sagt Anna und mustert Lottas Bauch, der das nietenbesetzte Westernhemd ausbeult. Lotta stemmt die Hände in die Hüften und drückt den Bauch noch weiter nach vorn. »Was, willst du damit sagen, dass ich hässlich bin?«

»Nein, ich will damit sagen, dass du richtig scheiße aussiehst. Bis dann.«

»Leck mich.«

Vor ihrer eigenen Mutter hat Siw Annas Sprache damit entschuldigt, dass der Ton in deren Familie »roh, aber herzlich« sei, obwohl Siw nicht besonders viel Herz in den Ausdrücken entdecken konnte, die sie einander an den Kopf warfen. Trotz allem war Anna noch diejenige von ihnen, die die gepflegteste Sprache hatte, vielleicht weil sie so oft mit Siw zusammen war.

Seite an Seite gehen sie zum Eingang. Auf die Betonwand, die ein paar Meter rechts von der Tür verläuft, hat jemand »Fettballett« gesprüht.

2

»Mama, darf ich aufmachen?«

Siw holt den Schlüssel heraus, der an einer runden Holzscheibe mit der Aufschrift »Zuhause« befestigt ist, und gibt ihn Alva, die sich auf die Zehenspitzen stellen muss, damit sie ihn in das Schlüsselloch bugsieren kann. Siw zieht eine Grimasse, als Alva an dem Schlüssel herumzerrt, damit er sich dreht, aber sie lässt sie machen. Schließlich wird der Riegel zurückgezogen, und Siw kann durchatmen. Sie zieht den Schlüssel aus dem Schloss und kontrolliert verstohlen, dass Alva ihn nicht verbogen hat.

Der Duft, der Zuhause bedeutet, umfängt Siw, als sie in den Flur tritt. Sie schließt die Tür hinter sich, und eine gespannte Saite in ihrem Brustkorb löst sich. Sie hängt den Schlüssel an einen Haken, der für diesen Zweck vorgesehen ist, und zeigt auf die Schuhe, die Alva abgestreift hat, und dann auf das Schuhregal. Alva stellt die Schuhe an ihren Platz und fragt: »Warum müssen die Schuhe in das Schuhregal?«

»Das hört man doch schon am Namen, oder? Schuhregal.«

Alva zieht erst die Augenbrauen zusammen und nickt dann. Die Erklärung stimmt mit ihrer Art überein, die Welt zu verstehen, und ausnahmsweise gibt es auch keine Fragen nach tieferen Erklärungen. Stattdessen möchte sie wissen: »Was essen wir heute?«

»Köttbullar und Kartoffelbrei.«

»Richtigen Kartoffelbrei?«

»Ja. Und richtige Köttbullar.«

»Gut. Das ist in Ordnung.«

Alva hat eine feste Auffassung davon, wie Dinge zu sein haben. »Richtiger« Kartoffelbrei ist aus Pulver, weil selbst gemachter Brei Klumpen enthalten kann, was nicht in Ordnung ist. »Richtige« Köttbullar sind ebenfalls schwierig in der Herstellung, weil richtige Köttbullar klein und vollkommen rund sind. Senf ist nur Senf, wenn er aus der Tube kommt. Und so weiter.

Alva verschwindet in ihrem Zimmer, während Siw die Sporttasche auspackt. Die Feuchtigkeit in der Kleidung stammt ausschließlich vom feuchten Handtuch, weil sie sich nicht genug angestrengt hat, um ins Schwitzen zu kommen. Im Alltag bewältigen die Muskeln ihre Aufgaben, aber an die Kabelzüge gefesselt weigerten sie sich, Siws Befehle auszuführen. Siw hat starke Hände und Unterarme, weil sie stundenlang Waren über den Scanner zieht, mehr aber auch nicht.

Als sie das Handtuch im Badezimmer zum Trocknen aufhängt, entdeckt sie, dass sie trotz der Kürze der Trainingseinheit Schwierigkeiten hat, die Arme zu heben. Aber das ist bestimmt ein gutes Zeichen, oder? Jedenfalls passiert irgendetwas.

Auf dem Weg in die Küche bleibt sie für einen Moment im Wohnzimmer stehen. Sie liebt ihre Dreizimmerwohnung, aber vor allen Dingen liebt sie ihr Wohnzimmer. Über dem Sofa liegt eine Flickendecke aus farbigen Webstücken, auf dem Couchtisch stehen drei Teelichthalter und auf den Schränken und Regalbrettern sind noch weitere verteilt. Sie summt Håkan Hellströms »Brännö serenad«, als sie mit dem Stabfeuerzeug, das genau wie der Schlüsselhaken für diesen einen Zweck vorgesehen ist, die Kerzen auf dem Tisch anzündet. Wenn man Siws Wohnung mit einem Wort beschreiben sollte, dann wäre es zweckmäßig. Jedes Ding an seinem Ort und keine Extravaganzen.

Aber der Schaukelstuhl in der Ecke, was ist mit dem? Er ist mit einem Kurbitsgemälde dekoriert und scheint von Hand gefertigt zu sein. Tja, Siws Großmutter hat ihr das Stück vermacht, als sie in ein Seniorenheim gezogen ist, weil es der Lieblingsplatz der kleinen Siw war. Ein Strickkorb steht daneben auf dem Boden, und Siw nimmt sich vor, am Abend endlich weiter an Alvas Pullover zu arbeiten.

Sie sieht sich selbst zwischen vielen leuchtenden Teelichtern in dem Schaukelstuhl sitzen, und das einzige Geräusch, das man hört, ist das Klappern der Stricknadeln und Håkan in niedriger Lautstärke aus den Lautsprecherboxen. Ein wärmender Strahl aus Wohlbefinden durchströmt Siw, und sie lächelt und muss über sich selbst den Kopf schütteln.

 

Alva durchsucht den Kartoffelbrei nach Klümpchen. Als sie keine findet, pikst sie einen Köttbullar auf und betrachtet ihn aus unterschiedlichen Richtungen, bevor sie sagt: »Der ist tatsächlich nicht richtig rund.«

»Dann müssen wir reklamieren.«

»Was müssen wir?«

»Ihn in einen Umschlag stecken, einen Zettel dazu schreiben und alles an Iglo schicken: Hier bekommen Sie Ihren schlechten Köttbulle zurück. Schicken Sie uns bitte einen neuen. So etwas nennt man reklamieren.«

»Man kann einen Köttbulle nicht in einen Umschlag stecken. Das geht nicht.«

»Aha. Na, dann gibst du ihn eben mir.«

Alva streckt die Gabel aus und schüttelt den Kopf über die Einfalt ihrer Mutter. Als Siw gekaut und geschluckt hat, sagt sie: »Du hattest recht. Er war nicht ganz rund. Es war schrecklich.«

»Mama, sei nicht ironisch.«

»Sorry.«

Siw kann nicht behaupten, dass sie ihre Tochter in vollem Umfang versteht. Auf der einen Seite ist Alva unheimlich fantasievoll und inszeniert ausgeklügelte Rollenspiele mit ihren Kuscheltieren, auf der anderen Seite ist sie streng wie eine Pietistin und akzeptiert nicht die geringste Übertretung der Grenzen, die der Wirklichkeit gesetzt sind. Es ist ein Seiltanz, bei dem Siw manchmal stolpert.

Alva ist klein und schmächtig, die Schultern sind spröde Kugeln unter dem blauen Eiskönigin-T-Shirt, das sie trägt. Ihr braunes Haar ist zu zwei dünnen Zöpfen gebunden, die ein kleines Gesicht mit ausgeprägtem Kinn und spitzer Nase einrahmen. Ihre blauen Augen sind oft zusammengekniffen, und insgesamt vermittelt Alva den Eindruck, als könnte man sich an ihr verletzen, wenn man nicht aufpasst, so scharfkantig und eckig ist sie. Alva ist sieben Jahre alt.

»Ist heute etwas passiert?«, fragt Siw vorsichtig.

Alva wirft ihrer Mutter einen skeptischen Blick zu und scheint zu beschließen, dass ihr die Ironie von gerade eben verziehen werden kann, indem sie antwortet: »Millas Vater ist nicht zu Hause, weil er im Krankenhaus liegt. Er ist vom Dach gefallen.«

»Oje!«, sagt Siw. »Was hat er denn dort oben …«

»Lag mein Vater auch im Krankenhaus?«, wird sie von Alva unterbrochen.

Siw seufzt. Jetzt ist es wieder so weit. Sie sagt: »Nein. Das habe ich dir doch erzählt. Er ist verschwunden.«

»Aber bevor er verschwand?«

»Nein. Er verschwand einfach.«

»Aber wohin verschwand er?«

»Das weiß niemand.«

»Nicht einmal seine Mama und sein Papa, die meine Oma und mein Opa sind?«

»Nein. Das habe ich dir doch gesagt. Sie sind tot.«

Dieses Gespräch hat sich in vielen Variationen abgespielt, seit Alva groß genug ist, um zu verstehen, dass es etwas Besonderes ist, keinen Vater zu haben. Weil Siw dieselbe Frage schon vorher von Bekannten gestellt worden ist, hatte sie bereits eine ausgearbeitete Geschichte auf Lager, die sie Alva in kleinen Portionen auftischen konnte. In aller Kürze ging es um einen Finnen auf einer Überfahrt mit einer Fähre, einen Mann, der später unmöglich aufzufinden war.

Es stört sie, dass Alva manchmal voller Stolz behauptet, dass sie eine halbe Finnin sei, aber da kann man nichts machen. Es ist auf jeden Fall besser als die Wahrheit. Zu Siws Erleichterung scheint Alva das Thema für dieses Mal als erschöpft zu betrachten, weil sie ihr zunickt und fragt: »Warum hast du nasse Haare?«

»Ich war trainieren.«

»Was hast du trainiert?«

»Meine Muskeln.«

»Damit du stark wirst?«

»Ja. Und ein bisschen schlanker.«

Alva kneift die Augen zusammen, als würde sie Siw vermessen. Dann sagt sie: »Ist das nicht ziemlich … unnötig?«

Siw muss losprusten und spuckt beinahe den Bissen wieder aus, den sie im Mund hat. Es gelingt ihr, ihn herunterzuschlucken und durch die Nase auszuatmen. Als sie wieder aufsieht, wird sie von Alva böse angesehen. Sie mag es nicht, wenn man über sie lacht, obwohl sie keinen Witz gemacht hat.

»Entschuldige«, sagt Siw. »Tante Anna war auch mit.«

Alva mag Anna sehr, und Siw hofft, dass die Erwähnung ihres Namens die Situation verbessern kann, aber Alva ist nicht in der Laune, sich davon besänftigen zu lassen. Sie schiebt die Augenbrauen noch enger zusammen, verschränkt die Arme vor der Brust und fragt: »Warum machst du alles mit Tante Anna?«

»Weil sie meine beste Freundin ist.«

Alvas Miene entspannt sich ein wenig: »War sie das schon immer?«

»Nein, wir haben uns erst in der Mittelstufe kennengelernt.«

»Als ihr schon alt wart.«

»Nein, nicht so alt. Ich war dreizehn.«

»Wie war das? Als ihr euch getroffen habt?«

3

Siw hatte einen Lieblingsplatz in die Schulpausen. Eine Woche nach dem Ereignis vor der Bibliothek saß sie wie üblich in »ihrem« Sessel in einer Ecke des fensterlosen Aufenthaltsraums, der wie eine Kreuzung aus einem Bunker und einem Wartesaal aussah und in dessen Mitte drei Sitzgruppen mit wasserdichten Bezügen standen. An der Decke Neonröhren. An den Wänden Plakate über die Gefahren von Drogen und ungeschütztem Sex. Auf eines davon mit dem Bild eines sonnengebräunten Mädchens am Strand und dem Text: »Urlaubsflirt? Kondom nicht vergessen!«, hatte jemand, gar nicht mal ungeschickt, einen riesigen, steifen Penis mit Aufreißerfrisur gezeichnet, der dem Mädchen im Sonnenuntergang entgegenkam.

Siw hatte ein gebundenes Exemplar von Verbrechen und Strafe auf dem Schoß liegen, aber das war vor allem eine Pose. Siw wollte irgendwann zu dem Mädchen werden, das in den Pausen russische Klassiker las, aber bis jetzt war das Buch nur ein Vorwand dafür, in der Ecke zu sitzen und die anderen beobachten zu können. Hin und wieder las sie einen Abschnitt, ohne dass sie irgendeinen Zusammenhang herstellen konnte. Ihre Mutter hatte ihr das Buch aufgedrängt, und Siw hatte es genommen, weil ihr dessen physische Masse gefiel.

Sie war kein Mobbingopfer, obwohl sie hin und wieder Anspielungen auf ihr Gewicht ertragen musste, aber sie kannte auch nicht die sozialen Codes, die man brauchte, um einen Platz auf der Bühne zu bekommen, die von den drei Sitzgruppen gebildet wurde. Also blieb sie hinter den Kulissen und genoss die Vorstellungen der Leittiere. Wie jetzt bei dieser Anna.

Obwohl Anna erst vor einem Monat neu in die Klasse gekommen war, und zu allem Überfluss auch noch aus Rimbo, hatte sie sich bereits eine ganze Schar von Anhängern beschafft, die an ihren Lippen hingen, wenn sie sich über Lehrer, andere Schüler oder über sich selbst und Rimbo lustig machte. Siw fand sie gleichzeitig abstoßend und faszinierend. Sie hatten noch kein einziges Wort gewechselt.