Vorsicht, Vermittler! - Jens Hagen - E-Book

Vorsicht, Vermittler! E-Book

Jens Hagen

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Beschreibung

Sie leben in Saus und Braus mit Kundengeldern in Millionenhöhe und gönnen sich auch schon mal einen Swingerklub-Urlaub auf Kosten ihrer Kunden. Die wilden Partys der S&K-Manager und die Lustreisen der ERGO-Vertreter werfen ein grelles Schlaglicht auf die Zunft der Finanzberater und Versicherungsvertreter. Eigentlich gelten sie als verschwiegen, doch anonym erzählen erfolgreiche Versicherungs- und Bankvertriebler aus ihrem Joballtag. Sie verraten ihre gemeinen Tricks und wie sie Kunden untaugliche Produkte andrehen. Aber sie berichten auch über den unmenschlichen Druck durch die Vorgesetzten und wie viel sie wirklich verdienen. Es ist der erste authentische Blick in die dunklen Ecken eines Gewerbes, für das Stillschweigen das oberste Gebot ist. Zudem zeigen die renommierten Autoren von Handelsblatt Online, wie Sie sich als Kunde vor den Tricks der Berater schützen können, wie Sie schlechte Finanzprodukte erkennen und wie Sie Schrottpapiere wieder loswerden. Ein praktischer Ratgeber und ein spannender Blick hinter die Kulissen von Versicherungs- und Bankvertrieblern wie Carsten Maschmeyer, Mehmet Göker, S&K oder die ERGO Versicherungsgruppe.

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1. Auflage 2014

© 2014 by FinanzBuch Verlag ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Marion Reuter

Korrektorat: Leonie Zimmermann

Umschlaggestaltung: Maria Wittek, München

Satz: Georg Stadler, München

Druck: Konrad Tritsch GmbH, Ochsenfurt

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-89879-871-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-620-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-621-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter

www.muenchner-verlagsgruppe.de

Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Vertreter packen aus
1.1 Joballtag und Verkaufsmaloche
1.2 Die Verkaufstricks
1.3 Die Provisionen
1.4 Die Skrupel
1.5 Interview: »Heute ist Ihr Glückstag«
2. Die Beichte: Ein erfolgreicher Vertreter beschreibt seinen Joballtag
3. Der Vermittler – das unbekannte Wesen
Begehrt, unfair oder arm?
Vertreter, Berater oder Verkäufer?
Das Vermittler-Proletariat: Massenhaft Verkäufer, die nur Geld verdienen wollen
Die unbeliebten Vermittler: Vertreter, die sehr abhängig sind
Die scheinbar anständigen Vermittler: Abhängig agierende Makler
Die Interessenwahrer: Unabhängige Berater
Tipps für Verbraucher: Was Sie fragen sollten und worauf Sie achten müssen
Worauf Kunden bei Vermittlern achten
Wie Kunden clevere Verkäufer erkennen
4. Die ERGO-Skandale
Die Sexparty in Budapest
Weitere Lustreisen von ERGO-Vermittlern
Unangemessene Unterkunft in Jamaika
Prostitution
Besuch von Nachtclubs
Fehler in Riester-Formularen und schlechte Beratung
5. Gier frisst Hirn: Wie knallharte Powerverkäufer leben und arbeiten
5.1 Vom Verkäufer zum Promi: Carsten Maschmeyer
Die Erfolgsrezepte des Verkäufers Carsten Maschmeyer
5.2 Vom Pleitier zum Filmstar: Mehmet Göker
Die Pleite
Das neue Leben
Service: Mehr Durchblick im Tarifdschungel der PKV
6. S&K: Protz und Prunk auf Kosten der Kunden
7. Was sich ändern muss: Eine Blaupause für mehr Anlegerschutz
Der Grüne: Riester-Rente vereinfachen
Die Linke: Provisionsabhängigen Verkauf überwinden
Der Europa-Politiker: Irreführende Angaben verbieten
Der Verbraucherschützer: Beratung und Verkauf trennen
Der Anwalt: Die Beweislast umkehren
Der Berater: Irreführende Berufsbezeichnungen verbieten
Die Vertreter: Auf staatliche Eingriffe verzichten
8. So werden Sie unpassende Finanzprodukte wieder los
8.1 Lebensversicherungen
Das wichtigste Anlagevehikel zur privaten Altersvorsorge ist unmodern
Beim Verkauf wird oft zu viel versprochen …
… und die Prognose sieht düster aus
Bei Altverträgen stimmt die Rendite …
… zudem gelten die Anlagen als gut abgesichert
Wer vorzeitig kündigt, erzielt Verluste
Weitere Fallstricke einer vorzeitigen Kündigung
Alternativen zur Kündigung
Von wem sollten Sie sich beraten lassen?
8.2 Geschlossene Fonds
Skandalträchtig und immer wieder neu reguliert
Am Anfang stand das Steuern-Sparen
Neuanfang als Renditeobjekt …
… begann mit Fehlspekulationen bei Schiffsfonds
Produktvergleiche kaum möglich
Weiterer Neustart als reguliertes Produkt
Eigene Fonds beurteilen
Wo Anleger unabhängige Informationen finden
Chancen im Rechtsstreit
8.3 Aktien und Aktienfonds
Die Angst der Deutschen vor der Aktie
Warum sich die Amerikaner für Aktieninvestments begeistern
Was Sie grundsätzlich von Aktieninvestments erwarten können
Die Renditen
8.4 Zertifikate
Beliebte Wetten
Garantie ist nicht gleich Garantie
Was Anleger grundsätzlich von Zertifikaten erwarten können
Klassische Varianten
Wetten, dass ….
Wo finden Sie Informationen zu Zertifikaten in Ihrem Portfolio?
Was ist beim Verkauf zu beachten?
Wann lohnt es sich, einen Profi einzuschalten?
Wie sind die Chancen im Streitfall?
8.5 Anleihen
Nur vermeintlich sicher!
Mehr als die Hälfte mit Euro-Staatsanleihen verloren
Ein billionenschwerer Markt …
… der grundsätzlich folgendermaßen funktioniert…
… und viele Varianten bietet
Das Drama mit den Mini-Bonds
So schätzen Sie Ihre Anleihe ein
Die wichtigsten Kriterien für einen vorzeitigen Ausstieg
8.6 Zinsprodukte
Letzte sichere Burg für Anleger?
Eine Bankpleite und die nutzlosen Garantien von Politikern
Warum Sparprodukte dennoch grundsätzlich lohnen
Die Varianten und was es zu beachten gilt
Der Fall Zypern – oder: wenn Kunden auf einen Teil ihrer Einlagen verzichten müssen
Was bringt die Einlagensicherung?
Was ist bei einer Kündigung zu beachten?
Den Anbieter wechseln, um den Zinsertrag zu optimieren
Vorsicht: Falle beim Festgeld!
Den Schaden begrenzen, wenn Sie Geld vorzeitig abziehen müssen
Oft ist es günstiger, Ihr Guthaben zu beleihen statt zu kündigen
Strittige Fälle schlichten lassen
Sind gefährliche Angebote nicht langsam ausgestorben?
8.7 Genussrechte
Windige Prokon
Was ist grundsätzlich von Genussrechten zu halten?
Welche Varianten gibt es bei Genussrechten?
Welches sind die Chancen von Genussrechten?
Nachrangklauseln und Verlustbeteiligung im Pleitefall
Unsichere Ausschüttungen
Unsicherheiten bei der Steuer
Wie erkennen Anleger unseriöse Emittenten?
Warum ist es oft schwierig, auszusteigen?
Was ist in einem Pleitefall zu tun?
Wie heißen die nächsten windigen Tricks?

Vorwort

In Finanzfragen wird mehr schlecht als recht beraten: Die Kunden von Banken, Versicherungsunternehmen oder anderen Finanzdienstleistern in Deutschland werden seit vielen Jahren auf unterschiedliche Weise abkassiert. Die maßlose Gewinnmaximierung von Finanzinstituten weltweit ohne Rücksicht auf Risiken hat im Oktober 2008 fast zum Zusammenbruch der internationalen Finanzmärkte geführt. Die Folge war eine Finanzmarktkrise, deren langfristige Auswirkungen heute noch nicht abzusehen sind. Kapitalanleger und Vorsorgesparer mussten erfahren, dass ihr angeblich sicher angelegtes Geld zum Spielball von Finanzjongleuren geworden war. Kein Wunder also, dass die Beziehung zwischen Kunden und Finanzdienstleistern in eine tiefe Vertrauenskrise gestürzt wurde. Möglich war eine solche Entwicklung in Deutschland vor allem deshalb, weil Verbraucherschutz im Finanzsektor von jeher eine untergeordnete Rolle spielt.

Die Folgen dieser mangelnden Rechtssicherheit bekommen meine Kollegen und ich täglich in unserer Kanzlei zu spüren: finanzielle Existenzsorgen und damit verbundene Ängste und Ohnmachtsgefühle der Geschädigten gegenüber der mächtigen Finanzwirtschaft. Für die Betroffenen ist es unfassbar, dass unter staatlicher Aufsicht stehende Finanzinstitute derart rücksichtslos agieren konnten und können, und dies nur, weil Falschberatung für die Finanzvermittler weitestgehend ohne rechtliche Konsequenzen bleibt.

Die Lehren aus der Finanz- und Vertrauenskrise sind immer noch nicht gezogen worden: nicht von der Politik, den Aufsichtsbehörden und den Gerichten und am allerwenigsten von Banken, Versicherern oder anderen Finanzdienstleistern. Lippenbekenntnisse allein schaffen kein neues Vertrauen. Es müssen sinnvolle Taten folgen. Die Politik hat zwar begonnen, neue Rahmenbedingungen für einen wirksameren Verbraucherschutz im Finanzsektor zu schaffen, aber dies ist nur ein bescheidener Anfang. Die Liste der Aufgaben ist lang:

Finanzaufsicht

Die Finanzaufsicht hat bisher versagt. Sie hat die Verbraucher vor Risiken nicht gewarnt. Die jüngsten Erfahrungen (Prokon, S&K, Infinus, Wölbern Invest etc.) zeigen, dass die BaFin keine effiziente Aufsicht im Sinne des Anlegerschutzes gewährleistet.Den Beweis liefert auch dieses Buch, etwa in Kapitel 6 (S. 107).Die Autoren zeigen eindrucksvoll, dass die Aufseher trotz Kenntnis von Verstößen nicht eingeschritten sind, um die Vernichtung von Anlegergeldern zu verhindern. Eine funktionierende Finanzaufsicht sorgt dafür, dass »schwarze Schafe« nicht nur ausfindig, sondern auch publik gemacht und in ihrem Handeln gestoppt werden. Die Aufsichtsbehörden müssen ihre traditionell nahezu ausschließliche Fixierung auf die Stabilität des Finanzsystems zugunsten des Verbraucherschutzes erweitern. Verbraucherschutz muss endlich als Aufsichtsziel in der Bankenaufsicht verankert werden. Auch sollten die Produkte des »grauen Kapitalmarkts« zwingend in die Regulierung und Aufsicht einbezogen werden.

Falschberatung

Solange Kunden den Finanzdienstleistern eine Falschberatung nachweisen müssen, herrscht vor Gericht keine Waffengleichheit. Solange es per Gesetz keine wirkliche Haftung für Falschberatung gibt, wird es für Finanzdienstleister auch nicht ausreichend Anreiz geben, ihre Beratung in erster Linie an den Bedürfnissen des Verbrauchers auszurichten.Wie wenig sich viele Berater an den Bedürfnissen der Kunden orientieren, zeigen das erste und zweite Kapitel dieses Buches, S. 12-41. Hier berichten Finanzberater aus ihrem Alltag.Sie erklären sogar, wie sie Kunden gezielt unter Druck setzen, um für sie nachteilige Produkte abzuschließen. Nicht wenige Finanzberater leiden darunter, denn auch sie möchten ihr Geld nicht damit verdienen, ihre Kunden zu übervorteilen. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Dreistigkeit einiger Vertriebsmethoden kriminelle Züge angenommen hat. Deshalb brauchen wir im Anlagerecht klare Haftungsgrundlagen.Rückrufaktionen, wie sie im Automobilbereich bei Bedarf üblich sind, geben ein Beispiel für Handeln im Kundeninteresse. Ein vergleichbar klar geregeltes Haftungsrecht im Finanzbereich hätte im Falle der Lehman-Brothers-Zertifikate bereits die bankinternen Kontrollen eingreifen lassen. Deshalb fordern wir die Beweislastumkehr als Voraussetzung für eine bessere Beratungsqualität.

Justiz

Auch in der Rechtsprechung ist ein Umdenken erforderlich. Getäuschten Kapitalanlegern wurden in der Vergangenheit allzu oft Geldgier und Steuersparsucht unterstellt und es wurde zu sehr ihre Eigenverantwortung betont. Richter und Staatsanwälte sollten anerkennen, dass die entstandenen Schäden die Folgen einer provisionsorientierten Beratung sind. Die Aufgabe des Staates ist es, die Justiz personell so auszustatten, dass sich Richter für die Beurteilung von Einzelfällen die erforderliche Zeit nehmen können und durch qualifizierte Finanzexperten unterstützt werden.

Dokumentationspflicht

Es reicht nicht aus, die Dokumentationspflicht allein quantitativ zu erweitern. Dabei besteht die Gefahr, dass die Verbraucher mit Informationen überfrachtet werden. Die Praxis zeigt sogar, dass Finanzdienstleister diese Pflicht missbrauchen, indem sie sich unter Hinweis auf die formelle Dokumentation jeglicher inhaltlichen Haftung entziehen. Um eine qualitative Verbesserung zu erreichen, müssen die Vorschriften zur Dokumentation präzisiert und vereinheitlicht werden.

Qualifikation der Berater

Trotz Milliardenverlusten durch Falschberatung ist die fachgerechte Ausbildung von Finanzberatern immer noch nicht gesetzlich geregelt. Freie Finanzberater benötigen weder einen Schulabschluss noch eine berufliche Qualifikation, geschweige denn eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung. Wir brauchen ein Berufsbild mit Mindestqualifikationen für Finanzberater. Doch auch die beste Ausbildung führt nicht zwangsläufig zu einer guten Beratungsleistung, wenn der Berater unter Verkaufsdruck steht und vom Provisionsinteresse gesteuert wird. Das zeigt die Praxis in Banken mit qualifiziert ausgebildeten Kundenbetreuern. Der Starverkäufer ist kein guter Berater. Deshalb ist eine Abkehr vom Provisionssystem unabdingbar.

Finanzwirtschaft

Immer noch wehren sich Finanzdienstleister gegen die Einführung eines wirksamen Verbraucherschutzes in ihrem Bereich. Dabei gibt es unter der Voraussetzung seriösen Handelns keinen Grund, Produkt- und Beratungstransparenz zu fürchten. Auch könnte durch das Eingeständnis der für die Krise mitverantwortlichen Branche, Fehler gemacht zu haben, und durch die Bereitschaft, dafür die Verantwortung zu übernehmen, verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden. Immerhin hat fast die gesamte Finanzbranche den Gesellschaftsvertrag gebrochen, der auf dem ethischen Grundsatz beruht, dass Banken und Versicherer das Geld der Bürger verwalten und damit Gewinne machen dürfen, im Gegenzug aber Regeln einhalten müssen, damit das eingebrachte Geld gesichert wird. Finanzunternehmen, die weiterhin Umsatzziele von 20 bis 30 Prozent erreichen wollen, müssten zumindest klarstellen, dass dies nur unter der Inkaufnahme großer Risiken für das eigene Unternehmen oder für die Kunden möglich ist. Aber nach wie vor werden risikoreiche Finanzprodukte unter dem Deckmantel angeblich sicherer Kapitalanlagen verkauft, ohne dem Kunden die Vertragsfolgen verständlich offenzulegen. Banken und Versicherer müssen entscheiden, ob sie (wieder) Treuhänder für fremdes Geld sein oder Abkassierer bleiben wollen. Das in hohem Maße verspielte Vertrauen werden sie nur zurückgewinnen, wenn sie einen Rollenwechsel in ihrer Beziehung zum Kunden vollziehen und ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft ausüben. Dazu gehört unter anderem, dass die Finanzwirtschaft sich intensiv mit neuen Vergütungssystemen auseinandersetzt, die auch den Service am Kunden honorieren. Dies ist mit dem bisherigen Provisionssystem nicht erreichbar. Anbieterunabhängige Honorarberatung ist zwar mühsamer als das schnelle Provisionsgeschäft. Wer aber an einer langfristigen Kundenbeziehung interessiert ist, wird seinen Fokus auf faire, produktoffene Beratung legen, verantwortungsvoll Kredite vergeben und diese nicht leichtfertig weiterverkaufen. Auch auf diese Weise lässt sich Geld verdienen, vielleicht nicht so viel, dafür aber dauerhaft.

Die Banken selbst sollten sich wieder auf ihre originäre volkswirtschaftliche Aufgabe zurückbesinnen: für einen reibungslosen Zahlungsverkehr zu sorgen und der Wirtschaft und den Bürgern Kredite zu geben, um so Produktion, Beschäftigung und Vermögensvorsorge zu ermöglichen. Damit leisten sie einen volkswirtschaftlichen Mehrwert.

Verbraucher

Die Unübersichtlichkeit des Marktangebots hat in den vergangenen Jahrzehnten so stark zugenommen, dass für die Verbraucher eine angemessene Orientierung bei Finanzprodukten nahezu unmöglich geworden ist. Solange bei Finanzgeschäften keine umfassende Transparenz herrscht, die es Verbrauchern überhaupt erst ermöglicht, eventuelle Fallen zu erkennen, bleibt der mündige Verbraucher ein Wunschbild. Der Bedarf der Verbraucher an unabhängiger Beratung und an Orientierung ist in dem Maße gestiegen, wie Märkte liberalisiert wurden und die Eigenverantwortung der Verbraucher für die Abdeckung von Lebensrisiken von der Politik verlangt wurde. Dass mit dem Rückzug des Staates aus der Daseinsvorsorge zugleich die Kapazitäten der unabhängigen Verbraucherberatung abgebaut wurden, ist ein politischer Fehler und bedeutet eine Benachteiligung der ohnehin schwächeren Vertragsseite der Verbraucher. Mehr Eigenverantwortung der Bürger im Bereich finanzwirtschaftlicher Entscheidungen ist nur bei entsprechendem Bildungs- und Informationsangebot möglich, das allein mit staatlich unterstützten Volkshochschulkursen nicht abzudecken ist. Von einer »aktiven Verbraucherpolitik«, die den Konsumenten als tragende Säule der Wirtschaft einbezieht, sind wir weit entfernt: Die Anbieterseite sieht im Verbraucherschutz unverändert einen Eingriff in ihre unternehmerische Freiheit. Und die Politik hat es bisher nicht geschafft, aktive Verbraucherpolitik als Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik zur Belebung der Binnennachfrage und zur Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland zu etablieren.

Krise als Chance

Die Finanz- und Weltwirtschaftskrise hat eine gesellschaftspolitische Dimension bekommen, die sich vor allem in verloren gegangenem Vertrauen bei den Bürgern niederschlägt. Die Vertrauenskrise kann nur überwunden werden, wenn die Bedürfnisse der Verbraucher in den Mittelpunkt gestellt werden. Die Krise sollte als Chance verstanden werden, umfangreiche Veränderungen herbeizuführen: Der Gesetzgeber muss klare Rahmenbedingungen schaffen. Die Justiz muss bei Verstößen konsequent durchgreifen. Die Finanzwirtschaft muss ihre Kunden als langfristige Geschäftspartner begreifen und sie deswegen in deren Interesse beraten. Sie sollte ökonomisches Handeln und ethische Werte in Einklang bringen. Schließlich sollte der Verbraucher sich intensiver informieren und kritischer hinterfragen. Die Verbraucher müssen umdenken und bereit sein, für unabhängige Beratung ein Entgelt zu zahlen, damit nicht die Provisionshöhe der Berater die Produktwahl bestimmt. Alle Beteiligten würden von derartigen Veränderungen profitieren.

Ich wünsche eine spannende und lehrreiche Lektüre,

Ihr

Gerhart Baum

Bundesinnenminister a.D

1. Vertreter packen aus

1.1 Joballtag und Verkaufsmaloche

So geschmeidig mancher Vertriebler von Finanzprodukten noch im Kundengespräch gewesen sein mag – unter Zusicherung der Anonymität reden die Verkäufer von Versicherungen, Bausparverträgen oder Fonds dann doch Klartext. Was sie erzählen, dürfte vielen Anlegern die Zornesröte ins Gesicht treiben.

Es gelte, »den Kunden so lange über den Tisch zu ziehen, bis er die Reibungswärme als Nestwärme versteht«, berichtet etwa ein Vertreter des Berufsstandes. »Ein Verkaufsgespräch ist wie Kampfsport«, befindet ein erfolgreicher Fondsvermittler. »Wenn man zu häufig verliert, also keinen Abschluss erreicht, macht es keinen Spaß mehr«.

Es sind Sprüche wie diese, die man den sonst so honorig auftretenden Finanzvermittlern kaum zutraut. Ebenso wenig wie das teilweise überbordende Selbstmitleid, wenn es mit den Zielen nicht läuft wie erhofft. »Ohne Abschluss ist man ein Nichts«, erklärt etwa der Fondsvermittler. Wenn der Verkäufer beim Kunden abblitze, sei das wie eine persönliche Zurückweisung. »Damit muss man leben lernen. Das ist wie in der Tanzschule ohne Partnerin sitzen zu bleiben.«

Ein anderer Vertreter klagt, dass Berufseinsteiger häufig verheizt würden. »In unserem Gewerbe heißt es: Senkrechtstarter starten nicht nur senkrecht, sie kommen auch so runter«, sagt er. Der Druck auf die Mitarbeiter sei immens, Burn-out und Mobbing in einigen Unternehmen an der Tagesordnung.

Die Vertriebsbranche ist ambivalent. Einerseits schillernd – gute Verkäufer von Finanzprodukten können nicht nur bei zwielichtigen Strukturvertrieben viel Geld machen und sich auf luxuriösen Incentive-Reisen von den Mühen des Alltags erholen. Andererseits ist die Branche verschlossen. Anfragen zu Interviews mit Vertriebsvorständen lehnen viele Finanzunternehmen pauschal ab, unter Klarnamen redet kaum ein Vertriebler, um nicht als Nestbeschmutzer identifiziert zu werden.

Die Autoren dieses Buchs haben mit mehreren Dutzend Finanzvertrieblern geredet. Anonym berichten sie, mit welchen Tricks sie Kunden zum Kauf überreden können, welchem Druck sie ausgesetzt sind und was sie verdienen. Basis des Buches ist eine Serie beiHandelsblatt Online, die im vergangenen Jahr mehr als eine Million Mal aufgerufen wurde. Ziel ist keine empirische Analyse, sondern ein Blick in den Alltag. Es geht nicht darum, einen Berufsstand pauschal an den Pranger zu stellen. Wie in jedem Job gibt es gute und schlechte Standesvertreter ebenso wie seriöse und unseriöse Geschäftsmodelle. Die Schilderungen sollen einen Einblick in die Mentalität vieler Vertreter verschaffen, Missstände aufdecken und mögliche Ursachen dafür offenlegen.

Was die wenigsten Kunden wissen: Vertrieb ist ein Knochenjob. Ein freier Vertreter von Geldanlage-Produkten aus dem Rheinland beschreibt seinen Joballtag so: Schon bis circa acht Uhr morgens sollten die Konzepte für die wichtigsten Kundengespräche des Tages stehen.

Auf vermögende Kunden bereitet sich der Verkäufer bis ins Detail vor. Er analysiert, welchen Bedarf die Person haben könnte, bereitet Argumentationslinien vor und geht Strategien gegen mögliche Einwände durch. Danach werden Termine ausgemacht, vom frühen Vormittag bis zur Essenzeit laufen die Verkaufsgespräche. In der Mittagspause werden Angebote geschrieben und Papierkram erledigt.

Danach folgen wieder Verkaufsgespräche und Termine, die bis in die Nacht dauern können. Erfolgreiche Verkäufer brauchen eine Bärennatur oder so viel Geld, dass sie nach einigen Jahren aussteigen können.

»Die Selbstausbeutung der Vertriebler geht tatsächlich bis an den Rand der persönlichen Selbstauslöschung«, erklärt ein anderer Vertreter. Das Geschäftsmodell sei die Ursache für stressbedingte Erkrankungen bis hin zum Burn-out. Viele Vertriebe setzen neben völlig freien Verkäufern auch auf selbstständige Mitarbeiter, die fast ausschließlich für sie arbeiten.

Wie der Joballtag funktioniert, berichtet eine Vertrieblerin, die für mehrere namhafte Versicherer sowohl in Festanstellung als auch freiberuflich gearbeitet hat. Zum Start kümmern sich fünf bis sieben Mitarbeiter um den neuen Kollegen, arbeiten ihn in die teils komplizierte Materie ein und begleiten ihn zu Kundengesprächen. Schon bei der Einarbeitung gäbe es jedoch Zielvorgaben. Es gelte die Regel: »Wer schreibt, der bleibt«.

Die Mitarbeiter müssen sich zur Decke strecken. Die finanzielle Unterstützung ende bei den Versicherern nach zwölf Monaten, bei Strukturvertrieben sogar nach sechs Monaten. Mancher Strukturvertriebler muss dann sogar noch Kredite zurückzahlen, etwa für Schulungen. Schafft der Kollege seine Ziele nicht, drohen Repressalien.

Wenn Mitarbeiter schwache Leistungen erbringen, werden sie von speziellen Betreuern ein- bis zweimal pro Woche angerufen, müssen Tätigkeitsprotokolle verfassen oder Vertriebserfolge nachweisen. Die »Spezialisten« telefonieren die Kundenlisten gemeinsam mit dem »Minderleister« ab. Die Fluktuation ist hoch. »In einem Jahr kündigten 20 von 130 Vertretern aus meiner Direktion«, sagt die Rheinländerin.

Der rege Wechsel ist gewünscht. »Jeder neu eingestellte Vertreter bringt zwangsläufig seine Freunde und Familie im Bestand unter«, sagt die Vertreterin. Wenn der Mitarbeiter nach kurzer Zeit den Konzern verlässt, verbleiben die Kunden. »Die Vertriebsleiter erhalten Kopfprämien für Neueinstellungen«, erklärt die Versicherungsvermittlerin. »Sie erhalten aber keine Prämie, wenn der Mitarbeiter bleibt.« Der Ton ist rau. »Eine Frau hält es irgendwann nicht mehr aus: die Männerwitze, die Anzüglichkeiten, die Hinweise, dass Frauen doch eher im Sekretariatsempfang sitzen sollten.«

Auch Festangestellte stehen unter enormem Druck. Ein pensionierter Filialleiter einer bekannten Privatbank berichtet von Rennlisten für verschiedene Produktarten. Die Filialen stehen im Wettbewerb, niemand möchte sich erlauben, konstant hinten zu liegen. »Zuerst wurde die Leistung nur alle paar Monate oder Quartale erfasst, dann wochenweise und zuletzt täglich«, sagt der Banker. Die eigene Vertriebsleistung sei jederzeit transparent.

Der Druck steigerte sich nach dem Bericht noch, als die Zentrale dazu überging, die Organisation der Beratungstermine zu übernehmen. »Einige Berater wurden mit Terminen geradezu eingedeckt.«

Nicht immer verläuft die Motivation derart profan. Ein ehemaliger Mitarbeiter einer Sparkasse berichtet aus seiner Ausbildungszeit. Während einer Vertriebsaktion für Bausparverträge sollten die Azubis im zweiten Lehrjahr während einer Teamrunde einen Vorschlag machen, wie viele Verträge sie absetzen wollten. »Keiner hat sich getraut, bis ich mit dem Vorschlag aufkam, ein Volumen von 1,2 Millionen abzusetzen«, berichtet der Banker.

Die Summe sei sehr hoch für die Filiale gewesen, eben noch machbar. »Das sowie meine Vertriebsaktivität in der Filiale haben dazu geführt, dass ich in der Praxis exzellente Beurteilungen in meiner Azubizeit bekommen habe.«

Fachwissen wurde in der Ausbildungszeit angeblich nur selten abgefragt. »Es ging nur um Gesprächs- und Vertriebstaktiken und darum, die Zahlen in die Höhe zu schrauben, damit die Provisionserträge für die Filiale stimmen«, erklärt der Banker. Und: »In jeder Bank, eben auch den Sparkassen, ist es üblich, dass freitagabends die Leiter herumgehen und fragen, was und wie viel abgesetzt wurde.«

1.2 Die Verkaufstricks

Beim Kundengespräch greifen die Mitarbeiter gern in die Trickkiste. Motivationsseminare und »Arbeitstreffen« mit den Chefs sollen die Vertriebler motivieren. Wie das funktionieren soll, zeigen die Unterlagen eines Workshops, bei dem der Chef einer Fondsgesellschaft seinen Vertrieblern Beine machen wollte. »Früh zu Bett! Früh wieder auf! Arbeite wie der Teufel! Und mach Werbung!« Diesen dem Coca-Cola-Gründer Asa Griggs Candler zugeschriebenen Spruch sollten sich die Vertriebler zu eigen machen.

Neben vermeintlichen Bagatellen wie »perfekte, saubere, gute Angebotsvorlagen«, der »Verkaufsmappe auf dem aktuellen Stand« und einer stundengenauen Einteilung des Arbeitstages ging es auch um die Akquise von Neukunden. Jeder Vertriebler sollte eine Liste mit möglichen Interessenten erstellen. Darunter: »ehemalige Kollegen, Vereine, Freunde, Nachbarn, Eltern und Großeltern«. In zwei Stunden würden so schnell 200 Personen zusammenkommen, denen man vielleicht etwas verkaufen kann.

Die Rechnung ist einfach, wie der Fondsmanager weiß: »Bei guten Verkäufern führen fünf Kontakte zu einem Verkaufsgespräch. Jedes zweite Gespräch führt zu einem Abschluss.« Mindestens zwei Kundengespräche pro Tag seien für ein auskömmliches Vermittlungssalär nötig. Jeder freie Vertriebler hütet deshalb die Kundendatei wie seinen Augapfel – und zeigt sich bei der Suche nach neuen Kontakten unersättlich. »Da niemand von den Bestandsprovisionen leben kann, müssen ständig neue hinzukommen«, erklärt der Manager.

Der Handel mit Daten von potenziellen Kunden läuft wie geschmiert. Im Datenbusiness gibt es illegale Auswüchse. Eine Masche: Nach Schilderungen von verschiedenen Vertrieblern rufen etwa in der Türkei Mitarbeiter von Call-Centern potenzielle Kunden in Deutschland an und bieten ihnen zum Beispiel einen kostenlosen Vergleich von privaten Krankenversicherungen an.

Die Adressen der Interessenten werden dann an deutsche Versicherungsvertreter weitergegeben. Bei einem Abschluss erhält der Betreiber der Call-Center einen Teil der Provision. Eine Adresse von grundsätzlich nicht abgeneigten Kunden kostet laut Branchenkreisen 25 bis 40 Euro.

Besonders agile Verkäufer spannen ihre zufriedenen Kunden ein. »Während der Verkaufsarbeit sei auf systematische Weiterempfehlungen größter Wert zu legen«, heißt es in den Unterlagen zur Vertreterschulung der Fondsgesellschaft. »Kunden-Empfehlungswettbewerbe« sollen mit Goodies wie Wochenendausflügen schmackhaft gemacht werden. »Kleine Prämien wie eine Kiste Champagner im Erfolgsfall entfalten häufig eine erstaunliche Wirkung«, sagt der Vertriebsprofi. »Zuerst zaudern viele Kunden, dann helfen die meisten gerne.«

Große Versicherungen haben die Mitarbeit der Kunden professionalisiert, wie der Bericht eines Studenten zeigt. Ein Freund meldete sich, er sei jetzt bei einem Versicherer und wolle, um Praxis zu sammeln, eine »kostenlose Beratung« durchführen. »Ein paar Tage später saßen er und ein berufserfahrenerer Vertreter bei mir im Wohnzimmer, der sich als eine Art Mentor für meinen Freund vorstellte.«

Der Mentor übernahm schnell die Initiative und wollte dem damals 19-Jährigen eine Riester-Rente verkaufen. Damit nicht genug: Der Student sollte Adressen von Freunden herausgeben, mit denen das ungleiche Team das »Training« fortsetzen könne.

Nach der Absage ließ der Vertreter immer noch nicht locker. »Ich sollte auch für den Versicherer arbeiten«, schildert der Student. Sein Kumpel sei selbst über einen Freund zu der Gesellschaft gekommen. »Zwei weitere Bekannte von mir, die ebenfalls von meinem Freund betreut wurden, haben auch dort angefangen.«

Eine ehemals angestellte Versicherungsvermittlerin berichtet von »enormem Druck« durch den Vorgesetzten, wenn die Vermittler nicht mindestens fünf Empfehlungsanschriften beim nächsten Gespräch mit dem Vertriebsleiter nachweisen konnten. »Es gab eine Liste an der Wand, an der die Schlechten und die Guten ausgeschrieben werden, die jeder Kollege sehen kann, sowie Vertriebsmaßnahmen in Form von Schulungen.«

Erst im Verkaufsgespräch kann der Verkäufer sein wahres Talent beweisen. Dafür suchen sie sich bewusst Reizthemen. In der Geldanlage treiben die Kunden aktuell vor allem Befürchtungen wie Inflation, Sicherheit in der Euro-Krise oder Rendite im Zinstief um.

Beim Risikoschutz setzen Versicherungsvermittler auf das bewährte »Sargklappern«, ein Branchenjargon für das bildhafte Ausmalen von Schicksalsschlägen wie Invalidität, Unfällen oder Wetterkatastrophen. In der Vorsorge wird die Altersarmut aus dem Hut gezaubert und mit Steuervorteilen gelockt. »Verkäufer, die Risiken plastisch darstellen können, sind im Vorteil«, sagt etwa ein Fonds-Vertriebler. Und: »Gute Vermittler verkaufen keine Performance, sondern eine Idee.«

Wenn es eine gute Geschichte gäbe, sei das Produkt in den Augen der Kunden ebenfalls in Ordnung. Aktuell nutzen unseriöse Strukturvertriebe diese Masche und erklären ihren Kunden, dass sie ihre alten Lebensversicherungen kündigen sollen.

Wegen des Zinstiefs seien diese nicht mehr lukrativ. Stattdessen sollen sie auf sichere geschlossene Immobilien- oder Wind- und Solarenergie-Beteiligungen setzen. Das Ergebnis: Der Kunde verkauft seine Policen mit Garantiezinsen von bis zu 4 Prozent mit hohem Verlust, um in ein hochriskantes Investmentmodell zu wechseln. Der Vertreter kassiert dafür Provisionen im zweistelligen Prozentbereich der Anlagesumme. Geschlossene Beteiligungen sind aber für viele Privatanleger nicht geeignet. Sie beteiligen sich an unternehmerischen Objekten, bei Pleiten droht der Totalverlust des Investments. Noch Jahre danach drohen bei einigen Projekten sogar Nachschusspflichten.

Talentierte Verkäufer arbeiten beim Gespräch hoch konzentriert. Kleinste Anmerkungen des Gegenübers werden nach den Schilderungen der Vertreter sofort umgesetzt. Wenn der Kunde einen Ratenkredit erwähnt, könnte er eher auf risikoärmere Anlagen setzen als jemand, der ohne Gedanken an die Tilgung größere Summen zur Verfügung hat. Es gehe darum, in einem Gespräch Zustimmungspunkte einzusammeln, berichtet ein alter Verkaufsprofi. »Je mehr es davon gibt, desto wahrscheinlicher ist der Abschluss.« Tricks wie Visualisierung mittels Prospekten oder Charts sollen dem Kunden das Finanzprodukt plastisch vor Augen führen.

Eingefleischte Verkaufsprofis winden sich geradezu in die Psyche der Kunden. Dabei helfen Schlagfertigkeits- und Motivationsseminare, Verkaufsschulungen, Coachings aller Art. »Dem Vertriebler wird taktisches und strategisches Spezialwissen vermittelt, das durchaus den mittleren Ansprüchen einer Gehirnwäsche gleicht«, erklärt ein Branchenteilnehmer.

Dazu sollen »psychiatrische Systeme wie neurolinguistisches Programmieren sowie Lern- und Wahrnehmungssteuerungstechniken« unterrichtet werden. »Ich habe die Vertriebstrainings anfangs mitgemacht, mich dann aber geweigert, da die Tschakka-Runden nervten«, erinnert sich eine Vertrieblerin, die für mehrere große Versicherer tätig war.

1.3 Die Provisionen

Der Job im Vertrieb ist deswegen so interessant, weil Top-Verkäufer mehr verdienen können als ihre Vorgesetzten in der Zentrale. In einem internen Schulungspapier für seine Vertriebler rechnet der Chef einer Fondsgesellschaft vor: Bei zwölf Beratungsterminen pro Woche erzielen gute Verkäufer im Schnitt mindestens vier Abschlüsse.

Bei einer üblichen Abschlusshöhe von 20 000 Euro und der gezahlten Provision von 3 Prozent erzielen Vertreter jeden Monat Provisionen in Höhe von 9600 Euro. »Logisch ist, dass Vermittler, die planmäßig und intensiv arbeiten, tatsächlich noch bessere Abschlussquoten mit durchschnittlich noch höheren Verträgen haben«, erklärt der Chef.

Auch wenn solch hohe Vergütungen in der Fondsbranche eine Ausnahme sind, zeigen sie doch, welches Potenzial besteht. Der Ausgabeaufschlag bei Fonds, in der Regel 5 Prozent, landet fast komplett beim Vertrieb. Die jährliche Gebühr ging noch vor einigen Jahren größtenteils an die Gesellschaften, die damit vor allem ihr Portfoliomanagement bezahlten. Mittlerweile landet der größte Teil dieser Gebühren auch beim Vertrieb. Ein Grund, warum Fondsgesellschaften neue Gebühren, wie etwa die erfolgsabhängige Performance Fee, einführten und die Gebühren für die deutschen Kunden in den vergangenen Jahren stetig stiegen.

Auch wenn die goldenen Jahre der Vertriebe vorbei sein mögen, weil die Finanz- und Versicherungsindustrie im Zuge vielfältiger Sparrunden auch bei den Vertrieben keine Ausnahme macht – der Verkauf von Finanzprodukten ist immer noch lukrativ.

Erfolgreiche Vermittler von Bausparverträgen dürften die volle Abschlussgebühr, etwa 1,2 bis 1,3 Prozent der Bausparsumme, erzielen. Bei Baufinanzierungen ist üblicherweise 1 Prozent der Darlehenssumme drin – was schnell einige Tausend Euro sein können. »Bausparverträge und andere provisionsgetriebene Produkte sind das, was selbst das Vertriebsverhalten jeder kleinen Sparkasse steuert«, erklärt ein Banker.

Girokonten oder Tagesgeldkonten werden von freien Vermittlern dagegen offenbar nur ungern feilgeboten. Eine automatische Vermittlung übers Internet bringt zum Beispiel nur noch 30 bis 60 Euro. »Von Spar- oder Tagesgeldkonten will niemand etwas hören, das bringt keine Marge und ist Ballast«, erklärt ein Banker.

Wirklich Geld machen die Vermittler aber mit anderen Produkten. Eine Liste von Anlegeranwälten, die auf der Internetseite von Handelsblatt Online veröffentlicht wurde, zeigt beispielhaft: Mit dem Verkauf eines Schiffsfonds erzielten Banken bis zu 14 Prozent. Für Zertifikate gab es Provisionen von bis zu 3 Prozent pro Jahr. Beim Kauf eines bekannten vermögensverwaltenden Fonds gingen 6,8 Prozent an das Geldhaus. Bei Lebensversicherungsfonds wurden schon mal bis zu 8 Prozent des Anlagebetrages eingestrichen. Viele Geldhäuser sträuben sich bei der Veröffentlichung solcher Provisionen. In Vertretung ihrer Mandanten erhalten Anwälte aber bei Prozessen Einblick in die Kosten.

Auch die Versicherer lassen sich nicht lumpen. Freie Top-Vermittler konnten bis zum Jahre 2011 noch bis zu 20 Monatsbeiträge bei der Vermittlung einer privaten Krankenversicherung verlangen. Unseriöse Vertreter nutzen die hohen Abschlussgebühren, um ihre Bestände regelmäßig »umzudecken«, also die Kunden zur Kündigung des alten Tarifs und zum Neuabschluss bei einer anderen Gesellschaft zu überreden.

Insider berichten von Stornoquoten einzelner Vertriebe von bis zu 60 Prozent. Nach der Verschärfung der Vertriebsregeln für Provisionen und der Verlängerung der Haftungszeiten sanken die Sätze auf maximal neun Monatsbeiträge. Aber auch jetzt noch bringt ein einziger Vertrag mit einem Monatsbeitrag von 400 Euro rund 3600 Euro an Provision ein.

Die Vermittlung einer Lebensversicherung mit einem Monatsbeitrag von 100 Euro und 30 Jahren Laufzeit dürfte gut 1400 Euro bringen. Alle Angaben sind natürlich keine Pauschalen, die für alle Vertriebler gelten. Selbstständige Vermittler, die hohe Absatzzahlen und -summen garantieren, können höhere Ansprüche stellen als Vertreter mit weniger Fortune.

Neben den Provisionen locken Incentives. »In all meinen Funktionen war ich die meiste Zeit damit beschäftigt, Mitarbeiter zu bauchpinseln und zu bespaßen, und wir haben Unsummen dafür ausgegeben«, erinnert sich etwa eine ehemalige Führungskraft im Vertrieb einer Bausparkasse. Kreuzfahrten waren beliebt oder Reisen in fremde Städte.

Nicht immer haben sich die Teilnehmer unter Kontrolle. »Eines unserer regionalen Führungsteams hat in einer ausländischen Stadt über die Stränge geschlagen und auf Spesenkosten einen Stripclub mit Bordell besucht.« Der Vorfall wurde angeblich unter den Tisch gekehrt. DasHandelsblattdeckte unter anderem Lustreisen von erfolgreichen Vermittlern der ERGO-Versicherung und des Deutschen Herold in das Swinger-Hotel »Hedonism 2« auf Jamaika auf.

Ein Ex-Banker berichtet über die Präsentation eines geschlossenen Immobilienfonds, die von einem Fünf-Gänge-Menü bei einem Sternekoch flankiert wurde. »Die Gäste logierten in First-Class-Suiten, ein Pianist begleitete den Abend«, sagt der Finanzspezialist. »Anschließend ging es ins nächste Luxusbordell.«

Gute Verkäufer erhielten von dem Fonds, der mittlerweile längst geschlossen ist, neben üppigen Provisionen auch Gratiswochenenden in einem Grandhotel. »Bei kleineren Vertrieben rufen täglich die Vertreter an«, berichtet der Informant. »Nach einer kurzen Beschreibung des Finanzproduktes geht es dann häufig sehr schnell um die Provision.«

Auch wegen solch üppiger Belohnung werden einige Vertriebler schon mal schwach und lassen sich von den Banken vor den Karren spannen. Mehrere Banker berichten gegenüber Handelsblatt Online etwa von Anweisungen der Vorgesetzten, die Investmentfonds in den Depots ihrer Kunden »mindestens alle zwei Jahre zu drehen«.

Der Hintergrund: »Egal ob der Fonds gut oder schlecht gelaufen ist, der Berater erfindet eine Story, warum dieser Fonds jetzt nicht mehr gut ist, und der Kunde bekommt einen neuen Fonds – jedes Mal wird erneut der Ausgabeaufschlag fällig.« Die Provisionen für den Neuabschluss sollen die Vergütungen für den Bestand um etwa das Zehnfache übertreffen. Die Berater wissen um die Nachteile für die Anleger: »Kunden haben niemals im Leben eine Chance, Erträge mit dem Vermögen einzufahren; wenn alle zwei Jahre ein neuer Ausgabeaufschlag anfällt, wird jeder Vermögensertrag davon aufgefressen.«

Ein anderer Kundenberater gesteht Zinstricks seines Instituts. Nach den Schilderungen hat seine Bank nach Senkung des Diskontsatzes systematisch die Sparzinsen sofort nach unten angepasst. Die Sätze für flexible Darlehen, etwa in der Baufinanzierung, wurden dagegen verspätet weitergegeben. Über die Jahre kann bei hohen Kreditsummen so ein Schaden von einigen Tausend Euro zusammenkommen. Der Bundesgerichtshof schob diesem Treiben einen Riegel vor.

Der Kunde eines Strukturvertrieblers berichtet davon, dass sein Berater ihn von der Kündigung einer Kapitallebensversicherung überzeugt und für den Rückkaufswert eine fondsgebundene Police empfohlen hat. Der Kunde beklagt jetzt den entgangenen Garantiezins in Höhe von 4 Prozent und die enormen Kosten seiner neuen Police. »Ich habe die Fondspolice dann nach drei Jahren und mehr als 1200 Euro Prämienzahlung gekündigt. Der Rückkaufswert betrug 30 Euro.«

Auch die weiteren Empfehlungen waren schlecht, etwa die Koppelung des Schutzes gegen Berufsunfähigkeit mit einer Rürup-Rente. Die Gesundheitsfragen wurden angeblich in fünf Minuten abgehandelt, sagt der Kunde, außerdem sei die Police »steuerlich im Rentenfalle nachteilig und sauteuer«. Der Kunde kündigte den Vertrag nach drei Jahren.

Weitere Vermittler schildern Exzesse bei der Vermittlung von geschlossenen Beteiligungen, die wegen Provisionen im zweistelligen Prozentbereich sehr attraktiv sind. »Hier wurde aus Gier meist über sie Stränge geschlagen.« Junge Angestellte haben auf Empfehlung der Vertreter etwa die Hälfte ihres Vermögens in Schiffsfonds investiert. »Nachher waren sie nicht einmal in der Lage, sich ein gebrauchtes Auto zu kaufen.«