Was sich Gott dabei gedacht hat - Joel White - E-Book

Was sich Gott dabei gedacht hat E-Book

Joel White

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Beschreibung

Viele Gemeinden sind mittlerweile verstummt, wenn es um das Thema Sex und Sexualität geht. Dabei nimmt die Suche nach der eigenen Identität und dem Umgang mit Sexualität großen Raum im Leben ein - auch und gerade im Leben eines Christen. Was sagt also die Bibel über Sexualverhalten und warum? Was gebietet und verbietet sie? Und wie lässt sich das auf unsere Zeit übertragen? Der Theologe Dr. Joel White untersucht konservative wie moderne Ansätze und hinterfragt sie. Aussagekrätigen Bibelstellen über Sex und Reinheit, Ehe und Scheidung, Single Sein und Homosexualität geht er nach - und stellt am Ende fest: Sexualität ist Gottes Geschenk an die Menschen. Ein biblisch fundierter und gut verständlicher Beitrag zu einem bedeutenden Thema.

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Joel White

WASSICHGOTTDABEIGEDACHTHAT

Die biblische Basiseiner christlichen Sexualethik

SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22997-4 (E-Book)

ISBN 978-3-417-24168-6 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck

© 2021 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH

May-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen

Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]

Texte der Bibel werden nach folgenden Bibelausgaben zitiert:

Neue Genfer Übersetzung, © 2011 Genfer Bibelgesellschaft.

Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten. (NGÜ)

Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, vollständig durchgesehene und überarbeitete Ausgabe

© 2016 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart. (EÜ)

Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Witten/Holzgerlingen. (ELB)

Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LÜ)

Soweit nicht anders angegeben, handelt es sich um die Übersetzung des Autors.

Umschlaggestaltung: Stephan Schulze, Holzgerlingen

Satz: Burkhard Lieverkus, Wuppertal

TatjanaMeiner Ehefrau in diesem Leben,meiner Freundin in aller Ewigkeit

Inhalt

Über den Autor

Vorwort

Teil 1: Der biblische Anspruch

I. »Ehrt Gott mit eurem Leib« (1Kor 6,20) – Grundlegendes zur christlichen Sexualethik

1. Die Notwendigkeit einer christlichen Sexualethik

2. Die Grundsätze einer christlichen Sexualethik

3. Bibelauslegung: mehr als subjektive Meinungsbildung?

4. Sexualität und das Vermächtnis der christlichen Kirche

II. »Adam erkannte seine Frau« (1Mo 4,1) – Das biblische Verständnis von der menschlichen Sexualität als gute Gabe Gottes

1. Die geschlechtliche Unterscheidung als Ausdruck der Ähnlichkeit mit Gott (1Mo 1,27)

2. Adam und Eva und die Entdeckung der Sexualität (1Mo 2,18-25)

3. Ein erotisches Gedicht mitten in der Bibel (das Hohelied Salomos)

4. Paulus und die Verpflichtung zum Geschlechtsverkehr in der Ehe (1Kor 7,1-6)

III. »Die Ehe soll von allen in Ehren gehalten werden« (Heb 13,4) – Sexuelle Enthaltsamkeit vor und außerhalb der Ehe

1. Die Ehe als Rahmen für sexuelle Beziehungen

2. Die Folgen der Sexuellen Revolution

3. Das Narrativ der Liebe

4. Die Ehe als Schutzzone zur Entfaltung des Menschen

5. Warum sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe für die Ehe förderlich ist

6. Reinheit statt Jungfräulichkeit

7. Einwände gegen sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe

IV. »Das ist ein großes Geheimnis« (Eph 5,32) – Die Bedeutung der sexuellen Beziehung in der Ehe

1. Sexualität als wesentlicher Aspekt des Menschseins

2. Die Tiefendimension der geschlechtlichen Beziehung in der christlichen Ehe

V. »Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung« (1Thess 4,3) – Sexualverhalten als Aufgabenbereich für Christen

1. Die Aufgabe des einzelnen Christen im Umgang mit der Sexualität

2. Die Aufgabe der Gemeinde im Umgang mit der Sexualität

Teil 2: Die moderne Herausforderung

VI. »Wer nicht heiratet, der handelt besser« (1Kor 7,38) – Singlesein als Berufung

1. Biblische Stellungnahmen zum Thema Singlesein

2. Singles in der Gemeinde: erste Impulse für die Praxis

VII. »Was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden« (Mt 19,6) – Scheidung und Wiederheirat

1. Biblische Stellungnahmen zum Thema Scheidung und Wiederheirat

2. Geschiedene und Wiederverheiratete in der Gemeinde: erste Impulse für die Praxis

VIII. »Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau« (3Mo 18,22) – Homosexualität aus der Sicht der Bibel

1. Biblische Stellungnahmen zum Thema Homosexualität

2. Häufige Gegenargumente gegen den negativen Befund zur Homosexualität in der Bibel

3. Homosexuelle in der Gemeinde: erste Impulse für die Praxis

Ein Wort zum Schluss

Weiterführende Literatur

Bildrechte

Anmerkungen

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Über den Autor

Dr. Joel White ist promovierter Theologe und Humanwissenschaftler. Seit 2002 lehrt er Neues Testament an der Freien Theologischen Hochschule Gießen. Er ist seit über 30 Jahren mit Tatjana verheiratet und hat drei erwachsene Kinder, einen Schwiegersohn und einen Enkelsohn.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Vorwort

Der Leser hat meiner Überzeugung nach das Recht zu wissen, mit wem er es zu tun hat, wenn er ein Buch in die Hand nimmt und dem Autor seine Aufmerksamkeit schenkt – ein Privileg, dessen sich der Autor erst als würdig erweisen muss. Ich unterrichte seit 20 Jahren im Fachbereich Neues Testament an der Freien Theologischen Hochschule in Gießen. Noch wichtiger: Ich bin seit mehr als dreißig Jahren mit Tatjana verheiratet, habe drei erwachsene Kinder und einen Enkelsohn.

Dieses Buch ist aus der Not, die ich in vielen Gemeinden und Kirchengemeinschaften in Deutschland gesehen habe, geboren. Viele von ihnen sind, wenn es um Sex geht, seltsam sprachlos geworden. Zu schnell sind die diesbezüglichen gesellschaftlichen Veränderungen über sie hereingestürzt. Sie haben mit der christlichen Lehre seit Jahrhunderten überlieferte sexualethische Positionen einfach übernommen und sich dabei nicht viel gedacht. Nun merken sie auf einmal, dass diese von ihren eigenen Mitgliedern infrage gestellt werden – von der Gesellschaft, die sich längst davon verabschiedet hat, ganz zu schweigen. Sie wissen oder meinen zu wissen, was die Bibel in sexualethischer Hinsicht lehrt, aber nicht, warum. Und sie spüren, dass Sätze wie »Das hat man immer so geglaubt« oder »Gott will das einfach so« auf die Fragen, die man früher nicht oder nicht offen gestellt hat, als Antworten nicht taugen.

Weil mir Ortsgemeinden am Herzen liegen, habe ich begonnen, Seminare zur biblischen Sexualethik anzubieten, und habe inzwischen viele verschiedene Gemeinden in Deutschland besucht. Überall spürte ich den Bedarf an fundierter biblischer Lehre und stieß dementsprechend auf viele Fragen. (Daran waren übrigens die Pastoren, die mich eingeladen haben, nicht schuld; sie leiden selbst darunter.) Was sagt die Bibel genau zu diesem Thema? Warum hat Gott das so gemacht? Dabei fehlte es nicht (oder nicht nur) an Kenntnis darüber, was die Bibel im Einzelnen lehrt, sondern vielmehr an einem theologischen Leitbild, das Gottes Plan für Sexualität sinnvoll erscheinen lässt. Die Begeisterung für die biblische Sexualethik, die ich empfinde, wenn ich mich mit ihr auseinandersetze, habe ich selten bei den Gemeindegliedern gespürt, zu denen ich für ein Seminar eingeladen war. Diese Begeisterung wollte ich ihnen unbedingt vermitteln.

So ist aus einer gelegentlichen Seminartätigkeit ein Buch geworden – eines, das aber nicht leicht in eine Schublade zu stecken ist. (Ich hoffe, dass dies nicht nur im übertragenen Sinne zutrifft!) Es ist kein Ratgeber für Christen, wie sie mit dem Facettenreichtum der geschlechtlichen Beziehung umgehen sollen. Es ist auch keine christliche Sexualethik, die ausführlich darauf eingeht, was in diesem Bereich geht und was nicht. Dieses Buch will so gründlich, wie es in einem überschaubaren Umfang möglich ist, und so verständlich wie möglich die biblische Lehre über Sexualität im Wesentlichen darstellen. Dabei steht vor allem eine Frage im Raum: Welche Bedeutung hat Sex aus der Sicht der Bibel? Oder mit anderen Worten: Was hat sich Gott dabei gedacht, als er den Menschen als geschlechtliches Wesen geschaffen hat? Welche Ziele verfolgt er dabei, und wie sollen wir uns in sexueller Hinsicht verhalten, wenn wir uns bewusst nach diesen Zielen ausrichten?

Das Buch ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil widmen wir uns diesen Fragen auf – wie ich meine – etwas ungewöhnliche Weise. Es geht darum, das biblische Narrativ über Sexualität zu entdecken und danach zu fragen, wie wir uns in dieses Narrativ einklinken können. Soziologen und Psychologen haben längst entdeckt, dass es Narrative – Erzählungen – sind, die unserem Leben Bedeutung und Sinn verleihen. Ganzen Zeitaltern liegen sogenannte »Metanarrative« zugrunde, und der einzelne Mensch orientiert sich stark daran. Auch das Sexualleben ist eingebettet in ein Narrativ, und je nachdem erscheint Sexualität dabei als wichtig oder unwichtig, erfüllend oder enttäuschend, sinnstiftend oder sinnlos. Ich bin überzeugt, dass das biblische Narrativ weitaus besser ist als das, das seit der Sexuellen Revolution in der westlichen Gesellschaft erzählt wird. Dem wollen wir in diesem ersten Teil nachgehen.

Im zweiten Teil wollen wir uns drei Themenbereichen widmen, welche gemeinsam haben, dass sie seit dem letzten Jahrhundert problematisch geworden sind: das Singlesein, Scheidung und Wiederheirat und Homosexualität. Diesbezügliche Ansichten, die über viele Jahrhunderte selbstverständlich waren, haben innerhalb kürzester Zeit ihre Überzeugungskraft eingebüßt. Die enormen gesellschaftlichen Veränderungen der Moderne sowie die Infragestellung vieler ihrer Normen in der Postmoderne haben bewirkt, dass sich die Stellung von Singles in der Gesellschaft radikal verändert hat. So beschreibt »bis der Tod uns scheidet« längst nicht mehr das unantastbare Verständnis von Ehe, und homoerotische Beziehungen haben einen Level an Akzeptanz erreicht, der noch am Anfang des 21. Jahrhunderts unvorstellbar gewesen wäre.

Das stellt Christen insbesondere der jüngeren Generation vor viele Fragen, und sie erwarten, dazu Antworten aus der Bibel zu bekommen. So wird in diesem zweiten Teil jeweils der biblische Befund zu diesen Themen untersucht und erste Impulse für die Praxis erwogen. Mir ist klar, dass das nur der Anfang sein kann: Christliche Sexualethik muss mit vielen Herausforderungen ringen, die bei der Umsetzung biblischer Lehre in einer ihr fremden Zeit und Kultur unausweichlich sind. Andere Autoren haben sich dieser Aufgabe gestellt und darüber gute Bücher geschrieben. Manche der hilfreichsten sind im Anhang aufgelistet.

Ich bin überzeugt, dass junge Menschen klare Antworten wollen. Mein Eindruck ist, dass sie mit der Art und Weise, wie sich konservative Christen – und dazu zähle ich mich (mehr dazu unten) – zum Thema Sex äußern, frustriert sind. Oft wird über solche Themen nicht deutlich, sondern »durch die Blume« gesprochen. Manche empfinden die harten Aussagen der Bibel insgeheim als peinlich, und viele Christen fragen sich, ob überhaupt und, wenn ja, wie man diese Inhalte in unserer Zeit glaubhaft vermitteln kann. Man hat manchmal das Gefühl, dass sich viele Christen für ihre eigene Sexualethik schämen. Begeisterung dafür kommt jedenfalls nicht auf. Dabei suchen gerade Jugendliche nach Antworten, denn sie leben in einer Zeit, die sie völlig auf sich allein stellt und ihnen keine Orientierung gibt. Das Motto unserer übersexualisierten Gesellschaft – »Alles geht« – befriedigt sie nicht mehr.

Ich bin evangelikaler Christ. Das heißt unter anderem, dass ich die Bibel als höchste Autorität für alle Fragen des Lebens akzeptiere. Mir ist es wichtig, herauszufinden, was die Bibel lehrt, und dies konsequent umzusetzen bzw. als Theologe andere dazu zu ermutigen. Diese Umsetzung darf allerdings nicht ahnungslos und naiv geschehen, als lebten wir in derselben Welt wie die Autoren der Bibel. Evangelikale glauben auch mit Luther, dass Gott seinen Willen in der Bibel deutlich macht. Das heißt wiederum nicht, dass wir jedes Detail sofort verstehen, sondern dass er uns in seinem Wort alles offenbart, »was zu einem Leben in der Ehrfurcht vor ihm nötig ist« (2Petr 1,3 NGÜ). Unsere Aufgabe ist es, dies zu entdecken.

Ich bin, wie mein Name verrät, kein Deutscher und auch kein Europäer. Ich kam zwar im Kongo als Sohn eines Missionsarztes auf die Welt und habe die ersten paar Jahre meines Lebens dort verbracht, aber ich bin US-Amerikaner. Aufgewachsen bin ich in der Mitte des nordamerikanischen Kontinents in der wildromantischen und dünn besiedelten Region am Oberen See, der die Grenze zu Kanada bildet, fernab von den kulturellen Zentren an der Ost- und Westküste.

Inzwischen habe ich jedoch fast doppelt so lange im deutschsprachigen Europa gelebt wie in meiner Heimat. Ich wohne nämlich seit zwanzig Jahren in Deutschland, und davor verbrachte ich eineinhalb Jahrzehnte in Österreich. Natürlich sehe ich dadurch die Welt anders als vorher und komme mir manchmal im eigenen Land exotisch vor, wenn ich mich dort länger aufhalte. Aber ich bin und bleibe gewissermaßen ein Fremder hier, auch wenn ich z.B. diese Zeilen problemlos auf Deutsch schreiben kann. Aber auch das ist kennzeichnend: Die grammatischen Fehler, die meine geduldigen Korrekturleser ausbessern müssen (was nach all diesen Jahren noch immer viel öfter geschieht, als es mir einzugestehen angenehm ist!), sind nach wie vor diejenigen, die für Englischsprachige und insbesondere Amerikaner typisch sind.

Ich bin der Überzeugung, dass genau diese Outsider-Perspektive für meine Leser hilfreich sein kann, besonders wenn dabei zwei Bedingungen erfüllt werden:

1. Der Outsider kennt die Insider. Das kann ich von mir behaupten. Meine Frau, mit der ich seit über dreißig Jahren verheiratet bin, ist Österreicherin. Deutsche und Österreicher gehören zu meinem engsten Freundeskreis. Meine Kinder sind hier aufgewachsen und sind, wie ich ihnen manchmal vorwerfe – spaßeshalber, versteht sich –, »schrecklich deutsch« geworden. Dass sie es mir in die entgegengesetzte Richtung heimzahlen und keineswegs den Kürzeren ziehen, versteht sich ebenfalls.

2. Der Outsider liebt die Insider. Das tue ich. Beide sogar: Deutsche und Österreicher, zumindest viele und meistens. Ich lebe gerne hier und schätze meine deutschen und österreichischen Glaubensgeschwister sehr (die wenigen Schweizer, die ich kenne, übrigens auch). Besonders die bewegte Geschichte Deutschlands berührt mich. Sie bezeugt sowohl die Güte als auch die Strenge Gottes (Röm 11,22). Sie zeigt, wozu dieses Volk fähig ist, zum Guten und zum Schlechten, wenn es von einer Idee begeistert ist. Ich hoffe, es wird wieder von Jesus und seiner Gemeinde begeistert – und nicht zuletzt davon, was die Bibel über die Sexualität lehrt.

Die Außenperspektive, die mein Denken prägt, wird an vielen Stellen im Buch festzustellen und, so hoffe ich wenigstens, für Christen im deutschsprachigen Europa gewinnbringend sein.

Ich habe allen möglichen Menschen zu danken. Die meisten – Familienmitglieder, Freunde und Wegbegleiter, die mein Leben und Denken geprägt haben – bleiben hier unerwähnt, aber nicht unbedacht. Meine wissenschaftliche Hilfskraft, Wolfgang Götz, hat mich bei der Beschaffung von Literatur und beim Korrekturlesen tatkräftig unterstützt. Kollegen an der Freien Theologischen Hochschule, insbesondere Prof. Dr. Christoph Raedel, haben mich ermutigt, dieses Buch zu veröffentlichen. Prof. Dr. Armin Baum und Dr. Jan Carsten Schnurr haben wichtige Verbesserungsvorschläge gemacht. Glaubensgeschwister in der Mosaikkirche Gießen, insbesondere Pastor Roland Franz und Dr. Cristina Sasse, mit denen ich im Kirchengemeinderat bin, haben mir hilfreiches Feedback gegeben. Die kompetente und freundliche Unterstützung des SCM R.Brockhaus Verlags und insbesondere von Frau Tabea Tacke auf den langen Weg, den ein Buch vom Manuskript zum gedruckten Exemplar durchlaufen muss, soll auch nicht unerwähnt bleiben. Allen sage ich herzlichst »Danke«.

Gewidmet ist dieses Buch – wie könnte es anders sein – meiner Frau Tatjana. Endlich darf ich ihr auch ein Buch widmen! Sie hatte es mir bei der Veröffentlichung meiner Dissertation verboten – wenn eine Widmung, dann sollte es etwas Praktisches oder wenigstens nicht langweilig sein! –, und das Format der Kommentarreihe, in der mein Kommentar über den Kolosserbrief erschienen ist, sah keine Widmung vor. Jetzt kann ich ihr aber meinen Dank ausdrücken. Inzwischen bin ich jedoch von den Deutschen und Österreichern schon so sehr geprägt, dass auch ich dem überschwänglichen Lob, das für meine Landesleute typisch ist, skeptisch gegenüberstehe, und meine Frau hätte am allerwenigsten Gefallen daran, wenn ich hier in Lobgesänge über ihre vielen Vorzüge ausbrechen würde. Ich sage es also mit typisch deutschem Understatement: Sie ist eine gute Frau, und ich liebe sie. Mit ihr gemeinsam habe ich gelernt, was sich Gott dabei gedacht hat, als er Mann und Frau zur ehelichen Gemeinschaft berief. Ich bin immer noch am Lernen.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Teil 1:

Der biblische Anspruch

Die Bibel ist eine Geschichte, die Gott den Menschen erzählt. Denn hinter den menschlichen Autoren, die zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Lebenslagen in ihrem eigenen Stil eine bunte Vielfalt an Büchern und Briefen schrieben, steht der lebendige Gott. Er will uns mitteilen, mit welcher Absicht er die Welt und insbesondere die Menschen geschaffen hat. Wir sollen auch erfahren, wie er gedachte, dieses Ziel zu realisieren. Er schuf den Menschen nach seinem Ebenbild als Mann und Frau und gebot ihnen, sich zu vermehren, damit er mit Menschen auf der ganzen Erde die Liebe und die Freude teilen konnte, die er in sich trägt. Ihrerseits sollten die Menschen den Gott, der sie geschaffen hat, verherrlichen, indem sie sich an ihm erfreuen.1 Die Bibel erzählt weiter, warum es nicht so gekommen ist, wie Gott es wollte, und schließlich davon, was er durch Jesus Christus getan hat, um seinen ursprünglichen Plan doch noch zu verwirklichen. Diese Geschichte ist deswegen so spannend, weil wir uns mittendrin befinden. Noch sind nicht alle Hürden überwunden, die verhindern, dass Gott seine Ziele erreicht, aber man kann jetzt schon sehen, dass am Ende alles gut wird.

In der Bibel teilt Gott auch dem Menschen mit, wer er ist. Als geschaffenes Wesen ist der Mensch darauf angewiesen, dass sein Schöpfer ihm seine Identität erteilt. Nicht er, sondern Gott entscheidet, wie er tickt und was für ihn gut ist. Dagegen haben sich die Menschen zu allen Zeiten gewehrt, aber vielleicht nie so lautstark und aufgebracht wie in unserer Zeit. In der Moderne sollte der Mensch endlich autonom werden, durch seine eigene Klugheit und seine Errungenschaften über sich hinauswachsen und sich von allem befreien, was ihn von außen her bestimmt. In der Spät- oder Postmoderne – die Meinungen über die richtige Bezeichnung für unsere Zeit gehen auseinander – konzentriert sich das Bemühen des Menschen um Selbstbestimmung erstmals auf seine Sexualität. Zu keinem anderen Zeitpunkt in der Geschichte stand sie so sehr im Mittelpunkt seines Strebens nach Autonomie. Gerade in diesem Gebiet wollte der Mensch endlich frei entscheiden, was er tut sowie mit wem und unter welchen Bedingungen. Neuerlich besteht er sogar darauf, eigenständig seine eigene Geschlechtlichkeit bestimmen bzw. frei gestalten zu dürfen. Nicht einmal sein eigener Körper darf mitreden: Wenn er sich in der Sphäre seiner Gedanken und Emotionen als Frau identifiziert, wird der Tatsache, dass er männliche Geschlechtsorgane hat, keine Bedeutung beigemessen. Damit hat die Selbstbezogenheit des Individuums in unserer Zeit eine nie zuvor erahnte Dimension erreicht.

Die Bibel stellt dieser – nach ihrer Auffassung zerstörerischen – Vision von der Freiheit eine andere, erfüllendere (weil wahre) Vision entgegen.2 Stellen wir uns vor, dass eine Eule, die irgendwelche Aufklärungsphilosophen gelesen hat, dem Maulwurf erzählt, er solle aufhören in der Erde zu wühlen. Wenn er sich nur anstrenge, könne er sein Leben selbst bestimmen und sich Flügel wachsen lassen, um sich gen Himmel emporzuheben. Wie wohltuend wäre es für jenen Maulwurf, wenn ihm nach Jahren des Frusts und der Enttäuschung ausgerechnet der mächtige Löwe, der König der Tiere, sagt, dass er dafür geschaffen wurde, mit seinen kräftigen Vorderbeinen und Klauen in der Erde zu wühlen, und dass er erst dann wirklich frei sein wird, wenn er sich seiner Bestimmung genüsslich hingibt. Das ist »Selbstverwirklichung« – um ein geläufiges Wort der Postmoderne zu verwenden – vom Feinsten!

Im Folgenden wollen wir entdecken, was es heißt, dass Gott den Menschen nach seinem Ebenbild als sexuelles Wesen geschaffen hat, und wie Sex nach seinen Vorstellungen zum Wohl der Menschen beitragen sollte. Uns daran zu orientieren und so zu leben, widerstrebt anfangs dem Bild von uns selbst, das uns der Zeitgeist ununterbrochen eintrichtert, führt uns jedoch, so jedenfalls meine Überzeugung, endlich in die Freiheit, nach der wir uns so sehr sehnen.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

I.

»Ehrt Gott mit eurem Leib«

(1Kor 6,20)

Grundlegendes zur christlichen Sexualethik

1. Die Notwendigkeit einer christlichen Sexualethik

Muss man sich als Christ so intensiv mit sexualethischen Fragen beschäftigen, dass man ganze Bücher darüber lesen oder sogar schreiben müsste? Ich gehörte lange einer christlichen Gemeinde an, die nach etlichen Kontroversen entschieden hat, zu Fragen der Sexualethik keine Richtlinien zu erstellen. Denn die Ansichten der Mitglieder – evangelikaler Christen, die Wert darauf legten, die Lehre der Bibel in allen Punkten zu bejahen – gingen hinsichtlich dessen, was in diesem Bereich akzeptabel ist oder nicht, weit auseinander. Schließlich einigte sich die Gemeindeleitung darauf, keine allgemeingültigen Anforderungen festzulegen, seien es traditionelle oder moderne. Sie wollte es lieber dem Einzelnen und seinem Gewissen überlassen, ob er zum Beispiel das Zusammenleben vor der Ehe oder eine homosexuelle Partnerschaft vor Gott verantworten konnte.

Wie meiner damaligen Gemeinde geht es vielen anderen in unserer Zeit. Ihr vergebliches Ringen um Einheit spiegelt wider, dass der sexualethische Konsens im postchristlichen Westen zusammengebrochen ist. Noch vor fünfzig Jahren konnte man in Europa, jedenfalls in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft, von einer breiten Zustimmung zu der Ansicht ausgehen, dass der ideale Rahmen geschlechtlicher Beziehungen die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau bildet und dass diese lebenslänglich dauern sollte. Auch wenn viele in ihrer Lebensgestaltung diese Norm nicht erfüllten, bejahte die Mehrheit ihre allgemeine Gültigkeit, und sie wurde von starken sozialen und gesetzlichen Sanktionen untermauert. Noch vor dreißig Jahren war dieser Konsens in christlichen Kirchen unangefochten. Dem ist nicht mehr so. Dafür, dass es keine allgemeingültige Sexualethik mehr gibt, lassen sich manche Ursachen vermuten. Allein darüber könnte man ganze Bücher schreiben; wir erwähnen hier nur drei in aller Kürze:

1. In der Gesellschaft werden seit Längerem alle geschlechtlichen Rollenunterschiede und Normen für sexuelle Beziehungen infrage gestellt. Hinzu kommt die postmoderne Relativierung aller moralischen Vorgaben. Davon konnte das traditionelle Verständnis der Ehe nicht unberührt bleiben.

2. In unserem individualistischen Zeitalter haben persönliche Präferenzen einen derart hohen Stellenwert bei allen moralischen Entscheidungen eingenommen, wie es Generationen vor uns nie für möglich gehalten hätten. Das subjektive Gefühl, dass einem etwas guttut und es niemandem schadet, reicht im Bereich der Sexualität aus, um sein Verhalten zu rechtfertigen. Argumente, die auf Prinzipien basieren, kommen dagegen nicht mehr an.

3. In christlichen Gemeinden mangelt es oft an Reflexion über die Bedeutung von menschlicher Sexualität. Fragen wie »Wozu hat Gott menschliche Sexualität geschaffen?« oder »Hat Sex aus der Perspektive des Schöpfers eine tiefere Bedeutung?« werden häufig nicht gestellt. Im Allgemeinen bemerkt man eine mangelnde Bereitschaft, über sexualethische Normen zu reden, sei es von der Kanzel oder unter Freunden. Viele haben Angst davor, welche Reaktion eine klare Unterweisung hervorrufen würde, bzw. davor, was diese von Einzelnen und Gemeinden verlangen würde. So nahe möchte man heute niemandem mehr treten.

Angesichts dieser Sachlage ist der Wunsch vieler Gemeinden verständlich, sich nie enden wollenden Kontroversen über sexualethische Themen zu entziehen, indem sie sich dazu nicht positionieren und es ihren Mitgliedern überlassen, ihrem eigenen Gewissen zu folgen. Aber ist ihre Strategie klug? »Jeder soll tun, was in seinen Augen recht erscheint« klingt nach einer passenden Parole der Spät- oder Postmoderne. Sie war aber bereits zur Zeit der Richter – also vor mehr als 3000 Jahren – die Devise der israelitischen Stämme (Ri 17,6; 21,5). Eine gründliche Lektüre des Richterbuches kann auch heute als Warnung dafür dienen, wo dies hinführt.

Im Übrigen lässt das Neue Testament diese Option nicht zu. In fast jedem Brief, der an eine heidenchristliche Leserschaft gerichtet ist, werden sexualethische Themen angesprochen (Röm 1,24-27; 1Kor 5,1-2; 6,12-20; 1Kor 7; Gal 5,16.19; Eph 5,3; Kol 3,5; 1Thess 4,1-8; 1Petr 2,11; 2Petr 2,18; Judas 7). Die Apostel Paulus und Petrus sowie Judas, der Bruder Jesu, die diese Briefe geschrieben haben, sagen nicht etwa: »Überlasst es dem Einzelnen, wie er sein Leben in sexueller Hinsicht gestalten möchte, solange er das Liebesgebot beachtet«, sondern vielmehr: »Strebt in euren Gemeinschaften nach sexueller Reinheit. Bringt euren Mitgliedern die Maßstäbe Gottes bei und fordert von ihnen ihre Einhaltung.«

Ein Hauptanliegen dieses Buches ist es, dass christliche Kirchen und Gemeinden vor einer klaren Sprache über biblische Standards keine Angst haben müssen. Eine christliche Sexualethik, die danach ausgerichtet ist, muss uns nicht peinlich berühren; im Gegenteil: Sie kann auch begeistern – gerade in unserer Zeit, die für viele orientierungs- und haltlos geworden ist. Eine biblisch begründete Sexualethik ist keine schlechte Nachricht darüber, was Gott uns alles vorenthalten will, sondern eine gute Nachricht darüber, wie schön das Leben sein kann, wenn man Gottes Design für das intime Miteinandersein entdeckt. Ich wünsche mir Gemeinden, die voller Zuversicht und Freude Gottes Plan für menschliche Sexualität verkünden und vorleben.

Es geht dabei nicht um Sehnsucht nach den »guten alten Zeiten«, als alles in der Welt – jedenfalls in sexueller Hinsicht – in Ordnung war. Solche Zeiten gab es nicht. Die bürgerliche Sexualethik vor der Sexuellen Revolution ist nicht mit einer biblischen Sexualethik gleichzusetzen. Manches, was vorher war, war gewiss nicht gut; manches war besser. Wie zu allen Zeiten. Wir jagen hier keiner Fata Morgana nach, sondern wir wollen herausfinden, was die Bibel in Bezug auf Sexualverhalten gebietet bzw. verbietet und was die Gründe dafür sind, und in weiterer Folge erste Überlegungen anstellen, wie sich dies am besten in unserer Zeit anwenden lässt.

2. Die Grundsätze einer christlichen Sexualethik

Wenn Christen also eine Sexualethik brauchen, wie gelingt es, diese anhand der Bibel herauszuarbeiten? Man kann nicht ohne Weiteres jeden einzelnen Bibeltext eins zu eins in die Gegenwart übertragen. Auch wenn dies der Karikatur bibeltreuer Gemeinden im Umgang mit der Bibel entspricht, sieht eine verantwortliche Hermeneutik, also eine »Lehre zur Auslegung von Texten« (vgl. Duden), anders aus. Denn erstens beschreibt die Bibel, insbesondere das Alte Testament, vieles, was sie nicht bejaht, beispielsweise die Polygamie. Diese Ehe mit mehreren Frauen gleichzeitig gab es häufig im alten Israel, und sie wurde im Gesetz nicht verboten, sondern bloß geregelt. Dennoch macht die Art und Weise, wie über polygame Beziehungen berichtet wird, klar: Sie waren immer mit negativen Konsequenzen für die Beteiligten verbunden.

Zweitens sind die kulturellen Gegebenheiten manchmal so anders, dass eine direkte Übertragung eines Bibeltextes in unsere Zeit nicht möglich ist. Es geht in diesen Fällen darum, dem Text die Prinzipien, die in der ursprünglichen Situation zur Anwendung kamen, zu entnehmen und diese in unserer Zeit geltend zu machen. Diese »Kontextualisierung« ist die unumgängliche Aufgabe eines jeden Auslegers, insofern er sich nicht nur mit historischen Fragen auseinandersetzen will.

All das erfordert ein Feingefühl im Umgang mit biblischen Texten, das erlernt werden will. Man muss sich fragen, nach welchen Prinzipien man bestimmte Aussagen zum Sexualverhalten in der Bibel für normativ erklärt und andere nicht, etwa weil sie kulturgebunden oder nur auf eine bestimmte Epoche im Heilsplan Gottes begrenzt sind. Im letzteren Fall gelten sie dann nur für Israel, aber nicht für die Kirche. Beispielsweise ist im mosaischen Gesetz der Geschlechtsverkehr einerseits mit einem gleichgeschlechtlichen Partner und andererseits mit einer menstruierenden Frau nachdrücklich untersagt. Sind das allgemeingültige Regeln oder kulturbedingte Aussagen, die in unserer Zeit revidiert werden dürfen oder sogar müssen? Wie begründen wir solche Entscheidungen?

Ethiker suchen nach Grundsätzen, die die einzelnen Verhaltensnormen untermauern. Man will ja nicht nur wissen, was die Bibel von uns verlangt, sondern auch warum. (Übrigens fördert die Bibel selbst diese Haltung – man beachte nur, wie sehr Paulus bemüht ist, seine Forderungen zu begründen, und wie oft er um Einsicht und Erkenntnis seitens seiner Leser betet.) Aus der Bibel lassen sich drei Grundsätze ableiten, mit denen man allgemeingültige Prinzipien in Bezug auf menschliches Sexualverhalten begründen kann: die Schöpfungsordnung, das Liebesgebot und die Ewigkeitsperspektive. Sie gleichen den drei Beinen eines Hockers, und wie bei einem Hocker sind alle drei gleichermaßen notwendig, um eine stabile Sitzfläche zu gewährleisten. Das sieht bildhaft so aus:

Abb. 1: Die drei Grundsätze der biblischen Sexualethik

Unter Schöpfungsordnung versteht man die ethischen Vorgaben, die von Gott in der Schöpfung angelegt sind. Das heißt, sie gelten für alle Menschen zu allen Zeiten, weil sie dem Grundmuster für das menschliche Miteinander entsprechen, wie Gott es am Anfang verordnet hat. Für Jesus war dies ein wichtiges Kriterium bei der Frage, welche sexualethischen Verhaltensnormen gelten sollen. Das geht aus seiner Auseinandersetzung mit den Pharisäern in der Frage nach Scheidung und Wiederheirat hervor. Dort legt er den Maßstab »Wie es am Anfang war« an, den er der Schöpfungsgeschichte entnahm (Mt 19,8). Davon leitet er Normen ab, die das Verhalten der Juden im 1. Jahrhundert regeln sollten, auch wenn diese mit Aussagen im mosaischen Gesetz in Konflikt geraten.

Mit dem Liebesgebot ist das mehrfach im Neuen Testament zitierte Gebot aus 3Mo 19,18 – »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« – gemeint. Sowohl Jesus (Mt 22,39 par) als auch Paulus (Röm 13,9; Gal 5,14) und Jakobus (Jak 2,8) betrachten dieses Gebot als Inbegriff dessen, worauf das moralische Gesetz zielt, und halten es für die wichtigste Norm im menschlichen Miteinander. Alle ethischen Forderungen müssen sich daran messen, wenn sie in vollem Umfang als christlich gelten sollen.

Schließlich muss man die Ewigkeitsperspektive der Schrift in sexualethischen Überlegungen miteinbeziehen. Gemeint ist die Ausrichtung der Bibel auf eine Zukunft in der Ewigkeit mit Gott, die bedingt, wie man im Jetzt lebt. In der Ewigkeit bleibt nicht alles, wie es bisher war. Jesus macht z.B. deutlich, dass es dann keine Ehe mehr geben wird (Mt 22,30; siehe dazu Abschnitt VI.1). Das heißt, auch wenn davon auszugehen ist, dass die sexuelle Unterscheidung zwischen Mann und Frau erhalten bleibt (weil sie für die Erschaffung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes grundlegend ist; siehe dazu Abschnitt II.1), verändert sich das Sexualverhalten völlig. Diese Perspektive soll laut dem Apostel Paulus unsere Einstellung dazu im jetzigen Zeitalter beeinflussen (vgl. 1Kor 7,29-31).

Wichtig ist, dass man alle drei Grundsätze – um im Bild zu bleiben, alle drei Beine des Hockers – beachten muss. Vernachlässigt man einen davon, kommt es zu Verwirrungen im Denken und im Verhalten. Sehen wir uns das genauer an:

Abb. 2: Die Bedeutung der Schöpfungsordnung

Wenn die Schöpfungsordnung nicht oder zu wenig berücksichtigt wird, wird Sex bedeutungslos. Das »wozu« fehlt, denn die Schöpfungsgeschichte will uns, wie wir im Folgenden sehen werden, darin unterweisen, was Gott sich bei der Erschaffung der menschlichen Sexualität gedacht hat und welchem Zweck sie dient. Fragt man in christlichen Gemeinden danach, stellt man fest, wie selten die Frage nach der Bedeutung der menschlichen Sexualität gestellt wird. Ganz gleich, ob die Leiter oder die Mitglieder einer Gemeinde gefragt werden: Die meisten haben niemals darüber nachgedacht und wüssten auch nicht, wie sie es angehen sollten, die Frage zu beantworten. Dabei ist es aus biblischer Perspektive klar: Man konsultiert die Schöpfungsgeschichte bzw. spätere Stellungnahmen dazu in der Heiligen Schrift.

Das heißt nicht, dass die Schöpfungsordnung für sich allein stehen darf. Ihre einseitige Betonung führt – gerade unter Christen, die sich an biblischen Maßstäben orientieren – manchmal zu seltsamen Auswüchsen. Die Gefahr liegt darin, dass man sich allzu leicht mit suboptimalen Beziehungen zufriedengibt, solange die korrekte Form bewahrt wird. Stellen wir uns Jens und Claudia vor. Sie sind in derselben Gemeinde aufgewachsen und seit 10 Jahren miteinander verheiratet. Von Anfang an haben sie die sexualethischen Vorstellungen der Gemeinde erfüllt. Bei ihnen scheint auch alles in Ordnung zu sein, aber wie es in ihrer Beziehung aussieht, ob sie von Liebe und – wenigstens gelegentlich – von Leidenschaft geprägt ist, weiß keiner. Nach außen gut, alles gut, scheint die Devise zu sein.

Abb. 3: Die Bedeutung des Liebesgebots

Die Bewahrung einer äußeren Form ist jedoch aus einer christlichen sexualethischen Sicht zu wenig. Die sexuelle Beziehung muss von Liebe geprägt sein. Denn ohne Liebe kann Sex zu einem Albtraum werden. Wenn die Partner egoistisch handeln und lediglich auf die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse schauen, wird Sex zum Machtinstrument. Bei Männern dient er bald zur Unterdrückung der Frau, wie dies nach dem Sündenfall angekündigt wurde und seither überall auf der Welt geschieht: »Nach deinem Mann wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen« (1Mo 3,16 ELB). Gemeint ist hier nicht das biblische Prinzip, dass der Mann in der Ehe eine Leitungsrolle übernehmen soll, sondern hier geht es um Machtausübung, sogar um physische und psychische Gewaltanwendung. Auch das kommt in christlichen Ehen vor: grobe Handlungen, die der Frau wehtun; Druck, bestimmte Handlungen durchzuführen, die der Mann in einem Porno gesehen hat; demütigende Vergleiche mit anderen Frauen.

Aber auch Frauen setzen Sex als Machtinstrument ein, wenn auch meistens auf subtilere Art und Weise. Frauen wissen instinktiv, dass es Männern in der Regel existenziell wichtiger ist, dass die sexuelle Beziehung rundläuft. Tendenziell hängt das Selbstbewusstsein des Mannes stärker von der momentanen Einschätzung der Qualität der sexuellen Beziehung ab als bei der Frau, und manche Frauen nützen diese Tatsache zu ihrem Vorteil. Sex wird als Belohnung für Verhalten, das ihren Wünschen entspricht, in Aussicht gestellt. Wenn der Mann brav ist, bekommt er Sex; wenn nicht, dann eben nicht.

Solche Verhaltensmuster sind auf Dauer Sexkiller. In vielen Ehen, von denen man meint, dass alles in Ordnung sei, läuft nichts. Die sexuelle Beziehung wird über weite Strecken vernachlässigt bzw. überhaupt nicht weitergeführt. Nun hat sexuelle Dysfunktion verschiedene Ursachen, aber nur in seltenen Fällen sind diese rein physischer Natur. Oft ist sie bedingt durch die Lebensphase, in der man sich gerade befindet (Kleinkinder zu Hause, beruflicher Stress, Einsetzung der Menopause). Aber in vielen Fällen stecken Verletzungen dahinter, die sich über Jahre hinweg durch liebloses Sexualverhalten angestaut haben. Das Liebesgebot lässt nicht zu, dass dieser Zustand einfach geduldet wird.