Wenn das Kind in dir noch immer weint - Melanie Pignitter - E-Book + Hörbuch

Wenn das Kind in dir noch immer weint Hörbuch

Melanie Pignitter

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Beschreibung

Dies ist ein einzigartiger und gänzlich neuartiger Ansatz zur Heilung des Inneren Kindes. Die bekannte Mentaltrainerin und Bestsellerautorin Melanie Pignitter schafft nicht nur die psychologische Basis, um Wunden aus der Kindheit zu verstehen. Sie zeigt auch wirksame Übungen und Tools für die Heilungsarbeit. Und sie geht noch einen bedeutenden Schritt darüber hinaus, indem sie eine ganz besondere Verbindung zum Leser aufbaut. So spricht sie das innere Kind direkt emotional an. Reparenting - also heilsames Nachbeeltern - kann geschehen. Die so sehr vermisste elterliche Liebe kann direkt beim Lesen erfahren werden. Ein tiefgreifend veränderndes Buch!

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Zeit:4 Std. 49 min

Sprecher:Melanie Pignitter
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Impressum

© eBook: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2024 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Anja Schmidt

Lektorat: Diane Zilliges

Bildredaktion: Simone Hoffmann

Covergestaltung: ki36 Editorial Design München

eBook-Herstellung: Evelynn Ruckdäschel

ISBN 978-3-8338-9312-4

1. Auflage 2024

Bildnachweis

Coverabbildung: Shutterstock

Fotos: Adobe Stock; Getty Images; GU/Mērija Melbārde; iStockphoto; Plainpicture; Laura Melone Vienna; Juairia Islam Shefa/Unsplash; Shutterstock; Stocksy

Syndication: Bildagentur Image Professionals GmbH, Tumblingerstr. 32, 80337 München www.imageprofessionals.com

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GRÄFE UND UNZER VERLAG

DIE TRÄNEN EINES KINDES

Es war zwei Uhr morgens. Ich saß im Wohnzimmer auf unserer schwarzen Ledercouch, drückte mein Gesicht in ein Kissen und weinte bitterlich. Das verzweifelte Weinen eines Kindes, das alleingelassen wurde und sich erst beruhigen ließ, wenn jemand kam, der es in die Arme schloss und ihm versicherte, dass es wichtig, wertvoll und geliebt sei, erfüllte den Raum. Aber es kam niemand und so weinte ich weiter und immer weiter – bis ich mich erinnerte, dass ich eigentlich eine einunddreißigjährige Frau war, die mitten in der Nacht in ihrer Wohnung saß und sich die Augen ausheulte, weil ihr Partner heute zu müde war, ihr die Aufmerksamkeit zu schenken, nach der sie sich gerade so sehr sehnte.

Die Tränen verebbten und ich gestand mir ein, dass ich völlig überreagiert hatte. Woher kamen nur immer diese verrückten Ausbrüche, die meine Beziehung belasteten?

Woher kam er bloß, dieser Schmerz der Ablehnung, den ich nicht nur aus meinem Liebesleben zu gut kannte?

Es wäre gelogen, wenn ich sage, ich hätte damals noch keine Ahnung gehabt, dass dieser sich wiederholende Schmerz, der sich bei mir immer durch das Gefühl, nicht wichtig und geliebt zu sein, zeigte, etwas mit meiner Kindheit zu tun hatte. Schließlich beschäftigte ich mich damals bereits seit vielen Jahren mit Mentaltraining und Psychologie. Aber obwohl ich wusste, dass dieses enttäuschende Gefühl bereits Teil meiner Kindheit und mein Partner mit seinem Verhalten daher nicht der Auslöser, sondern lediglich der Trigger war, konnte ich nichts dagegen tun, dass mich der Schmerz immer und immer wieder einholte und so mein Leben in regelmäßigen Abständen sabotierte. Ich war ein Paradebeispiel dafür, wie die meist unbewussten Wunden unseres inneren Kindes so ziemlich all unsere Lebensbereiche im Erwachsenenleben schmerzhaft beeinflussen und lenken können:

Die vielen Jahre, in denen ich mich beruflich unter Wert verkauft und nicht die geringste Ahnung davon gehabt hatte, welch einzigartiges Potenzial in mir steckt.Die innere Einsamkeit, die sich durch meine Kindheit, Jugend und später auch noch jahrelang durch mein Erwachsenenleben zog.Die sich ständig wiederholende Ablehnung meiner Person durch andere, die sich jedes Mal wieder wie tausend Messerstiche anfühlte.Das Alles-alleine-schaffen müssen, weil niemand da war, der mich auffing oder mir seine helfende Hand anbot.Die schmerzhafte Überzeugung, nicht klug, nicht schlank oder nicht liebenswert genug zu sein.Das Gefühl, um Liebe kämpfen, mich anstrengen, es allen recht machen und mich permanent beweisen zu müssen.Und vieles mehr …

Obwohl ich weder deine Kindheit noch die eventuell negativen Prägungen, die sich daraus ergeben haben, kenne, bin ich davon überzeugt, dass du mit diesem Buch genau richtigliegst, wenn dich meine Zeilen auch nur im Geringsten ansprechen. Denn wenn du nur einen Hauch von dem Kampf, den ich in den bisherigen wenigen Sätzen beschrieben habe, kennst oder spürst, so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch das Kind, das du einst warst, noch immer weint. Es überträgt dabei seinen Schmerz und seine Prägungen Tag für Tag auf dich und dein Leben im Hier und Jetzt. Wie sich erklären lässt, warum deine Erfahrungen in der Kindheit solch enorme Auswirkungen auf dein Denken, dein Verhalten und deine Erfahrungen haben, erläutere ich dir gleich im ersten Kapitel.

Zunächst stellt sich dir vermutlich aber eine andere Frage: Habe ich wirklich ein verletztes inneres Kind? Vielleicht gehörst du zu jenen, die sich ihrer Kindheitswunden bereits bewusst sind. Vielleicht aber auch zu jenen, die meinen, sie hätten doch eine glückliche Kindheit gehabt und könnten daher nicht vom damaligen Schmerz dominiert werden.

Ich kenne beide Sichtweisen. Lange bevor mir der Innere-Kind-Prozess meinen Weg zur Heilung offenbarte, war ich ein klassischer Vermeider, was die Auseinandersetzung mit meiner Kindheit anbelangte. Ich war der Meinung, es stünde mir nicht zu, mich darüber zu beschweren, schließlich wurde ich als Kind weder geschlagen noch missbraucht, wuchs auch nicht in Armut auf und hatte Eltern, die mich liebten, auch wenn sie – wie fast alle Eltern – nicht alles richtig machten. Es dauerte eine Weile, bis ich verstand, dass man nicht zwingend schwere Traumata erlebt haben muss, um ein schwer verletztes inneres Kind in sich zu tragen. Das, was ein Erwachsener erträgt und wie er es interpretiert, ist nicht vergleichbar damit, was ein Kind fühlt, wenn es zum Beispiel alleingelassen, zurückgewiesen, immer wieder kritisiert oder ausgegrenzt wird. Ein Kind ist zu 100 Prozent abhängig von der Gunst und der Liebe seiner Bezugspersonen. Es kann allein nicht überleben und steht bei Ablehnung daher förmlich Todesängste aus, die es nicht verarbeiten kann.

Vielleicht denkst du jetzt: Das war bei mir nicht der Fall, sonst würde ich mich ja daran erinnern. Da muss ich leider widersprechen, denn in der Regel haben wir so gut wie keine Erinnerungen an unser Leben vor dem sechsten Lebensjahr. Das, woran wir uns erinnern, sind meist nur die Dinge, die wir auf Bildern gesehen oder von anderen erzählt bekommen haben. Der Grund dafür ist die sogenannte Kindheitsamnesie. Im Alter von null bis sechs Jahren ist unsere Sprache noch gering entwickelt und so speichern wir Erlebtes in Bildern und Emotionen ab. Etwa mit dem siebten Lebensjahr bekommt unser Gehirn dann so etwas wie ein Update. Wir beginnen, unsere Erinnerungen zu diesem Zeitpunkt in Worten zu speichern. Das ist der Grund, warum wir später schwer auf Erinnerungen aus unserer frühen Kindheit zurückgreifen können. Unser heutiges Betriebssystem richtet sich nach Sprache und Worten aus und kann sich schlecht mit dem alten Betriebssystem, das in Bildern funktioniert, verständigen. Zudem verhindert eine Schutzfunktion in uns oft, dass wir auf traumatische Erinnerungen zurückgreifen können. Sie werden quasi emotional abgekapselt, damit wir dem gewaltigen Schmerz nicht erneut ausgesetzt sind.

Überall in der Welt leben verletzte innere Kinder in Erwachsenengestalt.

Eine mangelnde bewusste Erinnerung oder die Überzeugung, dass du als Kind nichts Schlimmes erlebt hast, ist also kein Indikator dafür, dass du kein verletztes inneres Kind in dir trägst. Tatsächlich denke ich, dass jeder von uns die Welt durch Kinderaugen sieht, und zwar durch die seines sechsjährigen Ichs.

In fast allen von uns lebt ein verletztes inneres Kind. Wenn man bedenkt, dass 90 Prozent unserer Prägungen und Muster aus der Kindheit stammen, kann das nicht anders sein. Meine eigenen Erfahrungen bestätigen es auch.

Ich erinnere mich noch genau an einen der vielen Konfliktmomente in den ersten Jahren meiner Beziehung. Es war jedes Mal derselbe Ablauf. Ich war gekränkt, weil ich nicht genug Verständnis, Aufmerksamkeit oder Gesprächszeit von meinem Partner bekam, und explodierte wie ein Kleinkind, dem man seine Lieblingspuppe wegnahm. Schreiend und weinend bombardierte ich meinen Partner mit Vorwürfen, der daraufhin im Schockzustand den Raum, die Wohnung und einmal sogar die Stadt verließ. Dieses Verhalten triggerte eine weitere Kindheitsverletzung in mir – nämlich das Alleingelassenwerden – und so nahm das Drama weiter seinen Lauf.

Niemals wäre ich damals auf die Idee gekommen, dass ich mit meinem Verhalten genauso eine Kindheitswunde meines Partners triggerte und dass er bei jedem Streit ähnlichem Schmerz und ähnlichen Ängsten wie ich ausgesetzt war. Erst dieser eine Streit, der genauso ablief wie all jene zuvor, eröffnete mir die Wahrheit über uns. Bildhaft gesprochen verließ ich mit meinem Bewusstsein meinen Körper, flog zur Decke und beobachtete uns beide von oben. Und was ich da sah, waren nicht zwei Erwachsene, die in der Lage gewesen wären, ihre Bedürfnisse klar mitzuteilen oder einen Konflikt zu lösen – nein, es waren zwei verletzte Kinder, deren Ängste und innere Qualen das Kommando übernommen hatten. Beide kämpften um dasselbe. Jeder von ihnen wollte einfach nur verstanden, geliebt, angenommen und wertgeschätzt werden. Aber keiner von ihnen fand den Weg aus seinem Schmerz heraus.

Von da an wusste ich, dass es keine andere Möglichkeit für ein freies und von Liebe erfülltes Leben gibt als die Heilung meines Kindheitsschmerzes. Es erschien mir plötzlich wie eine Wahrheit, die ich schon viel zu lange ignoriert hatte. Erst auf dem Weg selbst stellte ich fest, dass mein Leben in so vielen Bereichen ein Abbild des Schmerzes meiner Kindheit gewesen war. Innere-Kind-Arbeit war und ist für mich daher ein Befreiungsprozess. Er befreit dich …

… von Ablehnungen, die du schon dein Leben lang immer wieder in ähnlicher Art und Weise erlebst.… von Rollen, die du dir übergestülpt hast, um anderen besser zu gefallen und so ihre Liebe oder Gunst zu gewinnen.… von Leistungsdruck, den du dir auferlegt hast, um andere zu beeindrucken und Anerkennung zu erhalten.… von Glaubenssätzen über dich selbst, die nicht der Wahrheit entsprechen und stetig Schmerz in dir entflammen.… von Werten und Überzeugungen, die gar nicht deine sind.… von Menschen, für die du nicht (mehr) wichtig bist und die dir stets das Gefühl geben, du seist nicht genug.… von Verhaltensmustern, mit denen du dich selbst sabotierst.… von dir selbst angelegten Fesseln, wie du sein musst und was du in deinem Leben schaffen musst, um gut genug zu sein.… von Schmerz, der in deiner Familie schon seit Generationen weitervererbt wird.… von Enttäuschungen, die sich kontinuierlich durch dein Leben ziehen.… von Groll, Schuld- und Schamgefühlen.… vom Drang, deine Vergangenheit wieder und wieder zu reinszenieren, weil dir unbewusst das Gewohnte am sichersten erscheint.

Kurzum: Innere-Kind-Arbeit ist ein Weg, um emotional frei und heil zu werden. Mit diesem Buch möchte ich dich auf diesem Weg unterstützen. In mehr als zehn Jahren aktiver Innerer-Kind-Arbeit habe ich Prozesse und Übungen entworfen, mit denen ich bereits vielen Menschen helfen konnte, die Autobahn in ihre freie Zukunft zu finden.

Dafür ist es allerdings unumgänglich, auch einen Blick in den Rückspiegel – zurück in deine Kindheit – zu werfen. Das kann manchmal ganz schön wehtun, vielleicht auch mal anstrengend oder ermüdend sein. Aber das Dranbleiben lohnt sich. Wesentlich ist es, Geduld zu haben. Nichts, was sich vor zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahren in deine Seele eingebrannt hat, lässt sich von heute auf morgen löschen. Hier bitte ich um dein Vertrauen – dein Vertrauen in den Prozess, der dich Schritt für Schritt deiner emotionalen Heilung ein Stückchen näherbringt.

Lass mich dir zum Start gleich mal eines sagen: Du brauchst keine Angst vor dem Scheitern haben. Du trägst alles in dir, was du brauchst, um diesen Weg zu gehen. Du bist stark! Du bist liebenswert! Du bist mutig – sonst würdest du diese Zeilen gar nicht erst lesen! Du bist gut und richtig so, wie du bist. Du kannst das und du schaffst das! Bitte spüre jetzt meinen Glauben an dich und dein bezauberndes Wesen, den ich dir durch diese Zeilen zufließen lasse. Wenn du magst, schließe auch deine Augen und nimm meine imaginäre Hand, die ich dir entgegenstrecke. Und dann lass uns losgehen!

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint, ist das Gefühl, nicht genug zu sein, dein ständiger Begleiter.

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint, ist das ein Schrei nach Liebe, nach Liebe, die du nie bekommen hast.

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint, liegt ein Stein der Angst auf deinem Herzen, der dich nicht frei lieben lässt.

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint, ist dein Leben ein Abbild der Vergangenheit.

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint, ist es Zeit, Ja zu sagen. Ja, das tat weh. Ja, das war nicht okay. Ja, es steht mir zu, zu weinen!

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint, ist es Zeit, Schmerz mit Liebe zu begegnen. Mit deiner Liebe.

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint, ist es Zeit, dir selbst die Mutter oder der Vater zu sein, die oder den du nie hattest.

Wenn das Kind, das du einst warst, noch immer weint, ist es Zeit, Stopp zu sagen. Stopp zur Wiederholung der Vergangenheit.

Das Kind, das du einst warst

Deine Kindheit mag zwar vorbei sein, aber alles, was du in dieser Zeit erlebt hast – und was du daraus für Schlüsse gezogen hast –, das lebt noch in dir. Es gehört zu deinem inneren Kind. Und was diesen Anteil ausmacht, schauen wir uns in diesem Kapitel genauer an.

GUIDE FÜR DEINE HEILUNGSREISE

Eine meiner schlimmsten Kindheitserinnerungen war, als ich meine erste Zahnfüllung bekam. Nicht etwa, weil ich im Anschluss kein Tapferkeitsgeschenk bekam – nein, weil mich niemand auf den Bohrer, den Schmerz und den grässlichen Geschmack des Desinfektionsmittels vorbereitet hatte. Genau diesen Fehler möchte ich nicht machen und dich daher gleich zu Beginn in den Ablauf unserer Heilungsreise einweihen. Keine Sorge, so schlimm wie ein Zahnarztbesuch ist sie in der Regel nicht und dennoch musst du damit rechnen, dass es hier und da mal ganz schön wehtun kann, dem Schmerz des inneren Kindes ins Auge zu sehen.

Wir bleiben bei dieser Reise also nicht an der Oberfläche, sondern tauchen in die Tiefe deiner verletzten Kinderseele, die in dir weiterlebt, ein. Wann immer dir dabei Tränen kommen, lass sie zu. Tränen fördern die Heilung. Nicht nur für unseren Körper und seine Entstressung, sondern auch für die Befreiung deines inneren Kindes sind sie hilfreich. Ich versuche dir durch einen möglichst klaren Prozess und Stärkungsübungen den Weg so einfach wie möglich zu machen.

EMOTIONALE HEILUNG

Um dich auf den Ablauf vorzubereiten, ist es vorteilhaft, die wesentlichsten Schritte der emotionalen Heilung zu kennen. Laut der Mentallehre beginnt fast jeder Heilungsprozess mit Leid. Wer nicht leidet, hat keinen Bedarf an Veränderungen. Erst das Leid motiviert uns, die Dinge anders zu sehen, neue Wege zu beschreiten, unsere Gedanken zu hinterfragen oder zu einem Buch wie diesem hier zu greifen. Deshalb kommen wir beim Inneren-Kind-Prozess nicht darum herum, uns mit deinem alten Schmerz auseinanderzusetzen und diesen auch zu fühlen, um ihn loslassen zu lernen.

Der nächste Schritt ist die Erkenntnis. Sie hilft uns zu verstehen, woher der Schmerz kommt, was er uns sagen will und was wir brauchen, um endlich loslassen zu können. Aus diesem Grund ist psychologisches Grundwissen über dein inneres Kind hilfreich. Es unterstützt dich beim Erkennen, weswegen ich dir im Verlauf des Buches eine Handvoll davon mitgeben werde.

Zuletzt ist die Veränderung, die als Vorstufe zur Heilung gilt, wesentlich. Dafür benötigst du neue Perspektiven, neue innere Bilder, neue Kernüberzeugungen und neue Handlungsmuster. Die fallen leider nicht vom Himmel, sondern müssen mittels Mentaltraining angelernt werden. Deshalb bekommst du nach jedem Kapitel ein Praxiswerkzeug an die Hand, das ich als »Healing to go« bezeichne.

Wichtig

Fühle dich nicht bemüßigt, jede einzelne Übung zu machen. Mach vorwiegend jene Tools, die dir für dich und dein inneres Kind wichtig erscheinen. Und vertrau bei der Auswahl deiner Intuition, aber verwechsle sie nicht mit deiner Angst.

Zudem versuche ich dir in diesem Buch nicht nur meine Werkzeuge und mein Wissen mitzugeben, sondern auch mein Mitgefühl, meine Wertschätzung und meinen Glauben an dich. Denn obwohl ich denke, dass du alles in dir trägst, was du brauchst, um dein inneres Kind endlich zu heilen, weiß ich, dass es auch immer wieder Momente gibt, in denen man sich klein, ausgeliefert und hilflos fühlt. Und in diesen Momenten möchte ich dich mit Worten, die sich wie Umarmungen anfühlen, bestärken.

Zudem glaube ich an das Konzept des Reparenting. Der Begriff kommt aus der Psychotherapie und bedeutet übersetzt Nachbeelterung. Diese ist notwendig, wenn du in der Kindheit in gewissen Bereichen nicht emotional wachsen konntest, weil du zu wenig Unterstützung oder Liebe erhalten hast. Das Ziel des Reparenting ist es, die inneren Anteile, die bildhaft gesprochen noch immer vier oder sechs Jahre alt sind und weinend im Kinderzimmer sitzen, in den Arm zu nehmen und so lange mit Worten und Liebe zu bestärken, bis sie gedeihen und heilen können. In der Psychotherapie übernimmt der Therapeut die Nachbeelterung und der Erfolg einer solchen Therapie hängt zu großen Teilen von der Qualität der Beziehung zwischen Therapeut und Patient ab. Es ist also wesentlich, dass man dem Therapeuten vertraut, ihn als wohlwollend, einfühlsam und auch sympathisch wahrnimmt.

DIE BASIS: VERTRAUEN

Nun bin ich zwar keine Psychotherapeutin und kann deren individuelle Betreuung auch nicht ersetzen, aber aus Erfahrung mit Kursteilnehmern weiß ich, dass es durch meine Worte, die ich hier immer wieder persönlich an dich und dein inneres Kind richten werde, zu einem imaginären Reparenting-Effekt kommen kann. Denn ich versuche dir hier nicht nur trockenes Wissen weiterzugeben, sondern möchte mit meinen Worten dein gebrochenes Kinderherz erreichen, meine imaginären Hände darauflegen und ihm beim Heilen helfen. Damit du mein Wohlwollen, mein Verständnis und meine Wertschätzung, die dazu nötig sind, noch besser spürst, gibt es bei den entsprechenden Abschnitten ergänzend zum Text immer einen Link zu einer Audiobotschaft, die du dir anhören kannst.

Ich denke aber, dass ein Teil des Erfolges dieses imaginären Reparentings damit einhergeht, ob du mir dein Grundvertrauen schenkst und wie du mich als deine Mentorin, die dich hier begleitet, siehst. Falls du mich also noch nicht von Social Media, meinem Podcast oder bisherigen Büchern kennst, bitte ich dich darum, dir einen Moment Zeit zu nehmen und ein Bild oder noch besser ein Video von mir anzusehen (zum Beispiel auf einem meiner Social-Media-Kanäle). Oder du blätterst um auf die nächste Seite. Sieh mir dabei tief in die Augen und dann frag dich:

Würde ich mit ihr einen Kaffee trinken gehen?Spüre ich ihr Wohlwollen?Will mein inneres Kind ihr seine Hand geben?

Wenn zwei oder drei der Antworten Nein lauten, so ist es vielleicht ratsam, dass du deine wertvolle Zeit anderweitig investierst und dieses Buch an jemanden verschenkst, der mehr Freude damit hat.

Wenn mindestens zwei deiner Antworten Ja lauten, dann lass uns keine Zeit verlieren und uns gleich jetzt der Person widmen, um die es hier geht – nämlich deinem inneren Kind. Es stellt sich mit all seinen Facetten im nächsten Kapitel bei dir vor.

Noch ein Hinweis

Dieses Buch ist kein Ersatz für einen Arzt oder Psychotherapeuten. Insbesondere dann, wenn du an einer psychischen Erkrankung leidest, solltest du dich immer an einen Arzt oder Therapeuten wenden. Auch, wenn dir das Buch trotzdem ein guter Begleiter sein kann.

ERSTES DATE: DEIN INNERES KIND STELLT SICH VOR

Als ich im Jahr 2016 ein berufliches Auszeitjahr machte und meinen Blog und meine heutige Marke Honigperlen gründete, hatte ich ehrlich gesagt keinen Plan, wo es damit hingehen sollte. Ich schrieb unbeschwert drauflos, postete mal hier und mal da einen Text und probierte mich in alle Richtungen aus.

Unter anderem organisierte ich regionale Lebensfreudeaktionen. Einmal bestelle ich fünfzig bunte Ballons und füllte sie mit Helium. Anschließend stieg ich damit in die U-Bahn, fuhr bis zum nächsten öffentlichen Platz und verteilte dort an erwachsene Menschen die bunten Ballons mit der Aufforderung, sie mögen ihren größten Wunsch darauf schreiben und ihn aufsteigen lassen.

Ein andermal kaufte ich mir eine Kindergitarre und überredete zwei Freundinnen, mit mir auf der größten Einkaufsstraße Wiens mit bunten Herzsonnenbrillen gemeinsam ein paar Songs zu singen, die die Leute glücklich stimmen sollten. Dass unsere Gesangskünste eher bescheiden waren und die Menschen wahrscheinlich eher aufgrund dessen oder wegen unserer lustigen Brillen lächelten, tat der kindlichen Freude, die mich bei derartigen Aktionen vereinnahmte, keinen Abbruch.

Erst viel später erkannte ich, dass unter anderem durch meine Jobs in diversen Banken mein inneres Kind lange Zeit viel zu kurz gekommen war. In meinem Auszeitjahr hatte ich plötzlich Zeit und Raum. Und diese füllten sich schnell mit Dingen, die ich bereits als Kind geliebt hatte. Nämlich mit Schreiben, Malen, Hula-Hoop und schlussendlich auch den verrückten Aktionen, die mein Kinderherz höher schlugen ließen.

Bewusst wurde mir das erst, als eine Freundin eines Tages zu mir sagte: »Also, manchmal habe ich echt das Gefühl, du bist ein Kind geblieben.« Ohne eine Sekunde darüber nachzudenken, sagte ich: »Das sind wir doch alle. Der Unterschied ist bloß, dass ich meinem Kind erlaube zu leben.« Aber es waren nicht nur die schönen Dinge, wie Freude, Kindlichkeit, Spontanität und Unbeschwertheit, die ich wieder zulassen konnte, sondern auch der seelische Schmerz, die Enttäuschung und die Angst vor dem Verlassenwerden bekamen wieder mehr Raum in meinem Leben. Und ja, das führte zugegebenermaßen oft zu schwierigen Situationen. Manchmal war ich sensibel wie ein Kleinkind und heulte los, weil ich etwas, das ich wollte, nicht bekam. Ein andermal schmollte ich, offensichtlich für alle Beteiligten, in der Hoffnung, in meinem Schmerz wahrgenommen zu werden. Und wieder ein anders Mal tobte ich wie ein Orkan.

»Ein Kind geblieben? Das sind wir doch alle. Der Unterschied ist bloß, dass ich meinem Kind erlaube zu leben.«