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Beschreibung

Heimträger suchen händeringend auch nach internationalen Pflegefachkräften. In deutschen Privathaushalten arbeiten - häufig illegal - Haushaltshilfen aus Osteuropa und betreuen pflegebedürftige Menschen. Das vorliegende Buch behandelt dieses brisante Thema, analysiert die Rechtslage, lotet die Grauzonen aus und stellt gelungene Projekte vor. Die einzelnen Beiträe entstammen der Expertenrunde des Symposiums "Transnationale Pflegekräfte".

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Seitenzahl: 200

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Stefan Arend und Thomas Klie

Wer pflegt Deutschland

Transnationale Pflegekräfte – Analysen, Erfahrungen, Konzepte

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen dem aktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet.

Der Verlag und der Autor können jedoch trotzdem keine Haftung für Schäden übernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2017

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Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen

in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um

geschützte, eingetragene Warenzeichen.

Foto Titelseite: fotolia, by-studio composing

ISBN 978-3-86630-125-2

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

Stefan Arend und Thomas Klie

Wer pflegt Deutschland

Transnationale Pflegekräfte – Analysen, Erfahrungen, Konzepte

Inhalt

Vorwort der Herausgeber

Sorge(n)volle Zustände | Stefan Arend

Osteuropäische Pflegekräfte in Privathaushalten

Die Engel aus dem Osten | Thomas Klie

Vermittlung von Haushaltshilfen aus Mittel- und Osteuropa | Alexander Kostrzewski

CariFair: Qualitätsgesicherter Einsatz mittel- und osteuropäischer Haushalts- und Betreuungskräfte in deutschen Familien mit pflegebedürftigen Personen | Claudia Menebröcker

Die „24-Stunden-Betreuung“ in Österreich | Walter Marschitz

Transnationale Pflegekräfte

Ohne Fachkräfte aus Fernost geht es nicht? | Thomas Klie

Fachkräftesicherung im deutschen Pflegesektor aus international vergleichender Perspektive | Grit Braeseke

Erfahrungen mit der Rekrutierung von Pflegekräften in Spanien | Axel Klopprogge, Eva Ariño Mateo, Christiane Heimann

Migrationsgeschichten von Pflegekräften | Sieglinde Hankele

Transnationale Pflege – eine Art Gebrauchsanweisung als Resümee| Stefan Arend

Autoren

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Buch-Code: AH1004

Vorwort der Herausgeber

Das vorliegende Buch behandelt ein Thema, das in ein Dunkelfeld führt, das ungern politisch thematisiert wird, das auch viele private Haushalte in Deutschland als delikat empfinden. In einer alternden Gesellschaft benötigen wir immer mehr sorgende Menschen, die pflegen, betreuen und begleiten. Doch das Humankapital für Sorgeaufgaben ist ein knappes Gut. Ohne die professionellen, aber auch die nichtausgebildeten helfenden Hände aus dem Ausland würde Pflege hierzulande (schon lange) nicht mehr funktionieren.

Kliniken und Pflegeheime werben weltweit um gut qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Bundesregierung setzt spezielle Arbeitsmarktprogramme zur Rekrutierung von Pflegemitarbeitern aus dem Ausland in Gang, und in deutschen Privathaushalten sorgen – neben den Zugehfrauen und Putzkräften – Hunderttausende von Pflegekräften (vornehmlich aus Mittel- und Osteuropa) dafür, dass ambulant vor stationär funktioniert.

So unterschiedlich sich die Themenkreise der pflegerischen Haushaltshilfen und die Rekrutierung von Pflegefachkräften aus dem Ausland auch darstellen, es sind doch zwei Seiten derselben Medaille: Mit den derzeitigen Strukturen gelingt es uns nicht, die anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben in Sachen Pflege und Sorge befriedigend und dauerhaft zu lösen. Das weiß auch die Politik, doch die Herausforderungen beim Namen zu nennen und Probleme anzugehen, dazu fehlt bisher der Mut oder die Kraft oder beides zusammen. Auch die Politik nimmt die Vorteile grauer Arbeitsmärkte in der Pflege stillschweigend an.

Dies gilt insbesondere für die Pflegemitarbeiter in den deutschen Privathaushaltungen. Weitestgehend ohne rechtliche Absicherung hat sich ein eher prekärer, milliardenschwerer Pflegemarkt entwickelt. Schwarzarbeit gilt als Kavaliersdelikt – oftmals zu Lasten der in den Privathaushalten Arbeitenden, die allein auf das Wohlwollen ihrer Arbeitgeber angewiesen sind und auf die Zuverlässigkeit und Seriosität der sie vermittelnden Agenturen und Entsendeunternehmen vertrauen müssen. Eine an sich untragbare Situation, doch scheint dies der Politik und weiten Teilen der Bevölkerung „egal“ zu sein, so lange das System funktioniert. „Egal und illegal“ titelte daher unlängst Thomas Öchsner recht treffend seinen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung, in dem er über die Situationen der Haushaltshilfen in Deutschland raisonnierte.1

Natürlich sind auch schon jetzt in Deutschland legale Gestaltungsmöglichkeiten für die Sorgearbeiten in Privathaushaltungen gegeben, und einige Träger und Organisationen bieten diese Dienstleistungen auch an. Aber im Vergleich zum Grau- und Schwarzmarkt sind diese Initiativen fast nicht wahrnehmbar. Man scheut die mit der legalen Gestaltung verbundenen höheren Kosten oder den Verwaltungsaufwand, wenn man als offizieller Arbeitgeber im eigenen Privathaushalt auftritt. Vielleicht erscheint es dringend angebracht, über andere, neue Gestaltungsmöglichkeiten nachzudenken. In Frankreich hat sich ein unkompliziertes Arbeitsmodell per Haushaltscheck2 für Haushaltshilfen (so genannter Borloo-Plan3) bewährt, und in Österreich ist seit 2007 die 24-Stunden-Betreuung zu Hause durch das Hausbetreuungsgesetz umfassend geregelt – allerdings erst, als hohe Staatsrepräsentanten mit illegal beschäftigten Haushaltshilfen aufgeflogen waren. Hoffen wir, dass nicht erst ein solcher „Skandal“ in Deutschland zum Aufwachen und Handeln der Politik führt.

„Aufwachen“ werden auch die Träger von Kliniken und Pflegeeinrichtungen, wenn sie auf die Suche nach Fachkräften im Ausland gehen. Denn die immer noch weit verbreiteten Vorstellungen, im Ausland warten gut ausgebildete Fachkräfte allein oder vor allem auf Offerten aus Deutschland, erweisen sich schnell als Mythos. Deutsche Arbeitgeber müssen sich, insbesondere wenn es um Gesundheitsberufe geht, einem internationalen Wettbewerb um diese guten Köpfe stellen. Denn nicht nur deutsche Träger sind auf der Suche nach Pflegekräften, dieser Markt ist ein weltweiter. Fachkräfte können zwischen vielen Angeboten ihre Wahl treffen. Deutsche Arbeitgeber müssen nicht nur mit einem guten Gehalt locken, es geht vielmehr auch darum, den Bewerbern ein interessantes Beschäftigungsprofil zu bieten. Unterstützung bei der Wohnungssuche, Begleitung vor und nach der Ankunft in Deutschland sowie eine gute Einarbeitung gehören zu den Pflichtaufgaben.

Mit allen diesen Themen beschäftigen sich die Aufsätze in diesem Buch, das die Beiträge des KWA Symposiums Transnationale Pflegekräfte, das im Frühjahr 2016 im KWA Georg-Brauchle-Haus in München stattfand, vereinigt. Das Symposium wurde durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unterstützt, die Bank für Sozialwirtschaft (BfS) ermöglichte es, dass auf Teilnahmegebühren verzichtet werden konnte. Die Referenten und Diskutanten haben ihre Ausführungen für die Buchveröffentlichung noch einmal überarbeitet, aktualisiert und ergänzt. Es finden sich aber auch Originalarbeiten, die hier erstmals veröffentlicht werden.

Der Dank gilt den Autoren und den Förderern des Symposiums. Frau Monika Döbl erledigte dankenswerter Weise alle Koordinationsaufgaben zur Realisierung des Bandes und sorgte für die professionelle Endredaktion der Beiträge. Danken möchten wir aber auch dem Verlag Vincentz-Network Hannover, der den Band in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat und so die wichtige Thematik einer weiteren Verbreitung zuführt und auf diese Weise ebenso hoffentlich für weitergehende Diskussionen sorgt. Es ist dringend geboten, dass sich Verbände und Politik mit dem Thema weiter und folgenreich befassen – das ist auch eine der Schlussfolgerungen des 7. Altenberichts der Bundesregierung, der dankenswerterweise an dem Thema nicht vorbeigegangen ist. Diese Veröffentlichung versteht sich auch als (weiterer) Beitrag, das Thema aus dem Schatten öffentlicher Wahrnehmung und politischer Befassung zu holen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im gesamten Text auf die Nennung von weiblichen und männlichen Schreibform verzichtet!

Freiburg i.Br. und München im Herbst 2016

Prof. Dr. Thomas Klie und Dr. Stefan Arend

1    Öchsner, Thomas: Haushaltshilfen. Egal und illegal. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 177 vom 2.8.2016, S. 4. Vgl. auch von Bullion, Constanze: Drei Millionen Illegale. In: Süddeutsche Zeitung Nr. 177 vom 2.8.2016, S. 6.

2    CESU: Chèque emploi service universel.

3    Benannt nach dem französischen Politiker Jean-Louis Borloo: Verbesserung der Vergütungsbedingungen, der sozialen Rechte und der Qualifizierung von Haushaltshilfen. Pole d´Excellence Nationale dans le Secteur des Serveces à la Personne.

Sorge(n)volle Zustände

Der multinationale deutsche Pflegearbeitsmarkt – Herausforderungen, Mythen, und Optionen

Stefan Arend

Status quo und Herausforderungen

Keine Frage: Pflege in Deutschland, ob zu Hause in den eigenen vier Wänden, in stationären Einrichtungen oder in Kliniken und Krankenhäusern, ist bunt, global und schon lange multi- beziehungsweise transnational. Hunderttausende Menschen sind es, die aus aller Herren Länder in Deutschland Kranke, Ältere und Pflegebedürftige versorgen und begleiten. Ohne sie würde Pflege in Deutschland nicht funktionieren, wäre die Versorgung schon längst kollabiert. Pflegemitarbeiter sind bereits heute überall knapp und daher heiß begehrt, um sie herrscht in einigen Regionen ein heftiger Wettbewerb. Angesichts einer weiteren Zunahme von Pflegebedürftigkeit in einer Gesellschaft des langen Lebens, bei schwindenden familiären Sorgestrukturen, deutlich weniger Schulabgängern und einer in den nächsten Jahren einsetzenden Abnahme der Beschäftigtenzahlen durch Renteneintritt der Babyboomer wird sich die Situation auf dem Pflegearbeitsmarkt noch einmal deutlich verschärfen – in den Einrichtungen, aber auch im privaten Bereich, in der häuslichen Pflege.

Die Zahlen sprechen für sich: Der Studienleiter des Barmer GEK Pflegereports, Professor Heinz Rothgang von der Universität Bremen, hat in seiner aktuellen Analyse festgestellt, dass die Zahl der Vollzeitstellen in der Pflege in Deutschland von 1999 bis 2013 um 70 Prozent gewachsen ist. Mit Blick auf die prognostizierte Zahl der künftigen Pflegebedürftigen ist mit einem weiteren Anstieg beim Personalbedarf zu rechnen. „Angesichts der hohen Zahl an Pflegebedürftigen ist es nötig, die Zahl der Pflegefachkräfte bis 2050 zu verdoppeln“, wird Rothgang zitiert (Ärzte Zeitung online, 17.11.2015). Denn nach den neuesten Zahlen des Barmer GEK Pflegereports 2015 (Barmer GEK Pflegereport 2015) muss man für das Jahr 2060 mit deutlich mehr Pflegebedürftigen rechnen als bislang angenommen. Demnach ist 2060 von insgesamt 4,52 Millionen pflegebedürftigen Menschen auszugehen. Die Zahl liegt, so der Pflegereport, um 221.000 über den bisherigen Schätzungen.

Zuvor hatte bereits eine Untersuchung der Bertelsmann Stiftung dargestellt, wie sich die Nachfrage nach Gesundheits- und Pflegeleistungen bei uns entwickelt hat. Demnach konnte im Zeitraum der Jahre 2000 bis 2011 die Gesundheitswirtschaft einen Beschäftigungsanstieg von 419.000 Vollzeitkräften verzeichnen. Nach der sogenannten Gesundheitspersonalrechnung des Statistischen Bundesamtes entfiel die Hälfte des Personalzuwachses (192.000) auf ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen (Bonin/Braeseke/Ganserer 2015, 20). Die Prognosen zu künftigen Entwicklungen variieren je nach Berechnungsgrundlage und Methode der Untersuchungen: „Sie reichen von 152.000 fehlenden Beschäftigten in Pflegeberufen im Jahr 2025 bis zu einer Lücke von 490.000 Vollzeitäquivalenten im Jahr 2030.“ (Bonin/Braeseke/ Ganserer 2015, 25) Wie dem auch sei, fest steht damit: Unser nationales Angebot an gut ausgebildeten Pflegeprofis, aber auch an versierten Mitarbeitern für die Privathaushalte, in denen Menschen mit einem Unterstützungsbedarf leben und versorgt werden müssen, reicht in Deutschland bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu befriedigen.

Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland

Ein strategisches Element aus dem notwendigen Bündel von Maßnahmen gegen den sich weiter zuspitzenden Mangel an Mitarbeitern ist auch die Gewinnung von Mitarbeitern aus dem Ausland. Trotz einiger Vorbehalte angesichts bürokratischer Hürden und kultureller Herausforderungen suchen Träger von sozialen Einrichtungen händeringend auch nach internationalen Pflegefachkräften. Zudem arbeiten in deutschen Privathaushalten sogenannte Haushaltshilfen und betreuen vornehmlich ältere, auf Pflege angewiesene Menschen. Ohne sie wäre schon heute die politische und leistungsrechtliche Maxime „ambulant vor stationär“ kaum denkbar.

Nicht nur aus den „Klassikern“, den Ländern in Mittel- und Osteuropa wie Polen, Slowakei, Ungarn, Kroatien, Rumänien, kommen sorgende Mitarbeiter(innen) zu uns; heutzutage arbeiten auch vermehrt Pflegekräfte aus Russland, den ehemaligen Sowjetrepubliken, dem Baltikum in Deutschland, aber auch aus Indien, Vietnam und China sowie von den Philippinen. Hinzu treten Mitarbeiter aus südeuropäischen EU-Ländern, die besonders von einer hohen Jugendarbeitslosigkeit betroffen sind.

Offizielle Anwerbevereinbarungen existieren derzeit mit den Philippinen, China, Vietnam, Tunesien, Serbien und Bosnien-Herzegowina. Dabei lassen sich drei Strategien unterscheiden: zum einen (a) die unmittelbare Anwerbung von bereits fertig ausgebildeten Pflegefachkräften, zum anderen Programme, die (b) eine Pflegeausbildung in Deutschland vorsehen. Beides wird mit Unterstützung der Agentur für Arbeit (Zentrale Auslands- und Fachvermittlung – ZAV) ausprobiert, beispielsweise durch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Pilotprojekt Triple Win und in Zusammenarbeit verschiedener Träger. Zudem gibt es als dritten Weg (c) die Konzeption der Ausbildung von Schülern zu Pflegefachkräften im Ausland. Nach erfolgreicher Prüfung und deutscher Anerkennung erfolgt dann der Einsatz in deutschen Einrichtungen.

Darüber hinaus ist immer wieder auch von Einzelaktivitäten einzelner Einrichtungen und Privatpersonen zu lesen, die Mitarbeiter in Südamerika oder in Schwarzafrika anwerben. Diese Aktivitäten basieren in der Regel auf individuellen, persönlich motivierten Interessen.

Aus der Vielzahl derzeitiger Aktivitäten seien hier beispielgebend Projekte vorgestellt:

–Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit und die GIZ vermitteln im gemeinsamen Projekt „Triple Win“ qualifizierte Pflegefachkräfte an Unternehmen in Deutschland. Grundlage des Projekts sind Vermittlungsabsprachen der ZAV mit den Arbeitsverwaltungen der Partnerländer. Es bestehen derzeit Kooperationen mit den Partnerländern Serbien, Bosnien-Herzegowina und den Philippinen, geplant ist auch eine Zusammenarbeit mit Tunesien. Die GIZ unterstützt den Prozess mit ihren internationalen Kontakten und Verbindungen im Ausland. Sie fördert vor allem die sprachliche Qualifikation der Pflegekräfte, die fachliche Vorbereitung auf den Arbeitseinsatz, die Integrationsbegleitung nach der Ankunft in Deutschland und koordiniert den Anerkennungsprozess der im Ausland erworbenen Qualifikation.

–Die Teilnahme für Arbeitgeber kostet insgesamt 3.700 Euro pro Fachkraft (Bundesagentur für Arbeit 2012). In den ersten zwei Jahren (2012 – 2014) des Projektes konnten nach Auskunft der GIZ insgesamt 310 Pflegekräfte an deutsche Arbeitgeber in Kliniken, Altenpflegeeinrichtungen und ambulanten Pflegediensten vermittelt werden. Davon haben 250 eine Tätigkeit in Deutschland aufgenommen. Weitere 260 Pflegekräfte befinden sich in der Vorbereitungsphase. 170 weitere Triple-Win-Stellen liegen zur Besetzung vor (GIZ 2015).

–Die Innere Mission in München beteiligt sich im Rahmen des Projektes Triple Win an der Ausbildung von vietnamesischen Absolventen pflegerischer Hochschulen zu Altenpflegekräften. 100 Teilnehmer aus Vietnam wurden für das Programm ausgewählt. Neben Trägern aus Bayern beteiligen sich auch Einrichtungen in Baden-Württemberg, Berlin und Niedersachsen am Projekt. In München erhalten 23 Vietnamesinnen und Vietnamesen an der Evangelischen Pflegeakademie eine auf zwei Jahre verkürzte Ausbildung zur Altenpflegekraft (Diakonie Deutschland 2014).

–An der AWO-Altenpflegeschule der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Nordhessen in Fulda durchlaufen seit 2015 acht junge Menschen aus Bulgarien und Spanien eine Ausbildung in der Altenpflege. Hintergrund ist ein aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) finanziertes Modellprojekt mit dem Titel „Förderung der beruflichen Mobilität von ausbildungsinteressierten Jugendlichen aus Europa“ – kurz: „MobiPro-EU“. Bevor sie zur Ausbildung in Deutschland zugelassen wurden, mussten die Nachwuchs-Pfleger – allesamt zwischen 18 und 27 Jahren alt – zunächst einen geeigneten Schulabschluss vorweisen. Danach folgten ein siebenmonatiger Sprachkurs mit Abschlussprüfung sowie ein vierwöchiges Orientierungspraktikum in der Altenpflege in Nordhessen (AWO Nordhessen 2015).

–Die Diakonie Württemberg hat seit Herbst 2015 das Modellprojekt Kosovo gestartet. 27 junge Kosovaren absolvieren seitdem eine Ausbildung zur Altenpflegefachkraft bei diakonischen Trägern. 2016 sollen weitere 54 junge Menschen folgen. Die Teilnehmer dieses Programms durchlaufen in ihrer Heimat eine neunmonatige Vorbereitung mit der Sprachprüfung auf B1 – Niveau und beginnen dann ihre Ausbildung in Baden-Württemberg. Dies soll nach eigenem Bekunden der Diakonie ein Beispiel für legale Arbeitsmigration sein, vor allem auch durch die Zusammenarbeit mit der kosovarischen Agentur für Beschäftigungsförderung – APPK (Ärztezeitung 28.1.2016).

–Eine Ausbildung von Pflegefachkräften im Auftrag von deutschen Trägern in den Herkunftsländern, inklusive einer Sprachausbildung (B2-Niveau) und mit speziellen Ausbildungsinhalten, die der Träger bestimmen kann, der die Ausbildung finanziert, bieten die DEKRA Pflegeschulen in Mittel- und Osteuropa an. Derzeit werden nach DEKRA-Angaben 1.000 Pflegeschüler in Ungarn und Serbien ausgebildet. In Albanien sollen nunmehr weitere 150 Schüler ihre Ausbildung für den deutschen Arbeitsmarkt beginnen (Bastian 2015, 29).

Gewinnung von Pflegekräften seit den 1960-er Jahren

Die Rekrutierung internationaler Pflegekräfte für Deutschland ist kein wirklich neues Phänomen. Bereits in den 1960-er und 1970-er Jahren wurden in Westdeutschland angesichts über 30.000 offener Stellen (Fischer 2014) in der Krankenpflege mit offiziellen staatlichen Programmen zum Beispiel Pflegekräfte aus Korea und den Philippinen angeworben. Zudem gab es sogenannte bilaterale Anwerbevereinbarungen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Portugal, Jugoslawien, Tunesien und Marokko (BT Drucksache 11/7165 vom 17.5.1990). Bis zum Anwerbestopp im Jahre 1973 sind allein 10.000 Krankenschwestern aus Korea nach Westdeutschland gekommen (Fischer 2014). Seit Ende der 1980-er Jahre und in den 1990-er Jahren kamen Pflegemitarbeiter vor allem aus Polen und dem damals vom Bürgerkrieg betroffenen Jugoslawien nach Deutschland (Bonin/Braeseke/ Ganserer 2015, 27).

Der aktuellen Bertelsmann Studie zur internationalen Fachkräfterekrutierung ist zu entnehmen, dass im Jahr 2013 insgesamt ca. 73.600 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in den Pflegeberufen (Fach- und Hilfskräfte) eine ausländische Staatsangehörigkeit besaßen. Dies entspricht 5,5 Prozent aller sozialversicherungspflichtig tätigen Pflegekräfte. Damit lagen die Pflegeberufe, so die Aussage der Studie, bei der Beschäftigung von Ausländern im unteren Bereich. Denn im deutschen Gastgewerbe beispielsweise besitzt jeder vierte Beschäftigte eine ausländische Staatsbürgerschaft (Bonin/Braeseke/Ganserer 2015, 28). Die Studie weist aber darauf hin, dass man bei einer Betrachtung mit Blick auf die Migrationserfahrung (z. B. Eingebürgerte oder Spätaussiedler) der Beschäftigten ein anderes Bild erhält: „Im Jahr 2010 hatten gut 15,4 Prozent aller Pflegekräfte eigene Migrationserfahrung. Der Anteil der Beschäftigten mit eigener Migrationserfahrung ist in der Altenpflege markant höher – 19,5 Prozent – als in der Gesundheits- und Krankenpflege – 12,6 Prozent bei den Fachkräften.“ (Bonin/Braeseke/ Ganserer 2015, 29)

Nach den Werten des Statistischen Bundesamtes arbeiteten im Jahr 2013 rund 76.000 Personen mit polnischen Wurzeln in Pflegeberufen in Deutschland, davon waren 93 Prozent Frauen. Demnach war Polen mit einem Anteil von 20 Prozent das häufigste Herkunftsland von zugewanderten Pflegekräften in Deutschland. Auf Platz 2 und 3 folgten Bosnien und Herzegowina mit 47.000 und Kasachstan mit 31.000 Pflegekräften (Statistisches Bundesamt 21.07.2015).

Internationaler Wettbewerb um (Pflege)Fachkräfte

Deutschland ist aber nicht die einzige wohlhabende Industrienation, die auf den Zuzug von gut qualifizierten Fachkräften und Haushaltshilfen für den Gesundheits- und Pflegemarkt angewiesen ist. So stammten beispielsweise im Jahre 2005 sage und schreibe 84 Prozent der in Irland registrierten hochqualifizierten Pflegekräfte aus dem Ausland (Kingma 2010, 2).

Dabei stehen deutsche Pflegeeinrichtungen und Kliniken insbesondere mit der Schweiz, England, Norwegen und Schweden in einem harten Wettbewerb. Allerdings mit einem feinen Unterschied: Nach Deutschland zieht es eher Fachkräfte aus sogenannten Billiglohnländern, die sich mit der Hoffnung „auf ein vielleicht besseres Leben“ auf den Weg machen beziehungsweise gezielt von deutschen Arbeitgebern angeworben werden (können). In die skandinavischen Länder oder in die Schweiz gehen offensichtlich die Spezialisten, die sich fachlich weiterentwickeln wollen und nach besseren Arbeitsbedingungen suchen. So führt eine Untersuchung der University of Hertfordshire aus:

“There is evidence that doctors and nurses in higher-income countries also move between countries to take advantage of better labour markets in terms of pay. Also better working conditions and/or work–life balance was cited as important.” (Oppertunities and challenges 2012)

So wandern aus Deutschland kontinuierlich deutsche Pflegefachkräfte ins Ausland ab – es sollen rund 1.000 pro Jahr sein (Tießler-Marenda 2011), aber auch in Deutschland ausgebildete Ärzte, obwohl sie hier – wie die zitierten Statistiken zeigen – dringend gebraucht würden (Abwanderung von Ärzten ins Ausland 2013). Insbesondere die Schweiz ist bei deutschen Ärzten bekanntlich sehr beliebt: 2014 stammte nach der Statistik der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH fast ein Drittel der in der Schweiz berufstätigen Ärztinnen und Ärzte – knapp 10.500 Personen – aus dem Ausland. Deutsche Ärzte stellten dabei mit 5.972 Kräften allein die Hälfte des aus dem Ausland stammenden medizinischen Fachpersonals (Spielberg 2015). Und von den in Schweden berufstätigen rund 8.400 ausländischen Ärztinnen und Ärzten kommen gut 1.000 aus Deutschland (Preusker 2013).

Die freien Arztstellen in Deutschland, die nicht durch in Deutschland ausgebildete Ärzte besetzt werden können, werden wiederum vor allem durch Mitarbeiter aus Mittel- und Osteuropa ersetzt (Ärztestatistik 2014). So arbeiten – neben den hunderttausenden Pflegekräften aus diesen Regionen – allein 4.000 Ärzte, die aus Rumänien stammen, in Deutschland. Auf diese Weise entstehen skurrile Wanderungsbewegungen von Fachkräften der Gesundheitsbranche – nicht nur in Europa, sondern mittlerweile weltweit.

Besonders dramatisch stellt sich die Situation beim Ärztenachwuchs dar. Nach den neuesten Zahlen stammt beispielsweise in der Region WestfalenLippe jeder zweite Assistenzarzt aus dem Ausland (Schlingensiepen 2016).

Gerade aus Mittel- und Osteuropa gibt es immer mehr warnende wie verzweifelte Stimmen zum Aderlass von gut ausgebildeten Fachkräften. Man verstehe zwar, so heißt es von offiziellen Stellen, dass gerade junge Pfleger und Ärzte die beruflichen Perspektiven im westlichen Ausland locken, andererseits sorge man sich um die Versorgung der Menschen im eigenen Land. Auch seien die Investitionen in die Ausbildung für die jeweilige Volkswirtschaft verloren. In Bulgarien wird daher zum Beispiel überlegt, pensionierte Pfleger wieder zu reaktivieren und zudem in der Türkei und Indien Mitarbeiter anzuwerben (Veser 2011 und Kingma 2010, 3). Bemerkenswert ist auch, dass sich die Bundesregierung erst jüngst bemüßigt gefühlt hat, ausdrücklich zu unterstreichen, keine Pflegekräfte aus der Republik Moldawien anwerben zu wollen (BT-Drucksache 18/5794 und 18/5699). Marianne Egger de Campo von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin spottete diesbezüglich: „Heute scheint jedes reiche EU-Land seine Kolonien in Osteuropa zu haben, die ihm billige Arbeitskräfte liefern und in denen es Absatzmärkte für seine Produkte findet“ (Egger de Campo 2015, 24).

In einer Stellungnahme im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz wird auf die einschneidenden Folgen für die Länder hingewiesen, die besonders unter dem Wegzug oder der Arbeitsmigration ihrer Bevölkerung zu leiden haben: „Wenn ein signifikanter Teil von Frauen, die privat Sorgearbeit leisten, das Land verlässt, hat dies Auswirkungen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Im Grunde exportiert ein Staat versorgende, emotionale Arbeitsleistungen, die schwer zu ersetzen sind. Durch den Abzug von Sorgearbeit, die die Versorgungslücken in westlichen Staaten füllt, entsteht im eigenen Land ein Versorgungsdefizit; zudem gehen Fähigkeiten und Kompetenzen im Sorgebereich verloren – care drain“ (Deutsche Bischofskonferenz 2015, 21). Man muss bedenken, dass allein die Zahl der rumänischen Wanderarbeiter zwischen zwei und drei Millionen liegen soll – das sind mehr als 10 Prozent der rumänischen Gesamtbevölkerung, die bei knapp 20 Millionen Menschen liegt. Offensichtlich gilt: Je ärmer die Region, desto größer die Zahl der Migranten (Klein 2015, 3).

Bei der Gewinnung von Mitarbeitern aus dem Ausland für die Pflege in Deutschland stehen derzeit im Vordergrund: die Quantität (Wie viele Mitarbeiter können wir im Wettbewerb zu anderen Ländern für den deutschen Markt gewinnen?), die rechtliche Anerkennung des im Ausland erworbenen Berufsabschlusses (Sind die Ausbildungen und Examina als gleichwertig einzuschätzen?) und die sprachliche Qualifikation (Welches sprachliche Niveau muss nachgewiesen werden bzw. ist für eine gelingende Berufsausführung notwendig?).

Die vertraglichen und konzeptionellen Konstruktionen und Regelungen sind durchaus different: Die Bandbreite der Konzepte reicht von der sprachlichen Ausbildung im Heimatland, die der Bewerber selbst zu tragen hat, über die Sprachenschule in Deutschland bei Kost und Logis auf Firmenkosten, oder eine Entlohnung mit einem Taschengeld während der ersten Phase der Berufstätigkeit in Deutschland bis hin zu einem vollen tariflichen Gehalt (equal pay), aber einer (vertraglich wie auch immer gestalteten) zeitlich festen Bindung an den Arbeitgeber. Auch Verträge mit finanziellen Rückforderungsklauseln werden offensichtlich mit Fachkräften aus dem Ausland geschlossen. So fordert ein großer Einrichtungsträger eine Mindestbeschäftigungszeit von 30 Monaten, andernfalls sind die anteiligen Ausbildungskosten vom angeworbenen Mitarbeiter zurückzuzahlen (Höfle 2012 und Höfle 2014). Und Kornelius Knapp, Leiter des Welcome Centers Sozialwirtschaft in Baden-Württemberg, das sich seit Januar 2014 um internationale Fachkräfte müht, weist darauf hin, dass in den letzten Jahren immer wieder von Anwerbeprozessen berichtet wird, die als „ethisch fragwürdig“ zu bezeichnen sind (Knapp 2015).

Das Welcome Center Sozialwirtschaft Baden-Württemberg hat daher acht Kriterien benannt, die in jedem Anwerbeprojekt zu berücksichtigen sind. Der Kriterienkatalog soll für Unternehmen der Sozialwirtschaft in zwei Hinsichten hilfreich sein: Für die Planung und Durchführung von Anwerbeprojekten sowie für die Auswahl von Kooperationspartnern bei Anwerbeprozessen (z. B. Recruiter, Personaldienstleister, Berater). Der Kriterienkatalog kann für internationale Fachkräfte dazu dienen, legitime Ansprüche an Projekte zu stellen. Für das Welcome Center Sozialwirtschaft dient der Kriterienkatalog der Auswahl von Kooperationspartnern (Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Württemberg e.V. 2015).

Angesichts der geschilderten zum Teil fragwürdigen Praktiken bei der Rekrutierung von Mitarbeitern aus dem Ausland hat auch der Paritätische Wohlfahrtsverband am 11. Dezember 2015 eine beispielgebende Positionierung zur Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte (Der Paritätische 2015) vorgelegt. Darin werden zehn Punkte genannt:

1.Eine zentrale Bedingung ist, dem globalen Verhaltenskodex der World Health Organization (WHO) für die Anwerbung von Gesundheitsfachleuten zu folgen, der die Gewinnung von Pflegepersonal aus Ländern mit Personalnotstand untersagt und die Gewinnung aus Ländern mit ähnlichen demografischen Entwicklungsprognosen wie in Deutschland kritisch bewertet.

2.Die Anwerbung von ausländischen Pflegefachkräften sollte unter dem Schirm zwischenstaatlicher Abkommen erfolgen. Diese sollen vor allem die Rechte der angeworbenen Personen effektiv schützen. Die Familienzusammenführung darf selbst während der Zeit der Anpassungsqualifikationen nicht eingeschränkt werden. Die Möglichkeit eines langfristigen Aufenthalts in Deutschland soll von Anfang an garantiert werden.

3.Weiter sind, wenn Vermittlungsinstanzen einbezogen werden, transparente und zuverlässige Instanzen zu wählen, wie beispielsweise die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) bzw. von der ZAV zertifizierte Vermittler zuzulassen.

4.Die angeworbenen Personen erhalten die erforderliche Einarbeitungszeit, soziale Betreuung und Zugang zu Integrationsangeboten. Für Betriebe stellt dies ein Prozess der interkulturellen Öffnung dar.

5.Den Angeworbenen werden Möglichkeiten der weiteren Qualifizierung in Deutschland geboten.

6.Zudem darf eine Anwerbung von Pflegefachkräften nicht gewinnorientiert ausgerichtet sein und zu Lasten der potenziellen Fachkräfte gehen.

7.Für die Arbeit in der Pflege sind Mindeststandards mit Blick auf das sprachliche Niveau unabdingbar. Hierfür sollten bereits im Herkunftsland Deutschkenntnisse auf einem Sprachniveau von mindestens B2 aufgebaut werden.

8.