Wie Buddha in der Sonne - Hanna Dietz - E-Book
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Wie Buddha in der Sonne E-Book

Hanna Dietz

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Beschreibung

Liebe unter exotischen Bedingungen: Bei Hanna Dietz, Autorin von «Männerkrankheiten» und «Weiberwahnsinn», schmelzen die Herzen Wie Buddha in der Sonne. Die witzigste Urlaubslektüre seit langem! Nichts weniger als den perfekten Urlaub hatte Frida für sich und ihren Mann Henning auf der Tropeninsel Larishang geplant. Doch statt mit Henning im Strandbungalow im Luxus zu schwelgen und die eheliche Sinnlichkeit neu zu entdecken, werden sie in eine runtergekommene Bruchbude verfrachtet. Kakerlaken im Bad und Frösche im Pool sind aber nicht das Schlimmste an der «Villa» Coconut. Viel schlimmer sind ihre Mitbewohner, die spaßbefreiten Workaholics Amy und Christopher und eine völlig überdrehte Familie aus Düsseldorf. Und der halbseidene Straßenguru, der Frida mit ominösen Prophezeiungen in Angst und Schrecken vesetzt. Erholung: Fehlanzeige! Liebesleben: Pustekuchen! Die ganze Reise: ein Desaster de luxe! Das kann Frida nicht auf sich sitzenlassen. Um den Urlaub zu retten, schreckt sie auch nicht davor zurück, die einheimische Geisterwelt um Hilfe anzuflehen. Mit ungeahnten Folgen für alle Beteiligten …

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Seitenzahl: 464

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Hanna Dietz

Wie Buddha in der Sonne

Roman

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Liebe unter exotischen Bedingungen: Bei Hanna Dietz, Autorin von «Männerkrankheiten» und «Weiberwahnsinn», schmelzen die Herzen wie Buddha in der Sonne. Die witzigste Urlaubslektüre seit langem!

 

Über Hanna Dietz

Hanna Dietz, geboren 1969 in Bonn, arbeitet als freie Journalistin für Fernsehen und Hörfunk. Mit «Männerkrankheiten» und «Weiberwahnsinn» schaffte sie es jeweils auf die Spiegel-Bestsellerliste.

Für meine Familie, diesen reiselustigen Haufen.

Besonders aber für meinen Bruder Dominik, den Abenteurer und Weltenbummler, den Himmelsstürmer und Wolkenspringer.

Und für Claudia und Benedikt, die unbeugsamen Zwei.

«In einer langjährigen Beziehung erhöht eine Konzentration auf die Schokoladenseiten des Ehepartners die Kopulationsbereitschaft enorm.»

Die Kunst der kreativen Kopulation, E. L. Flint

1

Gut geplant ist halb entspannt. Und da die Entspannung in den nächsten zwei Wochen ausschlaggebend für mein ganzes weiteres Leben ist, habe ich alles besonders gut geplant. Den Koffer vor drei Tagen fertig gepackt. Krimi für den Flug eingesteckt. Bargeld in Dollar dabei. Zeitschaltuhr eingeschaltet. Kühlschrank geleert, Müll rausgebracht. Bis das Taxi kommt, hätte ich sogar noch Zeit, mir die Nägel neu zu lackieren! Oder mal eben schnell die Winterstiefel zu putzen. Aber das mache ich nicht. Denn der Urlaub hat begonnen. Und eines ist klar: Im Urlaub rühre ich keinen Fing…

«Nein, das glaube ich jetzt nicht!», rufe ich, als ich in die Küche komme. Wo eben nur der Briefkastenschlüssel für den Nachbarn lag, verunstaltet jetzt eine zerfetzte Kekspackung die blank polierte Tischplatte. Ein Meer von Krümeln drum herum. Das darf doch wohl nicht wahr sein! Wer reißt so bescheuert eine Verpackung auf? Die Frage ist natürlich rein rhetorisch, weil ich die Antwort seit acht Jahren kenne. So lange bin ich nämlich schon mit diesem Genie verheiratet. Und mein Mann Henning gehört eindeutig zum Typus Waschbär. Die Nahrungsaufnahme geht immer einher mit einem gewissen Maß an Verwüstung. Normalerweise würde ich jetzt aus pädagogischen Gründen dieses Stillleben liegenlassen, bis ich mit ihm ein ernstes Wörtchen geredet hätte. Aber ab heute bin ich im Urlaub. Und in diesem Urlaub gelten andere Regeln. Und die oberste Regel ist: Kein Streit! Es wird nicht gemeckert und nicht gemotzt. Oh nein! Meine Prioritäten liegen wirklich ganz woand…

«Hey, Frida!» Henning stiefelt in die Küche, in der einen Hand seine Badeshorts, in der anderen den Reiseführer. «Hast du ein Strandtuch für mich eingepackt?» Er klemmt sich die Shorts unter den Arm, langt an mir vorbei und grapscht sich noch einen Keks, wobei er aus dem Nichts eine neue Krümeldüne erschafft.

Ich atme einmal tief durch und sage zärtlich: «Ja natürlich, mein Schatz.» Dabei klimpere ich ihn kokett an. Das ist die neue Frida. Die schmutztolerante Frida. Die unwiderstehliche Frida mit dem charmanten Wimpernaufschlag.

«Hast du was im Auge?», fragt er mit vollem Mund.

Okay. Der verführerische Wimpernaufschlag klappt noch nicht, aber wenn wir erst mal auf dieser phantastischen tropischen Insel sind – oh, là, là!

Die Betonung liegt aber natürlich auf «Wenn wir erst mal dort sind» … Im Moment sieht es nämlich nicht so aus, als ob wir überhaupt abfahren könnten. Und warum nicht? Weil mein Mann noch nicht gepackt hat! Kann man sich das vorstellen? Ja, natürlich. Wenn man Henning kennt.

Langsam werde ich nervös. Verdammt. Ich hätte ihm doch den Koffer packen sollen. Aber das will er ja auch nicht, weil er der Meinung ist, er wüsste selbst besser, was er alles braucht.

«Beeil dich, Schatz, das Taxi kommt gleich», flehe ich.

«Alles klärchen, Bärchen», sagt Henning lässig und verschwindet, um den Rest seines Gepäcks einzusammeln. Ich starre auf die angebrochene Packung meiner Lieblingskekse. Bis wir zurück sind, sind die vergammelt. Das wäre ja schade. Und die Bikini-Diät kann ich sowieso erst anfangen, wenn uns der Sternekoch der Luxusanlage mit köstlichem gedünsteten Fisch und Gemüse verwöhnt. Und da ich meine Ernährung sowieso dauerhaft umstelle und auch nach dem Urlaub keinen Zucker mehr zu mir nehmen werde, ist es nur vernünftig, den Schoko-Cookies einen würdigen Abschied zu bereiten. Außerdem steigere ich mit einem letzten, besonders reichhaltigen Snack meine Motivation für die Diät um ein Vielfaches. Genau. Wenn man die Sache einmal richtig durchdenkt, ist es geradezu dumm, sich diese Gelegenheit entgehen zu lassen!

 

Ich stopfe mir gerade den letzten Keks rein, da kommt Henning mit einer possierlich kleinen Reisetasche herein.

«Na, schmeckt’s?», sagt er.

Mist.

Ich bin ja so ein Idiot!

Jetzt habe ich mir gerade vierhundertfünfzig Kalorien reingeschaufelt. Und wie ich diese Biester kenne, sitzen sie jetzt schon da, wo sich der andere Haufen Fettgesellen zusammengerottet hat, und feiern eine Schwabbelparty.

Und wer ist schuld?

Henning.

Weil er die Packung angebroch… Achtung, Achtung! Alarmstufe Rot! Extreme Streitgefahr! Verlassen Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit umgehend das Risikogebiet!

Verdammt. Jeder weiß, dass Frauen am verwundbarsten sind, wenn ihnen klargeworden ist, dass sie sich gerade völlig überflüssigerweise einen Haufen Fett und Zucker reingezogen haben. In solchen Situationen neigen sie nun mal zu aggressivem Verhalten. Wie ein verwundetes Tier.

«Hast du alles?», frage ich mit zusammengebissenen Zähnen.

«Ja.»

«Pass, Flugtickets, Kreditkarte?»

«Ja-ha», stöhnt er genervt. Ich mustere ihn einen Moment. Seine schönen blauen Augen hinter der eckigen Brille, die gerade Nase, das Grübchen am Kinn, die kleinen Lachfalten um den Mund. Weil er so groß ist, fast eins neunzig, wirkt er trotz des Bäuchleins immer noch schlank. Besonders wenn er seine blaue Multifunktionsweste anhat, dieses abgewetzte Teil, das er seit Jahrzehnten im Urlaub trägt. Die Geheimratsecken sind ein kleines bisschen größer geworden, aber seine dunkelblonden Haare zeigen immer noch kein Anzeichen von Grau.

«Was ist?», fragt er. «Was guckst du so?»

«Du siehst süß aus», sage ich und staune darüber, dass ich es tatsächlich geschafft hatte, nicht rumzunörgeln. Dabei hätte ich allen Grund dazu. Denn beim letzten Mal hatte er seinen Pass vergessen, wir mussten noch mal umkehren und hätten fast den Flieger verpasst.

Ha! Das ist die neue Frida! Die sanfte Frida. Die gnädige Frida!

Aber ich werde ihn jetzt auf keinen Fall fragen, ob er das Aufladekabel für sein Handy dabeihat. Für das Internet soll er sich in diesem Urlaub wahrlich nicht interessieren!

Hm. Aber wenn er es wirklich vergisst, dann geht der erste Urlaubstag nur dafür drauf, Ersatz zu besorgen.

«Hast du an die Aufladekabel gedacht?», seufze ich.

«Shit», sagt er und flitzt, wie immer zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben. Männer! Tun immer so, als hätten sie alles im Griff, dabei sind sie ohne Betreuung glatt verloren. Ich checke ein letztes Mal meine Handtasche und creme mir die Hände ein. Die Luft im Flugzeug ist ja so trocken, die saugt die Spannkraft schneller aus der Epidermis, als man piep sagen kann. Wenn man fast vierzig ist, ist das ein echtes Problem.

«Ich hab es», ruft er triumphierend, als er die Treppe wieder runterpoltert.

«Toll», sage ich und schaue demonstrativ auf die Uhr. «Bist du jetzt fertig?»

«Fast», sagt er grinsend, und dann kommt er und umarmt mich – als ob wir für so was jetzt Zeit hätten! – und kneift mir dabei in die Seite, genau da, wo es am weichsten ist.

«Hey», sagt er erstaunt, «du hast ja …»

«Ich weiß, ich weiß», unterbreche ich ärgerlich. «Das war der ganze Stress im Job und jetzt die letzten Wochen vor der Reise, da war einfach so viel zu tun, und ich war auch immer so müde und deswegen … aber die Haarfarbe ist schön, oder?»

Meine Freundin Maren hatte mir dazu geraten, jetzt schon anzufangen, das Grau zu übertönen, bevor man es richtig als Grau wahrnimmt. Ich fand das eine gute Idee. Ich schüttele mein frisch koloriertes Haupt und schaue Henning erwartungsvoll an. Der nickt. Und geht sein Taschenmesser holen.

Also bitte. Was hatte denn jetzt dieses Nicken zu bedeuten?

«Wenn ich erst ein bisschen Teint habe», sage ich, als er wieder reinkommt, «dann wirkt das Kastanienrot noch besser.»

«Ja, bestimmt.» Er klappt das Messer auf und inspiziert die Klinge, die von irgendwas verklebt ist.

«Soll das etwa heißen, es wirkt jetzt nicht gut?»

Er nimmt sich den Spüllappen und wischt am Messer rum. Er sieht mich verwirrt an. «Doch, na sicher. Aber …»

«Was aber?» Meine Kopfhaut kribbelt richtig vor Spannung. Ich wusste es! Ich hätte nicht auf Maren hören sollen. Kastanienrot! Wo ich doch eigentlich von Natur aus ganz normal brünett bin. Er wirft den Lappen achtlos in die Spüle zurück und fragt: «Aber wo hast du meine Regenjacke hingetan?» Und dabei guckt er mich vorwurfsvoll an! Trotz meiner sensationell gandhihaften Friedfertigkeit entfährt mir ein pikiertes Stöhnen. «Ich habe sie nirgendwo hingetan!»

Schon fängt er an, sich durch den Garderobenständer zu pflügen. Normalerweise wäre es mir jetzt eine Sahnetorte, ihn durchs Haus hetzen zu sehen auf der Suche nach Sachen, die brav und ordentlich dort sind, wo sie immer sind, und von denen er so tut, als würde ich sie nach einem Geheimsystem extra jeden Tag woanders platzieren, nur um ihn zu ärgern. Aber erstens zerwühlt er bei seiner Suche dann gerne auch meine Sachen (ich sag nur Waschbär!), zweitens gehört zu meinem Plan, dass er bester Laune ist, und drittens fehlt mir die Zeit für erbauliche Betrachtungen der Orientierungslosigkeit meines Mannes in seinem eigenen Haus, denn das Taxi hupt.

«Die Regenjacke hängt in der Waschküche am Haken rechts», informiere ich ihn. «Da, wo sie immer ist», schiebe ich murmelnd hinterher, als er schon losgesprintet ist. Oh Gott, bin ich froh, wenn wir erst in diesem Flieger sitzen.

«Erotische Reize verbergen sich in jeder alltäglichen Situation. Indem Sie Ihre Umwelt mit allen Sinnen wahrnehmen, erwecken Sie die Fleischeslust zu neuem Leben.»

Die Kunst der kreativen Kopulation, E. L. Flint

2

Man freut sich nur deswegen auf den Urlaub, weil man jedes Mal wieder vergessen hat, wie unglaublich stressig es ist, überhaupt in den Urlaub zu kommen. Was alles schiefgehen kann, bis man endlich da ist! Männliches Last-Minute-Packen, desorientierte Taxifahrer, heimtückische Ampelschaltungen und aus dem Nichts entstehende Staus machen die Fahrt zum Flughafen schnell zum Horrortrip.

Bei uns geht zwar bis jetzt alles glatt.

Aber jeder weiß ja, wie schnell sich das ändern kann.

Ich sitze mit pochendem Herzen neben Henning und greife zur mentalen Unterstützung seine Hand. Er befühlt sie, tätschelt sie kurz und legt sie dann auf meinem Bein ab. «Zu feucht», sagt er.

«Feucht ist doch gut», säusele ich und überlege, wie man diesen Satz erotisch wirken lassen kann. Ich versuche mich an einem verführerischen Schmollmund, da sagt er: «Brauchst gar nicht so beleidigt zu gucken. Du weißt doch, dass ich deinen Handcremekleister widerlich finde.»

Zum Glück biegen wir da gerade auf den Flughafenzubringer ein, und die Erleichterung obsiegt. Wir sind pünktlich! Ich wische verstohlen die Hände an meiner khakifarbenen Safarihose ab und freue mich. Etappe eins geschafft! Jetzt nur noch einchecken, fliegen, umsteigen, noch mal fliegen, zum Resort fahren, und dann steht einem phantastischen Urlaub nichts mehr im Weg! Ach, wird das wunderbar! Geradezu geil … hihi.

«Haben die hier eigentlich schon diese Nacktscanner?», frage ich, als wir uns in der Schlange zum Security-Check einreihen.

«Mmmhh, interessante Frage», sagt Henning und glotzt dabei auf eine dieser Blondinen, deren ordinäre Attraktivität bei jeder normalen Frau eine Mischung aus Abscheu («Mein Gott, ist die aufgetakelt!») und Neid («So was würde ich auch gerne tragen können!») hervorruft. Sie trägt Skinny-Jeans und ein silbermetallicfarbenes Shirt, das so eng ist, dass es auch aufgesprüht sein könnte. Früher wäre ich jetzt eingeschnappt gewesen, weil Henning eine andere Frau anschaut. Aber damit ist es ein für alle Mal vorbei. Das ist die neue Frida! Die feurige Frida! Die tollkühne Frida!

«Die würde ich auch gerne mal abtasten», hauche ich. Männer stehen doch auf so was. Henning guckt mich verwundert an. Ja-ha! Da staunst du, was? Aber dann verziehen sich seine Mundwinkel spöttisch, mir wird klar, was ich da gerade gesagt habe, und ich werde rot.

«Also natürlich nur, wenn ich bei der Security arbeiten würde und das tun müsste», beeile ich mich zurückzurudern, «was bestimmt nicht so angenehm ist, besonders bei der, weil dieses T-Shirt ist doch bestimmt hundert Prozent Polyester und total klebrig, und da schwitzt man bestimmt auch ganz fies drin, und eigentlich war das auch nur … oh, wir sind dran.» Ich lege meine Tasche auf das Laufband und husche durch den Metalldetektor. Verdammt noch eins.

Okay, Frida. Das lief jetzt nicht wie geplant. Aber egal. Liegt ja nur dran, dass wir ein bisschen aus der Übung sind. Was erotische Experimente angeht, meine ich. Da kann sich alle Welt noch so sehr in allen fünfzig Grauschattierungen auspeitschen, bei uns ist es mittlerweile fast schon ein Abenteuer, wenn das Licht dabei an ist. Ist doof, aber irgendwie normal. Ich meine, zehn Jahre zusammen, acht Jahre verheiratet, stressige Jobs (ich), blöde Hobbys (Henning), jede Menge Bügelwäsche (ich) und ein Festplattenrekorder mit sieben Millionen Reportagen über Vulkane, Weltraum-Tourismus und die größten Bagger der Welt (Henning) – wie soll man da in Ekstase geraten?

Ich kämpfe noch mit meiner Gesichtsröte, als Henning, weiterhin hämisch grinsend, seine frisch durchleuchtete Weste von dem Sicherheitsbeamten entgegennimmt und sich überstreift.

«Gate 39», sage ich schnell und laufe den Schildern nach, immer einen Schritt vor Henning, damit er ja nicht auf die Idee kommt, mich mit diesem missglückten Vorstoß in unbekannte Gefilde der Erotik aufzuziehen. «Ich hole mir noch was zu lesen», sage ich, als wir beim Presseladen vorbeikommen.

«Gute Idee», sagt Henning. Während sich Henning noch durch die Abteilung Auto, Computer und andere Zeitverschwendungsschriften wühlt, schleppe ich schon einen Stapel Seelenbalsam in den Warteraum und ergötze mich an den peinlichen Bildern von Cameron Diaz und Katy Perry. Diese Promis! Tun immer so, als wäre ihr Leben eine einzige Schokofondue, dabei sehen sie auch oft genug aus wie Fallobst.

Ich bin schon halb durch die InTouch durch und fast schon wieder mit mir und der Welt versöhnt, da ist Henning immer noch nicht wieder da. Was treibt er bloß? Aus dem Augenwinkel sehe ich hinter mir zwei Geschäftsleute in dunklen Klamotten kommen. Eine Frau, ein Mann. Meine Rückenlehne wackelt, als die beiden sich hinter mich setzen. Merkwürdig, jemandem so nah zu sein und trotzdem außerhalb des Blickfelds.

Er: «Wann ist noch mal der Rückflug?»

Sie: «Warte, ich schicke dir den Link.» Leises Klackern einer Tastatur, dann Stille. Plötzlich er, gehässig: «Guck sie dir alle an! Total gestresst, in den Urlaub zu kommen.»

Sie: «Aber wirklich. Diese ganzen gehetzten Gesichter!»

Er: «Ich hab’s doch schon immer gesagt. Urlaub ist was für Idioten, die keinen Spaß im richtigen Leben haben.» Verächtliches Schnauben.

Sie: «Diese Leute haben wahrscheinlich gar kein richtiges Leben.»

Er: «Was die für ein richtiges Leben halten, ist das Wartezimmer zur Hölle. Ein armseliger Job, ein armseliges Reihenhaus. Und dann warten sie. Jeden Tag warten sie. Auf die Mittagspause, auf den Feierabend, aufs Wochenende, auf den Urlaub.»

«Und auf die Rente.»

«Ja, genau. Auf die Rente. Und weil sie es so gewöhnt sind zu warten, warten sie weiter.»

«Auf ihre Erlösung.»

«Amen.»

Ich halte meine Zeitschrift zwar noch vor mich, aber natürlich lese ich kein einziges Wort mehr. So was Boshaftes habe ich ja noch nie gehört! Aus welcher Anstalt für manisch-zynische Pessimisten sind die denn entlaufen?

Dann er: «Guck mal, der große Kerl da vorne mit der Brille.»

Sie: «Oh Gott. Trägt eine Multifunktionsweste wie zur Dschungelexpedition, kann aber wahrscheinlich noch nicht mal den Busfahrplan lesen!»

Beide fangen an zu lachen (sie: ein gehässiges Hehehe, er: ein giftiges Harharhar). Dabei bringen sie meine Rückenlehne in Schwingung. Na, das ist ja wohl die Höhe! Die meinen tatsächlich Henning! Das geht ja wohl mal gar nicht. Wenn hier einer über meinen Mann lästert, dann bin ich das!

Ohne nachzudenken, drehe ich mich zu ihnen um. Genau in der Sekunde dreht sie sich auch zu mir um. Eine Businessfrau der rücksichtslosesten Sorte. Nadelstreifenhosenanzug, weiße Bluse, kurze braune Haare (Farbton: Hühnerleber), blasser Teint (Farbton: Schreibtischtäterin). Sie funkelt mich aus ihren staubbraunen Augen an, reckt kampfeslustig das Kinn vor und fragt mit einer Stimme, mit der man auch Glas schneiden könnte: «Was ist? Haben Sie ein Problem?»

Dabei starrt sie mich an, als wollte sie mich anspucken. Ihr Begleiter, Gucci-Sonnenbrille oben im halblangen braunen Richard-David-Precht-Haar, grinst vor sich hin, während er weiter sein Notebook bearbeitet. Bah, was für ekelhafte Leute! Aber der werde ich eins reinwürgen, ihrer aggressiven Arroganz einen fetten Dämpfer verpassen, ihre Siegesgewissheit zerbröseln wie ein kleines Schoko-Cookie.

Leider fällt mir nur nichts ein.

Und dann werde ich auch noch rot.

Mist.

«Wie bitte? Nein, natürlich nicht», sage ich schnell, drehe mich um und vertiefe mich wieder in meine Zeitschrift. Da kommt der lange Kerl mit der Multifunktionsweste mit sportlichem Schritt angerauscht und lässt sich auf den Stuhl neben mich plumpsen. Ha! Spätestens jetzt werden sie kapieren, warum ich so aufgebracht war. Und es wird ihnen peinlich sein, dass sie meinen Mann miesgemacht haben. Ja, die dumme Pute wird ein schlechtes Gewissen kriegen. Aber das geschieht ihr ganz re… Sie kichert! Die Tussi hinter mir kichert! Ich möchte gewalttätig werden. Auf der Stelle!

«Guck mal, Bärchen!», dröhnt Henning und hält mir eine Schachtel mit einem Clownsfisch vor die Nase. «Ein Robo-Fish. Ist aus Plastik, schwimmt aber wie ein echter Fisch, wenn man ihn ins Wasser wirft.»

«Was willst du denn damit?», frage ich verblüfft. «Wir fahren in den Urlaub und nicht auf einen Kindergeburtstag.»

«Ist einfach witzig», sagt Henning. «Aber ich sehe schon. Du hast deinen Humor zu Hause gelassen.»

Die beiden hinter mir prusten los! Unglaublich! So viel Gemeinheit auf einmal ist wirklich unerträglich. Ich stehe auf. «Los, wir stellen uns an», knurre ich.

«Aber das Boarding hat noch gar nicht angefangen», protestiert Henning.

«Wenn das Boarding einmal angefangen hat, ist es auch zu spät», weise ich ihn zurecht. «Dann ist sofort Gedrängel. Deswegen gehen wir jetzt.»

Und mit hocherhobenem Kopf stapfe ich zu der Glastür des Boardinggates. Mein einziger Trost ist, dass ich diese unverschämte Schnepfe und ihren Gucci-Precht-Kollegen nie wiedersehen werde. Denn nach Larishang wird deren Dienstreise garantiert nicht führen.

«Fern von den ermüdenden Ritualen des Alltags entfacht sich das Feuer der Leidenschaft fast wie von selbst.»

Die Kunst der kreativen Kopulation, E. L. Flint

3

«Wie soll man das denn zehn Stunden in dieser Sardinenbüchse aushalten», grummelt Henning und versucht, die Beine übereinanderzuschlagen, was an der Rückenlehne des Vordersitzes und seinen Schuhen in Größe 46 scheitert. «Wann geht es denn endlich los?», stöhnt er. «Ich hab jetzt schon keinen Bock mehr.»

Wir sitzen seit fünf Minuten auf unseren Plätzen. Dank meines Sitznachbarn kommt es mir vor wie eine Ewigkeit. Ich habe die Zeitschrift vor mir und starre wieder mal hinein, ohne was zu lesen.

«Was ist, Frida, redest du nicht mehr mit mir?»

«Natürlich habe ich ein Problem. Mit Ihrer fiesen, arroganten Art.»

«Wie bitte?»

«Das hätte ich zu dieser blöden Kuh sagen sollen. Oder: Nein, ich habe kein Problem. Aber Sie, wie man sieht. Nur jemand, der mit seinem Leben unzufrieden ist, kann so bösartig sein.» Ich ergötze mich an ihren Gesichtszügen, die in meiner Vorstellung total entgleisen. «Ja, das wäre auch gut gewesen. Damit hätte ich sie so richtig getroffen.»

«Muss ich mir Sorgen machen?», fragt er. «Brabbelst du unverständliches Zeug, weil wegen der engen Sitze die Sauerstoffversorgung in deinem Hirn nicht richtig funktioniert?»

«Was? Nein, natürlich nicht.»

«Aber mal im Ernst – wie soll man es denn hier drin aushalten?» Er hampelt weiter demonstrativ herum, um auf den Platzmangel hinzuweisen.

«Hab ich dir eigentlich schon erzählt, dass sich Corinna aus der Buchhaltung scheiden lässt?», sage ich. Bei meinem Mann ist Ablenkung eine bewährte Taktik bei Anfällen von kindischem Verhalten. «Nach fünfzehn Jahren Ehe lässt sie sich scheiden! Und sie ist jetzt schon total genervt von der Aussicht, wieder den Männermarkt abzugrasen.»

Henning beschäftigt sich weiter mit seiner Sitzgymnastik.

«Astrid vom Vertrieb ist ja mittlerweile dazu übergegangen, ihre Kontaktanbahnungsversuche in die Spirituosenabteilung zu verlegen, weil sie dort –  ihr Zitat! – definitiv irgendeine Flasche findet, die sie mit nach Hause nehmen kann. Furchtbar, oder?»

«Mmmh», macht Henning. «Meine neue Kollegin hätte hier bestimmt keine Probleme, bequem zu sitzen.»

Sofort sackt meine Laune in den Keller. Hennings neue Kollegin. Jenny. Sie ist mir ein Dorn im Auge, obwohl ich sie noch nicht mal zu Gesicht bekommen habe. Das liegt daran, dass Henning seit ihrem Dienstantritt in der Filiale von Die Sportspezialisten einige der bekanntesten Alarmwörter verwendet hat.

Die Sirenen einer Frau fangen nämlich automatisch an zu schrillen, wenn ihr Mann in Erzählungen über die neue Kollegin eine oder mehrere der folgenden Formulierungen benutzt:

«Sie ist ein paar Jahre jünger.» (Ungesagt hängt hintendran: «als du».)

«Sie war Deutsche Meisterin in Rhythmischer Sportgymnastik.» (Sie kann jede Menge verführerische Verrenkungen.)

«Sie ist Single.» (Da nützt auch ein schnell hinterhergeschobenes «Glaub ich jedenfalls» nichts. Im Gegenteil!)

«Sie ist echt total locker.» (Lacht er dabei in Gedanken an ihre Superlockerheit, verdoppelt sich die Signalwirkung!)

Und wenn er dann noch anfängt aufzuzählen, wo an ihrem Körper überall Tätowierungen rausblitzen, dann ist alles vorbei. («Am Knöchel. An der Innenseite ihres Oberarms. Am Nacken. Über der Hüfte.» Fehlt nur noch, dass er sagt: «Möchte mal wissen, wo sie sonst noch überall tätowiert ist.» Oder – noch schrecklicher: «Ob sie auch gepierct ist?»)

Ich finde es jedenfalls echt mies, dass Jenny die Spagatkönigin jetzt jeden Tag vor meinem Mann ihre Show abzieht. Bei der bloßen Vorstellung kriege ich einen Muskelkrampf. In der Faust, die ich ihr gerne in die biegsame Taille rammen würde. Aber ich werde natürlich nicht kampflos aufgeben. Henning gehört mir. Und nach diesem Urlaub werde ich jede achtundzwanzigjährige Spagatkönigin mit meinem strahlenden Aussehen und dem neuen Leben unter meinem Herzen locker in die Tasche steck… «Was machst du denn da?», frage ich entsetzt.

Henning fängt an, die Schnürsenkel seiner Wanderschuhe aufzuknoten. «Ich brauche mehr Platz. Sonst halte ich es keine Sekunde mehr hier drin aus.»

«Um Gottes willen», keuche ich. «Willst du uns alle ersticken?»

«Keine Sorge, die Socken sind von heute Mor… puh.»

«Zieh die Schuhe wieder an», zische ich leise.

«Kein Problem. Das verfliegt gleich.» Er streift den zweiten Schuh ab und behauptet: «Außerdem machen das alle.»

«Keiner macht das», flüstere ich hektisch. Aber Henning seufzt nur befreit und für alle hörbar. Mit einem langgezogenen «Ahhh!» rekelt er sich mit ausgestreckten Beinen in den Sitz.

Anstatt Sicherheitsmaßnahmen für den Notfall vorzuführen, hätten die Flugbegleiterinnen lieber mal über die Verhaltensregeln für den Normalfall aufklären sollen. Zumindest meinen Mann. Ich starre Henning einen Moment fassungslos an, seine ungerührte Miene, seine dreiste Zufriedenheit. Typisch! Sogar zu faul zum Schämen ist er. Auch das muss ich noch für ihn übernehmen. Durch den Spalt zwischen den beiden Vorderlehnen sehe ich, wie die Frau vor mir die Nase rümpft und sich rätselnd umsieht. Bitte nicht! Wenn jetzt rauskommt, dass mein Mann der Seuchenherd ist, sterbe ich an einer Schamattacke. Doch gerade als die Frau sich zu uns umdreht und ich bei dem Versuch, unbeteiligt zu wirken, verräterisch erröte, rettet mich ein Tumult hinter dem Vorhang am Eingang.

«Was, es sind keine Zeitschriften mehr da?», keift eine schrille Stimme. «Was ist das denn für ein unterirdischer Service?» Hinter dem Vorhang kommt jetzt ein Mädchen hervor – oder ist es ein Junge mit langen Haaren? – in Jeans und grünem T-Shirt mit der Aufschrift Ich bin nicht zickig, du machst halt nicht, was ich will.

«Wir wollten Business-Class fliegen, aber da hatten Sie angeblich ja keine Plätze mehr frei», zetert die Stimme hinter dem Vorhang, den jetzt eine bunte Krallenhand beiseiteschiebt. Die Besitzerin der Zeterstimme erscheint.

«Hey», sagt Henning. «Da ist ja deine Freundin.»

Es ist die Blondine mit dem hautengen Silbermetallic-Shirt.

«Das ist nicht meine Freundin», grummele ich. «Das ist absolut nicht meine Freundin.»

«Was nicht ist, kann ja noch werden», stichelt Henning.

Oh Gott, warum konnte ich eben meine Klappe nicht halten?

«Wenn ich schon in der Holzklasse fliegen muss, dann will ich wenigstens in der ersten Reihe sitzen», fordert die Blondine und zeigt auf die bereits belegten Sitzplätze ganz vorne. «Das habe ich schon bei der Reservierung gesagt.»

«Die erste Reihe kann man nicht reservieren», seufzt die Stewardess. «Nur Familien mit Kindern bis ein Jahr.»

«Na, dann dürfte es ja kein Problem sein, dass wir dort sitzen», stellt die Tussi fest. «Wir haben Kinder. Sogar zwei. Santos. Janelle. Herkommen!» Das Kind mit dem Zicken-T-Shirt identifiziere ich als Janelle. Sie ist etwa acht. Der dickliche Zwölfjährige mit dem karierten Hemd und der trendigen Schiebermütze, der Kaugummi kauend hinter der Blondine auftaucht, ist dann wohl Santos. Der mutmaßliche Erzeuger der Brut, ein braungebrannter Glatzkopf mit Kinnbärtchen in dunkelgrauem Satinjackett, drängt sich jetzt auch in den Gang. Von den Knöpfen seines schwarzen Hemdes hat er nur die untersten drei zugemacht, das Goldkettchen mit dickem Kreuzanhänger komplettiert das Macho-Ensemble. Er strahlt die beunruhigende Lässigkeit eines Mannes aus, der bekommt, was er will.

«Ihre Kinder sind deutlich älter als ein Jahr, deswegen haben Sie keine Berechtigung für Reihe eins», versucht die Stewardess erneut, die Blondine zur Einsicht zu bewegen.

«Aber gar keine Kinder berechtigen ja wohl noch viel weniger für Reihe eins», ruft die Tussi triumphierend.

«Bitte gehen Sie jetzt zu Ihren Plätzen 22 A bis D», sagt die Stewardess ermattet.

«Mein Bein», verkündet die Blondine. «Mein Bein ist verletzt. Ich muss hier vorne sitzen. Und dieser Mann da kann doch wohl nach hinten.» Sie zeigt auf einen Typen in der ersten Reihe. «Wo ist das Problem?»

«Was erlauben Sie sich», empört sich der Mann, von dem ich nur den grauen Haarschopf sehe. In diesem Moment gesellt sich ein Steward hinzu, der mit lauter Stimme eine unmissverständliche Ansage macht: «Wenn Ihnen Ihre gebuchten Plätze nicht zusagen, muss ich Sie jetzt auf Anweisung des Kapitäns bitten, umgehend das Flugzeug zu verlassen. Wir starten gleich.»

«Bravo», ruft jemand von den Passagieren.

«Unverschämtheit», schmollt die Blondine, aber kurz darauf trabt sie mit ihrem Anhang und eingeschnappter Miene an uns vorbei. Was für eine Horrorfamilie! Aber immerhin hat sie von den Schweißmauken meines Mannes abgelenkt. Deren Geruch hat sich mittlerweile mit den diversen Ausdünstungen der anderen Passagiere vermischt und ist nicht mehr eindeutig zu identifizieren.

Und überhaupt. Die Aufregung ist vorbei. Ich sitze im Flieger. Der Urlaub fängt an. Ab jetzt wird sich entspannt. Und dazu habe ich eine neue Geheimwaffe. Atmen. Also nicht so normal, rein, raus, sondern total bewusst. Maren hat mir gezeigt, wie es geht.

Wenn ich einatme, ist mir bewusst, dass ich einatme.

Wenn ich ausatme, ist mir bewusst, dass ich ausatme.

Wenn ich einatme, ist mir bewusst, dass ich tiefer und länger …

«Was ist los?», unterbricht mich Henning. «Geht’s dir nicht gut?»

«Was? Doch, doch. Ich entspanne mich nur gerade.»

«Du klingst wie ein Blasebalg», sagt er mit geschlossenen Augen. «Und jetzt muss ich ans Grillen denken, und wenn ich ans Grillen denke, dann kriege ich Hunger. Und du weißt ja, was passiert, wenn ich Hunger kriege …»

Oh ja, das weiß ich. Wenn mein Mann Hunger hat, dann will er sofort was zwischen die Kiemen, sonst ist er in kürzester Zeit «unterzuckert», und das wertet er als Freibrief, alle in seiner Umgebung mit seiner schlechten Laune zu tyrannisieren. Mit «alle» meine ich natürlich mich.

«Du hast doch Müsliriegel in deiner Weste», sage ich.

«Die schmecken aber nicht nach Wurst», sagt er, und ich verdrehe die Augen. Heimlich natürlich. Wegen Gandhi und so.

Oh Gott, was freue ich mich auf unseren Bungalow am Strand! Mit Blick aufs Meer, eigenem Whirlpool auf unserer eigenen Terrasse, eigenem Badesteg, der ins kristallklare Wasser führt. Und sagenhafte Ruhe rundherum. Selbst von seinen direkten Nachbarn bekommt man dort gar nichts mit, hieß es im Prospekt. Die ganze Anlage ist brandneu und gerade erst eröffnet! Und hat fünf Sterne! In diesem luxuriösen Ambiente werde ich mich über gar nichts mehr aufregen. Und mit den wunderbaren Bildern von den nächsten zwei Wochen und den drei Gläsern Rotwein im Kopf, die mir die nette Stewardess kredenzt, überstehe ich diesen Flug ohne weitere Zwischenfälle.

 

«Wir servieren Ihnen auf dem kurzen Flug nach Larishang noch eine kleine Erfrischung», vermeldet das Bordpersonal, als wir ein zweites Mal abgehoben haben und der Smog Bangkoks weit unter uns liegt. Henning, der den ganzen ersten Flug verpennt hat – außer die Mahlzeiten natürlich –, ist sofort hellwach.

«Wir nehmen mit, was wir kriegen können», verkündet er und langt ordentlich zu, als die Flugbegleiterin Knabbergebäck anbietet.

«Echt guter Service», freut sich Henning und lässt eine Faust voll Salzcracker in seinem Mund verschwinden. Und da höre ich sie – die gehässige Stimme. Aus der Reihe hinter mir. Ein Schauer läuft mir über den Rücken.

«Die Leute sind so erbärmlich», sagt die Stimme (weiblich), «die lassen sich doch tatsächlich von der kleinsten Kleinigkeit um den Finger wickeln.»

«Absolut», höhnt die zweite grauenerregende Stimme (männlich). «Wenn der Flieger nicht abstürzt, sind die Leute zufrieden. Bekommen sie aber ein Tütchen Erdnüsse dazu, sind sie glücklich!»

Ich wage nicht, mich umzudrehen, und tue deswegen so, als ob ich an meinem Gurt was verstellen müsste. Dabei linse ich vorsichtig durch den Spalt zwischen den Rückenlehnen nach hinten. Und wer glotzt mir da entgegen? Natürlich. Diese arrogante Schnepfe in ihrem Nadelstreifenanzug. Neben ihr der Fiesling mit der Gucci-Brille und der Precht-Frisur. Und natürlich sieht sie, dass ich gucke. Erschrocken drehe ich mich so schnell wieder um, dass sie mir nicht dumm kommen kann. Ich hasse sie. Warum müssen die ausgerechnet auf unsere Insel? Larishang ist doch «der Geheimtipp unter den Inseln Südostasiens». Aber sie werden sicher am anderen Ende von Larishang untergebracht sein. Ja, natürlich. Denn nichts und niemand wird meinen Plan durchkreuzen, diese Reise zum erholsamsten und zauberhaftesten Urlaub aller Zeiten zu machen, der unsere Liebe wieder runderneuert.

«Erotische Accessoires gehören zu den wichtigsten Waffen im Kampf um die Wiederbelebung der ehelichen Wollust.»

Die Kunst der kreativen Kopulation, E. L. Flint

4

Eine Stunde später landen wir auf der kleinen Insel Larishang in der Andamanensee. Das Wetter ist wunderschön, ich strahle mit der Sonne um die Wette. Endlich der Flug hinter und zwei Wochen unbeschwertes Glück vor uns. Und dass wir die Zeit genießen werden, dafür habe ich gesorgt. Ich habe so sorgfältig gepackt wie noch nie in einem Urlaub zuvor. Einen Koffer voller Überraschungen! Henning wird Augen machen! Und dann geht’s zur Sache. Da kann er mir dann nicht mehr kommen mit faulen Ausreden wie «Warte, ich muss noch das heute-journal sehen». Wo er genau weiß, dass ich mich um diese Uhrzeit nur mit Futtern von Salzstangen wach halten kann und mich mit der Schlussmelodie regelmäßig die Müdigkeit übermannt (mein Wecker klingelt halt um sechs Uhr morgens). Und ich werde auch nicht zulassen, dass er mit irgendeiner Kleinigkeit («Da hab ich halt gerülpst, na und?») die romantische Atmosphäre zerstört. Nein, die nächsten zwei Wochen werden ein einziges Schäferstündchen. Wir sind uns nämlich schon lange einig, dass wir Kinder haben wollen, Henning hatte es bisher nur nie so eilig. Er sieht nicht ein, dass man eben an bestimmten Tagen Flagge zeigen muss. Wenn man einmal anfängt, sich Druck zu machen, wird es immer schlimmer, behauptet Henning. Er hat gut reden. Er ist ja auch noch nicht fast vierzig, so wie ich. Aber zum Glück gibt es eine Lösung für unser Problem. Und das heißt: Raffinesse! Und da komm ich ins Spiel. Denn ich werde mit den Waffen der Frauen gewinnen! Und das Beste daran ist: Er wird gar nichts davon merken. Er wird nicht den geringsten Druck spüren, sondern bereitwillig und freiwillig bei meinem Plan mitwirken. Denn ich habe an alles gedacht. Es ist zum Beispiel kein Zufall, dass wir ausgerechnet heute fliegen! Nach meiner generalstabsmäßigen Organisation liegen meine fruchtbarsten Tage genau in der Mitte des Urlaubs, wenn man schon entspannt und wieder liebevoll miteinander ist, aber noch nicht an den Rückflug denken muss. Wenn man nervige Chefs und aufdringliche Kolleginnen vergessen hat. Wenn die Sonne einen goldenen Teint gezaubert und die gesunde Inselküche mit Fisch und Gemüse die Pölsterchen hat schrumpfen lassen. Genau dann werde ich, so wahr ich Frida Jochems heiße, meinen Ehemann mit einem Arsenal an erotischen Accessoires so um den Verstand bringen, dass er an nichts anderes mehr denken kann als daran, unsere Körper zu vereinen.

Ich habe sogar Sprühsahne von zu Hause mitgenommen. (Musst du ausprobieren, sagt Maren.) Mmmh, vielleicht gibt es auf Larishang auch Erdbeeren. Sehr erotische Früchtchen!

«Schade, dass wir nicht neuneinhalb Wochen Urlaub haben», hauche ich Henning auf dem Weg zur Gepäckausgabe ins Ohr.

«Was?», fragt er.

«Ach nichts», murmele ich.

«Neuneinhalb Wochen? Mein Chef würde mir was husten.»

Da sieht man mal, was vier Jahre Altersunterschied ausmachen können. In meinem Alter kennen alle den Film. Maren sagt immer: «Vier Jahre älter als dein Mann? Baby, ich hoffe, du hast ein paar Tricks auf Lager.» Habe ich. Und wie! Ich werde das Drehbuch zu unserem eigenen Erotikfilm schreiben! Requisiten habe ich jedenfalls genug dabei. Jetzt muss ich nur hoffen, dass mein Koffer nicht verlorengegangen ist.

 

An der Gepäckausgabe 3 sind schon alle versammelt und drängen sich um das Band. Die Nadelstreifen-Schnepfe und der Gucci-Precht sind natürlich vollauf damit beschäftigt, Verachtung für diese erbärmlichen Leute zu demonstrieren. Ich sehe ihren höhnischen Blicken an, dass sie eine gemeine Bemerkung nach der anderen absondern. Ja, das können sie! Aus dem Stegreif fünfhundert boshafte Kommentare raushauen. Aber wie man das Wort Spaß buchstabiert, das wissen sie nicht.

«Was bin ich froh, dass ich nicht auf Dienstreise bin», sage ich etwas lauter zu Henning, als ich das sonst machen würde. «Denn sonst müsste ich auch so überkandidelte Schuhe tragen.» Ich deute mit dem Kopf auf die Nadelstreifen-Schnepfe und ihre spitzen Pumps. Aber Henning rafft mal wieder gar nichts.

«Sehen doch gut aus», sagt er.

«Sehen vielleicht gut aus, aber gut darin laufen kann man nicht.» «Ihr scheint es nichts auszumachen», sagt Henning und holt sein Smartphone aus der Tasche.

Also echt! Was soll das denn jetzt wieder heißen?

«Natürlich kann ich auch in solchen Schuhen laufen», sage ich. «Ich will es nur nicht. Zumindest nicht über längere Strecken. Das ist auch gar nicht gut aus orthopädischer … ist das deine Tasche?»

«Wo?»

«Na da!» Ich zeige auf das Gepäckband, das sich rumpelnd in Bewegung gesetzt hat.

«Sehe ich nicht», sagt er.

«Nein, von hier kann man das auch nicht sehen.» Aber Henning versteht den Wink mit dem Zaunpfahl natürlich mal wieder nicht und hantiert weiter in aller Seelenruhe mit seinem Smartphone herum, während die anderen sich immer näher um das Band drängeln. Ich schiebe mich so nah heran, wie es ohne Rempelei möglich ist, und versuche, zwischen einem Rentner mit Lodenjacke und einem jungen Kerl mit Bierbauch hindurch die Gepäckstücke zu identifizieren. Meinen Koffer habe ich extra mit einem rot-weiß gepunkteten Gurt und einem sehr schicken roten Namensschild gekennzeichnet, damit ich ihn sofort erkenne. Ein schwarzer Trolley rollt vorbei, ein blauer Lackkoffer, eine dunkelgrüne Sporttasche, und sie werden von ihren Besitzern vom Band gezerrt.

«Maxim, hier rüber», kreischt in dem Moment die schrille Kommandostimme der Silbermetallic-Blondine. Ach du meine Güte. Die sind auch hier! Hätten die nicht nach Phuket fahren können? Sie will natürlich an die Stelle, wo das Fließband die Koffer auf den Rundkurs spuckt und wo es am vollsten ist.

«Machen Sie mal Platz», keift sie. Aus irgendeinem Grund machen die Leute ihr tatsächlich Platz. Vermutlich, um die trommelfellperforierende Stimme nicht länger hören zu müssen. Maxim schnappt sich einen pinkfarbenen Rucksack vom Band. Auch einige andere Glückliche ziehen mit ihren Rollwagen von dannen und machen Platz für die, die noch auf ihre Koffer warten. Das Fließband läuft ruckend weiter, doch es kommt nichts Neues aus dem Schacht. Ich winke Henning zu mir heran, damit wir beim nächsten Schwung Gepäck bereit sind. Die Kinder der Silbermetallic-Blondine, Santos und Janelle, entdecke ich wartend auf einer Bank. Zu meiner großen Überraschung lesen beide. Der Junge ein Buch, das Mädchen ein Naturmagazin. Mein Blick wandert zu der Nadelstreifen-Schnepfe, die die Blondine begutachtet. Unter Garantie hat sie auch über die eine abscheuliche Bemerkung auf Lager. Schade eigentlich. Die beiden Tussen zusammen in einem Raum ohne Ausgang, das wäre vermutlich ein ziemliches Spektakel.

Der nächste Koffer tritt die Rundfahrt über das Band an und wird von einer erleichterten jungen Frau runtergehievt. Wenn doch nur endlich unsere Sachen kämen! Sogar die Silbermetallic-Blondine ist jetzt am Zug und lässt ihren Maxim einen schrankartigen Louis-Vuitton-Koffer runterheben. Mit einem hochaufgetürmten Gepäckstapel auf dem Wagen rollen sie Richtung Ausgang. Verdammt.

«Wo bleiben unsere Sachen?», frage ich nervös und schaue mich vorsorglich nach dem Schalter für verlorengegangenes Gepäck um.

«Die kommen schon noch», sagt Henning. Seine übertriebene Gelassenheit ist ja wohl völlig fehl am Platze! Nur noch höchstens zwanzig Leute stehen um das Band! Immerhin sind auch die Nadelstreifen-Schnepfe und der Gucci-Precht noch gepäcklos. Aber die tun natürlich so, als würde ihnen das gar nichts ausmachen. Na klar. Auf so einer Dienstreise ist das egal. Business-Klamotten kann man überall kaufen. Aber das, was ich dabeihabe, bekommt man hier unter Garantie nicht.

«Ah, da ist sie ja», ruft Henning und schnappt seine Tasche vom Band, die von den ganzen Sachen, die er nachträglich reingestopft hat, total ausgebeult ist. «Na siehst du», sagt er zufrieden. «Klappt doch.»

Auch die Schnepfe zieht an mir vorbei. Ihr massiver Metall-Trolley ist vermutlich atomstrahlensicher. Der Gucci-Precht hat auch so ein Angeberteil, einen funkelnagelneuen schwarzen Samsonite. Nur eine alte Dame mit Hund und eine junge Mutter mit einem Kind auf dem Arm und ich sind noch übrig. Die Gepäckwaisen von Band 3.

Und dann kommt das Fließband mit einem Quietschen zum Stehen. Das dumpfe Gefühl der grenzenlosen Enttäuschung wabert durch meine Eingeweide. Mein ganzer schöner Plan löst sich gerade in Luft auf. Verdammt!

«Was soll ich denn jetzt machen?», hebe ich zu jammern an, da setzt sich das Band doch wieder in Bewegung, und drei letzte Gepäckstücke werden ausgeworfen. Der vorletzte ist mein Koffer mit dem rot-weiß gepunkteten Gurt.

«Gott sei Dank!», seufze ich erlöst. Henning hebt den Koffer vom Band. «Puh, was hast du denn alles dabei? Ein paar Konservendosen? Oder Hanteln?»

«Das wirst du schon sehen», sage ich verführerisch. «Da sind auf jeden Fall auch einige Überraschungen für dich drin.»

«Für mich?», sagt Henning und steuert den Einreiseschalter an, vor dem sich die Touristen drängen. «Aber sag jetzt nicht, du hast Bücher eingepackt, die ich lesen soll.»

«Kalt, ganz kalt», kichere ich. Fühle mich plötzlich richtig verrucht! Das ist die neue Frida! Die heißblütige Frida. Die unanständige … Ahhh! Bin plötzlich nur noch die panische Frida!

Der Zoll.

Und die überprüfen nicht nur die Pässe. Die überprüfen auch das Gepäck!

Heiliges Kanonenrohr!

Am Einreiseschalter stehen vier schwerbewaffnete Männer in Uniform, einer hat sogar ein Maschinengewehr. Hinter ihnen wacht ein Zöllner mit einem Schäferhund mit Maulkorb. Daneben ist ein langer Tisch, der von weiteren Bewaffneten flankiert wird und an dem Zöllner mit Gummihandschuhen den Inhalt der Taschen und Koffer kontrollieren. Gerade nehmen sie sich den Metall-Trolley der Schnepfe vor. Sie muss ihn tatsächlich aufmachen – dabei sieht diese hochnäsige Karrierefrau ja nun wirklich nicht aus wie eine Schmugglerin. Der Zöllner klappt den Deckel auf und guckt hinein. Die Schnepfe zuckt nicht einmal mit der Wimper. Eines ist klar: Wenn die meinen Koffer filzen, dann sterbe ich vor Scham.

Der Zöllner guckt eine halbe Sekunde in den Trolley der Schnepfe, dann macht er ihn wieder zu, und sie ist entlassen. Bei mir wird er nicht nur einen Blick drauf werfen. Unter Garantie nicht. Das wird das Spektakel der Woche für diese Jungs. Mir bricht der Schweiß aus. Oh Gott, was habe ich mir nur dabei gedacht, mir diese brustfreie Korsage samt paillettenbesetzter Nippel-Hütchen aufschwatzen zu lassen! Nur weil die Verkäuferin sie «betörend burlesk» genannt und in einem fort von der «Magie der Verführung» geschwafelt hat! Scheiße. Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Auch der Ratgeber Die Kunst der kreativen Kopulation, den Maren mir wärmstens empfohlen hat, ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste sind diese Tropfen. «Super Penis Power». Wenn der Zöllner die rauszieht, bin ich verloren. Ich wollte sie Henning heimlich unterjubeln, falls die Nippel-Hütchen doch nicht den gewünschten Effekt auf seine Manneskraft haben, den die Verkäuferin so wortreich beschworen hat. Aber wenn er diese Tropfen hier und jetzt sieht, dann denkt er, ich denke, er hätte ein Problem, und dann ist es aus!

«Willst du nicht schon mal vorgehen?», frage ich Henning und verlangsame meinen Schritt. «Ich muss noch mal auf die Toilette.»

«Aber jetzt doch nicht», sagt Henning bestimmt. «Wir sind gleich dran.»

Nur noch fünf Leute sind vor uns. Meine Hände sind klitschnass, an meinem Rücken läuft ein Tropfen nach dem anderen herunter. Und wenn die Zöllner nicht selbst bemerken, wie nervös ich bin, dann wird es dieser Hund tun. Hunde können Angst riechen! Dafür braucht man noch nicht mal einen top ausgebildeten Drogenhund. Jede Promenadenmischung würde anschlagen, wenn ich komme!

Ein Spießerpärchen im Rentenalter wird gerade aufgefordert, die Taschen auf den Tisch zu legen. Aber deren Habe ist offensichtlich genauso harmlos wie die beiden, und die Zöllner machen sich keine Mühe, sie wirklich zu durchsuchen. Wenn die meine Sachen sehen, halten die mich für eine moderne Wanderhure. Das ist doch bestimmt total illegal hier, und ich werde noch wegen Prostitution verknackt! Und woraus sind eigentlich diese Power-Penis-Tropfen? Nachher sind die aus Pandazehennägeln oder Nashornvorhaut, und ich wandere wegen Verstoßes gegen das Artenschutzabkommen in den Knast! Verdammt.

Ich muss den Koffer loswerden.

Ganz schnell.

Aber ihn jetzt hier stehenzulassen ist viel zu auffällig. Vielleicht kann ich so tun, als ob er der alten Dame vor mir gehört. Ich schiebe den Koffer unauffällig mit dem Fuß nach vorne. Ja, das könnte gehen, denke ich gerade, ich tue einfach so, als wäre es gar nicht meiner. Da bleibt mein Blick am signalroten Namensschild hängen. Oh verdammt, Frida. Es nützt nichts. Dir bleibt nur die Hoffnung, dass der Zöllner dein Gepäck nicht sehen will. Dass er dich für so langweilig hält, dass er sich gar nicht erst die Mühe macht. Ich setze mein debilstes Ich-bin-so-froh-im-Urlaub-zu-sein-und-habe-auch-nur-eine-Strandmatte-dabei-Lächeln auf, das ich für solche Situationen auf Lager habe. Dann ist die alte Dame vor uns fertig. Wir sind dran. Der Hund macht einen Schritt auf mich zu. Er duckt sich angriffslustig. Mein Lächeln verkrampft. Der Zöllner winkt uns heran. Ich bin wie gelähmt. Henning nimmt seine Tasche und meinen Koffer und hievt beide auf den Tisch des Zöllners. Einen zähfließenden Moment lang scheint der Mann zu überlegen, ob er uns wirklich überprüfen will. Mein Herz setzt einen Schlag aus vor Spannung. Und genau an diesem Punkt sagt Henning: «Wir haben nichts zu deklarieren. Die ganzen Drogen haben wir mit der Post geschickt.»

«Tropische Gefilde sind bestens geeignet für ausgiebige Liebesspiele. Die hohe Luftfeuchtigkeit wirkt wie ein Gleitmittel auf Ihre Libido.»

Die Kunst der kreativen Kopulation, E. L. Flint

5

Unter den humorlosesten Menschen der Welt rangieren Zöllner bekanntermaßen ganz weit vorne, in der unangefochtenen Spitzengruppe zusammen mit afrikanischen Warlords und Emanzen. Wenn es jemanden gibt, mit dem man nicht scherzen sollte, dann ist es der Mann, der darüber entscheidet, ob du in sein Land gelassen wirst oder nicht. Henning zwinkert mir zu, als hätte er den besten Witz aller Zeiten gemacht. Der Zöllner macht eine herrische Handbewegung, und Henning muss seine Tasche aufmachen. Natürlich muss er das. Die Regenjacke quillt heraus, der Zöllner packt sie mit spitzen Fingern und sagt was zu seinen Kollegen. Sie lachen. Ha. Ha. Wartet erst mal ab, gleich werdet ihr Augen machen! Henning muss den Deckel der Tasche ganz öffnen, aber weil er alles so reingestopft hat, hat sich ein Zipfel der Regenjacke in dem Reißverschluss verhakt. Henning zuckt entschuldigend mit den Schultern. Der Zöllner zeigt auf eine Beule in der Seitentasche, und Henning kramt seine neue Taschenlampe hervor, ein wahres «Wunderding», wie er mir erklärt hatte. Auch der Zöllner scheint beeindruckt von Kompaktheit und Scheinwerferleistung, denn er demonstriert das kleine Gerät seinen Kollegen, die in wildes Geschnatter ausbrechen. Jetzt holt Henning auch noch sein Taschenmesser raus und führt es vor, als wäre er ein verdammter Vertreter für Männerspielzeug! Oh, das Taschenmesser hat eine Säge und eine Lupe und einen Zahnstocher! Hat man so was schon gesehen? Die Jungs benehmen sich wie beim Herrenabend, während mein Nervenkostüm Pogo tanzt. Henning will seinem neuen Kumpel jetzt auch noch seine Lieblings-App auf dem Smartphone vorführen, doch schlagartig ist Schluss mit der allgemeinen Heiterkeit, der Zöllner hat das Interesse verloren und wendet sich mir zu. Es ist also so weit. Mit zittrigen Fingern fange ich an, an dem Gurt zu nesteln. Der Zöllner sagt was, winkt ungeduldig mit der Hand. Na klar, jetzt holt er alles aus seinem Machtpöstchen raus. Ich beeile mich, die Schnalle zu lösen. Der Zöllner herrscht mich wütend an. «Ich beeile mich ja schon», sage ich eingeschüchtert.

«Er meint, dass du weitergehen sollst», erklärt Henning.

«Was?»

Und da endlich kapiere ich die Handzeichen des Zöllners: Er winkt mich durch. Er will meinen Koffer gar nicht sehen! Ich lache glucksend vor Erleichterung und muss mich bremsen, nicht zu hüpfen. Es ist gutgegangen! Alles ist gutgegangen! Jippieh!

«Jetzt müssen wir nur noch unseren Bus finden», sage ich wieder blendend gelaunt, als wir endlich in der Ankunftshalle angekommen sind. «Ah, da ist ja das Schild!»

Eine junge Frau steht an einem mobilen Schalter mit den Namen unserer Unterkunft. Sie drückt uns einen Flyer vom Larishang Paradise Resort in die Hand und schickt uns durch den rechten Ausgang. Und dann treten wir durch die elektrische Schiebetür nach draußen, und ich denke, wir stehen noch unter irgendeiner Art Gebläse, aber dann merke ich, nein, das ist die Luft von Larishang.

«Mann, ist das heiß», stellt Henning fest. «Die vom Reisebüro haben aber nicht gesagt, dass es so heiß ist, oder?»

«Ach, wenn wir gleich in der frischen Meeresbrise sitzen, wird es bestimmt besser», sage ich eifrig, während eine neue Schweißwelle meinen Körper hinunterfließt. «Außerdem ist es doch gut, wenn es heiß ist», füge ich keck hinzu. «Da braucht man nicht so viel anzuziehen.»

«Das stimmt», sagt Henning. «Leider.»

Ein Touristenpärchen, das ganz offensichtlich All-you-can-eat-Vollpension auf Lebenszeit gebucht hat, schlendert auf uns zu. Sie hat sich in winzige Hot Pants aus rosa Frotté samt passendem Spaghettiträgerleibchen gequetscht, und er trägt über den karierten Bermudashorts nur Prallwanst im Farbton Sonnenbrand. Ein solcher Anblick kann einem schon fiese Bilder ins Hirn pflanzen. Aber ich werde schon dafür sorgen, dass Henning bald nur noch höchst Erfreuliches zu sehen kriegt.

«Hey, da vorne ist unser Bus!» Ich zeige auf einen jungen Mann, der ein Schild mit der Aufschrift «Larishang Paradise Resort» hochhält. Wir weisen uns mit unseren Reiseunterlagen aus, er lächelt uns zu, wir besteigen den Bus. Er ist klimatisiert und angenehm kühl. Es sitzen erst vier andere Leute drin, harmlose Mitreisende mittleren Alters ohne offenkundige Verhaltensstörung. Die Sitze sind weich gepolstert. Ich lasse mich hineinsinken.

«Gleich sind wir da», sage ich aufgeregt zu Henning. «Ich freue mich so!»

«Als Erstes gehe ich eine Runde schwimmen», sagt Henning.

«Und dann gibt es Champagner zur Feier des Tages!»

Wir schwelgen einen Moment in Gedanken an die nahe Zukunft.

«Ist es nicht unglaublich, welche Lebenswege sich manchmal überschneiden?», frage ich dann kopfschüttelnd. «Manche Menschen sieht man nur an einem einzigen Tag in seinem Leben und ist einfach nur froh, dass man sie danach niemals wieder …»

Die Nadelstreifen-Schnepfe zerrt ihren atomsicheren Metall-Trolley Richtung Bus. An ihrem Arm baumelt eine schwarze Ledertasche, so dick und schwer, als wäre ein Meter Aktenregal darin verstaut. Der Gucci-Precht folgt ihr, Blick aufs Smartphone. Die Schnepfe steuert tatsächlich unseren Bus an.

«Das darf doch nicht wahr sein», murmele ich.

«Was ist?», fragt Henning.

«Ach, nichts», sage ich leise und sinke tiefer in den Sitz. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass diese schon wieder kampfbereit zu mir rüberglotzt, mit diesem spöttischen Grinsen im Gesicht. Wenn die bei uns in der Anlage arbeitet und ich sie beim Candle-Light-Dinner sehe, muss ich sie wohl mit einer Hummerschere erstechen. Dann startet der Bus, und der Ausblick aus dem Fenster lenkt mich von meiner Mordlust ab. Palmen, Blumen, bunte Tempel mit geschwungenen Dächern. Menschen auf Mopeds. Menschen mit schweren Säcken auf Mopeds. Menschen mit schweren Säcken und Hühnern auf Mopeds. Und allerhand andere ulkige Gefährte, die von Mannes- oder Maschinenkraft angetrieben werden, in dem chaotischen Gewusel von Larishang-City. Ich bin beeindruckt. Wir kommen an Märkten vorbei, überall quellen Verkäufer mit Handwagen aus den Gassen, Müll liegt herum, Fahrradrikschas transportieren abenteuerliche Mengen an Gepäck, Kinder spielen in der Gosse, in einer Garküche hängen braun verschrumpelte Enten an ihren dürren Kehlen in einem Glaskasten. Dann werden die Häuser niedriger und geben den Blick frei auf leuchtend grüne Reisfelder. Irgendwann biegen wir in eine Allee ein, die von Palmen gesäumt wird, und fahren schließlich durch einen hölzernen Rundbogen in das Larishang Paradise Resort ein. Der Bus hält vor einem zweistöckigen Gebäude aus glänzendem Holz inmitten eines tropischen Gartens. Kunstvoll geschnitzte Säulen zieren den Eingang.

«Der Prospekt hat echt nicht zu viel versprochen», sage ich verblüfft. «Das sieht ja phantastisch aus.»

«Ich hoffe, die haben Internet», sagt Henning.

«Internet brauchen wir nicht. Wir brauchen nur den Himmel und das Meer und uns.» Ich drücke seine Hand und lächele ihm zu.

Der Moment der fahrlässigen Entspannung rächt sich sofort, denn alle anderen im Bus sind schon aufgesprungen und drängen zum Ausgang. Wir müssen warten, bis der Gang frei ist, bevor wir aufstehen können. Ist aber besser so, denke ich mir. Dann sitzt mir wenigstens die Nadelstreifen-Schnepfe nicht im Nacken, sondern ich kann sie im Auge behalten.

An einem Wasserfall aus lila Blüten vorbei betreten wir die helle, wunderbar kühle Lobby des Larishang-Resorts. Wir stellen uns hinter den anderen zum Einchecken an. Eine schwarzhaarige Schönheit mit Mandelaugen bietet uns lächelnd einen orangeroten Drink mit Cocktailkirsche an. Der Drink sieht ziemlich süß und kalorienreich aus, aber Henning schnappt sich sofort zwei Gläser und reicht eins mir. Was soll’s, denke ich. Ich fange jetzt nicht an, kleinlich zu werden. Wir nippen an dem leckeren Saft und rätseln eine Weile, ob da Alkohol drin ist oder nicht, während wir die hölzerne Einrichtung des Hotels bewundern, für die vermutlich eine ganze Plantage Teakbäume draufgehen musste. Aber hübsch ist es.

Und der Cocktail ist auch lecker. Ich fühle mich schon richtig beschwingt! Wir rücken näher zum Empfangsschalter auf. Der Empfangsschalter … das bin ich, kichere ich in mich hinein. Willkommen am Empfangsschalter, könnte ich zu Henning sagen, wenn es so weit ist. Schade, dass ich nicht doch dieses freche Zimmermädchen-Kostüm gekauft habe.

 

Die anreisenden Gäste werden rucki, zucki abgefertigt. Die europäische Rezeptionistin hat alles gut im Griff. Das ist wirklich eine reibungslose Organisation, denke ich gerade, da scheint es irgendwelche Probleme zu geben. Aber als ich sehe, wer da gerade vor der blonden Dame am Empfangsschalter steht, breitet sich wohlige Genugtuung in mir aus. Es ist natürlich die Nadelstreifen-Schnepfe und ihr Gucci-Precht! Bestimmt wollten sie irgendeine Extrawurst und haben auf Granit gebissen. Ha, ha! Der Schnepfe nützt es gar nichts, dass sie vehement auf dem Tresen rumpocht. Die Empfangsdame redet mit geduldigem Lächeln auf sie ein, aber bei so jemandem wie der Nadelstreifen-Schnepfe ist das natürlich vergebliche Liebesmüh. Die sagt jetzt sehr laut: «Ich will den Geschäftsführer sprechen.» Es geht weiter ein bisschen hin und her, dann stößt die Nadelstreifen-Schnepfe hervor: «Machen Sie sich auf eine saftige Klage gefasst!»

Sie dreht sich um und stapft wutentbrannt davon. Ein erleichtertes Lachen entfährt meiner Kehle. Oh ja, jetzt ist sie giftig. Und diesmal funkele ich sie triumphierend an, als sie an mir vorbeirauscht, und sie weicht dem Blick aus. Hahaha! Das Karma hat zugeschlagen! Und ich habe gewonnen! Diese Hotelanlage wird mir immer sympathischer.

«Archaische Reize steigern den Testosteronspiegel – und damit die männliche Potenz.»

Die Kunst der kreativen Kopulation, E. L. Flint

6

«Willkommen im Larishang Paradise Resort», sagt die Rezeptionistin, dem akzentfreien Deutsch und dem Schild mit dem Namen Krüger nach zu urteilen, eine Landsfrau. Ihre Wangen sind leicht gerötet, vermutlich wegen der Hitze und dem Andrang, den sie gerade alleine zu bewältigen hat. Sie ist ja noch sehr jung.

«Hallo, Frida und Henning Jochems», sage ich und lege lächelnd unsere Ausweise auf den Tresen. «Es ist wirklich wunderschön hier.»

«Danke.» Frau Krüger gibt unsere Namen in den Computer ein.

«Wir haben einen Bungalow mit Badesteg gebucht», sage ich überflüssigerweise und kann mir das entzückte Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht wischen.

«Ja», sagt sie und starrt weiter konzentriert auf den Monitor. Jetzt wird sie uns einen Schlüssel und einen Plan von der Anlage und den Essenszeiten in die Hand drück…

«Es gibt nur eine kleine Umdisponierung», sagt sie, und mein Herz beginnt zu pochen.

Frau Krüger zieht ein paar Unterlagen heraus und sagt freundlich: «Wir werden Sie anderweitig unterbringen.»

«Wie meinen Sie das?», frage ich mit leicht zitternder Stimme.

«Nun, es ist so, dass Ihr Bungalow derzeit nicht bewohnbar ist.»

«Wieso nicht?»

«Das ist eine Information, die wir laut unserer Geschäftsführung vertraulich behandeln sollen, um unsere Gäste nicht zu beunruhigen.» Sie leiert diesen Satz so runter, als hätte sie ihn schon öfter gesagt und als würde es ihr gar nicht behagen.

«Was ist denn passiert?», fragt Henning.

«Wissen Sie», Frau Krüger beugt sich näher zu uns und senkt ihre Stimme, «ich würde es Ihnen ja sagen, aber leider bin ich nicht autorisiert, diese Information rauszugeben. Das könnte nur der Manager, aber der hat ja keine Zeit für so was», fügt sie spitz hinzu. Mein Enthusiasmus über die reibungslose Organisation bekommt erste Risse.

«Ja, Sie können da sicher nichts dafür», sage ich, aber Henning unterbricht mich. «Aber wenn wir deswegen nicht in unseren Bungalow kommen», bohrt er weiter, «dann wäre es schon interessant, wenn …»

Meine Güte, wenn er so weitermacht, dann werden wir als Nörgelheinis abgestempelt, noch bevor wir überhaupt eingecheckt haben. Man sieht doch, dass das Mädchen hier noch eine Anfängerin ist. Wenn wir sie jetzt überfordern, werden wir allein aus Rache in das letzte Loch verfrachtet. Ich stoße ihm den Ellenbogen in die Seite, um ihn zum Schweigen zu bringen. Dann frage ich Frau Krüger: «Aber Sie haben einen anderen Bungalow für uns, mit Whirlpool und eigenem Badesteg, oder?»

«Machen Sie sich keine Sorgen!» Frau Krüger lacht schrill. «Wir haben natürlich einen gleichwertigen Ersatz für Sie. Eine Villa im Kolonialstil.»

«Eine Villa? Das klingt ja toll!» Von einem Upgrade habe ich immer schon mal geträumt. «Und die Villa ist auch in dieser Anlage?»

«Besser», schmunzelt Frau Krüger. «Sie sind ganz für sich.» Sie schiebt uns einen laminierten gelben Schein rüber, auf dem Villa Coconut steht. «Jim wird Sie fahren.»

«Wie weit ist die Villa Coconut denn weg?», frage ich alarmiert.

«Nicht weit», versichert Frau Krüger, «es wird Ihnen gefallen. Sie haben einen Pool und eine Terrasse, ein großes Wohnzimmer, Blick aufs Meer. Schauen Sie es sich an. Und wenn es Ihnen tatsächlich nicht gefallen sollte, finden wir eine andere Lösung.»

Das beruhigt mich wieder. «Und diese Villa ist ganz für uns alleine?»

«Ja, nun», sagt Frau Krüger mit ihrem Betonlächeln. «Die Villa ist sehr groß, über dreihundert Quadratmeter. Das wäre dann ja nun wirklich etwas übertrieben für zwei Leute alleine.» Ihr Ton ändert sich plötzlich von vertraulich-freundlich zu bestimmt-abkanzelnd, als sie hinzufügt: «Sie treffen die anderen Gäste im Taxi. Wie gesagt, Jim wartet draußen auf Sie.» Dann winkt sie das Pärchen hinter uns zu sich.

 

Henning und ich gehen auf etwas wackeligen Beinen wieder hinaus auf den Parkplatz.

«Villa Coconut», sage ich tapfer. «Klingt toll, nicht?»

«Mmmhh», macht Henning. «Schau’n wir mal.»

Auf dem Parkplatz steht ein kleiner Bus mit getönten Scheiben. Davor lehnt ein winziger Einheimischer mit dunklen Haaren und Sonnenbrille, der auf einem Zahnstocher herumkaut.

«Hey», ruft er und kommt uns entgegen. «Ich Jim. Und du? Aus Deutschland?»

Ich nicke.