Wie ich zum Staatsfeind erklärt wurde - Farid Hafez - E-Book

Wie ich zum Staatsfeind erklärt wurde E-Book

Farid Hafez

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Beschreibung

Mit der Kanzlerschaft des liberal-konservativen Sebastian Kurz (2017–2021) verschärfte sich in Österreich der Feldzug gegen den sogenannten politischen Islam, der in der Etablierung einer eigenen Dokumentationsstelle gipfelte. Moscheeschließungen und Kopftuchverbote bereiteten den Boden für eine der größten Polizeioperationen der Zweiten Republik, die "Operation Luxor". Unmittelbar nach den Anschlägen in Wien am 2. November 2020 rückten 930 Beamte aus, um gegen islamistische Terroristen vorzugehen. Die Aktion erfasste Dutzende Menschen und Institutionen, deren Leben auf den Kopf gestellt wurden. Farid Hafez war eine der prominentesten Personen, die als Beschuldigte in diesem Terrorverfahren geführt wurden. Letztlich ergab sich kein Zusammenhang mit den Terroranschlägen. Die Operation führte zu keiner einzigen Anklage, auch kam keiner der Verdächtigen in Untersuchungshaft. Allerdings wurde zahlreichen Menschen die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen und eine gesamte Religionsgruppe eingeschüchtert. Farid Hafez weiß aus eigenem Erleben und dem seiner Familie, wie zerstörerisch sich der Kampf gegen den politischen Islam auswirken kann. Der vorliegende Text erzählt die Geschichte, wie es dazu kam und warum kaum Widerstand gegen diese rassistische Politik in Österreich zu bemerken war. Als öffentlicher Kritiker der österreichischen Islampolitik gibt Farid Hafez seine Eindrücke in einer Mischung aus Analyse und Erfahrungsbericht wieder und wirft dabei grundsätzliche Fragen über die Auswirkungen der von rechten und liberal-konservativen Kräften betriebenen Islamfeindlichkeit auf.

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Karl ReitterGemeinsame die Welt retten?

  

Vom Klimaalarm zum Green New Deal

© 2024 Promedia Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Wien

ISBN: 978-3-85371-916-9(ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-85371-529-1)

Der Promedia Verlag im Internet: www.mediashop.atwww.verlag-promedia.de

Über den Autor

Farid Hafez, geboren 1981 in Ried im Innkreis (Oberösterreich), Studium der Politikwissenschaft in Wien und Salzburg. Er beschäftigt sich mit antimuslimischem Rassismus, Rechtspopulismus und Entkolonialisierung. Nach der »Operation Luxor« wanderte er in die USA aus, wo er seit 2021 eine Professur für Internationale Studien am Williams College in Massachusetts innehat.

Inhaltsverzeichnis
Über den Autor
Vorwort
Prolog
Der 9. November 2020
Am Vorabend der türkisen Islampolitik
Die islampolitische Wende
Die Ära der Kurzianer
Die geistigen und politischen Gehilfen der Razzia
Kritik erwürgen, Kuschel-Islam züchten
Schweigen tötet
Quo vadis?

Vorwort

Our freedom of speech is freedom or death/We got to fight the powers that be.

Public Enemy, 1990,Fear of a Black Planet

Der Vorwurf des Terrorismus ist mehr als nur eine strafrechtliche Unterstellung. Er kommt einer gesellschaftlichen Ächtung gleich. Wer will schon mit so einem Stigma behaftet sein? Insbesondere in einer Gesellschaft, die von Staatshörigkeit bis zur Unterwürfigkeit, vorauseilendem Gehorsam und einem starken Vertrauen in die staatlichen Institutionen geprägt ist? Oftmals sind nur die freien Geister, die sich gegen die herrschenden Strukturen stellen, imstande, den Terrorismusvorwurf auch als das zu benennen, was er ist. Nämlich »eine politische Waffe zum Schutz der Starken«,1 wie es Edward Said 1987 in einem ganz anderen Zusammenhang schrieb.

Demnach wird eine Unterscheidung in eine legitime Form von Gewalt und eine illegitime Form von Gewalt getroffen. Terrorismus, vor der französischen Revolution 1789 ein heroischer Begriff, wurde bald zu einem Wort, das die Schreckensgewalt von Staaten bezeichnete.2 Heute hingegen gilt Terrorismus weitgehend als emotional geächtete, illegitime Form der Gewalt, die in erster Linie von nicht-staatlichen AkteurInnen ausgeht.3 Im Falle der Operation Luxor wurde Terrorismus gar zu einem Begriff, der eine erfundene Gewalt benannte. Das Zitat von Edward Said trifft insofern sehr gut auf die Geschichte zu, die ich auf den folgenden Seiten ausbreiten werde. Die Operation Luxor war die größte Polizeirazzia seit der Operation Spring im Jahre 1999 gegen Schwarze in Österreich. Diesmal ging es gegen Muslime. Ich war also nicht alleine von ihr betroffen. Im Gegenteil war ich eine von beinahe 70 Personen und Institutionen, deren Leben am 9. November 2020 auf den Kopf gestellt wurde. Und ich war eine von 105 Personen und Institutionen, die als Beschuldigte in einem Terrorverfahren geführt und gegen die jahrelang ermittelt wurde und teilweise noch wird. In meinem Fall wurde das Terrorverfahren gegen mich im Jänner 2023 eingestellt. Im Oktober 2023 hieß es, dass das Verfahren nach wie vor gegen 27 Personen und elf Institutionen laufe.

So sehr ich auch Teil eines Kollektivs wurde, war ich doch von Anbeginn an einer von wenigen, die mit diesem Vorfall in die Öffentlichkeit gegangen sind. Das geschah nicht ganz freiwillig und hatte damit zu tun, dass ich medial dazu gedrängt wurde. Zurückblickend hatte diese öffentliche Positionierung abseits vieler negativer Aspekte aber eine positive Begleiterscheinung. Als Akademiker und Schriftsteller habe ich es als einen Akt der Befreiung empfunden, darüber zu sprechen und zu schreiben. Hätte ich mich der Argumentation des Staatsanwaltes hingegeben, der meinte, dass meine Rassismusforschung ein Mittel des Terrorismus sei, dann hätte ich meine bisherige Existenzgrundlage zunichte gemacht. Als antirassistischer Wissenschaftler habe ich es immer als notwendig empfunden, Widerstand zu leisten. Es war also ein relatives Privileg inmitten einer absolut prekären Situation. Ich ließ mir als Person meine Feder zum Widerstand gegen Ungerechtigkeit und damit meine Sprachfähigkeit nicht nehmen. Und ich fand Orte, die meinen Gedanken Raum gaben. Es lässt sich für mich nicht einmal erahnen, was es bedeutet, in der Stille die Gefühle über eine Ungerechtigkeit wie die Operation Luxor samt ihren mannigfaltigen Konsequenzen in sich hineinfressen zu müssen. Ohne Ventil. Angesichts des ausbleibenden gesellschaftlichen Aufschreis und des weitläufigen Schweigens über diese Ungerechtigkeit muss diese Stille noch viel erdrückender wirken. Die afroamerikanische Autorin Zora Neale Hurston hatte einmal gesagt: »Wenn du über deinen Schmerz schweigst, werden sie dich umbringen und sagen, du hättest es genossen.«4 Die Erhebung des eigenen Wortes ist damit ein Akt des Widerstandes, wenn nicht gar ein Akt der Selbstverteidigung im Kampf um das eigene Überleben.

Drei Jahre nach der Razzia vom 9. November 2020 scheint es mir an der Zeit zu sein, eine persönliche Geschichte zu erzählen. Ich habe am 12. September 2021 Österreich, wo ich geboren wurde, verlassen und bin in die Vereinigten Staaten von Amerika ausgewandert. Es war keine leichte Entscheidung. Ich habe mich aufgemacht nach einem neuen Leben. Samt meiner Familie, in deren Leben die Staatsgewalt ebenso eingedrungen war und deren Leben ebenso auf den Kopf gestellt wurde. Und hier habe ich mir die Zeit genommen, über die Operation Luxor, die sich gegen den sogenannten politischen Islam, dem sich die Neue Volkspartei unter der Führung von Sebastian Kurz entgegenstellte, zu reflektieren.

Diese Geschichte nimmt Jahre vor der Razzia ihren Anfang. Und sie hat noch kein Ende gefunden. Aber die Operation Luxor bietet einen Anlass der Reflexion. Sie in den Kontext einer längeren Geschichte zu stellen, ist Absicht dieses Buches. Dabei basieren die hier ausgebreiteten Gedanken einerseits auf einer langjährigen Forschung. Andererseits gründen sie auf meinen persönlichen Positionen, die ich im Zuge dieser Entwicklungen eingenommen, diskutiert, revidiert und weiterentwickelt hatte.

2019 habilitierte ich mich im Fach Politikwissenschaft an der Universität Salzburg. Meine Arbeit widmete ich der österreichischen Islampolitik von 1945 bis 2017.5 In den zehn Jahren vor der Operation Luxor hatte ich mich zudem immer wieder als Kritiker in die Öffentlichkeit eingebracht, insbesondere als Kritiker der Islampolitik des Sebastian Kurz. Und ich war als Freund und Mitstreiter mancher antirassistischer und muslimischer Vereinigungen in zahlreiche Anstrengungen auch persönlich eingebunden. All dies wie auch meine persönlichen Begegnungen mit unterschiedlichen AkteurInnen fließen in dieses Buch ein.

Zu guter Letzt möchte ich mich an dieser Stelle noch bei den vielen Menschen bedanken, die für das Werden dieser biographisch geprägten Arbeit ihren Beitrag geleistet haben. Allen voran all jenen, die es mir erlaubt haben, dass ich mich – vor allem rechtlich – zur Wehr setzen konnte. Hier gilt mein Dank insbesondere Raoul Kneucker und allen weiteren Mitgliedern des Unterstützungskomitees aus Österreich und Deutschland, die mir rechtlichen Beistand ermöglichten. Es handelt sich dabei um die KollegInnen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft: Anton Pelinka, Manfried Welan, Paul Zulehner, Rudolf Wimmer, Reinhard Heinisch, Wolfgang Palaver, Fritz Hausjell, Jochen Fried, Rijad Dautovic, Adis Šerifović (alle aus Österreich), Iman Attia, Schirin Amir-Moazami, Naika Foroutan, Werner Ruf, Wolfgang Benz, Hans Henning Hahn, Micha Brumlik, Werner Schiffauer, Aiman Mazyek (alle aus Deutschland), Jocelyne Cesari, Tamara Sonn, Sahar Aziz, John Esposito, Jørgen Nielsen und François Burgat (USA und Europa). Weiters bedanke ich mich auch bei allen Menschen, die ich nicht persönlich kenne und die trotz der schweren Vorwürfe den Mut und die Haltung zeigten, mit ihren kleinen und großen Spenden dazu beizutragen, dass ich mich rechtlich verteidigen konnte. Mein Dank gilt all jenen, die in den ersten Stunden und Tagen für meine Familie da waren, die meinen Kindern Trost geschenkt haben und uns selbstlos jede Unterstützung gegeben haben. Mein Dank gilt auch jenen, die sich Zeit zum Zuhören genommen haben. Ich bin ebenso den zahlreichen AkademikerInnen verpflichtet, die den internationalen offenen Brief verfasst haben, insbesondere John Esposito, François Burgat, dem mittlerweile verstorbenen und mir lange verbundenen John Bunzl, Asma Afsaruddin, Nader Hashemi, Sahar Aziz, Jørgen Nielsen und Azeezah Kanji. Den mehr als 350 UnterzeichnerInnen des Solidaritätsbriefes sei besonderer Dank für ihre sichtbare Haltung ausgesprochen.6 Sie alle haben den vielen Stimmlosen eine Stimme gegeben und besonders auch mir als Gesicht der Operation Luxor den Rücken gestärkt. Nicht zuletzt möchte ich vor allem dem Promedia Verlag meinen Dank aussprechen. Nicht nur, dass er sich in einer eingeschüchterten politischen Stimmungslage diesem Buch angenommen hat. Es war tatsächlich auch der Promedia Verlag, der mir als erstes eine Bühne für meine ersten, noch recht frischen, Notizen ein Monat nach der Razzia angeboten hatte. Hier sei insbesondere Stefan Kraft und Hannes Hofbauer gedankt, auch für das sorgfältige Lesen und Lektorat des Manuskripts.

Farid Hafez,Territorium der Mohikaner – Williamstown, Massachusetts,Radschab 1445 – Januar 2024

1 Edward Said in der Einleitung zu dem von ihm mit Christopher Hitchens herausgegebenen Buch Blaming The Victims, 1987

2 Ronald Schechter, A genealogy of terror in eighteenth-century France (London and Chicago: University of Chicago Press, 2018).

3 Lisa Stampnitzky, Disciplining terror: How experts invented »terrorism« (New Haven: Cambridge University Press, 2013).

4 Tracy Morison, Review of Trans: Transgender Life Stories from South Africa, Culture, Health & Sexuality 15, Supplement 1 (2013): 111−13.

5 Ein Teil davon ist hier erschienen: Farid Hafez und Reinhard Heinisch, Politicizing Islam in Austria. The Far-Right Impact in the Twenty-First Century (New Brunswick/New Jersey: Rutgers University Press, 2024).

6 John Esposito, Francois Burgat, John Bunzl, Asma Afsaruddin, Nader Hashemi, Sahar Aziz, Jørgen Nielsen, Azeezah Kanji, International Statement Opposing Use of Counter-Terrorism Powers to Target Islamophobia Expert, https://www.supporthafez.com/open-letter/

Prolog

Kurz vor Mitternacht brach ich auf und fuhr über die Autobahnumfahrung nach Wien-Liesing. Es war relativ warm für einen 8. November und ich hatte das Fenster etwas offen, während ich die Beats einer der legendärsten Hip-Hop-Crews, des Wu-Tang Clan, abspielte. Zuhause angekommen setzte ich mich eher ungewöhnlich noch vor meinen Laptop, erledigte Formales und ließ jenes Dokument offen, an dem ich an diesem Abend mit ein paar Freunden gearbeitet hatte, bevor ich nach Hause gefahren war. Um 1:30 legte ich mich schlafen.

Die Woche davor war recht turbulent abgelaufen. Am 2. November 2020 war erstmals im 21. Jahrhundert ein Anschlag auf österreichischem Boden verübt worden. Ein ehemaliger Sympathisant des Daesh (IS), der noch an Ort und Stelle liquidiert wurde, schoss inmitten der Wiener Innenstadt mit einer Waffe um sich. Es kostete vier Menschen das Leben. Mehr als 20 Menschen wurden verletzt. Entsprechend hoch war der Druck auf die Politik. Doch die ersten Stunden der Reaktion verblüfften mich. Denn oftmals ist in Europa ein Muster zu erkennen, wie mit politischen Anschlägen umgegangen wird. Handelt es sich um Rassisten wie Anders Behring Breivik, der 2011 77 Menschen ermordet hatte, dann gibt es demonstrative Bekundungen zur Einheit. Die politische Führung setzt ein Zeichen, dass die Gesellschaft nicht gespalten werden dürfe. Wird hingegen ein Attentat vonseiten eines sogenannten Dschihadisten verübt, dann wird meist ein Sicherheitspaket geschnürt, landesweite Debatten über die scheinbar unvermeidliche Beziehung zwischen Islam und Gewalt oder Integrationsunwilligkeit stehen auf der Tagesordnung. Und das für Wochen.

Es verhielt sich in den ersten Stunden nach dem Anschlag in Österreich hingegen ganz anders. Als ich der BBC am Tag danach ein Interview gab, musste ich zu meiner eigenen Verwunderung festhalten, dass der übliche Scharfmacher Sebastian Kurz, dessen Karriere sich ganz wesentlich auf die Problematisierung des Islams gestützt hatte, in den ersten wenigen Stunden nach dem Anschlag einen versöhnlichen Ton anschlug. Er warnte mit Blick auf Frankreich, wo in der Woche zuvor ein Anschlag stattgefunden und die Regierung unter Emmanuel Macron mit einem brachialen Schlag gegen die antirassistische und muslimische Zivilgesellschaft reagiert hatte, dass man auch in Österreich abwarten müsse, wie die Reaktionen mittelfristig ausfallen werden.7 Kurz meinte, man werde »Hass keinen Raum geben« und dass es sich um »keine Auseinandersetzung zwischen Christen und Muslime« handle.8 Hatte er nach Breivik und dem Attentat auf 51 Menschen in einer Moschee der neuseeländischen Stadt Christchurch dazu gelernt? Sollte das Thema nicht politisch ausgeschlachtet werden? Das waren die ersten Eindrücke. Die Regierungsspitze zeigte einen Schulterschluss. Angesprochen auf die Bereitschaft von muslimischen Menschen, sich zu integrieren, warnte er »am heutigen Tag« davor, »pauschal zu urteilen«. Es handle sich um einen Kampf »von uns allen gegen die Terroristen und die dahinterliegende Ideologie«,9 so Kurz.

Diese Tonalität änderte sich aber schlagartig. Bereits am Abend des 4. November schien sich das Blatt zu wenden. Im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte Kurz: »Die EU muss den politischen Islam, der die Basis dieses Terrorismus ist, und den islamistischen Terrorismus noch viel entschlossener bekämpfen. […] Die falsch verstandene Toleranz muss endlich ein Ende haben. Wir müssen der Wahrheit ins Auge sehen, wie gefährlich die Ideologie des politischen Islams für unsere Freiheit und für das europäische Lebensmodell ist.«10 Und für mich besonders bedrohlich klang vor allem, dass er bereits in Kontakt mit Macron stand.

In Frankreich hatte Macron kurz nach der Enthauptung eines Geschichtslehrers angekündigt, ein Anti-Separatismus-Gesetz einführen zu wollen. Der bereits Anfang Oktober 2020 präsentierte Gesetzentwurf sprach von einer »Stärkung des Säkularismus und der republikanischen Prinzipien«. Der Öffentlichkeit wurde gesagt, das Gesetz richte sich gegen den sogenannten politischen Islam und den angeblichen Versuch französischer Muslime, sich von der Gesellschaft abzuspalten. Tatsächlich aber brachte der Gesetzesentwurf einige Verschärfungen des gesellschaftlichen Lebens mit sich – und das insbesondere für Muslime. Darunter fielen etwa die Einführung von Kontrollen von Vereinigungen sowie von Personen, die für den öffentlichen Dienst arbeiten, unabhängig davon, ob sie Staatsangestellte sind oder nicht. Sie sollten die »republikanischen Werte« vertreten. Kurz nach dem Anschlag ging das französische Innenministerium gegen 50 muslimische Organisationen vor, darunter antirassistische Organisationen wie das »Kollektiv gegen Islamophobie in Frankreich« (CCIF).11

Jahre nach dem Anti-Separatismus-Gesetz ist die Statistik noch furchterregender. Die französische Regierung hat landesweit 101 Einheiten zur Überwachung von MuslimInnen und ihren Einrichtungen gegründet, 23.996 muslimische Organisationen und Unternehmen auf eine geheime schwarze Liste gesetzt und einer strengen Überwachung unterzogen, 672 Organisationen und Unternehmen in muslimischem Besitz geschlossen und 45,5 Millionen Euro beschlagnahmt.12

Währenddessen machte es für große Teile der Bevölkerung keinen Unterschied, welche Begriffe Sebastian Kurz in seinen Ausführungen wählte. Dschihadismus, Islamismus, politischer Islam, Fundamentalismus oder islamischer Extremismus: All das sind journalistisch oftmals synonym verwendete Begriffe. Für KennerInnen sind es aber grundverschiedene Bezeichnungen. Insbesondere für KennerInnen der österreichischen Islampolitik. Und so war mir auch bald klar, dass, wenn Kurz meint, der politische Islam sei »die Basis dieses Terrorismus«, wir vor unabsehbaren Konsequenzen stehen würden. Denn was Kurz mit »politischer Islam« meint, das wurde die Jahre davor bereits vorexerziert. Der Kampf gegen den sogenannten politischen Islam war nicht nur eine der zentralsten Säulen der Wahlkampagnen von Kurz. Von seinem Kabinett frisierte Studien zu sogenannten islamischen Kindergärten, die medial über Jahre lang gespielt wurden, um gegen die Wiener Sozialdemokratie zu mobilisieren, gehörten gleichermaßen zum politischen Auftrag der Kurzianer wie die zahlreichen Gesetze und politischen Maßnahmen, die danach folgten. Und die Studien, die regelmäßig vom staatlich subventionierten Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in Auftrag gegeben wurden, um die Politik des Sebastian Kurz zu unterstützen, taten samt der willfährigen ExpertInnen ihr Übriges, um diese Problematisierung von Islam und MuslimInnen mehrheitsfähig zu machen. So oft wurden die sogenannten islamischen Kindergärten, die es als rechtliche Kategorie gar nicht gab, zum Problem erklärt, dass Kurz ohne Protest während des Nationalratswahlkampfes im Jahre 2017 erklären konnte: »Die Muslime-Studie bestätigt meine Haltung. Wir brauchen dringend eine Reduktion der Migration und müssen verhindern, dass Parallelstrukturen wie Islam-Kindergärten entstehen.«13 Und nachdem er mit der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) eine Koalition bildete, wurde bald eine Maßnahme nach der anderen getroffen. Im März 2018 kündigte die Regierungsspitze Kurz-Strache ein Kopftuchverbot in Kindergarten und Volksschule an. Mit diesen Initiativen wollte man die Grundlage bilden, um dieses Verbot bis auf die Universitäten sowie den öffentlichen Dienst auszuweiten. Dazwischen funkte aber, dass der Verfassungsgerichtshof das Kopftuchverbot in der Volksschule aufhob.

Die gleiche Regierung schloss medienwirksam acht Moscheen. Auch diese Maßnahme wurde ein halbes Jahr später vom Wiener Verwaltungsgericht als rechtswidrig aufgehoben. Und so entpuppte sich der Kampf gegen den politischen Islam neben dem Aspekt des Wahlkampfspektakels im Wesentlichen als ein Zurückdrängen der Sichtbarkeit muslimischer Präsenz sowie muslimischer Selbstorganisation. Etwas verkürzt gesagt: Keine Kopftücher und keine unabhängigen religiösen Bildungs- oder Moscheeeinrichtungen.

Da standen wir nun. Zwei Tage nach dem Anschlag und Kurz erklärte dem politischen Islam den Krieg. Am 6. November 2020 traten seine beiden ParteikollegInnen von der ÖVP, Innenminister Karl Nehammer sowie Integrationsministerin Susanne Raab, an die Öffentlichkeit und verlautbarten, zwei Moscheeeinrichtungen im Zuge der Ermittlungen schließen zu wollen. Eine sei Teil der Religionsvertretung der MuslimInnen, der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), und eine weitere sei abseits dieser als Verein organisiert. Sie bezogen sich hier erneut auf den Kampf gegen den politischen Islam. Das Verwunderliche daran: Zwar gäbe es, wie Ministerin Raab erklärte, keine strafrechtlich relevanten Beweise für eine Schließung. Dennoch sei aufgrund von »Gefahr im Verzug« zu handeln. Und die IGGÖ zog mit und schloss ihren eigenen Moscheeverein.

Und das rief mich wiederum auf den Plan. Wie kann eine Ministerin eine Einrichtung schließen und gleichzeitig behaupten, es gäbe keine strafrechtlich relevanten Beweise für eine solche Schließung? Was bedeutet es für die staatliche Machtfunktion, wenn der Staat ohne gesetzliche Grundlage Vereinigungen schließen lässt? Und was bedeutet es, wenn die Religionsgesellschaft der MuslimInnen da mitspielt? Musste die Regierung Muskeln zeigen, um sprichwörtlich irgendetwas im Anschluss an den nicht vereitelten Anschlag vom 2. November zu unternehmen? Auch wenn »die Operation […] in keinem Zusammenhang mit dem Anschlag vom 2. November«14 stand, wie Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) später zu Protokoll gab. War diese Moschee der IGGÖ ein Bauernopfer? Tatsächlich eilte dieser Einrichtung ein schlechter Ruf – auch unter vielen MuslimInnen – voraus. Erzkonservativ war noch eine verniedlichende Beschreibung. Und sie war vor allem institutionell schlecht aufgestellt, weil sie als einzelne Moschee nicht Teil einer Kultusgemeinde und somit leichter zu ›opfern‹ war. Ich twitterte noch live zur Pressekonferenz von Raab und Nehammer, weil nur das gesamtgesellschaftliche Klima nach dem Anschlag erklären konnte, dass keine kritische Stimme sich gegen diese das Recht verletzende Maßnahme auflehnte: »Nach PK der Regierung zur Moscheeschließung: Was genau ist jetzt der Vorwurf an die beiden Moscheen? Insbesondere an die Moschee der IGGÖ? Welchen Beitrag hat sie geleistet? Welche Ideologie, die ›nicht strafrechtlich relevant ist‹ (O-Ton Raab) führt dazu, eine Moschee zu schließen? Auf welcher rechtlichen Grundlage ist das passiert?«15 Die Tweets wurden vom »türkisen Propagandachef«16 Gerald Fleischmann retweeted, wie bereits zuvor schon am 16. Juli 2020, als ich mich zum Anlass der Bekanntmachung der Dokumentationsstelle Politischer Islam gegen diese Einrichtung aussprach.17 Noch während der Pressekonferenz versuchte ich eine Kontaktaufnahme zu den Betroffenen der Moschee der IGGÖ und bot ihnen Beistand an. Daneben bastelte ich an einer Presseaussendung, um Kritik am Innenministerium sowie der Glaubensgemeinschaft für diese aus meiner Sicht rechtswidrige Vorgehensweise zu üben. Das war das letzte Worddokument auf meinem Laptop am Sonntag, dem 9. November 2020 um 1:30, bevor ich mich ins Bett begab.18

7 BBC World, »News«, Facebook,3. November 2020, https://www.facebook.com/search/top?qbbc%20vienna%20farid%20hafez

8 ORF, »Anschlag in Wien. Werden Hass keinen Raum geben«, ORF News, 3. November 2020, https://orf.at/stories/3187796/

9 ORF, »Muslime: Politik ohne Sündenbock-Narrativ«, ORF Religion, 4. November 2020, https://religion.orf.at/stories/3202715/

10 Stephan Löwenstein und Eckart Lohse, »Politischen Islam entschlossener bekämpfen«, FAZ, 4. November 2020, https://www.faz.net/aktuell/politik/oesterreichs-kanzler-kurz-politischen-islam-entschlossener-bekaempfen-17036646.html

11 Ibrahim Bechrouri (2023) »L’esprit de défense«: separatism, counterinsurgency and the dissolution of the Collective Against Islamophobia in France, Modern & Contemporary France, 31:2, 199−218.

12 CAGE, »We are Beginning to Spread Terror: The State-Sponsored Persecution of Muslims in France«, 2. März 2022, https://www.cage.ngo/we-are-beginning-to-spread-terror-so-page

13 Sebastian Kurz, »Facebook -Posting«, 10. August 2017, https://www.facebook.com/sebastiankurz.at/photos/a.112364565521892.21944.105151752909840/1440936235998045/?type3&theater

14 4745/AB XXVII. GP, 1.

15 Farid Hafez, »Posting«, Twitter, 6. November 2020, https://twitter.com/ferithafez/status/1324711271963467776

16https://www.trend.at/politik/mr-message-control-politik-backstage-12611164

17 Farid Hafez, »Posting«, Twitter, 6. November 2020, https://twitter.com/ferithafez/status/1283861935851798528/retweets

18 Auch hier wandte sich die Moscheeeinrichtung später an das Gericht. Dieses befand, dass die Moscheenschließung nicht rechtens war. Weil es keine Beweise dafür gäbe, dass die Moschee zum Dschihad aufgerufen habe. Sie legte zum Beweis die Predigten der letzten Jahre vor.

Der 9. November 2020

Dreieinhalb Stunden später wurde ich um fünf Uhr morgens aus meinem Schlaf gerissen, weil jemand mit enormer Kraft gegen die Haustür stieß. Ich schaltete das Licht ein, um mögliche Einbrecher vorzuwarnen und darauf aufmerksam zu machen, dass sich jemand im Haus befindet. Meine Frau ging zum Fenster unseres Schlafzimmers, um es zu öffnen, womit die Alarmanlage ausgelöst wurde. Unten standen Beamte des Einsatzkommandos Cobra, die mit einem Rammbock gegen die Türe stießen. Das Hinzuziehen der Cobra war auf Anweisung des Innenministeriums beschlossen worden.19 Auf meine Aussage, sie sollen aufhören, weil meine Kinder schlafen, reagierten die Polizisten mit Schreien und der Anweisung, wir sollten die Hände nach oben geben. Meine Frau und ich standen vor einem offenen Fenster, die roten Laserpointer kreisten auf unseren Oberkörpern und die NachbarInnen von gegenüber und nebenan blickten aus ihren Fenstern auf das Geschehen. Es war eine öffentliche Zurschaustellung und Bloßstellung in der unmittelbaren Nachbarschaft. Eine surreale Situation, wie aus einem Kriegsfilm. Nur befanden wir uns in keinem Kriegszustand, in dem Truppen gegeneinander antreten, sondern zuhause in unserem eigenen Heim, das wir uns mühsam aufgebaut hatten. Und vor uns standen Sicherheitsbehörden, die durch mein Steuergeld bezahlt werden, die Spezialeinheiten meines eigenen Landes, in dem ich geboren wurde und meine Schullaufbahn absolviert habe, die nun die Waffen gegen mich richteten.

Im nächsten Moment waren die Einheiten der Cobra auch schon im ersten Stock im Schlafzimmer und meinten, ich solle meine Hände oben halten und mich an die Wand stellen. Das tat ich und verlangte gleichzeitig den Durchsuchungsbefehl, der mir nach mehrmaliger Wiederholung ausgehändigt wurde. Das war eine der wenigen Rechte, die ich mir aufgrund von Krimi­filmen ausmalen konnte. Währenddessen gingen die Cobra-Einheiten mit Waffen in die Zimmer meiner drei Kinder, keines von ihnen damals älter als neun Jahre. Sie alle wurden von schwer bewaffneten Polizisten geweckt und blickten ihnen mit ihren Waffen und darauf montierten Lichtern entgegen. Noch Jahre danach können meine Kinder nicht mehr wie gewohnt schlafen. In den ersten Monaten nach der Razzia hatten sie Angst im Dunkeln, wollten nur mehr im Beisein ihrer Eltern schlafen gehen und eines meiner Kinder schrie jeden Morgen und verkroch sich unter der Decke, bis ich zu ihm kam. Ein weiteres Kind hatte Albträume und sieht darin, wie ich von der Polizei ermordet werde, während die Kinder aus dem Haus gejagt werden und meine Frau von der Polizei geschlagen wird. Als ich diese Zeilen schreibe, mehr als drei Jahre nach der Razzia, wurde mein Kind gerade von einem Alarm geweckt, der sie aufschrecken und nach mir rufen ließ. Sie habe Angst, dass die Polizei wieder komme. Und das Tausende Kilometer entfernt von dem Ort des Geschehens, in den USA, wo wir jetzt leben.

Mit derartigen Traumata haben die Angehörigen der weißen Dominanzgesellschaft nicht fertig zu werden. Von der Durchsuchung des Wohnortes von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) durch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA) schilderte der damalige Minister dem Boulevardblatt Kronen Zeitung: »Ich durfte vorher noch meine Frau anrufen, wir haben ja ein kleines Kind zu Hause, das hat geschlafen. Ich hab ihr gesagt, dass ich jetzt mit einigen freundlichen Menschen vorbeikomme. Meine Frau ist dann mit unserer Tochter spazieren gegangen.«20 Selbst im Falle eines Rädelsführers der neurechten Bewegung »Die Identitären«, wo auch wegen des Verdachts der terroristischen Vereinigung ermittelt wurde, verhielt es sich gänzlich anders. Als der Identitären-Sprecher Martin Sellner im Juni 2019 eine – später auch als rechtswidrig beurteilte – Hausdurchsuchung erleben musste,21 verhielt es sich nicht wie bei der Operation Luxor. Wie Zeitungen berichteten, löschte Sellner 41 Minuten vor der Hausdurchsuchung seine E-Mails.22 Die Polizisten klopften höflich an und warteten mit der Hausdurchsuchung, damit Sellner ihnen die Tür öffnen würde.23 All dies, obwohl ebenso wegen des Verdachts der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung ermittelt wurde. Keine polizeiliche Gewalt. Keine zerstörte Haus- oder Wohnungstür. Kein Aus-dem-Schlaf-Reißen um 5 Uhr morgens. Diese Milde, die hier den Beschuldigten sowie ihren Familienmitgliedern entgegengebracht wurde, blieb den Beschuldigten der Operation Luxor verwehrt. Denn letztere wurden ja als »Gift für unsere Gesellschaft und das Gegenteil von Integration«24 bezeichnet. So lautete die Beschreibung des politischen Islams in den Worten der Integrationsministerin Raab (ÖVP). Das ist zwar ebenso wenig strafrechtlich relevant, bereitet aber den Boden für ein grenzenloses Vorgehen, das keinerlei rationale Berechtigung mehr braucht. Österreich hat eine lange Übung in dieser Praxis. Im Antisemitismus wurde das Jüdische stets mit Tiermetaphern entmenschlicht. Der Jude, das war die »Schlange »oder ein »Ungeziefer«. Die systematische Verwendung von Aussagen wie »Der politische Islam ist Gift für unsere Gesellschaft« hat eine ähnliche Funktion. Sie erklärt jedes Mittel, um gegen dieses Gift vorzugehen, als legitim. Eine Begründung wird obsolet. Kritische Blicke oder gar Solidaritätsbekundungen bleiben aus. Wer will schon ein Gift schützen? Damit würde man sich ja mitschuldig machen an der Vergiftung der Gesellschaft! Entmenschlichung in Bestform.

Im Gegenteil: Die mediale Berichterstattung stilisierte die Täter zu Opfer. Das Boulevard-Blatt Österreich titelte am 11. November: »Kinder und Frau im Visier. Drohungen von Islamisten: Nehammers Familie unter Polizeischutz«,25 um weiter fortzufahren, dass die »derzeitige Gefahrenlage auch die Frau und die Kinder des Innenministers« beinhalte. Während also unsere Kinder unsichtbar gemacht wurden, die Polizeibrutalität der Dominanz­gesellschaft gegenüber den Kindern von MuslimInnen verschwiegen wurde, konnte der Innenminister mit einer Täter-Opfer-Umkehr die Solidarität für sich beanspruchen. Bei den Razzien waren nach Auskunft des Innenministeriums ca. 60 Kinder und Jugendliche anwesend.26 Im Nachhinein stellt sich die Frage, ob das mediale Schweigen nicht von Anbeginn an, am 9. November im unmittelbaren Anschluss an die Razzia, von den tatsächlich betroffenen Opfern gebrochen werden hätte sollen. Da dazumal alle Anwälte davon abrieten, vermutlich auch in der Nicht-Kenntnis ihrer MandantInnen sowie der Situation, die sich vor ihnen offenbarte, haben sich die meisten an diesen Ratschlag gehalten. Aus heutiger Sicht bezweifle ich, ob diese Entscheidung richtig war. Denn das Narrativ des Innenministeriums prägte die gesamte Debatte. Es ist immer wichtig, welche Botschaft zuerst in der Öffentlichkeit ist. Denn auf diese wird sich jede weitere beziehen. Und so waren wir der Übermacht des Staates ausgeliefert, der mithilfe seines weit verzweigten Netzwerkes – mitunter auch in staatlich geförderten Medien – die Überhand hatte.

Basierend auf den Vorwürfen war das Vorgehen der Polizeibehörden gegen mich entsprechend hart. Die Haustüre wurde zerstört. Zudem wurde ein Fenster im Erdgeschoss zerschlagen, weil die PolizistInnen schnell eindringen mussten, so die Begründung. Nach dem Vorfall fand ich Munition am Boden unter den Glasscherben. Im Gegenteil zu anderen Beschuldigten wurde meine Bibliothek mit 4000 Werken nicht zerstört, indem Bücher aus den Regalen geworfen und über den Fußboden verstreut wurden. Bei manchen riss man sogar die Böden aus dem Regal, so dass Hunderte an Büchern sich auf einem Berg türmten. Andere wiederum erzählten mir, dass die Polizisten jedes Buch durchforsteten, um versteckte Gegenstände darin zu erkunden.

Die Botschaft, die mir vermittelt wurde, war eindeutig: Sei dir nirgends sicher. Nicht einmal in deinen eigenen vier Wänden. Denn wenn wir wollen, kommen wir zu dir, egal wie. Meine Frau und ich konnten in den nächsten Monaten keine Nacht normal schlafen. Jeder noch so kleine Knacks, jedes etwas lautere Rumpeln, riss uns sofort aus dem Schlaf. Als ich im Nachhinein der Pressekonferenz des ehemaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ) vom 4. November 2020 lauschte, wo dieser von zwei weiteren geplanten Razzien in seiner Zeit als Innenminister sprach,27 war es für mich auch denkmöglich, dass jederzeit weitere Razzien folgen konnten. Unsicherheit wurde damit zum bestimmenden Element der kommenden Wochen und Monate. Nicht nur für mich, sondern auch für viele andere MuslimInnen, die nicht wussten, ob dies nun der Beginn von französischen Verhältnissen sein würde. Insbesondere angesichts der bodenlosen Anschuldigungen breitete sich dieses Gefühl der Unsicherheit immer weiter aus.

Die Operation Luxor hatte eine massenpsychologische Auswirkung auf die muslimische Gemeinschaft in Österreich. Insbesondere auf jene Teile, die aktiv in der Gesellschaft tätig waren. Es war eine Einschüchterung, die um sich griff. Denn ein jeder, der sich etwas in der Gesellschaft bewegte und Nachrichten konsumierte, wusste, wer hier angegriffen wurde. Und viele begriffen auch, dass sie die Nächsten sein könnten. In diesem Sinne nannte der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl die Operation Luxor ein »Lehrbuchbeispiel von Regieren mit Kriminalität und Furcht«.28 Vor diesem Hintergrund verstanden es nur wenige MuslimInnen, dass dies ein Angriff auf alle war, der eine Solidarisierung notwendig machte.

Die aber, die unmittelbar im Umfeld der Betroffenen waren, erlebten die Razzia so hautnah mit, als hätte es sie selbst getroffen. Das Islamische Kulturzentrum Graz, das von der Razzia betroffen war und bereits drei Tage nach der Razzia an die Öffentlichkeit ging,29 sammelte Zeugnisse von Gemeindemitgliedern, die selbst keine Razzia erlebt hatten. Noch Jahre später, als im Herbst 2023 das Verfahren eingestellt wurde,30 erinnert sich die mehrheitlich bosnische Glaubensgemeinschaft. In den Aufzeichnungen finden sich Aussagen der Angst, des Verzweifelns sowie der Entfremdung. Die Emotionen betrafen nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche:

»Wir hatten alle Angst. Mein Sohn fragte mich, ob sie auch zu uns kommen. Ich musste ihn beruhigen, und sagen, dass das nicht passieren wird. Insgeheim habe ich ihm etwas versprochen, worüber ich mir selbst nicht sicher sein konnte und wovon ich selbst Angst hatte.

Ich wusste nicht, wie ich meinen Kindern das erklären sollte. Sie waren Teenager und sind damit aufgewachsen, dass die Polizei sie schützt.

Obwohl ich weiß, dass man uns bzw. mir nichts vorzuwerfen hat, hatte ich monatelang Angst, den Postkasten zu öffnen. Ich hatte Angst, einen Brief von der Staatsanwaltschaft oder Polizei zu bekommen.

Meine Gebete wurden länger, meine Ängste begleiteten mich Tag und Nacht. Ich habe beim Gebet immer geweint und Gott um Hilfe gebeten.

Ich habe mir oft überlegt, wie die Familien und Gemeinde mit gesperrten Konten ihre Ausgaben und den Lebensunterhalt bestreiten.

Mein Kind fragte mich, ob die Polizei wegen des Terroranschlags in Wien in der Moschee war.

Als ich in der Früh von den Razzien las, erzählte ich dies meiner Freundin. Sie sagte mir, dass das Bild unserer Moschee mit Polizeiwägen davor, das ich online sah, kein Symbolbild war. Eine Welt ist für mich zusammengebrochen.

Ich empfand Graz und Österreich als mein Zuhause. Dies verschwand mit der Operation Luxor, mein Vertrauen wurde erschüttert, zerstört. Als wir danach zum ersten Mal wieder nach Bosnien reisten, weinte ich vor Freude, nicht in Österreich zu sein.

Ich habe den Krieg in Bosnien erlebt, die Razzia hat mich in die Vergangenheit zurückgeworfen.

Ich konnte es nicht fassen, dass dies unserer Gemeinde passiert, obwohl wir uns jahrelang bemühten, ein wichtiger, wertvoller und nützlicher Teil der Gesellschaft zu sein und nichts Schlechtes gemacht haben.

Ich fühlte mich nicht sicher und ich war massiv enttäuscht von meinem Heimatland. Ich hatte Angst um meine Sicherheit, meine Kinder, meine Familie, meine Gemeinde, unsere Zukunft hier. Ich hatte schwere Schlaf- und Essstörungen, hatte Angst zu telefonieren. Er folgte die Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung.

Ich hatte keine Angst, aber ich empfand starke Scham, dass die Razzia für die ganze Gemeinde über den Rücken einer Familie gehen musste und wir alle eigentlich verschont blieben.

Ich konnte tagelang nicht für meine Kinder da sein, habe mich geschämt und musste wegen dieses Traumas psychologische Hilfe in Anspruch nehmen und mich lange Zeit komplett zurückziehen und nichts in der Gemeinde machen, sonst wäre ich komplett zusammengebrochen. Ich habe damit meine Gemeinde im Stich gelassen.

Ich war entsetzt, dass dies in Österreich möglich ist. Ich hätte mir erwartet, dass man etwaige Vorwürfe vorab menschlicher klärt.

Wir haben täglich erwartet, dass die Cobra auch zu uns kommt. Meine erwachsene Tochter und ich haben neben unserem Bett nachts unseren Hijab in der Nähe gehabt, um ihn schnell überziehen zu können, sollte die Polizei auch unser Zuhause stürmen. Wir haben auch penibel darauf geachtet, dass unser Zuhause immer aufgeräumt ist. Ich habe überlegt auszuwandern, da ich mich nicht sicher fühlte.«31

Die Einschüchterung sollte uns noch Monate und Jahre danach begleiten. Die Beschuldigten erfuhren, dass ihre Gespräche am Handy abgehört wurden. Insgesamt 1182 Stunden Observation gingen in der Steiermark und 1471 Stunden Observation gingen in Wien der Operation Luxor voraus.32 Die Beschuldigten wurden beschattet. Die VerfassungsschützerInnen, wie man sie nennt, folgten ihnen auf Schritt und Tritt. Ein Kind eines Beschuldigten, selbst noch ein Minderjähriger, erzählte davon, immer von der gleichen Person verfolgt worden zu sein. Die ersten Tage nach der Razzia waren grausam. Die Verfolgung schien so offensichtlich, als würde es darum gehen, mich vollständig paranoid zu machen, jedes subjektive Gefühl der Sicherheit zu nehmen. Das Wissen um abgehörte Telefone befeuerte diese Paranoia umso mehr. Ich begann mit all meinen FreundInnen und Kontakten nur mehr über das Internet zu telefonieren, da die österreichischen Behörden auf legale Weise keinen Zugriff auf Internet-Nachrichtendienste haben. Das ist ja ein Hintergrund, warum immer wieder – insbesondere von der ÖVP und dem BVT und später DSN – der Vorschlag kam, den Behörden diese Ermächtigung zu geben. Der erfolgreichste Versuch, den sogenannten Bundestrojaner, der das Mitlesen verschlüsselter Nachrichtendienste wie WhatsApp oder Signal ermöglichte und im Sicherheitspaket von ÖVP und FPÖ im April 2018 beschlossen wurde, erklärte der Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig.33 Die Forderung nach genau diesen Befugnissen blieb aber weiterhin aufrecht. Zuletzt forderte der spätere Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) unter Schwarz-Grün zu mehreren Anlässen die Einführung von Spionage-Software, die es ermöglichen sollte, nicht nur auf Telefone, sondern auch auf verschlüsselte Nachrichtendienste zugreifen zu können.34 Was ich aus persönlicher Sicht sagen kann: der Umstand, psychisch ständig mit dem Gefühl zu leben, dass man abgehört und beschattet wird, ist grausam. In der Vergangenheit störte mich die theoretische Vorstellung naiverweise nicht. Ich ging davon aus, dass ein Gespräch über Gott und die Welt nicht zu einem Terrorverfahren führen würde. Im Sommer vor der Operation Luxor war sogar eine Person aus dem öffentlichen Leben an mich herangetreten, um mir zu offenbaren, dass sie wüsste, dass ich beschattet werde. Sie könne mir das gesamte Netzwerk offenbaren, wer dahinter stünde, wenn ich ihr 50.000 Euro zahlen würde. Ich lehnte ab. Einerseits, weil ich keine 50.000 zahlen konnte. Andererseits, weil ich der Person an und für sich nicht vertraute, auch wenn ich davon ausging, dass sie mir durchaus die Informationen geben könnte, welches Netzwerk mich zu zerstören versucht. Aber letzten Endes: Was sollte ich mit der Information, dass jemand klandestin gegen mich vorging? Und ich war von der naiven Annahme ausgegangen, dass – solange ich mir nichts zu Schulden kommen lasse – ich auch nicht bedeutsam angreifbar sei. Aber nachdem die Akte der Operation Luxor mir zeigte, dass die Behörden zu einer langjährigen Operation mit anschließender Razzia wie dieser fähig waren, ohne irgendeinen Anhaltspunkt, ohne Verdachtsgrundlage, lediglich aufgrund wüstester Verschwörungstheorien, ohne jeglicher Evidenz, da war mir eines klar: Vor dieser Behörde muss ich mich schützen. Denn sie schützt mich nicht. Der Missbrauch der behördlichen Befugnisse war eklatant und die geballte Kraft des Staates, Polizei und Justiz mitsamt den Verflechtungen zum polit-medialen Komplex stellten eine massive Waffe dar.

Die Razzia brachte auch so einige Einschränkung von Mobilität mit sich. Da die Polizei die Daten auch mit ausländischen Diensten, sicherlich EuroPol und vermutlich auch Interpol austauschte, jagte einen nicht nur die ständige Überwachung durch die österreichische Polizei. Jeder Schritt über die Grenzen der Republik stellte eine Bürde dar. Jeder Abflug von Wien-Schwechat verlief jenseits üblicher Konventionen. Nachdem ich meinen Reisepass an der Grenzkontrolle abgegeben hatte, konnte ich am Gesichtsausdruck der Beamten nur erahnen, welch furchteinflößender Text auf ihren Bildschirmen erscheint. Es wurden Fragen gestellt, die üblicherweise nicht gestellt werden. Wohin es gehe. Warum man reise. Mit wem man reise. Wann man zurückkehren wolle. Sie wollten das Ticket scannen. Und vieles mehr, das ich nach einiger Übung lediglich mit dem trockenen Satz »Ich mache von meinem Recht Gebrauch, die Antwort zu verweigern« beantwortete. Die ersten Male waren die meisten Beamten komplett überfordert. Sie gingen zu ihren Vorgesetzten, die das Gespräch wieder aufnahmen. Nach einer Zeit schienen sie es sich angelernt zu haben, wie mit den Beschuldigten umzugehen sei. Nachdem ich bereits in die USA