Wir singen englisch ohne Englisch - Ralf Stefan - E-Book

Wir singen englisch ohne Englisch E-Book

Ralf Stefan

4,6

Beschreibung

Die Geschichte geht weiter! Anfang der siebziger Jahre wollen Hans Peter und sein Kumpel Ben eine Rockband in Treuenbrietzen, einer Kleinstadt südlich von Berlin, gründen. Das stellt sich für die fünfzehnjährigen Musikfans als nicht so einfach heraus. Ohne Noten und Texte, aber dafür mit viel Ärger mit den „Alten“, beißen sie sich dennoch durch den Alltag. Eine alte Verstärkeranlage, die sonst in den Müll geflogen wäre, bekommen sie geschenkt und den ersten Proberaum finden sie über einem Schweinestall. Sie müssen um ihr ›Schlachzeug‹ kämpfen, Ratten erschlagen, einen Winter ohne Heizung proben, Ärger in der Schule haben und auch die erste Liebe funkt gewaltig dazwischen. Zum Glück sind sie nicht allein! Auch wenn ihr Vorhaben auf des Messers Schneide steht, geben sie nicht auf. Aber, um endlich auf öffentlichen Tanzabenden spielen zu dürfen, gibt es noch die wichtigste Aufgabe zu bewältigen. Ob sie es tatsächlich schaffen? Ein heiterer Roman über eine Bandgründung mit ihren Höhen und Tiefen.

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Wir singen englisch ohne Englisch

Ein Roman von Ralf Stefan

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Wir singen englisch ohne Englisch

Ralf Stefan

1. Auflage

Dezember 2016

© 2016 DerFuchs-Verlag

D-69231 Rauenberg (Kraichgau)

[email protected]

www.DerFuchs-Verlag.de

Korrektorat: Sabrina Georgia, [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Das Werk einschließlich all seine Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung liegen beim Verlag. Eine Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ohne Genehmigung des Verlags ist strafbar.

ISBN 978-3-945858-28-8 (Taschenbuch)

ISBN 978-3-945858-29-5 (Ebook)

Eigentlich sollte es nur ein Song werden, aber dann waren es zu viele Erinnerungen. Mein besonderer Dank gilt meinen alten Bandmitgliedern, Freunden, Doris und Heike, die mir erlaubten, unsere Geschichten zu erzählen.

Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten.

1 - Für mich beginnt eine neue Zeit

Guten Morgen, Hans Peter! Herzlichen Glückwunsch zu deinem 15. Geburtstag.« Mutter, Stiefvater Alex und meine kleine Halbschwester Heike waren in mein Zimmer gekommen und strahlten.

»Dankeschön! Dankeschön!« Wir umarmten und drückten uns.

»Komm mit ins Wohnzimmer, dort findest du deine Geschenke«, forderte mich Mutter freundlich lächelnd auf und lief voran.

Ich war nicht sonderlich gespannt auf meine Geschenke, denn zu meinem Geburtstag im September hatte ich bis jetzt in jedem Jahr eine Winterjacke geschenkt bekommen. Zu meiner Überraschung lag aber in diesem Jahr neben dem üblichen Anorak auch eine russische Armbanduhr auf dem Esstisch neben dem Blumenstrauß. War die wirklich für mich?

Ich freute mich riesig und lachte. Meine erste eigene Armbanduhr! Bisher hatte ich nur eine alte Taschenuhr von meinem Opa gehabt, die häufig stehenblieb. Das war für mich allerdings kein Grund gewesen, mich zu ärgern, sondern hatte mir eine gute Ausrede fürs ›zu spät nach Hause kommen‹ eingebracht. Ich strich mit den Fingerspitzen liebevoll über meinen neuen Begleiter. Bestimmt hatte Alex sie bei unseren ›Freunden‹ vom Militärflugplatz gegen Wodka eingetauscht.

Das Wetter war schön und die Sonne schien, so hatte Mutter auf der kleinen Terrasse im Garten den Tisch gedeckt und wir frühstückten dort alle vier gemütlich zusammen. Nach dem Essen räumten ›die Mädchen‹ den Tisch ab und gingen ins Haus.

»Mein lieber Hans Peter«, sagte mein Stiefvater plötzlich zu mir. Wenn Alex so anfing, wurde mir immer mulmig im Magen. »Du darfst dich ab jetzt an ein ordentliches und pünktliches Leben gewöhnen«.

Na, Heiliger Bimbam, als wenn ich bis jetzt unordentlich und unpünktlich gelebt hätte.

Die Uhr habe er mir geschenkt, so erklärte er mir, weil dieses Schuljahr besonders wichtig für meine kommenden Bewerbungen wäre und, dass ich mich in diesem Schuljahr endlich einmal auf die Schule konzentrieren sollte. Die Schwimmsaison wäre jetzt vorbei und überhaupt, hätte er bemerkt, dass ich mit meiner Größe von einssechzig viel zu klein wäre für diesen Sport. Auch mit ›Gitarreklimpern‹ könnte man später kein Geld verdienen, sagte er. Ich sollte lieber einen ordentlichen Beruf erlernen und gleichzeitig mein Abitur machen. Dann wäre ich wenigstens ausgelastet und hätte nicht mehr so viele ›Flausen im Kopf‹.

»Na prima«, dachte ich mir. Die kommende Zeit würde sicherlich sehr spaßig werden.

Mein leiblicher Vater hatte es mit Mutter und mir nur zwei Jahre ausgehalten und sich dann verdrückt. Als sie später Alex kennengelernt und wieder geheiratet hatte, wurde ich nicht adoptiert und behielt so meinen Namen ›Hans Peter Hörte‹. Meine Mutter trug seit der Hochzeit den Familiennamen ›Abraham‹. Alex als Stiefvater war eigentlich eine gute Wahl von Mutter und er war auch nur fünfzehn Jahre älter als ich. Auf der einen Seite passten wir gut zusammen, andererseits unterschieden wir uns leider total.

Sein Lieblingsfach in der Schule war die Mathematik und Mathe wurde auch mein Lieblingsfach. ›Chemie ist, wo es knallt und stinkt, Physik, wo kein Versuch gelingt! In der Mathematik gibt es nur richtig oder falsch‹, brachte er mir den Vorteil der Mathematik bei. Sie sei ›einfach unbestechlich‹!

Leider waren seine Hobbys, die Taubenzucht und Gartenarbeiten, etwas, wofür ich leider überhaupt kein Interesse aufbringen konnte. Meine Hobbys waren Sport und Musik, das Ziel die Gründung einer Band zusammen mit meinem besten Freund Ben.

Für Alex war ›Sport gleich Mord‹ und moderne Rockmusik einfach nur ›Krach‹. Das mit dem Sport war schade, obwohl er beim Nachtschwimmfest in den Ferien zum ersten Male wenigstens zu einem Schwimmwettkampf von mir gekommen war.

Mutter erklärte mir, dass in Fragen der Musik unterschiedliche Meinungen zwischen Eltern und Kindern normal wären. Na gut, dachte ich mir, vielleicht wird es mit der Zeit noch was. Den Spruch von Alex jedoch, dass ich nur ›Flausen im Kopf‹ hätte, wollte ich so nicht hinnehmen. Ich wehrte mich, indem ich auf mein Zeugnis verwies.

»Alles Einsen, nur zwei Zweien, eine Drei und die nur, weil ich nun mal nicht zeichnen kann«, brachte ich hervor.

Da war ich leider sogar an meinem Geburtstag sofort bei ihm unten durch und er befahl mich mit verärgertem Gesicht zu einer Gesprächsrunde in die Küche. Wie in alten Zeiten musste ich mich auf meinen Stammplatz setzen und sollte ihm sicherlich wieder erklären, was ich mir bei dieser Aussage gedacht hatte. Zum Glück wollte er dieses Mal nicht so viel von mir hören, setzte sich zu mir und erklärte mir dafür sein Anliegen mit ernster Miene.

»Hans, die Zwei in Biologie ist pure Faulheit von dir. Bio ist ein klares Lernfach. Den Stoff kann jedes kleine Mädchen auswendig lernen! Dafür musst du nur im Unterricht besser zuhören und dich einmal die Woche, wenige Minuten zu Hause hinsetzen.«

Ich zog die Augenbrauen nach oben und drehte mich gelangweilt zur Seite, aber Alex ergriff mit der Hand mein Kinn und zog mich rum, sodass ich ihm wieder in die Augen sehen musste.

»Er hatte ja recht mit seiner Erklärung«, dachte ich so bei mir.

»Hans, bitte hör mir zu! Staatsbürgerkunde mit Zwei ist vollkommen unnötig für dich«, ging es weiter. »Lies dir das Lehrbuch durch und erzähle deinem Lehrer, wie es im Buche steht und er wird sich sehr darüber freuen. Nachdenken ist in Staatsbürgerkunde nicht gefragt, das haben vor hundert Jahren schon andere für dich gemacht. Da ist nur nachplappern angesagt.«

Und zur Verbesserung meiner Drei in Zeichnen gab er mir den Tipp:

»Statt ›Zeichnen‹ sollte dieses Fach besser ›Kunst‹ heißen. Diskutiere darüber einmal mit deiner Lehrerin, aber bitte ruhig und mache keine Revolution daraus. Wie ich Frau Müller einschätze, hilft sie dir.« Er lehnte sich zurück und schien kurz nachzudenken. »Du interessierst dich doch für Architektur in der Antike?«

Ich nickte zustimmend und sah ihn fragend an.

»Schlage ihr doch ein Projekt für eure ›Messe der Meister von Morgen‹ vor. Du erarbeitest über das Schuljahr eine Mappe über die Architektur im alten Griechenland und erhältst dafür eine Gesamtnote. Deine Mappe wird dann auf der Schulmesse ausgestellt.«, schlug er mir lächelnd vor und schien von seinem Vorschlag richtig begeistert zu sein. »Am besten erzählst du es auch noch deinem Schuldirektor. Sag ihm, du möchtest dich in den drei Noten verbessern und er wird dir bestimmt Hilfe anbieten.«

Alex hatte wohl alles ganz genau durchdacht und verriet mir auch den Grund für seine Vorschläge.

»Eine Bewerbung zur Berufsausbildung mit einem Zensurendurchschnitt von 1,0 ist nicht zu verbessern und kann auch nicht abgelehnt werden. An einen Berufsausbildungsplatz mit Abitur für dich kommen wir nur über sehr gute Beziehungen, die wir leider nicht haben. Aber mit so einem Zeugnis wäre es möglich, einen Platz zu bekommen«, versuchte er es mir zu verdeutlichen und gab mir zufrieden grinsend einen kleinen Klaps auf den Hinterkopf. Was bei ihm hieß, ich sollte es jetzt endlich auch verstanden haben.

»Hans, vielleicht wirst du mir für diese Aktion noch einmal dankbar sein«, sagte er zum Abschluss mit einem Lächeln im Gesicht.

Gut! Jetzt wusste ich, warum er mir die Uhr geschenkt hatte und, dass scheinbar ab jetzt Stiefvater Alex meine Schulaufsicht übernahm, die ja bisher klar bei Mutter war. Mit ihr hatte ich vereinbart, wenn ich in der Schule mindestens Zweien hatte, außer im Zeichnen, konnte ich meinen Hobbys, Musik und Schwimmen, frei nachgehen.

Stiefvater Alex wollte aber offenbar noch mehr von mir sehen. Das roch schon nach Ärger, vielen Diskussionen auf dem Küchenstuhl und weniger Freizeit für mich. Ich wollte bereits bockig werden, aber dann überraschte mich Alex doch noch mit einem Angebot, dass ich ihm niemals zugetraut hätte.

»Hans Peter! Wenn du die 1,0 im Zeugnisdurchschnitt am Ende des neunten Schuljahres für deine Berufsbewerbung erreichst, bezahle ich dir die Gebühren für die Mopedfahrerlaubnis und melde mich selbst bei der Fahrschule an, um den Autoführerschein zu machen.«

»Mein Gott! Das ist ja der Hammer!«, ging es mir durch den Kopf.

Nicht das Geld für meinen Mopedschein war das Erstaunliche, sondern sein Versprechen selbst zur Fahrschule zu gehen. Ich muss ihn so verdattert angesehen haben, dass er sich lachend und kopfschüttelnd von mir verabschiedete und wieder in den Garten ging.

Seit Jahren erzählte er mir, dass er keinen Führerschein brauchte und sich das Geld dafür lieber sparen würde. Zuerst war kein Auto von Nöten, man konnte schließlich mit der Bahn oder dem Fahrrad fahren und das wäre schließlich auch gesünder. Dann fehlte das Geld, weil er es lieber in seine Meisterausbildung steckte und in letzter Zeit erklärte er sich mit seinen dreißig Jahren als viel zu alt für die Fahrschule.

Ich glaubte, dass Alex einfach davor Schiss hatte, sich in der Fahrschule zu blamieren. Wenn er soweit gehen und sich dort anmelden würde, musste es ihm mit dem Interesse an meiner Ausbildung wirklich sehr ernst sein.

Ich wusste, Alex hatte selbst keine Möglichkeit gehabt auf eine weiterführende Schule zu kommen, aber ich hatte sie. Auch sein großer Berufswunsch, Schiffskoch auf einem Handelsschiff zu werden, ging für ihn nicht mehr in Erfüllung. Sein Vater, als Verwandter ersten Grades, kroch irgendwo im Ruhrgebiet herum, da waren für ihn hier bei uns die wichtigen Schultüren zu und er würde nie ein ›Reisekader‹ werden.

Ich dachte über seine Anmerkungen nach. Der Hinweis auf meine Biologiezensur war schon richtig. Mit ein wenig mehr Zuhören und Nachlesen sollte ich es hinkriegen. Auch mit meiner Zeichenlehrerin wegen des Projekts, über die Architektur der Antike zu reden, war nicht schwer. Vielleicht klappte es sogar! Warum ich damit allerdings auch noch zum Direx latschen sollte, war sicherlich ein Geheimnis nur für Erziehungsberechtigte.

Bei Herrn Kohlmann auf eine Eins in Staatsbürgerkunde zu kommen, war schon ›ein dicker Fisch‹. Ich hatte bei Kohlmann Geschichte und Staatsbürgerkunde. Im Fach Geschichte kamen wir beide gut klar, war ja sowieso ein Hobby von mir und es ging meist nur um Tatsachen in der Vergangenheit, die man eh nicht mehr ändern konnte. Das Lehrbuch las ich mir immer komplett in den ersten Wochen des Schuljahres durch und kannte vieles auswendig, sollten wir es im Unterricht behandeln. Mutter kannte dieses Interesse von mir und wenn sie konnte, schenkte sie mir zum Thema ›Geschichte‹ Bücher, über die ich mich sehr freute.

Ich hatte auch einmal nach einem Buch von Karl May gefragt, ›Winnetou‹ oder so. Stiefvater Alex musste laut darüber lachen und erklärte mir grinsend: »Bei uns hier heißt Karl May Karl Marx«. Ich winkte nur ab und verzog mich lieber in mein Zimmer, um weiteren Diskussionen aus dem Weg zu gehen.

Im Fach Staatsbürgerkunde aber war ich mit meinem Lehrer Kohlmann beinahe aneinandergeraten, seitdem er uns erklärt hatte, dass englische Rockmusik dekadent wäre und von ›Schlägern‹ (Beatles) gespielt wurde für Halbstarke, arbeitslose Jugendliche und Drogenabhängige. Bei dem Krach trugen sie dazu alte amerikanische Cowboy-Hosen als Uniform‹ (Jeans).

Na, ging es denn noch? Sicher, auch Stiefvater Alex hatte moderne Rockmusik als Krach bezeichnet, aber so etwas wie von Kohlmann ging doch wohl gar nicht!

Ich wollte ihn daraufhin fragen, ob ihm seine Kumpels Marx und Lenin den Satz ins Ohr geflüstert hätten, ließ es aber lieber sein. Außerdem hatte er mich als Pausenaufsicht einmal von der Schule zum Umziehen nach Hause verwiesen, weil ich eine alte nachgemachte Jeans von meinem Onkel Peter anhatte.

Für jede Klassenarbeit in Geschichte bekam ich von Kohlmann eine Eins und in Staatsbürgerkunde immer nur eine Zwei, das war bei ihm Methode. Eine meiner Klassenarbeiten hatte ich mit der Arbeit von Alexander, unserem FDJ-Sekretär, verglichen. Beide Arbeiten waren im Inhalt total gleich, was mir Alexander auch bestätigte, aber er bekam eine Eins und ich die Zwei. Bei Kohlmann etwas zu erreichen, war echt schwierig.

Ich diskutierte auch gar nicht mehr mit ihm, das konnten andere aus meiner Klasse besser. Nur mit ein paar gezielten Fragen probierte ich, ihn manchmal zu kriegen und durcheinanderzubringen. Wenn es mir gelang, ärgerte er sich und lief vor Wut rot an. Aber wegen dieser kleinen Späße, gleich so nachtragend zu sein, und mir immer nur Zweien in den Arbeiten zu geben, das verstand ich überhaupt nicht.

Vielleicht hatte Stiefvater Alex doch recht und ich sollte zu unserem Direktor gehen. Der war einfach anders.

Mein Freund Ben und ich hatten nach dem Nachtschwimmfest am Lagerfeuer Gitarre gespielt und ein paar englische Lieder gesungen. Bei dem Song ›Oh Freedom‹ hatten einige Gäste versucht, den Text ins Deutsche zu übersetzen und lautstark ›Oh Freiheit‹ gesungen. Sofort war unser Polizeihelfer Heinz angerannt gekommen und wollte uns verjagen. Unser Direx war zum Glück auch dort, regelte die Sache und so wurde es doch noch ein schöner Abend. Direx Kreuz sagte immer: ›Wer Ziele oder Pläne hat, kann immer zu mir kommen‹.

Ich hatte das Ziel, meinen Mopedschein zu machen. Stiefvater Alex würde ihn ja schließlich bezahlen. Außerdem brauchte ich einen Plan für das 1,0 Zeugnis, damit Alex mich in Ruhe unsere Band gründen lassen würde. Die ›Singegruppe‹ an unserer Schule leitete ich ebenfalls. Der Direx kam oft zu unseren Proben und freute sich über uns. Ich sollte wirklich direkt beim Direx nachfragen. Vielleicht würde er mir ja helfen?

Ich betrachte meine Uhr. Schön war sie schon, meine Geburtstagsuhr, aber leider ein wenig zu schwer und zu groß an meinem schmalen Handgelenk. Das Armband war zu lang, deshalb hatte Alex noch einige zusätzliche Löcher hineingestanzt und den Rest des Lederarmbandes abgeschnitten. Jetzt wusste ich zwar immer die genaue Zeit, aber für mein zu spät kommen ab und an musste ich mir neue Ausreden einfallen lassen.

Mit einer kaputten Taschenuhr, stehengebliebenen Rathausuhren oder einem wolkenverhangenen Himmel, sodass ich den Stand der Sonne nicht erkennen konnte, brauchte ich Stiefvater Alex nicht mehr zu kommen. Jetzt konnte er seine geliebte preußische Pünktlichkeit auf die Minute einfordern.

»Hans Peter, aber um Punkt sechs bist du zu Hause!«, hörte ich ihn schon jetzt in meinen Ohren.

2 - Unsere erste alte Anlage

Ich war mit dem Fahrrad auf dem Weg zu Ben. Bei dem günstigen Westwind brauchte ich nicht viel zu treten, der Wind schob mich vorwärts. Wir waren mit Michael Rot verabredet. Er hatte uns vor seinem Urlaub versprochen eine alte Verstärkeranlage zu zeigen, welche seit Jahren im Klubhaus einer aufgelösten Kapelle herumstand und langsam verrottete. Wenn wir eine richtige Band werden wollten, brauchten wir eine Verstärkeranlage. Im Sommer am Lagerfeuer nach dem Nachtschwimmfest hatten Ben und ich zwar ohne Verstärker gespielt, gesungen und Erfolg gehabt, aber bei einem Tanzabend in einem Saal ging es heute nicht mehr ohne Verstärker. Diese Zeiten waren vorbei! Wir lebten schließlich bereits in den Siebzigern ...

Meinen Freund Ben hatte ich vor drei Jahren kennengelernt. Nach einer medizinischen Schuluntersuchung erklärte der Arzt meiner Mutter:

»Hans tendiert zum Rundrücken und muss unbedingt aktiv Sport treiben.«

Turnen oder Schwimmen standen für mich zur Wahl. Zuerst versuchte ich es mit Turnen, war aber bereits nach einer Stunde voll bedient. Als einziger Junge beim Training mit zwanzig kichernden Mädchen passte mir das überhaupt nicht. Ich war sicherlich die ganze Zeit knallrot im Gesicht. Der absolute Hammer jedoch war, dass ich sogar über den Schwebebalken laufen musste. Diese Disziplin gab es für Männer normalerweise gar nicht. War das peinlich!

Im Schwimmverein wäre ich besser aufgehoben, dachte ich mir. Hier trainierten viele Jungs und sogar Männer. Mein Kumpel Hahn hatte mich zum Training mitgenommen. Aus meiner Klasse waren neben ihm auch Harald und Tina im Verein. Dort lernte ich ebenfalls Ben, Hartmut und Bodo aus meinem Jahrgang kennen.

Das Problem, das uns anfangs im Weg stand, war Schwimmmeister und Cheftrainer Neumann. Er hatte Hahn und mich einige Wochen zuvor aus dem Bad geschmissen. Obwohl wir nur ›Hundepaddeln‹ konnten, waren wir vom 1-Meter-Turm ins tiefe Wasser gesprungen und wollten uns so an den Beckenrand retten. Hahn ließ er es noch durchgehen, mir sprang er allerdings hinterher und holte mich raus. Ich bekam von ihm zwei Wochen Badeverbot. Abends kam er zu allem Überfluss auch noch zu uns nach Hause und erzählte alles meiner Mutter und Stiefvater Alex. Das brachte mir zusätzlich noch weitere vier Wochen Badeverbot ein. Aber Herr Neumann war zum Glück nicht nachtragend.

Als ich ihn fragte, ob ich im Verein mittrainieren dürfe, lächelte er mich an.

»Hans, schaffst du es, fünfzig Meter zu schwimmen, bist du dabei!«

Ich sprang also ins Wasser und schaffte die geforderten Meter. Ab diesem Zeitpunkt war ich Vereinsmitglied. Unser Jahrgang wurde eine ›richtig gute Mannschaft‹, wie Herr Neumann oft stolz erzählte.

Eine besondere Freundschaft entwickelte sich zwischen Ben und mir. Nicht nur das Schwimmen war unser gemeinsames Interesse, sondern auch das Musikmachen. Ben hatte einige Stunden Akkordeonunterricht gehabt und spielte auch noch Mundharmonika. Gegenseitig brachten wir uns dann noch das Gitarrespielen bei.

Ben hatte eine tolle Gabe: Jeden Song, den er im Radio hörte oder den man ihm vorsang, konnte er sofort nachspielen. Wir probierten einfach alles ›nachzuklimpern‹, was wir hörten und uns Spaß brachte.

Da wir keine Schwimmhalle in unserer kleinen Stadt hatten, trainierten wir, wenn es das Wetter irgendwie zuließ, vom März bis Ende Oktober im offenen Freibad. Bei schlechtem Wetter spielten wir viel Tischtennis. Fußball hatte uns unser Trainer verboten.

»Das ist schlecht für den Muskelaufbau«, erklärte er.

Oft saßen wir auch nur in der Kabine und quatschten. In diesen Stunden entwickelte sich Bens und mein gemeinsamer Traum, die Gründung einer Band.

In der 7. Klasse hatte Ben allerdings ein für ihn großes ›musikalisches‹ Problem gehabt. Sein Musiklehrer Hartmann hatte ihn aufgefordert, in der folgenden Woche ein Volkslied vorzutragen, und er würde ihn auf dem Klavier dabei begleiten. Ben sollte sich ein Lied aus dem Volksliederbuch aussuchen und sich darauf vorbereiten.

Das ging gar nicht! Ben wurde schon rot im Gesicht, wenn er nur daran dachte und die kichernden Mädchen seiner Klasse vor sich sah. Im nächsten Jahr würden wir schließlich vierzehn werden und hätten ›Jugendweihe‹, wurden damit in den ›Kreis der Erwachsenen‹ aufgenommen, wie es offiziell hieß. Wir wollten ›Rocker‹ werden und keine Volkslieder zum Klavier vorsingen. Es reichte, allein die Vorstellung davon zu haben! Ich konnte Ben total verstehen.

Zum Training am Dienstag hatte mir Ben das Volksliederbuch mitgebracht und flehte mich verzweifelt an:

»Bitte, Hans, hilf mir! Am Freitag soll ich schon vorsingen. Ich Blödmann habe es auch noch meiner Mutter erzählt! Da brauche ich ihr wegen einem Entschuldigungszettel zur Freistellung vom Musikunterricht bis zum Ende des Schuljahres gar nicht mehr zu kommen. Vielleicht steht doch ein Rocksong drin? Ich habe leider keinen gefunden. Hans Peter, bitte such du nochmal. Wenn du mir hilfst, werde ich dir das nie vergessen!«

»Ach, du lieber Gott!«, dachte ich mir, sah jedoch, dass es ihm ernst war. Ben hatte Tränen in seinen großen braunen Augen. Eigentlich war er ›hart im Nehmen‹, aber hier - ich verstand es. Ich hätte mich genauso geschämt.

Abends durchsuchte ich sein Volksliederbuch ganz genau, fand dennoch keinen vernünftigen Song. Am Mittwoch ging es weiter. Irgendwie musste ich meinem besten Freund doch helfen können! Es war verrückt, aber ich musste es unbedingt schaffen ...

Gegen zweiundzwanzig Uhr hatte ich ihn tatsächlich gefunden und schrie laut auf vor Glück. Sekunden später trampelte jemand die Treppe nach unten und meine Zimmertür flog auf. Stiefvater stand in der Tür und fragte, ›ob ich jetzt komplett verrückt geworden sei‹. Ich lachte ihn an und erklärte, dass mir eben die Lösung für eine wichtige Hausaufgabe eingefallen wäre. Er brummelte noch ein, ›aber bitte in Zukunft leiser‹ und ging wieder nach oben. Kein Wunder, dass mein Ausbruch an Freude ihn gestört hatte. Er musste morgens zeitig aufstehen, um pünktlich zur Arbeit zu kommen.

Aber da war er, der gesuchte Song. Natürlich nicht neu, das hätte Ben auch nicht erwartet. Es war einer von gestern, naja, vorgestern ... ein Oldie eben! Die Musik war von Carl Friedrich Zelter, der Text von August Heinrich Hoffman von Fallersleben. Der Song war etwa 1820 erschienen, aber es war ein guter Rocksong, nur der Text war für einen ›Rocksong‹ komisch. Irgendwie würde es sicherlich gehen!

Donnerstag nach dem Training fuhr ich zu Ben nach Hause. In seinem Zimmer stellte ich ihm den Song mit Gitarrenbegleitung in meiner Variante vor. Natürlich kannte er das Lied und sang sofort mit. Er war vollkommen aus dem Häuschen und strahlte über das ganze Gesicht. Er drückte mich begeistert und sagte zum ersten Mal:

»Hans Peter, wir müssen es schaffen und eine Band werden!«

Ich fuhr beruhigt nach Hause, nachdem die Proben gut gelaufen waren. Später erzählte mir seine Mitschülerin Kathi die Geschichte der Musikstunde bei Herrn Hartmann.

Musikunterricht hatten sie in der ersten Stunde. Hartmann hatte schon bedenken, weil Ben zu spät kam. Ihm war beim Üben eine Saite gerissen und er musste noch schnell eine neue aufziehen. Ben brachte die Gitarre mit zur Schule und erklärte Herrn Hartmann, dass er sich selbst begleiten würde. Das überraschte den Lehrer, aber er war dann doch nach einigem Zögern damit einverstanden. Als Herr Hartmann den Namen des Liedes wissen wollte, flüsterte Ben es ihm ins Ohr.

»Oh, sehr gut! Ich bin erstaunt und erfreut«, antwortete Herr Hartmann und ging lächelnd zum Lehrertisch, setzte sich und wartete gespannt auf Bens Auftritt.

Mein Freund holte sich einen Stuhl, stellte das linke Bein darauf (er war Linkshändler) und nahm die Gitarre in die Hand.

»Bitte, fang an, lass uns nicht warten«, forderte Herr Hartmann ihn nochmals lächelnd auf.

Ben rief, so laut er konnte, seinen Schlachtruf: »Rock´n Roll!«, schlug zweimal in die Gitarre den A-Dur-Akkord und ließ einen Rockrhythmus folgen. Alle waren total erstaunt, manche sogar entsetzt.

Es kam endlich der Text und Ben sang:

»Der Kuckuck und der Esel, die hatten einen Streit ...«. Die Klasse tobte und jubelte. Ben hatte einen kolossalen Erfolg. Kathis Worte:

»Diese Musikstunde werde ich nie mehr im Leben vergessen!«

Bei den Erinnerungen musste ich lachen. Es fuhr sich heute einfach gut auf meinem Fahrrad, ich musste fast nicht treten, denn der Rückenwestwind pustete mich wirklich fast von allein zu Ben. Heute würden wir vielleicht einen riesigen Schritt in Richtung Bandgründung machen können. Wenn die Verstärkeranlage aus dem Klubhaus zu gebrauchen war, würde sie uns für die Zukunft gute Dienste leisten.

Ben wartete schon vor dem Haus auf mich.

»Alles klar?«, fragte ich.

»Oki doki!«, kam zurück. Bei Ben war zu dieser Zeit alles ›Oki doki!‹. ›Hallo‹, ›Alles in Ordnung‹, ›Das machen wir so‹ und so weiter war für ihn immer ›Oki doki!‹. Hatte er irgendwo im Fernsehen aufgeschnappt. Ich stellte mein Fahrrad auf dem Hof ab. Bis zum Klubhaus wollten wir zu Fuß gehen, denn es war nicht sonderlich weit weg.

»Hans, bist du aufgeregt?«

»Natürlich, vielleicht finden wir heute eine Anlage und unser Traum von der Band kann Wirklichkeit werden.«

Als Schüler hatten wir keine Möglichkeit, Geld für eine Verstärkeranlage zu verdienen und auch unsere Eltern hatten nicht die Mittel, uns zu unterstützen.

»Weißt du, Hans, ich war doch mit Bettina bei ihrem Kumpel Gunnar von der Band ›Van Dike‹. Ich habe ihm von dem Angebot erzählt. Er sagte mir, ›Egal was dort steht, Ben, enttäuscht seid ihr sowieso, aber nehmt es einfach und fangt damit an zu üben. Auch wir hatten anfangs nur Schrott zum Spielen. Jeder von uns zog in einem Handwagen seine Anlage zur Probe ins Klubhaus und die Leute haben uns auf dem Weg ausgelacht. Wir haben ab und an gezweifelt, aber doch schlussendlich immer an uns geglaubt. Und nun - haben wir es geschafft!‹.

»Wie spielt seine Band?«, erkundigte ich mich, da ich sie bis jetzt noch nicht kannte.

»Ich fand sie gut! Bettina hatte mir nicht zu viel versprochen. Die Jungs sind alle von der ›Fahne‹ zurück, haben ihre Ausbildung beendet, verdienen ihr erstes Geld, und haben wieder angefangen zu spielen. Sie machen viele ›Beatles‹- und ›Hollies‹-Songs und Gunnar kann echt gut singen.«

»Kann er auch die englischen Texte?«, wollte ich von Ben wissen. Das war nämlich unser nächstes Problem, denn es gab keine Noten oder Texte bei uns zu kaufen oder auszuleihen, um die Songs richtig zu lernen. Wir beide hatten auch kein Tonbandgerät, um durch ständiges Anhalten und Rückdrehen die Texte aufzuschreiben.

Ben musste über irgendwas lachen, was ihm gerade einfiel, und schüttelte den Kopf. Was war denn jetzt los?

»Ben, erzähl! Kann er die Texte oder nicht?« Ich ließ mich nicht abschütteln und wollte es nun genau wissen. Wir blieben stehen, da sich Ben erst einmal beruhigen musste.

»Bleib ganz ruhig, Hans. Die machen es wie wir: Sie singen englisch ohne Englisch!«

Lachend setzten wir unseren Weg fort. Es war beruhigend zu wissen, dass auch erfolgreichere Bands mit Problemen kämpften. Bei uns war es allerdings schon seltsam. Manchmal kannten wir den Refrain unserer Songs, stellenweise auch die erste Strophe, oft aber auch nur einige Zeilen. Ich durfte zum Englischunterricht, Ben nicht. Nur wenige durften bei uns Englisch lernen, so verstand auch niemand diese Sprache.

Wenn unsere Songs auf Russisch gewesen wären, bestand größere Gefahr, mit falschen Texten erwischt zu werden. Diese Sprache mussten alle lernen. Glücklicherweise wollte kein Mensch einen Rocksong auf Russisch hören. Wenn die Bands spielten und die Stimmung gut war, sangen dennoch alle mit. Die wichtigsten Worte mussten stimmen, der Rest war allen anderen egal. Ben hatte es gut drauf ohne Englisch zu singen. Ich nannte seine Gesangssprache: ›Pseudoenglisch‹.

Es gehörte aber auch eine Menge Mut dazu, sich auf die Bühne zu stellen und ohne richtigen Text vor Publikum zu singen. Ich hätte damit Probleme. Bei mir musste alles stimmen, und ich mir sicher sein, dass ich mich wohlfühlte.

Endlich waren wir am Klubhaus angekommen. Wir fragten nach Michael Rot und tatsächlich war er vor Ort.

»Hallo, Ben und Hansi!«, begrüßte er uns und bei mir war sofort das Lächeln weg. Michael musste grinsen. »War nur ein Versuch.«

Er wusste genau, wie ich reagieren würde. Ich hasste den Namen ›Hansi‹ und das wusste er mittlerweile genau.

»Friss mich nicht auf, Hans Peter! Du siehst jetzt aus, wie der böse Wolf.« Da konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen.

»Kommt mit, ihr beiden Rocker!«, forderte er uns freundlich auf. Er holte sich einen Schlüsselbund aus einem nahegelegenen Raum und wir gingen zusammen nach oben in den Tanzsaal.

Als ich auf die große Bühne sah, wurde mir sofort mulmig. Ich konnte es mir noch nicht vorstellen, jemals auf dieser großen Bühne zu stehen und vor Publikum Musik zu machen, aber zum Glück hatte ich ja Ben. Der sprang sofort auf die Bühne, drehte sich um und schrie seinen Schlachtruf: »Rock´n Roll!«.

Michael war aufgrund der Lautstärke total erschrocken und verdrehte gespielt die Augen.

»Ruhig bleiben, Männer, und nicht so laut! Sonst denkt der Klubhausleiter noch, ihr könnt es auch ohne Verstärkeranlage.«

Ich nickte Michael zu und zur Sicherheit sah ich Ben grimmig an.

»Ist doch gut«, beruhigte er uns. Ben blieb auf der Bühne stehen, sah in Richtung des möglichen Publikums und hob die Arme, wie die Jesus-Figur auf dem Berg in Brasilien. Ich hatte einmal ein Bild von ihr im Fernsehen gesehen und mir schossen bei Bens Anblick die Tränen in die Augen.

Genau das wollten wir beide erreichen. Ich hatte plötzlich Applaus und Hurra-Rufe in den Ohren. Ben sah jetzt nach oben und strahlte breit über das ganze Gesicht. Zwei Meter links neben ihm, aber etwas weiter hinten wollte ich einmal stehen mit meiner silbergrauen ›Jolana-Star7‹-Elektrogitarre in der Hand und nach einem Tanzabend den Beifall hören. Nicht in der ersten Reihe ... etwas weiter hinten war mir genug. Da war mein Platz! Für die erste Reihe hatte ich Ben. Er war eine geborene ›Rampensau‹ und das war mein Glück.

Ben kam zu mir, auch er hatte eine Träne im Auge. Er legte einen Arm um meine Schulter und drückte fest zu.

»Wir müssen es schaffen, Hans!«

»Kommt rüber, ihr Rocker!«, rief uns Michael zu sich. Neben der Bühne gab es ein Zimmer für die Utensilien. Er hatte den richtigen Schlüssel an seinem Bund gefunden und aufgeschlossen. Im Raum war es viel zu dunkel, weshalb wir nichts erkennen konnten. Es gab ein Fenster, dieses war jedoch mit dicken dunklen Vorhängen versehen.

Michael schaltete die Deckenlampe an, aber weil der Raum sehr hoch war und die Glühbirne schwach, konnten wir noch immer wenig erkennen. Ben marschierte zum Fenster und zog die Gardinen zurück. Augenblicklich durchflutete Tageslicht as Zimmer. Ich blinzelte.

Neben den auseinandergebauten Teilen eines uralten Schlagzeugs sah ich einen ›Böhm-Regent 30-Kompaktverstärker‹ mit eingebauten Lautsprechern. Niemand hatte hier eine ›Dynacord-Anlage‹ erwartet, der alte ›Regent 30‹ war allerdings wesentlich mehr, als ich erhoffte. Als Nächstes sah ich einen MV3-Verstärker auf der dazugehörenden Box stehen. Wie über den ›Regent 30‹ mit seinen zwanzig Watt konnte man darüber Gitarre oder auch sogar Bassgitarre spielen. Trotz seiner nur 12,5 Watt machte der ›MV3‹ ordentlich Betrieb. Wir hatten diese beiden Verstärker schon bei anderen Bands gesehen und gehört. Wir sahen uns an und Ben begann zu lächeln.

»Hans, was sagst du?«

»Das ist mehr und besser, als ich gedacht habe. Aber Michael, was ist denn das?« Erstaunt deutete ich in den hinteren Bereich des Raumes.

Hinter den beiden Anlagen stand noch eine größere Box und darauf eine Blechkiste mit Schaltern.

»Das ist ein alter ›Kölleda‹-Einschubverstärker, eingebaut in eine Metallkiste mit Box. Die alte Kapelle hat darüber den Bass gespielt. Soll an die fünfzig Watt bringen«, erklärte uns Micha. »Wäre die Anlage etwas für euch?«

Er sah uns gespannt an.

»Sie ist klasse! Dürfen wir die Anlage benutzen?«, jubelten wir.

»Das steht hier alles seit Jahren nur herum. Der Klubhausleiter hatte schon bei unseren anderen Bands in der Stadt nachgefragt, aber die brauchen davon nichts und haben ihre Anlagen komplett«, berichtete er mit ruhigen Worten. »Der Klubhausleiter wollte den Raum schon leerräumen lassen und alles in den Müll geben. Ich habe ihm von euch beiden erzählt und er hätte nichts dagegen, wenn ihr die Verstärker nutzen wollt.«

Er wies mit dem Arm auf die andere Seite des Raumes.

»Da hinten stehen auch noch zwei alte Boxen in Blechgehäusen mit einem ›Kölleda‹-Verstärker und einem Mikro mit Ständer. Wenn ihr wollt, könnt ihr die Anlage haben!«

Bei diesen Worten feixte er schon und wusste, was gleich geschehen würde. Ein Vulkan brach im Klubhaus unserer kleinen Stadt aus!

»Danke Micha! Danke Micha!«

Wir sprangen wie kleine Kinder auf die Bühne, tanzten und sprangen wie verrückt herum. In dem Moment hatten wir viel zu viel Energie, um klar zu denken.

»Wir werden eine Rockband, Rockband, Rockband ...«, sangen wir und Michael Rot klatschte im Takt dazu. Wir sahen ihm an, dass er sich mit uns freute. Weil er leider keine Zeit mehr hatte, vereinbarten mir einen Termin für den nächsten Nachmittag, um die Anlage auszuprobieren.

3 - Wir müssen uns finden

Bevor wir uns auf den Weg zu Ben machten, gingen wir in den Stadtpark und setzten uns dort auf eine Bank. Der Herbst hatte schon begonnen, aber das Wetter war noch recht schön und die Vögel zwitscherten. Aus der Ferne hörte man Musik aus dem Schwimmbad. Schwimmmeister Neumann ließ Schallplatten über die Verstärkeranlage abspielen. Ben hatte die Arme nach hinten um die Lehne gelegt und grinste mich an.

»Und Hans Peter, was sagst du jetzt?« Ich war immer noch sprachlos und brauchte etwas Zeit, meine Gedanken zu ordnen.

»Ben, das ist wie ein Fünfer im Telelotto, es würde genau passen! Gut, das Schlagzeug ist Schrott, damit könnten wir uns nirgendwo sehen lassen«, trotz meiner letzten Worte sah ich ihn glücklich lächelnd an, denn diese Anlage bedeutete der Beginn von etwas ganz Tollem: Unserer Band!

Hartmut, unser zukünftiger Trommler hatte ein neues Schlagzeug von seiner Mutter geschenkt bekommen, sodass wir auf das alte Schlagzeug nicht angewiesen waren. Es konnte also tatsächlich losgehen!

»Weißt du, ob Peer die Bassgitarre von seinem Schwager wirklich geschenkt bekommen hat?«, fragte ich nach und Ben nickte.

»Ja, das hat er mir erzählt. Peer ist zwar ruhig, aber auch immer ehrlich. Der quatscht keinen ›Wind‹, übt bestimmt jeden Tag und hat sich schon vieles von seinem Schwager auf dem Bass zeigen lassen«, teilte er mir mit.

Auf Peer konnten wir uns verlassen, das wusste ich auch. Anders sah es bei unserem Schlagzeuger Hartmut aus.

»Was meinst du, übt Hartmut auch jeden Tag wie wir?«

Ben zuckte mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht. Hartmut ist eben Hartmut. Wir werden es sehen.« Ben kannte Hartmut besser als ich. Wenn sogar er es nicht genau sagen konnte, blieb wohl wirklich nur Abwarten.

Ich sah hoch in die Bäume und beobachtete, wie sich die Blätter im Wind bewegten. Meine Gedanken schweiften immer wieder zur Anlage ab. Wir hatten zwei Gitarrenverstärker und einen Verstärker mit Box für den Bass, dazu eine Gesangsanlage, die wir aber noch nicht gesehen hatten. Das würde für den Anfang für uns reichen, dachte ich bei mir. Wir wollten mit Gesang, zwei Gitarren, Melodie- und Rhythmusgitarre, Bass und Schlagzeug spielen. Natürlich war die Anlage alt und Marke Eigenproduktion. Die ›großen‹ Bands spielten auf internationalen Anlagen und Instrumenten. In unserer Gegend waren das ›Scirocco‹ und ›Die Raben‹.

Der Klubhausleiter Braue hatte Ben und mir auf Nachfrage und mit Hilfe von Michael Rot gestattet, dass wir zu Beginn der Tanzabende am Samstag ohne Eintritt zu zahlen im Saal sein durften und uns die ersten drei Titel der Bands anhören konnten. Anschließend musste ich leider eilig nach Hause fahren, um nicht zu großen Ärger zu bekommen. Samstags sollte ich um neunzehn Uhr zu Hause sein. Zu dieser Zeit begannen jedoch die Tanzveranstaltungen im Klubhaus erst richtig.

Oft gingen uns ›die Augen über‹. Dynacordgesangsanlagen, Marshallverstärker, Fenderbässe, Mikrofone von Sennheiser oder AKG und zum ersten Mal sah ich eine richtige ›Gibsen Les Paul‹-Gitarre. Bisher kannte ich diese Gitarre nur aus dem Fernsehen. Die Gibsen hatte eine andere Form als alle E-Gitarren, die ich bisher sah. Zu kaufen gab es die Sachen bei uns auf jeden Fall nicht. Wo bekamen die Bands nur diese Anlagen und Instrumente aus dem Ausland her?

»Du träumst von einer ›Gibsen Les Paul‹, Hans? Ich sehe es dir an! Gib es zu ...«, brach auf einmal Ben unser Schweigen und lachte mich feixend an.

»Nein, nein, die ist viel zu abgehoben für mich. Ich bin glücklich mit meiner ›Jolana‹-Gitarre und der ›Regent 30-Verstärker‹ wird für den Anfang auch reichen«, antwortete ich ihm kichernd. Er hatte mich während des Träumens erwischt.

Ein ›Marshall‹-Nachbau-Gitarrenverstärker für meine geliebte, silbergraue ›Jolana‹ wäre jedoch eher mein Traum. Mit Stiefvater Alex´ Hilfe würde ich mir dazu eine Box mit vier Zwölfzollpappen in unserer Werkstatt bauen.

»Denk immer daran, Ben, die anderen Musiker sind über zehn Jahre älter als wir und verdienen teilweise auch ›richtiges‹ Geld«, gab ich zu bedenken, aber Ben winkte ab.

»Danke, Hans Peter. Aber vielleicht ist genau das die Chance für uns!« Ich war über seine Worte total verblüfft und sah ihn erstaunt an.

»Du meinst, es ist unsere Chance, keine Kohle zu haben?« Ben schüttelte sich vor Lachen.

»Ne, ne, so meine ich es natürlich nicht. Die Jungs sind vielleicht bald zu alt. Du weißt doch: ›Traue keinem über dreißig!‹ Vielleicht haben wir eine Chance bei den Jüngeren?« Er lachte immer noch über seinen Geistesblitz und konnte sich kaum beruhigen.

Ben hatte recht und seine Worte beruhigten mich. Ich grübelte jeden Tag darüber nach, ob wir vielleicht zu spät auf den ›Musikmarkt‹ kamen und alles abbrechen sollten. Aber andererseits stimmte es: Wir wären mit Abstand die jüngste Band. Warum sollten wir nicht bei den Schülern und Lehrlingen unsere Fans finden?

Wir machten uns auf den Weg.

»Ben, wir müssen morgen zur Probe unsere Gitarren mitbringen, sonst können wir die Verstärker nicht ausprobieren. Hartmut und Peer sollten auch dabei sein.«

»Ich fahre nachher noch zu Hartmut und werde es ihm erzählen«, erklärte er sich bereit.

»Auf dem Rückweg radle ich bei Peer vorbei. Hoffentlich kann er morgen auch kommen. Aber, wenn wir die Anlage haben, wo wollen wir proben? Hast du schon darüber nachgedacht?«, brachte ich unser nächstes Problem auf den Tisch.

»Weißt du, Hans Peter, das mit der Anlage ging jetzt sehr schnell. Vor zwei Stunden brauchten wir uns über die Frage, wo wir Proben noch keine Gedanken zu machen. Ich werde mit meiner Oma reden. Vielleicht kann sie uns helfen.« Seine Antwort war ruhig und er plante ebenfalls unsere nächsten Schritte.

Bens Großeltern betrieben Landwirtschaft und hatten einen großen Vier-Seiten-Hof mit Scheune und Nebengebäuden mitten in der Stadt. Ben hatte lange mit seinen Eltern dort gewohnt. Wir hatten uns oft bei ihm getroffen und Gitarre gespielt.

Bens Eltern hatten vor kurzer Zeit ein kleines Einfamilienhaus gekauft, nicht weit vom Klubhaus entfernt und waren umgezogen. Bens ›Reich‹ war nun ein größeres Zimmer im ausgebauten Keller. Mit seiner Oma würde Ben über unser Problem sprechen können, denn er war Omas Liebling.

Sein Opa hätte sofort erklärt:

»Von eurem Krach wird die Milch der Kühe sauer und die Schweine spielen verrückt!« Bei seiner Oma hatte er eine Chance. Sie fand es immer gut, wenn ich zu Ben zum Gitarrespielen kam und hörte uns manchmal sogar zu. Wir spielten ja auch noch ohne Verstärker.

Bei Ben angekommen, schwang er sich sofort auf sein Moped und düste in Richtung Hartmut. Das Telefon war zwar schon erfunden, nur hatte bei uns niemand eins. Ich fuhr zu Peer und berichtete von der Anlage. Er war richtig glücklich und freute sich. Er hätte morgen zu der Zeit eine Klassenversammlung, die würde er sich aber ›schenken‹. Da gebe es jetzt Wichtigeres! Er erzählte mir, dass er die Bassgitarre habe und auch täglich fleißig übe. Leider hatte er kein Kabel für die Gitarre, würde sich aber eins für den nächsten Tag bei seinem Schwager ausborgen.

Zu Hause traf ich Mutter allein an und das war heute auch gut so. Stiefvater Alex war zur Versammlung des Taubenzüchtervereins, meine Schwester Heike zur Arbeitsgemeinschaft in der Schule. Immer wenn wir mal allein waren, konnte ich mit ihr reden. Sie hatte für mein Hobby und die Liebe zur Musik Verständnis, zu ihr konnte ich mit fast jedem Problem kommen.

Auch über meine ›Fastfreundin‹ Inga aus dem Schwimmlager im Sommer hatten wir lange gesprochen. Mutter verwahrte auch den gelben Zettel mit ihrer Anschrift, den mir Inga vor dem Kino bei dem Unwetter gab. Mit Ben hatte ich nie mehr über Inga geredet. Die Frage war eh immer nur: ›Sollte ich Inga schreiben oder lieber nicht?‹

Jeden Tag ging mir diese Frage während der restlichen Ferien durch den Kopf. Mutter bemerkte es und wir kamen dadurch ins Gespräch. Sie kannte mich am besten und empfahl mir, Inga nicht zu schreiben. Ich sollte die gesamte Geschichte in guter Erinnerung behalten und mich nicht weiter damit belasten. Sie gab mir einen Tipp: