Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2021 -  - E-Book

Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2021 E-Book

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Beschreibung

Wussten Sie, dass der Maler Albin Egger-Lienz auch Gedichte schrieb? Oder dass eine Frau, Josepha von Tannenberg, als Pionierin des Klaviers in Tirol gilt? Das "Wissenschaftliche Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2021" präsentiert in gewohnter Weise einen abwechslungsreichen und spannenden Mix aus wissenschaftlichen Beiträgen, die in der Forschungsarbeit der Tiroler Landesmuseen gründen. Sowohl Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Tiroler Landesmuseen als auch externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich 2021 mit den Beständen der Tiroler Landesmuseen auseinandergesetzt und Artikel zu ihren Forschungsergebnissen verfasst. Die Texte beschäftigen sich u. a. mit der Tiroler Künstlerin Anna Stainer-Knittel und ihren Werken im Ferdinandeum, italienischen Holzschnitten aus der Grafischen Sammlung, der "Wiener Retusche", der Avifauna rund um das Sammlungs- und Forschungszentrum der Tiroler Landesmuseen in Hall, dem Distelwidderchen in Tirol, dem Tag der Artenvielfalt in Tirol 2021 u.v.m. Eingeleitet wird die Publikation von einem literarisch-essayistischen Text des österreichischen Schriftstellers Bodo Hell zum Thema Museum.

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WISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCHDER TIROLER LANDESMUSEEN 2021

Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen14/2021

ISSN 0379-0231

Das „Wissenschaftliche Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen“ setzt die Traditionder „Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum“ fort.

WISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCHDER TIROLER LANDESMUSEEN 2021

 

 

Herausgegeben von

Peter Assmann, Astrid Flögel, Roland Sila

Tiroler Landesmuseen-Betriebsgesellschaft m. b. H.

Museumstraße 15

A-6020 Innsbruck

© 2021 bei den Autorinnen und Autoren und der Tiroler Landesmuseen-Betriebsges. m. b. H.

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung der Herausgeber urheberrechtswidrig und strafbar.

Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Verarbeitung mit elektronischen Systemen.

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Lektorat & Korrektorat: Astrid Flögel

Gestaltung: büro54, Innsbruck

Satz & Umschlag: Studienverlag/Karin Berner

Umschlagbild: Kenotaph in der Innsbrucker Hofkirche, 2021. © Wolfgang Lackner

Herstellung:

Studienverlag Ges.m.b.H., Erlerstrase 10, A-6020 Innsbruck

E-Mail: [email protected]

Internet: www.studienverlag.at

Dieses Buch erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.studienverlag.at

ISBN 978-3-7065-6193-8

INHALT

VORWORTPeter Assmann

-ÄUM -EUM -IUM -UUMBodo Hell

KUNSTGESCHICHTLICHE SAMMLUNGEN

HOLZSCHNITTE AUS DEM 15. JAHRHUNDERT IN DER GRAFISCHENSAMMLUNG DER TIROLER LANDESMUSEEN: EINE FALLSTUDIEElisa Lonigro

ANNA STAINER-KNITTEL UND DAS FERDINANDEUMUlrike Hofer

ELDE STEEG – ZUR CHARAKTERISTIK IHRES NACHLASSES IN DER MODERNEN SAMMLUNGDES TIROLER LANDESMUSEUMS FERDINANDEUMAndreas Sladky

ZWISCHEN DRUCKERKUNST UND GOLDSCHMIEDEHANDWERK:DANIEL KELLERTHALERS GEPUNZTE KUPFERPLATTE MIT DEM URTEIL DES PARIS (1616)Delia Scheffer

RESTAURIERUNG

DIE TRADITIONELLE „WIENER RETUSCHE“ – EINE ERFOLGSGESCHICHTEClaudia Bachlechner

HISTORISCHE SAMMLUNG

NATÜRLICH, GESUND, WOHLFEIL –KAFFEESURROGATE UND IHRE SPUREN IN DER HISTORISCHEN SAMMLUNGMaria Moser

VINZENZ OBERHAMMER ... EINE BIOGRAFISCHE ANNÄHERUNG AN EINEN MUSEUMSMANNSonia Buchroithner

MUSIKSAMMLUNG

JOSEPHA VON TANNENBERG (1770–1854) – PIONIERIN DES KLAVIERS IN TIROLAndreas Holzmann

QUELLEN ZUM MUSIKALISCHEN SCHAFFEN DES KLOSTERKOMPONISTENAUGUSTIN GRIENINGER (1638–1692) AUS MARGREID IN SÜDTIROLFranz Gratl

SAMMLUNG BIBLIOTHEK

EIN BETTELNDER WETTERPROPHET.DAS GERICHTSVERFAHREN GEGEN JONAS SCHWITZ UND DESSEN GATTIN IN VILLANDERS (1612)Hansjörg Rabanser

DIE GEDICHTE VON ALBIN EGGER-LIENZ (1868–1926) IN SEINEM NACHLASS.EINE HINFÜHRUNG ZUM DICHTER MIT ZUSAMMENFASSENDER ANALYSE DER LYRISCHEN HANDSCHRIFTENWolfgang Praßl

DIE REGISTRATUR DER BRIEF AUF DEM SCHLOSS PRESLS 1564 –QUELLEN ZUR GESCHICHTE DER HERREN VON VÖLSHelmut Stampfer

SAMMLUNG VOLKSKUNSTMUSEUM UND HOFKIRCHE

ANMERKUNGEN ZUM „GEDACHTNUS“ EINER HERRSCHERIKONOGRAFIE.VON DER „SCHWARZMANDERSITUATION“ ZUR RAUMINSTALLATION DES GRABMALSVON KAISER MAXIMILIAN I. IN DER INNSBRUCKER HOFKIRCHEPeter Assmann

HEILIGES AUS FISCHLEIM –MATERIELLE BLICKE AUF DIE KLOSTERARBEITEN DER INNSBRUCKER URSULINENKatharina Jug, Karl C. Berger

ARCHÄOLOGISCHE SAMMLUNG

KNÜPFEN – KNOTEN – KLÖPPELN.KOPFBEDECKUNGEN DES FRÜHEN 16. JAHRHUNDERTS AUS DER WOLKENSTEINER GRUFT IN LIENZBeatrix Nutz

NATURWISSENSCHAFTLICHE SAMMLUNG

TAG DER ARTENVIELFALT 2021 – NATURPARK KAUNERGRAT/TIROLKonrad Pagitz, Peter Huemer

DAS DISTEL-GRÜNWIDDERCHEN (JORDANITA SUBSOLANA STAUDINGER, 1862) IN TIROL –ERSTAUNLICHE FORSCHUNGSERFOLGE MIT RUSSISCHEN SEXUALLOCKSTOFFENGerhard M. Tarmann, Konstantin A. Efetov

EIN BEITRAG ZUR AVIFAUNA RUND UM DAS SAMMLUNGS- UND FORSCHUNGSZENTRUMDER TIROLER LANDESMUSEENPeter Morass

KULTURVERMITTLUNG

KUNST UND DEMENZ –MUSEEN ALS ORTE DER GESELLSCHAFTLICHEN TEILHABENina Mayer-Wilhelm, Angelika Schafferer

AUTORINNEN UND AUTOREN

VORWORT

Die Tiroler Landesmuseen sind ein dezidiertes Mehrspartenmuseum. In einer Zeit, in der sich die Wissenschaften immer mehr spezialisieren und ihre Forschungsmethoden zusehends detaillierter und auch spezifischer im jeweiligen Forschungsansatz agierend entwickeln, steht unsere Institution für eine möglichst intensive Verschränkung der einzelnen Sammlungsgebiete des Museums und daher auch für die damit verbundenen Forschungsfragen. Seit fast 200 Jahren sind die Tiroler Landesmuseen als auf das historische Territorium Tirol bezogene Sammlungs- und Forschungseinrichtung zu verstehen, gleichzeitig als Schaufenster der Präsentation dieser wissenschaftlich fundierten Museumsarbeit. Natürlich sind es vor allem Ausstellungen, die bei einem Museum den zentralen Vermittlungsakzent markieren, es gehört aber auch eine konsequente Publikationstätigkeit zu dieser Vermittlungsaufgabe.

Unser „Wissenschaftliches Jahrbuch“, das seit vielen Jahren erscheint und Forschungen zu unterschiedlichsten Gebieten im Zusammenhang mit den Häusern und Sammlungen der Tiroler Landesmuseen veröffentlicht, reiht sich ebenfalls in die breitgesetzten Vermittlungsaktivtäten der Tiroler Landesmuseen ein. Es bemüht sich um Vielfalt bei aller wissenschaftlichen Präzision, in gleicher Weise wie es lokale und internationale Fragestellungen miteinander verknüpft. Immer wieder spannend zu lesen ist allein das Inhaltsverzeichnis in seiner großen Bandbreite der wissenschaftlichen Forschungsansätze: Geschichtliche Fragestellungen verschränken sich hier mit naturwissenschaftlichen Forschungsergebnissen, Kunstgeschichte und Archäologie, erweitern Einblicke in die Musikgeschichte und die Alltagskultur. Besonders wichtig erscheint auch immer wieder die Selbstreflexion, also der Blick auf die eigene Institutionsgeschichte sowie museologische Fragestellungen: Als eine Art literarische Hinführung zu unserer Bandbreite der wissenschaftlichen Beiträge konnten wir Bodo Hell mit einem Textbeitrag gewinnen, der einmal mehr in seinem unverwechselbaren Sprachduktus unterschiedlichste Denk- und Assoziationswege bei den Leser*innen anregen kann.

Allen Autor*innen des „Wissenschaftlichen Jahrbuchs 2021“ sagen wir unseren herzlichsten Dank für die intensive Arbeit und würden uns freuen, wenn diese Arbeit bei den Leser*innen des Jahrbuchs auf einen fruchtbaren Boden der Weiterentwicklung fällt.

Peter Assmann

-ÄUM -EUM -IUM -UUM

Bodo Hell

im Blitzlichtgewitter rudimentärer Lexikoneinträge/Lemmata zu einem allerorten immer wieder anstehenden (mit zugleich vorgestellter) Jubiläum(smusik): aus gegebenem Anlass tönt also jetzt (zumal wenn gewünschterweise laut vorgelesen) ein kleiner lexikalisch-semantischer Jubil-äums-Beitrag samt unsystematischen (auch persönlichen) Exkursen an unser Ohr, beginnend mit dem Borro-mäum

das Borromäum (dieses bekannte Salzburger Internat am parschseitigen Fuß des Kapuzinerbergs) ist nach Karl Borromäus benannt, siehe auch die Wiener Karlskirche und die schönste Rokoko-Hochzeitskirche Tirols westlich Volders an der Inntalautobahn, nach diesem hakennasigen adeligen oberitalienischen Kardinal und Mailänder Erzbischof aus dem 16. Jh. zur Zeit des Tridentinischen Konzils sowie Patron der Uni Salzburg und Pestheiligen, in dessen Institut hat z. B. der beliebte Ziegenzüchter (keine Rauriser Tauernschecken!) und Hummelspezialist Ambros Aichhorn als Naturkunde-Lehrer begeisternd unterrichtet, während er (dieser) jetzt auf unermüdlichem Altenteil in seinem Biohof Vorderploin über dem durch Thomas Bernhard bekannt gewordenen Ort Weng bei Goldegg ansässig und unorthodox mit Partnerin Elisabeth Koder landwirtschaftlich lehrreich tätig ist; im selben Internat des Salzburger Borromäums weilte übrigens auch der spätere Philosoph und Foucault-Übersetzer Walter Seitter, einer jener Schüler, die dann auch nicht den Priesterberuf, sondern in seinem Fall die Ausarbeitung eines umfassenden Wissenschaftsbegriffes ergriffen haben und er habe dort nach eigener Aussage auch nie etwas von einem der sonst üblichen seminaristischen Missbrauchsfällen wahrgenommen oder auch nur munkeln gehört)

nach dem Borromäum müsste selbstredend (und rückläufig alphabetisiert) das Ferdinandeum in Innsbruck (zur Grazer Musikmittelschule gleichen Namens vielleicht ein andermal) und es müsste auch das Joanneum in Graz folgen (mit seinem Research nicht nur zur medizinischen Zirbenforschung, sondern auch zu den siebgedruckten Sensoren: lab-on-a-chip, die Lungenkrebs frühzeitig aufspüren können)

das Ferdinandeum Hauptgebäude (1845 durch Erzhg. Johann eröffnet) mit seinen mittlerweile vier Außenstellen Museum im Zeughaus, Volkskunstmuseum, Hofkirche und TIROL PANORAMA samt Kaiserjägermuseum am Bergisel und seinen zehn Sammlungen ist nach dem einstigen Patron und späteren Kaiser Ferdinand I. dem Gütigen (nach Franz I. und vor Franz-Joseph I.) benannt, der angeblich auf die Meldung vom Aufstand der 48er-Revolutionäre treuherzig ausgerufen haben soll: „ja derfen’s denn des“, die Bestände des Museums blieben sowohl 1919 als auch unter NS-Verwaltung beim Museumsverein und daher an Ort und Stelle erhalten, ähnlich wie jene des Volkskundemuseums in Wien, der jüngste verdiente Künstlerkopf (außen an der Ostfassade des Hauptgebäudes angebracht) ist jener des Haller Malers Max Weiler und die bislang aktuellste (aktualisierte) künstlerische Aktion am (jetzt auch nicht mehr so neuen) Panoramagebäude und in der Stadt Innsbruck ist jene der GRÜSS GÖTTIN-Begrüßung durch Uschi Urbeil und hat schon vorab nicht nur für Diskussionen gesorgt, sondern auch im harmlosesten Fall zu diversen Übermalungen geführt

19 Museen in und um Graz bilden das Universalmuseum Joanneum, von Flavia Solva bei Leibnitz über Schloss Eggenberg bis Trautenfels im Ennstal, und man weiß gar nicht wo anfangen mit dem Schauen, Staunen und Studieren, vielleicht bei der außerordentlichen historischen Mineraliensammlung im Grazer Hauptgebäude Naturkunde (ein „Museum im Museum“ mit 36 Originalvitrinen von 1811 samt der Mohs’schen Härteskala) oder im Freilichtmuseum Stübing (das jetzt auch zum Joanneum gehört), wo die versetzte 20 x 30 m große Vorarlberger Mittelargenalphütte hochmittelalterlichen Baucharakters wiederaufgestellt wurde und wo bis 1977 60 Kühe zweimal täglich von Hand gemolken und an 100 Alptagen 200 Käselaibe gefertigt wurden, man könnte dort in Stübing auch nach der Mitarbeiterin und Sängerin der Friesacher FrauenZimmer Agnes Harrer fragen und nach ihren nächsten Auftritten mit ihren 3 FFZ-Kolleginnen (oder sie für jede Hochzeit vom Fleck weg engagierten)

auf das Mozarteum (mit ebenfalls in Renovierung befindlichem Altbau, Neubau und NeuestUmbau auf dem Areal des abgerissenen Neubaus: samt Durchblick) könnte ausführlicher eingegangen werden (Zirbelzimmer und Übeorgel im Keller bleiben wohl erhalten)

das Odeion ist am östlichen Salzburger Stadtrand gelegen und nach anthroposophischen Gesichtspunkten gestaltet sowie mit neuester Bühnentechnik ausgestattet (liegt hoffentlich nicht länger brach)

das Wiener Dorotheum als kaiserliche Gründung von 1707 passt detto hierher, errichtet auf dem Grund des ehemaligen Dorotheerklosters, vormals einträglicher Staatsbetrieb, jetzt als Konsortium in Europa höchst expansiv, das Dorotheum ist das größte Kunst-Auktionshaus im dt. Sprachraum, aber auch Versatzamt für Nachlässe und Verpfändungen (siehe den Ausdruck: trag’s ins Pfandl), die Broker dort heißen Sensalewww.dorotheum.com, wo es immer wieder bei Auktionen auch Partien alter Ansichtskarten samt Briefmarken sowie Briefmarken extra in KlemmAlben, SteckAlben, SchraubAlben, BriefAlben, Säckchen, Mäppchen, Schachteln, Kuverts und Ordnern zu erwerben gibt

nicht mehr lange und es ertönt das Te Deum und dabei an erster Stelle das Brucknersche Te Deum in C-Dur 1881-83 (uraufgeführt 1886) für Soli, Chor und Orchester, das bekanntlich nach Kapellmeisterbrauch gern anstelle des nicht vorhandenen letzten Satzes der 9. Sinfonie gespielt und gesungen wird (Theodor Wiesengrund-Adorno sprach im Hinblick auf Bruckner von einem „Urgestein“, Ernst Bloch vermeinte, in Bs. Musik die „Mathematik des göttlichen Waltens“ zu spüren, und Max Horkheimer behauptete gar, wäre er selbst Komponist, würde er so komponieren), Bruckners Auftragswerk aus der Zeit der populären 7. Sinfonie E-Dur erscheint wie ein von Stimmen aufgefangenes und weitergeleitetes Echo ebendieser Sinfonie mit motivischen Anleihen daraus, u. z. mit den entscheidenden Textzeilen: in te Domine speravi als Fuge verschnitten mit non confundar in aeternum (nicht werde ich zuschanden werden in Ewigkeit), Johannes Brahms allerdings hat dazu gemeint: Bei Bruckner handele es sich gar nicht um Werke, sondern um einen Schwindel, der in ein bis zwei Jahren tot und vergessen sein wird

nach Borromäum, Ferdinandeum, Joanneum, Mozarteum, Odeion, Dorotheum und Te Deum jetzt endlich das

Geum (montanum, reptans, rivale, urbanum) und da wieder speziell der Berg-Nelkenwurz (so genannt nach dem gewürznelkenähnlichen Geruch seines Wurzelstocks, hervorgerufen durch hohen Gehalt an Eugenol, die Nelkenwurze wird zu den Rosengewächsen gezählt, das Geum montanum fällt mit gelben Blüten und charakteristischen Grundblättern in Rosette sowie Vergrößerung der Stengelblättchen nach außen unverwechselbar auf), auch Benediktenkraut, Petersbart oder Grantiger Jager genannt (nach dem haarigen kugeligen Sammel-Fruchtstand, der im Herbst, spätestens zur Hirschbrunft samt diesbezüglicher Jäger-Aufregung die Almfluren übersät, der Übergang von der begeisternden Blüte zur Frucht der Jägerunwilligkeit scheint sehr schnell zu gehen, man bekommt ihn oft erst zu spät mit), im Pinzgau wird der Nelkenwurz Rugei oder Rogel, am Hochkönig Almrugei genannt, als Heilpflanze heißt das Geum montanum Blutwurz oder alemannisch Trüebwurze, ihre gerbstoffhaltige Wurzel (siehe oben) wird gegen Blutungen, besonders auch gegen die Trüebi, nämlich das Blutharnen, gebraucht

wenn wir uns in unserer Wortabtastung schon dem Erdboden zugewandt haben, dann doch gleich der griechischrömischen Gaia/Gäa mit ihrem Apogäum (der Erdferne von Gestirnen), ihrem Perigäum (der Erdumgebung) und ihrem Hypogäum (dem Raum unter der Erde):

als Hypogäum bekannt ist etwa jenes unterirdische Steingewölbe am Flussufer unter der Teufelsbrücke über die Natisone in der friulanischen Stadt Cividale (Friaul-Julisch Venetien, die ganze Stadt östlich Udines ist Weltkulturerbe) an der Grenze zu Slowenien, wo man das dem Ladinischen verwandte Furlanisch der Alpenromanen spricht (siehe Pier Paolo Pasolini in seinen frühen Gedichten), und diese Kaverne, das Hypogäum Cividalense mit seinen herausgemeißelten Steinköpfen diente sowohl als keltische Kultstätte als auch den Römern und Langobarden als Carcer und Gefängnis und gilt heute als touristischer Geheimtipp (der hiermit nicht verraten werden soll): Schlüssel an der Bar ums Eck

und dem Mausoleum (nach dem Grabmal des Maussollos in Helikarnassos, einem der 7 Weltwunder, siehe auch das Mausoleum Augusti auf dem römischen Marsfeld, das im MA als Festung für die Colonna, im 18. Jh als Stierkampfarena und ab 1907 als Konzertsaal gedient hat und heute vollständig freigelegt und restauriert erscheint, und wir erwähnen das Museum der zerbrochenen Beziehungen in Zagreb (mit seinen Trauerreliquien) und das Sprachmuseum von Seekirchen (Cookies ablehnen)

Martin Hochleitner, seines Zeichens Direktor des Salzburg Museums, war anno dazumal (2013) nicht der einzige Zuhörer in der vollbesetzten Michaelskapelle von Rauris, welcher davon ergriffen war, als man, ohne gleich die Namen genannt zu bekommen, einem mehrfachen Dutzend verstorbener Autorinnen zu gedenken Gelegenheit fand, in einer akustisch flüchtigen Art: Poesie-Museum zur Mitternacht

das Museum generell (von Schloss Tirol und den Messnerschen sowie Ötzi-Museen ganz zu schweigen), sogar speziell jenes am Berg, wie auch das Kunsthistorische, Naturhistorische, Literaturmuseum Johannesgasse, Kunstgewerbe-, Naturkunde-, Heimat- und Freilichtmuseum unterm Untersberg, in Maria Saal, im Pustertaler Dietenheim und im bayrischen Amerang sollen nicht unerwähnt bleiben, desgleichen alle Diözesanmuseen (nicht nur jenes in der Brixener Hofburg), aber auch Kleinstmuseen (etwa in Fratres) und Gedenkstätten (nicht nur Höbarth und Krahuletz in Horn und Eggenburg), das große oö. Schloss- und Landesmuseum samt Kubinhaus in Zwickledt, die Kremser Museumsmeile, das Museum Liaunig, das Wintersportmuseum Mürzzuschlag, das Frauenmuseum in Hittisau will besucht und das Museum der unnützen Dinge sollte nicht vergessen sein, genannt Nonseum im verrückten Dorf Herrnbaumgarten im obersten Weinviertel hinter Poysdorf mit allerlei erstaunlichen Exponaten wie ‚ausrollbaren Zebrastreifen‘ und ‚Schäfchenzählmaschinen‘, übrigens steht dieses Museum neuen Nonsens-Ideen und Einfällen jederzeit und jedermann/jederfrau offen

und was die Frauen betrifft, könnte es das: Gynäzeum geben, und für die Männer das Andrözeum, und für die Jugend das Lyzeum nach Apollo Lykeios (dem Wolfsgott, Lykier oder Strahlenden), ursprünglich eine antike Lehrstätte mit Gymnasion im Nordosten Athens, wo Aristoteles und auch die Sophisten gelehrt haben, jetzt versteht man unter Lyzeum eine 6-klassige höhere Schule mit Obersekundareife, auch in Form des Lycée français

an das Jubiläum im Sinne eines Nonseums, vielleicht auch ein wenig im hintersinnigen Geiste Friedrich Achleitners aus Schalchen bei Mattighofen (siehe dessen fast vollständiges Museum der besten zeitgenössischen Bauten Österreichs in Buchform, sehr gesucht) und im Geiste H. C. Artmanns aus St. Achaz am Walde sowie ebenso im Geiste Gerhard Rühms aus der Wiener Westbahnstraße und seiner museumsreifen private Büchersammlung von Texten der Moderne (in Köln), könnten wir jetzt mit einem vorläufigen usw. schließen, wären da nicht noch die Suffixe -ium und -uum ausständig

also -ium (mit wenigen Beispielen aus den sich füllenden Behältnissen für Kunst und Wissenschaft, als da sind:) Kompendium (und sei es für Bibeln in einfacher Sprache) Refugium (als im besten Fall vollkommen leere Fluchtstätte)

Gremium (als im eigentlichen Wortsinn: Bauch: bei der auch in der Stadt Rom beliebten Kripperlroas zur Weihnachtszeit von einer Kirche zur anderen, unter jubilo/ presepio/in gremio-Getön, meist mit Geldopfern verbunden, kommt es bisweilen vor, dass jemand seinem anarchistischen Zorn über das Krippen-Getue dadurch Luft machen zu müssen meint, dass er die Münzen anstatt in den Opferstock mit Schwung auf die Figuren der Krippen selbst schleudert, jeder Wurf von einem Schrei oder Fluch des Werfers begleitet, im wahrsten Sinn umwerfend) Kolumbarium (als Taubenschlag: in der Nische eines solchen liegt wohl immer noch die über 20-jährige artmannsche Asche)

Herbarium (das anregendste vielleicht im iter laponicus des Freiherrn von Linné, in artmannscher Übersetzung als Insel-Taschenbuch)

Diarium (so man nicht alle persönlichen Wichtigkeiten gänzlich ablehnt und alles Geleistete und Erlittene der damnatio memoriae überantwortet)

Armarium (für ungelesene Bücher in diversen Stiftsnischen)

Terrarium versus Aquarium (warum nicht auch im vollgebauten Haus des Meeres in Wien Mariahilf)

Ossarium (genau besehen: von Karner zu Karner verläuft unser Weg)

Planetarium (das große Zeiss Planetarium in Ostberlin unweit der S-Bahn Prenzlauer Allee)

Sanctuarium

Ovarium

Desiderium (voll von nicht abgearbeiteten Desideraten) Ministerium (voll von Akten und geschwärzten Akten) Sanatorium

Sammelsurium

und zum Abschluss als einschlägige Wortbildungen desselben Gedankenkreises dergleichen Termini (Lemmata) wie: Triduum (für die drei düsteren Karwochentage, an denen zwar nicht die Kirchenglocken, dafür aber umso durchdringender die Gesänge der Lamentationes ertönen können: von Gesualdo da Venosa bis Ernst Krenek)

Residuum (als Rest Rückstand Residenz, in etwa: worauf man sitzen bleibt)

Individuum (wobei kaum jemand mehr dabei ans Unteilbare zu denken wagt)

und im Gegensatz zum Vakuum jetzt doch

das immer wieder beschworene und zu beschwörende

Kontinuum

KUNSTGESCHICHTLICHESAMMLUNGEN

HOLZSCHNITTE AUS DEM 15. JAHRHUNDERT IN DER GRAFISCHEN SAMMLUNG DER TIROLER LANDESMUSEEN: EINE FALLSTUDIE*

Elisa Lonigro

Abb. 1: Leonhard Scherhauff (Leonhard von Brixen), Kreuzigung mit Porträt der Äbtissin Verena von Stuben als Stifterin und Hl. Vigilius, ca. 1459, Öl auf Leinwand, 103,2 x 191,5 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ältere kunstgeschichtliche Sammlung, Inv.-Nr. Gem/844.© Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

ABSTRACTS

The Tyrolean State Museum Ferdinandeum conserves a group of five woodcuts in fragmentary condition. These prints were found glued to the back of a painting by the artist Leonhard von Brixen, an unusual usage that raises questions as to their function. The research aims to trace the material history of these prints and to appraise their particular value as works pertaining to the borderland between Germany and Italy. In effect, as far back as the fifteenth century, in the production of woodcuts these two countries were centres of a wide network of exchange that gave rise to hybrid figurative models. These and other issues – such as the original arrangement of the prints on the painting and the replication of iconographic models – allow us to critically reconsider the antique woodcut in the Alpine areas.

Das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum bewahrt eine Gruppe von fünf fragmentarisch erhaltenen Holzschnitten. Die Drucke wurden aufgeklebt auf der Rückseite eines Gemäldes des Künstlers Leonhard von Brixen gefunden. Der Fund deutet auf eine ungewöhnliche Verwendung hin und wirft Fragen nach der Funktion der Drucke auf. Ziel der Forschungsarbeit ist es, die Materialgeschichte dieser Druckgrafiken zurückzuverfolgen und ihren besonderen Wert als Werke des Grenzgebiets zwischen Deutschland und Italien aufzuzeigen. Tatsächlich galten diese beiden Länder bereits im 15. Jahrhundert in der Produktion von Holzschnitten als Zentren eines breiten Austauschnetzwerks, das hybride Formen figurativer Darstellungen hervorbrachte. Diese und weitere Aspekte – wie die ursprüngliche Anordnung der Drucke auf dem Gemälde oder ihre Nachbildung ikonografischer Vorbilder – bilden die Basis dieser kritischen Neubetrachtung der antiken Holzschnitte aus dem Alpenraum.

Der erste Wissenschaftler, der auf die ungewöhnliche Gruppe antiker Holzschnitte aufmerksam machte, die auf der Rückseite eines 1893 vom Ferdinandeum erworbenen Gemäldes gefunden wurden, war 1936 Paul Heitz.1 Laut Heitz umfasste die Gruppe acht Holzschnitte, von denen heute nur noch fünf erhalten sind. Er erwähnt insbesondere einen Holzschnitt, die „Passionsszenen“, die er (auf Anregung von Werner Cohn) der italienischen Produktion um 1470 zuschreibt (Abb. 3). Der Urheber scheint stilistisch dem des in der Albertina in Wien aufbewahrten Blattes mit dem „Heiligen Benedikt“ nahe (Schr. 1268).2 1938 schlug Cohn vor, dass die anderen Holzschnitte der Gruppe aus Südwestdeutschland stammen, und datierte sie um 1430.3 Das Gemälde, auf dessen Rückseite die Holzschnitte geklebt waren, wird dem Südtiroler Künstler Leonhard von Brixen zugeschrieben. Um 1459 entstanden, zeigt es die „Kreuzigung mit Porträt der Äbtissin Verena von Stuben als Stifterin und Hl. Vigilius“ (Inv.-Nr. Gem/844; Abb. 1) und stammt aus dem Refektorium des Benediktinerklosters Sonnenburg nahe Bruneck in Südtirol.4 Die Kaufleute dieses Gebiets hatten im Allgemeinen Zugang zu italienischen und deutschen Druckgrafiken, und die wechselseitige Beeinflussung italienischer und nordischer Vorbilder im Bereich des Holzschnittes ist bereits in einigen der ältesten italienischen Blätter bezeugt, die zwischen Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts gedruckt wurden.5 In Deutschland blieb ein emblematisches Beispiel der Koexistenz deutscher und italienischer Druckgrafiken bis heute erhalten.6 Es handelt sich hierbei um ein Triptychon, das um die Mitte des 15. Jahrhunderts für den Altar des Katharinenklosters Nürnberg gefertigt wurde.7 Es besteht aus 89 geklebten Holzschnitten, die zwischen 1440 und 1455 teils in Venedig, teils in Nürnberg gedruckt wurden. Der mittlere Teil des Triptychons stellt den Zyklus der „Passion Christi“ dar, der vom Maler und Buchmaler Cristoforo Cortese (ca. 1399– 1445) geschaffen wurde. Mehrere deutsche Holzschnitte sind als minderwertige Ergänzungen zur „Passion“ zu betrachten, während andere Drucke auf die klösterliche Handschriftenproduktion Nürnbergs verweisen. Die druckgrafische Serie, die sowohl die Innen- als auch Außenseite des Triptychons einnahm, wurde von ihrer ursprünglichen Unterlage entfernt und wird heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt. In der Wallfahrtskirche St. Leonhard ob Tamsweg bei Salzburg ist ein Diptychon mit einem rückseitig aufgeklebten Holzschnitt mit „Madonna und Heiligen“ (Schr. 1148m) erhalten, das von Franz Martin und Heitz Norditalien zugeschrieben und um 1460 eingeordnet wird.8 Der Fall ähnelt folglich den in dieser Arbeit untersuchten Holzschnitten, wobei die einzigen vorhandenen Belege leider nur aus einzelnen Studien des frühen 20. Jahrhunderts stammen; der Druck selbst scheint verloren. Drucke auf die Rückseite von Gemälden zu kleben, ist ungewöhnlich und aus heutiger Sicht nur schwer nachzuvollziehen. Es ist denkbar, dass die Drucke im Laufe der Zeit zu besonderen Anlässen nach und nach angebracht wurden oder vielleicht sogar als Schutz für das Gemälde selbst dienten. Das Gemälde hing im Refektorium, einem Ort, zu dem alle Nonnen Zugang hatten, aber wir wissen nicht, ob die Drucke selbst dabei sichtbar waren oder nicht. Während Restaurierungsarbeiten im Jahr 1977 wurden die Drucke abgelöst. Die von ihnen hinterlassenen Abdrücke blieben auf der Tafel sichtbar. Das bei der letzten Restaurierung im Jahr 2007 aufgenommene Foto der Rückseite (Abb. 2) zeigt fünf Bereiche im Mittelteil und noch nicht entzifferte handschriftliche Inschriften.9

Betrachtet man nun die einzelnen Holzschnitte der Gruppe, setzen sie sich wie folgt zusammen: 1. „Heiliger Georg, der Drache und die Prinzessin“ (Inv.-Nr. AD/46); 2. „Heilige Anna mit Madonna und Jesuskind in den Armen“ (Inv.-Nr. AD/47); 3. „Passionsszenen“ (Inv.-Nr. AD/48); 4. „Tod der Jungfrau“ (Inv.-Nr. AD/49); 5. zehn Fragmente, bei einem von denen (links) davon ausgegangen werden kann, dass der Druck eine „Geißelung“ (Inv.-Nr. AD/50) darstellt.10 Wichtig in diesem Kontext ist die Frage, in welchen der oben genannten fünf Bereiche genau die einzelnen Holzschnitte platziert waren. Es existieren drei von Cohn 1938 veröffentlichte Fotos, die drei Holzschnitte aus der Gruppe – „Heilige Anna“, „Heiliger Georg“ und die „Passionsszenen“ – zeigen, als sie noch aufgeklebt waren. Eine eingehende Betrachtung der Maserung der Tafel lässt mit großer Sicherheit feststellen, dass die Drucke wie folgt angeordnet waren (von links nach rechts und von oben nach unten gesehen): „Geißelung“, „Heiliger Georg“, „Tod der Jungfrau“, „Heilige Anna“ und „Passionsszenen“.

Abb. 2: Leonhard Scherhauff (Leonhard von Brixen), Kreuzigung mit Porträt der Äbtissin Verena von Stuben als Stifterin und Hl. Vigilius (Rückseite), ca. 1459, Öl auf Leinwand, 103,2 x 191,5 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ältere kunstgeschichtliche Sammlung, Inv.-Nr. Gem/844. © Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Abb. 3: Unbekannt, Passionsszenen, 1426–1450, Holzschnitt-Fragment, 31,5 x 35,7 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. AD/48. © Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Die Drucke liefern einige interessante Details über die frühen Holzschnitte, insbesondere in Bezug auf den Dialog zwischen nordischer und italienischer Kunst.

Abb. 4: Unbekannt, Heilige Anna mit Madonna und Jesuskind in den Armen, 1426–1450, Holzschnitt-Fragment, 34,5 x 29 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. AD/47. © Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Abb. 5: Unbekannt, Jungfrau und Kind mit heiliger Anna, 1426–1450, Handkolorierter Holzschnitt, 40,8 x 27,2 cm, London, The British Museum, Department of Prints and Drawings, Inv.-Nr. 1849,0512.941. © The Trustees of the British Museum

Eine Situation der Osmose bringt stilistische Hybride hervor, was auch im Falle dieses Gemäldes, auf dem die Holzschnitte aufgefunden wurden, zu beobachten ist. Der Künstler, Leonhard von Brixen, war ein Maler und Schnitzer, dessen Wirken zwischen 1438 und 1476 urkundlich belegt ist. Sein künstlerischer Status wird durch die offensichtliche technische Vielseitigkeit bestätigt. Der eklektische Stil seiner Werke umfasst sowohl realistische Ansätze als auch sanfte, gotische Züge und kombiniert folkloristische Elemente mit einer hellen Farbpalette. Seine Künstlerwerkstatt florierte in der Brixner Malereiproduktion des 15. Jahrhunderts und rühmte sich mit einer großen Anzahl von Gehilfen.11 Betrachtet man nun die „Passionsszenen“ (Abb. 3; 31,5 x 35,7 cm) näher, so sind folgende Szenen zu beobachten: das „Letzte Abendmahl“, das „Gebet im Garten Gethsemane“, der „Judaskuss“, die „Festnahme Jesu“, die „Geißelung“, die „Kreuzigung“ (sehr fragmentiert), die „Kreuzabnahme“ (ebenso fragmentiert) und die „Auferstehung“ (nur der linke Rand vorhanden).12 Die Szenen sind durch einen Rahmen aus Rauten mit stilisierten Blumen in der Mitte voneinander abgetrennt, während einige Bereiche innerhalb der Drucke Farbspuren in Rot und Schwarz aufweisen. Cohn identifiziert den venezianischen Ursprung der Holzschnitte und weist insbesondere auf die Darstellung der Gesichtszüge mit langen Augenlidern und die zarten Umrandungen des Blattwerkes hin. Dieser Druck lässt sich unter anderem mit „Dreifaltigkeit und Heilige“ (Schr. 749) vergleichen, einem venezianischen Holzschnitt, der in der Biblioteca Classense in Ravenna aufbewahrt wird (Inv.-Nr. 45).13 So lässt sich auch auf den italienischen Kontext des Innsbrucker Druckes schließen, der weiters auf Venetien eingegrenzt werden kann.14

Die anderen vier Drucke hingegen sind deutschen Ursprungs und weisen sowohl stilistisch als auch in der Gravurtechnik Ähnlichkeiten auf. Cohn berichtet von einem weiteren Exemplar des Druckes der „Heiligen Anna“ (Abb. 4; 34,5 x 29 cm), das im British Museum aufbewahrt wird (Abb. 5; Inv.-Nr. 1849,0512.941; 40,8 x 27,2 cm),15 wobei Schreiber den Druck südostdeutscher Produktion zwischen 1450 und 1460 zuschreibt. Der Londoner Holzschnitt ist in Rot-, Gelb-, Grün- und Grautönen koloriert, während das Innsbrucker Exemplar eine braune Färbung aufweist. Das Bild zeigt die heilige Anna, wie sie unter einem gotischen Baldachin thront. Auf ihrem rechten Knie hält die edle Gestalt die Jungfrau Maria, die dem auf dem anderen Knie der heiligen Anna sitzenden Jesuskind eine Birne reicht. Der Kult der heiligen Anna ist im Etschtal besonders verbreitet und es findet sich dort eine umfangreiche Produktion von Werken mit entsprechender Ikonografie.16 Peter Schmidt weist darauf hin, dass der Druck des British Museum aus einem anderen Block gefertigt wurde als der Innsbrucker Druck: Die Linienschraffierungen unterscheiden sich und es finden sich auch Unstimmigkeiten in den Details der Gesichter der Figuren und im Heiligenschein der Jungfrau. David Landau vermutet, dass die Innsbrucker Version eine Kopie der Londoner sein könnte, aber es ist schwer festzustellen, welcher der beiden nun tatsächlich als Vorlage diente. Ein Exemplar wie das aus London dürfte wohl in einer alpinen Werkstatt verwendet worden sein, um – mit leichten Abweichungen vom Originalblock – den Block zu schaffen, mit dem der Innsbrucker Druck hergestellt wurde. Weiters gibt es zumindest ein weiteres erhaltenes Exemplar vom „Tod der Jungfrau“ (Abb. 6; 29,5 x 45 cm), das im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt wird (Abb. 7; Inv.-Nr. H2; 26,3 x 37,5 cm).17

Abb. 6: Unbekannt, Tod der Jungfrau, 1426–1450, Holzschnitt-Fragment, 29,5 x 45 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. 49. © Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Abb. 7: Unbekannt, Tod der Jungfrau, 1426–1450, Handkolorierter Holzschnitt, 26,3 x 37,5 cm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Sammlung Druckgraphik-Zeichnungen, Inv.-Nr. H2. © Germanisches Nationalmuseum, Foto: Monika Runge

Abb. 8: Unbekannt, Der heilige Georg, der Drache und die Prinzessin, 1426–1450, Holzschnitt-Fragment, 26,5 x 44,5 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. AD/46. © Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Der Innsbrucker Druck, der mitunter große Lücken zeigt, fällt durch seine braune Kolorierung auf, während der Nürnberger Druck in Violett, Gelb, Blau, Grau, Braun und Grün gefärbt ist. Rainer Schoch stellt bei der Analyse des Nürnberger Exemplars fest, dass seine Herkunft umstritten ist. Es konnte bisher keine Einigkeit darüber gefunden werden, ob der Druck nun aus Schwaben, Nürnberg oder Regensburg stammt. Laut Wasserzeichen kann der Druck jedoch der Zeit vor 1422 zugeordnet werden. Die traditionelle Komposition spiegelt die der Altarbilder von Wennigsen und Würzburg wider, während die Figuren der Apostel der böhmischen Malerei entstammen.18 Bei seinem Vergleich der beiden Versionen zeigt Schmidt auf, dass beim Druck des Innsbrucker Exemplars der Block in einem etwas besseren Zustand gewesen sein muss. Zudem wurde mehr Tinte in einer dichteren Lösung verwendet, was das Vorhandensein von Linien erklärt, die etwas dicker und rauer erscheinen. Die Lücken entlang des Rahmens im Nürnberger Exemplar lassen einen fortgeschritteneren Verfall des Blocks vermuten, was die Hypothese stützt, dass der Innsbrucker Holzschnitt der ältere ist. Der „Heilige Georg, der Drache und die Prinzessin“ (Abb. 8; 26,5 x 44,5 cm) stellt einen besonders feinen Druck dar, für den es bisher jedoch nicht möglich war, ein konkretes Vorbild zu identifizieren. Der Holzschnitt weist rote Farbspuren auf, die das Blut des verwundeten Drachen symbolisieren. Betrachtet man die noch gut erhaltenen Elemente des Drucks – den Mantel des Heiligen, die Mähne und das Geschirr des Pferdes, die Schuppen des Drachen, die Prinzessin und den Engel –, so lassen die stilistischen Ähnlichkeiten erkennen, dass der Druck aus derselben Werkstatt stammen muss, die auch den Holzschnitt der „Heiligen Anna“ produzierte. Cohn glaubt, dass die Details beider Drucke Einflüsse der Kunst des französisch-burgundischen Hofes widerspiegeln. Stilistische und ikonografische Ähnlichkeiten finden sich in mehreren Buchmalereien in den „Stundenbüchern“ des Herzogs von Berry, die in Chantilly und Brüssel aufbewahrt werden. Dies würde eine Produktion in Basel vermuten lassen, aber Cohn führt sie auf Süddeutschland zurück.19 Die Gesichter der Jungfrau und der Prinzessin in den beiden Drucken ähneln sich genauso wie die Darstellungen der Draperie. Zum Vergleich mit diesen Drucken eignet sich die Darstellung der „Heiligen Dorothea und Heiligen Margareta (Schr. 1404m) eines deutschen Holzschnittes aus dem Zeitraum zwischen 1420 und 1430, der in der Albertina aufbewahrt wird (Inv.-Nr. DG1950/569).20

Der letzte Druck der Gruppe (Abb. 9) zeigt Rot- und Braunfärbungen. Zwei Fragmente zur linken Seite aus der Sicht des Betrachters zeigen das Lendentuch, das um die gekreuzten und blutenden Beine des offensichtlich gegeißelten Christus gewickelt ist.

Unter Berücksichtigung stilistischer Aspekte wie der Gestaltung der Kleiderfalten, der Darstellung der Gesichter und der Linienführung können die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Druckgrafiken in das zweite Viertel des 15. Jahrhunderts datiert werden. Trotz ihrer Verschiedenheit kann festgehalten werden,21 dass die Blätter noch vor der Schaffung des Gemäldes produziert wurden. Ihre Wiederverwendung in späteren Zeiten ergab sich wohl aus einem anhaltenden Interesse an ihren ikonografischen Themen und ihrer Andachtsfunktion und damit an Elementen, welche die Bedeutung der stilistischen Aktualisierung in den Hintergrund drängten.

Abb. 9: Unbekannt, Geißelung, 1426–1450, Holzschnitt-Fragment, o. M., Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Grafische Sammlung, Inv.-Nr. AD/50. © Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum

Es gibt viele Aspekte, die uns daran hindern, die Namen der Urheber der Holzschnitte aus derart frühen Jahren ausfindig zu machen. Zum einen wird eine genaue Zuordnung erschwert durch den teilweisen Verlust der Werke, die wohl mehr wie Gebrauchsgegenstände als Kunstwerke behandelt wurden. Weiters kommt hinzu, dass es sich bei den genannten Drucken nicht um Reproduktionen von Werken berühmter Künstler handelt, weswegen sie auch in ihren nachfolgenden Jahrhunderten nicht von den Sammlern von Grafiken erworben wurden.22 Trotz ihrer Bedeutung sind diese frühen Arbeiten, die sich stilistisch in Grenzgebiete (Savoyen, Schweiz und Österreich) einordnen lassen, wenig erforscht. Weiterführende Forschungsarbeiten sind anzudenken, um etwa Aufschluss über die Ursprünge dieser speziellen Gruppe von Holzschnitten zu geben.

Aus dem Englischen übersetzt von Svenja Grabner, www.svenjagrabner.at.

* Mein Dank gilt Silvia Urbini, Giovanni Maria Fara, David Landau, Peter Schmidt, Björn Blauensteiner, Astrid Flögel, Ulrike Hofer, Ralf Bormann und Lorenzo Gigante.

1 Heitz, Paul: Italienische Einblattdrucke in den Sammlungen Berlin, Braunschweig, Cambridge (Mass.), Cortona, Innsbruck, London, Maihingen, New York, Tamsweg, Wien und andere, deren Aufbewahrungsorte unbekannt, T. 5, Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts, Bd. 83, Straßburg 1935, Nr. 90. Das digitale Archiv „Census of Italian Renaissance Woodcuts“ zählt diese Holzschnitte zu jenen, die im Alpenraum produziert wurden.

2 Schreiber, Wilhelm Ludwig: Handbuch der Holz- und Metallschnitte des XV. Jahrhunderts, 8 Bde., Leipzig 1926–1930. Nachfolgend zitiert als (Schr. gefolgt von der entsprechenden Nummer); S. Urbini, Census of Italian Renaissance Woodcuts, ALU.0381, URL: http://archivi.cini.it:80/cini-web/storiaarte/detail/20098/stampa-20098.html, ISBN 978-88- 96445-24 2.

3 Cohn, Werner: Holz- und Metallschnitte aus öffentl. in- und ausländischen Sammlungen und Bibliotheken in Innsbruck, Salzburg, Wien, Delsberg, Neuenstadt, St. Gallen, Lyon, Paris, Straßburg, Tunbridge Wells, Einblattdrucke des XV. Jahrhunderts, Bd. 93, Straßburg 1938, Nr. 1–3.

4 Schmidt, Peter: Gedruckte Bilder in handgeschriebenen Büchern. Zum Gebrauch von Druckgraphik im 15. Jahrhundert, Wien–Köln–Weimar 2003, S. 80, Fußnote 311.

5 Bellini, Fiora/Borea, Evelina (Hg.): Xilografie italiane del Quattrocento da Ravenna e da altri luoghi, Katalog Istituto Nazionale per la Grafica 1987–1988, Ravenna 1987, Nr. 2.

6 Gigante, Lorenzo: Incontri, scontri, confronti: Appunti sulla ricezione della xilografia nordica in Italia tra XV e XX secolo, in: Argan, Giovanni/ Radaelli, Maria/Timonina, Alexandra (Hg.): Taking and Denying. Challenging Canons in Arts and Philosophy, Venedig 2020, S. 146 f., URL: http://doi.org/10.30687/978-88-6969-462-2/007 (Zugriff: 26.8.2021).

8 Martin, Franz: Tamsweg, in: Österreichische Kunsttopographie 22, 1929, S. 261, Abb. 327; Heitz: Einblattdrucke (siehe Anm. 1), Nr. 92.

9 Die Abmessungen (von links nach rechts und von oben nach unten) betragen: 35 x 44,5 cm; 42 x 32 cm; 30 x 44,5 cm; 33,5 x 28 cm; 31 x 37 cm.

10 Schreiber zitiert zwar nicht die Innsbrucker Holzschnitte, listet aber zum Teil ähnliche Exemplare: „Heilige Anna“ (Variante in Schr. 1190), „Heiliger Georg“ (Variante in Schr. 1442a), „Tod der Jungfrau“ (Kopie in Schr. 705).

11 Spada, Silvia: Leonardo da Bressanone, in: Zeri, Federico (Hg.): La Pittura in Italia. Il Quattrocento, Bd. 2, Mailand 1987, S. 662.

12 S. Urbini, Census, ALU.0380.

13 S. Urbini, Census, ALU.0058.

14 Bellini/Borea: Xilografie (wie Anm. 5), S. 32, Fußnote 19.

15 The British Museum: The Virgin and Child with St. Anne, URL: https://www.britishmuseum.org/collection/object/P_1849-0512-941 (Zugriff: 26.8.2021).

16 Rosenauer, Artur/Plieger, Cornelia/Andergassen, Leo (Hg.): Michael Pacher und sein Kreis. Ein Tiroler Künstler der europäischen Spätgotik, 1498–1998, Katalog Augustiner-Chorherrenstift Neustift 1998, Bozen–Lana 1998, Nr. 16.

17 Germanisches Nationalmuseum: Der Tod Marias, URL: https://objektkatalog.gnm.de/wisski/navigate/20608/view (Zugriff: 26.8.2021).

18 Parshall, Peter/Schoch, Rainer (Hg.): Die Anfänge der europäischen Druckgraphik: Holzschnitte des 15. Jahrhunderts und ihr Gebrauch, Katalog National Gallery of Art und Germanisches Nationalmuseum 2005–2006, Nürnberg 2005, Nr. 84.

19 Cohn: Metallschnitte (wie Anm. 3), S. 7.

20 Albertina: Heilige Dorothea und heilige Margareta, URL: https://sammlungenonline.albertina.at/?query=search=/record/objectnumbersearch=[DG1950/569]&showtype=record (Zugriff: 26.8.2021).

21 Schmidt, Peter: Rhin supérieur ou Bavière? Localisation et mobilité des gravures au milieu du XVe siècle, in: Revue de l’Art 120, 1998, S. 68–88, URL: http://doi.org/10.3406/rvart.1998.348388 (Zugriff: 26.8.2021).

22 Aldovini, Laura/Landau, David/Urbini, Silvia: Rinascimento di carta e di legno: Artisti, forme e funzioni della xilografia italiana fra Quattrocento e Cinquecento, in: Saggi e Memorie di Storia dell’Arte 40, 2016, S. 7–27.

ANNA STAINER-KNITTEL UND DAS FERDINANDEUM

Ulrike Hofer

Abb. 1: Anna Stainer-Knittel, Selbstporträt in Lechtaler Tracht, 1863, 83,5 x 67,2 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ältere kunstgeschichtliche Sammlung, Inv.-Nr. Gem 1760. Foto: Tiroler Landesmuseen

ABSTRACTS

In 1863, the Ferdinandeum bought the first work by the artist Anna Stainer-Knittel: “Self-Portrait in Lechtal Costume”. The purchase marks the beginning of the professional career of the Tyrolean painter, who was decidedly emancipated for her time. The present text first traces the institutional framework and possibilities of funding and support from the museum, which were important for the female artist, especially in the early years, in order to gain a professional foothold in Innsbruck. The works and objects of Stainer-Knittel, which are now in the collection of the Ferdinandeum, as well as several paintings from a private collection that have been made available for research through the museum’s agency will then be discussed. Finally, the question of what role the Ferdinandeum as an institution might have in research and the reception is examined as a basis for future research.

Mit dem „Selbstporträt in Lechtaler Tracht“ erwirbt das Ferdinandeum 1863 das erste Werk der Künstlerin Anna Stainer-Knittel. Der Ankauf markiert den Beginn der beruflichen Laufbahn der für ihre Zeit bereits emanzipiert handelnden wie lebenden Tiroler Malerin und ihrer Beziehungen zum Museum. Der vorliegende Text zeichnet zunächst die institutionellen Rahmenbedingungen und Möglichkeiten der Förderung von Seiten des Museums nach, welche für die Künstlerin insbesondere in den frühen Jahren wichtig waren, um beruflich in Innsbruck Fuß zu fassen. Des Weiteren werden die Werke von Stainer-Knittel, die sich mittlerweile in der Sammlung des Ferdinandeums befinden sowie Werke aus Privatbesitz vorgestellt, die durch Vermittlung des Museums gesichtet werden konnten. Zum Abschluss wird der Frage nachgegangen, welche Rolle die Institution Ferdinandeum für die Erforschung und Rezeption der Künstlerin spielen kann.

Im Jahr 1863 erwarb das Ferdinandeum für 44 Gulden das „Selbstporträt in Lechtaler Tracht“ der 22-jährigen, damals noch unverheirateten Anna Rosa Knittel (1841–1915) (Abb. 1).1 Diese präsentiert sich selbstbewusst im Drei -viertel porträt, festlich in Tracht gekleidet vor einem dunklen, braunen Hintergrund. Sicher demonstriert sie ihr Können im zartrosa Inkarnat ihres Gesichtes, im Durchexerzieren der verschiedenen Stoffe und der glänzenden Anmutung der goldenen Schmuckelemente. „Anna Knittel. Malerin, 1863.“ informiert das auf dem schweren, dunklen Rahmen befestigte Schild. Mit dem stolzen Zusatz „Malerin“ wird Anna Knittel infolge auch ihre Briefe unterschreiben.2 In Ermangelung an anderen Modellen hatte sie sich selbst porträtiert. Den dazugehörigen Rahmen schuf ihr Vater.3

Das Gemälde wurde nach Innsbruck geschickt und in der am Marktplatz gelegenen Kunsthandlung Unterberger ausgestellt. Mit dem Verkauf an das Ferdinandeum konnte sich Anna Knittel nun nicht nur den Umzug in die Landeshauptstadt leisten, sondern dieser markiert auch den Beginn ihrer Beziehungen zum Museum und ihres Lebens als Berufsmalerin.4 Ihr Ausbildungsweg und ihre Professionalisierung waren zur damaligen Zeit für eine Frau in Tirol eine Besonderheit. So studierte sie, zunächst als einzige Frau, an der Vorschule der Akademie in München und gründete später in Innsbruck eine eigene Zeichen- und Malschule für Damen.5 Mit ihrer Kunst erwirtschaftete sie nach ihrer Hochzeit mit dem Gipsformator Engelbert Stainer 1867 die Hälfte des Einkommens für ihre bald sechsköpfige Familie, trug ihre Haare kurz und nahm den Doppelnamen Stainer-Knittel an. Heute ist die Malerin jedoch weniger für ihre Kunst als für eine Episode aus ihrer Jugend als sogenannte „Geier-Wally“ bekannt. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welchen Anteil die Institution Ferdinandeum als das Tirolisch-Vorarlbergische Kunstmuseum am Werdegang und Erfolg der Künstlerin hatte und welche Rolle es weiterhin für die Rezeption und Erforschung der Künstlerin spielen kann. Zu diesem Zweck werden abschließend die Werke, die sich heute in der Sammlung befinden und weitere Werke aus Privatbesitz vorgestellt.

Anna Knittel wurde am 28. Juli 1841 in Untergiblen im Tiroler Lechtal geboren. Die Tochter des Büchsenmachers und Kleinbauern Josef Anton Knittel war von diesem früh in ihrem Wunsch bestärkt worden, Malerin zu werden. In ihrer Familie gab es bereits zwei Künstler, den berühmten, zwei Jahre vor ihrer Geburt in Rom verstorbenen Josef Anton Koch und Josef Alois Knittel, einen in Freiburg lebenden Bildhauer. Die angehende Malerin verfügte früh über entscheidende Kontakte, die sie förderten. Entscheidend war für sie Johann Anton Falger, dessen Zeichenschule in Elbigenalp sie besuchte. Er war ein umfassend gebildeter und gut vernetzter Mann. Er stellte sie auch dem Maler Mathias Schmid vor, der in München zusammen mit Franz von Defregger und Alois Gabl schließlich zum „Tiroler Kleeblatt“ gezählt werden sollte, und verfügte über gute Verbindungen zum Ferdinandeum.6 Mit der finanziellen Unterstützung ihrer Eltern, von Falger und von Schmid, ging Knittel 1859 für das Studium an der Vorschule der Akademie nach München.7 Die bayerische Hauptstadt galt damals als das bedeutendste Kunstzentrum im Deutschen Reich und stellte für österreichische Künstler*innen – aufgrund der geographischen Nähe insbesondere von Tirol aus – ein wichtiges Zentrum der Ausbildung dar.8 Der Besuch der offiziellen Kunstakademie war Frauen zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht erlaubt.9 In den drei Jahren von Anna Knittels Studiums an der Vorschule der Akademie lag ihr Ausbildungsschwerpunkt auf der Porträt- und Genremalerei. Sie kopierte auch Alte Meister in der Pinakothek in München, „um andere Technik und Farbengebung kennen zu lernen“, wie sie in ihren Lebenserinnerungen schreibt.10

Nach der Übersiedelung nach Innsbruck und dem Verkauf ihres Selbstporträts an das Ferdinandeum erhielt Knittel wichtige Porträtaufträge, war aber weiterhin auch als Kopistin tätig. So fertigte sie Kopien nach Werken aus der Ferdinandeumssammlung an. Laut der Korrespondenz in den Museumsakten wurde ihr sogar ab 1863 mehrmals die Erlaubnis erteilt, Gemälde für einige Tage mit in ihre Wohnung zu nehmen, um sie dort schneller kopieren zu können.11 Die Beschäftigung mit künstlerischen Vorbildern war für sie Quelle des Studiums und Verdienstmöglichkeit zugleich. Sie beschreibt wiederholt, welchen Eindruck die Betrachtung von Kunst auf sie gemacht hat. So bringt sie in der Schilderung eines Besuches der Pfarrkirche von Schwarzenberg ihre Bewunderung für die bereits zu Lebzeiten äußerst erfolgreiche Angelika Kauffmann zum Ausdruck, deren Altarblätter sie dort gesehen hat: „Da ist mir ein kaltes Riesele aufgestiegen, eine Frau und so ein schönes farbenprächtiges Bild. Da bat ich den lieben Hergott, wenn es doch sein wollte, dass ich auch einmal etwas Aehnliches zuwege brächte! Und von da an schwebte mir immer ein Ziel vor, aber weit in der Ferne!“12 Zu dem Zeitpunkt, als das „Selbstporträt in Lechtaler Tracht“ für das Ferdinandeum angekauft wurde, gab es in der Gemäldesammlung bereits mehrere Selbstbildnisse von Angelika Kauffmann, so z. B. das „Selbstporträt in Bregenzerwälder Tracht“ (Abb. 2). Die beiden Künstlerinnenselbstporträts ähneln sich in der Wahl des Brustbildes, der traditionellen Tracht mit Hut und dem dunklen Hintergrund. Eine direkte Bezugnahme von Knittel auf das konkrete Werk im Ferdinandeum lässt sich zwar nicht belegen, ist aber gut vorstellbar.13 In ihren Lebenserinnerungen berichtet die Malerin, dass sie nach dem Ende des Sommersemesters 1861 u. a. gemeinsam mit ihrem Onkel Josef Alois Knittel und dessen Frau in Innsbruck die „schönsten Sachen und Merkwürdigkeiten“ besichtigte.14 Es scheint naheliegend, dass sie sich bei diesem Anlass – so wie die Künstlerin dies von anderen Reisen beschreibt – gemeinsam Kunst angesehen haben und das vermutlich nicht zuletzt in dem in der Landeshauptstadt so prominenten Ferdinandeum.

Abb. 2: Angelika Kauffmann, Selbstporträt in Bregenzerwälder Tracht, 1781, 61,4 x 59,2 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ältere kunstgeschichtliche Sammlung, Inv.-Nr. Gem 301. Foto: Tiroler Landesmuseen

Die große Wertschätzung und das Vertrauen von Seiten des Ferdinandeums in die Malerin wird auch durch ein bisher unbeachtetes Empfehlungsschreiben vom 29. April 1864 zum Ausdruck gebracht, welches für die Künstlerin vom Vorstand des Museums, Johann von Ebner, für die Bewerbung für ein staatliches Stipendium verfasst wurde. In diesem betonte er, dass das Selbstporträt der Großnichte des Malers Josef Anton Koch für „würdig befunden wurde, angekauft und in seine [des Ferdinandeums] Kunstsammlung aufgenommen zu werden“.15 Darüber hinaus sprach er sich für eine finanzielle Förderung der Künstlerin aus. Die Unterstützung in Form des Schreibens ist umso erstaunlicher, als bei den bis zum Jahr 1829 vom Museum offiziell vergebenen Künstlerstipendien Frauen noch keine Berücksichtigung gefunden hatten.16 Wie aus dem Zeugnis hervorgeht, dürfte das hohe Ansehen ihres Großonkels Koch – dessen Witwe und Söhne durch die Vermittlung des Ferdinandeums ab 1840 selbst eine jährliche kaiserliche Pension von 400 Gulden erhielten17 und dem 1861 eine Ausstellung in dem Museum gewidmet war – sich sehr positiv auf ihre Beziehungen zum Haus ausgewirkt haben.18 Bereits wenige Jahre später, 1868, wurden zwei Werke der nun verheirateten Stainer-Knittel, „Wetterspitze im Lechthal“ und ein Genrebild für kurze Zeit im Ferdinandeum gezeigt.19 Laut Katalog der Gemälde-Sammlung waren 1886 im Ferdinandeum Stainer-Knittels Selbstporträt und das Genrebild „Großmutter mit Enkelkindern spielend“ ausgestellt.20 Letzteres war 1877 nach dem Tod Falgers im Zuge seines Legates in die Sammlung gekommen.21 1891 wurde Stainer-Knittel schließlich ihre erste Einzelausstellung in der Rotunde im Ferdinandeum ausgerichtet.22 Bereits im Vorfeld waren die hier ausgestellten Blumenbilder bei einer Veranstaltung der Alpenvereins-Section Innsbruck im unweit des Museums gelegenen Hotel Grauer Bär zusammen mit bspw. Fotografien des Ortlers von Heinrich Kühn präsentiert und zur Betrachtung herumgereicht worden.23 Die letzte Ausstellung zu Lebzeiten im Ferdinandeum fand schließlich anlässlich des 70. Geburtstages der Künstlerin im Jahr 1911 erneut im Rundsaal statt. Dabei stand wieder ihre Blumenmalerei im Zentrum.24 Die soeben skizzierten institutionellen Rahmenbedingungen und die Förderung von Seiten des Ferdinandeums erleichterten es Stainer-Knittel, in Innsbruck als Malerin Fuß zu fassen.

Anna Stainer-Knittels OEuvre reicht von Porträts, der Landschafts- und Genre- bis hin zur Blumenmalerei und botanischen Pflanzenstudien. Außerdem umfasst es zahlreiche kleine Objekte aus Porzellan und Alabaster, welche die Künstlerin für den Verkauf in dem Souvenirgeschäft ihres Mannes bemalte, sowie Fächer, Pfeifen und Postkarten.25 Der Großteil des Werks befindet sich allerdings in Privatbesitz und ist unveröffentlicht. Es kann daher noch nicht in seiner Gesamtheit betrachtet werden. Die verschiedenen Sammlungsbereiche des Ferdinandeums zeigen jedoch beispielhaft die unterschiedlichen Facetten ihrer künstlerischen Tätigkeit: In der Älteren kunstgeschichtlichen Sammlung befinden sich neben dem „Selbstporträt in Lechtalertracht“ (Abb. 1) das Porträt ihres Lehrers Johann Anton Falger (Abb. 3), das durch Schenkung der Erben – nach Stainer-Knittels Tod am 28. Februar 1915 – ins Museum kam, das Porträt der Anna Murr mit Alpenblumenstrauß (Abb. 4) und das Bild „Großmutter mit Enkelkindern spielend“.26 Darüber hinaus werden heute noch ein Blumenbild27 und zwei Souvenirgegenstände, eine Schale28 und ein Teller (Abb. 5) verwahrt. Die auf Letzterem angeordneten Alpenblumen können ganz ähnlich auf einer Postkarte der Künstlerin beobachtet werden, die im Verlag ihres Sohnes Leo Stainer anlässlich des Blumentages in Innsbruck vom 16. Mai 1912 veröffentlicht wurde und zum Bestand der Bibliothek gehört (Abb. 6). Diese besitzt außerdem eine Josef Anton Koch darstellende Lithografie der jungen Künstlerin von 1860.29 Die Grafische Sammlung wiederum besitzt zwei kleine Gouachen mit botanischen Blumenstudien, die gerade das nahezu wissenschaftliche Interesse zu verdeutlichen vermögen, das die Künstlerin mit der von ihr seit der Mitte der 1870er-Jahre praktizierten Blumenmalerei verband.30

Abb. 3: Anna Stainer-Knittel, Porträt Johann Anton Falger, 1863, 79,8 x 63,5 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ältere kunstgeschichtliche Sammlung, Inv.-Nr. Gem 1131. Foto: Tiroler Landesmuseen

Abb. 4: Anna Stainer-Knittel, Porträt Anna Murr, 1888, 69,8 x 55,0 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ältere kunstgeschichtliche Sammlung, Inv.-Nr. Gem 1275. Foto: Tiroler Landesmuseen

Sie war auf Anraten ihres Mannes zu dieser übergegangen, da sich ihre Porträts durch die zunehmende Beliebtheit der Fotografie immer schlechter verkauften.31

Abb. 5: Anna Stainer-Knittel, Teller mit Almblumenstrauß, o. J., Dm. 21,1 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Ältere kunstgeschichtliche Sammlung, Inv.-Nr. K 1131. Foto: Tiroler Landesmuseen

Abb. 6: Anna Stainer-Knittel, Postkarte anlässlich des Innsbrucker Blumentages, 16. Mai 1912, 13,8 x 8,8 cm, Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Bibliothek, W 42924. Foto: Tiroler Landesmuseen

Wenn wir nun exemplarisch ihre Porträtmalerei betrachten, ist zu erkennen, dass Stainer-Knittel sich über die Jahre ihres Wirkens neue Gattungen wie die Landschafts- und Blumenmalerei großteils autodidaktisch aneignete und infolge sicher umsetzte. Vergleichen wir ihr Selbstporträt (Abb. 1) mit dem Bild Falgers (Abb. 3), zeigt sich eine Weiterentwicklung, die in einem einschneidenden Ereignis begründet ist: Anna Knittel nahm 1863 in ihrer Heimat bereits zum zweiten Mal ein Adlernest aus, da sich keine Männer fanden, die sich dies zugetraut hätten.32

Ludwig Steub veröffentlichte 1863 erstmals die Geschichte auf Basis ihrer Erzählung zusammen mit einer Illustration ihres Förderers Mathias Schmid.33 Knittel sah sich zu einer Gegendarstellung gezwungen: „Die betreffende Zeitung (die Leipziger Illustrierte wars) wurde mir zugeschickt und da sah ich mich denn schrecklich verunstaltet mit dem Hintern gegen den Beschauer gekehrt, vorgestellt. Ich hatte einen herzlichen Zorn [...]. – Denn als die Illustration von Schmid so ungeschickt aufgefasst war, murrte ich in einemfort. Warum hat ers nicht so gemacht, mit dem Gesicht gegen den Beschauer, setzte mich hin und zeichnete es wie ich es meinte, dass mans hätte besser machen sollen.“34

Für das „Selbstporträt im Adlerhorst“ (Abb. 7) fuhr die junge Künstlerin zum Naturstudium ins Lechtal und arbeitete sich im Austausch mit dem Landschaftsmaler Edmund von Wörndle selbstständig in die Landschaftsmalerei ein. In ihrem Gemälde wartet sie mit einer überzeugenden, detaillierten wie markanten Darstellung der Felswand, dem Sachsergwänd, sowie der atemberaubenden Kulisse der Lechtaler Alpen mit dem einprägsamen Seekogel, einem blauen Himmel und dunklen Quellwolken auf. Im Unterschied zu ihrer Darstellung bei Schmid zeigt die Künstlerin sich von vorne und in dem Moment, in dem sie das Adlerjunge ergreift, während die Adlermutter in Begriff ist, sich auf sie herabzustürzen. Zusammen mit ihrem Vater setzte sie den plastisch gearbeiteten Rahmen mit dem geschnitzten Adler um, der die Dramatik der Malerei im Dreidimensionalen verschärft. Knittels selbstbewusster Gegenentwurf zur Schmidschen Illustration wird zu einer Art künstlerischem Manifest. Es steht für die Loslösung von ihrem Förderer Schmid, ein gleichsam emanzipatorischer Akt.35 Die beim Adlerbild hinsichtlich der Landschaftsdarstellung neu gewonnenen Erfahrungen griff Knittel sogleich in dem Porträt von Falger (Abb. 3) auf. Auch bei dem Bild des mit detailliert wiedergegebenen Gesichtszügen Dargestellten öffnet sich im Hintergrund der Blick ins Lechtal mit seinem markanten Gebirge.

Abb. 7: Anna Stainer-Knittel, Selbstporträt im Adlerhorst, 1864, 165 x 215 cm mit Rahmen, Originalrahmen nach dem Entwurf der Künstlerin, Privatbesitz. Foto: Privatbesitz

Abb. 8: Präsentation des „Selbstporträts in Lechtaler Tracht“ von Anna Stainer-Knittel im TIROL PANORAMA mit Kaiserjägermuseum, Innsbruck. Foto: Tiroler Landesmuseen

Auf die Besonderheit der Porträtdarstellungen von Anna Stainer-Knittel wies 2007 erstmals Sybille-Karin Moser-Ernst hin: „Als Porträtmalerin, die ein Gesicht wie eine Landschaft las und eine Landschaft wie ein Gesicht, wurde sie bis heute unterschätzt.“36 Damit benannte sie gleichzeitig einen kritischen Aspekt in der Rezeption der Künstlerin, der auch auf weitere Bereiche ihres Werkes zutrifft. So ist die Malerin heute, wenn überhaupt, als romantisierte Figur der „Geier-Wally“ bekannt und nicht für ihre Kunst. Diese Rezeption thematisiert auch die Präsentation des „Selbstporträts in Lechtaler Tracht“ im TIROL PANORAMA mit Kaiserjägermuseum (Abb. 8). 2011 wählte das Stuttgarter Architekturbüro HG Merz Anna Stainer-Knittels Gemälde für die Dauerausstellung „Schauplatz Tirol“ aus und ordnete es gemeinsam mit Ausstellungsstücken aus den unterschiedlichsten Sammlungen, bspw. einem präparierten Vogel, an. In der Vitrine dieser zeitgenössischen Kunstund Wunderkammer Tirols dient das Selbstporträt zur Illustration des Mythos der „Geier-Wally“, wodurch eine solche Sichtweise der Künstlerin weitere Bestätigung erfährt. War Anna Stainer-Knittels Werk lange durch das Raster der Kunstgeschichte gefallen, ist es heute jedoch umso entscheidender, wie sie im Museum präsentiert wird.37 Selbst wenn es ausgehend von den USA seit den 1970er-Jahren eine feministische Kunstgeschichte gibt, bleiben Fragen nach der Förderung und dem Ausstellen von Künstlerinnen auch im Jahr 2021 weiter aktuell und gehen mit einer besonderen Verantwortung der Kurator*innen einher.38 Eine Vielzahl von Ausstellungen, die derzeit Künstlerinnen zum Thema haben, zeugen von der anhaltenden Virulenz dieser Fragestellungen und von weiterem Forschungsbedarf.39

Abb. 9: Anna Stainer-Knittel, Früchtestillleben, 1892, 20 x 27 cm, Privatbesitz. Foto: Tiroler Landesmuseen

Im Zuge der Vorbereitungen für den vorliegenden Text konnten mehrere Werke und Objekte von Anna Stainer-Knittel aus Privatbesitz gesichtet und fotografiert werden, die einst ihrem Patenkind Ada Bertagnolli, verheiratete Spörr, gehörten.40 Zu diesen zählen ein Früchtestillleben auf einem Silberteller mit meisterlich gesetzten Glanzpunkten (Abb. 9), das ihre frühe Prägung durch akademische Lehrer an der Vorschule der Akademie in München zeigt, und das Porträt des Patenkindes selbst (Abb. 10).

Die junge Frau steht in einem weißen, hell glänzenden Kleid vor einer beeindruckenden Bergkulisse, einen Blumenstrauß im Arm haltend. Die dunklen Quellwolken am Himmel erinnern an das Adlerbild, in dem die Künstlerin sich selbstbewusst als tatkräftige Frau präsentierte. Das als Geschenk für ihr Patenkind geschaffene Gemälde kombiniert drei Gattungen, die Porträt-, Landschafts- und Blumenmalerei. Vor allem die botanisch präzise Wiedergabe der Alpenblumen des Straußes stellt ein Charakteristikum der Porträts von Stainer-Knittel dar.

Am Beispiel des Bildes von Ada Bertagnolli wird ersichtlich, dass die Malerin kontinuierlich neue Anregungen in ihre Kunst aufnahm und zu neuen Bildideen weiterentwickelte. Wenn wir an ihr „Selbstporträt in Lechtaler Tracht“ (Abb. 1) zurückdenken, scheint es bemerkenswert, welchen Wandel die Künstlerin allein innerhalb ihrer Porträtmalerei vollzogen hat. Weitere Werke aus Privatbesitz zu sichten und einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen, stellt daher eine wichtige Aufgabe für das Museum und ein Desiderat für die unmittelbare Zukunft dar, um einen Beitrag zur Erforschung des vielfältigen Werks von Anna Stainer-Knittel zu leisten.

Abb. 10: Anna Stainer-Knittel, Porträt des Patenkindes Ada Bertagnolli, 1891, 63 x 50 cm, Privatbesitz. Foto: Tiroler Landesmuseen

1 Das Geld wurde Anna Knittel mit einem Brief vom 5. Dezember 1863 zugesandt. Siehe Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Museumsakten, MA Zl. 176/1863. Das originale, im Besitz der Familie befindliche Anschreiben der „Vorstehung des Ferdinandeums“ ist abgedruckt bei Reichart, Helga: Die Geierwally. Leben und Werk der Malerin Anna Stainer-Knittel, Innsbruck 1991, S. 74.

2 Für ihre Unterstützung in der Vorbereitung des vorliegenden Textes danke ich Dr. Nina Stainer, der Urururenkelin von Anna Stainer-Knittel, die bereits mehrere Beiträge zu der Künstlerin veröffentlicht hat. – Siehe Stainer, Nina: Anna Stainer-Knittel. Malerin, Innsbruck 2015. – Zu den Selbstporträts vertiefend siehe Stainer, Nina: Selbstbild und Fremdbild – Anna Stainer-Knittel und die Geier-Wally, in: Meyer, Marion/ Klimburg-Salter, Deborah (Hg.): Visualisierungen von Kult, Wien–Köln–Weimar 2014, S. 191–210.

3 Die Künstlerin beschreibt dies in ihren Lebenserinnerungen: „1863 war’s im Frühjahr und neben der wieder beginnenden Feldarbeit ging ich an mein eigenes Bild zu malen, weil sich eben jetzt niemand fand, der sich malen lassen wollte. Ich suchte mir ein schönes Lechtalerkostüm zusammen, samt Hut und allem, was dazu erforderlich schien.“ Stainer-Knittel, Anna: Aus meinem Leben, unveröffentlichtes Typoskript, Innsbruck 1910, S. 31. Innsbruck, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum (TLMF), Bibliothek, noch in Bearbeitung: ohne Sign.

4 Zur Biografie vertiefend siehe Stainer: Anna (wie Anm. 2) und Stainer, Nina: Anna Stainer-Knittel (1841–1915), phil. Dipl., Universität Wien 2010, Wien 2010, S. 14–19.

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