Zurück zur D-Mark? - Peter Bofinger - E-Book

Zurück zur D-Mark? E-Book

Peter Bofinger

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Beschreibung

Eine Rückkehr zur D-Mark wäre ein Desaster, argumentiert der international renommierte Ökonom und Wirtschaftsweise Peter Bofinger in seiner Streitschrift. Er plädiert für eine grundlegende Reform der Währungsunion und gegen den monetären Nationalismus. Nur der Euro kann den Wohlstand in Deutschland sichern. Und nur gemeinsam sind die Länder Europas in der Lage, sich so gegen die Macht der Märkte durchzusetzen, dass die Arbeitnehmer wieder am wachsenden volkswirtschaftlichen Wohlstand beteiligt werden und ein schuldenfreies Wachstum möglich wird. Der Euro ist nicht das Problem, sondern die Lösung.

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Peter Bofinger

Zurück zur D-Mark?

Deutschland braucht den Euro

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Vorwort Zurück zur D-Mark?I. Globale Perspektive statt Tunnelblick1. Ein Außerirdischer auf der Suche nach der Krise2. Die vier Phasen der Weltwirtschaft und ihre GeschäftsmodellePhase I – »Wohlstand für alle«Phase II – »Finance for all« oder Wachstum durch zunehmende private VerschuldungPhase III – Stark steigende staatliche VerschuldungPhase IV – Säkulare Stagnation oder »Zurück zu Erhard«?3. Die Euro-Krise ist kein SonderfallII. Die chronischen Fehlentwicklungen der Jahre 1999 bis 2009Griechenland – »Florida-Rolf« der Währungsunion?1. Marktversagen – Die Euro-Krise als Teil der globalen Finanzkrise2. Modell Deutschland?3. Verzerrte Sichtweise auf die längerfristigen Ursachen der KriseIII. Die Verschärfung der Krise in den Jahren 2010 bis 20121. Der »Berliner Konsens«Haben die Problemländer zu wenig gespart?Fehlte es an der Bereitschaft zu Strukturreformen?2. Systemische Probleme wurden übersehen»Bond-run« als besondere Herausforderung der WährungsunionDer Härtetest: Konsolidierung ohne flankierende Abwertung3. Das infernalische DreieckDie StaatsschuldenkriseDie makroökonomische Krise oder Brüning lässt grüßenMangelnde Symmetrie der SparmaßnahmenDie BankenkriseIV. Handlungsoptionen zum Erhalt der Währungsunion1. Der kurzfristige Lösungsansatz oder die Überwindung des infernalischen DreiecksProzyklische Politik stoppenKurzfristig kann nur die EZB die Stabilität der Finanzmärkte sichernDie Rolle der EZB bei der Stabilisierung der Banken2. Mittel- und längerfristige LösungenDer Schuldentilgungspakt des SachverständigenratsWeitergehende fiskalische IntegrationEin europäischer FinanzministerBankenunionTransferunion?V. Zwischenlösungen als »Dritter Weg«?1. Grexit?2. EWS II – ein Klub mit Trainingsraum?VI. Zurück zur D-Mark?1. Haben wir vom Euro profitiert?2. Erfahrungen von Ländern mit traditionell starken WährungenJapans deflationäre WeltChinas Transferunion mit den Vereinigten StaatenDie Schweiz, das jüngste Opfer der DevisenmärkteDie Welt der neuen D-Mark wäre keine heile Welt3. ÜbergangsproblemeVII. »United we stand, divided we fall«1. »Weiter so« führt in ein Desaster2. Währungsunion 2.03. Wer soll über die Zukunft bestimmen: Märkte oder Menschen?4. Die Voraussetzungen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum sichernAnhangLiteraturverzeichnis
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Vorwort Zurück zur D-Mark?

In der Diskussion über die Zukunft des Euro haben »Wutbürger« und »Wutökonomen« die Oberhand gewonnen. Gleichermaßen verängstigt, enttäuscht und aufgebracht, sehen sie durch die Währungsunion den Wohlstand und die Ersparnisse in Deutschland bedroht. Die Krise des Euro ist für sie zum einen das Resultat einer grundlegenden Fehlkonstruktion sowie einer unzureichenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und Reformbereitschaft der »Südländer«, zu denen in der Regel auch das im Norden gelegene Irland gerechnet wird. Zum anderen werden dafür »die Politiker« verantwortlich gemacht, die sich ohne Hemmungen über die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts ebenso hinweggesetzt haben wie über die Nichtbeistands-Klausel (No-bail-out-Klausel) des Vertrags von Maastricht, die eine Haftung für Verbindlichkeiten anderer Mitgliedsstaaten ausschließt.

Vor lauter Wut wird dabei völlig übersehen, dass die öffentliche Verschuldung auch in anderen großen Volkswirtschaften der Welt deutlich höher ist als noch vor einem Jahrzehnt und dass die Neuverschuldung des Euro-Raums dabei weitaus geringer ausfällt als etwa in den Vereinigten Staaten, Japan oder Großbritannien. Und so wird vieles als Defekt des Euro angesehen, was in Wirklichkeit die Folge eines gewaltigen Erdbebens ist, das die gesamte Weltwirtschaft mit der globalen Finanzkrise erfasst hat. Noch sehr viel weniger wird das tiefer liegende Problem erkannt, dass die Weltwirtschaft nicht mehr nachhaltig wachsen kann, wenn die Einkommensverteilung immer ungerechter wird. Die hohen Staatsdefizite waren nichts anderes als Substitute für die fehlende Kaufkraft der vom allgemeinen Wirtschaftswachstum abgekoppelten Durchschnitts-Arbeitnehmer.

Aber davor verschließt man in Deutschland gerne die Augen, nicht zuletzt weil man noch immer einer D-Mark-Nostalgie anhängt. Der Euro wird immer noch als Teuro wahrgenommen, obwohl die deutsche Inflationsrate nach 1999 deutlich niedriger war als zu Zeiten der Bundesbank-Autonomie. In den Köpfen vieler Deutscher hat sich die Überzeugung festgesetzt, dass der Euro nur Nachteile gebracht habe (abgesehen von den Erleichterungen bei Auslandsreisen) und dass »wir« die Zahlmeister der Union seien, die zunehmend für die Verfehlungen der »anderen« aufkommen müssten.

Wut, Angst und Enttäuschung sind generell schlechte Ratgeber. Beim Thema Euro hat dieses unselige Dreigestirn inzwischen bei vielen Ökonomen und Politikern zu einer völligen Blockade-Haltung geführt. Ausdruck dieses »bis hierher und nicht weiter« sind die Klagen gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus, die mit der Forderung verbunden werden, keine weitere Aufstockung der Rettungsfazilitäten zuzulassen, sowie die Kritik an den TARGET2-Salden und Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank. In die gleiche Richtung gehen die Appelle, die No-bail-out-Klausel und die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts von nun an strikt einzuhalten. Dass sich gerade Deutschland dabei nicht gerade rühmlich hervorgetan hat, wird von den Kritikern gerne unter den Teppich gekehrt. Zudem werden mit dem Plädoyer für einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone und anderen Vorschlägen für eine partielle Auflösung der Währungsunion schon erste Versuche eines Rückzugs aus dem Euro eingeleitet.

Natürlich ist es völlig legitim, auf die Risiken der Rettungsschirme und weiterer Maßnahmen hinzuweisen und über mögliche Optionen für Griechenland oder andere Krisenländer nachzudenken. Aber man muss sich dabei der Tatsache bewusst sein, dass der Euro derzeit um sein Überleben kämpft. Das System ist in den beiden letzten Jahren so stark destabilisiert worden, dass es derzeit nur mit Rettungsschirmen und den Hilfen der EZB überlebensfähig ist. Wer dazu aufruft, diese intensivmedizinischen Maßnahmen sofort einzustellen, nimmt billigend den Tod des Euro in Kauf. Man kann es daher nur als Ausdruck der Verwirrung ansehen, wenn man das Einstellen der künstlichen Beatmung in der aktuellen Debatte sogar als Rettung und Stärkung des Euro verkaufen kann. Denn es geht längst nicht mehr um die Frage, ob die EZB Anleihen kaufen soll oder nicht. Es geht allein darum, ob wir den Euro so weiterentwickeln, dass er wieder aus eigener Kraft lebensfähig ist, oder aber zurück zur D-Mark wollen.

Für die Zukunft der Währungsunion werden die nächsten Wochen und Monate entscheidend sein. Mit jedem Tag, den die Krise sich unkontrolliert weiterfrisst, nehmen die zentrifugalen ökonomischen und politischen Tendenzen zu, so dass es eines immer größeren Kraftaktes bedürfen wird, die schwierigen Operationen vorzunehmen, die für eine grundlegende Neugestaltung der Währungsunion erforderlich sind.

Ob dies gelingen wird, ist alles andere als sicher. Politiker, die wie Helmut Schmidt, Helmut Kohl oder Gerhard Schröder bereit waren, das aus ihrer Sicht Notwendige zu tun – auch wenn es unpopulär war und wohl wissend, dass sich dies für ihre Wiederwahlchancen nachteilig auswirken würde –, sind heute selten geworden. Vielmehr lassen sie sich von den antieuropäischen Stimmungen in den Medien und der Bevölkerung treiben und tragen so wiederum dazu bei, diese zu verstärken. Und da dann doch immer wieder kurzfristige Rettungsmaßnahmen unvermeidlich sind, steigt die Verdrossenheit über die Politiker, die deutsche Steuergelder scheinbar in Fässern ohne Boden versenken.

Die deutsche Politik muss daher sehr mutig sein, und das wird ihr nur möglich sein, wenn sie sich selbst und der Öffentlichkeit bewusst macht, dass es nicht mehr um einzelne Reparaturmaßnahmen, nicht mehr um eine Abfolge halbherziger Rettungsgipfel, sondern um ein »Alles oder Nichts« geht.

Wir stehen vor der grundsätzlichen Entscheidung, ob wir zurück zur D-Mark wollen oder aber bereit sind, einen großen Schritt in die Richtung einer stärkeren europäischen Integration zu gehen. Der Versuch, den Status quo durch immer neue Rettungsmaßnahmen zu stabilisieren, wird ebenso scheitern wie Zwischenlösungen, die einen zeitweisen Austritt einzelner Länder aus der Währungsunion vorsehen.

In diesem Buch soll zum einen gezeigt werden, dass Europa grundsätzlich unser Vertrauen verdient, auch wenn im vergangenen Jahrzehnt vieles falsch gelaufen ist. Alle Beteiligten, nicht nur Griechenland, sondern auch Deutschland und die Europäische Zentralbank, haben in den Jahren 1999 bis 2007 auf ihre Weise zum Ausbruch der Krise beigetragen. Und natürlich haben die Finanzmärkte in Europa einen ähnlich großen Flurschaden angerichtet wie in den Vereinigten Staaten. Seit 2010 haben sich alle Problemländer tapfer bemüht, ihre Staatshaushalte zu konsolidieren und Strukturreformen in Angriff zu nehmen. Wenn die Erfolge nicht sichtbarer sind, liegt dies nicht zuletzt an dem Wirtschaftseinbruch, der von den rigiden Sparprogrammen ausgelöst wurde. Man kann sich in Griechenland sicher noch größere Anstrengungen vorstellen, aber es kommt auf die Perspektive an. Es ist nicht nur unfair und einseitig, wenn deutsche Politiker die ganzen Bemühungen mit dem Bild des »halbleeren Glases« darstellen, wo man sie durchaus als »halbvolles Glas« präsentieren könnte. Es führt auch zu einem völligen Unverständnis in der Bevölkerung, wenn dieselben Politiker dann kurz darauf zusätzliche Rettungsmaßnahmen für ebendiese Länder beschließen. Vor allem aber sollte man berücksichtigen, dass es heute im aktuellen Krisenumfeld für ein einzelnes Land kaum noch möglich ist, sich gegenüber teils panischen, teils aggressiven Finanzmärkten alleine zu behaupten, wir also alle in der Verantwortung stehen.

Mit dem Euro 2.0 soll ein Lösungsweg aufgezeigt werden, der nach einer temporären Stabilisierung durch die EZB möglichst schnell eine grundlegend neue Architektur der Währungsunion ansteuert. Sie erfordert neben der Säule einer einheitlichen Geldpolitik unter der Verantwortung einer politisch unabhängigen Notenbank eine zweite Säule einer fiskalischen Integration unter der Regie einer demokratisch legitimierten europäischen Institution. Konkret muss der Euro 2.0 durch eine sehr viel direktere Kontrolle über Mitgliedsländer mit einer unsoliden Fiskalpolitik gekennzeichnet sein. Das setzt einen nationalen Souveränitätsverzicht zugunsten eines durch das Europäische Parlament legitimierten »Europäischen Finanzministers« voraus. Im Gegenzug sollte den Mitgliedsländern eine Finanzierung im Rahmen einer Gemeinschaftshaftung eröffnet werden, die sie vor den durch Panikattacken ausgelösten überzogenen Renditeforderungen der Finanzmärkte schützt. Beides zusammen gewährleistet stabile und nachhaltige öffentliche Finanzen im Euro-Raum und bietet damit zugleich den besten Schutz für die deutschen Steuerzahler, Sparer und Rentner vor Regressansprüchen aufgrund einer Garantieübernahme für andere Staaten. Es gibt keinen Zweifel, dass die mit dem Euro 2.0 verbundene Übertragung von nationaler Souveränität auf die europäische Ebene nationale Referenden erforderte. Ob dies in Deutschland positiv für den Euro ausfallen würde, ist alles andere als sicher. Aber es kommt auf die Alternativen an.

Der Schritt in die Richtung einer stärkeren europäischen Integration ist nicht ohne Risiken. Doch dies gilt in noch sehr viel stärkerem Maße für alle anderen Lösungen, die zwangsläufig einen Ausstieg aus der Währungsunion bei voller Fahrt bedeuten würden. Die schlechteste Variante wäre ein weiteres »Durchwursteln«, wie wir es in den letzten dreißig Monaten erlebt haben. Es droht zu einem ökonomischen und politischen Desaster zu führen. Ohne einen Strategiewechsel muss man damit rechnen, dass der Euro-Raum immer tiefer in die Rezession gerät, und dass Banken nur mit immer größeren Haftungsverpflichtungen für Deutschland zu stabilsieren sind. Am Ende wäre der Zusammenbruch des Euro dann doch nicht zu verhindern.

Kaum besser als ein solcher »Schrecken ohne Ende« wäre ein »Ende mit Schrecken«, der in einer gezielten Auflösung der Währungsunion bestünde. Neben den schwer kalkulierbaren Risiken des Übergangs würde sich die deutsche Wirtschaft einer massiven Aufwertung der neuen D-Mark nicht nur gegenüber den anderen europäischen Währungen, sondern auch gegenüber dem US-Dollar, dem Yen und dem Renminbi gegenübersehen. Das Schicksal unserer Wirtschaft läge dann mehr denn je in den Händen der völlig unkalkulierbaren Finanzmärkte. Die Erfahrungen Japans zeigen, wie sehr ein wirtschaftlich hoch leistungsfähiges Land dabei in eine deflationäre Entwicklung und eine extrem hohe Staatsverschuldung geraten kann.

Die Folgen eines Scheiterns der Währungsunion gingen jedoch weit darüber hinaus. Wenn die Weltwirtschaft nach Jahrzehnten eines vor allem durch private und dann öffentliche Verschuldung getriebenen Wachstums wieder zu einem nachhaltigen Entwicklungsmodell zurückfinden soll, müssen die Einkommen weltweit gerechter verteilt werden. Das setzt voraus, dass die Rechte von Arbeitnehmern und die Stellung von Gewerkschaften gestärkt und nicht noch weiter geschwächt werden. Im nationalen Alleingang ist das unter dem Druck des globalen Wettbewerbs heute kaum noch durchsetzbar. Allein die Europäische Union kann hierfür den notwendigen Rahmen bieten, doch er wird nur genutzt werden, wenn sich die Staaten Europas in erster Linie als solidarische Partner und nicht als antagonistische Konkurrenten verstehen. Die große Chance der Euro-Krise besteht darin, dass die Mitgliedsländer gemeinsam die Kraft finden, den Schritt nicht nur zu einer stabileren Währungsunion, sondern auch zu einem sozialeren Europa zu wagen.

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I. Globale Perspektive statt Tunnelblick

1. Ein Außerirdischer auf der Suche nach der Krise

Nehmen wir einmal an, ein Außerirdischer mit einer fundierten Ausbildung als Ökonom würde sich für die wirtschaftliche Situation auf der Erde interessieren. Auf seinem Planeten Stella hat er davon gehört, dass ein großer Währungsraum der Erde in einer tiefen Krise steckt; nun möchte er herausfinden, um welche Währung es sich handelt. Er sucht sich also die wichtigsten gesamtwirtschaftlichen Daten für die sechs großen Währungsräume der Erde zusammen, um sie anschließend zu analysieren: China, die Europäische Währungsunion, das Vereinigte Königreich, Indien, Japan und die Vereinigten Staaten nimmt er gezielt unter die Lupe.

Als guter Volkswirt weiß er, dass das wichtigste Qualitätsmerkmal einer Währung die Inflationsrate ist. Nur so können die Menschen sicher sein, dass ihre Geldersparnisse über die Zeit hinweg ihren Wert behalten. Der Außerirdische kennt auch die volkswirtschaftliche Literatur, in der sich die meisten Geldtheoretiker darüber einig sind, dass eine Inflationsrate von 2 Prozent einen guten Zielwert für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik darstellt. Dass dieser Wert durchaus recht ehrgeizig ist, kann man daran erkennen, dass die in Deutschland hoch respektierte Bundesbank in den Jahren von 1949 bis 1998, in denen sie die geldpolitische Verantwortung für Deutschland innehatte, eine durchschnittliche Inflationsrate von 2,7 Prozent erzielte.[1]

Die Inflationsraten für das Jahr 2012, die der Außerirdische in der Datenbank des Internationalen Währungsfonds findet, fallen für die sechs großen Währungsräume recht unterschiedlich aus. Indien liegt mit einer Inflationsrate von 8,2 Prozent weit vom Ziel der Geldwertstabilität entfernt. In Japan herrscht dagegen im dritten Jahr in Folge eine leichte Deflation, also eine Abweichung von mehr als zwei Prozentpunkten gegenüber der Marke von 2,0. Ganz genau kann den Zielwert keiner der sechs Währungsräume erreichen, mit einer Abweichung von rund einem halben Prozentpunkt schneiden der Euro-Raum, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten jedoch recht gut ab. Als Kandidat für eine Währungskrise würde beim Kriterium Inflationsrate somit vor allem Indien ins Auge fallen.

Dem Ökonomen vom Planeten Stella reichen diese Kennzahlen jedoch noch nicht aus. Er kennt sich schließlich in der Wirtschaftsgeschichte sehr gut aus und weiß deshalb, dass es auch bei einer aktuell niedrigen Inflationsrate zu einer massiven Geldentwertung kommen kann, wenn die Staatsverschuldung zu stark zunimmt. Am Ende kann ein solcher Prozess dazu führen, dass eine Währungsreform erforderlich wird, bei der die Sparer große Teile ihres Vermögens verlieren. Der Stella-Ökonom nimmt daher als Nächstes die Neuverschuldung der Staaten in den sechs Währungsräumen unter die Lupe; dabei hat er im Hinterkopf, dass die europäischen Länder vor längerer Zeit ein Kriterium für die maximal zulässige Neuverschuldung von 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufgestellt haben.

Beim Blick in die Daten für das Jahr 2012 ist der Außerirdische ziemlich schockiert, wie hoch die Defizite in manchen Währungsräumen ausfallen. In Japan beträgt die Neuverschuldung fast 10 Prozent. In Indien, den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich liegt der negative Budgetsaldo bei rund 8 Prozent. Vergleichsweise gut schneidet die Europäische Währungsunion ab, die gerade noch an der 3-Prozent-Grenze liegt. Mit einem Defizit von 1,3 Prozent ist China der Währungsraum mit den solidesten Staatsfinanzen.

Tabelle 1: Makroökonomische Daten wichtiger Währungsräume im Jahr 2012 (in Prozent)

Abweichung der Inflation vom 2%-Ziel

Leistungsbilanzsaldo

Budgetsaldo

Schuldenstandsquote

China

1,3

2,3

–1,3

22,0

Indien

6,2

–3,2

–8,3

67,6

USA

0,3

–3,7

–8,3

108,6

Japan

–2,2

1,6

–9,9

214,1

Euro-Raum

0,4

1,0

–3,0

99,1

UK

0,6

–2,1

–7,7

104,2

Quelle: IWF, World Economic Outlook Database, OECD, Economic Outlook, Statistical Appendix

Unser Außerirdischer setzt nun also neben Indien auch Japan auf die Liste möglicher Kandidaten für eine Währungskrise. Und er würde sich in dieser Entscheidung erst recht bestärkt sehen, wenn er neben dem Haushaltsdefizit auch noch die Höhe der Staatsverschuldung mit in den Blick nähme. Da es für die Beurteilung der öffentlichen Schulden immer auch auf die Wirtschaftsleistung eines Landes ankommt, ist der hierfür geeignete Indikator die Schuldenstandsquote. Sie lässt sich ganz einfach errechnen, indem man den Schuldenstand eines Landes in das Verhältnis zu seinem nominellen Bruttoinlandsprodukt setzt, das ja die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft widerspiegelt. Auch hier haben die Länder der Europäischen Union vor langer Zeit im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts einen Schwellenwert fixiert, der 60 Prozent des BIP eines Landes beträgt. Er wurde 1990 einfach vom Mittelwert der Schuldenstandsquoten der damaligen Mitgliedsländer abgeleitet.

Was dieses Kriterium anbelangt, ist wiederum China das Land, das im Jahr 2012 mit einer Schuldenstandsquote von 22 Prozent die solidesten Staatsfinanzen aufweisen kann. Indien schneidet bei diesem Indikator mit 67,6 Prozent recht passabel ab, der Euro-Raum hingegen liegt knapp unter der 100-Prozent-Schwelle. Mit Werten von 104,2 und 108,6 Prozent folgen das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten. Aber was ist nur mit Japan los? Seine Schuldenstandsquote ist mit 214,1 Prozent mehr als dreimal so hoch wie der Referenzwert des Vertrags von Maastricht. Der Außerirdische würde nun etwas unsicher werden. Indien? Oder doch eher Japan?

Zum Abschluss seiner Analyse wirft er noch einen Blick auf die Leistungsbilanzsalden der sechs Währungsräume. An der Universität von Stella hat er schließlich gelernt, dass diese Größe die Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben einer Volkswirtschaft abbildet, so dass man an einem Leistungsbilanzdefizit erkennen kann, dass eine Volkswirtschaft über ihre Verhältnisse gelebt hat. Für die Stabilität des Finanzsystems eines Währungsraums ist es deshalb gefährlich, wenn es über längere Zeit hinweg zu hohen Defiziten in der Leistungsbilanz kommt. Und auch bei diesem Indikator leuchtet bei Indien ein rotes Licht auf. Im Jahr 2012 wies seine Leistungsbilanz einen Fehlbetrag in Höhe von 3,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung auf. Allerdings wird es dabei von den Vereinigten Staaten noch übertroffen, die auf ein Defizit von 3,7 kommen. Während das Vereinigte Königreich mit 2,1 Prozent ebenfalls noch einen negativen Leistungsbilanzsaldo verzeichnet, können der Euro-Raum (1 Prozent), Japan (1,6 Prozent) und China (2,3 Prozent) jeweils einen Überschuss erzielen. Diese drei Währungsräume leben also nicht über ihre Verhältnisse, sondern darunter, da die Einnahmen aller Akteure (Staat, private Haushalte, Unternehmen) im Jahr 2012 höher sind als deren Ausgaben.

Da auch auf Stella gerne Rankings gemacht werden, erstellt der Außerirdische für alle vier Kriterien eine Rangliste, um so zu einem Gesamturteil über die geld- und fiskalpolitische Stabilität der sechs Währungsräume zu gelangen. Japan schneidet dabei am schlechtesten ab, gefolgt von Indien und den Vereinigten Staaten. Die solideste Volkswirtschaft ist nach diesem Ranking China, den zweiten Platz erreicht der Euro-Raum. Mit einem merklichen Abstand schafft es das Vereinigte Königreich noch auf den dritten Platz.

Tabelle 2: Ranking der Währungsräume bei wichtigen makroökonomischen Indikatoren im Jahr 2012

Inflation

Leistungsbilanzsaldo

Budgetsaldo

Schuldenstandsquote

Summe

China

4

1

1

1

7

Indien

6

5

4

2

17

USA

1

6

4

5

16

Japan

5

2

6

6

19

Euro-Raum

2

3

2

3

10

UK

3

4

3

4

14

Und somit würde unser Außerirdischer zu dem Ergebnis kommen, dass die große Währungskrise, von der er auf seinem Stern gehört hat, entweder eine Yen- oder eine Rupie-Krise sein müsse. Nie und nimmer würde er auf die Idee kommen, dass sich die Krise ausgerechnet im Euro-Raum manifestiert hat.

 

Diese Außenperspektive verdeutlicht vor allem, dass es viel zu kurz gegriffen ist, wenn in der deutschen Debatte die Währungsunion als entscheidende Ursache für die hohe öffentliche Verschuldung verantwortlich gemacht wird. Auch die pauschale Kritik an den Politikern, die einfach nicht verantwortungsvoll mit öffentlichen Geldern umgehen können, ist unangemessen. Der Vergleich mit den anderen großen Währungsräumen lässt vielmehr erkennen, dass es in den letzten Jahren weltweit große Verwerfungen gegeben hat, die auch in Volkswirtschaften mit einer eigenständigen nationalen Währung offensichtlich nur schwer ohne eine höhere staatliche Kreditaufnahme bewältigt werden konnten. Der Euro-Raum als Ganzes ist dabei von diesen Erschütterungen weniger betroffen als andere Währungsräume.

2. Die vier Phasen der Weltwirtschaft und ihre Geschäftsmodelle

Zum Verständnis der globalen krisenhaften Entwicklungen der letzten fünf Jahre ist es notwendig, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Wir wollen dazu die Wirtschaftsgeschichte der letzten sechzig Jahre im Schnelldurchgang Revue passieren lassen und sie dabei vereinfachend in vier große Phasen unterteilen:

Phase I umfasst die ersten Jahrzehnte der Nachkriegszeit. Dieser von größeren Wirtschaftskrisen weitgehend verschonte Zeitraum lässt sich am besten durch Ludwig Erhards Motto »Wohlstand für alle« charakterisieren.

Die sich daran anschließende Phase II