023 - Rona Wörner - E-Book

023 E-Book

Rona Wörner

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Beschreibung

Die Auftragskillerin Niva Valluzzi hat in den letzten beiden Jahren ihre Killerkarriere erfolgreich voran getrieben. René Cantalloube kommt ihr dabei in die Quere und macht ihr ein Angebot, welches sie nicht ablehnen kann. Bei ihrem neuesten Arbeitgeber und ersten Einsatz trifft sie die intergeschlechtliche Agentin Alice Adrien, mit der sie zu ihrem Leidwesen einen Einsatz lösen soll.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

Epilog

Impressum

Prolog

Dr. Dr. Professor Dag Stoltenberg

Mein Gepäck hatte ich bereits eingecheckt und stand nun mit meinem Handgepäck in der Schlange beim Einchecken für meinen Flug. Ein wenig nervös war ich durchaus, doch das war ich bereits seit einiger Zeit. Und jetzt war es wieder Zeit zu verschwinden. Sobald ich die ersten Anzeichen wahrnahm, dass mich wieder jemand entdeckt hatte oder meine Paranoia mit mir durchging, war es Zeit zu verschwinden.

Die Schlange wurde kürzer. Mein Ticket wurde problemlos gescannt, ich legte mein Handgepäck auf das Band und trat in den Ganzkörperscanner. Es piepte, eigentlich hatte ich darauf geachtete Gegenstände zu meiden, die mich in diese Art von Situation brachten. Die Dame der Sicherheit warf mir einen freundlichen Blick zu. »Entschuldigen Sie, ich muss Sie kurz mitnehmen. Eine Routinekontrolle.«

Um die würde ich nicht außen herumkommen, auch wenn ich mir von ganzem Herzen wünschte ich wäre darum herumgekommen. Ich griff nach meinem Handgepäck. »Das können Sie hierlassen. Es dauert nur ein wenige Minuten. Sie kommen gleich wieder und mein Kollege passt in der Zwischenzeit darauf auf.« Der besagte Kollege nickte mir kurz zu. In meinem Handgepäck befand sich eigentlich auch nichts Relevantes. Lediglich ein Sachbuch zur Multiplen Persönlichkeitsstörung. Weiterbildung in sämtlichen Bereichen war mir immer wichtig gewesen. Jedoch hätte ich mich mit meinem Gepäck wohler gefühlt.

»Dann ist es in Ordnung.«, gab ich sicherer von mir, als ich mich fühlte.

Sie begleitete mich in einen Hinterraum. »Setzten Sie sich doch bitte. Mein Kollege kommt sofort.« Sie verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Ich setzte mich an den Tisch auf einen der beiden Stühle.

Eine Uhr gab es nicht. Die Wände waren ausgesprochen kahl. Es gab noch einen hellgrauen hüfthohen Aktenschrank, dessen linke Tür sich scheinbar nicht richtig schließen ließ.

Nach gefühlten fünf Minuten öffnete sich die Tür und ein Herr betrat den Raum. Ich war mir sicher, dass er nicht von der Flughafensicherheit war.

Er drehte sich zu mir um und war definitiv nicht von der Sicherheit. Wir hatten uns unter anderen Umständen bereits getroffen. »Sie können nicht ewig davon rennen.«

Meine Nervosität stieg schlagartig. Mein Telefon befand sich leider in meinem Handgepäck, welches ich wahrscheinlich nie wiedersehen würde.

»Ich möchte Ihren Koffer oder besser gesagt den Inhalt.«

»Also meine Klamotten?«, versuchte ich es ausweichend, wohl wissend von welchen Unterlagen er sprach.

Er stütze sich auf dem weißen Tisch ab. »Erzählen Sie mir keinen Blödsinn, Sie haben immer alles dabei. Nur leider haben Sie Ihren Koffer bereits eingecheckt.«

»So wie jeder normale Reisende.«

»Punkt für Sie.«, stimmte er mir zu, was die Sache nicht unbedingt besser machte. »Aber ich brauche den Inhalt, sonst bekommen nicht nur Sie ein Problem, sondern auch ich. Kooperieren Sie doch einfach und alles wird gut.«

Fast hätte ich gelacht. »Nichts wird gut. Meine Frau und mein Sohn sind wegen meiner Arbeit schon gestorben. Sie haben kein Druckmittel mehr. Es gibt niemanden mehr, der mir etwas bedeuten würde.« Ich hatte noch eine Schwester, doch wir hatten uns das letzte Mal vor zwanzig Jahren gesehen. Unsere Wege hatte sich nach unserem Auszug von Zuhause schnell getrennt und nie wieder gekreuzt. Sie war zu keiner Familienfeier oder Beerdigung aufgetaucht und niemand wusste wo sie war. Manche Verwandte waren sich nicht einmal sicher, ob sie überhaupt noch lebte.

Er knirschte ekelhaft mit den Zähnen. »Ja, da ist mir leider jemand in die Quere gekommen.«

»Sie waren das gar nicht?«, fragte ich und schaffte es nicht meine Überraschung vollständig zu verbergen.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe die Polizei gerufen und mich dann verflüchtigt.«

»Tragisch.«, entgegnete ich sarkastisch. »Aber vielleicht sollte ich mich von den Leuten einfangen lassen, die Ihnen in die Quere gekommen sind. Möglicherweise sind die freundlicher.« Das waren sie sicher nicht. Er schien nicht zu wissen, wer sich hier noch einmischte und insgeheim hoffte ich sie tauchten auf, damit ich mich im Getümmel verdrücken konnte.

»Das glauben Sie? Die haben Ihre Familie umgebracht, dass hätte ich nie getan.«

»Sie könnten mir auch Lügen erzählen und Sie waren es doch.«, entgegnete ich. Ich konnte Zeit gewinnen, doch es würde mir nichts bringen. Mich würde so schnell niemand vermissen. Wenn ich mich in sechs Monaten nicht bei meinen Eltern meldete, würden sie davon ausgehen, dass etwas passiert war. So hatte ich sie informiert. Ob ich in diesen sechs Monaten noch in einem Stück sein würde, war jedoch eine andere Frage.

»Warum sollte ich lügen?«

»Weil Sie den Inhalt meines Koffers haben möchten. Den Inhalt, den Sie suchen, habe ich übrigens nicht dabei.« Es hatte keinen Zweck zu leugnen, dass ich die falsche Person war und nichts wusste. Er wusste genau wer ich war und ich genau wer er war.

»Doch, selbst wenn Ihre Dokumente nicht in Ihrem Koffer sind – was ich herausfinden werde – werden Sie das meiste wissen.«

»Kein Mensch kann sich die Menge an Daten und Forschung merken, außer er ist vielleicht Gedächtnisweltmeister und das bin ich nicht. Ich habe sogar ein ziemlich schlechtes Gedächtnis.« Der letzte Satz war so gut wie gelogen.

»Tja, dann muss ich es wohl aus Ihnen herauskitzeln.«

»Und was genau wollen Sie dann mit dem unvollständigen Wissen? Es ins Regal stellen als Trophäe? Es ans Militär verkaufen?«

Er fuchtelte mit dem Zeigefinger. »Sie sind ganz schön gerissen, dafür dass Sie nicht vor mir weglaufen können.«

»Nein. Das ist eine ernst gemeinte Frage. Rein theoretisch können Sie alles haben und mich auch.« Er wurde hellhörig. »Das Problem ist, dass Sie und die Mörder meiner Familie mich so gejagt haben, dass ich in dem letzten Jahr nicht mal wirklich weiter forschen konnte. Abgesehen davon, gibt es noch keine verwertbaren Forschungsergebnisse. Also, was wollen Sie mit einem riesigen Stapel Papier und einer Idee, für die es noch nicht einmal die passende Technik gibt?«

Er sah mich verständnislos an.

»Mir vielleicht die Zeit und finanziellen Mittel, um weiter zu forschen verschaffen? Das wäre ein Deal, über den wir reden könnten.« Eigentlich wollte ich meine Arbeit nicht in die Hände einer undurchsichtigen Organisation legen. Andererseits war es bisher nicht möglich die Theorie in die Praxis umzusetzen. Nicht einmal ansatzweise. Das würden auch die nicht riskieren. Jedenfalls hoffte ich das.

»Ich dachte Sie wären fertig?«

Ich runzelte die Stirn. »Wer hat Ihnen das erzählt? Das ist Blödsinn. Ich habe noch nicht einmal mit Tierversuchen angefangen, weil es keine Technik gibt. Es ist schlichtweg unmöglich, verstehen Sie? Das, wovon Sie hier reden, gibt es nur auf dem Papier und in meiner Vision, aber es ist nicht real.«

»Noch nicht real.« Ich gestikulierte widerwillig meine Zustimmung. »Tja, leider kann ich nicht über Sie entscheiden, deswegen müssen Sie mitkommen.«

»Ich gehe nirgendwo hin.« Mit verschränkten Armen lehnte ich mich zurück. Zur Tür hinaus tragen konnte er mich nicht, dazu war er trotz meiner Körpergröße körperlich nicht in der Lage.

Er lächelte kühl, versuchte seine Unsicherheit über das von mir Gesagte zu verbergen. »Das macht nichts.« Er ging zur Tür. »Ich bin gleich wieder da.«

Er verschwand zur Tür hinaus und schloss diese ab. Das war definitiv nicht legal. Ich stand auf und umrundete den Tisch während ich eine Hand daraufgelegt hatte. Falls mich überhaupt jemand suchen würde, würde ich hier meine DNA hinterlassen.

Das Schloss knackte und ich ließ mich wieder auf den Stuhl fallen. Der angebliche Sicherheitsmann kam gefolgt von einer anderen Dame. Sie sah aus als würde sie zum Rettungsdienst gehören. Für mich war es völlig offensichtlich, dass sie es nicht war. Schließlich war ich nicht verletzt und sie fragte mich auch nichts.

»Ich habe ja gesagt, es macht nichts, wenn Sie nicht mitgehen wollen.«

»Was ist mit meinem Handgepäck?« Meine Frage blieb im leeren Raum hängen.

Er trat mit einem schnellen Schritt neben mich und schlug mir mit einem Gegenstand auf den Hinterkopf. Für einen kurzen Augenblick hatte ich noch das Gefühl, ich würde Sternchen sehen.

1. Kapitel

Niva Valluzzi

Um 17 Uhr verließ ich die Arztpraxis und fuhr mit der leicht überfüllten U-Bahn in die Stadtmitte. René wollte sich um 17:30 Uhr mit mir treffen. Er hatte mir nicht gesagt worum es gehen würden. Er hatte es sich auch nicht aus der Nase ziehen lassen.

In der U-Bahn ergatterte ich heute keinen Sitzplatz. Ich setzte mir die Kopfhörer auf und genoss die Stille der Musik. Heute litt mein Gehirn mal unter Reizüberflutung. Der Vormittag und Nachmittag waren stressig verlaufen. Wir hatten mehr Patienten in der Praxis als Zeit gehabt.

Morgen hatte ich allerdings frei, da ich inzwischen auf Teilzeit umgestiegen war. Ich wollte mehr Zeit für meine kleinen speziellen Freizeitaktivitäten haben.

Ich stieg einmal um und drängelte mich anschließend zwischen den anderen Berufstätigen die ausgetretenen Treppenstufen hinauf. Als ich an die Oberfläche kam, sah ich René bereits vor dem Eingang des Kunstmuseums auf mich warten. Als er mich sah winkte er mir zu. Vor ihm kam ich zum Stehen, rollte meine Kopfhörer um den MP3-Player und ließ das Bündel in meiner Jackentasche verschwinden.

»Die meisten Leute besitzen heutzutage gar keine MP3-Player mehr.«, begrüßte mich René.

»Du sagtest ich solle mein Handy zuhause lassen und ich mag Musik.«

René lächelte kühl. »Gehen wir.«

»Wohin?«

René hatte sich bereits umgedreht. »Ins Kunstmuseum.«

Ich verdrehte die Augen. »Du weißt, dass mich das nicht interessiert.«

»Ich zahl’ dir auch den Eintritt.« René war bereits einen Schritt gegangen.

»Ja, und?«

Er drehte sich wieder zu mir um und zog seine handgenähten Echtleder Handschuhe aus. Selbstverständlich passten die Handschuhe zu seinem ebenfalls Echtleder Mantel. Dafür, dass es erst September war, war es auch etwas kalt. »Tu mir den Gefallen und du hast zwei bei mir gut.« Er sah mich erwartungsvoll an. Heute war er nicht so humorvoll und ausgelassen wie sonst.

Ich war neugierig, was er wirklich von mir wollte. Denn er hatte inzwischen verstanden, dass ich für solche eintönigen Aktivitäten nicht zu haben war. »Also gut.«

Er ließ sich nicht anmerken, dass er diese Runde für sich entschieden hatte. Ich folgte ihm in das weitläufige und helle Gebäude des Museums. Als wir durch die Tür waren, wurde die Geräuschkulisse von draußen schlagartig pausiert.

René bezahlte den Eintritt für zwei Karten. Seinen Mantel und meinen Rucksack gaben wir an der bescheidenen Garderobe ab. Im Museum war es angenehm still.

»Ich liebe Museen. Sie sind so unpersönlich und gleichzeitig so persönlich.«, schwärmte René und nahm Kurs auf das erste Kunstwerk. Das Bild war garantiert zwei Meter lang und einen Meter breit.

»Aha.«, kommentierte ich seine poetische Aussage.

»Und was siehst du?«, fragte mich René mit einer einladenden Handbewegung.

»Viel orange und grün … ?« Der Bilderrahmen war blau. Das Bild sah ein bisschen aus, als wären jemandem zwei Farbeimer aus der Hand gerutscht und dann ausgelaufen.

»Nein. Ich meine, wie wirkt es auf dich?«

Etwas ratlos zuckte ich mit den Schultern. »Vielleicht ausgesprochen hässlich?« René seufzte. »Du solltest solche Ausflüge mit Aweiku machen. Sie würden ihr sicher gefallen.«

»Hm, vielleicht.«, gab er wenig überzeugt von sich. Ich hatte seine Adoptivtochter schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.

Ich dackelte ihm noch zwei Räume mit mehr oder minder kreativen Kunstwerken hinter her und langweilte mich langsam aber sicher zu Tode. Bei den letzten Kunstwerken hatte René mich nicht mehr zu meiner Meinung gefragt.

Im vierten Raum waren wir schlussendlich allein. René ließ sich auf der aus Holz bestehenden Sitzgelegenheit an der weißen Wand nieder und bedeutete mir ebenfalls Platz zu nehmen.

»Mir geht es heute nicht um die Bilder, ein paar hängen bereits in meiner Wohnung.« Das war zu erwarten gewesen. »Ich möchte mit dir reden, an einem Ort, an dem nicht so viele Leute sind.« Abgesehen von uns, den Kunstwerken und dem grünen Schild zum Notausgang war der Raum leer.

Ich lehnte mich an die Wand. »Was kommt jetzt?«

»Julian Busch.«

Ich zog fragend eine Augenbraue hoch. »Was ist mit ihm? Er ist tot.«

»Das ist er. Der Schuss, der ihn getötet hat, war sehr präzise platziert. Ich habe den Leichnam gesehen.«

»Warum erzählst du mir das?« Mir dämmerte bereits, worauf er hinauswollte. Bis jetzt hatten wir nur nie darüber gesprochen. Ich hatte darauf spekuliert, dies würde auch so bleiben. Ein unausgesprochenes Geheimnis zwischen uns beiden.

»Sein Tod war gute Arbeit, genauso wie die Tatsache, dass der Täter seit einem Jahr immer noch nicht gefunden wurde.« René faltete die Hände. »Aber ich weiß wer es war.«

»Jetzt bin ich aber neugierig.«, bemerkte ich und ließ meine Hände auf den Oberschenkeln liegen. Die ganze Zeit war mein Puls ruhig geblieben. Er hatte sich auch nur sehr leicht erhöht. René war der Wahrheit so unendlich nahe wie nur ein zweiter Mensch in meinem Leben. Nämlich der, der mir den Weg für diese Tätigkeiten geebnet hatte.

Mit den Lippen formte René das Wort »du«. Tatsächlich spielte ich mit dem Gedanken einfach zu gehen oder ihn als wahnsinnig zu betiteln. Beides erschien mir nicht als die Optimal-Option.

Ich lachte. »Das ist unrealistisch.« Doch René lachte leider nicht.

»Du weißt, dass ich jeder Zeit zur Polizei gehen könnte.«

»Es gibt keine Beweise.«, entgegnete ich wie aus der Pistole geschossen.

»Aber vielleicht könnten sie dir welche zuordnen, wenn sie deine DNA erst einmal haben.« Da hatte er leider recht und ich wollte es nicht riskieren.

Die Tatsache, dass es völlig irrelevant war, was ich nun sagte, da alles ein Geständnis sein würde, jagte mein Puls doch noch ein kleines bisschen höher. Andererseits genoss ich die Gefahr.

Ich entschied mich dafür in die Offensive zu gehen. »Was willst du?«

René musterte mich von oben bis unten. Dreißig Sekunden Schweigen vergingen. »Ich dachte damals, mein letztes Stündlein hat geschlagen.« Das kaufte ich ihm nicht ab. Er war viel zu gefasst gewesen.

Ich lächelte zynisch. »Wirklich Schade, dass es das nicht hat. Aber was nicht ist, dass kann noch werden.«

René beugte sich auf seinem Hocker nach vorne und massierte sich die Schläfen. »Hör zu.«

»Ich bin ganz Ohr.« Mein Puls war inzwischen wieder auf seinem normalen Level angekommen. Das war entscheidend, um aus dieser Situation herauszukommen.

»Ich weiß, dass ich mit meinem Wissen eine Gefahr für dich darstelle und mir ist auch klar, dass ich dir nicht besonders viel bedeute. Eigentlich bin ich überrascht, dass ich noch lebe.«

»René, komm zum Punkt.«, unterbrach ich ihn.

Ein kleines Lächeln huschte über sein Gesicht. »Wir rede über deine zweifelhafte Karriere und du bist so ruhig, als hätte ich dich nach dem Wetter gefragt. Deswegen finde ich dich so sympathisch. Dich kann man durch nichts aus der Ruhe bringen und du behältst in jeder Lebenslage einen kühlen Kopf.«

Als ich ihn erneut unterbrechen wollte, brachte er mich durch das Heben seiner Hand dazu meinen Mund wieder zu schließen. »Um deine Frage zu beantworten, ich möchte nichts von dir, mache dir aber ein unverbindliches Angebot.«

»Okay?«

René stützte sein Kinn auf seine gefalteten Hände und wirkte dabei höchst konzentriert. »Sagen wir, ich habe ein paar Kontakte unter anderem zu einer etwas speziellen Abteilung der Polizei, die suchen jemanden wie dich.«

Ich verdrehte die Augen. »Die Polizei. Natürlich. Und ich bin gesetzestreu.«

René ignorierte mein Einwand. »Da kannst du deine Karriere legal weiterführen. Du bekommst eine Ausbildung, um noch besser zu werden. Du könntest deren beste Agentin werden.«

Ich stand auf und beugte mich zu ihm herunter und sagte leise zu ihm: »Du liegst mit deiner Vermutung, dass du mir nicht viel bedeutest, richtig. Ich würde dich ohne mit der Wimper zu zucken töten.« Ich richtete mich auf.

»Ich kann dir auch ein Treffen mit einem Agenten arrangieren.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Danke.«

Als ich gehen wollte zog René mich am Handgelenk zu sich zurück. »Sieh' dir die Stelle wenigstens an. Bitte.«

Ich entriss ihm mein Handgelenk. »Warum sollte ich? Ich bin nicht Aweiku. Ich brauche keine Hilfe. Außerdem könnte es eine Falle sein. Eventuell mit Fiona? Solltest du mich zu einem Geständnis bringen? Sitzt sie draußen und hört zu?«

Nun stand René ebenfalls auf. »Ich will dir nicht helfen. Es ist ein Angebot, von dem ich überzeugt bin, dass es zu dir passt. Du wärst ideal bei dem Spez-«

Ich legte mir einen Zeigefinger auf die Lippen. »Psst. Ich habe Nein gesagt. Ich bleibe auch bei Nein.«

René sah verärgert und enttäuscht aus, er war trotzdem klug genug jetzt keinen Wutausbruch zu bekommen. »Das Angebot wird trotzdem weiter bestehen bleiben.«

Ohne noch etwas zu sagen, drehte ich mich um und hatte zur Hälfte den Raum durchquerte als René meinen Namen rief. Ich blieb stehen und drehte mich langsam zu ihm um. »Was hättest du getan, wenn es eine Falle gewesen wäre?«, wollte er noch wissen.

Aus meiner linken Hand formte ich eine Pistole, hielt sie mir an den Kopf und tat, als würde ich abdrücken. Ohne seine Reaktion abzuwarten drehte ich mich wieder um und verließ den Raum.

2. Kapitel

023, Alice Adrien de Quenet

Die Situation war etwas kritisch. Im Augenblick hatte ich kein Ersatzmagazin mehr und würde so schnell nicht mehr an ein neues kommen. Ich war bereit auch aus dem Fenster zu springen, um mir selbst das Leben zu retten. Manchmal erforderte das eigene Überlegen extreme Maßnahmen. Stattdessen saß ich in einem Art Lagerraum hinter einem Stapel Metallkisten, die entweder mit Geld oder Drogen gefüllt waren und eigentlich hätte ich genau das für meinen Vorgesetzten herausfinden sollen. In der momentanen Situation spielte das jedoch keine Rolle für mich.

Zusätzlich war ich mir noch nicht einmal sicher wohin sich mein Kollege abgesetzt hatte, seine Alleingänge gingen zwar erstaunlich häufig gut aus. Aber ich war mir sicher, heute würde er das nicht tun.

Jemand schoss von der anderen Seite des Raumes mit einem Sturmgewehr an mir vorbei, kurz überlegte ich den Kopf rauszustrecken, da ich ihn jedoch noch eine ganze Weile behalten wollte, entschied ich mich dagegen. Noch hatte ich ein ganzes Magazin, das waren fünfzehn Schuss. Wenn sie mir jedoch den Kopf wegpusteten, würde mir auch das nicht mehr viel bringen.

Im Nahkampf würde ich etwas anrichten können, jedoch musste ich dazu erst auf die andere Seite des Raumes und im Augenblick würde ich als durchlöcherte Leiche dort ankommen. Sie hätten auch zu mir kommen können, doch dass dieser Fall eintreten würde, glaubte ich nicht. Ich warf noch einen Blick zu der geöffneten Tür schräg gegenüber an der grauen Betonwand, noch war dort niemand hereingekommen und ich hoffte sehnsüchtig darauf, dass mein Kollege von dort auftauchte. Vielleicht würde ich die Tür auch zur Flucht nutzen. Ich konnte den Flur dahinter ein Stück weit einsehen.

In der Wand schlug ein weiteres Projektil ein. »Ist Ihnen die Munition ausgegangen?«, rief der Typ von der anderen Seite.

»Nein, ich hasse es nur daneben zu schießen!«

Er lachte und es schlug noch ein Projektil ein. Ich ging nicht davon aus, dass er alleine war. Ihren Killer hatten sie das letzte Mal schon auf mich angesetzt und ich hatte ihn aus dem Fenster geworfen. Seinen Verletzungen war er im Krankenhaus erlegen. Anschließend hatte ich von meinem Vorgesetzten eine Standpauke bekommen, dass ich erst die Fragen stellen sollte, bevor ich schoss oder eben jemandem auf dem fünften Stock aus einem Fenster beförderte.

»Wir haben hier jemanden. Kommen Sie jetzt raus? Sonst töten wir Ihren Kollegen.«

Ich verdrehte hinter meinem Stapel Metallkisten die Augen. Er hatte es verdient alleine erwischt zu werden, wären wir ein Team gewesen wie es eigentlich vorgesehen war, wären wir schon längst wieder zur Tür hinaus gewesen. Zumindest laut meiner Berechnung. Er hatte sicher etwas anderes kalkuliert, nämlich nicht, dass die ihn als Druckmittel gegen mich einsetzen würden.

»Ich weiß noch nicht. Was ist die Gegenleistung? Mein Leben?«, rief ich zurück und war bereit aufzustehen.

»Wir hätten da vorher aber noch ein paar Fragen.«

»Ja, sicher. Kann ich mir vorstellen.«

Ich stand kurz auf, sah die beiden Personen neben meinem Kollegen. Einer hielt das besagte Sturmgewehr in der Hand und die andere hielt meinem Kollegen eine Pistole an den Kopf, die Hände hatten sie ihm wohl hinter dem Rücken zusammengebunden. In der Ausbildung wurde man nicht ernsthaft darüber aufgeklärt wie man sich zu verhalten hatte, wenn zwei feuerbereite Schusswaffen auf einen gerichtet waren. Er hatte sehr wahrscheinlich keine Chance mehr das Gebäude lebend zu verlassen, soweit ich das in der Sekunde hatte sehen und beurteilen können war er einmal von einem Schuss in die Schulter getroffen worden. Ich jedoch würde vielleicht noch mein Leben retten können.

»Wir meinen es ernst.«, verlieh die Dame ihrer Drohung Ausdruck.

»Das ist mir bewusst.« Einmal atmete ich tief ein und wieder aus. Der nächste Schuss musste sitzen. »Tut mir leid.«

»Was-«

In der nächsten Sekunde erhob ich mich, visierte ich meinen Kollegen an und schoss ihm in den Kopf. Ich vergewisserte mich mit einem ausgesprochen kurzen Blick, dass ich auch getroffen hatte. Anschließend drehte ich mich um und sprintete zu der Tür. Der Herr mit dem Sturmgewehr eröffnete noch das Feuer auf mich, war jedoch etwas zu spät. Ich war schon um die Ecke geschossen.

Das Gebäude verließ ich auf dem gleichen Weg wie wir es zusammen betreten hatten, steckte vor der Tür die Waffe unter meine Jacke und rannte noch die Straße bis zum Ende. Ich wusste das sich eine Straße weiter eine Straßenbahnhaltestelle befand. In unseren Wagen würde ich nicht mehr einsteigen, wer wusste schon, ob er nicht in die Luft fliegen würde. Autobomben waren zwar nicht immer die gängigen Methoden, um jemanden loszuwerden, aber nur weil sie gerade nicht in Mode waren, würde ich nicht darauf wetten, dass sie nicht doch jemand einsetzte.

Da unser Ausflug sowieso nur als Tagesausflug geplant war, hatte ich kein ernsthaftes Gepäck dabeigehabt und für das Flugzeug waren die Flugtickets nicht unbedingt von Bedeutung. Mein Ausweis reichte innerhalb von Europa für eine Passagierbeförderung aus. Ich konnte es kaum erwarten nach Hause zu kommen und außer Reichweite der Leute in dem Gebäude.

Drei Stunden später war ich bereits seit zwanzig Stunden wach und stand bei meinem Vorgesetzten im Büro. Das ich meinen Kollegen erschossen hatte, hatte ich ihm bereits lange vor meiner Ankunft mitgeteilt. Der Peilsender eines Agenten unter der Haut behielt den Puls im Auge und sobald dieser ausfiel wurde im Normalfall ein zweites Team geschickt. Damit dieser Fall nicht eintrat, hatte ich die Zentrale über sein Ableben informiert.

»Ich halte nicht so viel von sozialverträglichem Frühableben, aber die Buchhaltung hat sicher auch nichts dagegen sich die siebentausend Euro Pension pro Monat zu sparen.«, kommentierte mein Vorgesetzter. Mein Kollege wäre in sechs Monaten in Rente gegangen. »Wir sind ganz schön teuer.«

»So ist es. Aber der Preis ist gerechtfertigt.«

Seine Augenbrauen zuckten zustimmend. »Haben Sie mir irgendwelche Informationen mitgebracht? Irgendetwas das Ihre Kollegen für die weitere Ermittlung gebrauchen können?«

»Ich weiß es nicht.« Aus meiner Jackentasche entnahm ich ein Notizbuch, das ich vor Ort entwendet hatte, bevor ich mich in der ungünstigen Situation hinter den Metallkisten wiedergefunden hatte. »Es sieht aus wie ein Tagebuch, jedoch hatte ich nicht besonders viel Zeit hineinzusehen.« Im Flugzeug hatte ich keinen Blick hineinwerfen wollen. Ich reichte ihm das Notizbuch.

»Vielen Dank, ich werde es weitergeben. Hiermit ist Ihr Auftrag erledigt. Außerdem brauchen Sie einen neuen Duopartner. Bis ich meine Entscheidung gefällt habe, wen Sie bekommen, schicke ich Sie sieben Tage oder länger in Zwangsurlaub.«

»Solange?«, hakte ich nach.

»Sie sind ein fähiger Agent. Ich möchte gründlich sein, Sie sollten jemand passenderen wie Ihren letzten Kollegen bekommen. Sie wollten doch in die höchste Geheimhaltungsstufe befördert werden, oder nicht?«

»Selbstverständlich.« Nur ein mittelklassiger Agent zu sein hatte mir noch nie getaugt. Mein Zwillingsbruder ging jedoch noch einen Schritt weiter und beäugte den Sessel meines Vorgesetzten. Dafür würde er sich noch ziemlich ins Zeug legen müssen. Ich war mir sicher, dass er es in den nächsten zehn Jahren schaffen konnte.

Offiziell gab es drei Stufen: Die Auszubildenden, die fertig ausgebildeten Agenten für den Innen- und Außendienst und die Agenten oder auch Experten für den aktiven Innen- und Außendienst. Diese Stufe wurde von den Wenigsten erreicht, jedoch besondere Aufträge, eine höhere Geheimhaltungsstufe beinhaltete und eine erhöhte Chance auf den Null-Posten bot. Die ersten zwei Stufen hatte ich nach dreizehn Jahren durchlaufen und nun wollte ich die letzte um jeden Preis schaffen.

In der Hierarchie selbst war noch eine vierte Stufe entstanden. Agenten, die gerade die Ausbildung abgeschlossen hatten und weniger als drei Jahre Diensterfahrung hatten wurden liebevoll Kanonenfutter genannt.

»Ihr zukünftiger Kollege oder Ihre zukünftige Kollegin sollte Sie also exzellent ergänzen und Sie ihn oder sie, sonst wird das nicht möglich sein. Ich muss mir auch überlegen, wer in den nächsten zwei oder drei Jahren noch befördert werden kann. Der Kreis ist klein, dass wissen Sie.«

»Das ist mir bewusst.«

»Sollte die von mir ausgewählte Person nicht zu Ihnen passen oder nicht meine Vorstellung für die mögliche Beförderung erfüllen, werde ich sie auswechseln, egal wie gut Sie beide in der Zeit als Team funktioniert haben. Ich kann Sie auch ohne Partner befördern, dass möchte ich jedoch nicht. Sie helfen mir einzeln nicht weiter.«, fügte Null, mein Vorgesetzter, noch hinzu. Ich nickte als Antwort. Die formellen Regeln waren mir bekannt. Es war möglich alleine befördert zu werden, ohne Partner sollte man aber keine Aufträge ausführen, das hieß jedoch nicht, dass es nicht auch vorkam. »Sie dürfen gehen, ich melde mich bei Ihnen und vergessen Sie Ihren Bericht bitte nicht.«

»Bekommen Sie bis Morgen.« Ich verabschiedete mich noch und machte mich aus dem Staub. Mein Zwilling befand sich momentan nicht im Haus, sondern trieb sich irgendwo in Europa herum. Ich beschloss ihn nicht bei der Arbeit zu stören und begab mich nach Hause.

Zuhause empfing mich eine meiner drei Katzen schnurrend an der Wohnungstür. Ich hob sie hoch und drückte sie leicht. Wenn ich nicht Zuhause war kümmerte sich mein Haushälter mit viel Liebe um meine Katzen und um meinen Haushalt, um den allerdings auch wenn ich Zuhause war. Häufig hatte er die Wohnung jedoch für sich alleine und durfte sie auch nutzen.

Mit der Katze auf dem Arm streifte ich die Turnschuhe im Flur ab und begab mich in die Küche. Die Küche und das Wohnzimmer befanden sich in einem Raum. Zwischen der elegant modernen Küchenzeile und der Couch mit dem Fernseher befand sich noch ein Esstisch. Die Tischplatte aus Glas befand sich in einem weißen Rahmen. Pascal hatte mir dazu zu meinem fünfundzwanzig vier weiße Designerstühle geschenkt. Hinter der Couch, von der aus man einen wunderschönen Blick durch das Panoramafenster über die Stadt hatte, stand neben dem Fenster mein Schreibtisch, der ebenfalls aus einer Glasplatte bestand.

In der Küche stelle ich meine Katze namens Cornflakes auf der Küchentheke ab und füllte den Wasserkocher. Während das Wasser erhitzt wurde, wurde ich noch meine Jacke los und legte die Schusswaffe in die Küchenschublade zu den scharfen Messern. In meinem Beruf war es unpraktisch Waffen in einen Schrank zu sperren. Ein Mörder würde nicht darauf warten, bis ich den Schlüssel für den Schrank gefunden hatte.

Es dauerte einen Moment bis ich mich bei meine zwölf Teesorten für eine entschieden hatte. Heute stand mir der Sinn nach Früchtetee.

Mit der Tasse Tee und Cornflakes ließ ich mich an meinem Schreibtisch im Wohnzimmer an dem Panoramafenster nieder. Um meinen Bericht zu schreiben fuhr ich meinen Computer hoch.

Vom Kratzbaum hinter der Couch sprang Katze Nummer zwei und gesellte sich zu uns. Währen dem Tippen musste ich sie ein paar Mal daran hindern sich auf meiner Tastatur niederzulassen.

3. Kapitel

Niva Valluzzi

Vier Tage nachdem ich mit René dem Kunstmuseum einen Besuch abgestattet hatte klingelte er mich um sechs Uhr morgens aus dem Bett. Besonders angetan war ich davon nicht, da ich nur zwei Stunden geschlafen hatte.

»Du musst einen sehr guten Grund haben mich jetzt zu wecken.«

»Eigentlich dachte ich du bist schon wach.«, bemerkte René und fuhr unbeirrt fort: »Wir müssen unser Gespräch fortsetzten. Ich war im Museum noch nicht fertig. In einer Stunde bist du an der Rennstrecke, ich warte und wenn du nicht auftauchst, wird Fiona ebenfalls auf dich warten.«

Bevor ich noch etwas sagen konnte hatte er bereits aufgelegt. Das war ein ungewöhnliches Verhalten seinerseits. Bisher hatte ich ihn immer sehr zuvorkommend, verständnisvoll und rücksichtsvoll erlebt, jedoch war das alles auf seine Adoptivtochter bezogen. Zu mir war er stets höflich und freundlich, aber kühl gewesen. Wir hatten auch nicht besonders viel gemeinsam.

Gähnend starte ich noch ein paar Sekunden aus dem Fenster. Meinen Fehler, dass René wusste was ich getan hatte, hatte mich nun eingeholt und ich würde ihn ausbügeln müssen. Im Notfall würde ich René eben umbringen müssen. Ein nachträglicher Kollateralschaden. Selbstverständlich musste er so sterben, dass niemand Verdacht schöpfte und alle davon ausgingen, dass es sich um einen Unfall oder einen natürlichen Tod handelte.

Ich warf mir irgendetwas aus meinem Kleiderschrank über, flocht meinen Pferdeschwanz zu einem Zopf und warf noch einen Blick in den Kühlschrank. Meinem Magen stand der Sinn allerdings noch nicht nach Nahrung.

Wenn Fiona von der ganzen Sache Wind bekam, hatte ich noch ein weiteres Problem. Sie durfte nichts erfahren. Einerseits, weil wir befreundet waren und andererseits konnte ich eine Ermittlung gegen mich wirklich nicht gebrauchen.

Nach einem zweiten Blick in den Kühlschrank entschied ich mich für einen Marmeladentoast und stattete anschließend dem Badezimmer noch einen Besuch ab. Bevor ich meine Wohnung verließ entnahm ich aus meinem Kleiderschrank noch meine Schusswaffe. Sicher war sicher. Ich hatte nur eine bedingte Ahnung was er von mir wollte, da er bereits im Museum von einem Berufsangebot gesprochen hatte. Jedoch war mir klar, dass es sich hierbei nicht um einen Auftrag handelte. Dafür hätte er mich einfach fragen können. Wobei es nicht ratsam war Menschen in seinem eigenen Umfeld zu töten, auf diese Art gelangte man bei der Polizei sofort unter die Tatverdächtigen.

Mit dem Auto betrug die Fahrt zu der von René genannten Rennstrecke ungefähr eine halbe Stunde. Um kurz vor sieben bog ich auf dem mit Kies ausgelegten Parkplatz ein. Ein Herr, auf dessen Jacke das Logo von Renés Unternehmen prangte wartete bereits. Ich stieg aus und schloss meinen Wagen ab.

»Guten Morgen. Herr Cantalloube erwartet Sie bereits auf der Rennstrecke. Fahren Sie schon lange Motorrad?«, erkundigte sich der Herr und verschaffte uns mit seiner Karte Zugang zum Gebäude.

»Seit ein paar Jahren.«, log ich. Tatsächlich war ich nur ein einziges Mal bei meinem Vater mitgefahren, der meiner Mutter zuliebe jedoch damit aufgehört hatte. Sie war der Ansicht gewesen, Motorrad fahren wäre ein viel zu gefährliches Hobby.

»Sie müssen sich keine Sorgen machen. Es ist völlig normal am Anfang nervös zu sein. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Ihnen Fehler unterlaufen. Es geht Herr Cantalloube nur darum, ob Sie genügend Talent für unser Team haben.«

Ich bezweifelte stark, dass René mich tatsächlich auf ein Motorrad setzen wollte. »Es ist definitiv ein aufregender Tag heute.«

»Wir würden uns wirklich freuen Sie in unserem Team begrüßen zu dürfen, wir suchen schon eine ganze Weile einen zweiten Fahrer oder eine Fahrerin.« Er klang begeistert von der Idee zwei Frauen als Fahrerinnen zu haben. »Bitte hier durch die Tür.«

Wir standen in der Garage. René stand in Motorradhose und -stiefeln zwischen zwei Motorrädern. Sicherlich war seine Adoptivtochter bereits auf einem davongefahren, wenn nicht sogar auf beiden.

»Bitte holen Sie der Dame noch die passende Ausrüstung.«, bat René seinen Mitarbeiter.

»Ich werde mich nicht da draufsetzten, ich bin nicht lebensmüde.«, gab ich von mir, als die Tür sich hinter dem Mitarbeiter geschlossen hatte.

»Ich fürchte du wirst dich nicht drücken können, die sind alle nur für dich angetanzt.« Er kam auf mich zu. »Und einmal die Arme auseinander.« Ich kam seiner Aufforderung nach und er tastete mich einmal ab. Zu meinem Unmut förderte er meine Waffe zu Tage. »Hab ich es mir doch gedacht.«

Renés Mitarbeiter stieß mit der Tür zusammen bevor er sie scheinbar mit dem Ellenbogen öffnete und René stecke schnell meine Waffe hinten in seinen Gürtel.

»Vielen Dank.« Der Mitarbeiter legte die Ausrüstung auf der Bank ab und sah René erwartungsvoll an. »Es wird noch dauern, ich möchte erst einmal mit ihr selbst fahren. Sie können gehen.«

»Wann sollen wir bereit sein?«

»In einer Stunde.«, antwortete René und der Mitarbeiter verließ den Raum. »Das ist nicht gerade die Umkleide, aber bitte, ich drehe mich auch um.«

Ich begab mich zu der Bank und begann die Turnschuhe auszuziehen. »Und warum bin ich wirklich hier? Wohl kaum, um deine zweite Fahrerin zu werden. Ich kann nicht einmal Motorrad fahren.« Eigentlich wollte ich mich nicht einmal auf die Maschine setzten. Als ich mich umsah hatte René sich tatsächlich umgedreht. »Was ist mit meiner Waffe?«

»Die bekommst du wieder, wenn wir fertig sind. Ich habe keine Lust von dir erschossen zu werden. Mir ist bewusst, wie gefährlich du sein kannst. Und warum du hier bist, besprechen wir auf der Rennstrecke. Ich möchte partout vermeiden, dass jemand lauschen könnte.«

Das war mir auf jeden Fall sympathisch. Mit der Hoffnung am Ende des Tages wieder in einem Stück das Gelände zu verlassen streifte ich mir die ausgezeichnet gepolsterte Motorradjacke über. »Und versuche nicht mich irgendwie hereinzulegen, ich erscheine vielleicht völlig harmlos, aber bin es nicht. So wie in deinem Fall eben auch.«

Tatsächlich hatte ich vor mir anzuhören was er mir zu sagen hatte. »Ich bin fertig.«, seufzte ich und René drehte sich wieder zu mir.

»Sehr schön.« Er reichte mir einen Helm, legte meine Waffe in einem Regal hinter einen Werkzeugkasten und öffnete das Garagentor. Anschließend schob er eine der Maschinen hinaus und setzte sich ebenfalls einen Helm auf. Er winkte mich zu ihm. »Ich fahre, nachher wirst du fahren.«

»Um Gotteswillen.« Nachdem sich René auf die Maschine geschwungen hatte, setzte ich mich hinten drauf. »Und du bist dir sicher, dass du weißt was du tust?« Zwar hatte ich keine Angst, jedoch hatte ich definitiv Respekt vor diesen Fahrzeugen und wie man damit mit den Knien am Asphalt kratzen konnte.

René lachte. »Ich bin ein bestens ausgebildeter Fahrer. Zu den Regeln, halte dich fest, tue das was ich tue und wenn wir stürzen, lässt du los und versuchst viel Abstand zwischen mich und die Maschine zu bringen. Verstanden?«

Bevor ich das Visier herunter klappte antwortete ich: »Verstanden. Wenn ich mir heute einen Knochen breche bist du definitiv tot.«

»Das ist mir bewusst.« Lachend schloss er sein Visier.

René startete das Motorrad und fuhr langsam in die Mitte der Rennstrecke, kaum waren wir dort, gab er so viel Gas, dass es mich fast abkippte. Um das zu verhindern schlang ich meine Arme um seine Taille.

In der ersten Kurve rechnete ich damit, dass René etwas runter bremsen würde, doch er dachte scheinbar nicht einmal daran und legte sich in die Kurve. Der Asphalt kam mir entgegen und ich dachte schon wir würden sofort auf dem Boden kleben, doch das Motorrad richtete sich wieder auf und René steuerte uns in die nächste Kurve. Irgendwo dazwischen schien er auch kurz zu bremsen. Viel bekam ich davon nicht mit.

Nach drei weiteren Kurven fuhren wir auf eine gerade Strecke und René bremste sehr schnell runter. Irgendwann stellte er beide Füße auf die Straße und klappte sein Visier hoch. Ich tat es ihm gleich.

»Bitte einmal absteigen.«

»Oh ja. Sehr gerne.«, antwortete ich und stieg ein klein wenig erleichtert ab. Es war nicht so schlimm wie befürchtet, aber Spaß fand ich daran auch keinen.

»So schlimm?«, lachte René und stieg ebenfalls ab.

»Nein, aber ich kann mir definitiv spaßigere Freizeitaktivitäten vorstellen.«

»Jedem das seine. Zu dem Grund, warum wir wirklich hier sind.« René zog seine Handschuhe und seinen Helm aus und legte alles auf dem Motorrad ab.

»Ja, das Gespräch im Museum.«

»Genau. Mein Angebot an dich. Du wirst es annehmen und dir die Stelle ansehen.«

»Warum sollte ich?«, hakte ich nach.

Er schmunzelte. »Ich habe genügend Beweise, dass du Julian getötet hast. Mit meinen Kontakten sitzt du innerhalb der nächsten zwölf Stunden in Untersuchungshaft. Bist du dir sicher, dass du das möchtest? Von dem Gerichtsverfahren rede ich noch nicht einmal. Aber uns ist beiden klar, dass du das nicht gewinnen wirst.«

Jetzt wurde die Sache wirklich heikel. »Welche Beweise? Das du im Krankenhaus erkannt hast, dass ich das war? Woran eigentlich?« Am Rand der Rennstrecke befand sich keine Menschenseele, es stand nur noch die Frage im Raum, ob dieser Teil der Strecke Videoüberwacht war. Vermutlich schon. Ich dachte an die vier Reisepässe mit gefälschten Identitäten, die sich bei meinem Polizeikontakt im Wohnzimmerschrank befanden.

»Nein. Es war nicht schwer an deine DNA zu kommen und sie wurde an ein paar Tatorten gefunden. Die Polizei weiß noch nichts davon, sie muss auch nichts davon erfahren.«

Theoretisch hatte ich jeden Tag darauf gewartet, dass genau ein solches Szenario eintreten würde, dass jemand mehr wusste als er sollte. Ich hatte Vorbereitungen getroffen, ich besaß genügend unterschiedliche Identitäten und in zwei Ländern jeweils eine Wohngelegenheit, die selbstverständlich nicht auf mich registriert waren. Aber irgendwie war ich trotzdem nicht darauf vorbereitet gewesen. Ich war immer darauf vorbereitet bei einem meiner Aufträge ums Leben zu kommen, aber nicht dabei enttarnt zu werden. Wahrscheinlich, weil ich in den letzten Jahren immer besser geworden war. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Sogar zweimal hintereinander und in die gleiche Person hineingerannt.

»Was willst du?«

René legte den Kopf schief. »Ich muss dir wirklich drohen, um dich nur dazu zu bewegen, mein Angebot anzusehen?«

»Du sagtest, es geht um eine Abteilung der Polizei und gleichzeitig willst du mich bei der Polizei verraten. Das macht keinen Sinn.«, gab ich vor mir.

»Es macht sehr wohl Sinn.« Er machte eine kurze Pause und musterte mich eindringlich, er veränderte seine Körperhaltung, als würde er davon ausgehen, dass ich ihn angreifen würde. »Das Spezialeinsatzkommando der Europäischen Union ist ein Geheimdienst. Sie suchen immer Leute mit deinen Fähigkeiten.«

»Und woher willst du das bitte wissen?«, zischte ich und tat es ihm gleich. Nicht, um ihn anzugreifen, dass wäre eine emotionale Reaktion gewesen, sondern falls er den ersten Schritt wagte.

»Das bleibt zwischen uns, sonst bist du mein Kollateralschaden.« Ich lachte. »Ich bin Agent in Rente. Also falls du daran denken solltest mich hier und jetzt zu töten, behalte einfach im Hinterkopf, dass es auch schlecht für dich ausgehen könnte. Ich kenne deine Fähigkeiten, aber du nicht meine. Außerdem zögere ich genauso wenig wie du einen Abzug zudrücken und es spielt dabei keine Rolle, dass wir uns kennen.« Das war leider nicht mehr zum Lachen und ausgesprochen ungünstig. Um es mit den richtigen Worten auszudrücken: Verdammte Scheiße.

René ließ die Schultern wieder sinken. »Sieh es dir wenigstens an, wenn die dich nicht nehmen ist mein Angebot vom Tisch und ich gehe nicht zur Polizei.«

»Sondern? Wir liefern uns einen epischen Zweikampf und verbluten am Ende beide wie in einem Actionfilm?«

»Ich bin der Agent, du würdest sterben.«

»Gutes Argument.«, räumte ich mit einem Leichenhallenlächeln ein. »Also wenn ich hingehe, hältst du dich aus allem weiteren raus?«

»Nicht ganz. Wenn sie dich nehmen musst du bleiben. Wenn ich dich aufräumen kann, wäre mir das lieber, als wenn du lustig weiter in der Weltgeschichte Leute umbringst. Verstehe mich nicht falsch, ich kann deine Berufswahl nachvollziehen und habe Respekt für deine Arbeit und Fähigkeiten. So etwas kann nicht jeder, aber es wäre mir wesentlich wohler, wenn du das ganze unter dem Schild Agent machen würdest. Du könntest auf die Art ohne Angst erwischt zu werden weiter deiner Tätigkeit nachgehen. Wenn du es nicht siehst, werde ich dich zu deinem Glück zwingen.«

»Es war nie mein Ziel im Leben glücklich zu werden. Glück wird vollkommen überbewertet.«, korrigierte ich ihn.

»Mein Fehler, daran hätte ich denken müssen.«, entgegnete René sarkastisch. »Dann zwinge ich dich eben zu einer sichereren Berufswahl, bei der es wesentlich schwieriger ist für den Rest deines Lebens hinter Gittern zu laden.«

»Dann werde ich dein unverbindliches Angebot wohl annehmen müssen, eine Wahl habe ich schließlich nicht.« Wie ich aus der Situation wieder herauskommen würde, würde ich mir später überlegen können. Wenn ich in Untersuchungshaft saß, würde diese Überlegung sehr viel schwieriger werden. Ich würde keinem Richter des deutschen Rechtssystem verkaufen können, dass ich unschuldig oder nicht zurechnungsfähig war und das bezog sich nur auf die deutschen Aufträge.

»Ich gratuliere. Eine ausgezeichnete Wahl.« René hatte die Sache intelligenter eingefädelt als mir lieb war. »Gut, und jetzt fährst du.«

»Ich kann nicht Motorrad fahren.«

»Ich weiß und rauf mit dir.« René setzte seinen Helm auf, ich hatte meinen nicht einmal ausgezogen. Ich setzte mich auf den Fahrersitz und kam gut mit beiden Füßen zum Boden. René nahm hinten Platz, wahrscheinlich war das nicht die beste Situation um fahren zu lernen. »Und jetzt einmal den Zündschlüssel drehen.«

»Haha. Sehr witzig.«

René erklärte mir noch wie ich mit der Kupplung umging und wie ich schaltete. Anschließend krochen wir die ersten Meter. Das Gleichgewicht zu halten war eigentlich kein Problem. Da die Strecke gerade war konnte ich langsam hochschalten.

Wesentlich langsamer als René gefahren wäre kamen wir wieder an der Garage an und ich kam langsam zum Stehen.

»Das war doch gar nicht so übel.«, bemerkte René als er abgestiegen war und den Helm ausgezogen hatte.

Ich stieg ebenfalls ab, hatte aber nicht den Überblick wie ich das Motorrad auf den Ständer stellte und es fiel um. »Ups.«

»Egal, lass es liegen. Das räumt schon jemand auf.« René betrat die Garage und ich folgte ihm. »Noch etwas anderes, der zweite Grund warum du heute kommen solltest und ich wollte das du einmal fährst. Ich suche einen Nachfolger für meine Firma, für den Fall, dass ich aus irgendeinem Grund bald ins Gras beiße.« Er erwähnte nicht, dass ich der Grund dafür sein konnte. »Dabei habe ich an dich gedacht, du bist die nächste Person. Ava ist momentan noch zu jung, auf lange Sicht möchte ich, dass sie die Firma übernimmt. Ich erlaube dir auch, dass du dein Geld bei mir waschen darfst. Was sagst du dazu?«

Ich starrte ihn verständnislos an und schwieg. Erst drohte er mir und jetzt fragte er mich, ob ich seine Firma nach seinem Tod leiten wollte? René hatte definitiv nicht gelogen als er sagte, er wäre Agent, kein normaler Mensch würde einen solchen Sprung an einem Tag wagen.

»Oh. Ich hätte nie gedacht dich einmal sprachlos zu erleben.«, witzelte René.

»Ich hatte nicht gedacht, dass du mir das Vertrauen dafür entgegen bringst.«

»Ich vertraue dir nicht.«

Die Tür öffnete sich und zwei Mitarbeiter betraten die Garage. »Ist alles in Ordnung? Sie standen ganz schön lange auf der Strecke.«

»Ja, ich schätze alles in Ordnung. Wir haben uns nur über meine Firma unterhalten. Valluzzi bringen Sie mich nach Hause?«, antwortete René. Also war die Strecke doch überwacht gewesen.

»Ja, natürlich.« Ich folgte ihm zur Tür.

»Und unsere Probefahrt?«, erkundigte sich der Herr von vorhin verwirrt.

»Sagen Sie ab, ich bin nicht überzeugt von ihr als angemessene Teamergänzung.«

4. Kapitel

023, Alice Adrien de Quenet

Als ich beim Frühstück mit meiner Teetasse an dem Panoramafenster im Wohnzimmer stand lachte mir die Sonne entgegen. Der Frühling machte einen vielversprechenden Eindruck, vielleicht würde ich später noch trainieren gehen.

»Guten Morgen.«, platzte mein Zwillingsbruder Pascal mit meiner Katze Schokolade auf dem Arm ins Wohnzimmer. Er hatte einen Schlüssel zu meiner Wohnung, so wie ich einen für seine Wohnung hatte.

---ENDE DER LESEPROBE---