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Der 10te Münsteraner Workshop diskutiert, wie im Informatikunterricht der Einbezug von Schüler*innen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gelingen kann. In der Oberstufe ist der Umgang mit Heterogenität alltäglich, da Informatikunterricht zu unterschiedlichen Zeitpunkten an einer Schule starten kann. Zu weiteren Diversitätsaspekten, die Informatikunterricht beeinflussen können, gehören: Interessen, Gender, Begabung, Kultur und Sprache und soziale Herkunft. Der hohe Stellenwert digitaler Werkzeuge im Informatikunterricht kann Inklusion erschweren, aber auch eine Chance für eine gleichberechtigte Teilnahme darstellen.
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Seitenzahl: 168
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Wie rasch die Zeit vergeht! Im Jahr 2005 wurde der erste Münsteraner Workshop zur Schulinformatik initiiert. Nun feiert der MWS sein 10jähriges Jubiläum und greift mit dem Titel „Inklusion mit Informatik“ ein neues altes Thema auf. Diversität hat den Informatikunterricht schon immer geprägt; denn einerseits ist Informatikunterricht im Schulkanon recht unterschiedlich etabliert und anderseits sind gerade im Bereich der Informatik Talent und Interesse in der Schülerschaft sehr heterogen. Inklusion geht aber weit über diesen Aspekt hinaus und stellt hohe Anforderungen an die allgemeinbildenden Schulen. Die Beitragenden des diesjährigen MWS nähern sich dem Thema aus verschiedenen Richtungen.
André Hilbig (Bergische Universität Wuppertal) untersucht NRW- Bildungsdokumente zur Informatik nach Barrieren und formuliert Aufgaben für die Didaktik-Forschung zur Umsetzung von Inklusion. Nataša Grgurina (Universität Groningen, NL) gibt einen Einblick in das neue Informatik-Curriculum der Niederlande, das Informatikunterricht für alle beschreibt.
Mehrere Arbeiten beschäftigen sich mit Fragen der Gestaltung von Informatikunterricht für heterogene Lerngruppen. Gia Minh Vo, Marco Kindervater und Meeri-Liisa Beste (Universität Hildesheim) stellen selbstdifferenzierende Aufgaben für den Anfangsunterricht vor. Kerstin Strecker (Universität Göttingen) diskutiert die Möglichkeit der Binnendifferenzierung durch Variation von Aufgabenstellungen und erläutert, wie man unterschiedliche Zugangswege zum Maschinellen Lernen gestalten kann. Der Beitrag von Fatma Batur, Torsten Brinda, Tobias Schroedler und Jan Strobl (Universität Duisburg-Essen) befasst sich mit der Sprachbildung im Informatikunterricht. Michael Weigend (Universität Münster) rückt leichte Programmieraufgaben, die ein größeres Publikum einschließen können, in den Fokus. Kensuke Akao und Johannes Fischer (TU Dortmund) berichten von der praktischen Erprobung einer Unterrichtseinheit mit haptischem Lernmaterial für sehbehinderte Kinder.
Ein wichtiger Gesichtspunkt ist die Vorbereitung auf inklusiven Informatikunterricht in der Lehrerbildung. Konrad Dornebusch, David Baberowski und Nadine Bergner (TU Dresden) gehen der Frage nach, wie informatische Inhalte als Brücke zwischen Inklusion und Digitalisierung in das Lehramts Studium einfließen können und stellen ein Praxisbeispiel vor. Matthias Ehlenz, Birte Heinemann, Ulrik Schroeder (RWTH Aaachen) stellen das didaktische Konzept eines Praktikums zu Heterogenität und Inklusion für Informatik- und Elektrotechnik-Lehramtsstudiengänge vor.
Wir danken allen Autorinnen und Autoren für Ihre Beiträge und wünschen einen ertragreichen Workshop.
Münster, im Juni 2022
Marco Thomas und Michael Weigend
Susanne Dirks
Inklusion im Informatikunterricht
Kensuke Akao, Johannes Fischer
Code-Puzzle für inklusiven Informatikunterricht - Alle Kinder lernen mit der für Förderschul en entwickelten Idee interaktiv!
André Hilbig
Diversität im Informatikunterricht als Gestaltungsaufgabe der Fachdidaktik
Konrad Dornebusch, David Baberowski, Nadine Bergner
Informatische Grundkompetenzen als Voraussetzung digitaler Inklusion - IT4all ein Praxisbeispiel für Lehramtsstudierende
Nataša Grgurina
Digital Literacy in K-12 Curriculum - the Dutch Case
Matthias Ehlenz, Birte Heinemann, Ulrik Schroeder
Heterogenität und Inklusion in der fachbezogenen Lehramtsausbildung - Reflexion & Praktische Erfahrungen aus fünf Iterationen eines Praktikums
Kerstin Strecker
Beispiele zur Binnendifferenzierung in heterogenen Lerngruppen durch Variation der Aufgabenstellung
Michael Weigend
Leichte Aufgaben in Programmierkursen
Gia Minh Vo, Marco Kindervater, Meeri-Liisa Beste
Selbstdifferenzierende Aufgaben im Informatikunterricht – Zu Umsetzungsoptionen und Potenzial in der frühen Programmierung
Kerstin Strecker
Virtuell-enaktives Erkunden von Verfahren des maschinellen Lernens
Fatma Batur, Torsten Brinda, Tobias Schroedler, Jan Strobl
Wie kann Sprachbildung im Informatikunterricht gelingen? - Die Herausforderungen von Sprache im Fach Informatik
- Eingeladener Vortrag -
Susanne Dirks 1
Abstract: Der Anteil von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an den Regelschulen ist in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen. Den Unterricht und insbesondere den Informatikunterricht auf gelingende Weise inklusiv zu gestalten, ist eine große Herausforderung für die Lehrenden. In diesem Beitrag werden einige der wichtigsten Faktoren für das Gelingen des inklusiven Informatikunterrichts skizziert.
Keywords: Inklusion, Sonderpädagogischer Förderbedarf, Barrierefreiheit, Assistive Technologien.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Schulpolitik in Deutschland verstärkt für die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulen eingesetzt. Im Bericht der Kultusministerkonferenz über die Sonderpädagogische Förderung in Schulen von 2009 bis 2018 [KMK20] konnte ein relativer Anstieg des Anteils von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die Regelschulen besuchen, nachgewiesen werden. Trotz der im europäischen Vergleich geringen Fortschritte gibt es zunehmend mehr Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Arten von Beeinträchtigungen, die Regelschulen besuchen. Die Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Regelschulen führt zu einer weiteren Heterogenisierung der ohnehin schon sehr heterogenen Schülerpopulationen [Bö13]. Insbesondere im Informatikunterricht kommen Schülerinnen und Schüler mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen und Erwartungen zusammen [Ca19]. Ein erfolgreicher Unterricht ist daher stark von den Fähigkeiten, dem Wissensstand und den didaktischen Konzepten der Lehrenden abhängig. Im Folgenden werden einige der wichtigsten Gelingensfaktoren für den inklusiven Informatikunterricht skizziert.
Um den Informatikunterricht in den Regelschulen inklusiv und gewinnbringend 1 gestalten zu können, sind drei Aspekte besonders relevant: 1. Einstellungen, 2. strukturelle Bedingungen und 3. technische Voraussetzungen. Für viele Lehrende ist der inklusive Unterricht mit Verunsicherungen und zusätzlichen zeitlichen und inhaltlichen Belastungen verbunden [Am11]. Damit Inklusion gelingen kann, sind neben der Verbesserung der Ausbildung von Regelschullehrkräften im Bereich der Sonderpädagogik eine gute Vernetzung und praxisbezogene Zusammenarbeit der Informatiklehrenden notwendig. Die Möglichkeit kleinere, auf die Interessen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler abgestimmte Lerngruppen zu bilden, reduziert die didaktischen Herausforderungen für die Lehrenden und ermöglicht eine zielgruppengerechte Auswahl von Lerninhalten und die Anwendung von passenden didaktischen Methoden. Der Einsatz von assistiven Technologien zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischen Förderbedarf ist eine weitere Methode Inklusion und gemeinsames Lernen zu fördern. Im Informatikunterricht können diese Technologien nicht nur zur Unterstützung eingesetzt werden, sondern auch zu Lerninhalten werden. Alternative Eingabesysteme, wie z.B. eine Einhand-Tastatur, Fußschalter oder gyroskopische Mäuse sind interessante Beispiele für hardwarebasierte Unterstützungstechnologien. Softwarebasierte Unterstützungstechnologien, wie z.B. Sprachsteuerungen können als Praxisbeispiele für den Einsatz von KI genutzt werden. Kenntnisse über verfügbare assistive Technologien sollten idealerweise im Studium oder alternativ über Fortbildungen erworben werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich bei der Auswahl von Programmierumgebungen und anderen Technologien, die im Informatikunterricht eingesetzt werden. Viele dieser Systeme sind nicht barrierefrei und können von Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen nicht oder nur eingeschränkt genutzt werden. Für die Bewertung der Barrierefreiheit von digitalen Technologien sind Vorkenntnisse relevant, die leider immer noch nicht zum Curriculum der Informatikausbildung an deutschen Universitäten gehören. Hier können der kollegiale Austausch und Fortbildungen zur digitalen Barrierefreiheit weiterhelfen.
Diese hier genannten Faktoren zeigen exemplarisch, dass inklusiver Informatikunterricht grundsätzlich gelingen kann, wenn Lehrende und Lernende die Vorteile der Inklusion verstehen und durch eine Verbesserung der pädagogischen und technischen Ausbildung und der strukturellen Bedingungen in der Umsetzung unterstützt werden.
[Am11]
Amrhein, B.: Inklusion in der Sekundarstufe - Eine empirische Analyse, Klinkhardt, Bad Heilbrunn, 2011.
[Böl3]
Böing, U.: Schritte inklusiver Schulentwicklung, Edition Bentheim, Würzburg, 2013.
[Ca19]
Capovilla, D.: Informatische Bildung und inklusive Pädagogik. Informatik für alle, 2019.
[KMK20]
KMK 2020: Sonderpädagogische Förderung in Schulen 2009 bis 2018. Berlin
1 TU Dortmund, Rehabilitationstechnologie, Emil-Figge-Str. 50, 44227 Dortmund, [email protected], https://orcid.org/0000-0003-1055-5379
Alle Kinder lernen mit der für Förderschulen entwickelten Idee interaktiv!
Kensuke Akao,2 Johannes Fischer13
Abstract: Deutschland verpflichtet sich zur Implementation der Inklusion an Schulbildungen. Damit inklusiver Unterricht auch im Bereich Schulinformatik erfolgreich umgesetzt wird, ist die Weiterentwicklung der für Inklusion geeigneten Ideen nötig. Dennoch mangelt es sowohl Lehrkräften in Regelschulen als auch Forschenden im Bereich Didaktik der Informatik (DDI) oft an sonderpädagogischem Wissen. Deshalb suchen wir einen möglichen Weiterentwicklungsprozess zur Inklusion, der unabhängig von ihrem sonderpädagogischen Wissen ist, basierend auf die für Förderschulen statt Regelschulen entwickelten Unterrichtsvorhaben. Das Code-Puzzle wurde mit diesem Ansatz entwickelt. Dessen Potenzial wurde von blinden Sachverständigen sowie in der Schulpraxis untersucht. Ein besonderes Ergebnis war, dass das Code-Puzzle die Kinder beim Lernen sehr motiviert
Keywords: Informatikunterricht; Inklusion; Codierung; adaptives Hilfsmittel
Die aktuelle UN-Politik fordert in der Convention on the Rights of Persons with Disabilities (CRPD) sowie den Sustainable Development Goals (SDGs) weltweit den Bildungsbereich zur Umsetzung der Inklusion auf. Seitdem steigt zwar die Umsetzungsquote schulischer Inklusion in Deutschland, aber diese Quote ist in der Sekundarstufe im Vergleich zur Grundschule deutlich niedriger [K115]. Außerdem wissen wir aufgrund unserer vorangegangenen Forschungsergebnisse, dass es oft an Hilfsmitteln für den inklusiven Informatikunterricht mangelt [AF20]. Wir gehen daher die Weiterentwicklung inklusiver Schulbildung an, indem wir adaptive Hilfsmittel in die Schulpraxis bringen.
Unser Ansatz ist, dass die für Förderschulen entwickelten Ideen für den Unterricht in der Regelschule mit Inklusion Anwendung finden. Eine von uns weiterentwickelte Idee ist das Code-Puzzle, bei dem die Kinder Teile des Barcodes wie ein Puzzle legen und dabei elementare Konzepte der Codierungstheorie kennenlernen. Dieser Beitrag stellt das Konzept des Code-Puzzles mit seinem Entwicklungsprozess vor. Anschließend folgt das Evaluationsergebnis.
In CRPD § 24 wird der Ansatz angemessene Vorkehrung4 als Strategie für die Bereitstellung der Unterstützung zur schulischen Inklusion vorgestellt. Dabei ist der Einsatz von Assistiver Technologie (AT) ein wichtiger Faktor zur Anpassung des Unterrichts für Kinder mit Behinderungen. ATen „werden definiert als für den persönlichen Gebrauch entwickelte technische Hilfsmittel. Sie sollen die physischen, sensorischen oder kognitiven Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung dahingehend stärken, dass die Betroffenen in unterschiedlichen Umgebungen mehr Unabhängigkeit gewinnen und ihre behinderungsspezifischen Eigenarten in den Hintergrund rücken“ [CG16]. In DIN EN ISO9999:2017-03 werden „Hilfsmittel für Bildung und Training von Fähigkeiten/Fertigkeiten“ auch als AT klassifiziert. Diese AT werden für die eignen Behinderungen von Kindern persönlich und spezifisch ausgelegt oder angepasst [Ro05]. Beim Unterricht werden AT für den Einsatz von PC z. B. wie Screen Reader oder Braillezeile für Kinder mit Sehschädigung angewendet [CG16].
Das Universal Design5 ist ein weiterer in der CRPD genannter Ansatz für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen. Zur Anpassung eines Unterrichts für möglichst alle Menschen gibt es auch im Bildungsbereich die Anwendung der Universal-Design-Idee als Universal Design for Learning (UDL) [Ro01]. Dabei definiert UDL Guideline von CAST die drei Prinzipien „multiple Möglichkeiten der Förderung von Lernengagement“, „multiple Mittel der Repräsentation von Informationen“ und „multiple Mittel für die Informationsverarbeitung und die Darstellung von Lernergebnissen“ zur Umsetzung des UDL [CA18].
Schulische Inklusion kann also dadurch umgesetzt werden, dass die Barrieren für die Inklusionskinder zuerst mithilfe des UDL so weit wie möglich beseitigt werden. Die nicht beseitigten Barrieren werden dann durch angemessene Vorkehrung weiter an den Förderbedarf angepasst. Aus diesem Grund müssen die Lehrkräfte an ihren bisher umgesetzten Unterrichtsvorhaben gegebenenfalls sonderpädagogische Änderungen vornehmen, um Kinder mit Behinderungen zu betreuen. Dabei sind umfangreiche Ideen zum inklusiven Informatikunterricht nötig, insbesondere Hilfsmittel.
Es gibt einige aktive Inklusionsprojekte. Beispielweise ermöglicht der TurtleCoder die Umsetzung des blockorientierten Programmierens mit Turtle-Grafik für verschiedene Förderbedarfe in der Inklusion[SS20]. Jedoch wurde diese Idee von sonderpädagogischen Sachverständigen der Erziehungswissenschaft mithilfe der Unterstützung von Hilfsorganisationen entwickelt. Problematisch ist, dass es kaum DDI-Forschende mit sonderpädagogischem Wissen an deutschen Hochschulen gibt, außerdem arbeiten fast die Hälfte der Informatiklehrkräfte an Regelschulen in NRW noch ohne erworbene Kenntnisse zur Inklusion [AF21, AF20]. In diesem Zusammenhang bezweifeln wir, dass solche Forschende oder Lehrkräfte eine erfolgreiche Maßnahme wie die Entwickler von TurtleCoder leisten können, obwohl ein Förderbedarf durch einen Informatikunterricht festgestellt werden kann. Deshalb dürfte es sowohl in der Schulpraxis als auch in der DDI-Forschung äußerst schwierig werden, zielführende Ideen für die praktische Umsetzung der Inklusion herauszufinden. Es ist dringend notwendig, die derzeitige Situation zu verbessern, da das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) sich seit 2014 mit dem Schulgesetz NRW § 2 (5) zur Implementation der Inklusion verpflichtet.
Wir streben einen Entwicklungsprozess zur optimalen Umsetzung der Inklusion im Unterricht an, der unabhängig von der sonderpädagogischen Kompetenz der Informatiklehrkräfte oder DDI-Forschenden ist. Unsere Hypothese ist, dass die für Förderschulen entwickelten Ideen mithilfe ihrer DDI-Fachkompetenz für andere Kinder noch leichter erweitert werden könnten. Diese Ideen wurden normalerweise von sonderpädagogischen Fachkräften für einen bestimmte Förderbedarf entwickelt, deshalb müssen sie bereits genug Potenzial zur Anwendung zum inklusiven Unterricht haben. Jedoch könnte eine neue Barriere ihrer behinderungsspezifischen Gestaltung gegenüber anderen Kindern entstehen. Z. B. wenn eine Idee spezifisch für die Blindheit entwickelt wird, könnte es ihr an einer visuellen oder symbolischen Darstellung zum Lernen fehlen.
Um diesen Entwicklungsprozess zu erproben, tauschten wir uns zunächst mit Förderschulen und Universitäten aus, die im Bereich der Sonderpädagogik tätig sind. Daraufhin trugen wir Ideen für Hilfsmittel zum Informatikunterricht zusammen. Dabei wurden wir auf einen Barcode aus Schwellpapier6 aufmerksam, der ursprünglich von Makoto Kobayashi an der National University Corporation Tsukuba University of Technology entwickelt wurde. Die Lernenden mit Sehschädigung können somit etwas über die Codierungstheorie einer in ISO/IEC 15420 genormten Art des Barcodes European Article Number (EAN) lernen, indem sie Zettel jedes Barcodeteils wie ein Puzzle legen (Abb. 1).
Im Folgenden wird erklärt, wie die ursprüngliche Idee des Barcode-Puzzle funktioniert. Die EAN repräsentiert Zahlen mittels 7 Bit pro Ziffer durch zwei Striche und zwei Leerstellen.
Abb. 1 : Barcode-Puzzle aus Schwellpapier von Makoto Kobayashi
An den beide Enden des Codes gibt es Randzeichen und in der Mitte ein Trennzeichen, das den Code in eine rechte und eine linke Seite teilt. Eine Variante von EAN ist der EAN-8-Barcode, der eine 8-stellige Zahl repräsentiert, wie Abb. 2 zeigt. Der Code hat für jede Ziffer zwei verschiedene Muster, die zueinander invers sind. Jede Seite hat vier Stellen. Auf der linken Seite kommt immer das Muster, das mit einer Leerstelle beginnt; Auf der rechten Seite kommt ein anderes Muster, das mit einem Strich beginnt. Die letzte Ziffer vom EAN-8 Barcode ist die Prüfziffer, um die gesamte gescannte Zahl zu überprüfen. Die Prüfziffer kann man mithilfe folgender Prozedur berechnet werde: zunächst werden die Ziffern von links nach rechts abwechselnd mit 3 und 1 multipliziert; dann werden die jeweiligen Ergebnisse addiert; schließlich ergibt die Differenz zum nächsthöheren Vielfachen von 10 die Prüfziffer. Die Prüfziffer „3“ von dem Beispielcode „01230123“ im Abb. 2 kann mit folgender Formel herausgefunden werden:
Abb. 2: Struktur des EAN-8-Barcodes
Damit Lernende mit der Sehschädigung ihren eignen EAN-Barcode wie ein Puzzle aufbauen können, wurden alle Variationen der Striche, die die Zahlen 0 bis 9 sowie das Rand-/Trennzeichen darstellen, auf das Schwellpapier gedruckt; nach der Erhitzung zur Ausdehnung wurde ein Magnetblatt auf die Rückseite des Papiers geklebt; zum Abschluss wurde der Code in seine einzelnen Ziffern geschnitten (Abb. 3). Jeder Zettel aus Schwellpapier stellt ein Teil des Barcodes dar. Den mit dieser Codierungsregel auf der Magnettafel aufgebauten Code können Lernende haptisch erkennen. Der größte Vorteil ist, dass das aufgebaute Puzzle mit einem Barcode-Scanner lesbar ist. Das Material unterstützt die Interaktivität beim Lernen, da die Lernenden ihre Ergebnisse durch das Scannen selbst überprüfen können.
Abb. 3: Fertigung des Puzzles aus Schwellpapier
Da die ursprüngliche Idee in Japan entwickelt wurde, gilt es zu prüfen, ob sie auch in Deutschland inhaltlich umsetzbar ist. Wir schlagen zunächst in den Bildungsstandards der Gesellschaft für Informatik als allgemeine Aufbaumöglichkeit eines Informatikunterrichts nach [GI08]. In den Bildungsstandards gibt es ein Thema Darstellungsformen der Information für die 5. bis 7. Klasse im Rahmen des Inhaltsbereichs Information und Daten [GI08, S.24-25]. Hier werden Flaggensignale, Morsezeichen, Blindenschrift oder selbsterfundene Geheimschriften als Beispiele genannt. Der Barcode ist somit ebenfalls als eine Alternative anzusehen. Konkrete Unterrichtsbeispiele für deutsche Schulinformatik wurden bisher z. B. vom Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung in Baden-Württemberg7, Zentrale für Unterrichtsmedien im Internet e.V.8 und vom Schülerlabor Informatik der RWTH Aachen9 mit dem Thema Barcode entwickelt.
Im Land NRW gibt es Kernlehrpläne für das ( Wahlpflicht-)Fach Informatik in der Sekundarstufe. Den Kernlehrplänen zufolge sollen Beispiele der Codierung und ihre Codierungstheorie ab 5. bis 8. Klasse im Inhaltsfeld Information und Daten umgesetzt werden. Außerdem werden die Strichcodes inkl. 2D-Code, z. B. QR-Code oder PDF417 in unserem Alltag oftmals verwendet. Deshalb kann dieser Lerninhalt auch mit einem anderen Inhaltsfeld Informatik, Mensch und Gesellschaft thematisch deutlich verknüpft werden. Beispielsweise kann das Thema Barcode im Wahlpflichtfach Informatik für 7. oder 8. Klasse folgende inhaltliche Schwerpunkte10 abdecken, die im Kernlehrplan für die Realschule genannt wurden:
„Daten und ihre Codierung
Die Schülerinnen und Schüler
erläutern, wie Daten in geeigneter Weise codiert werden, um sie mit dem Computer verarbeiten zu können (A), [...]
nennen Beispiele für die Codierung von Daten (Binärcode, ASCII) und beschreiben verschiedene Darstellungsformen von Daten (in natürlicher Sprache, formalsprachlich, graphisch) (DI)“ [Mi15, S.17-18],
„Chancen und Risiken der Nutzung von Informatiksystemen
Die Schülerinnen und Schüler[...]
stellen die Veränderungen des eigenen Handelns durch Informatiksysteme in Schule und Freizeit dar (KK), [...]
beschreiben Möglichkeiten der Manipulation digitaler Daten und beurteilen das damit verbundenen Gefährdungspotential (A), [...]
beschreiben Berufe, in denen Informatiksysteme genutzt oder produziert werden (KK)“ [Mi15, S.20].
Nun entwickeln wir diese ursprüngliche Idee aus der Perspektive von einem Kind ohne Behinderung bzw. einer Regelschule weiter. Das erste Problem ist, dass die Klassen in Regelschulen größer sind als in Förderschulen. Das zweite Problem besteht darin, dass die Größe des Barcodes der ursprünglichen Idee zu klein ist, um in Partner- bzw. Gruppenarbeit erkannt werden zu können.
Unsere Lösung ist, das Puzzle aus Silikonmaterial mithilfe der Gussformen nachzuformen (Abb. 4). Das Puzzle stellt einen auf 505 mm vergrößerten EAN-8-Barcode mit dem Höhenunterschied von 2 mm zwischen dem weißen und schwarzen Strich dreidimensional dar (Abb. 5). Die Kinder können erkennen, welche Zahl das Puzzle repräsentiert, indem sie die verschiedenen Breiten der Leerstellen und Strichen messen. Deshalb gibt es Einschnitte im Abstand von 5 mm an der Oberseite des Puzzles, um diese Länge optisch oder haptisch leicht zu zählen. Zudem ermöglicht das Silikonmaterial mithilfe der hohen Reibung eine einfache Handhabung, und gibt dem Puzzle genug Stabilität bei häufiger Benutzung durch Kinder. Das aufgebaute Puzzle ist, wie bei der ursprünglichen Idee, mit einem Barcode-Scanner lesbar.
Abb. 4: Produktion des Puzzles mithilfe der Gussform
Abb. 5: Code-Puzzle aus Silikon
Außerdem fügten wir drei zusätzliche AT für blinde Lernende hinzu, wie Abb. 6 zeigt. Die erste AT ist ein Holzrahmen, in das die elf Puzzleteile dicht eingesetzt werden können, weil der Scanner sie nicht lesen kann, falls es zwischen den Teilen zu viel Zwischenraum gibt. Zweitens wurde der Brailleschrift auf dem Puzzle eingebettet, weil bei der Bearbeitung einer Aufgabe die auf die Puzzleteile geschriebene Ziffer gelesen werden müssen. Die letzte AT ist eine Produktverpackung, deren Etikett inkl. Barcode mit Schwellpapier aufgedruckt wurde, damit blinde Kinder auch den Einsatz von Barcode u. a. an der Kasse haptisch kennenlernen.
Die Anwendung des Code-Puzzles zur Schulinformatik wurde als ca. 10 - 15 UStd. Unterrichtsvorhaben konkretisiert, das aus fünf Phasen besteht. Die Unterrichtsvorhaben lehnt sich eng an den Kernlehrplan SEK-I für die Realschule in NRW an, dabei wurden alle in Abs. 3.1 genannten inhaltlichen Schwerpunkte abgedeckt. Im Tab. 1 wird die Sequenzierung des Vorhabens zur ganzen Unterrichtseinheit gezeigt. Der Lehransatz basiert auf Discovery
Abb. 6: Weiterentwickelte AT für blinde Kinder
Learning. Als Sozialform bei der Bearbeitung der Aufgaben mit dem Code-Puzzle wird die Partnerarbeit gewählt, damit Kinder den anforderten Kompetenzerwerb bezüglich „Argumentieren“ sowie „Kommunizieren und Kooperieren“ gut erreichen.
Phase
Inhaltsbezogene Kompetenzen
Inhalt / Material
1
(1) SuS können Beispiele zur Verwendung von dem Code im Alltag wissen, (2) SuS können an mehreren Beispielen (z. B. Eiercode, Gutscheincode, QR-Code usw.) die das zugrundeliegende Prinzip des Codes und erläutern.
Daten scannen!
Arbeitsblatt: Welches Ei ist ein Bio-Ei???
Arbeitsblatt: Code im Alltag
2
(3) SuS können mithilfe des Beispiels „Barcode” erläutern, dass Informationen codiert werden können und wofür die Codierungen an Anwendungsfällen sein können, (4) SuS können Ziffern nach einem vorgegebenen Codierungsregel codieren und decodieren.
Codierung mit einem Barcode
Arbeitsblatt: Enkodierung des Barcodes (EAN-8)
Arbeitsblatt: Dekodierung des Barcodes (EAN-8)
Code-Puzzle
3
(5) SuS können das Prinzip des Binärsystems erklären (6) SuS können erläutern, wie Daten in geeigneter Weise codiert werden, um sie mit dem Computer verarbeiten zu können
Computer, Barcode und Digitalsignal
Arbeitsblatt: Wie verstehet der Computer Barcode?
Code-Puzzle
4
(7) SuS können die Prüfziffer, die Fehler erkennen kann, erläutern und berechnen (8) SuS wissen, dass Codes falsch gelesen werden können oder manipuliert werden können,
Codierungsregeln und Fehler
Arbeitsblatt: Prüfziffer „Modulus 10 check digit with weights of 3”
Code-Puzzle
5
(9) Wiederholung aller inhaltsbezogenen Kompetenzen
Schülervortrag: Die Rolle der Codierung in unserer Gesellschaft
Arbeitsblatt
Präsentationsgeräte
Tab. 1 : Sequenzierung des Unterrichtsvorhabens „Daten und ihre Codierung"
Das von uns entwickelte Code-Puzzle wurde von einem blinden Sachverständigen und auch von einer Lehrkraft in einer Realschule in NRW empirisch erprobt. Das Ziel war es herauszufinden, (a) ob eine für Kinder mit bestimmten Förderbedarf spezifisch entwickelte Idee des Lehrmaterials ohne Beeinträchtigung der ursprünglichen sonderpädagogischen Funktion weiterentwickelt werden kann; (b) ob die Idee zum Unterricht in Regelschulen allgemein anwendbar ist.