18 & das Leben - Sofie Maria - E-Book

18 & das Leben E-Book

Sofie Maria

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Beschreibung

Das ist meine verrückte Biografie, in der ich in jungen Jahren der Droge Crystal Meth verfiel. Alles begann mit großen Träumen: berühmt werden, in einer Band mitspielen, Schauspielerin werden. Ich war aufgeschlossen und voller Tatendrang. Während der Schulzeit geriet ich rasch an falsche Freunde und probierte verschiedene Drogen aus. Mädchenkram und Oberschulszenarien wurden schnell durch Nahtoderfahrungen, Paranoia und Dämonen ersetzt. Aus Teeniebeziehungen wurden toxische Dramen. Aus einer anfänglichen Neugier wurde eine bedrohliche Sucht. Inmitten der pubertären Selbstfindungsphase arrangierte ich mich mit traumatischen Erlebnissen und Verzweiflung. Ich möchte mit meiner Geschichte abholen und helfen. Eines ist gewiss. Es ist niemals zu spät, um einen anderen Weg einzuschlagen.

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EPUB
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Seitenzahl: 523

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0077-6

ISBN e-book: 978-3-7116-0078-3

Lektorat: Kristina Steiner

Umschlagfoto: Ylivdesign | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Sofie Maria

www.novumverlag.com

Kind sein

Berlin, 2004

Mein Leben fing mit einer regelrecht wundervollen Kindheit an. Ich würde sogar beteuern, ich sei eines der glücklichsten Kinder dieser Erde gewesen. Ich sag’s euch, dieses Glück begleitet mich bis heute.

Nur zu gern erinnere ich mich an verblasste Bilder aus alten Zeiten, und wenn ich dann am Fenster in der Küche stehe, während von draußen die Sonnenstrahlen hineinschauen, lasse ich diese Zeit noch einmal Revue passieren. Genau diese Nachmittage kommen mir in den Sinn, an denen ich in meinem Kinderzimmer saß und mit meinen Barbies spielte. Ich besaß eine riesige Ansammlung von Spielsachen. Oft verkleidete ich mich oder malte Bilder. Ich spielte auf einem Kinderkeyboard, zupfte wild an meiner Gitarre und hörte auf dem Radio meine Lieblingsmusik. Ich war ein aufgewecktes Kind und hatte große Träume. Ich wollte ein Star werden. Am liebsten Schauspielerin. In der Schülerband spielte ich damals die E-Gitarre und ging nachmittags zum Gitarrenunterricht.

Allerdings brach ich die ganze Aktion ab, weil es mir an Geduld fehlte. Ich wollte am liebsten sofort meine Lieblingslieder spielen können, und obwohl man mir sagte, dass ich talentiert war, langweilte es mich. Ich belegte einen Tanzkurs nach der Schule in der Aula, und auch dort versicherte man mir, ich habe Talent. Die ganze Geschichte fand aber ein Ende, als unsere Tanzlehrerin mit den gesamten Einnahmen die Biege machte und niemand von ihr seither etwas gehört hatte. Im Winter fuhr ich mit Mama in den Skiurlaub, lernte dort Ski fahren und tobte mich aus. Im Sommer sammelte ich Schnecken und erforschte die Natur im Garten meiner Großeltern. Meinen Papa sah ich jeden Sonntag. Er kam dann zu uns zu Besuch oder Mama brachte mich zu ihm in seinen eigenen Laden. Ich war glücklich mit dem, was ich besaß, und ich brauchte nicht viel, um glücklich zu sein.

Aus meiner Kindheit erinnere ich mich an viele Dinge, viele Urlaube, an Geburtstage, an Fernsehabende und Ausflüge. Alles schien nahezu perfekt gewesen zu sein. Ich sehe mich noch vor mir, wie ich mit meiner Oma im Garten Brombeeren pflückte und zu ihr sagte: „Endlich ist der Sommer da. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass jemals Winter gewesen ist, und trotzdem ist der letzte Sommer eine Ewigkeit her.“

Die Zeit verging so langsam. Ich dachte eben nicht an morgen. Aber ich dachte schon immer viel nach. Ich betrachte diese Eigenschaft als eine gute. Trotzdem sagt jeder Freund oder Feind seit geraumer Zeit diesen einen Satz zu mir: „Kiki! Du denkst zu viel nach!“ Was sollte ich aber dagegen tun? Das machte mich einfach aus. Ich träumte nur so vor mich hin und ließ meiner eigenen Fantasie keine Grenzen.

Es gab allerdings eine Sache, die mir damals schon zu schaffen machte.

Gejagt und verfolgt?

Berlin, 2005

Es war ein normaler Donnerstagnachmittag. Ich war gerade auf dem Weg zum Gitarrenkurs, um mich dort einmal mehr zu langweilen, als es langsam schummerig wurde. Ich wusste schon vorher, das ist mein erster Weg nach Hause. Allein in der Dunkelheit. Es war natürlich gerade einmal sechzehn Uhr, als ich dann meine Heimreise antrat. „Bis zum nächsten Mal ihr beiden! Bitte übt fleißig“, rief meine Gitarrenlehrerin durch das Treppenhaus. Jaja! Wofür sollte ich üben? Drei Noten zu zupfen und das in Zeitlupe?

Hier würden sie mich nicht lange halten können. Ich ging noch bis vorn ans Ausgangstor mit meiner Freundin Lisa, als sich dann unsere Wege spalteten. Das war er nun, der erste Alleingang. Ich musste nicht allzu weit laufen und machte mir nicht sonderlich viele Gedanken, doch auf einmal wurde mir ganz heiß. Ich spürte, wie mein Kopf glühte und mir blieb ein wenig die Luft weg. Ich drehte mich rasch um, doch Lisa war bereits in eine Nebenstraße abgebogen und wahrscheinlich schon über alle Berge. Ich bekam Panik und lief weiter. Ich riss die Augen auf.

Was war das? War da jemand hinter mir? Ich drehte mich um und lief dabei zügig weiter. Ich hatte ein mulmiges Gefühl. Irgendwie war es total gruselig. Richtig seltsam. Niemand zu sehen. Ich schaute wieder geradeaus und versuchte meine Gedanken zu verdrängen. Ich versuchte zu verdrängen, dass dort jemand hinter mir her war und ich ihn nicht sehen konnte.

Ich hörte jedoch, wie er hinter mir herschlich. Als ich mich wieder ruckartig umdrehte, war nichts zu sehen. Er versteckte sich offenbar. Ich lief immer schneller, und dieser Jemand hinter mir tat es auch. Ich war mir sicher, dass es ein Mann gewesen sein musste. Sein Atem war tief und kehlig. Mir wurde immer heißer mit jedem Schritt, den ich rannte. Ich hatte das Gefühl, als sei er nur noch eine Haaresbreite von mir entfernt. Gleich würde er mich packen. Gleich würde er mir wehtun und mich dann erdrosseln. Ich drehte mich besser nicht mehr um, denn so hielt ich an. Ich hatte eine Heidenangst und fing an zu sprinten. Ich sprintete bis nach Hause. Als ich um die Ecke zu unserem Haus abgebogen war, hatte ich das Gefühl, ihn abgehängt zu haben. Trotzdem rannte ich weiter.

Erst als der Schlüssel steckte, konnte ich verschnaufen. Ich schaltete blitzschnell den Fernseher ein, um die Stille zu durchbrechen. Nun war ich in Sicherheit und atmete erst einmal tief durch. Ich schaute dann nur noch wie gebannt in den Fernseher und wendete meinen Blick keine Sekunde von ihm ab. Ich ging nicht zur Toilette und hatte auch keinen Appetit. Meinen Schulrucksack hatte ich direkt irgendwo in den Flur gepfeffert. Ich saß nur noch wie angewurzelt auf der Couch und lauschte unbewusst ein wenig zum Treppenhaus hin. Als ein paar Stunden später Mama eintraf, sprang ich ihr sofort wie ein kleiner Chihuahua in die Arme. Mit dem Geklirr ihrer Schlüssel war augenblicklich alles wieder gut. Wie im Flugzeug, wenn man sich wieder anschnallt, zum Landen. Bei mir war dann irgendwie immer schon alles überstanden, und ich hatte keine Angst mehr. Endlich war sie wieder da, Mama. Ich vergaß sofort meinen Heimweg und blubberte sie mit allem möglichen Zeug voll. Schule hier, Langeweile da, der Sportlehrer wird bald unser Klassenlehrer … Dieses und das und jenes. Sie hörte gespannt zu und freute sich mit mir zusammen über meine Lebhaftigkeit. Im Anschluss kochte sie mir mein Lieblingsessen, eine Tomatensuppe mit Sternchennudeln.

Ich verschwand währenddessen in meinem Zimmer und klimperte erst laut auf meinem Keyboard herum, dann nahm ich mir ein paar Kuscheltiere mit ins Wohnzimmer und setzte sie alle nebeneinander auf die dunkelblaue Couch. Später, nach dem Essen, legten wir uns dann hin, und sie kraulte meinen Rücken, bis ich einschlief.

Ich schlief mit meiner Mama zusammen auf der Couch. Allein in meinem Bett konnte ich nicht schlafen. Ich hatte irgendwie Angst gehabt, sie würde gehen, ohne dass ich etwas davon mitbekommen würde. Ich wollte nicht, dass sie wieder gehen würde. Das blieb viele Jahre so. Auch heute schlafe ich nicht gern allein. Das ist so bei mir dringeblieben.

Ich konnte in dieser Nacht sehr gut schlafen, und am nächsten Morgen weckte sie mich dann wieder sanft. „Guten Morgen mein Schatz. Es ist Zeit aufzustehen.“ Ich wachte nach zwei bis drei Versuchen endlich richtig auf und zog mich anschließend an. Dann plauderte ich mit ihr in der Küche, während sie meine Brote schmierte. Sie arbeitete in einem Restaurant als Restaurantfachfrau und musste frühestens um elf Uhr auf der Arbeit sein. Sie arbeitete entweder in der Früh-, Mittel- oder Spätschicht und brachte mich an jedem Morgen sicher und behütet zur Schule. Der Weg war nicht weit oder gar gefährlich. Aber wie schon gesagt, ich war absolut nicht gern allein, egal ob unterwegs oder zu Hause.

Ein paar Wochen später musste ich wieder vom Gitarrenkurs allein nach Hause laufen. Es war diesmal Stock duster, denn es war nun schon Ende November.

Als meine Freundin Lisa und ich uns am Tor verabschiedeten, wurde mir mal wieder ganz komisch. Ich blieb eine Weile stehen, und als ich mich nach ihr umdrehte, sah ich Lisa bereits nicht mehr. Dann ging der Spaß wieder los. Ich holte tief Luft und lief dann schnell die Straße entlang bis zur Kreuzung, als ich bemerkte, wie jemand mich verfolgte. Mir war so verdammt heiß. Ich kam mir vor, als seien unter meinen Klamotten mindestens vierzig Grad gewesen. Meine Ohren glühten und in meinem Nacken wurde es dann mit einem Mal eiskalt. Dieser Atem. Da war er wieder. So tief und rauchig. Gruselig.

Der Typ lief im selben Tempo wie ich, dass spürte ich. Er wollte nicht auffallen. Er war verdammt gut darin gewesen, sich zu verstecken. Ich wurde jedoch wieder schneller und bemerkte, wie er meinen Rücken berührte. Das machte mir verdammt große Angst, und so rannte ich, ohne mich umzudrehen, den ganzen Weg bis nach Hause. Dass auf vielen Straßen noch andere Leute meinen Weg gekreuzt hatten, blendete ich total aus. Für mich war es Nacht. Es war dunkel und still auf den Straßen. Ich war allein und wurde verfolgt. Als ich zu Hause das Licht und den Fernseher anschaltete und „Timmy und die helfenden Elfen“ gerade anfing, schnaufte ich vor Anstrengung und ließ mich auf die warme Couch fallen. Mit dem Blick auf den Fernseher gerichtet und geistig nicht mehr davon abschweifend, in einer steifen Position sitzend und heimlich nach draußen lauschend, ließ ich den Abend ausklingen. Als später Mama in die Tür hineinkam, rannte ich auf sie zu und umarmte sie. An diesem Abend schlief ich wieder wie ein Engel.

Als ich später den Gitarrenkurs abbrach, weil er mir zu langweilig geworden war, hatte mich auch keiner mehr verfolgt. Auch Mama hatte nie erfahren, wie sehr allein ich mich fühlte, wenn sie zur Spätschicht gegangen war.

Schule

Berlin, Januar 2009

Nach dem Abschluss der sechsten Klasse und den langen Sommerferien ging es für mich weiter auf das Johann-Gymnasium: ein Elitegymnasium mit hohen Forderungen. Es dauerte genau das Probehalbjahr, bis ich mir eine neue Schule suchen durfte. Ich hatte wesentlich andere Dinge im Kopf, als jeden Tag zu büffeln und mir gewaltsam Dinge einzuprägen, die mich null interessierten und für die ich keinerlei Verwendung in meinem späteren Leben sah. Ich war schließlich gerade erst zwölf geworden.

Es sollte noch nicht so ernst sein. Nicht jetzt schon! Es tat mir leid um Mama, die gehofft hatte, ich würde ein gutes Abitur hinlegen, und um alle, die so sehr an mich geglaubt hatten. Aber ich wollte und konnte das einfach nicht so durchziehen, wie es für mich vorbestimmt war. Mich langweilte diese Schule unheimlich. Diese strengen Lehrer mit ihrem nervigen Getue. Und meine Klassenkameraden waren auch nicht besser. Sie waren eingebildet und sprachen immer nur davon, was ihre Eltern verdienten. Einer wollte noch vorbildlicher sein als der andere. Ich verstand das einfach nicht, und deshalb konnte und wollte ich nicht mit ihnen mithalten. Wir waren schließlich Kinder. Es ging doch nur darum, dass man Spaß hat.

Ich hatte mich schon bald mit zwei Mädchen verschworen, die in meine Klasse gingen. Sie waren Kinder normaler Eltern und verhielten sich eben auch so. Sie verhielten sich wie Kinder. Das gefiel mir. Wir machten von da an nur noch Quatsch, flogen mindestens einmal pro Woche aus dem Unterricht und bekamen nur sehr selten etwas vom Unterrichtsgeschehen mit. Außerdem hatte jede von uns einen Jungen anvisiert. Wir waren verknallte Mädchen, und so kam nichts anderes an uns heran. Eine schöne Zeit. Liebesbriefe schreiben, tuscheln, schüchtern sein. Als wir dann alle drei nicht versetzt und somit auf unterschiedliche Gesamtschulen verschoben wurden, trennten sich unsere Wege, und die Freundschaft fand ein Ende. Ich hatte mir dann auch eine neue Schule gesucht. Die Auswahl durfte ich selbst treffen. Ich entschied mich damals für eine Gesamtschule in Mitte. Darauf gingen viele Mädchen aus meiner Grundschule, und ich freute mich schon tierisch auf meinen ersten Tag.

Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, die Schönheit der Schule zu werden. Wie in einem Teeniefilm. Es sollte perfekt werden. Ich wollte dort dazu gehören. Es sollte anders laufen als auf dem Gymnasium. Auf dieser Schule würde sicher nur zählen, ob du cool genug bist. Ich hatte sie so sattgehabt auf der anderen Schule. Sie waren mir zu intellektuell.

Hier sollte einfach alles anders sein. Das hatte bis auf Weiteres auch geklappt. Ich wollte zu den Beliebten gehören und verstand mich auch auf Anhieb mit den coolen Kids aus den höheren Klassenstufen. Es passte alles, und als ich dann als „die Neue“ mit noch einem anderen Mädchen meine neue Klasse betreten durfte, freute ich mich riesig darüber, Gina Bauer aus der Ecke winken zu sehen. Ich kannte sie seit der ersten Klasse, und wir verstanden uns meistens super. Was ich mit ihr noch alles erleben würde, hätte ich mir niemals erdacht. „Komm her Kiki. Setz dich neben mich. Wir chillen gerade. Wir haben Freistunde“, schrie Gina durch den unordentlichen Klassenraum. Alle wurden aufmerksam und schauten mich an.

Super, dachte ich mir, pflanzte mich direkt neben Gina und packte meine Siebensachen aus. Wir hatten uns seit dem Abgang aus der Grundschule nach der sechsten Klasse nicht mehr gesehen. Sie war nun schon ein halbes Jahr länger auf dieser Schule und konnte mir sicher ein paar nützliche Dinge darüber erklären. Ich musterte meine neue Klasse und mir gefiel, was ich sah. Sie sahen alle lebendig aus und versprachen jede Menge Aktion und Fun. Die Jungs prügelten sich freundschaftlich, und ein paar von ihnen kamen in der nächsten Stunde zu spät zum Unterricht, weil sie draußen alle noch eine Zigarette geraucht hatten. Hier wollte ich bleiben. Ich hatte noch nie eine Zigarette geraucht und fand es total aufregend.

Die Schule bestand aus zwei Gebäuden, dem ersten und dem zweiten Haus. Überdies besaß sie zwei Turnhallen und jede Fassade der Gebäude war komplett vollgesprayt. Hier fühlte ich mich wohl. Ich war zwar anfangs schüchtern, doch fand ich schnell Anschluss mit meiner lustigen, offenen und sympathischen Art. Auch den Jungs gefiel ich, und es dauerte kein halbes Jahr, da wollte meine halbe Klasse mit mir gehen. Ich wurde somit immer selbstbewusster. Ich liebte mich selbst, denn ich bekam allerhand Anerkennung. Alles lief perfekt bis auf die Schulnoten, die ein wenig schwankten, aber das machte ich in meiner Welt nicht zum Thema.

Hauptsache Spaß. So viel stand fest. Gina wurde schnell zu meiner allerbesten Freundin, und wir bildeten gerne mit noch einer weiteren Person ein Trio, dann war mehr los. Am Anfang gab es Tran und wir waren mit ihm zu dritt best friends. Er war ein kleiner, lustiger Klassenkamerad. Irgendwann interessierte sich Tran allerdings mehr für seine Kumpel, und Gina und ich fanden jedoch schnell einen neuen Anhang und dann wieder einen neuen. Wir beide waren allerdings ständig zusammen.

Damals verlief alles noch komplett ohne Drogen und Alkohol. Auch mit dem Rauchen hatten Gina und ich erst später angefangen. Anfang der achten Klasse war das, als unsere anderen Kumpel längst richtige Raucher waren. Meine erste Zigarette rauchte ich zu Hause allein in meinem Zimmer. Ich hatte sie in der Schule von einer Klassenkameradin geschenkt bekommen und wollte es erst einmal so lange ausprobieren, bis es mir stand und ich es richtig machte. Als ich dann so weit war, fingen Gina und ich auch gleich ordentlich zu paffen an. Wir rauchten schon jeder eine gute Schachtel am Tag weg und bekamen dann später an unserem Lieblingskiosk auch zu jeder Zeit unsere Zigaretten. Mit der Zeit kauften wir dann auch jedes Wochenende eine Pulle Fusel an diesem besagten Kiosk. Meistens war es Wodka. Wir rauchten auf dem Weg zur Schule und liefen noch mit Kippe im Mund auf den Schulhof. Wir fühlten uns dabei wie kleine Ghettoqueens. Außerdem fanden wir unsere eigene Clique.

Sie bestand aus Marc, dem kleinen Wuschelkopf, Toralf, einem großen Blonden mit Lockenkopf, den ich sehr gerne hatte, Fred, der irgendwie seltsam, aber lustig war, dem lieben Danny, Gina und mir.

Außerdem kamen manchmal noch ein paar andere Schüler dazu, aber wir blieben soweit die einzigen Mädchen. Wir vertrugen uns besser mit den Kerlen, weil wir selbst eher so die Kumpeltypen waren. Wir trafen uns bald schon jeden Nachmittag mit der Clique auf unserem Stammplatz hinter der Schule. Außer Gina und mir kiffte unsere geniale Clique sich jeden Tag die Birne zu. Gina und ich hatten schnell einen großen Gefallen am Alkohol gefunden.

Wir trafen uns jeden Tag nach dem Unterricht mit Toralf und Co, und an den Wochenenden kauften wir uns eine große Flasche Wodka und tranken sie komplett leer, bis wir Sternhagel voll irgendwo auf dem Platz einschliefen. Der Winter war dann irgendwann ausgebrochen, und es waren um die Minus zwanzig Grad in der Hauptstadt. Wir hatten mehrere Jogginghosen übereinander angezogen. Dazu trugen wir unsere Winterstiefel aus der Badstraße und obenrum einige Pullover und ein paar Strickjacken darüber. Trotz der antarktischen Temperaturen in jenem Winter verbrachten wir unsere Freizeit nur noch draußen, besoffen auf unserem Stammplatz hinter der Schule. Ich sang meist am Ende der Abende die alten Kirchenlieder, die ich in der Grundschule gelernt hatte. Leon gefiel das immer ganz besonders, wenn ich gesungen hatte. Es hatte so etwas Friedliches. Meist hatten mindestens vier von uns gekotzt. Jedes Mal war irgendeiner abgestürzt.

Der Rest der Bande hielt dem anderen dann die Haare, oder half mit, ihn wieder aufzupäppeln. Wir rannten sogar vor der Polizei weg, denn sie jagten uns des Öfteren. Wir hatten um gewisse Uhrzeiten nichts mehr auf den großen Straßen verloren. Das war uns total egal. Wir wurden zu einer echten, saufenden und kiffenden Jugendbande. Es war eine lustige Zeit. Wir fühlten uns jung und frei, und wir freuten uns darüber, wenn die Erwachsenen über uns schimpften. Das gab uns das Gefühl, dass wir alles richtigmachen würden.

Irgendwann entfernten Gina und ich uns von der Clique und gingen unseren eigenen Weg. Die anderen waren nur noch breit, und wir wollten eben lieber trinken und etwas Neues erleben, als nur das Herumhängen auf dem Platz hinter der Schule. Wir wollten herumkommen und eskalieren und nicht nur abchillen.

Wir eierten quer durch die Stadt und nahmen so ziemlich jedes Straßenfest mit. Wir fuhren nach Werder zur Biermeile, und sogar auf dem Bölchefest waren wir gelandet. Irgendwann trieb es uns dann so richtig aus unserem Kiez bis nach Hennigsdorf. Dort hatten wir eine Truppe Jungs kennengelernt, die alle schon um die siebzehn, achtzehn waren. Einer besaß einen Führerschein, und so donnerten wir mit seinem Auto durch die Nacht, tranken Alkohol und machten halt Sachen, die Teenager so machen.

Ich verliebte mich damals auf Anhieb in Ian. Wir wurden schnell ein Paar. Lang hat es aber nicht gehalten, denn er wollte nicht mit einer Jungfrau zusammen sein. Ich war mit meinen dreizehn Jahren ziemlich geknickt über diese Aussage und schmiedete einen unheimlich sinnlosen Plan, um ihn nicht zu verlieren. Ich hatte nicht lang gegrübelt. Mir kam sofort ein Gedanke in den jugendlichen Leicht-Sinn. „Ich könnte mich ganz einfach von Roy entjungfern lassen. Gina, das ist doch die Idee.“ Roy war der Freund von einem Mädchen aus unserer neuen Clique. Der hatte bestimmt schon um die fünfzig Mädchen von ihrer Unschuld befreit. Gina schaute entgeistert und rollte die Augen.

„Dann habe ich es hinter mir“, sagte ich, während ich meine Zigarette auf der vertrockneten Wiese ausdrückte. „Der hat bestimmt Ahnung, wenn der es bei so vielen gemacht hat“, sagte Gina.

Nun ja. Es war kurz und schmerzlos! Ich war leicht angeheitert, hatte nichts erwartet und dann war’s auch schon wieder vorbei. Das ist das Dümmste, was man als junges Mädchen machen kann. Damals war es mir egal. Ich wollte nur dazu gehören und erzählte dann am nächsten Tag in der Schule den Mädchen aus meiner Klasse, dass ich es getan hatte. Ich erzählte natürlich, wie gut es gewesen sei, aber eigentlich hatte ich es längst wieder verdrängt. Hätte ich heute noch einmal die Chance gehabt, hätte ich mich natürlich aufbewahrt.

Ian hatte mich irgendwann angerufen, als er es von jemandem erfahren hatte. Er wollte tatsächlich wieder mit mir gehen. Als ob man von einem beschissenen Mal Sex gleich Erfahrung darin hätte. Was dachte er sich dabei? Ich bin trotzdem noch einmal mit ihm zusammengekommen. Ich habe nie mit ihm geschlafen, denn er hatte mir, als mein erster richtiger Freund etwas total Falsches übermittelt, was den Sex anging. Davon ganz abgesehen wurde ich durch diese Aktion bei den Jungs in der Schule noch viel interessanter. Sie kreuzten ständig und mit voller Absicht meinen Weg und waren meist irgendwie an mir dran. Ich hatte mittlerweile Brüste bekommen und die hautenge Hüftjeans saß auch super. Für mich hatte Sex nichts mit Liebe zu tun. Es war eher ein Statussymbol oder einfach nur zum Spaß.

Ich wollte Ian ein paar sexy Fotos zukommen lassen, damit er sich nicht so dumm vorkommen würde, weil ich ihn ständig abwimmelte. Irgendwie musste ich ihn davon überzeugen, dass es sich trotzdem lohnte, mit mir zu gehen. Er würde sicherlich denken, dass ich ihn doch noch ranlassen würde. Ich wollte es mir jedenfalls nicht mit ihm versauen.

Ich war lange kein Kind mehr und freute mich über meine gelungenen Bilder. Zu dieser Zeit konnten wir uns noch keine Fotos über unsere Handys schicken, denn wir besaßen kein Facebook, Snapchat oder WhatsApp. Es musste also auf eine andere Weise zu ihm gelangen. Ich lud das Bild in einem Chatforum in einem passwortgeschützten Ordner hoch. Ich dachte mir nicht das Geringste dabei. Mein Freund würde es keinem zeigen. Ich vertraute ihm. Er würde sich sicherlich freuen. Als die anderen Jungs auf meiner Freundschaftsliste meinen Ordner entdeckt hatten, fragten sie mich nach dem Passwort. Da kam mir der Gedanke, das Bild erst einmal von einem guten Kumpel abchecken zu lassen. Natürlich musste er mir vorher versprechen, das Passwort nicht weiterzugeben.

Ich gab ihm also das Passwort, und er schaute sich das Bild an. Er fand es super und sagte mir, dass ich es ruhig herumzeigen könne. Es dauerte leider keinen einzigen Tag, bis jemand das Passwort geknackt und die Bilder rundherum gesendet hatte. Ich war natürlich die eine Person, die das als letztes bemerkte. Eine Freundin von mir, die die zehnte Klasse auf meiner Schule besuchte, machte mich noch während einer Zigarette vor dem Unterrichtsbeginn darauf aufmerksam. „Süße? Von dir kursiert ein sehr freizügiges Bild im Internet herum. Schau mal hier! Ich habe es auf meinem Handy.“ Ich war schockiert. Es war mir unheimlich peinlich. Ich schämte mich und mich machte es fertig, dass ich es nicht mehr rückgängig machen konnte.

Ich durfte mir dann tagelang meine eigenen Bilder ansehen, die jeder auf seinem schwarzen Sony-Ericsson-Walkman-Handy hatte. Auch ein Typ, von dem selbst zuvor ein richtiges Nacktbild herumgewandert war, zeigte auf mich und lästerte.

Das war so affig. „Was die anderen nun von mir dachten?“, fragte ich mich während des Unterrichts. Die Kumpel aus meiner Klasse fanden es natürlich geil und feierten mich. Andere Schüler hingegen beleidigten mich als Schlampe. Ich versuchte irgendwie, schnell damit fertig zu werden. Ich habe mir dann einfach vorgestellt, es sei alles nur ein Teeniefilm. Dann war mir das eben passiert. Na und? Ich habe daraus gelernt, dachte ich. Ich wollte einfach nur, dass es schnell in Vergessenheit geraten würde.

Es gab jedoch noch dazu ein übles Lästerforum im Internet. Es nannte sich IshareGossip.com. Dort wurde mein Bild dann auch noch hochgeladen, und ich wurde als Schlampe betitelt. In den Kommentaren unter dem Foto spalteten sich die Meinungen. Ein paar anonyme User beleidigten mich aufs Übelste. Andere hingegen standen voll und ganz hinter mir. „Lasst sie in Ruhe. Das hat sie nicht verdient“ oder „Das war bestimmt nicht ihre Absicht, dass das Bild hier landet.“ Diese Kommentare hatten mir gefallen, und ich sammelte wieder Mut, auch wenn ich auch nicht wusste, von wem sie kamen.

Irgendwann diskutierten sie dann in den Kommentaren darüber, wer das Bild hochgeladen hatte. Ich las alles mit. Es wurde beinahe spannend. Ich wollte natürlich auch herausfinden, wer es gewesen war, aber ich tappte eine Ewigkeit im Dunklen. Ich konnte nichts mehr dagegen machen. Der Mob hatte es auf mich abgesehen. Mittlerweile wurde ich auch von den Jungs aus den höheren Klassenstufen, wie eine Prostituierte behandelt. Irgendwann hatte ich die Schnauze derart voll, dass ich anfing, ihnen Backpfeifen zu verpassen, wenn sie so frech gewesen waren. Es brachte aber nichts. Sie hatten schließlich keine Angst vor mir und fanden mich nach wie vor „geil“. Ich war nicht stark genug und meine Überlebensstrategien wurden fragwürdig. Ich fing natürlich an, mir meinen Frust einfach wegzukiffen.

Kiffen

Berlin, Oktober 2010

So ein Mädchen wie ich kam überallhin und überall gut an. Ich blieb also weiterhin offen, spontan und witzig. Ich reihte mich in den nächsten Kifferkreis mit ein, zog ein paarmal und wurde angeranzt, weil ich nur Backe rauchte.

Ich holte mir gleich danach selbst etwas zu löten. Irgendwie litt die Freundschaft mit Gina sehr unter diesem neuen Einfluss, und wir trafen uns nicht mehr so häufig. Sie blieb kurz darauf in der Schule sitzen und musste die achte Klasse wiederholen.

Während einer Projektwoche hatte ich dann Mathilda kennengelernt. Eigentlich kannten wir uns auch schon von früher, vom Sehen jedenfalls.

Ich freundete mich dann super eng mit ihr an, und Gina hing nach der Schule mit ihrer Cousine herum. Mathilda liebte es zu kiffen, und so wurden wir schnell dicke Buddys. Sie war mir gleich sehr sympathisch. Sie blieb damals sitzen, und wir hatten einige Kurse zusammen; unter anderem Mathe und Sport. Auch in Chemie saßen wir schon bald total high nebeneinander. Wir bekamen kaum etwas mit, denn wir lachten die meiste Zeit und waren völlig breit.

Wir trafen uns in jeder Pause mit den Jungen aus meiner Klasse und rauchten mit ihnen ein paar dicke Joints. Danach ging es wieder zurück in den Unterricht. Ich kam die meiste Zeit überhaupt nicht klar. Nach geraumer Zeit versuchten wir dann wieder ein wenig kürzerzutreten mit der Kifferei. Es lief meist so ab: „Bitte bring das Gras morgen nicht mit.“ „Mache ich nicht.“ Und am nächsten Tag in der ersten Hofpause kam Mathilda dann an gesprintet und fragte ganz aufgeregt: „Und? Hast du es dabei?“ Natürlich hatte ich es dabei, und wir löteten zusammen alles weg. Am liebsten rauchten wir vor dem gemeinsamen Sportunterricht. Ich schmiss den Basketball weg und stolperte nur noch über meine eigenen Füße, anstatt zu dribbeln. Aber es machte Spaß, und so lebte es sich angenehmer.

Das Geld für unser Gras bekam ich von einem meiner Schulkameraden praktisch hinterhergeworfen. Er hatte immer genügend Bares auf Tasche, dass ihm sein Dad mitgegeben hatte. Jeder fragte ihn nach Geld, und er gab es ohne nörgeln raus. Mathilda und ich hatten erst noch überlegt, es sein zu lassen, doch dann haben wir ihn einfach gefragt. Natürlich hatten wir ihm erzählt, wir brauchten es ganz dringend für todwichtige Dinge. Er gab mir die Scheine dann immer in einer kleinen Smartiesrolle.

Ich packte sie grinsend aus und winkte damit zu Mathilda, wenn er wegsah. So hatten wir uns eine ganze Weile lang das Kiffen finanziert. Als er jedoch mit der Zeit merkte, wofür wir das Geld nutzten, drehte er mir den Geldhahn zu und fing selbst an zu kiffen. Deshalb machten Mathilda und ich uns über unsere Ersparnisse her oder tauschten Gutscheine gegen Geld um. Irgendwann achtete ich kaum noch auf mein Äußeres, färbte mein Haar schwarz und glättete es nicht mehr. Ich zog nur noch Pullover und Jogginghosen an. Auch meine sexy Figur verlor ich durch den Konsum des Grases. Mir war das herzlich egal, und ich hatte schnell einen anderen Platz in der Schülergesellschaft gefunden.

Vom hübschen, netten Mädchen für die Jungs und bekannt als hässliche Schlampe bei den eifersüchtigen Mädchen wurde ich zur Kifferbraut und hing dann in der Kifferecke ab. Ich rauchte dort mit den anderen Schülern während der Pausen dicke Joints. Unsere Lehrer sagten auch nicht viel, wenn wir dort eine fette Tüte pafften. Da kam nur hin und wieder einmal so etwas wie „Mach das aus“ oder „Tu das weg“.

Natürlich gaben wir darauf nichts und qualmten fröhlich weiter, sobald der Lehrer abgezischt war. Ich traf mich jeden Tag nach der Schule mit Mathilda und wir gingen zusammen zum Platz hinter der Schule. Irgendwann wurde es uns zu dunkel und zu kalt auf dem kahlen Platz. Da Mama einen neuen Freund hatte, der nicht in Berlin wohnte, hatte ich fast jedes Wochenende sturmfrei. Wir schauten bei mir DVDs und aßen Pizza. Wir gingen nicht spät zu Bett, standen um Mitternacht wieder auf und kifften, aßen dann und legten uns wieder hin, dann schliefen wir bis zum Nachmittag, standen wieder auf und kifften, aßen und schauten DVDs bis das Wochenende rum war. Das ging zack zack.

Ich habe noch viele Tagebucheinträge aus dieser Zeit und erinnere mich gerne daran. Das einzige Übel an dem Ganzen war nur, dass ich durch das Kiffen ein paar Entzugserscheinungen und auch ein paar Macken mitnahm.

Ich wurde leicht paranoid und die Dunkelheit der Jahreszeit machte mir sehr zu schaffen. Wir hatten mittlerweile Ende Oktober. Wenn ich einmal nicht mit Mathilda unterwegs war, pennte ich nur und fraß allerhand Fast Food in mich hinein. Ich konnte während der Nächte sehr schlecht schlafen, wenn sie nicht bei mir war, und gruselte mich auch immer vor der alten Dame, die über uns wohnte. Sie sprach gegen Mitternacht mit irgendwelchen Geistern und meckerte da oben herum bis zum Morgengrauen.

Sie machte mir Angst, wenn ich allein zu Hause und Mama zur Spätschicht gefahren war. Das löste des Öfteren ein Schweißbad aus. Ich brauchte das Gras langsam, damit alles gut war. Auch mein Körper hatte sich daran gewöhnt, so schien mir.

Ich hyperventilierte auch einmal ganz plötzlich. Ich träumte grauenhafte Dinge, dabei dachte ich, ich könne mein Zimmer sehen und so kam mir alles furchtbar real vor. Mama war glücklicherweise in dieser Situation zu Hause und leitete mich an, in eine Tüte hinein zu pusten. Durch diesen Vorgang konnte ich schnell wieder normal atmen und schlief danach erschöpft ein. Am nächsten Morgen rauchte ich meinen ersten Joint auf dem Schulweg mit Mathilda.

Ich wollte am liebsten gleich noch einen hinterher rauchen, und wir kauften uns an diesem Tag die doppelte Menge unseres Bedarfs. Die Tage wurden von da an immer kürzer, und wenn ich nicht mit meinen Freunden unterwegs war, wurde ich depressiv. In der Schule wurden meine Noten durch die Kifferei immer übler, und ich drohte, nicht versetzt werden zu können. Ich hatte einfach keinen Bock auf Schule und büffeln.

Dann stand auch schon Silvester vor der Tür.

Silvester

Berlin, Silvester, 2010

Gegen späten Nachmittag trafen Mathilda und ich bei Mikey ein. Mikey war ein verrückter Typ aus unserer Schule, den die meisten mieden. Wir mochten ihn. Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, jedoch lud er uns auf seine Silvesterparty ein.

Mathilda und ich liefen blitzschnell die Treppen rauf. Das war bei uns so drin, da wir meist nur die Treppen bis zum Ticker so hinauf sprinteten. Nach wenigen Treppenstufen standen wir dann direkt vor Mikeys Wohnungstür, die sperrangelweit offenstand.

Wir betraten die Wohnung. „Oha! Was geht denn hier ab? Mathilda, guck, wie viele Menschen hier herumlungern.“ Mathilda guckte skeptisch. Was war hier bitte los? Ein paar Leute hingen auf dem Boden herum, andere lagen hinter oder auf der Couch. Keiner schien hier mehr bei Bewusstsein zu sein.

Plötzlich entdeckten wir Mikey. Er stand hinter einem Mischpult und dudelte irgendeine Musik für die Runde. „Hey Chicks! Da seid ihr ja endlich!“ Mikey freute sich riesig und nahm uns in den Arm. Ich starrte Mikey in seine riesigen Augen und bekam Schmetterlinge im Bauch. Mathilda und ich fläzten uns dann erst einmal in eine Ecke, mitten an der Heizung und bauten uns einen Joint. Einen dicken Joint zum Einleben.

Nach knapp einer halben Stunde erwachten einige der Jungs und Mädels aus ihrem Koma und konsumierten dann allerhand buntes Zeug. Mir unbekanntes Zeug. Mikey stand genau neben uns und machte seine Musik, dann kam er zu uns herunter und hielt uns eine CD-Hülle mit klebriger, weißer Paste vor die Nase. „Na wollt ihr auch eine ballern“, fragte er und starrte uns an. „Ne lass mal! Wir kiffen nur“, sagte Mathilda und pustete den Rauch aus ihrer Lunge, dabei überreichte sie mir den Joint. Ich zog ein paar Mal und reichte ihn dann wieder zu Mathilda. „Heute ist Silvester, Mädels, Wuuuuhu.“ Mikey hatte richtig gute Laune auf seinem Stoff, aber wir interessierten uns nicht dafür. Noch nicht. Es war unbekanntes Terrain für uns, ganz klar.

Wir kauerten also einfach gemütlich in der Ecke auf dem Boden herum und lachten über die anderen in der Runde, die noch immer nicht klarkamen. „Auch ein bisschen Liquid?“ „Jaaaa Dicker! Ich nehme noch ein Käppchen.“ Ein Typ aus der letzten Reihe wachte aus seinem Dornröschenschlaf auf und streckte sofort gierig die Arme nach diesem „Liquid“ aus. Es ging um Liquid Ecstasy, auch bekannt als GBL oder K.-o.-Tropfen. Damit hatte ich später noch zu tun. Um einiges später. Mathilda und ich kifften einen nach dem anderen, und nach acht dicken Joints war es dann schon gegen dreiundzwanzig Uhr zwanzig, als ein skurriler Typ in die Bude von Mikey gestolpert kam. Hier war noch immer Tag der offenen Tür.

Ein merkwürdiger Typ war das gewesen. Er trug einen langen schwarzen Mantel, einen Hut und spitze Lederschuhe. Nun stand er einfach in der Tür. „Ich bin Zorro! Wenn ihr irgendwas braucht. Ich bin jetzt da.“ Aha. Was für eine Ansage! Keiner schien ihn zu beachten, und so setzte er sich ausgerechnet neben Mathilda auf den Boden.

Ich konnte mir mein Grinsen nicht verkneifen. „Was bist denn du für eine süße Maus?“, fragte er sie. Der Typ war bestimmt schon vierzig oder so. Mathilda rückte weiter an mich heran. „Du siehst so slawisch aus“, fügte er seiner aufdringlichen Aussage hinzu. Wir lachten über ihn und bauten uns darauf gleich noch einen Joint. Neben uns puderten sie sich ganz selbstverständlich die Nasen.

Der komische Zorro rückte immer näher und faselte extrem wirre Pampe. Als er dann auch noch zu Mathilda raushaute: „Dir würde Latex stehen, du süße Puppe“, da war es vorbei, und sie setzte sich endgültig von ihm weg. Jetzt saß ich neben diesem komischen Typen, aber zu meinem Glück wollte Zorro nur Mathilda. Kurze Zeit später setzte sich noch einer der Komaleute vom anderen Zimmerende mit in unsere Ecke und laberte uns mit seinen neuen Nikes voll. Man war der vielleicht stolz darauf! Er grub mich dabei zusätzlich an, und das ging mir auf die Nerven. „Wie viel kosten die beiden?“ Zorro war irgendwie angepisst, weil wir so gar nicht auf ihn eingingen. „Diese zwei sind unbezahlbar“, tönte es aus der Ecke von einem Schulkumpel, der die Party ebenfalls aufgesucht hatte.

Danach war Ruhe, und wir machten uns sofort auf den Weg zu mir nach Hause. Jener Kumpel, der uns eben noch den Rücken stärkte, hatte uns nun noch ein winziges Stück von seinem Pepp aufgeschwatzt.

Mathilda verstaute das kleine, durchsichtige Tütchen in ihrem Portemonnaie, und wir hoben es auf. Wir kamen kurz vor Mitternacht bei mir zu Hause an und tranken einen Sekt mit meiner Mama und ihrem Freund. Dann ging es sehr schnell, und das neue Jahr war zum Greifen nah. 10, 9, 8 … 7 … 6 … 3, 2 … 1 Juhu! „Endlich Neujahr!“, rief Mama, als der Zeiger dann auf null stand. Wir umarmten uns, und dann verschwanden Mathilda und ich in meinem Zimmer.

Wir diskutierten eine Ewigkeit über den weiteren Ablauf des Abends. Bei mir bleiben, zu ihr laufen oder doch noch einmal zu Mikey? Anfangs wollte ich noch einmal zu ihm, einfach etwas erleben, doch Mathilda wollte nach Hause. Also sind wir zu ihr gegangen. Meiner Mama war das natürlich viel lieber gewesen, auch wenn sie nicht wusste, was bei Mikey ging. Sie hatte sich immer viel gedacht, denn sie war auch einmal in meinem Alter und mit den heimtückischen Kumpels unterwegs. Als wir bei Mathilda angekommen waren, hatte ihre Mama noch eine Pulle Pfeffi für uns auf ihren Schreibtisch gestellt. Wir tranken sie halb leer und gingen später schlafen. Es war ein schöner Silvesterabend, und der nächste Morgen war entspannt, denn wir mussten nicht zur Schule.

Schon ein wenig bunter

Berlin, Januar 2011

Es war ein ganz normaler Freitag. Ich hatte sturmfreie Bude, als Mathilda und ich auf meinem Bett herumhockten.

Wir tranken die Reste vom Silvester-Pfeffi und Likör an diesem Abend. Wir hatten total vergessen, dass am nächsten Tag in der Schule Tag der offenen Tür war und wir dort aufkreuzen mussten. Einen ganzen Tag schwänzen, kam dort noch nicht infrage. Davon abgesehen, sind wir auch viel lieber im Unterricht high gewesen, als zu schwänzen und uns damit unser Zeugnis zu versauen. Irgendwann in der Nacht rauchten wir noch ein Tütchen und hauten uns dann aufs Ohr. Wir konnten allerdings kaum schlafen und machten deshalb den Rest der Nacht bei mir zu Hause durch. Wir lagen einfach nur so da und quatschten über einen Kumpel, wie er Mathilda immer anhimmelte. So einen Jungen muss man erst einmal finden, aber Mathilda war sehr unsicher und wollte sich nie wirklich in etwas hineinstürzen. Trotzdem redeten wir immer stundenlang über sie und ihren Verehrer. Am Morgen dann waren wir hundemüde und sollten nun zur Schule juckeln. Wir waren wirklich lustlos.

Da fiel einem von uns das Pepp ein. Mathilda holte es raus und zog schnell mit einem Strohhalm aus dem Baggy. Sie wirkte auf mich normal und legte alles auf meinen Schreibtisch. „Hier und jetzt du, dann müssen wir los. Ich gehe noch schnell meine Haare machen.“ Ich war froh darüber, dass ich mit dem Zeug allein war, denn ich wollte nicht vor ihren Augen ziehen. Ich zog die Hälfte von dem, was noch übrig war, und den Rest von dem Pulver ließ ich in mein Zimmer rieseln. Ich wollte erst einmal nicht so viel davon nehmen, denn ich konnte es nicht einschätzen. Daraufhin zog ich mich an, schminkte mich und wartete auf Mathilda, die im Bad ihre Haare zu einem Zopf zusammenband. Als sie wieder aus dem Bad kam, gingen wir lautlos aus der Wohnungstür.

Der Weg zur Schule war so hell. Alles war plötzlich so farbenfroh, ja fast bunt. Ungewöhnlich, denn wir hatten Mitte Januar. Ungewöhnlich, aber dennoch schön. Das waren meine Gedanken. Mir wurde ganz warm, und ich zog den Reißverschluss meiner pinkfarbenen Weste auf. Wir rauchten ein paar Zigaretten nacheinander und gingen dann ins zweite Haus der Schule. Wir saßen in der Aula und quatschen mit den anderen Mädels, während irgendein Film über unsere Klasse am Projektor lief, von dem wir nichts mitbekamen. Am Ende tanzten ein paar Mädels aus den Parallelklassen noch etwas für die Besucher vor, und wir machten uns alle wieder vom Acker. Draußen traf ich dann einen Kumpel aus der Parallelklasse. Mathilda war längst mit den anderen nach Hause gelaufen. „Na wollen wir einen kiffen?“, fragte er mich stoned-dreinschauend. Ich grinste nur und dann kifften wir zusammen einen und er brachte mich nach Hause. Wir verabschiedeten uns, und ich ging nach oben und in mein Zimmer.

Wieso war dieser Tag so schnell vergangen? Wieso schwitzte ich? Wieso war ich noch nicht müde? Verliebt hatte ich mich in dieses Gefühl nicht, dazu hatte ich zu wenig darauf geachtet, was es mit mir machte. Ich war irgendwann kaputt und haute mich in die Federn.

Zwischen Wut und Frustration

Berlin, September 2011

Nach der Silvesternacht veränderte sich nicht viel für mich. Mathilda und ich kifften ein bisschen weniger. Dafür gingen wir mit den anderen Mädchen aus unserer Schule öfter weg. Wir verabredeten uns draußen in irgendwelchen Parks und tranken dort, gingen auf Geburtstagspartys oder zum Eishockey. Es war immer was los. Das zog sich alles hin, bis der Frühling ausbrach. Durch die hellen Tage verschwanden meine depressiven Phasen und alles lockerte sich in meinem Gemüt wieder auf.

Meine Schulnoten konnte ich jedoch nicht mehr retten. Ich hatte so wenig abgeliefert, dass ich die neunte Klasse wiederholen musste. So kam es dann dazu, dass ich wieder einmal mit Gina in derselben Klasse saß. Wir wurden schnell wieder zu einem spitzen Duo und saßen in jedem Fach nebeneinander, bekamen ein paar Tadel für unser vorlautes Verhalten und unsere vergessenen Sportsachen. Ich hörte aber auch schlagartig komplett mit dem Kiffen auf. Schon in den Sommerferien hatte ich damit aufgehört, denn ich war mit meiner Mama und ihrem Freund in den Urlaub nach London geflogen. Dort feierten wir meinen fünfzehnten Geburtstag, und ich färbte mein Haar blond, schminkte mich wieder ziemlich stark und zog mich wieder schick an. Ich stand total auf Glitzer und „Bling, Bling“.

Ich hatte wieder mehr Selbstbewusstsein und überhaupt kam mir der ganze Stress und das Gefühl, vom Kiffen süchtig geworden zu sein, schon fast verjährt vor.

Der Urlaub war sehr schön und dank meines exzellenten Englischs konnten wir uns dort gut mit den Landsleuten verständigen. Ich war gerne mit meinen Ellis zusammen unterwegs, und der Urlaub verlief reibungslos. Ich bekam zum Geburtstag ein paar glitzernde High Heels, mit denen ich aber nur zu Hause herumtänzelte und jede Menge anderer Sachen, die ich mir gewünscht hatte. Mein Stiefvater weckte mich sanft und brachte mir vier pinkfarbene Donuts auf mein Zimmer. Der Tag war perfekt.

Ich war nach den Ferien also wieder Feuer und Flamme mit Gina, und wir verbrachten auch wieder die Wochenenden damit, auf Hauspartys zu erscheinen oder eben bei mir zu Hause zu feiern. Meine Welt war sorgenlos und zufrieden.

Bis ich dann irgendwann ein paar Hassmails über ein Chatforum bekam, und sie mir beinahe jeden Tag versauten. Ich bekam die Nachrichten von einem Mädchen aus einer anderen Schule und deren Freundinnen. Eine von ihnen war bekannt als Schlägerbraut und hatte mich zu meinem Pech gleich „gefressen“. Persönlich kannte ich keine von den dreien. „Hey, du kleine Schlampe. Komm lass uns doch treffen, dann brenne ich dir deine Augen aus!“ oder „Du hässliches Miststück, wenn ich dich sehe, bist du tot.“ Solche Nachrichten fraß ich dann, tagtäglich, in mich hinein. Ich war total sauer über die Mails, hatte aber auch im Nachhinein ein wenig Angst bekommen, als sie mir dann auch noch mit irgendwelchen anderen Leuten drohten. Ich antwortete nicht, und erst als sie Mama beleidigten, tickte ich vor meinem Laptop aus. „Lasst mich in Ruhe. Redet nicht über meine Familie. Ihr abgefuckten Idioten! Was wollt ihr von mir? Was wollt ihr?“

Es kam keine Antwort auf meine Frage, nur weitere Beleidigungen und sinnlose Drohungen. Ich wusste noch immer nicht, was die von mir wollten. Irgendwann steckte das eine Mädchen mir dann, warum sie so sauer waren und wollten, dass ich litt. Ihr Freund hatte sich mein Foto aus dem Internet gezogen. Angeblich hat er sich das Bild sogar ausgedruckt und irgendwo in sein Zimmer gehängt.

Was konnte ich schon dafür? Die Welt war nicht fair. Ich hatte eine richtige Hasser-Bande am Hals. An meiner Schule hatte ich wirklich viele Feinde. Natürlich nur Mädchen, gerade die, mit denen ich nie zuvor geredet hatte. Sie drohten mir oft Prügel an, und da ich niemanden an meiner Seite hatte außer meiner Gina, schluckte ich jedes Mal einfach nur runter, wenn sie sich als Truppe vor mir aufbauten.

An einem vorerst lustigen Tag, an dem Gina und ich im Partnerlook angezogen und geschminkt die Schule verlassen wollten, bekam ich einen riesigen Schreck. Wir wollten gerade auf unsere uralten DDR-Fahrräder steigen und nach Hause fahren, als ich von Weitem schon ihre Gesichter erkannte. Die drei Mädchen rannten auf mich zu und umgrenzten mich, sodass ich ja nicht abhauen konnte. Dann schrien sie mich an und beleidigten mich, und als ich sie zurück anschrie und wissen wollte, was sie verdammt noch einmal von mir wollten, da bekam ich meine erste Backpfeife.

Ich spürte kaum etwas, und aus Reflex ließ ich mich trotzdem gegen mein Fahrrad fallen, damit sie eventuell gleich wieder gehen würden, wenn sie sehen würden, dass ich schon „Knockout“ war. Dem war aber nicht so. Sie zerrten an mir herum, und ich erinnere mich nur noch daran, wie die halbe Schule zuschaute und niemand etwas dagegen unternahm. Gina stand irgendwo abseits, und die hysterischen Weiber schubsten mich herum und drängten mich in eine Ecke des Schulhofes.

Ich sah nur noch den weit aufgerissenen Mund mit Zahnspange darin von einem der Mädchen vor meinem Gesicht und fühlte nebenbei, wie ich noch eine mit der Faust bekam. Das hatte schon ein bisschen wehgetan, und es traf genau meinen Kiefer, mit dem ich deswegen heute noch knacken kann. Ich heulte wie ein Schlosshund, und sie freuten sich tierisch darüber, dass meine ganze Schminke nun herunterlief.

Es dauerte wirklich nicht mehr lange, bis sich meine Persönlichkeit drastisch veränderte.

Ich wurde aggressiver und patziger zu jedem, der mir wie ein Feind vorkam. Ich ließ mir nichts mehr gefallen. Ich wünschte mir, ihnen noch einmal über den Weg zu laufen und dann würde ich austicken. Bis heute bin ich wegen meiner Entscheidung, anders zu reagieren, noch sehr leicht reizbar, wenn mich jemand provoziert. Wie eine tickende Zeitbombe.

Damals war ich nur ängstlich und feige. Ich steckte einfach alles ein und machte rein gar nichts dagegen. Ich traute mich einfach nicht.

Während sie also alle drei auf mich einredeten, mich beleidigten und eine von ihnen mir ein paar Bomben gab, schaute die gesamte Schülerschaft dabei zu, und niemand reagierte. Marc und Fred standen auch etwas abseits, riefen ein paar Mal von außen in den Kreis, aber irgendwie traute sich niemand einzugreifen. Auch mein Wahlpflichtlehrer, Herr Locke, fuhr mit seinem Rad an uns vorbei, drehte sich noch einmal um und bog dann einfach auf die Straße ab.

Ich heulte Rotz und Wasser, doch es schien niemanden zu berühren. Gina wurde von mir weggedrängt, und ich fragte mich die ganze Zeit über, wann endlich jemand kommen und das alles beenden würde. Irgendwann tauchte dann meine Chemielehrerin, Frau Schulze auf. Ich war einfach nur dankbar, dass endlich jemand eingeschritten war. „Mädchen, kommt. Geht hier weg. Ihr seid keine Schüler von dieser Schule“, sagte sie, schob sich vor mich und versuchte die Bande weg zu lotsen. „Die Schlampe hat mit meinem Freund gepennt“, sagte eines der Mädchen und grinste mich hinter dem Rücken meiner Lehrerin dreckig an.

Natürlich log sie. „Das ist mir aber egal. Geht nach Hause. Lasst sie in Ruhe“, sagte Frau Schulze energisch. Irgendwann verzogen sich die Gören dann endlich, und ich bedankte mich bei meiner Lehrerin. Dann schleifte sie mich, völlig verheult, ins Sekretariat, und ich musste dort erst einmal aussagen, was gerade passiert war. Die Schule wollte dann eine Anzeige ausstellen, aber das lehnte ich ab. Davon hatte ich sicherlich nichts. Später fuhr ich, total geknickt, mit Gina auf unseren DDR-Rädern nach Hause. Zu Hause angekommen, dachte ich noch einmal darüber nach, was passiert war.

Ich wurde immer wütender, auf die Mädchen und dann auf mich selbst. Wieso hatte ich mich nicht gewehrt? Es ging mir doch an den Kragen. Ich hätte mich selbst verteidigen müssen. Am nächsten Tag holte mich mein Stiefvater von der Schule ab, und am Nachmittag ging ich dann mit meinem Klapperkiefer zum Arzt. Der Kiefer war leicht geprellt, und ich bekam eine Massage verschrieben. Ich hing dann eine ganze Weile nur noch zu Hause herum. Ich verarbeitete die Prügel, in dem ich hasserfüllte Texte schrieb und sie dann zu Hause vor mich hin sang, einen Beat aus dem Internet darunter packte und das Ganze aufnahm und mir dann immer wieder anhörte.

In meiner Klasse wurde ich dafür gefeiert, dass ich auf die Fresse bekommen hatte. Verrückte Welt!

Für die war ich cool, denn sie sahen nur, dass diese Leute mich kannten, dass ich anscheinend Streit angefangen hatte und dass ich im Mittelpunkt stand. Nach ein paar Wochen hatte ich das Ganze dann aber irgendwie vergessen, da ich längst neuen Dreck am Stecken hatte.

Mikey und sein Projekt

Berlin, März 2012

Ginas Mama ging es psychisch überhaupt nicht gut, sodass Gina nicht mehr zu Hause wohnen konnte. Sie und ihr Bruder sollten so lange woanders unterkommen, bis sich die Lage ihrer Mama wieder stabilisiert hatte.

Leider kam Gina mit ihren Problemen nie zu mir und wohnte dann bei ihrer Cousine. Dadurch sahen wir uns immer seltener, denn sie ging auch nicht mehr regelmäßig zur Schule. Irgendwann brach der Kontakt dann komplett ab, und so kam es dann dazu, dass ich meine Wochenenden nur noch mit Mikey verbrachte.

An Mikey erinnert ihr euch? Klar, wie könnte man diesen einzigartigen Typen vergessen! Er hatte mich nach der Schule gefragt, ob ich am Valentinstag mit ihm einen Joint rauchen würde. Ich willigte ein und dann haben wir geraucht. Es wurden bestimmt ein oder zwei Tüten, und danach gingen wir zu mir nach Hause und aßen KitKat und Pizza.

Wir verstanden uns super, und er lenkte mich mit seiner verrückten Art von meinen Problemen ab. Ab diesem Tag trafen wir uns regelmäßig, wenn ich aus der Schule kam, und verbrachten jedes Wochenende zusammen. Wir rauchten und tranken dann bei mir von Freitag bis Sonntag.

Irgendwann hatte Mikey genug von der Trinkerei und brachte ein wenig Speed mit. Er zeigte also wieder sein wahres Gesicht. Ich habe vorher nicht geahnt, wie verballert Mikey wirklich war und dass er kein Problem damit hatte, jeden Tag zu ziehen. Ich hatte ohnehin keine Ahnung von dem Ganzen. Ich war gut angeheitert und wollte einfach mal ausprobieren, wie es ist, ein paar Nasen zu inhalieren, anstatt mich mit meinen Problemen in der Schule ständig im Kreis zu drehen und den Gedanken an Gina, die mir einfach durch die Lappen gegangen war.

Ab diesem Moment, als ich diese Linie durch den Strohhalm in mein Nasenloch zog, öffnete sich eine Tür zu einer Welt, in der ich sagenhafte fünf Jahre komplett feststeckte.

Diese Welt, die alles für mich bedeutete, die mich veränderte und die mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin. Es veränderte sich einfach alles an meiner Person. Stück für Stück. Tag für Tag. Wochenende für Wochenende.

Erst einmal wurde es jedoch nur ein außergewöhnlich bunter Abend bei mir zu Hause. Am Ende des Wochenendes lagen meine gesamten Klamotten im Zimmer verteilt, denn wir hatten eine megamäßige Kostümparty veranstaltet.

Wir hatten nichts gegessen und getrunken, und irgendwann fiel mir dann auf, dass ich ziemlich pummelig geworden war. Ich hatte das nie wahrgenommen, und mir hatte es auch niemand gesagt. Ich stieg verwundert auf die Waage und war über mein Gewicht erstaunt. Meine Augen waren zum ersten Mal richtig offen gewesen. So offen, dass ich endlich die Wahrheit über mein Leben sah.

Von diesem Moment an war klar, ich musste ein paar Kilo abnehmen. Ich fühlte mich total klar im Kopf, und meine Sorgen zerplatzten wie kleine Seifenblasen. All das, was mich immer so sehr beschäftigt hatte, lies ich hinter mir, und ich dachte ab diesem Abend keine Sekunde mehr darüber nach. Auch nicht dann, als ich wieder heruntergekommen war. Während ich irgendwann mit Mikey auf unserem Balkon saß, dass muss so Mitte März gewesen sein, sagte er: „Du bist soweit. Ich wusste von Anfang an, du hast das Potenzial, um dich zu verändern. Um jemand zu werden. Du bist wie ich.“

Er schaute mir in die Augen und lächelte vertrauensvoll. „Also los! Worauf wartest du? Lass die Maske fallen“, fügte er hinzu und zog an seiner Zigarette. Ich konnte fühlen, wie sich mein Gesicht entkrampfte. Mein aufgesetztes Grinsen wurde endlich zu einem echten Lächeln. Plötzlich war ich einfach nur da. Ich war ich selbst. Ich fühlte mich frei und wusste, ich konnte und musste ihm nicht mehr vormachen, wer ich war, damit er mich mochte oder es ihm in den Kram passte.

Er nahm mich einfach so, wie ich nun mal war. Auch wenn ich auf Droge war. Das spielte nicht den Hauch einer Rolle, denn das, was passierte, fühlte sich echt an. „Wirst du mir denn dabei helfen, mich noch mehr zu verändern?“, fragte ich. „Kennst du noch mehr Leute, die anders sind? Ich will das alles nicht mehr.“ Ich schaute ihn verträumt an, und er flüsterte nur.

„Ich zeige dir meine Welt. Und wenn du bereit bist, wirst du mich verstehen.“ Ich war total begeistert und freute mich innerlich. Ich war nicht aufgeregt, sondern einfach nur gelassen und in mich gekehrt. Der Typ, von dem viele Leute auf der Schule sagten, er sei total verrückt, saß jetzt vor mir und glaubte daran, dass ich ihn verstehen könnte. Niemand hatte ihn verstanden, weil jeder schon geurteilt hatte, genauso wie sie es bei mir getan hatten.

Es dauerte keine zwei Monate, da sprachen wir dieselbe Sprache. Ich nahm schnell mehrere Kilos ab, die ich zu viel auf den Rippen hatte, und war danach ein richtiger Klapperklaus. Es war mir völlig egal. Ich fühlte mich freier mit jedem Kilo, das ich abnahm, und so aß ich irgendwann fast gar nichts mehr. All die Pfunde, die ich mir angegessen hatte, während ich zu Hause Trübsal geblasen und böse Texte aufs Papier gebracht hatte, purzelten hinunter. Die Last. Sie verschwand endlich. In dieser Zeit wurde Mikey zu meinem besten Freund. Er war wie mein zweites Ich, und ich war nicht mehr ich.

War ich etwa gestört? Heute weiß ich, dass es einfach kompliziert ist. Die Pubertät ist eben eine schwierige Phase. Eine Phase, in der man sich nun mal stark verändert. Auch wenn wir immer denken, wir haben den Durchblick und alles andere ist Schwachsinn. Wir waren noch nicht fertig. Wir hatten den einen oder anderen hellen Moment, auch das ist mir heute klar. Wenn man aber in dieser schwierigen Entwicklungsphase auch noch Drogen nimmt, geriet mehr durcheinander, als ohnehin schon passiert.

Mikey der Einzigartige

Berlin, Mai 2012

Mikey und ich chillten also jeden Tag zusammen. Mal hingen wir draußen auf dem Hof hinter der Schule herum, mal auf einem anderen Schulhof, mal am Alex, mal bei mir zu Hause. Er holte mich jeden Tag nach dem Unterricht von der Schule ab. Ich war nur noch mit Mikey zusammen und lernte irgendwann seine Clique kennen, einen wirklich seltsamen Haufen.

Den fünfunddreißigjährigen Tolga, lieb und mit einem großräumigen Drogenproblem, der aussah, als sei er kurz vor dem Abnippeln und seinem achtundzwanzigjährigen, schüchternen Kumpel, der den Spitznamen Lausi trug. Lausi war ein supernetter junger Mann, der ordentlich hauste. Er hatte zwar keinen Job, aber er schien mir total in Ordnung zu sein. Außerdem stieß irgendwann noch Ken dazu, ein schlanker blonder Typ. Er war immer lustig und gut drauf. Ich mochte jeden einzelnen von ihnen und fühlte mich sehr wohl, wenn wir unter uns waren. Bevor ich aber Mikeys Clique kennenlernte, verbrachten wir die meisten Wochenenden bei mir zu Hause. Wir tranken Alkohol und auch die Paste gehörte zu unserem wöchentlichen Ritual. Leise rieselte der Schnee, und zwar zu jeder Jahreszeit.

Ich kam durch Mikey endlich mal wieder richtig raus, nachts zur Tankstelle und sonst wohin. So gut wie überallhin. Bei ihm fühlte ich mich einfach lebendig, denn er erzählte immer viel über das Leben. Er dachte immer viel nach, und ich konnte mich einfach an ihn dranhängen und ihm folgen.

Wie ein Wegweiser hatte er schon früher immer auf dem Schulhof gestanden und auf mich gewartet. Er hatte seine ganz eigene Meinung und passte sich nirgendwo an. In diese Richtung versuchte er stark, auch mich zu lenken. Er wollte einfach aus mir herauskitzeln, wer ich wirklich war und nicht, wer ich vorgab zu sein.

Durch die gemeinsame Arbeit an meiner damaligen unsicheren Person, die ich durch meine Schulzeit in den letzten Jahren geworden war, entdeckte ich neue Seiten an mir. Ich gefiel mir von Tag zu Tag besser, den ich unter den Fittichen von meinem besten Freund verbrachte. Er wurde echt der Beste. Der erste Typ in meinem Leben, mit dem ich so viel Zeit verbrachte. Jeden Tag stand er bei mir auf der Matte, wir telefonierten am Abend, und es gab immer wieder etwas zum Reden. Wir brauchten niemand anderen, wenn wir uns hatten. Es wurde mit ihm nie langweilig, und es dauerte nicht lange, bis wir verschmolzen waren und jeder uns nur noch im Doppelpack kannte.

Was die anderen von ihm hielten, war mir egal, denn er tat mir einfach gut. Viele mochten ihn nicht und wollten dann auch mit mir nichts mehr zu tun haben. Zusammen wurden wir immer stärker. Das konnten sie nicht ertragen. Aber sie konnten uns nicht wegdenken.

Drogenerlebnisse und ein Bonsaibäumchen

Berlin, ein paar Monate zuvor

Einmal, das muss ganz am Anfang unserer Freundschaft gewesen sein, da hatten wir bei mir zu Hause gepeppt. Toralf vom Hof hinter der Schule war dabei und Pete, ein Kumpel von Mikey. Wir waren irgendwann total auf Sendung von der Paste, die Mikey besorgt hatte. An diesem Wochenende war ich zum ersten Mal drei Tage und Nächte wach. Irgendwann, in Mitte dieser drei Tage, saß Pete dann auf dem Fußboden, genau vor dem großen Bonsaibaum meiner Mama, der im Wohnzimmer stand.

Er fing dann auch baldig damit an, ihn vollzulabern. „Hey mein Hübscher. Ick nehme dich mit ins Freibad. Wir machen uns schöne Stunden. Ick mag dich“, haute er raus, ohne dabei eine Miene zu verziehen.

Ich musste tierisch darüber lachen. Zunächst dachte ich, dass er nur Spaß machte. Die anderen saßen mit mir zusammen auf unserer großen Eckcouch, bis auf Mikey. Der hatte sich auf den Stuhl am Fenster gefläzt und beobachtete das Geschehen von dort aus. „Ick weiß schon, wie ick dich nenne“, flüsterte Pete. „Ick nenne dich Baumbart.“

Er klang sehr beruhigend und gefasst. Es schepperte ordentlich bei ihm. Ich fand es wahnsinnig interessant und konnte mir gut vorstellen, dass die Energie, die Pete ausstrahlte, direkt in das Bonsaibäumchen übergehen würde. Ich setzte mich dann zu ihm auf den Fußboden und starrte ihn einfach nur an. Es faszinierte mich total. „Jetzt komm mal langsam wieder klar, Pete“, tönte es aus der Ecke am Fenster.

Mikey fand das Ganze überhaupt nicht lustig, denn er kannte Pete gut genug, um zu wissen, dass das nur ausarten würde. „Jetzt lass ihn doch. Das ist doch cool. Der ist da voll drin. Merkt ihr das? Wie konzentriert Pete ist?“, flüsterte ich leise in die Runde, damit ich ihn auch ja nicht störte.

Die Paste war verdammt in Ordnung, und während wir anderen uns noch eine Bahn hineinzogen, war Pete total gebannt auf seinen Baumbart. Er hatte kein Bedürfnis auf Nachschub und starrte noch immer auf die Blätter vom Bonsai meiner Mama. Irgendwann fing er dann an, den Osterschmuck von den Fenstern zu holen, und hängte ihn sachte in das Bäumchen, bis es komplett verziert war.

Ein Bild für die Götter. Der stabile Pete saß dort im Schneidersitz auf dem Boden und war nahezu in einer Hypnose. In diesem Moment wusste ich, dass Drogen etwas Geniales sein würden. Ich spürte, dass ab nun eine Drogenzeit beginnt, in der ich hoffentlich viele psychedelische Dinge sehen würde. Wenn das Peppen uns schon so weghaute, wie geil würde dann erst Ecstasy oder LSD sein.

Toralf war langsam müde geworden. Er hatte nicht so zugeschlagen, wie wir anderen, und stand dann unvorhersehbar schnell auf und griff sich unseren Staubsauger. „Hast du nicht gesagt, um zwölf räumen wir auf?“ Er war der einzige Vernünftige von uns, und ich freute mich darüber, dass er gewillt war, mir mit der Bude zu helfen. Er steckte das Kabel des Saugers in die Steckdose und fing dann einfach damit an, durch die ganze Wohnung zu gehen und zu saugen. Während des lauten Blasens des Staubsaugers stand Pete noch immer in einer tiefen Verbindung mit seinem Bäumchen.

Er war nicht davon abzubringen, sich nur darauf zu konzentrieren, und verstand sich offenbar auch ohne Worte mit ihm. Als er nach knapp vier Stunden noch immer dort saß, ohne sich zu bewegen, und auf den Baum stierte, sah Mikey schließlich den Drang zu handeln. „Dicker! Es reicht langsam. Du übertreibst es. Du Psycho. Lass den Baum jetzt in Ruhe.“

Pete reagierte nicht. Er reagierte auf niemanden von uns. Erst, als er zur Toilette ging, konnten wir die Verbindung kappen. „Ich bin gleich wieder bei dir mein Großer