Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Wir schreiben das Jahr 2048, Strom ist Mangelware und ein Großteil der Welt ist unbewohnbar. Zurück zu Hause wähnen sich Caitlin und ihre Freunde in Sicherheit. Doch der Schein trügt. Kaum haben sie ihre Widersacher besiegt, nimmt eine unberechenbare Spionin ihre Spur auf. Als Julia ins Visier gerät, zeigt sich schnell: Diese Gegnerin schreckt vor keinen Mitteln zurück. Um sie aufzuhalten, müssen die strahlenden Fünf die Wahrheit ans Licht bringen. Doch das ist leichter gesagt als getan, wenn selbst die fünf Freunde Geheimnisse hüten – und romantische Gefühle alles durcheinanderbringen.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 567
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Band 2
Fantasyroman
von
Lorena Christ
Lorena Christ
https://dubhelm.wixsite.com/lorenachrist
Übereinkunft über die Ausschaltung der Atomkraftwerke
Präambel
Im Gedenken an Asien und die Millionen Opfer der Atomkraft, eingedenk der Verantwortung gegenüber der Menschheit und künftigen Generationen, bekennen sich die Vertragsstaaten zu dieser Übereinkunft und verpflichten sich, ihre Bestimmungen treu einzuhalten.
Artikel 1: Zweck
Diese Übereinkunft bezweckt die vollständige Eliminierung der Atomkraft. Alle Vertragsstaaten verpflichten sich, ihre Atomkraftwerke und Atombomben zu vernichten.
Artikel 2: Umsetzung
a. Die Vertragsstaaten gründen hiermit die Welt-Krisen-Allianz.
b. Alle Vertragsstaaten haben ein nachhaltiges Energiesystem zu entwickeln.
c. Sie setzen sich für die Forschung im Bereich der Nachhaltigkeit ein und verpflichten sich, ihr Wissen mit der Allianz zu teilen.
d. Jeder Vertragsstaat strebt die selbstständige Stromversorgung an.
e. Die Allianz gründet einen Subventionierungsfond, in welchen alle Vertragsstaaten jährliche Beiträge einzahlen.
f. Es besteht eine jährliche Informations- und Meldepflicht.
Artikel 3: Fristen
Es sind Fristen für die Umsetzung per Verordnung festzulegen.
Artikel 4: Sanktionen
Bei Missachtung der Pflichten, die den nachfolgenden Bestimmungen innewohnen, sind die Vertragsstaaten sowie die Allianz befugt, Sanktionen auszusprechen. Insbesondere:
a. Die Auflösung von Staatsverträgen;
b. Die Zurückhaltung von Geldern und Subventionen;
c. Das Verhängen eines Handelsstopps (Handels-, Wirtschafts- und Finanzembargo).
Du bist nicht meine Tochter. Du bist ein Monster.
Caitlin näherte sich mit schleppenden Schritten ihrem Haus. Ihre Beine fühlten sich an, als hätte sie schwere Bleiblöcke an den Füßen. Die Worte ihres Vaters wurden bei jedem Schritt lauter. Obwohl Caitlin wusste, dass ihr nicht wirklich jemand ins Ohr schrie, schüttelte sie den Kopf hin und her, als wollte sie eine summende Fliege verscheuchen. Ihr Blick fiel kurz auf das Gebäude, in welchem sie daheim war, doch sofort senkte sie den Kopf wieder. Sie zwang sich, weiterhin einen Fuß vor den anderen zu setzen. Natürlich wusste sie, dass sie sich nun genau vor ihrem Wohnblock befand. Trotzdem brachte sie es nicht über sich, das Gebäude zu begutachten. Die Erinnerungen an diesen verhängnisvollen Tag fraßen sich in sie hinein und schienen sie von innen heraus zu verbrennen.
Caitlin kam beim Tor an, lehnte sich dagegen und schloss die Augen. Sie musste sich gefälligst zusammenreißen. Sie war entführt und gefoltert worden und hatte sich selbst befreit. Sie war von einem bösartigen Fremden geschlagen und erniedrigt worden und hatte es überwunden. Sie wusste, dass sie stark war, dass sie nicht länger wehrlos war. Und dennoch stand sie jetzt vor ihrem Haus und graute sich davor, in die Augen ihres Vaters zu sehen – seinen abschätzigen, verächtlichen Blick ertragen zu müssen.
Du bist nicht meine Tochter. Du bist ein Monster.
Mit zitternden Knien öffnete sie das Tor und trat hindurch.
„Das ist doch lächerlich“, zischte sie sich selbst zu. Sie hielt den Atem an und ging zügig zur Haustür. Ohne einen weiteren Gedanken zuzulassen, klingelte sie zweimal.
Als sie Schritte hörte, begann ihr Puls zu rasen. Abrupt wurde die Tür aufgerissen. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
„Mom.“
Ihre Mutter schien eine Sekunde wie erstarrt. Dann rief sie laut Caitlins Name und beugte sich nach vorn, um sie zu umarmen. Doch ihr entging nicht, wie sie zuerst einen kurzen, aber eindeutigen Blick nach hinten warf. Sie presste Caitlins Körper fest an sich, aber alle Fasern in ihrem Leib blieben in Alarmbereitschaft. Ihre Mutter presste sie ein bisschen zu sehr, ein bisschen zu hektisch an sich. Sanft, aber bestimmt löste sich Caitlin von ihr.
„Mein Kind ... ich habe mir solche Sorgen gemacht ...“
Die Stimme ihrer Mutter brach. Caitlin biss sich auf die Lippen und ein Kloß stieg in ihrem Hals auf. Sie wusste, dass ihre Mutter ihre Kinder über alles liebte. Sie wusste, dass sie bestimmt krank gewesen war vor Sorge. Aber sie hatte Caitlin auch nicht zu Hause gewollt. Sie hatte sich dazu entschieden, ihrer Tochter ein Zuhause zu verweigern. Caitlin schluckte den Kloß hinunter.
„Mom, darf ich reinkommen?“
Ihre Stimme klang brüchiger, als sie gedacht hatte.
Die Hände ihrer Mutter zuckten, die sie nach Caitlin ausgestreckt hatte.
„J... ja, mein Liebes ... komm ruhig.“
Sie drückte ihr Hand, lächelte gezwungen und führte ihre Tochter hinein. Caitlin stand kurz davor, loszuheulen. Nicht einmal jetzt, nach ganzen zwei Wochen, konnte ihre Mutter für sich und ihre Wünsche einstehen.
„Leonie!“, rief ihre Mutter nun. „Komm hinunter!“
Ein paar Sekunden später war Leonie die Treppe hinuntergepoltert. Als sie Caitlin sah, stieß sie einen spitzen Schrei aus und fiel ihr in die Arme. Caitlin zog ihre Schwester an sich und drückte sie. Für einen Moment fiel die Anspannung ab.
„Ach, Leonie... ich habe dich so vermisst“, murmelte sie und lachte kurz auf, ein Lachen zwischen Erleichterung und Trauer. Sofort ging es in ein leidendes Keuchen über.
„Hey, Caitlin, alles wird gut.“
Leonie drückte sie noch fester, Caitlin nickte. Sie krallte ihre Hände in Leonies Pullover; sie war noch nicht bereit dazu, sie loszulassen. Sie war die Einzige, die sich aufrichtig und ehrlich freute, dass sie hier war. Caitlin wusste schon, ihr Vater würde alles andere als erfreut sein. Das hatte die Reaktion ihrer Mutter deutlich gezeigt.
„Caitlin“, setzte Leonie an, „du musst wissen ... Papa geht es wieder gut, er ist oben, schlafend, aber bei Kräften. Doch ... er ist immer noch besessen von der Idee, dass ... dass ...“
Caitlin zitterte am ganzen Körper. Mit einem Mal fühlte es sich dort, wo Leonie sie berührte, nicht mehr warm, sondern eiskalt und taub an. Sie löste sich von ihr.
„Von welcher Idee?“
Leonie biss die Zähen aufeinander und sah ihre Schwester stumm an. Caitlin warf einen kurzen Blick auf ihre Mutter, die reglos neben ihren Töchtern stand und eine schmerzverzerrte Miene zog. Sie hatte ihr das offenbar nicht selbst sagen können. Ihr Blick glitt wieder auf Leonie.
„Leonie, rede.“
Caitlins Stimme klang rau.
„Er denkt, dass du dunkle Kräfte in dir hast, dass dunkle Kräfte dich quasi ... besessen haben.“
Das Zittern nahm zu, als wäre sie in eisiges Wasser gefallen. Rasch schlang sie die Arme um den Oberkörper.
„W... was?“ Es war das Einzige, was sie herausbrachte. Ihr Gesichtsfeld schien sich zu verkleinern.
„Aber zumindest denkt er nicht mehr, dass seine Tochter fort ist, Kate, meine Liebe“, meldete sich nun ihre Mutter zu Wort. Mühsam drehte Caitlin sich ihr zu, die Hände fest gegen den Oberkörper gepresst.
„Er denkt ... er denkt, du musst gerettet werden ...“
Ihre Mutter verstummte, als sie Caitlins Gesicht sah. Sie gab ein wimmerndes Geräusch von sich und streckte ihre Hand nach der Wange ihrer Tochter aus.
„Kate, Liebes, es tut mir so leid ...“
Caitlin wandte den Kopf ab. Galle kam in ihr hoch, die sie rasch hinunterschluckte.
„Es tut dir leid?“, rief sie schrill.
Die Hand ihrer Mutter hing noch immer in der Luft.
„Es tut dir leid?“, presste sie, nun leiser, hervor.
Ihre Mutter hatte sie nicht mehr bei sich zu Hause gewollt. Sie hatte zugesehen, wie ihr Vater sie vertrieben und ein Monster genannt hatte. Und so, wie sie die Situation einschätzte, hatte ihre Mutter in all dieser Zeit ihren Mund ihrem Mann gegenüber nie aufgemacht. Die Umgebung um Caitlin herum wurde dunkler und unscharf.
Die nächsten Worte kamen nur keuchend über ihre Lippen.
„Ist das alles, was du zu sagen hast?“
Die Hand ihrer Mutter zitterte.
„Ich ... Caitlin, du weißt doch, wie dein Vater ist ..., wenn er eine Meinung hat, hat er sie ...“
Caitlin biss die Zähne aufeinander. In den betäubenden Schmerz mischte sich Wut.
„Mein Vater? Er ist auch dein Mann!“
Ihre Mutter zuckte zurück. Vage registrierte Caitlin, dass Leonie näher zu ihr trat. Doch auch sie konnte im Moment nichts an ihrem Gefühlschaos, ihrer Enttäuschung ändern.
„Was ... was meinst du ...?“
Caitlin schüttelte entrüstet den Kopf, während die Wut wie elektrischer Strom durch ihren Körper jagte. Eigentlich hatte sie immer Mitleid mit ihrer Mutter verspürt, weil diese sich nicht gegenüber ihrem Vater durchzusetzen vermochte. Aber jetzt – jetzt war es anders. Es war zu viel.
„Wieso redest du nicht mit ihm? Wieso stößt du mich weg statt ihn?“, schrie sie und fühlte ihr Gesicht rot anlaufen.
Ihre Mutter blickte sie erschüttert an, und durch ihre verdunkelte Sicht bemerkte Caitlin, wie sie nach hinten gegen die Kommode taumelte. Leonie berührte sie sachte am Rücken, im Versuch, sie zu beruhigen. Doch Caitlin konnte sich nicht beruhigen. Sehr deutlich hatte sie nun eines vor Augen: Die Angst um den Zuspruch ihres Mannes war für ihre Mutter wichtiger als das Wohl ihrer Tochter.
„Caitlin, bitte ... du weißt, ich liebe euch zwei über alles ...“
Die Stimme ihrer Mutter war nur ein Flüstern. Das brachte Caitlin noch mehr in Rage.
„Ach ja? Und wieso stehst du dann nicht für mich ein? Wieso machst du nicht einmal, nur ein einziges Mal deinen Mund auf?“
Ihre Mutter starrte sie mit geweiteten Augen an.
„Oder hältst du mich auch für ein Monster? Ist es das?“
Nun zog Leonie kräftig an Caitlins T-Shirt.
„Caitlin. Hör auf. Komm, das bringt doch nichts.“
Caitlin drehte sich zu ihrer Schwester um und sah deren sorgenvollen Blick. Sie schniefte, und erst jetzt bemerkte sie, dass sie weinte. Wütend strich sie die Tränen von ihrer Wange.
„Ich kann das nicht mehr, Leonie“, hauchte sie. Ihre Mutter, die sich an die Kommode gepresst hatte, regte sich neben ihr.
„Ich halte dich nicht für ein Monster, Caitlin“, flüsterte sie. An ihrer Stimme wurde deutlich, dass auch sie weinte. Caitlin zitterte nun so stark, dass sie kaum mehr stehen konnte, die Luft drang durch den Rotz nur schwerlich bis zu ihrer Lunge durch. Im gleichen Moment, in dem sie ihre Mutter schniefen hörte, schnürte sich ihre Kehle ganz zu.
Ihr Blickfeld verschwamm und ehe sie sich versah, trugen ihre Beine sie stolpernd nach oben in ihr Zimmer.
Dort schlug sie die Tür zu, warf sich aufs Bett und weinte hemmungslos. Sie weinte so lange, bis ihr Kopf schmerzte wie die Hölle. Da hörte sie ein zaghaftes Klopfen an ihrer Türe. Ohne den Kopf zu heben, murmelte sie ein Ja. Sie wusste, wer davorstand.
Ihre Schwester kam rein, schloss sofort die Tür und tappte vorsichtig zu ihr ans Bett. Sogleich nahm Caitlin den Geruch von warmer Milch und Honig wahr. Unwillkürlich musste sie lächeln. Dieses Getränk hatten sie als Kinder jeden Morgen getrunken, und als sie zu alt dafür wurden, hatten sie es immer dann getrunken, wenn sie sich verletzt hatten, hingefallen oder krank waren. Rasch setzte sich Caitlin halbwegs auf, ohne sich darum zu kümmern, dass ihre Haare in alle Richtungen abstanden und an ihren Wangen klebten. Sie zog die Nase hoch.
„Danke, Leonie.“
Leonie übergab ihr die dampfende Tasse, dann lehnte sie sich gegen Caitlins Schulter. Eine Weile lang sagte keiner etwas, und Caitlin nippte langsam an der Milch.
„Ich denke, wir können daraus lernen, es selbst später anders zu machen.“
Caitlin war ihr dankbar, dass sie nicht es tut mir leid sagte oder ihr beteuerte, wie sehr sie mit ihr fühlte. Das wusste Caitlin bereits. Und sie war froh, dass Leonie nicht versuchte, ihre Mutter – oder ihren Vater – zu verteidigen. Die beiden Schwestern starrten geradeaus.
„Es schmerzt irgendwie, zu wissen, dass sich Papa nie für seine Reaktion von damals entschuldigen wird.“
Caitlins Stimme glich einem Hauchen.
„Papa entschuldigt sich grundsätzlich nie“, erwiderte Leonie grimmig. „Er sucht lieber die Schuld bei allen anderen, um seine Reaktion auf verquere Weise zu rechtfertigen, statt die Worte ‚es tut mir leid‘ in den Mund zu nehmen.“
Caitlin gab einen erstickten Laut von sich, der einem freudlosen, zynischen Lachen ähnelte. Sie leerte den Becher und stellte ihn auf den Boden. Dann legten sich beide nebeneinander auf das Bett und hielten sich an den Händen. Es vergingen einige Minuten, bis Leonie die Stille wieder brach.
„Wie sind denn die anderen Kids so? Ich habe noch gar nichts über sie erfahren.“
Caitlin musste lächeln. Sie drehte sich halb zu ihrer Schwester um, wobei die Bettdecke unter ihr raschelte.
„Sie sind toll. Alle einzigartig. Und wir haben alle gefunden.“
Und Caitlin erzählte ihr von jedem der strahlenden Fünf – beziehungsweise vier – einzeln. Von Julia und ihrer süßen, aufgeregten Art, und davon, wie sehr sie ihr in so kurzer Zeit ans Herz gewachsen ist. Von Connor und dem Mobbingproblem, das er in der Schule hatte. Daraufhin wurde Leonie, wie erwartet, stockwütend.
„Ganz egal, wer man ist oder wer man zu sein glaubt. Man sollte nie andere fertigmachen.“
Caitlin nickte betrübt. Sie fuhr mit Darren fort. Sie erzählte, wie sie jeweils zu zweit joggen gegangen waren und wie er der ganzen Gruppe Selbstkontrolle beigebracht hatte. Mit ihm hatte sie wirklich so einiges erlebt – den Kuss erwähnte sie ihrer Schwester gegenüber jedoch nicht.
„Und dann ist da noch Ariana“, schloss sie ihre Vorstellung und musste unwillkürlich lächeln. Ihre Gedanken wanderten zu der seltsamen Abschiedssituation mit ihr vor Arianas Haustüre.
„Nun, sie ist bildhübsch und sehr taff. Ich würde sagen, das beschreibt sie auf den ersten Blick sehr gut.“
Leonie musterte Caitlin eingehend.
„Und auf den zweiten?“
„Nun ja, man kann mit ihr eine Menge lachen. Spaß haben. Aber man kann mit ihr auch ernste Gespräche führen. Sie ist ehrlich, aber feinfühlig.“
Caitlin dachte daran, dass Ariana schnell erfasst hatte, wie sehr ihre Eltern sie nach dem Unfall abgestoßen hatten. Sie hatte versucht, sie aufzubauen und ihr Hoffnung zu geben. An dir ist absolut gar nichts falsch. Caitlin schloss die Augen und seufzte.
„Hey, Caitlin.“
Leonie streckte wieder ihre Hand nach ihr aus. Caitlin ergriff sie.
„Komm, du solltest mit deinen Freunden sprechen. Vielleicht hilft das ein wenig.“
Caitlin nickte stumm. Rasch setzte sie sich auf dem Bett auf.
„Ich mache einen Chat“, meinte sie und griff nach ihrem Handy, das sie dummerweise seit zwei Tagen nicht mehr der Sonne ausgesetzt hatte. Der Akkustand war bedenklich niedrig. Trotzdem tippte sie rasch auf dem Bildschirm herum und erstellte einen Chat mit dem Titel Die Strahlenden Fünf. Schon eine Minute später waren alle online. Leonie erhob sich vom Bett.
„Ich lass dich dann mal.“
Caitlin nickte und umarmte ihre Schwester fest. Dann tappte Leonie leise aus dem Zimmer. Caitlins Handy piepte.
Darren: Hey! Coole Idee!
Julia: Ja, echt!
Darren: Wie ist es gelaufen?
Julia: Ganz ok. Zum Glück waren Caitlin und Ariana da.
Connor: Hey! Es lief gut. (:
Darren: Super, bei mir auch.
Caitlin: Das freut mich!!
Ariana: Ja, freut mich Leute! Bei mir ging es so la-la.
Caitlins Magen zog sich bei Arianas Nachricht zusammen. Schon wollte sie antworten, doch da tippte Ariana wieder.
Ariana: Aber lag weniger an den Kräften als an anderem.
Alle beteuerten, dass es ihnen leidtat, nur Caitlin wartete mit einer Antwort. Sie wusste, um was es sich bei dem anderen handelte. Arianas Eltern stießen ihre Tochter ab, genau wie Caitlins Eltern es momentan taten – jedoch war der Grund bei Ariana viel persönlicher, viel tiefgreifender. Caitlin wusste nun, wie schrecklich es sich anfühlte, von den eigenen Eltern weggestoßen zu werden. Und es machte sie wütend, zu wissen, dass Ariana dieses Gefühl seit Jahren durchleben musste. Endlich kriegte sie ihre Finger dazu, eine Antwort zu tippen.
Caitlin: Tut mir sehr leid, Ari, ich hoffe, du konntest der Situation zumindest schnell entfliehen.
Ariana antwortete sofort.
Ariana: <3 Und wie lief es bei dir?
Caitlin stockte, dann tippte sie erneut.
Caitlin: Nicht so gut.
Das war die Untertreibung des Jahrhunderts.
„Anzeichen für die Natur- und Atomkatastrophe gab es schon ganze zehn Jahre zuvor. Lasst euch das einmal auf der Zunge zergehen. Zehn Jahre zuvor.“
Frau Smith, die Geschichtslehrerin, deutete mit dem Stift bedrohlich auf ihre Schüler, während sie weiterredete. Caitlin hörte nur mit halbem Ohr zu und ließ ihren Kugelschreiber auf der Tischplatte kreisen. Das wusste sie bereits alles – schließlich war ihre Mutter 2035 mit ihr aus Japan geflüchtet. Sie war vom gestrigen Tag erschöpft und nicht wirklich in Stimmung, um sich nun mit dieser Katastrophe auseinanderzusetzen.
„England hat in der Aufklärung über die Atomkraftgefahren eine wichtige Vorreiterrolle übernommen. Wir waren eines der ersten Länder, die dem Vertrag über die Ausschaltung der Atomkraftwerke beigetreten sind. Damit zählen wir zu den Gründungsstaaten. Kennt jemand die anderen beiden Gründungsstaaten der Übereinkunft?“
Anna hob die Hand.
„Spanien und Deutschland.“
Frau Smith lächelte zufrieden.
„Richtig. Zu dritt versuchten sie, die restlichen verbliebenen Staaten zum Beitritt zu überzeugen. Nach wenigen Jahren waren alle Länder dabei. Was, denkt ihr, war ausschlaggebend für den Erfolg?“
Ein Schüler weiter hinten meldete sich.
„Die Subventionen natürlich.“
„Unter anderem. Öffnet am besten einmal den Vertragstext auf Seite zweihundert auf dem Bildschirm.“
Caitlin seufzte und drehte sich zu ihrer Freundin Anna um. Diese vergrößerte den Bildschirm auf ihrer Tischplatte. Schon bald wurden weitere Argumente in den Raum geworfen.
„Alle beigetretenen Länder werden von der Allianz unterstützt.“
„Wer beitritt, bekommt Zugang zum gemeinsamen Wissen und den neusten Forschungsentwicklungen.“
Frau Smith stützte sich mit den Händen auf die Tischkante.
„Sehr gut. Interessant ist auch, dass ein paar Länder erst beitraten, als die Sanktionen eingeführt wurden. Wenn ein Land die Pflichten der Übereinkunft nicht erfüllt, sind alle anderen Länder befugt, das fehlbare Land vom Handel komplett auszuschließen.“
Frau Smith lehnte sich weiter vor.
„Vielleicht ist jemandem das Wörtchen ‚insbesondere‘ aufgefallen. Diese Sanktionen sind nicht abschließend. Es können stets weitere Sanktionen definiert werden.“
Caitlin erschauderte. Frau Smith klatschte in die Hände.
„Aber genug davon. Jetzt geht es darum, ein bisschen kreativ zu werden. Ich möchte, dass ihr einen Zeitstrahl erstellt, ausgehend vom Jahr 2040, und euch die wichtigsten Ereignisse notiert.“
Caitlin hob skeptisch die Augenbrauen. Besonders kreativ erschien ihr das nicht. Anna begann bereits zu schreiben.
„Gehen wir rückwärts“, meinte sie. „Dieses Jahr kommt der weltweite Atomstopp. Letztes Jahr wurde an der Welt-Krisen-Sitzung endlich die Jahresfrist vereinbart.“
Caitlin nickte bekräftigend.
„Ich erinnere mich noch gut an die Slogans.“
Sie verdrehte grinsend die Augen.
„England für eine bessere Zukunft!“, rief sie theatralisch. „England für viele weitere Generationen!“
Anna machte sofort mit.
„Energie ist wichtig, aber Zusammenhalt ist wichtiger!“
Caitlin prustete leise.
„Das war mein Lieblingsslogan.“
Als sich Caitlin Julias Schulhaus näherte, sah sie bereits ihren kleinen Lockenschopf und Arianas hochgewachsene Gestalt vor dem Eingangstor. Ariana entdeckte sie als Erste und winkte. Sie hatte ein blutrotes enganliegendes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke an, dazu trug sie eine passende rote Tasche. Caitlin beschleunigte ihre Schritte, während sie sich stumm fragte, wie Arianas Schulsachen in diese Tasche passten.
„Hey“, sagte sie zu Ariana.
„Hey“, erwiderte sie und die beiden lächelten sich an. Dann strich Caitlin Julia über den Kopf, welche unruhig auf den Füßen hin und er wippte.
„Wie war die Schule?“
Julia zog die Schultern hoch.
„Normal, aber mit Connor wäre es lustiger gewesen.“
Caitlin lächelte dem Mädchen warm zu.
„Das glaube ich, aber hey, man darf ja auch viele verschiedene Freunde haben. Also alles gut.“
Julia nickte, in diesem Moment kamen Connor und Darren herbeigeschlendert. Caitlin begrüßte zuerst Connor, dann sah sie zu Darren und zog die Augenbrauen hoch.
„Hey, du siehst ja echt beschissen aus.“
„Das wollte ich auch grad sagen“, bemerkte Ariana neben ihr trocken.
Darren blickte die beiden finster an, doch sein Mundwinkel zuckte.
„Danke, ich freue mich auch, euch zu sehen.“
Er trat einen Schritt auf Caitlin zu, doch Caitlin hielt in an der Schulter und betrachtete ihn von oben bis unten.
„Ich mein’s ernst“, beteuerte sie in besorgterer Tonlage. Wie zur Bestätigung überkam Darren ein Hustenanfall.
„Mich hat’s erwischt, das ist alles“, krächzte er. Caitlin zog die Augenbrauen hoch.
„So wird das aber nichts mit dem Joggen diese Woche.“
Am Morgen hatte Darren sie per Chat gefragt, wann sie wieder zusammen joggen wollten. Caitlin hatte daraufhin noch vor Schulbeginn einen geteilten Kalender erstellt.
„Mal schauen“, meinte er. „Was ist nun der Plan?“
„Also, wir wollen hier an Julias Schule üben, was wir morgen bei Connor an der Schule starten wollen“, fasste Ariana knapp zusammen.
„Bevor wir anfangen, möchte ich euch noch etwas zeigen.“
Grinsend zog Caitlin ihr Handy hervor.
„Ich habe eine Webseite erstellt, welche aber noch nicht online ist.“
Sie ließ den Handybildschirm in der Luft aufflimmern und schaute die anderen erwartungsvoll an.
„Five – Supportgruppe von Jugendlichen für Jugendliche“, las Julia laut vor, dann sog sie überrascht die Luft ein.
„Oh, unser Hilfsangebot!“
Caitlin grinste noch breiter und scrollte nach unten.
„Genau – es ist einfach mal ein Gerüst. Meine Idee war, dass es einerseits themenbezogene Selbsthilfegruppen geben sollte, und andererseits Chats mit uns.“
Ariana lächelte sie warm an.
„Das finde ich super.“
Darren nickte zustimmend, während Connor sich interessiert nach vorne lehnte.
„Wir müssen unbedingt Flyer in all unseren Schulen aufhängen“, meinte er. „Bei uns gibt es seit ein paar Jahren, um Energie zu sparen, wieder so ein Whiteboard.“
Julia nickte eifrig.
„Bei uns auch! Ich werde gleich mehrere aufhängen!“
Caitlin grinste, erleichtert darüber, dass ihre Vorarbeit so gut ankam.
„Die Gruppentreffen sind aber online, für ganz England, oder?“, hakte Ariana nach.
„Das habe ich mir so vorgestellt, ja“, meinte Caitlin. „Es ist wohl auch sicherer und einfacher zu organisieren.“
Alle stimmten ihr zu.
„Dennoch wollte ich eine gewisse Kontrolle einbauen“, fuhr Caitlin daher fort. „Ich dachte an eine Bedingung von mindestens fünf Teilnehmern: Man trägt sich für ein Meeting ein, und wenn sich fünf Personen mit demselben Problem gemeldet haben, werden sie automatisch miteinander verbunden. Zu diesem Zweck habe ich eine lange Liste an möglichen Problemen integriert. Ihr dürft gerne Themen hinzufügen.“
Fragend schaute sie in die Runde. Ariana und Darren waren damit beschäftigt, sich die Liste durchzulesen, und brummten zustimmend.
„Deswegen Five“, bemerkte Connor. „Ich dachte zuerst, das ist wegen uns. Aber ich finde den Kontrollmechanismus gut.“
Caitlin lächelte ihn vielsagend an.
„Na ja, es ist teilweise auch wegen uns.“
Sie wischte zur nächsten Unterseite, auf welcher alle der strahlenden Fünf als Gründer des Angebotskurz vorgestellt wurden.
„Ich habe keine Fotos von uns reingestellt, uns aber ein wenig beschrieben, damit die Leute wissen, mit wem sie es zu tun haben. Zudem sind wir auch für die Chats zuständig.“
Darren hob die Augenbrauen.
„Jeder in seinem ... Spezialgebiet?“
Caitlin lachte auf.
„Ja, so in etwa. Dafür muss ich von euch aber noch erfahren, welche Spezialgebiete beziehungsweise Erfahrungsgebieteihr beanspruchen möchtet.“
Caitlin tippte auf Darrens Name und dann auf Bearbeiten.
„Darren?“
Darren antwortete sofort.
„Impulskontrolle, ADHS.“
Caitlin nickte und trug die Themen schweigend ein.
„Ariana?“
„LGBTQ+ sowie Glaubensfragen“, antwortete sie bestimmt.
„Connor?“
Connor brauchte einen Moment, bevor er antwortete.
„Mobbing, Depressionen.“
Caitlins Finger verweilte kurz in der Luft, ihr Kopf schnellte nach oben. Bestürzt blickte sie Connor an.
„Das wusste ich gar nicht“, meinte Darren neben ihm leise. Connor wand sich unbehaglich.
„Es ist schon eine Weile her.“
Ariana musterte ihn eindringlich und hob skeptisch eine Augenbraue.
„Wirklich“, betonte Connor. Mit einem beklemmenden Gefühl im Magen trug Caitlin die beiden Themen ein. Bevor sie nachfragen konnte, wechselte Connor bereits das Thema.
„Und bei dir selbst, wie würdest du die Themen betiteln?“
Caitlin kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe.
„Ich glaube, dysfunktionale Familie und Eltern-Kind-Beziehung trifft es am besten.“
Caitlin warf einen Blick auf Julia, welche auffällig ruhig neben Connor stand. Sie schaute ihr direkt in die Augen.
„Ich denke, bei mir sind es dieselben Themen wie bei dir.“
Caitlin wischte flink auf ihrem Bildschirm herum.
„Bei dir steht zusätzlich, dass du ein Kind bist. Wir können Anfragen ja dann anfangs auch gemeinsam anschauen und entscheiden, wer wie antwortet, ja?“
Julia nickte langsam, ihr Augenmerk fiel dabei auf Connor. Auch sie war wahrscheinlich bestürzt über die neue, zusätzliche Information.
„Aber jetzt müssen wir uns um die Mission Connor kümmern.“
Erbost reckte sie ihr Kinn vor, während Connor sich verlegen die Arme rieb. Caitlin schluckte trocken.
„Ganz genau.“
Darren nickte grimmig und marschierte voran.
„Wer ist nochmals das Versuchskaninchen?“
„Ich“, brummte Caitlin, während sie ihm durch das Eingangstor folgte. Er drehte sich abrupt um.
„Du? Nein, ich sollte das machen.“
Caitlin seufzte.
„Davon hatten wir es doch schon. Meine Kraft bringt nun mal nichts für dieses Unterfangen. Deine schon.“
Mit finsterer Miene lief Darren weiter.
„Ach, dieses Machogetue“, sagte Ariana mit einem Augenverdrehen. Caitlin hatte gar nicht bemerkt, dass sie dicht neben ihr lief, und fuhr zusammen.
Ariana grinste nun.
„Als ob du uns nicht managen könntest.“
Die Gruppe begab sich zu der Turnstange, die am Rand des Schulhofes aufgestellt worden war, wobei Caitlin sich direkt neben dem Turngerät positionierte.
„Dann mal los. Ariana, beginne du.“
Caitlin schloss die Augen. Schon bald spürte sie die Hitze neben sich, woraufhin sie die Augen wieder aufriss.
„Ja! Es hat geklappt.“
Sofort ließ die Hitze nach, die von der Turnstange zu ihr hinüber strahlte.
„Connor, versuch du es!“, rief Caitlin, nun ein wenig hibbelig. Connor trat mit ernster Miene vor und streckte den Arm mit der Handfläche nach vorn aus. Ein paar Sekunden später traf Caitlin das Licht mit voller Wucht. Hastig kniff sie die Augen zusammen.
„Es funktioniert. Warte mal schnell!“, rief sie ihm mit geschlossenen Augen zu. Das Licht flackerte kurz, dann erlosch es. Caitlin öffnete die Augen wieder.
„Kontrolle hast du auf jeden Fall, aber wenn du die Hand so ausstreckst, sieht man es sofort.“
Connor nickte, immer noch mit ernster Miene. Nun probierte er zögernd andere Handpositionen aus, doch keine schien ihm zu gefallen. Julia stellte sich mit einem Hüpfer neben ihn.
„Schau, du kannst das Licht doch so schräg nach oben beamen.“ Sie ergriff seine Hand und zog so lange an ihr herum, bis sie sich in der richtigen Position befand.
„So“, meinte Julia selbstzufrieden und lächelte zu Connor hinauf. Connor lächelte flüchtig zurück – sein erstes Lächeln an dem Tag.
„Bereit?“
Connor nickte, und kurz darauf brach ein neuer Lichtstrahl aus seiner Handfläche. Caitlin wurde in gleißend-weißes Licht getaucht. Sie blinzelte heftig.
„Okay, ein bisschen präziser!“, rief sie, obwohl Connor sie eigentlich gut hören konnte.
„Ich weiß nicht wie“, gab er angestrengt zurück. Intuitiv hatte Caitlin eine Idee.
„Probiere, deine Handfläche zu verkleinern. Krümme die Finger nach innen.“
Es funktionierte tatsächlich; der Lichtstrahl wurde dünner. Caitlin klatschte in die Hände.
„Super, du kannst aufhören.“
Sofort erlosch das Licht. Caitlin sah zu Connor hinüber, auf dessen Gesicht ein feines Lächeln lag. Ihre Gedanken wanderten zu dem Tag zurück, an dem Connor zu ihnen gestoßen war. Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
„Du warst von uns allen am schnellsten im Lernen, weißt du das?“
Überrascht sah Connor sie an.
„Du bist als Letzter zu uns gestoßen, aber bereits am ersten Tag, beim Salem’s, hast du deine Kräfte gezielt eingesetzt“, erinnerte sie ihn. Connor wurde rot.
„Hm, ja, stimmt“, murmelte er mit Blick auf den Boden.
„Okay, jetzt ist Darren dran.“
Sie hielt den Blick streng nach vorne gerichtet, auf der Suche nach einem elektrischen Strahl von Darren. Neben sich hörte sie ein Zischen und zuckte zusammen.
„Warte, Darren, du musst weiter nach hinten gehen. Hier kann ich dich hören.“
Darren nickte und ging keuchend ein paar Schritte zurück. Caitlin runzelte die Stirn. Strengte ihn das kurze Benutzen der Kräfte so sehr an? Nun erschien von einer Sekunde auf die andere ein blau-weiß leuchtender Strahl vor ihr. Eine Zickzacklinie bahnte sich ihren Weg über den Boden, beschrieb dann jedoch einen Bogen und wurde zur Turnstange gelenkt.
„Interessant“, murmelte Caitlin, während sie den elektrischen Strahl begutachtete, der nun einen Bogen um ihre Füße herum schlug.
„Darren, der Strahl ist nicht gerade. Er wurde zur Stange gelenkt“, rief sie nachdenklich. Darren hustete, der Strahl erlosch.
„Fuck“, sagte er. Caitlin drehte sich zu ihm um.
„Alles okay?“
„Ja, ihr wisst ja, dass meine Kraft die einzige ist, die mit Schmerzen verbunden ist“, bemerkte er betont düster.
„Ja, aber das meinte ich nicht“, erwiderte Caitlin und trat näher an ihn heran.
„Du solltest dich echt ausruhen. Du bist krank. Wenn du etwas Bakterielles hast, haben wir echt ein Problem.“
„Wir?“, krächzte er irritiert.
„Mensch, Darren, sei doch nicht so stur“, neckte Ariana. „Das konnte man sich früher vielleicht erlauben, aber heute ohne Antibiotika nicht mehr.“
Darren verdrehte theatralisch die Augen.
„Sie haben recht, Darren. Geh‘ dich ausruhen“, mischte sich Connor ein. Darren seufzte und rieb sich müde übers Gesicht.
„Okay, verstanden. Aber machen wir das hier zuerst noch fertig. Es fehlt nur noch Julia.“
Julia wippte aufgeregt auf ihren Zehen. Caitlin lächelte ihr zuversichtlich zu und stellte sich auch ihrer Kraft. Nachdem sie fertig geübt hatten, machte sich Darren auf den Weg nach Hause. Währenddessen bettelte Julia Caitlin an, um noch mit Connor auf dem Spielplatz der Schule verbleiben zu dürfen. Connor stand stumm und angespannt daneben.
„Ach Julia, deine Mutter macht sich doch bestimmt Sorgen, wenn du spät nach Hause kommst. Nach allem, was war.“
Julia schüttelte vehement den Kopf.
„Sie ist sowieso erst um sechs zu Hause.“
Caitlin schluckte und wechselte einen fragenden Blick mit Ariana. Diese zuckte unschlüssig die Schultern. Caitlin musste zugeben, dass sie selbst ebenfalls keine Lust hatte, nach Hause zu gehen, im Gegenteil – beim Gedanken daran wurde ihr übel. Ihr Vater war bestimmt als Einziger zu Hause.
„Okay, ich komme dich um sechs holen. Dann bringe ich dich nach Hause.“
Julia drückte zuerst Caitlin so fest an sich, dass sie ihr die Luft aus den Lungen presste, dann packte sie Connor bei der Hand und führte ihn wieder zur Turnstange. Caitlin schmunzelte und drehte sich dann zaghaft zu Ariana um. Diese beobachtete die beiden Kinder ebenfalls mit einem leichten Lächeln um die Lippen. Caitlin räusperte sich.
„Hey, ähm, gehst du jetzt nach Hause?“
Ariana drehte sich zu ihr um und schaute sie wieder mit ihrer forschenden Miene an.
„Ist das deine Art, mich zu fragen, ob ich mit dir einen Kaffee trinken gehe?“
Caitlin spürte, wie sich ihr Gesicht erhitzte.
„Ähm, ja.“
Sie wusste nicht, warum sie nervös war. Was war schon komisch daran, mit Ariana einen Kaffee trinken zu gehen?
Arianas warmes Lächeln brachte ihre Verlegenheit zum Weichen.
„Klar doch. Ich weiß ja, dass du noch nicht nach Hause gehen willst.“
Caitlin zuckte kaum merklich zusammen. Ja, das stimmte, aber es war nicht so, als hätte sie nur deswegen gefragt. Sie mochte es, Zeit mit Ariana zu verbringen. Doch beim Gedanken an zu Hause bildete sich ein Kloß in ihrem Hals, und so nickte sie nur kurz.
„Hast du ein Lieblingscafé?“, fragte Ariana. Dabei näherten sie sich dem großen Park, in dem Caitlin vor einigen Wochen mit Darren gewesen war und er sie dazu hatte überreden wollen, bei sich zu Hause vorbeizuschauen. Bei dem Gedanken entfuhr Caitlin ein bitteres Auflachen. Nicht einmal jetzt, Wochen danach, war sie zu Hause willkommen. Ariana blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, sie schüttelte den Kopf.
„Ich denke nur gerade daran, wie ich vor einigen Wochen, bevor wir dich getroffen haben, in diesem Park saß. Darren wollte mich dazu überreden, Kontakt mit zu Hause aufzunehmen.“
Sie hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und starrte auf den Boden, während sie am Park vorbeiliefen.
„Oje. Und, hast du’s getan?“
Caitlin schüttelte den Kopf. Sie hörte, wie Ariana erleichtert ausatmete.
„War wohl besser“, meinte sie mit erstaunlich leiser Stimme.
„So kurz nach alledem, und der Reaktion deiner Familie nach zu urteilen ... brauchten sie eindeutig ein bisschen mehr Zeit als ein paar Tage, um wieder zu Sinnen zu kommen.“
Eine Weile war es still, während Caitlin die Hände in den Hosentaschen zu Fäusten ballte und sie dann wieder lockerte.
„Ich dachte irgendwie ...“ Sie räusperte sich. Ihre Stimme klang leise und gepresst.
„Ach, egal.“
„Nein, Kate, sag’s ruhig.“
Caitlin räusperte sich ein zweites Mal.
„Ich dachte, wenn es meinem Vater wieder gutgeht ... und es geht ihm wieder gut ... dass sie dann ...“
Zitternd holte sie Luft und brach ab. Ariana setzte ihren Satz fort.
„… dass sie dann nicht mehr in Angst und Sorge verfallen und daher auch wieder zu Sinnen kommen? Und ihre eigene Tochter nicht mehr wegstoßen?“
Den letzten Satz presste Ariana regelrecht hinaus, wohl im Versuch, nicht zu viel ihrer Wut zu zeigen. Doch es gelang ihr nicht wirklich. Caitlin nickte wieder und blinzelte heftig. Nach ihrem Kidnapping und dem Schrecken hatte sie gehofft, dass alles ruhiger werden würde. Sie waren ihre Feinde aufgrund ihrer angeblich unnützen Kräfte losgeworden und hatten ihre Mission gefunden. Jetzt war sie zuhause, an dem Ort, den sie am besten kannte. Doch alles fühlte sich meilenweit entfernt an.
Ihre Familie hatte keine Ahnung, was in den letzten Wochen geschehen war. Die Mission, die es zu erfüllen galt. Der Vorfall beim Salem’s und die strahlenden Fünf als Beschützer in Aktion. Die Verfolgung durch die Polizei. Die ständige Angst vor ihren Widersachern und die Entführung. Ariana berührte kurz Caitlins Arm.
„Weißt du, Kate, irgendwann müssen sich deine Eltern wieder einkriegen. Ich kann dir nicht versprechen, dass es morgen sein wird, aber irgendwann.“
Caitlin nickte und atmete gepresst ein. Sie hoffte, dass dieses irgendwann bald kommen würde.
Nahe nebeneinander liefen sie weiter die Straße entlang, bis sie in eine Seitengasse einbogen. Da entdeckte Caitlin den japanischen Tee- und Kaffee-Shop, an dem Darren und sie damals vorbeigelaufen waren, als sie zum Mexikaner essen gingen.
„Hey, siehst du den Kissaten dort?“
Aufgeregt zeigte sie auf das unscheinbare Schild an dem ein wenig heruntergekommenen Geschäft. Es war zwischen zwei größeren Gebäuden eingeklemmt, wodurch die Wände noch schiefer wirkten, als sie waren. Doch Ariana blickte den Shop mit neugierigen Augen an.
„Ist das so etwas wie ein japanischer afternoon tea shop?“
Caitlin lachte.
„Ja, so in etwa. Es wird Tee und Kaffee serviert, und je nachdem gibt’s am Abend auch Alkohol und Party.“
Ariana grinste und zuckte die Schultern.
„Klingt cool, zeig’s mir.“
Caitlin marschierte voran und öffnete die Tür, wobei ein Klingeln ertönte. Zögernd traten die beiden ein. Sie suchten sich einen kleinen Tisch am Fenster und wurden von einem stämmigen, älteren Herrn freundlich begrüßt.
„Bist du oft hier?“, fragte Ariana, während sie sich neben Caitlin setzte.
Caitlin schüttelte den Kopf.
„Nicht in diesem Kissaten, aber in anderen. Diesen hab ich bisher nur von außen gesehen.“
Sie schaute sich im kleinen Laden um. Nur eine spärlich leuchtende Glühlampe in der Mitte erhellte den Laden, das restliche Licht gelangte lediglich durch das Fenster in den Shop.
„Also, mit einer Glühlampe mehr wäre das Stromlimit wohl noch nicht erreicht“, meinte sie und beide kicherten.
„Nun ja, Hauptsache der Tee ist gut“, sagte Ariana, als auch schon der ältere Herr mit der Karte kam. Er sprach Caitlin sofort auf Japanisch an. Caitlin wurde rot, antwortete jedoch, ohne zu zögern. Der Mann nickte und übergab ihr die japanische Menükarte.
„Aber für sie auf englisch“, ergänzte sie dann. Der Mann lächelte freundlich zurück und händigte die zweite Karte an Ariana aus. Als er wieder gegangen war, zog Ariana fragend die Augenbrauen hoch.
„Hat er was Anzügliches gesagt?“
„Was? Nein.“
Ariana schlug nachdenklich die Karte auf.
„Du bist rot geworden, deswegen“, meinte sie entschuldigend.
Caitlin seufzte.
„Er ist davon ausgegangen, dass ich die japanische Menükarte möchte.“
Theatralisch schlug sie die Karte auf, welche vollgeschrieben war mit japanischen kanji.
„Das Problem ist, ich kann die Schrift nicht lesen.“
Ariana blickte sie unbeeindruckt an.
„Oh, ähm, ich dachte, es gibt mehrere japanische Schriften? Vielleicht kannst du eine andere verlangen?“
Caitlin grinste und schüttelte den Kopf.
„Nein, ich kann überhaupt keine japanische Schrift lesen“, gestand sie und hob kapitulierend die Hände. Ariana lachte, woraufhin Caitlin wieder rot wurde.
„Sorry, nein, es ist nicht, weil du es nicht lesen kannst“, meinte sie schließlich.
„Ach ja?“, gespielt beleidigt verschränkte Caitlin die Arme.
„Sondern weil du dich nicht getraut hast, es ihm gegenüber zuzugeben.“
Ertappt ließ Caitlin die Schultern sinken. Ariana grinste und streckte eine Hand über den Tisch nach Caitlin aus.
„Aber ich verstehe es, ich hätte wohl gleich reagiert wie du.“
Caitlin brummte ein finsteres Ja-ja, woraufhin Ariana wieder lachte.
„Ich dachte einfach, dass er vielleicht pikiert ist, wenn ich als Kind eines Flüchtlings nicht einmal die Sprache meines Herkunftslandes lesen kann“, erklärte Caitlin. Währenddessen beugte sie sich vor und legte die englische Karte vor beide schräg auf den Tisch.
„Verstehe.“ Ariana grinste wieder.
„Aber eigentlich ist es auch voreilig von ihm, anzunehmen, dass du das Kind eines Flüchtlings bist.“
„Da hast du recht. Es könnte ja auch meine Großmutter geflüchtet und kurz darauf verstorben sein“, meinte sie nachdenklich und erschauderte. Ihre Großmutter war tatsächlich verstorben, aber nicht aufgrund bloßen Alters, sondern wegen eines Atomkraftwerkunfalls. Sie wusste, dass ihre Mutter deswegen oft Albträume hatte. Rasch schob sie den Gedanken in den Hintergrund und richtete den Blick auf die englische Karte.
„Jetzt musst du mir aber helfen“, meinte Ariana und studierte überfordert die Karte.
„Das Einzige, was ich kenne, ist Matcha.“
Nun war es an Caitlin, zu lachen.
„Magst du Matcha?“
Ariana wiegte nachdenklich den Kopf.
„Es geht so.“
„Auch ein Grüntee ist der Hojicha, aber ein wenig süßer als Matcha.“
Caitlin deutete auf den zweiten Teenamen, neben dem ein kleines Bild klebte. Ariana runzelte die Stirn.
„Aber der Tee ist ja gar nicht grün.“
„Ja, das ist, weil die Blätter geröstet werden.“
Ariana nickte anerkennend.
„Weiter?“, fragte sie interessiert.
Caitlin erklärte ihr den Geschmack von Sencha und Mugicha, dann gelangten sie zum Kombucha und Arianas Augen wurden groß.
„Oh, warte, das ist doch dieser fermentierte Tee.“
„Sag das ja nicht vor dem Herrn hier“, raunte Caitlin schmunzelnd. „Das Wort wird hier immer falsch verwendet. Ursprünglich ist mit Kombucha ein anderer Tee gemeint, nicht der fermentierte Tee.“
„Oh-oh, also wie bei Tortillas“, bemerkte Ariana.
„Die Teigrollen?“
Ariana weitete theatralisch die Augen.
„Eben nicht Teigrollen. Tortilla bezeichnet nur den Teig an sich. Wenn man die Tortilla dann füllt, hat man Tacos oder Quesadillas, je nachdem.“
„Oh-oh“, ahmte Caitlin nach, und sofort fingen beide an zu kichern. Sie hörten erst auf, als sie der Kellner vor ihnen erschien.
„Haben Sie denn schon ausgewählt, meine Damen?“
„Ja, doch“, erwiderte Ariana rasch.
„Ich nehm‘ den Kombucha.“
Caitlin wollte protestieren, doch es war schon zu spät – der Kellner hatte die Bestellung bereits nach hinten gerufen.
„Äh, und ich ein Hojicha.“
Als der Kellner wieder weg war, schaute Caitlin Ariana belustigt an.
„Kombucha also?“, fragte sie betont beiläufig.
„Ja, wieso?“
„Gewagt“, grinste Caitlin nur und presste die Hand vor den Mund, um nicht zu lachen. Ariana beäugte sie misstrauisch.
„Ich dachte, es ist eben nicht fermentiert“, meinte sie gedehnt.
„Ist es auch nicht.“
Die beiden lieferten sich ein hartnäckiges Blickduell, bis ein paar Sekunden später die Tees bereits kamen. Zu Arianas Tee kamen traubenartige grüne Früchte. Ariana betrachtete sie eingehend.
„Nun dann, Prost“, meinte Caitlin und lächelte fein. Ariana riss ihren Blick von den Früchten los und setzte ebenfalls ein Lächeln auf.
„Prost!“
Sie nippte an ihrem Tee und verzog prompt das Gesicht.
„Und das soll Tee sein?“, beschwerte sie sich. Caitlin gluckste belustigt auf.
„Jepp, er wird aus einer Art Algen gemacht. Deswegen schmeckt es auch so salzig.“
„Ach du meine Güte. Also eigentlich trinke ich da gerade Suppe.“
Ariana schluckte und räumte dem Tee eine zweite Chance ein. Sie gab sich sichtlich Mühe, das Gesicht nicht zu verziehen, doch es gelang ihr nicht ganz. Caitlin unterdrückte ein Grinsen.
„Keine Sorge, wir können tauschen. Ich habe extra einen Tee genommen, der dir bestimmt schmeckt.“
Sie schob Ariana ihre Tasse hin.
„Das ist aber großzügig von dir“, bemerkte Ariana trocken und nahm den Hojicha dankbar an. Caitlin nippte an dem Kombucha und nahm sich eine der Früchte dazu.
„Die Umeboshi sind übrigens gut“, meinte sie und deutete mit dem Kinn auf die Früchte.
„Sie sind aber leicht sauer. Wie saure Pflaumen.“
Argwöhnisch nahm Ariana eine in die Hand. Als sie hineinbiss, entspannte sich ihre Miene.
„Hm, echt lecker“, beteuerte sie mit vollem Mund, und schon bald hatten die beiden alle Früchte aufgegessen. Als sie die letzten Schlucke Tee genossen, bemerkte Caitlin mit einem Blick durch das Fenster, dass es bereits dunkel wurde. Beziehungsweise dunkler, als der graue Himmel ohnehin schon gewesen war.
„Hey, es ist wohl bereits sechs Uhr.“
Sie linste auf die schräg hängende Uhr an der Tür des Lokals und stand sofort auf.
„Mist. Wir haben noch fünf Minuten, um Julia zu holen.“
Auch Ariana stand auf.
„Und ich muss bis morgen noch meine Stunden im Nähladen aufschreiben.“
„Oh shit, du sagst es.“
Wie Caitlin engagierte sich Ariana von zu Hause aus für die Nachhaltigkeit und musste ihr Engagement daher bei der zuständigen Stelle vorlegen und überprüfen lassen. In den letzten zwei Wochen hatte Caitlin nichts für ihren Garten gemacht und musste sich daher ebenfalls wieder in den Hintern kneifen, um keine Probleme mit dem Amt zu bekommen. Immer wieder gab es Proteste von Jugendlichen, die sich ein Entgelt für ihre Arbeit wünschten. Doch Caitlin mochte die Gartenarbeit eigentlich gern und hatte keine Probleme damit, ihren Teil zu einem grünen, zukunftsfähigen England beizutragen.
So leise wie möglich öffnete Caitlin die Haustür. Einen Moment lang hielt sie den Atem an und lauschte. Es war still. Schnell schloss sie die Tür wieder und tappte schnurstracks zur Küche. Trotz den Umeboshi hatte sie einen Mordshunger und wollte ganz sicher nicht mit der ganzen Familie zusammen am Esstisch sitzen.
In der Küche war niemand, aber das würde nicht mehr lange so bleiben. Eigentlich hatte Caitlin heute einen stromfreien Tag durchziehen wollen, wobei dieses Vorhaben schon vom warmen Tee zuvor durchkreuzt worden war. Wahllos öffnete sie die Schranktüren, schloss sie wieder, riss den Kühlschrank auf und schloss auch diesen wieder. Seufzend setzte sie sich auf die Tischplatte. Gerade, als sie mit dem Gedanken spielte, sich vorsatzwidrig ein paar Eier und Baked Beans zu brutzeln, hörte sie die Haustür aufgehen.
Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf und machte die erste Schranktür erneut auf. Sie sah eine Packung Fertig-Ramen, riss sie hinaus und stopfte sie sich in die Tasche ihres weiten Hoodies. Als sie die Schranktür schließen wollte, fiel ihr Blick auf eine Packung Chips. Entschlossen nahm sie auch diese heraus und versteckte sie gerade noch rechtzeitig hinter dem Rücken, als ihre Mutter die Küche betrat.
„Caitlin, meine Liebe!“, rief sie sofort mit zittriger Stimme. Sie kam um den Tisch herum und gab ihr einen überschwänglichen Kuss, wie sie es schon lange nicht mehr gemacht hatte. Caitlin versteifte sich.
„Hast du Hunger? Möchtest du was essen?“
Langsam drehte sich Caitlin mit dem Rücken zur Wand, damit ihre Mutter die Chipspackung nicht entdeckte.
„Nein, ich habe bereits gegessen, mach einen energiefreien Tag“, antwortete sie tonlos. Ihre Mutter lächelte fein; es war offensichtlich, dass sie ihr kein Wort glaubte.
„In Ordnung, Liebes.“
Caitlin presste die Lippen aufeinander und machte noch einen Schritt zum Gang. Ihre Mutter und sie hörten die Schritte ihres Vaters im gleichen Augenblick. Caitlins Körper wurde noch steifer.
„Ich denke, dein Vater möchte sicher etwas essen.“
„Ja. Dein Mann hat jetzt aufgrund der Verletzung die perfekte Ausrede, um sich stets von dir bekochen zu lassen“, rutschte es Caitlin heraus, und sofort bereute sie die Worte.
Doch sie hatte keine Zeit mehr, sich Gedanken darüber zu machen, denn ihr Vater war bereits im Gang angelangt. Sie drehte sich um und begegnete seinem Blick. Er schaute ihr direkt in die Augen und verzog keine Faser seines Gesichts. Das machte die Miene noch feindseliger, noch bohrender. Es war das erste Mal seit dem Unfall, dass sie sich sahen, doch er sagte kein Wort und bewegte sich keinen Zentimeter. Hatte er etwa immer noch Angst vor ihr?
Angestrengt riss Caitlin den Blick von seinem Gesicht los und lief langsam, ganz langsam den Gang entlang. Wenn sie nach oben gehen wollte, mussten sie sich notgedrungen kreuzen. Ihr Vater drehte sich mit ihr mit, während sie an ihm vorbeischritt. Als Caitlin erneut in seine Augen sah, erkannte sie, dass sie sich getäuscht hatte. Die Kälte traf sie unerwartet und mit voller Wucht. Es war keine Angst, die ihr Vater verspürte. Es war Hass, der seine Augen verdunkelte und sein Gesicht starr werden ließ.
Caitlins Kehle verengte sich. Sie stolperte auf der Treppe und hielt sich rasch am Geländer fest. Ihr Vater löste den Blick von ihr, und so sicher wie möglich marschierte Caitlin hinauf in ihr Zimmer. Dort angekommen pfefferte sie die Chips und die Ramen wütend auf ihr Bett. Ihr Atem ging stoßweise, während sie im Zimmer auf und ab lief. Ein zorniger Schrei entkam ihren Lippen. Sie warf sich aufs Bett und landete direkt auf der Packung Ramen, die sofort aufplatzte.
Stöhnend setzte sie sich wieder auf. Zum Glück hatte sie eine Schale in ihrem Zimmer, so schüttete sie den Rest hinein und wischte mit der Hand über die Bettdecke, um auch die Krümel von dort in das Behältnis zu befördern. Mit kaltem Wasser rührte sie das Ganze an. Als sie an einen energiefreien Tag gedacht hatte, hatte sie sicherlich nicht kalte Ramen im Kopf gehabt, doch die Mikrowelle war unten, also war sie nun ohnehin dazu gezwungen, die Suppe kalt zu essen.
Seufzend setzte sie die Schale direkt an die Lippen und schlürfte lustlos an der Suppe. Auch die Nudeln sog sie direkt in den Mund und verzog angewidert das Gesicht. Kalt war die Fertigsuppe noch geschmackloser als warm. Sie stellte die Schale ab und riss die Chipspackung auf. Ohne den Bacon-Geschmack der Chips wahrzunehmen, stopfte sie sich diese in den Mund, bis die Packung leer war. Dann warf sie die leere Packung auf den Boden und vergrub sich in ihrem Bett, bis sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
Den ganzen Schultag verbrachte Caitlin damit, ihren Schulfreundinnen – so gut es ging – aus dem Weg zu gehen. Das allgegenwärtige Thema waren die Schulferien und was man in den zwei Wochen alles gemacht hatte. Irgendwann sind ihre Freundinnen auch auf Caitlin zu sprechen gekommen.
„Hey, Caitlin, bei dir ist doch das Lager ins Wasser gefallen?“
„Und es hat sogar gebrannt?“
Alle hatten Caitlin erwartungsvoll und ehrfürchtig angesehen. Sie hatte irgendwas Bestätigendes gemurmelt und gesagt, dass es ihr gut ginge und niemandem etwas passiert sei. Letzteres war eine komplette Lüge – durch den Zugunfall hatten die strahlenden Fünf schließlich ihre Kräfte erlangt.
Was Caitlin denn anstelle des Lagers gemacht habe, wurde natürlich auch gefragt. In diesem Moment kam sie ins Schwitzen. Sie konnte ihren Kollegen ja schlecht erzählen, sie sei einfach so mit wildfremden Leuten in ein Ferienhaus gegangen. Erstens wären sie dann beleidigt, zweitens würden sie denken, Caitlin sei übergeschnappt, und drittens durfte man wegen der Wohnflächeknappheit ja gar keine Ferienhäuser mehr besitzen.
Schlussendlich konnte Caitlin den weiteren Fragen entgehen, indem sie zum Englischlehrer hastete und ihn interessiert nach der nächsten Klassenlektüre fragte. Da sie wirklich gerne las, waren solche Szenarien schon öfters vorgekommen und ihre Freundinnen gingen nur lachend davon. Zunächst erfuhr Caitlin, dass ihr Englischlehrer eigentlich erneut ein Stück von Oscar Wilde lesen wollte. Dann dachte er aber, ein Autor oder eine Autorin von diesem halben Jahrhundert wäre passender, weswegen sie nun die Tribute von Panem lesen würden. Im Anschluss lief sie gelassen allein zu Connors Schule.
Zu Caitlins Glück war die Informatikstunde aufgrund eines temporären Stromengpasses der Schule abgesagt worden. Dadurch hatte sie sich nicht einmal eine Ausrede überlegen müssen, wieso sie bereits um vier Uhr die Schule verließ. Von den strahlenden Fünf wäre sie die Einzige gewesen, die hätte blaumachen müssen. Darren hätte heute aufgrund seines Nachhaltigkeitsprojekts auf der Baustelle für eine neue Primarschule mithelfen sollen. Er kurierte sich aber, wie befohlen, zu Hause aus; offenbar war er wirklich nicht fit.
Caitlin kam vor dem Schultor an und erblickte sofort Connors rote Haare. Er lehnte bereits, die Hände in den Hosentaschen vergraben, ein bisschen abseits des Eingangs an der Wand.
„Hey, Connor.“
Er zuckte zusammen und lächelte gezwungen.
„Wie geht’s?“, fragte er sogleich.
„Ganz gut. Wie ging’s bei dir heute?“
Er wandte den Blick ab.
„Wie immer.“
Caitlin schwieg eine Weile.
„Die üblichen vier?“
Er nickte und betrachtete dabei seine Zehenspitzen. Caitlin nickte ebenfalls langsam und rief sich die Gesichter der vier Hauptmobber nochmals in Erinnerung. Jackson, Tom, Ben und Stanley.
Nach ein paar Minuten erschienen auch Julia und Ariana am Schulhaustor. Julia bemerkte sofort, wie niedergeschlagen Connor war, nahm ihn am Arm und erzählte ihm lebendig vom Unterricht von heute Morgen. Dabei ließ sie seinen Arm in Koordination mit ihren Händen hin und her kreisen. Irgendwann zeigte sich ein echtes, zaghaftes Lächeln auf Connors Gesicht. Er fiel Julia ab und an ins Wort, um nach Details zu fragen oder sie bei falsch erzählten geschichtlichen Begebenheiten zu korrigieren.
„Okay, ihr Plaudertaschen, seid ihr bereit?“, fragte Ariana nach einer geraumen Zeit. Sie klopfte Connor auf die Schulter.
„Bist du bereit?“
Connor nickte fest und stellte sich gerader hin.
„Sehr.“
„Wir zeigen es ihnen!“, rief Julia und verschränkte erbost die Hände vor der Brust, wobei sie aber einfach nur niedlich aussah. Mit hoch erhobenen Köpfen schritten die vier durch das Tor.
Kaum hatten sie den Pausenhof erreicht, gab Connor ihnen ein Zeichen, und alle stoben in unterschiedliche Richtungen auseinander. Caitlin schlenderte nach rechts und begann sogleich, den Schulhof mit den Augen zu scannen. Links von ihr war eine gleiche Turnstange wie bei Julias Schulhaus. Daneben war ein Karussell zu sehen; dorthin hatte sich nun Ariana begeben. Caitlin sah, wie sie in ihrer Tasche nach der feinen Metallkette kramte. Rechts von Caitlin lag das Schulgebäude, wobei alle Lichter bereits ausgeschalten waren. Nur eines im Erdgeschoss war noch eingeschalten; offenbar fand dort noch die letzte Unterrichtsstunde von vier bis sechs Uhr statt.
Der Schulhof war voller Schüler, Gelächter und fliegenden Bällen. Es war viel los – das war gut. Connor war nahe am Tor stehengeblieben und lehnte sich gegen die Wand. Julia hatte sich unweit von Ariana neben die Turnstange gestellt und beobachtete das Ballspiel vor ihr. Caitlin war sich nicht sicher, ob das ein ausgeklügeltes Ablenkungsmanöver war, oder ob sie tatsächlich vom Ballspiel gefesselt wurde. Sie hoffte, dass Julia den Fokus nicht verlor.
Schon bald entdeckte Caitlin einen hochgewachsenen, schlaksigen Jungen mit dichten blonden Haaren: Stanley. Sie blickte zu Connor hinüber und nickte kaum merklich in Stanleys Richtung. Connor hatte ihn ebenfalls entdeckt. Gerade, als Caitlin Julias Aufmerksamkeit erregen wollte, sah sie, dass auch sie den Jungen entdeckt hatte. Stanley stand nur zwei Meter vor ihr und warf einen Ball immer und immer wieder in die Luft. Julia drehte sich aufgeregt zu Caitlin um, und sie musste grinsen.
Zum Glück achtete wohl niemand auf Julia, sonst hätten spätestens jetzt alle gemerkt, dass sie zusammengehörten. Sie nickte Julia kaum merklich zu, dann setzte auch sie sich in Bewegung. Connor folgte ihr zögernd in einigem Abstand.
Caitlin schlenderte über den Platz zum Karussell und streckte dabei kurz die Hand flach aus: Das Zeichen für Ariana, zu warten. Als sie näher an Ariana dran war, raunte sie ihr schnell Stanley und Julia zu. Sie nickte knapp. Parallel blieb Julia bei Caitlin an der Turnstange stehen und schaute sich nach Connor um. Dieser stolperte über einen Ast, wurde rot und beeilte sich, hinter Caitlin auf Position zu gehen. Caitlin nickte ihm zu, in Gedanken bei seinem Stolperer. Im Ferienhaus war er nicht über irgendwelche Äste gestolpert und hatte sich allgemein nicht besonders ungeschickt angestellt. Offenbar provozierte die Schulumgebung in ihm sofort ein Gefühl der Unsicherheit und Nervosität.
Caitlin richtete ihre Augen wieder auf Stanley, der noch immer mit dem Ball in seinen Händen spielte. Zufrieden bemerkte sie, dass Julia nun völlig auf Stanley konzentriert war und keine seiner Bewegungen aus den Augen ließ. Dass Connor nahe bei ihr stand, sah sie zum Glück nicht; dieser war auch sehr darauf bedacht, hinter Caitlin vollständig zu verschwinden und nicht in Stanleys Blickfeld zu gelangen. Wenn aber nicht bald etwas passieren würde, müsste Caitlin ihn ohne Sichtschutz stehen lassen und zum Notfallplan übergehen. Ihre Gedanken rasten bereits, als endlich etwas geschah. Ein Junge aus einer tieferen Klasse ging auf Stanley zu und fragte ihn nach dem Ball, um mit seinen Freunden eine Runde Fußball zu spielen. Stanley stoppte nur kurz das Hin- und Herwerfen.
„Das ist mein Ball“, meinte er und warf ihn erneut in die Luft. Caitlin verzog angewidert das Gesicht.
„Nein, Frau Stiff hat gesagt, dass der Ball der Schule gehört und er deswegen allen gehört“, piepste der Junge. Stanley bedachte den Jungen mit einem belustigten Blick und warf den Ball wieder nach oben, ließ ihn eine Drehung vollführen und fing ihn dann wieder auf. Im nächsten Moment vibrierte der Boden unter Caitlins Füßen. Die Vibration breitete sich wie eine Welle aus und erreichte auch Stanley, der sofort erstarrte. Er fasste sich jedoch schnell wieder und warf den Ball erneut nach oben.
„Wenn der Ball allen gehört, gehört er ja auch mir, meinst du nicht?“, fragte er in zuckersüßem Ton. Als er den Ball erneut hochwerfen wollte, vibrierte der Boden ein zweites Mal, und der Ball rutschte ihm fast aus der Hand. Caitlin unterdrückte ein Kichern, als sie sein entgeistertes Gesicht sah.
„Ja, schon, aber ich möchte auch spielen“, piepste der Junge erneut und verschränkte beleidigt die Hände vor der Brust. Stanley starrte ihn an und grinste abschätzig.
„Wieso sollte mich das interessieren?“
Er drehte den Ball nun auf einem Finger im Kreis, als eine heftigere Vibration ihn erreichte. Das Spielzeug machte einen Sprung und fiel, doch er fing es mit der anderen Hand wieder auf. Nun huschte sein Blick nervös auf die Seiten und nach oben zum Baum.
„Was ...“, flüsterte er, wurde jedoch von dem Jungen unterbrochen.
„Frau Stiff hat gesagt, man darf einen Ball nicht so lange für sich behalten.“
Stanley, der weiter hektisch die Umgebung abgesucht hatte, ließ nun seinen Blick betont langsam auf den Jungen gleiten.
„Ach ja, hat sie das gesagt, du kleiner Scheißer? Das ist mir sowas von egal. Jetzt verpiss dich endlich.“
In diesem Moment wurde Julia richtig wütend. Der Boden unter Stanley vibrierte so heftig, dass seine Haare wippten und ihm der Ball in hohem Bogen aus der Hand flog und weit hinter dem kleinen Jungen auf dem Boden auftraf. Caitlin sog scharf die Luft ein und hörte Connor hinter sich laut schlucken. Stanley ließ einen schrillen Schrei vernehmen, woraufhin Caitlin sich stark beherrschen musste, um nicht laut zu kichern.
„Was ... was war das?“, rief er, als sich ein paar Schüler entgeistert zu ihm umdrehten. Er trat unruhig von einem Bein aufs andere, während ihm die gaffenden Schüler bloß verständnislose Blicke zuwarfen.
„Habt ... habt ihr das nicht gespürt?“
„Was denn?“, lachte da ein anderer und schüttelte den Kopf. Caitlin erkannte ihn sofort; es war Jackson. Er war breit gebaut und hatte dunkle Haare. Stanley wollte etwas erwidern, raufte sich dann die Haare und schwieg.
„Nimm den verdammten Ball“, herrschte er den kleinen Jungen an, bevor er schnellen Schrittes davonlief, genau in Caitlins und Connors Richtung. Als sich in Caitlin Panik breitmachen wollte, sah sie helles Licht unter ihrem Arm. Sie drehte sich um und erkannte gerade noch, wie Connor die Hand zusammenkrümmte und das Licht nach oben in Richtung Stanleys Gesicht lenkte. Stanley lief nun unmittelbar an ihnen vorbei und wurde vom Lichtstrahl direkt geblendet. Er riss die Augen auf und lief prompt in die Turnstange hinein.
„Ah! Verdammt!“
Sofort ließ Connor das Licht erlöschen. Stanley schlug mit der flachen Hand gegen die Turnstange und humpelte laut fluchend davon. Er lief an Ariana vorbei und zum Schulhaustor, ohne sie zu bemerken, doch Caitlin sah, wie sie leise Lachte und sich kaum gerade halten konnte. Schnell wandte sie den Blick ab, sonst hätte auch sie einen Lachanfall bekommen. Sie betrachtete Connor, welcher Stanley zufrieden grinsend hinterherschaute. Caitlin war ehrlich beeindruckt; er hatte seine Kraft vortrefflich zügeln und lenken können.
„Super gemacht“, raunte sie ihm zu. Caitlin drehte sich zu Julia um, welche nun mit leuchtenden Augen auf die beiden zukam. Rasch trat sie einen Schritt vor, damit Julia sich ihnen nicht noch mehr näherte und für alle ersichtlich war, dass sie zusammengehörten.
„Kleines, du warst der Wahnsinn“, hauchte sie ihr ehrfürchtig zu. Dann schubste sie sie sanft, aber bestimmt ein wenig nach hinten und lehnte sich zurück zur Turnstange. Rasch versuchte Caitlin, Jackson wieder ausfindig zu machen, konnte ihn aber nirgends auf dem Spielfeld sehen. Langsam drehte sie sich um und sah ihn schlussendlich auf das Karussell zugehen. Sie runzelte die Stirn. Was wollte ein fünfzehnjähriger Teenager bei einem Karussell?
„Hey, ihr kleinen Scheißer, wollt ihr nicht lieber Karussell wie die Großen fahren?“
Da begriff sie; er wollte die drei Schüler schikanieren, die sich bereits auf dem Karussell befanden. Einer der Jungs kletterte gerade auf die Spitze des Karussells und hielt nun inne.
„Ich bin bis ganz nach oben gekommen! Schau!“, rief er stolz und erklomm den letzten Abschnitt. Caitlin sog scharf die Luft ein; er befand sich ziemlich weit oben und in unsicherer Stellung. Aber Jackson würde doch nicht wirklich diesem kleinen Jungen wehtun wollen?
Nun zuckte Jackson lässig mit den Schultern.
„Und darauf bist du stolz?“
Er spuckte einen Kaugummi auf den Boden neben das Karussell, und der Junge folgte der Bewegung angewidert. Dies störte Jackson sichtlich. Er baute sich vor ihm auf. Die anderen beiden tuschelten nun zusammen und schienen sich unwohl zu fühlen.
„Was ist dein Problem?“, herrschte er den Kletterjungen an. Er schüttelte stumm den Kopf und klammerte sich weiter an die Seile des Karussells. Rasch suchte Caitlin mit den Augen nach Ariana. Sie hatte ihre Metallkette bereits um das Karussell gewickelt und hielt das andere Ende fest in der Hand. Den Ärmel der schwarzen Lederjacke hatte sie nach oben gekrempelt. Mit finsterem, ernstem Gesicht schaute sie Jackson an. Dieser hatte jedoch nur Augen für die Kids. Als die beiden anderen Jungen vom Karussell klettern wollten, flog sein Kopf sofort zu ihnen. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er sie.
„Wollt ihr euch etwa wie zwei kleine Feiglinge davonschleichen?“
Die beiden hielten inne und starrten verängstigt zu ihm hoch. Caitlin hielt den Atem an, als Jackson die Hand nach dem unteren Ring des Karussells ausstrecke. Ihr Blick flog zu Ariana. Wieso tat sie denn nichts? Doch da bemerkte sie, dass sich ihre Hände zu Fäusten ballten, und langsam wurde ihr Unterarm silbern. Sie drehte den Arm nach unten, damit man es nicht sofort sah, und biss konzentriert die Zähne aufeinander. Caitlin betrachtete angestrengt das Metallband, um zu sehen, ob es funktionierte. Die Idee, dass Ariana die Hitze auf diese Weise leiten könnte, war den strahlenden Fünf spontan eingefallen und sie hatten es nur am vorigen Tag einmal ausprobiert. Da hörte sie Jackson aufschreien und sah, wie er die Hand vom metallenen Ring des Karussells zurückzog. Er fluchte und betrachtete seine Hand, dann das Karussell und die Jungs.
„Was zur Hölle tut ihr?“
Die Jungs schauten ihn entgeistert an. Caitlin biss sich auf die Lippe. Das war nicht ihr Plan gewesen – die Jungs sollten nicht wütend und noch aggressiver werden, sondern in Angst oder Schrecken verfallen. Sie hoffte inständig, dass der Kletterjunge endlich wieder nach unten kletterte.
„Das werdet ihr noch büßen“, zischte Jackson und beugte sich zu den beiden unteren Jungs hinunter. Diese drückten sich verängstigt aneinander.
„Wir tun ja gar nichts!“
Jackson musterte sie aus zusammengekniffenen Augen, sein Gesicht zuckte aber. Auch er schien zu begreifen, dass sie unmöglich an seiner Verbrennung schuld sein konnten.
„Jetzt zeig ich euch mal, wie das die Großen machen“, zischte er den Kids zu und ergriff erneut das Karussell, mit dem Vorhaben, ihm einen starken Ruck zu verpassen. Doch das Karussell bewegte sich nicht, wie er es sich vorgestellt hatte. Schreiend zog er die Hand wieder zurück. Ariana hatte es nicht mehr nur über das Metallband mit ihrem Arm verbunden, sondern es direkt selbst in die Hand genommen. Nun zog sie die Hand zurück, während ihre Hand und ihr Arm wieder den warmen Braunton annahmen. Das war zwar eine Abweichung ihres ursprünglichen Plans, aber Caitlin konnte es ihr nicht verübeln. Sie hätte wahrscheinlich das Gleiche gemacht.
Rasch schaute sie nach hinten zu Connor und Julia, welche dem Ganzen gebannt mit großen Augen folgten. Sie standen in einem gewissen Abstand zueinander, wobei Connor gegen die Turnstange lehnte. Sie drehte sich wieder um, als Jackson gerade, nun unverkennbar in Rage, das Karussell mit beiden Händen umfasste.
„Jetzt reicht’s“, fauchte er.
Und er versuchte erneut, das Karussell in Bewegung zu setzen. Sein Blick wanderte nun an der Konstruktion entlang, und Caitlin versuchte hektisch, Arianas Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn sie das Karussell jetzt umfassen würde, würde er sie sehen, trotz der massiven Stange in der Mitte, die ihm die Sicht einigermaßen versperrte. Doch Ariana hatte seinen Blick bereits bemerkt und umfasste nun lediglich die Metallkette. Mit ganzer Kraft stemmte sich Ariana gegen Jacksons Zug und versuchte gleichzeitig, die Hitze in das Band zu lenken. Sie würde jedoch keine Chance gegen ihn haben.
