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Dies ist das Jahr 2064! 80 Jahre sind vergangen und die Zukunftsutopie ist nun Wirklichkeit. Überall sind große Bildschirme montiert, die mit dem Programm "All-of-us" verbunden sind, das alles regelt und mit dem alles geregelt wird, von Essensbestellungen über medizinische Versorgung bis Freizeit. Außerdem tragen die meisten Menschen "ARMS" am Handgelenk, die jederzeit mit dem "Programm" in Verbindung stehen. Zusätzlich werden über dieses Programm Roboterscharen gesteuert, die sowohl normale Tätigkeiten wie z.B. Essensanlieferungen durchführen und Verwaltungsarbeiten tätigen, die aber auch Verstöße ahnden und die entsprechenden Täter gegebenenfalls in Erziehungshäuser einliefern. Diese Roboter handeln alle, wie international vereinbart, nach den drei Robotergesetzen von Asimov. Wirklich alle?
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Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
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© 2024 novum publishing
ISBN Printausgabe: 978-3-99146-342-9
ISBN e-book: 978-3-99146-343-6
Lektorat: RO
Umschlagfoto: Sdecoret | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
www.novumverlag.com
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,
während ich an dieser Sache schrieb, fiel mir ein Artikel in einer wissenschaftlichen Zeitschrift ins Auge, in dem das Thema Mensch und Künstliche Intelligenz dargestellt wurde. Wie heutzutage üblich, wurden diese „Erfolge“ als wissenschaftliche Glanzleistungen dargestellt, als Weiterentwicklung der Hilfsmittel für Menschen.
Ist alles so positiv, wie es in solchen Publikationen dargestellt wird?
Die Neuen Medien sind für uns Menschen in verschiedenen Bereichen bestimmt eine große Hilfe, aber sie bergen auch große Gefahren.
Ich glaube, wie immer liegt es an den Menschen, wofür manche Neuerungen verwendet werden, und zurzeit frage ich mich manchmal, ob nicht Menschen in geheimen Organisationen, offiziellen oder privaten, hauptsächlich die Richtung der Entwicklungen bestimmen, zum großen Teil, um damit den Rest der Menschheit besser beherrschen zu können, sei es durch Macht oder durch Geld.
Nicht nur Firmen, auch Regierungen, egal ob demokratisch gewählte oder diktatorische, haben ein starkes Interesse daran, vorausschauend zu agieren und möglichst alles über ihre Mitglieder, ihre Bürger in Erfahrung zu bringen. Und für Ausspähungen sind ja die Neuen Medien besonders geeignet. Außerdem können in diesen Neuen Medien außerordentlich schnell Nachrichten verbreitet werden, wahre und unwahre, und es wird immer schwerer, wahre, neutral gehaltene Nachrichten von den unwahren, politisch gefärbten Nachrichten zu unterscheiden.
Aber auch die „Sammelwut“ von staatlichen und privaten Organisationen ist nicht zu unterschätzen und hat ein Ausmaß erreicht, das vor fünfzig Jahren, dem Beginn des Computerzeitalters, für niemanden vorstellbar war! Aber die Menschen machen das Sammeln von Daten ja auch leicht, denn ein großer Teil der Bevölkerung geht mit seinen persönlichen Daten sehr lässig um, nein, nicht nur lässig, sie geben selbst, und zwar freiwillig, ihre geheimsten Daten, Wünsche, Einstellungen einem Medium preis, ohne zu wissen, was das Medium mit den Daten macht, an wen es die Daten schickt, wer die Daten benutzt, was mit den Daten geschieht. Sie wissen nicht, welche Daten die Geräte, die sie benutzen, welcher Organisation zur Verfügung stellen!
Ich bin überzeugt davon, dass in kurzer Zeit die ersten Emissiacs, also Emissioacceptoren, und Vocis, also Vocenatoren, installiert werden oder vielleicht sogar schon wurden, Geräte, die in der Lage sind, Räume und die Menschen darin zu überwachen, zu erkennen, welche Tätigkeit sie ausüben und besonders, in welcher Stimmung diese Menschen sind, möglicherweise dann sogar, was sie denken. Übrigens müssen dies nicht zwangsläufig neue Geräte sein, es reicht ja schon aus, wenn die Handys, Smartwatches, Tablets mit ihren integrierten Kameras den Nutzer, gegebenenfalls auch ungewollt, aufnehmen, dessen optische und akustische Regungen genauer analysieren und dies dann weitersenden, an wen auch immer! Wissen wir Normalverbraucher denn, wozu diese Geräte imstande sind und wozu die Personen und Programme, die diese Informationen empfangen und verarbeiten, fähig sind?
Solche persönlichen Informationen, solche privaten Einstellungen, die helfen bestimmten Personen bzw. Firmen bei der Erstellung eines tiefgreifenden Personenregisters, erlauben möglicherweise die Herstellung eines digitalen Doppelgängers, der wie der Originalmensch aussieht, sich wie der Originalmensch bewegt und spricht. Nur gibt dieser Doppelgänger möglicherweise nicht das von sich, was der Mensch tatsächlich sagen würde, sondern das, was der Firma, dem Unternehmen, der Regierung, wem auch immer, nützt.
Die Entwicklung solcher neuen digitalen Menschen ist angestoßen und vielleicht hätte ich diesen Roman nicht „2064“ nennen sollen, sondern „2024“!!!
2064
Das metallische „Pling“ kündigte einen Besuch an, schon ertönte eine Stimme von draußen: „Herr Rotiner, hier ist das Team des Vertrauenskörpers in diesem Wohnblock. Können wir hereinkommen?“
„Natürlich könnt ihr das und das wisst ihr auch“, dachte er bei sich, aber schnell versuchte er, sich an seinen 15. Geburtstag zu erinnern. Das war bei ihm eine erprobte Maßnahme, um seiner Stimme ein diffuses Glücksgefühl mitzugeben, denn dieses Team hatte bestimmt einen Voci, einen Vocenator, dabei, ein Gerät, das in der Lage war, aus der Stimmlage und dem Timbre zu erkennen, in welcher Stimmung man war.
„Nur herein, herein!“, rief er, „warten Sie, ich mache gleich auf!“ Leider schlich sich bei dieser Antwort gleich wieder ein Gedanke in seinen Kopf: „Bleibt draußen, bis ihr schwarz seid!“ Und darauf auch noch: „So ein Mist, dass man seine Gedanken nicht besser unter Kontrolle hat!“
Sofort zwang er sich, sich an diesen seinen 15. Geburtstag noch intensiver zu erinnern. Oh ja, da hatte er die Erlaubnis erhalten, zum ersten Mal … oh ja!
Schnell räumte er seine Bastelsachen beiseite, an denen er gearbeitet hatte. Das war alles Elektronikschrott, alte Teile, die er sich auf Bastelmärkten oder bei Schrotthändlern zusammengesucht hatte. Dieses Sammeln und Basteln war sein Hobby. Er wusste, dass es heute effektivere Geräte zu kaufen gab, die viel kleiner waren als das, was er hier auf seinem Küchentisch produzierte, aber er liebte diese alten Transistoren und Dioden. Ihm war fast, als könnte er den Strom sehen, der durch sie hindurchfloss und dort seine Wirkung ausübte. Die heutigen Mikro-, nein, Nanochips mit ihren eingeprägten Programmen, die kaum einer außerhalb der Herstellerfirma kannte, nein, die waren nicht sein Ding.
Und ja, er hatte die Erlaubnis, solche Teile ganz offiziell zu kaufen. Seine Erlaubnis war nicht nur über das Programm verfügbar, er hatte sogar eine schriftliche Erlaubnis erhalten, ganz unüblich in diesen Zeiten.
Er hatte diese Erlaubnis aber nur gegen die Zusicherung erhalten, sich sofort zu melden, wenn er beim Kauf feststellen würde, dass irgendetwas nicht nach Vorschrift ablief. Es war schon seltsam, dass nicht nur per Programm immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass alles und jedes, jeder Kauf und Verkauf per Programm erfasst werden musste, es gab sogar eine Abteilung, die sich mit Schwarzmarktgeschäften befasste und ihre eigenen Robots dafür hatte. Seltsam deswegen, weil der Schwarzmarkt, der ja streng verboten war, dennoch blühte.
Seine Schritte hatten ihn zu seiner Wohnungstür geführt, jetzt schaute er auf den Türmonitor. Oha, das waren ja tatsächlich die Leute vom Vertrauenskörper! Was die bloß wieder von ihm wollten? Er hielt die Hand vor den Öffnungsaktivator. Mit einem Zischen schwang die Tür sanft und leicht auf, wurde bei der Hälfte durch sein Sicherheitssteinchen gebremst, ein kleines Stückchen, das er irgendwann bei einem seiner nicht so gern gesehenen Alleinspaziergänge gefunden hatte, das er so hinter seiner Tür deponiert hatte, dass diese nicht sofort komplett aufging.
„Halt, nein, 15. Geburtstag“, so schalt er sich innerlich, er war inzwischen so fit geworden, dass er innerhalb von Sekundenbruchteilen den zwei Gestalten vor seiner Tür ein lächelndes Gesicht zuwenden konnte.
Die Handbewegung des einen deutete er so, dass dieser soeben sein Voci weggesteckt hatte. Ein zweiter Gedanke schlich sich in seinen Kopf: „Glück gehabt! Wenn die etwas länger drauf geschaut hätten …“
Aber seine ersten Gedanken waren bei den zwei Vertretern des Vertrauenskörpers.
„Was verschafft mir die Ehre? Oh, Ist es wieder mal soweit? Ist der Monat schon wieder herum? Bitte sehr, wenn Sie Ihren Besuch etwas früher angekündigt hätten, dann hätte ich Ihnen was anbieten können, aber so … nun ja, leider …“
„Nein, wir möchten nichts. Wir sind nur gekommen, um mit Ihnen zu sprechen. Eine reine Routinemaßnahme. Sie wissen ja, diese monatlichen Besuche sind vorgeschrieben, um auch jedem das Gefühl zu geben, dass er ein wichtiges Mitglied unserer Gesellschaft ist. Dürfen wir reinkommen?“
„Ja, selbstverständlich, kommen Sie, kommen Sie!“
Er bat sie in seine Küche, entschuldigte sich für die Unordnung, aber sie müssten halt hier in der Küche … denn sein Schlafzimmerchen, naja, eher eine Schlafnische, die wäre zu klein für Besuche, aber das wüssten sie ja.
Ja, das wüssten sie, sagten die beiden fast gleichzeitig und schauten sich erstaunt den kleinen Haufen alter elektronischer Teile an, der auf dem Küchentisch aufgetürmt war.
Und dann, mit einem, wie es schien, warnenden Blick auf seinen Partner fuhr der Erste, ein noch ziemlich junger sportlicher Typ, die schweren Geschütze auf.
„Herr Rotiner, dieser Besuch hat leider auch einen unerfreulichen Hintergrund. Unsere Daten haben ergeben, dass Sie sich überaus unterdurchschnittlich“, er betonte jede Silbe dieses Wortes: „un-ter-durch-schnitt-lich oft an unserem Programm ‚All-of-us‘ beteiligen. Außerdem, selbst wenn Sie sich zuschalten, dann geben Sie im Vergleich zu anderen nur wenige persönliche Informationen preis. Und Sie halten, bis auf die morgendliche Verbeugung zum Emissiac zu Ehren des Programms, also praktisch ein automatischer Kontakt hier in Ihrer Wohnung, keinen oder nur sehr selten weiteren Kontakt mit dem Programm. Auch ist Ihre Konnektivität sehr mangelhaft, eigentlich vollkommen unzureichend. Sie tragen kein mobiles Gerät mit sich, sind also nicht – wie jedermann heute – permanent erreichbar. Obwohl Sie wissen, dass fast jede andere Person Direktkontakt hat und Sie also auch in anderen mobilen Aufnahmegeräten auftauchen, so haben wir den Eindruck, Sie halten sich sehr zurück, man könnte fast daraus schließen, dass Sie dies bewusst tun. Das ist nicht fair gegenüber der Gesellschaft, die nur darauf bedacht ist, das Beste für Sie zu tun. Und um das Beste für jede Einzelperson tun zu können, muss die Gesellschaft diese Person kennen, am besten so genau wie möglich. Wie stehen Sie denn überhaupt zu unserer Gesellschaft? Sind Sie ein aktives Mitglied oder nur ein Mitläufer oder sogar ein Gegner?“
Mit diesen Worten holte er seinen Voci hervor und legte ihn offen auf den Küchentisch, schaltete ihn ein.
Hatten sie ihn erwischt? Wollten sie ihn erwischen? Gedanken rasten durch seinen Kopf.
„Halt, denk an deinen 15., nein, besser noch an deinen 17. Geburtstag!“, schaltete sich seine Ratio ein. Ja, sein 17. Geburtstag eignete sich noch etwas besser für so eine Situation. Da war er verliebt, aber noch so unsicher, welche Gefühle das Gegenüber für ihn aufbrachte.
„Ja“, stotterte er und hoffte, dass seine erste erschrockene Reaktion von dem Gerät nicht erfasst worden war, dass sich das Gerät erst kalibrieren musste, und somit seine Antipathie nicht aufgefallen war. Dass hoffentlich das Glücksgefühl an seinem 17. Geburtstag von dem Gerät empfangen worden war. Seine Hand hob sich, er musste sich am Kopf kratzen, vielleicht half ihm diese Geste bei der Suche nach Gedanken, bei der Suche nach einer passenden Antwort.
„Ja, eigentlich, so denke ich, bin ich so etwas wie ein aktiver Mitläufer. Ich unterstütze diese heutige Gesellschaft, selbstverständlich, sie baut ja auf dem persönlichen Verhalten des Einzelnen, also auch auf mir, auf. Ohne diese Gesellschaft mit ihren Ausprägungen wäre eine so große Vielfalt ja gar nicht möglich und eine so große Menschenmenge auch gar nicht zu steuern.“
Er ließ seine Hand wieder sinken, schwenkte sie zu einer weltumfassenden Bewegung zur Seite.
„9, ja fast 10 Milliarden Menschen auf der Erde, die kann man nur dadurch zufrieden stellen, indem man sich bemüht, jede Regung und jeden Bedarf jedes Einzelnen möglichst genau zu erfassen. Klar, dass hierzu eine umfassende Informationssammlung notwendig ist; Informationen, bei denen nicht nur das allgemeine Verhalten zählt und erfasst wird, auch die persönlichen Äußerungen zählen dazu. Und nun, ja, leider, in meinem Alter, da wird man langsamer mit den Gedanken. Die kommen zwar immer noch, aber das Formulieren dauert leider immer länger und wenn ich dann im Programm etwas sagen will, mich zu irgendeinem Thema äußern will, dann ist mir meistens schon ein anderer zuvorgekommen, und dann ist das, was ich sagen wollte, schon wieder weg. Tut mir leid! Doch ansonsten, das haben Sie ja auch gesagt, ich mache die tägliche am Morgen vorgeschriebene Verbeugung mit, habe sie in den letzten Monaten nie versäumt!“
Die morgendliche Verbeugung vor dem Emissiac mit seinem Programm war der wichtigste Teil des Rituals, mit dem offiziell der Tag angefangen werden sollte. Vor Einführung des Programms war es ringsum auf der Erde zu Versorgungsengpässen und deshalb zu Streitereien, sogar zu Kriegen und bewaffneten Konflikten gekommen, zum Beispiel wegen des mangelnden Angebots an Nahrungsmitteln, aber besonders häufig wegen Trinkwasserreserven. Bei entsprechender Bevölkerungsdichte waren dies Probleme, die durchaus die Lebensgrundlagen betrafen. Diese Streitereien fanden manchmal sogar innerhalb einer Familie statt, aber meist handelte es sich um gewaltbereite Gruppen innerhalb eines Stadtviertels, die die Macht über die Lebensmittelverteilung für sich in Anspruch nahmen. Zusätzlich fand in der Wirtschaft global ein Wettrennen statt. Wer war der mächtigste Konzern?
Gleichzeitig war auch die Frage der Mobilität zu klären gewesen. Jahrzehntelang hatten die Politiker auf der ganzen Welt diese Fragen verdrängt, hatten die Auto- und Flugzeugindustrie gepflegt und gehätschelt, hatten sich vor notwendigen Entscheidungen gedrückt. Aber die Wetterbedingungen und die ansteigenden globalen Temperaturen hatten eine schnelle und tiefgreifende Entscheidung notwendig gemacht. Und wer konnte diese Frage beantworten, die Entscheidungen mit all ihren Konsequenzen treffen? Nur emotionslose kühle Rechner waren dazu in der Lage gewesen, Maschinenwesen, Roboter, denen die Menschen unabhängige Entscheidungen eher zutrauten als den in ihren Verflechtungen gefangenen und befangenen Politikern.
Die Frage nach der mächtigsten Firma war nach nur wenigen Jahren entschieden worden durch die Einführung des Programms „All-of-us“, das seine Konkurrenten mit Leichtigkeit übertrumpfte, diese aufkaufte oder erlöschen ließ. Meist integrierte es die betreffenden Firmen in sein Imperium, bis es praktisch keine freien Firmen mehr gab, nur noch „Das Programm“!
Klar, es dauerte noch eine ganze Weile, bis die „perfekte“ Versorgungswirtschaft eingerichtet war, bis der größte Teil der Weltbevölkerung sich an dieses Programm gewöhnt hatte. Aber danach, auch durch Unterstützung der Roboter, dieser metallenen Ausführungshilfen, die aus den recycelten Überresten der umweltschädlichen Autos preiswert hergestellt werden konnten, gingen die Streitereien und Kriege radikal zurück, weil diese Streitereien ja nicht mehr notwendig waren. Jeder hatte jetzt genug zu essen und zu trinken, fand mit Hilfe des Programms seine befriedigende und nützliche Betätigung, wurde nach einer gewissen Zeit der Erziehung und eventueller Maßregelung durch die Vertrauensleute und gegebenenfalls durch Robots zu einem Teil dieser Bevölkerungsgemeinschaft, zu einem Teil des Programms.
Über das Programm konnte man alles regeln – beziehungsweise das Programm regelte alles – von der Essensversorgung bis zum Krankenhausbesuch, von der Bildung bis zur persönlichen Belustigung und Betreuung. Aber diese allumfassende Bewirtschaftung hatte auch seinen Preis. Man musste mit dem Programm konform gehen.
Lebensmittel illegal zu beschaffen und diese auf dem Schwarzmarkt zu verhökern war eines der größten Verbrechen, ein Verbrechen gegen die Versorgung aller Menschen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wurde daher streng geahndet. Auch Angriffe auf die Vertreter des Programms, das waren die Emissioacceptoren, kurz die Emissiacs, aber auch die Roboter und Mechanos wie auch die Personen des Vertrauenskörpers, waren schwerwiegende Verfehlungen, die meist mit Einweisung in ein Erziehungshaus und weiteren Folgen bestraft wurden.
Ein Teil der Erziehung wurde durch die Vertrauensleute geleistet. Es hatte sich eingebürgert, dass diese jede Person in ihrem Bezirk einmal im Monat besuchten und deren Meinung abfragten, die entsprechende Person über Mängel in ihrem Verhalten aufmerksam machten und so ganz allgemein auf eine gewisse Art Gesinnungsforschung betrieben. Hierbei kamen auch elektronische Geräte, die Vocenatoren, kurz Vocis, zum Einsatz, die positive und negative Einstellungen und Gefühle, Zu- und Abneigungen registrieren konnten.
Zur Bestätigung und quasi als Dankbarkeitsbezeugung wurde dann das Ritual der morgendlichen Verbeugung eingeführt.
Erst die Verbeugung, dann die Essensbestellung! Die Verbeugung wurde so ausgeführt: Man deutete auf den Emissiac, bis das Programm in goldenen Lettern erschien. Danach deutete man auf diese Schrift und beugte den Kopf nach vorn, anschließend winkelte man seinen Oberkörper in der Taille ab bis zur Waagerechten. Die Dauer der Verbeugung war unerheblich, körperliche Gebrechen waren registriert, momentane Schwächen konnten dem Programm mitgeteilt werden und wurden meist akzeptiert. Allerdings konnte es passieren, dass man danach einen Besuch der Vertrauensleute mit einem Mediroboter bekam.
Nach dieser Prozedur erschien im Emissiac ein Auswahlfeld, in dem man vielfältige Wahlmöglichkeiten für weitere Tätigkeiten hatte.
Meist wurde das Feld „Versorgung“ angewählt, man konnte dort Essensbestellungen tätigen, aber auch weitere Bedarfsanmeldungen waren mnöglich. Ärztliche Versorgung oder Medikamente konnten bestellt werden, die Arbeitsstelle konnte angewählt werden, eine offizielle Nachrichtenseite, Weiterbildung, Unterhaltung, Kultur, alles Mögliche konnte man sich aussuchen und lief auf dem Niveau, das man bei der letzten Sendung erreicht hatte. Das Programm speicherte alles, vom Wunsch nach einem Medikament bis zum Wunsch nach Unterhaltung, es registrierte alles, persönliche Vorlieben und Abneigungen, Stärken und Schwächen jedes Einzelnen. Aufgrund dieser Registrierung, dieser Steuerung war es folgerichtig zu einem weltweiten Absinken von kriminellen Aktivitäten gekommen, sowohl im geschäftlichen als auch im privaten Bereich.
Bei Nichtbefolgen des Rituals wurde ein Signal an die zuständige Vertrauensleuteabteilung gesandt. Diese registrierte zusätzlich zum Programm solche Vorkommnisse und besuchte dann in der nächsten Stunde diejenigen, die das Ritual nicht ausgeführt hatten. Vor Ort wurde dann überprüft, welche Gründe für das Unterlassen vorlagen. Meistens waren Krankheiten oder Nachlässigkeiten die Ursache, deshalb wurden meist nur Ermahnungen ausgesprochen oder der medizinische Notdienst informiert.
Sollte aber eine Verweigerung des Rituals, möglicherweise zum wiederholten Male, vorliegen, so waren die Mitglieder des Vertrauenskörpers sogar berechtigt, den- oder diejenige in das Erziehungshaus überstellen zu lassen, gegebenenfalls auch mit Gewalt und Unterstützung durch Mechanos. Aber das kam erfahrungsgemäß nur noch recht selten vor, es hatte sich herumgesprochen, dass dies sehr unangenehm für die Betroffenen war. Sollte außerdem eine Belehrung keine ausreichende Wirkung zeigen, konnte so eine Person sogar für längere Zeit in einem Erziehungshaus einbehalten werden. Zusätzliche Maßnahmen waren Reduzierungen der Nahrung bis auf Grundbedürfnisse, Information des persönlichen Umfeldes über dessen negative Einstellung zum Programm und Eintrag desjenigen in die sogenannte „Schwarze Liste“, in der die Personen notiert wurden, die sich gegen das Programm gestellt hatten. Dies bedeutete, dass diese Personen auch nach ihrer Wiedereingliederung noch längere Zeit besonders intensiv beobachtet und kontrolliert wurden. Meist aber reichte die Essensreduzierung (Wasser und Mus zum Frühstück, zum Mittag und als Abendessen) bereits aus, diese Delinquenten wieder zur Teilnahme am Programm zu ermuntern.
Rotiner unterbrach seine Überlegungen, konzentrierte sich wieder auf seine Besucher. Während der vorherigen langen Antwort hatte er auch erst die Gesichter der beiden angeschaut, dann war sein Blick auf das Gerät gefallen und er hatte mit Interesse vermerkt, dass die Anzeige nur ganz leicht geschwankt hatte. – Jaa, er konnte dieses Gerät austricksen! – Aber bei diesem Gedanken war die Anzeige auch sogleich deutlich gefallen, so deutlich, als hätte der fatale Gedanke auf seiner Stirn gestanden. Oh, Mist!
Doch ihm fiel die Rettung ein!
Er schaute auf und sah dem jungen Sportlichen direkt ins Gesicht, zwang diesen dadurch, auch ihm ins Gesicht zu blicken, nicht auf sein Gerät.
„Möglicherweise wäre ich ja auch etwas mitteilsamer, aber meist sind bei diesen Gesprächskopplungen ja auch Leute dabei, die mir näher bekannt sind, die ich aber nicht gerade zu meinen Lieblingspartnern zählen möchte. Ich weiß, gerade auch solche Diskrepanzen sollten in aller Öffentlichkeit diskutiert werden, aber manchmal können Worte auch falsch ausgelegt werden, bei dem oder der Betroffenen falsche Erwartungen oder Gefühle auslösen. Ach, und diese mobilen Geräte, die sind bei mir so mobil, dass ich sie zu häufig nicht mehr finden kann, weshalb ich mir angewöhnt habe, ohne zu gehen!“
Der Angesprochene schaute ihn einen Augenblick nachdenklich an, dann drehte er sich zu seinem Partner um.
„Nehmen wir das hin oder wollen wir noch etwas tiefer bohren?“
„Naja“, sagte der, „wenn das seine Meinung – ähhh – seine augenblickliche Meinung ist und das Gerät auch nichts Auffälliges anzeigt, dann scheint hier alles in Ordnung zu sein, bis auf …“
„Ja, bis auf seine mangelhafte Resonanz bei den Gesprächen und seine Weigerung, ein mobiles Gerät mit sich zu führen.“
Der Sportliche wandte sich wieder Rotiner zu:
„Sie geben ja selbst zu, dass Sie in diesen Bereichen Richtung Mängel aufweisen. So kommt unsere Aufforderung an Sie, sich spontaner zu äußern, für Sie nicht gerade überraschend. Aber Sie sagen selbst, unsere Gesellschaft kann nur existieren, weil und wenn jede Person sich mit ihr identifiziert und ihre Beauftragten bestmöglich unterstützt. Wir gehen heute und jetzt davon aus, dass Sie sich in Zukunft stärker an den gemeinschaftlichen Aktivitäten beteiligen werden, die ja auch für Sie nur von Vorteil sind. Denken Sie nur einmal an die Gefahren, denen Sie sich aussetzen und ohne Mobilgerät haben Sie keine Möglichkeit, Hilfe herbeizurufen. Denken Sie darüber nach! Deshalb können wir Ihnen nur wünschen, dass Sie für die Interessen der Gesellschaft noch mehr Freude und Engagement aufbringen. So, das war vorerst alles. Gehen wir wieder! Guten Tag!“
Die beiden Männer standen auf, gingen auf den Flur und die Wohnungstür öffnete sich. Aber abrupt blieben sie stehen und der etwas Korpulentere deutete auf den Emissioacceptor im Flur, der von Rotiners Garderobe fast verdeckt war. „Äh, und dieser Emissiac sollte freies Sichtfeld haben, nur zur Sicherheit!“
Er warf Rotiner einen scharfen Blick zu, dann gingen die beiden, und Rotiner war wieder allein.
Naja, wie üblich, fast allein. Das vergaß er immer wieder, dieses „Fast“, weil ja nicht nur in seinem Flur, sondern auch in seiner Küche, in seinem Schlafzimmer und sogar in seiner Toilette diese Emissiacs, diese Emissioacceptoren waren, Geräte, die permanent, also auch dann, wenn sie nichts anzeigten, trotzdem sowohl optische als auch akustische Eindrücke aufnahmen und diese an das Programm weitersandten.
Diese Eindrücke wurden dann von dem Programm mit seinem bisherigen Verhalten verglichen, Auffälligkeiten wurden in speziellen untergeordneten Einzelprogrammen verarbeitet; diese Programme waren in der Lage, nur anhand eines einzigen Satzes auf den äußeren und inneren Zustand der betreffenden Person zu schließen. So viel hatte er in Erfahrung gebracht.
An sich waren Emissiacs eine gute Sache. Über die konnte er rund um die Uhr mit jedem kommunizieren, mit wem er wollte, sogar, wenn er auf dem Topf saß, obwohl das dort installierte Emissiac eine allerdings eingeschränkte Abschaltmöglichkeit besaß.
Selbstverständlich war er offiziell sehr erfreut über diese Art Sicherheit, die ihm diese Geräte vermittelten. So konnte er zwar zum Beispiel noch stolpern und fallen, aber die Emissiacs würden dies registrieren, als Gefahrensituation weitermelden und spätestens nach zehn Minuten wäre der Hilfsdienst zur Stelle und würde ihm wieder aufhelfen. Obwohl, vielleicht würde es bei ihm fünfzehn Minuten dauern, bei seinem bisherigen Verhalten.
Das Kontrollprogramm konnte auch Rückschlüsse aus seinem bisherigen Verhalten ziehen, doch überraschende Verhaltensänderungen wurden zwar aufgenommen, die Reaktion darauf erfolgte immer noch verzögert.
Das hatte er von der alten Frau Martin erfahren. Die hatte ihm erzählt, weil sie früher ab und zu hingefallen wäre, wäre immer schneller der Hilfsdienst dagewesen, bis sie von ihrem Vertrauenskörperteam besucht worden sei. Die hätten sie davon überzeugt, dass es besser für sie wäre, wenn sie dieses Schlückchen Alkohol nach jedem Essen doch fortlassen würde. Das würde sich auch bei ihrer Gesundheitsbewertung positiv bemerkbar machen und es stimmte, danach wäre ihre Beurteilung deutlich besser geworden, das hätte sie im Programm nachgesehen. Sie wäre nach diesem Besuch nur noch zwei-, dreimal, allein, weil sie sich gebückt oder hingekniet hätte, nach nur wenigen Minuten vom Hilfsdienst aufgesucht worden. Nachdem dieser aber nichts Ungewöhnliches mehr hätte feststellen können, hätte sich die Reaktionszeit wieder auf zehn Minuten eingependelt und, wie gesagt, ihr Gesundheitskoeffizient sei gestiegen.
Die alte Dame hatte dabei gekichert und ihm zugeflüstert, eigentlich dürfte sie ihm solche Informationen ja gar nicht geben, da er ja eine Risikostufe 5 hätte.
Woher sie diese Information hatte, verriet sie ihm nicht, im Gegenteil, danach war sie still und stumm geworden. Vielleicht wurde ihr da erst klar, was sie da gesagt hatte. Ja, es hätte ja auch sein können, dass er zu den zeitweisen Kontrollpersonen gehörte. Oder dass er diese Äußerung ihrer Vertrauenskörperleitung melden könnte, die die Dame dann als höheres Risiko einstufen würde, verbunden mit einer intensiven Überprüfung und weiteren Aktivitäten. Oder war es möglich, dass die Dame nur einen Test mit ihm gemacht hatte?
Hatte er falsch gehandelt, weil er diese Äußerungen nicht gemeldet hatte? Jeder andere hätte sich gefreut, eine solche Plaudertasche zu melden und hätte sich dafür einen Bonus eingehandelt. Und er? Vielleicht hätte er, wenn er das gemeldet hätte, sein Sicherheitsrisiko auf 4 senken können, egal, ob sie nun eine Plaudertasche oder eine Testerin gewesen war. Auch heute wusste er das noch nicht. Vielleicht war sein Sicherheitsrisiko deshalb schon auf 6!
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Hoffentlich nicht!
Und dann seine Nachbarin! Diese Dame war ihm suspekt! Seit ihr Mann gestorben war, suchte sie nach einem Ersatz und anscheinend hatte diesen in ihm gefunden. Nicht im Positiven, nein, im Negativen! Sie spitzelte ihm hinterher, wusste oft genauer Bescheid über das, was er getan hatte, als er selbst.
Das wusste er aus einer Sendung, in die er sich eingeschaltet hatte. Diese Sendung hatte zufälligerweise von Nachbarn gehandelt und ganz zufällig hatte auch seine Nachbarin bei dieser Sendung mitgemacht, hatte dort gerade eine Tirade, so konnte man es fast ausdrücken, über sein Lotterleben losgelassen, als er sich eingeschaltet hatte. Die Eindrücke, die er dort im Programm von ihr und ihrem Wissensdurst erhalten hatte!! Nein, die hatte Dinge über ihn erzählt, Sachen erfunden oder zusammengereimt, da hatte er nur noch den Kopf schütteln können.