2117 - Andreas Hermann - E-Book

2117 E-Book

Andreas Hermann

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Beschreibung

Im Jahr 2117 steigt Clara, ein junges Mädchen aus gutem Hause, bei der falschen U-Bahnstation aus und gerät in die mörderische Ruinenlandschaft von East London am Ende des dritten Ölkriegs. Das Strichmädchen Suzy rettet ihr zuerst das Leben, um sie dann für das Bordell zu ködern. Major Swietowsky, Security Chef eines der mächtigsten Männer des Planeten fliegt mit diesem in geheimster Mission nach Moskau, bei der Zwischenlandung in London endet ihre Reise unerwartet. Anna Radakovic, ihre Russisch Dolmetscherin spielt ein tödliches Spiel. In Köln stößt Professor Reisinger auf alte Daten über eine geheimnisvolle Erfindung. Die Energiekrise mit ihren Atomkriegen um die letzten Ölressourcen hätte nie stattfinden müssen. Aber damit weiß er schon zu viel und wird von der Polizei der EU gnadenlos gejagt. Der Überwachungsstaat Europa kennt in den letzten Wohlstandsinseln der EU alle Geheimnisse seiner Bürger und niemand ist vor ihm sicher. Wer vom Computer als Terrorist identifiziert worden ist, ist so gut wie tot. Aber Reisinger erhält die Hilfe eines geheimnisvollen Antiquars, der ihn in die Untergrundszene einführt, in der die Gesetze der EU nicht gelten. Gemeinsam fliehen sie nach London, das längst nicht mehr zur EU gehört, sondern völlig verarmt seine Unabhängigkeit verteidigt hat. Reisinger hat nur eine Adresse, die er auf alten CDs gefunden hat. Er weiß nicht, was ihn dort erwarten wird, aber die EU Truppen sind auf seiner Spur und kennen keine Gnade. Kann er überleben, oder müssen alle sterben, die er in das Geheimnis der Erfindung eingeweiht hat?

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Seitenzahl: 364

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Ähnliche


Andreas Hermann

2117

die Welt, die wir nicht wollten

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Kapitel 67

Kapitel 68

Kapitel 69

Kapitel 70

Kapitel 71

Kapitel 72

EPILOG

Impressum neobooks

Kapitel 1

Wir schreiben das Jahr 2117. Der 5. Juni hat eben begonnen, draußen scheint die Sonne, ein strahlender Sommertag kündigt sich an. Es ist sechs Uhr morgens und Clara Peterson räkelt sich in ihrem Bett. Zum Aufstehen ist es noch zu früh. Sie ist zierlich und sehr blond. Ihr zartes Gesicht sieht zwar noch sehr verschlafen aus, sie kann aber nicht mehr einschlafen, obwohl sie erst um Eins ins Bett gegangen war. Gestern hatte die ganze Familie den fünfzehnten Geburtstag ihrer kleinen Schwester Judit gefeiert. Clara ist neunzehn und fühlt sich schon völlig erwachsen und ihrer kleinen Schwester komplett überlegen. Sie kennt die Welt und freut sich, im Hier und Jetzt und in Wohlstand und Luxus zu leben.

Claras Vater ist Top Manager einer Bank. Was er genau macht, weiß Clara nicht, er hat es nie erzählt und es hätte Clara auch nicht wirklich interessiert. Sie wird einmal Modedesignerin werden, das ist sicher, und sie wird ihre eigene Firma aufmachen, so einen netten kleinen Luxus Label. Das ist ihr Traum und sie zweifelt keinen Augenblick an dessen Verwirklichung.

Sie wohnt hier im Westen von London, in St. Marys Lodge, einer sehr noblen Siedlung am Rande von Greater London. Die Familie bewohnt ein äußerst luxuriöses Reihenhaus, das sich nicht jeder leisten kann, aber hier in der Nachbarschaft gibt es nur Familien, die sich solche Häuser leisten können. Es ist hier eine sehr ruhige Gegend. Früher lag in der Nähe der Großflughafen Heathrow, doch der ist längst aufgelassen worden, denn wer könnte sich heutzutage noch Fliegen leisten, wo es doch faktisch kein Öl mehr gibt. Von seinen Ruinen sollte man sich fern halten, wusste Clara.

Sie geht auf das elitäre St. James College und wird jeden Tag vom Chauffeur der Familie mit dem Elektroauto hingebracht.

Während sie sich im Bett wälzt, denkt sie an den nächsten Urlaub. Sie würden wieder in die Karibik nach Barbados fliegen. Die Inseln der Karibik waren vor Terroristen und Verbrechern sicher, denn die gehören zum Greater United Kingdom. Sie würde eine ihrer Freundinnen mitnehmen. Weil ihre Familie kann sich Flugreisen noch immer leisten, da war sie schon stolz darauf.

Sie würden von dem kleinen Privatflughafen nordwestlich von London aus starten. Mit einem kleinen feinen Space Jet. Clara schauderte, wenn sie daran dachte, dass früher bis zu fünfhundert Leute in einem einzigen Flieger eingepfercht gewesen waren, aber so etwas gab es heutzutage nicht mehr.

Aber heute ist Sonntag, da könnte sie sich in den Reitclub fahren lassen und ihre besten Freundinnen wieder einmal persönlich treffen, denn der dauernde digitale Tratsch am HYCO, wie die hyperdigitalen Communicators genannt werden, wird irgendwann auch langweilig. Ein Ausritt bei diesem strahlenden Wetter über die menschenleeren Wiesen am Rande von London wäre jetzt das Richtige. Einige dieser coolen Jungs vom Club wären auch dabei, da ginge sich sicher der eine oder andere Flirt aus. Aber im Haus schlafen noch alle tief und fest.

Clara war ihr Leben in Luxus gewohnt und ihr käme nie in den Sinn, dass sich das einmal ändern könnte. Sie klickt ihr HYCO an und wählt einen Kanal. Sie will ein bisschen Musik hören. Doch sie vertippt sich und kommt auf einen interaktiven Nachrichtenkanal, bei dem sie sofort mitdiskutieren könnte, wenn sie wollte. Die Nachrichten interessieren sie gar nicht, und über Politik diskutieren will sie auch nicht. Der Präsident von GUK, dem Greater United Kingdom, in dem sie zu Hause ist, hat den Präsidenten von Europa getroffen und beide haben eine Verbesserung der Beziehungen ihrer beiden Länder in Aussicht gestellt. Die Gräben zwischen GUK und Europa müssen wieder zugeschüttet werden, betonten beide Politiker, schließlich hätten beide Länder ähnliche Interessen.

Clara schaltete zu einem Streaming Portal und zog sich eine schrille Sequenz von Tönen und Bildern rein, allerdings leise, da sie nicht das ganze Haus aufwecken wollte.

Sie wusste allerdings, dass es den Menschen früher nicht so gut gegangen war. Da wurden Kriege geführt und Leute ermordet. Da gab es Hunger und Armut. Die Staaten stritten gegeneinander und alle hatten Angst vor der Zukunft. So lernten sie das in Geschichte im College und nach jeder Geschichtsstunde musste sie an die armen Menschen aus früheren Jahrhunderten denken, die noch Not und Entbehrungen erdulden hatten müssen, und sie freute sich, im hier und jetzt im zweiundzwanzigsten Jahrhundert zu leben, wo es das nicht mehr gab.

Im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert soll es am Schlimmsten gewesen sein. In wahnwitzigen Weltkriegen kamen Millionen Menschen um oder wurden in Konzentrationslagern grausam ermordet. Dann hat es die Terroristen gegeben, die ganze Stadtteile in die Luft gejagt hatten. Der Krieg gegen die Terroristen und der Kampf ums Öl hatten sich das halbe einundzwanzigste Jahrhundert hingezogen. Dann waren endlich alle Terroristen besiegt worden und die Regierungen hatten feststellen müssen, dass fast alle Ölvorräte verbraucht oder zerstört waren. Stattdessen gab es Atomenergie und Strom in Hülle und Fülle. Sie fuhren jetzt alle mit Elektroautos durch die Gegend. Der Verkehr war früher viel dichter gewesen, hatten sie gelernt. Jetzt fuhren viele Bürger mit der U-Bahn und der Eisenbahn, denn die konnte mit Atomstrom fahren. Ihr Vater hat sogar einen kleinen Hubschrauber für zwei Personen mit Wasserstoffantrieb für seine Fahrten ins Büro. In dieser Siedlung ist das ganz normal, denn alle Top Manager haben da, und hier leben nur Top Manager.

Kapitel 2

Major Adam Swietowsky lehnt sich in seinem Stuhl zurück und betrachtet unzufrieden die Bildschirme, die in seinem Schreibtisch eingebaut sind, und mit denen er das gesamte Gelände, alle Gebäude und das umliegende Land überblicken konnte. Es ist absolut nichts los. Sonntagmittags war hier noch niemals etwas los. Sein muskulöser und stämmiger Körper war hier nicht gefordert. Das Spezialkonditionstraining, welches er noch immer viermal die Woche absolvierte, war überflüssig. Er hätte sich auch einen Bierbauch antrainieren können. Aber das wiederstrebte ihm, seine Kondition und seine Fitness waren sein ganzer Stolz. Obwohl auch seine Intelligenz für diese Art von Job viel zu hoch war. Aber was sollte er machen, das Leben hatte ihn hierhergesetzt und hier sitzt er nun und langweilt sich.

Major Swietowsky hat diesen Überwachungsjob seit drei Jahren inne und er hasst ihn. Es gab hier nichts zu tun für jemandem, der das Handeln gewohnt war, aber er wurde wenigstens gut bezahlt. Seine Brigade bei der Armee war aufgelöst worden und sie hatten keine Verwendung mehr für ihn gehabt. So war er nach zwanzig Dienstjahren bei der Army abgerüstet worden und hatte als Mitvierziger diesen öden Überwachungsjob annehmen müssen. Für einen Major war das eine Degradierung gewesen. Geheiratet hatte Swietovsky nie, für die Gründung einer Familie hatte er die Zeit nicht gefunden, da er immer in irgendeinem Kampfeinsatz gewesen war. Seine Meinung war, dass sich dann zu Hause keine Frau um sein Überleben Sorgen machen müsse, und es ihm egal sein konnte, an welchem Winkel des Planeten er seinen Dienst versah. Und hier, fernab der großen Städte, in der Provinz von Amerika, interessierte sich niemand mehr für den muskulösen ehemaligen Major.

Die einzige Genugtuung, die er hatte, bestand in der Wichtigkeit seines Dienstgebers. Er bewachte schließlich als Kommandant der Wache den Hauptlandsitz von Mister Tom Swallows, den Präsidenten von Union Arms. Union Arms ist der größte Konzern für Sicherheitsausrüstungen und Verteidigungssysteme, wie das so schön hieß, dessen Aktien im Augenblick an der Börse am Begehrtesten waren. Das war der einzige Lichtblick im Leben Adam Swietowskys, denn einige Kilometer vom Haupthaus war ein Testgelände für diverse Ausrüstungen. Diese Tests waren immer der Höhepunkt seines eintönigen Lebens als Chef der Wache, denn da konnte er immer dabei sein.

Das gesamte Grundstück umfasste neben einigen Quadratkilometern Wald und Wiesenflächen etliche Gebäudekomplexe und lag im amerikanischen Bundesstaat New Hampshire. An das im Neuenglandstil des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts errichtetet Haupthaus in der Größe eines englischen Herrschaftssitzes waren etliche Nebentrakte angebaut worden. In einem davon hatte Adam Swietowskys seinen Arbeitsplatz. Er war Chef über die vierzig Mann der Sicherheitswache des Grundstückes und Herr über Leben und Tod, wenn es einmal ernst werden sollte. Immerhin gab es über 800 Bedienstete und Angestellte auf diesem Landsitz, der in Wirklichkeit ein Teil der Konzernzentrale von Union Arms, dem größten weltweit noch existierenden Rüstungskonzern, war. Seit Swietowsky hier seinen Dienst versah, hatte es noch keinen ernsten Zwischenfall gegeben.

Die Uhr auf seinem Schreibtisch zeigt Sonntag, den 5. Juni 2117. Die Bildschirme auf seinem Schreibtisch geben nur friedliche Wiesen und Waldgebiete wieder. Die Hauptumzäunung läuft kilometerweit durch Wälder und Wiesen. Die Kameras zeigen kein menschliches Wesen und auch keine verdächtigen Fahrzeuge, die sich dem Landsitz nähern. Die Bewegungsmelder geben nur die Bewegungen von Rehen und Hasen wieder. Adam sieht sich vor Langeweile die Logfiles seiner Patrouillentrupps der letzten drei Tage durch. Nichts war vorgefallen. Er verflucht seinen Job, der ihn in die sicherste Gegend der Erde und in die größte Langeweile seines Lebens geführt hatte. Er war schließlich Soldat und gewohnt, in Krisengebieten aktiv zu sein. Da konnte das hier schon lähmend werden. Er fühlte sich langsam alt werden und das war umso bitterer, weil er hier nicht seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt war und sich daran auch nichts mehr ändern würde, wie er fälschlich dachte. Wenn er sich an seine Einsätze in Nordafrika währende des dritten Ölkrieges erinnerte, da wurde ihm immer richtig warm ums Herz. Seine Einheit hatte Tobruk bis zum Schluss gehalten und alle Angriffe der Rebellen abgewehrt. Das war einer seiner schönsten militärischen Erfolge gewesen, aber leider völlig umsonst. Er hatte als Kommandant eines Außenpostens fast täglich Feindkontakt und sie hätten die Stadt bis zum Friedensschluss verteidigt, doch dann kam der Befehl zum sofortigen Rückzug. Er wollte den Befehl schon verweigern und seine schöne Stellung nicht aufgeben, als ihm einer seiner arabischen Informanten den wahren Grund für den Rückzug nannte, den ihm seine Vorgesetzten verschwiegen hatten. Mit fünfundzwanzig seiner Leute schaffte er es dann, die letzte Hercules zu erreichen, die je von Tobruk aus starten sollte, denn fünfzehn Minuten später detonierte die Atombombe, die die Rebellen im Stadtzentrum versteckt hatten und löschte seine Einheit und alle verbliebenen Bewohner von Tobruk samt ihrer Stadt so gründlich aus, das heute nicht mehr erkennbar ist, dass dort je eine Stadt gestanden hat.

Aber das war jetzt mehr als zehn Jahre her und der Krieg war zu Ende. Seufzend greift er in seinen Kühlschank unter dem Schreibtisch, nimmt sich trotz Alkoholverbots im Dienst ein Bier und lässt die Dose zischend aufspritzen.

Kapitel 3

Professor Dr. Stefan Reisinger betrachtet versonnen den Rhein. Von seinem Arbeitsplatz im dreiundvierzigsten Stock des Institutsgebäudes der Universität Rheinland, direkt am Flussufer in Köln, kann er das silberne Band des Rheins in der Abendsonne viele Kilometer nach Nordwesten mit seinem Blick verfolgen.

Er denkt nach. Dazu betrachtet er oft den Flusslauf, der schon seit Jahrtausenden hier in seinem Bett strömt und dabei schon so vieles erlebt hat. Vor mehr als Tausend Jahren hatten hier in Worms und Speyer die Deutschen Kaiser residiert. Später im neunzehnten Jahrhundert hatten sich deutsche Chemiekonzerne hier angesiedelt und waren groß und mächtig geworden. Das Dritte Reich war entstanden und wieder vergangen. Die Einigung Europas war gekommen. Jetzt war Europa groß, stark und wohlhabend. All das hatte der Fluss gesehen und es hatte ihn nicht bekümmert.

Reisinger war heute Sonntag ins Büro gefahren, weil er am Morgen eine Eingebung gehabt hatte. Er hatte keine Familie und keine Frau wartete auf ihn. Er war Historiker am Institut für Zeitgeschichte und lebte nur für seinen Job. Er war noch keine Fünfzig Jahre alt, doch in der Regel hielten ihn die Kollegen und auch die Frauen für weit jünger denn sein Aussehen gleicht dem eines fünfunddreißigjährigen sportlichen Managers, und nicht dem eines verschrobenen Tüftlers, der er eigentlich ist.

Nun war bereits der Abend des 5. Juni 2117 hereingebrochen und Reisinger war nicht einen Millimeter bei seiner Arbeit weitergekommen. Sein Gehirn schien wie vernagelt zu sein, er kann aber keine Lösung für sein Problem finden. Sein Problem liegt tief im vergangenen zwanzigsten Jahrhundert verborgen und lässt ihn nicht ruhen.

Ein leises Piepen schreckt ihn auf. Es hatte schon eine ganze Weile gepiepst, bis er es bemerkt hatte. Die Security Karte, die ihn als Mitarbeiter der Universität ausweist, hatte Alarm geschlagen, da die Verbindung zu seinem Security Chip, den er im linken Unterarm implantiert trug, abgerissen war. So ein Mist, eine technische Fehlfunktion und eine ärgerliche Unterbrechung seiner Arbeit, denn um die Sache beheben zu lassen, wird er morgen früh die UNI Klinik aufsuchen müssen. Ohne funktionierende Karte und Chip kommt man im Jahr 2117 nicht weit. Die nächste Security Controll Station würde Alarm auslösen und man würde ihn mühsam neu identifizieren müssen. Das kostet viel Zeit. So etwas war ihm noch nie passiert. Kein Chip gibt im Jahr 2117 vorzeitig seinen Geist auf. So etwas hat es im zwanzigsten Jahrhundert gegeben, aber nicht heutzutage.

„Hoffentlich hält die Karte noch lange genug“. Dachte er, sonst würde er die Nacht auf der Uni verbringen müssen, da die Security Systeme ihn ohne Karte nicht erkennen würden und der Ausgang für ihn verschlossen bliebe.

Seine Idee von heute Morgen kommt ihm wieder in den Sinn. Er hatte doch tatsächlich das Gefühl gehabt, dass er aus Zufall einer ganz heißen Sache auf der Spur war, deren Ursprung weit in der Vergangenheit irgendwo im zwanzigsten Jahrhundert zu suchen war. Der Name Professor Fowey war ihm in den Sinn gekommen, aber er hatte in keiner Datenbank etwas über ihn finden können. Diesen Namen gab es nicht und er konnte sich nicht erinnern, wo er den Namen aufgeschnappt hatte. Er musste den Namen in einem alten Papier gelesen haben. Irgendetwas aus Papier musste es gewesen sein. Das hieß, die Information musste sehr alt sein und aus einer Zeit stammen, als es noch üblich war, Daten auf Papier auszudrucken. Damals musste es noch Drucker gegeben haben.

„Der ganze Tag sinnlos vertan, nichts gefunden und ein kaputter Chip. Eine magere Ausbeute“, dachte der Professor. Verdrossen verriegelt er sein Büro. Dafür war die Karte wenigstens noch zu gebrauchen. Da er beim Verlassen der Uni nur die Karte, aber keine persönliche Identifikation brauchte, könnte er sich in Ruhe zu Hause ausschlafen. Vorher würde er eine Flasche Rheinwein öffnen und an die Vergangenheit denken.

Der Sicherheitsdienst beim Gebäudeeingang grüßte freundlich wie immer, als er in seinem komfortablen Elektro BMW aus der Tiefgarage rollte.

Kapitel 4

Es ist Montag, der 6. Juni 2117. Clara weiß selbst nicht, was in sie gefahren ist. Gestern spät am Abend hat sich Michelle, eine ihrer besten digitalen Freundinnen, die in San Francisco lebt, am HYCO gemeldet und erzählt, dass sie erstmals in Europa sei, da sie ihren Vater auf einer Geschäftsreise begleite. Sie sei in der Londoner City im Hilton abgestiegen, gleich beim Hyde Park. Eigentlich war sie nur zum Einkaufen da, denn im GUK, dem Greater United Kingdom gab es so viel mehr Auswahl als im fernen heruntergekommenen San Francisco. Ihr Vater hatte jede Menge Business Meetings, und so war sie auf sich selbst angewiesen. Mit ihrem Leibwächter verstand sie sich nicht gut, eine reale Freundin wäre besser. Ob sie sich nicht treffen könnten, denn sie hatten sich ja noch nie in Realität gesehen, immer nur über Internet HYCO geredet und Bilder ausgetauscht.

Und Clara hatte tatsächlich zugesagt. Erst danach war ihr gedämmert, auf was sie sich da eingelassen hatte. Doch es war zu spät, sie wollte ihr einmal gegebenes Versprechen an Michele nicht brechen, denn sie war neugierig, wie Michele in der Realität sein würde.

Aber ihr Vater würde ihr den Trip in die City niemals erlauben, „viel zu riskant“, würde er sagen, das wusste Clara. So beichtete sie Peter, dem Chauffeur der Familie, dass sie beabsichtige, morgen die Schule zu schwänzen, um sich mit ihrer amerikanischen Freundin einen schönen Tag in der City zu machen, er müsse sie nur hinbringen, so dass Vater nichts davon erfährt.

Doch Peter konnte sie nicht unterstützen, da er Montag anderwärtig gebraucht würde und er sie nicht heimlich in die City und wieder zurückbringen könne. Sie solle sich den Trip aus dem Kopf schlagen, viel zu gefährlich, waren seine Kommentare zu ihrer Idee.

„Dann nehme ich eben die U-Bahn“, hatte sie trotzig behauptet. Peter war Farbiger, aber nach dieser Meldung sah er sehr blass aus. „Das melde ich Ihrem Vater!“, stieß er hervor. „Dann sorge ich dafür, dass du entlassen wirst, denn glaubst du, ich weiß nicht, dass du heimlich Botendienste für andere Leute erledigst. Wenn das bekannt wird, dann fliegst du hier raus.“

Sie einigten sich auf einen Kompromiss. Er würde sie in der Früh zur U-Bahn bringen und in der Schule melden, dass sie krank sei. Und sie solle ja gut auf sich aufpassen, schärfte er ihr ein. Wohl war ihm nicht dabei, aber gegen ihre Argumente kam er nicht an, und sein Job war ihm wichtig, denn viele solche gutbezahlten Jobs gab es ja nicht mehr, seit der letzte Ölkrieg zu Ende gegangen war.

Nun sitzt Clara in der U-Bahn. Es ist die Piccadilly Line und sie ist ganz aufgeregt, sie ist noch nie in ihrem Leben mit der U-Bahn gefahren. Sie soll Hyde Park Corner aussteigen, da kann nichts passieren, hatte ihr der Chauffeur eingeschärft.

Der U-Bahnwagen war uralt, aber sauber. Er ratterte und schepperte über einen anscheinend ebenso alten Gleiskörper mit einer für Clara viel zu hohen Geschwindigkeit. Verwundert bemerkt sie, dass der Zug an den meisten Stationen nicht hält. Die Stationen, durch die sie fuhren, sahen irgendwie düster und verwahrlost aus. Die Stationen, wo der Zug hielt, machten einen sauberen und gepflegten Eindruck.

Der vergilbte Plan an der Wagendecke hatte aber alle Stationen verzeichnet und nicht nur die, wo sie tatsächlich stehen blieben. So war Clara bald verwirrt, da sie die Stationen nicht hatte zählen können, die sie schon passiert hatten. Ihr war nicht mehr klar, wo sie sich gerade befand. Wann würde Hyde Park Corner kommen? Sie musste jemanden fragen. Aber wen, der Wagen war sehr spärlich besetzt. Nur einige ältere, ärmlich gekleidete Leute saßen darin.

Clara fühlt sich ein wenig ängstlich. Das Gefühl der Angst kennt sie nicht. Sie will ihr HYCO checken, das hat auf alles eine Antwort, das wird ihr gleich sagen, wo sie ist. Aber das Gerät zeigt nur, „Keine Verbindung möglich“. Das kennt Clara gar nicht, eine leichte Panik beginnt in ihr hochzusteigen. Ein Funknetz gibt es doch überall, das weiß sie ganz genau, wo ist sie hier hineingeraten, und wie kommt sie hier wieder heraus.

Sie gibt sich einen Ruck, unterdrückt die Panik, steht auf und spricht die ältere, in einen zerschlissenen braunen Mantel gehüllte Frau an, die drei Reihen vor ihr sitzt.

Diese mustert ausgiebig ihre blitzsaubere Jean und ihre weiße Bluse, die sie unter ihrem Blazer trägt und meint schließlich mitleidig, „aber Kindchen, wenn so eine, wie du U-Bahn fährt, dann sollte sie auch wissen, dass Hyde Park Corner schon seit dem Brand vor fünf Jahren gesperrt ist, und du in Green Park aussteigen musst, wenn du zum Hyde Park Corner willst“.

Der Zug stand gerade in einer Station und setzt sich eben in Bewegung, als Clara aus dem Fenster blickt und das Schild „Green Park“ erkennen kann. Nun rattert er bereits wieder durch den dunklen Tunnel. Sie war über Hyde Park Corner hinausgefahren. Was soll sie jetzt tun? Die ältere Frau will von ihr wissen, wieso sie überhaupt in der U-Bahn sitzt. Clara druckst herum und verschweigt die Wahrheit. Die Frau erzählt, dass sie Putzfrau sei, und nun von der Arbeit nach Hause fährt. Ihr Job in der City besteht aus Nachtarbeit mit geringem Einkommen. Sie gibt ihr den einfachen Rat, bis zur Endstation im Zug zu bleiben, und dann bis Green Park zurückzufahren. Clara widerspricht heftig, denn das würde mehr als eine Stunde dauern, da es noch sechzehn Stationen bis zum Endbahnhof wären.

Doch die Frau warnt sie, sie kämen jetzt durch die dunkle Zone, da könne man nicht aussteigen, sie solle bei ihr bleiben, sie fahre auch bis zum Endbahnhof.

Das kam Clara nun doch sehr verdächtig vor. Wer war die Frau wirklich und was wollte sie von ihr? Und was ist eine „dunkle Zone“?

Aber der Zug hielt nirgends und ratterte durch alle Stationen durch. Doch nach einiger Zeit wurde der Zug plötzlich langsamer, rollte in eine Station ein und hielt. Clara springt von ihrem Sitz hoch und rennt zur Tür. Die alte Frau rief ihr noch nach, „Bleib, da, du bist verloren da draußen.“ Die Tür aber ließ sich leicht öffnen und Clara macht den Schritt auf den Bahnsteig. Endlich aus der U-Bahn heraußen. Wer weiß, wo der Zug wirklich hinfährt und warum die Frau sie hatte überreden wollen, bis zur Endstation mitzufahren.

Die Tür des Wagons glitt hinter ihr zu und Clara hörte die Frau drinnen noch rufen, „Komm´ zurück, das ist keine reguläre Station.“ Clara sah sich um und sah, dass die Station völlig verfallen war. Ein Schild mit der Aufschrift Highbury & Islington hing an nur mehr einer Schraube schräg von der Wand herunter. Das Wasser tropfte von der Decke. Clara begann zu begreifen und rannte auf die Tür zu. Doch diese war bereits verriegelt und der Zug setzte sich eben wieder in Bewegung. Sie trommelte gegen die Tür, konnte sie aber nicht mehr öffnen. Der Zug nahm Fahrt auf und wurde immer schneller. Bald war er im Tunnel verschwunden und Clara konnte nur mehr sehen, wie die rote Heckleuchte immer schwächer wurde und schließlich hinter einer Tunnelbiegung ganz verschwand. Das erste Mal in ihrem Leben bekam sie wirklich Angst, denn als sie die Station genauer ansah, erkannte sie, dass hier normalerweise keine Züge hielten.

Der Bahnsteig war von Unrat und Abfällen übersäht. Wenige vergilbte Lampen gaben ein gespenstisches Dämmerlicht und es schien, wie wenn die am Boden liegenden Pappkartons als Schlafplätze von Menschen genützt würden. Clara schauerte.

Zur selben Zeit hatte Peter, der Chauffeur, Gewissensbisse und rief über sein HYCO Clara an. Seine Gewissensbisse steigerten sich, als sie nicht antwortete. Peter wusste, dass in der Londoner City ein guter Netzempfang war. Was er nicht wusste, dass Clara in East End festsaß, wo es überhaupt kein Mobilnetz mehr gab.

Peter, der nicht wusste, was er tun sollte, beschloss zur vereinbarten Zeit beim U-Bahnhof auf Clara zu warten und zu beten, dass er sie lebendig wiedersehen würde.

Kapitel 5

Am selben Montagmorgen fuhr Professor Reisinger seinen Elektro- BMW durch den Morgenverkehr von Köln. Beim Uni Institut wusste er, dass er nicht in die Tiefgarage konnte, weil sein persönlicher Chip eine Störung hatte. Das Piepsen der Karte hatte zwar aufgehört, aber die Karte zeigte eindeutig eine Fehlfunktion an. So parkte er direkt bei der Einfahrt und versuchte, sie möglichst nicht zu verstellen, damit die nachfolgenden Wagen einfahren konnten. Er löste damit eine Schimpforgie des hinter ihm Fahrenden aus, da sich dieser mit seinem Wagen, einem dicken Mercedes Geländewagen, mit Millimeterabstand an seinem E-BMW vorbeizwängen musste.

Der Security Mann deutete Reisinger auch gleich durch sein Kabinenfenster, in die Security Kabine hereinzukommen.

Reisinger wollte eben seine Lage erklären, als ihn der Security Mann mit den Worten, „Schon wieder einer, der seinen Chip ruiniert hat“, unterbrach. „Woher wissen Sie, .. ?“, war Reisinger verblüfft. „Sie sind heute nicht der erste, sondern schon der Dritte vom Institut, dem das passiert ist und alle waren sie gestern am Sonntag hier herinnen. Sie sollten nicht so viel arbeiten“, merkte der Security Mann mit einem süffisanten Grinsen an.

„Ich wüsste nicht, was sie das angeht,“ erwiderte Reisinger etwas gereizt, „ich brauche eine manuelle Identifikation von Ihnen und einen OP Termin in der Klinik für einen neuen Chip, und das Ganze bitte dringend, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

„Das mit der Identifikation übernehme ich“, ertönte eine kräftige Stimme hinter ihm. Reisinger fuhr herum und sah einen Mann in einem eleganten dunkelgrauen Anzug, wie sie auf der UNI normalerweise nicht getragen wurden, vor ihm stehen. „Gestatten Sie, Franz Huber von der EIO“, stellte er sich vor.

„Seit wann übernimmt die EIO solche Bagatellen?“, fragte Reisinger verwundert. Die EIO, das war die offizielle Behörde der EU für Europäische Identifizierungsaktivitäten. Die EIO stellte in der Regel keine Ausweise bereit, dort ging es um viel wichtiger Dinge.

„Alles kein Problem, es gab hier gestern eine kleine technische Panne mit einem unserer Lesegeräte und da kann es passiert sein, dass ihr Chip beschädigt wurde. Kommen Sie bitte mit, wir erledigen die Neuidentifikation umgehend und spesenfrei. Auch die Operation kostet Sie nichts. Wenn es einmal ein Problem gibt, das wir verursacht haben, dann darf sie das auch nichts kosten. Denn im Normalfall löst die EIO Probleme und verursacht keine. Darf ich Sie bitten, zu mir in den Wagen zu steigen, ich bringe Sie zur Ident Stelle und dann in den OP. So verlieren sie nicht einmal einen halben Arbeitstag.“

Reisinger war beruhigt. Wenn sich die Behörde sogar für ihre Fehler entschuldigte, dann war ja alles Bestens und in Ordnung. Und um zehn Uhr würde er schon wieder in seinem Büro sitzen, denn diese Art von Operation ist ja in wenigen Minuten erledigt, nur der organisatorische Kram hält immer so lange auf. Das wusste Reisinger noch vom letzten Update von vor fünf Jahren, als er den Chip implantiert bekommen hatte, der nun versagt hatte.

Kapitel 6

Während es in Köln langsam auf Mittag zuging, wälzte sich Adam Swietowsky noch genüsslich in seinem Bett, da er heute keinen Dienst hatte und es an der Ostküste noch früher Morgen war. Das schrille Summen seines HYCOS riss ihn aus dem Halbschlaf. In Sekundenbruchteilen war er hellwach. Das war ein Reflex aus seiner Zeit bei der Army. Er meldete sich korrekt, wie es sich gehörte, auch wenn es erst Vier Uhr dreißig war. Das wurde von ihm als Sicherheitschef schließlich erwartet.

Etzel Goldmann, der erste Privatsekretär von Tom Swallows war in der Leitung. Das hieß zumindest, dass es keinen Alarm gab, denn Goldmann war nicht auslöseberechtigt, wie Swietowsky wusste.

Vielmehr gab es eine erfreuliche Abwechslung. Swietowsky war ausgewählt worden, Tom Swallows als Security Leiter bei einem inoffiziellen Geschäftstermin nach Moskau zu begleiten. Moskau sei ein heißes Pflaster, da müsse man mit allem rechnen, hatte ihm Goldmann zu verstehen gegeben. Um wenig aufzufallen, würden sie nur den kleinen Privatjet nehmen und Adam hätte daher wenig Platz für besondere Sicherheitsausrüstungen. Noch dazu, wo sie bereits heute Abend starten und in der Nacht über den Atlantik nach Europa fliegen würden.

Swietowsky kippte einen starken Espresso aus seiner kleinen mobilen Powersoftdrink Maschine hinunter, als er sich Minuten nach dem Gespräch in die Vorbereitungen vertiefte und drei seiner Leute ebenfalls aus dem Bett scheuchte.

Die Ausrüstung musste zusammengestellt und kontrolliert werden. Er hatte sich die drei Besten seiner Leute aus seiner geheimen Leistungsliste gewählt, in der alle Stärken und Schwächen aller Wachleute penible aufgelistet waren. Drei war das absolute Minimum, das er brauchte, um die Sicherheit des Präsidenten gewährleisten zu können.

Dann ging er in die Cafeteria und gönnte sich ein kräftiges Frühstück mit Spiegelei und Speck, denn die nächsten Tage und Nächte würden sehr arbeitsreich werden. Für heute Vormittag stand auch noch der Security Check für das gesamte Anwesen an, den er entsprechend den Richtlinien gemeinsam mit seinem Stellvertreter machen musste, bevor er das Kommando an diesen übergeben durfte. Diese Checks hasste er, denn sie waren nur lästige Routine, völlig ohne Sinn und Mehrwert. Aber sie waren für alle US Landsitze ab einer bestimmten Größe vom nationalen Security Council vorgeschrieben. Bei Landsitzen im Ausland würde der Check sogar dreimal so lange dauern, tröstete er sich, als er sich über seine Portion Eier mit Speck hermachte und den heißen Kaffee aus dem Pappbecher schlürfte. Zu dieser frühen Stunde saß er noch fast alleine in der Cafeteria. Nur zwei junge hübsche Mexikanerinnen vom Reinigungsdienst saßen an einem der hinteren Tische und unterhielten sich leise. Verstohlen sahen sie manchmal herüber und flüsterten. Sie wussten nicht, wer er war, aber vor seiner Uniform vom Security Dienst hatten sie einen gehörigen Respekt.

Kapitel 7

Auf der anderen Seite des Atlantiks hatte sich Klara dazu entschlossen, den U-Bahnhof zu verlassen. Einige Züge waren in beiden Richtungen durchgebraust, ohne auch nur langsamer zu werden. Ihr HYCO hatte keinen Pieps von sich gegeben. Anscheinend war sie hier außer der Reichweite aller Sender.

Vorsichtig war sie über den Unrat gestiegen und bemühte sich, ihre Schuhe nicht zu beschmutzen. Die Wände des Stiegenaufganges waren dick mit Graffiti und Schmutz überzogen. Leere Bierdosen und zerbrochene Einwegspritzen lagen überall herum. In einer Ecke sah sie einen Junkie liegen, der leise vor sich hin wimmerte. Clara wusste nicht, ob sie sich eher fürchten, oder nur ekeln sollte. Sie war nicht auf die Wirklichkeit in East London vorbereitet.

Als sie endlich das Straßenniveau erreicht hatte und wieder Tageslicht sah, verschlug es ihr den Atem. Von der gegenüberliegenden Häuserzeile hatte keines der Häuser mehr ein Dach. Ruinen, soweit sie sehen konnte. Schutt und Abfälle türmten sich quer über die Fahrbahn, die einst eine breite Straße gewesen sein musste. Verrostete Wracks von Autos aus den letzten hundert Jahren standen kreuz und quer in der Gegend. Manche waren zu Barrikaden aufgeschichtet, andere völlig waren völlig ausgebrannt und nur mehr leere Metallskelette. Ein normaler Straßenverkehr war hier nicht mehr möglich.

Und doch gab es in dieser Ruinenlandschaft Leben. Ein bärtiger alter zerlumpter Mann zog einen Handwagen hinter sich her, den er geschickt zwischen den Wracks hindurch manövrierte. Die Häuserzeile, an der Clara stand, war nicht ganz so zerfallen und Clara sah, dass es hier sogar noch so etwas, wie Läden und Geschäfte gab. In einem noch recht gut erhaltenen Haus, das auch ein Dach hatte, gab es einen Laden, der Gemüse anbot. Einige Frauen standen davor und unterhielten sich. Gleichzeitig lagen einige Jugendliche nur wenige Meter weiter am Boden und gaben sich irgendwelchen Substanzen hin. Die Frauen kümmerten sich nicht um die Jugendlichen.

Erst jetzt bemerkte Clara den Gestank, der über allem lag. Hier gab es schon lange keine funktionierende Kanalisation und kein sauberes Wasser mehr. Die Menschen mussten sich anders behelfen. Wie sie das zuwege brachten, lag außerhalb Claras Vorstellungskraft. Der Gestank schnürte ihr den Atem zu.

Sie sah zerlumpte Gestalten, die Abfallhaufen nach etwas Brauchbarem durchstöberten. In Hauseingängen, oder besser in den Eingängen der Ruinen, lehnten Typen, die entfernt an Rocker früherer Jahrhunderte erinnerten. Sie waren jung, trugen lange Haare und zerzauste Bärte. Gekleidet waren sie in einer Mischung aus Lumpen und Metallteilen, die sie sich aus Abfällen anscheinend selbst gefertigt hatten. Manche hatten lässig Eisenstangen als Waffen neben sich gelehnt und blickten gelangweilt über die Straße, ob irgendwo ein Opfer zu sehen sei.

Clara war erst wenige Meter weit gegangen, als ihr siedendheiß einfiel, wie sehr sie in ihrer Kleidung hier auffallen musste. Zum Glück schienen alle Leute hier so mit sich selbst beschäftigt, dass sie noch keiner bewusst wahrgenommen hatte. Doch das konnte sich jede Sekunde ändern. Sie drückte sich zwischen dem Wrack eines Fords und einer verrosteten Mülltonne an die Wand einer Ruine eines ehemaligen Supermarktes und machte sich so klein, wie möglich.

„Hey Kleines, was tust du um diese Zeit auf der Straße?“, wurde Clara plötzlich angesprochen. Sie erstarrte, denn jetzt hatte sie jemand bemerkt. In Panik fuhr sie herum.

Da stand ein Mädchen, das so gar nicht in diese trostlose Welt zu passen schien. Das Mädchen trug einen schrecklich kurzen Minirock und ein hautenges Top, das ihren Busen in geradezu provozierender Weise betonte. Der Ausschnitt zeigte mehr her, als er verbergen konnte. Dazu trug sie Lackstiefletten und in der Hand schwang sie lässig einen Schlagstock, der mit einer Kette mit einem zweiten Schlagstock verbunden war und eine recht wirkungsvolle Waffe abgab.

Sehr gefährlich sah das Mädchen nicht aus, fand Clara. Sie schätzte sie auf vielleicht achtzehn Jahre und sie war einen Kopf kleiner als Klara.

„Bist du auf den Mund gefallen, oder bist du neu hier?“, wiederholte sie ihre Frage. „Neue sollten sich vorsehen und überhaupt, was du anhast, ist hier Schnee von Gestern, so kriegst du nie einen Freier.“

Clara verstand immer noch nicht, aber sie nahm allen Mut zusammen und sagte so selbstbewusst, wie möglich, „ich habe mich hier nur ein bisschen verlaufen, kannst du mir vielleicht sagen, wie man von hier am schnellsten in die City kommt?“

Die Fremde grinste mitleidig von einem Ohr bis zum anderen. „In die City kommt …. Du machst echt einen guten Witz, und wie sie nach der Schreibe redet, wie wenn sie´s gelernt hätt´.“ Das sprach sie mit einem tiefen Cockney Dialekt, so dass Clara sie fast nicht verstand.

Dann sah sie Clara genauer an und meinte abschätzig, „Du bist wirklich fremd hier, du hast keine Ahnung, was hier abgeht.“

„Wir wollen hier alle in die City, aber da kommst du nicht durch, nicht von hier aus. Ich hatte mal n´en Freund, der hat das auch versucht, aber das ist lange her, und ich hab´ ihn nie wieder gesehen. Einer unserer Fighter hat mir erzählt, er habe ihn an der inneren Absperrung liegen gesehen, aber das muss nicht wahr sein, der Kerl wollte es nur umsonst haben und dachte diese Auskunft genügt als Bezahlung. Ich hab´ ihm einen Tritt in die Eier verpasst, diesem fiesen Schwein.“

Sie geriet richtig in Fahrt, als sie das sagte und schwang ihren Schlagstock drohend.

„Aber ich komme doch von dort, wir wohnen in West London“, hörte Clara sich tonlos sagen, und bereute schon im nächsten Moment, was sie gesagt hatte.

„Dann bist du ja wertvoll“, frohlockte das Mädchen, „da gibst du eine gute Geisel ab, denn da werden sie dich ja bald suchen kommen und da lassen sie immer etwas springen, wenn sie ihr Herzibinki lebend und ganz wiederhaben wollen. Wenn sie nichts springen lassen, dann kriegen sie dich nur in Einzelteilen zurück. Zuerst ein Ohr, dann einen Finger oder eine Hand, bis dann der Kopf auf einer Müllhalde gefunden wird.“

„Es weiß doch keiner, dass ich da bin, mich sucht doch niemand“, presste Clara in Panik hervor.

„Das dachte ich mir, von den Westendern ist doch niemand so doof, freiwillig hierher zu kommen. Du hast gelogen und willst dich hier nach einem Job umsehen. Wahrscheinlich bist du aus dem Süden, da sind sie alle so naiv. Wo kommst du her, Cornwall oder Brighton?“

Claras Verstand arbeitete rasend. Wenn hier schon die netten Mädchen so locker vom Zerstückeln der Opfer sprachen, wie wenn sie mit ihren Schulkolleginnen den Ausgang des letzten Tennismatches besprach, wie waren dann erst die Jungs und was war bitte schön ein Fighter.

Wenn sie sich nochmals verriet, dann war sie geliefert und ihre Einzelteile lagen bald über East London verstreut. Sie versuchte, sich zusammenzureißen und nickte.

„Ist ja wahr, ich bin aus Brighton und ich heiße Clara“, meinte sie schüchtern.

„Habe ich dich erschreckt, mit der Geiselnahme, aber die Mädels vom Land sind ja so naiv, da hilft nur die ungeschminkte Wahrheit. Obwohl die letzte Geisel, die es hier gab, schon eine Weile her ist, denn es kommt ja niemand mehr zu uns, der es Wert wäre, als Geisel genommen zu werden.“

„Ich bin Suzy und wir haben ganz in der Nähe unser Quartier. Meine Freundinnen und ich. Wir arbeiten autonom, wenn du dich uns anschließen willst, dann komm´ mit, aber entscheide dich schnell, denn das hier ist unsere Gebietsgrenze und ich sollte eigentlich gar nicht hier sein.

„Was soll ich bei euch arbeiten?“, fragte Clara schüchtern.

„Du bist neu, da brauchst du nur Standard machen. Die ersten drei Monate keinen Hardcore und keine echte Folter, nur hin und wieder ein bisschen Sado Maso, sonst nichts. Wenn du die Kundschaft besser kennst, dann wirst du sehen, alles halb so schlimm, wir können recht gut davon leben.“

Clara hatte schon von solchen Dingen gelesen, heimlich unter der Bettdecke mit dem HYCO auf verbotene Seiten geklickt, mit wohligem Gruseln, aber das konnte doch niemand von ihr in der Realität verlangen.

„Ja ich weiß, du bist neu und noch völlig unschuldig, womöglich noch Jungfrau, aber wir müssen jetzt weg, dort drüben kommen drei Typen von den Red Killers.“ In ihrer Stimme schwang jetzt Nervosität mit.

Clara sah sich um. Die drei waren keine dreißig Meter entfernt. Einer brüllte herüber, was sie in ihrem Revier täten. Der zweite hielt sich nicht lang mit Reden auf, sondern zog eine Waffe und schoss ansatzlos aus der Hüfte. Hinter Clara splitterten die Ziegel aus der Wand, als die Projektile einschlugen.

„Schießen könnte ihr nicht, ihr Scheißer“ schrie Suzy zurück, packte Clara bei der Hand und zerrte sie in die Supermarktruine hinein.

Es folgte eine wilde Jagd durch umstürzende Regale, Müllhaufen, Hinterausgänge und zusammenbrechende Treppen. Clara rannte hinter Suzy her, so schnell sie ihre Beine trugen. Die Red Killers schossen, trafen aber immer weit daneben. Sie schienen sich einen Spaß daraus zu machen, die Mädchen zu jagen. Für Clara war es alles andere als lustig. Suzy geiferte, „die wollen es nur um sonst haben, wenn sie uns einholen, müssen wir ihnen einen blasen, dann lassen sie uns laufen, denn die Gegend gehört zu ihrem Revier. Halt´ bloß durch, wir haben es gleich geschafft.“

Sie sprinteten durch einige verfallene Hinterhöfe. Suzy schwang sich mühelos über Mauern und Clara musste ihr folgen. Ihre schöne Bluse zerriss, so dass der BH sichtbar wurde, als sie an einem Stacheldrahtzaun hängen blieb. Ihre Jeans waren mit Schlamm und Unrat verschmiert, als sie einmal in einer Pfütze ausrutschte und der Länge nach hinfiel.

Suzy riss eine Eisentür in einer Mauer auf, stieß Clara durch und knallte die Tür zu. Sie waren in einem halbdunklen Raum mit vergitterten Fenstern. Clara war völlig außer Atem.

Suzy meinte lässig, „Die haben wir abgehängt, wir sind in Sicherheit“, wobei auch sie etwas außer Atem war. Aus dem Halbdunkel tauchte eine muskulöse Gestalt wie aus dem Nichts auf. Zerrissenen Jeans, lange stränige Haare bis zu den Schultern und nackter muskulöser Oberkörper. Er kam langsam auf die beiden Mädchen zu. Das automatische Schnellfeuergewehr hielt er so lässig in einer Hand, als wäre es eine Spielzeugwaffe, die er um den Finger wirbeln könnte.

Kapitel 8

Dr. Reisinger erhob sich vom OP Sessel. Die örtliche Betäubung würde bald vorüber sein. Dr. Müller, der die kleine Operation durchgeführt hatte, sah ihn lächelnd an und meinte: „Das war ja nur Routine. Jetzt haben sie einen komplett neuen Chip, der ist wieder mit den Nervenenden fix verbunden und sie sind eindeutig identifizierbar.“

„Gott sei Dank, denn ohne Chip kommt man ja heut zu Tage nicht sehr weit, nur bis zur nächsten Kontrolle“, entgegnete Dr. Reisinger.

„Die Chips versagen aber sehr selten“, wandte der Arzt ein. Dabei warf er einen Blick auf seinen Bildschirm, wo das Lesegerät die normale Funktion von Dr. Reisinger anzeigte.

Dr. Reisinger sah ihm dabei über die Schulter. „Was sind das für Kurven, die sie da am Schirm haben?“, wollte er wissen.

„Was, das kennen Sie gar nicht?“, meine der Mediziner amüsiert, „das sind die normalen Gehirnfunktionen und das Emotionsmuster, das über den Chip ausgelesen wird, eine einfache Art der Gedankenkontrolle auf jedem Checkpoint. Da filtern sie die Muster heraus, wenn jemand nervös ist, oder Angst hat. So filtern Sie die Terroristen und Verbrecher aus jeder Menschenmenge recht rasch heraus. Trefferquote 98,5%. Aber anscheinend ist das immer noch nicht so recht bekannt.“

Franz Huber, der die ganze Zeit daneben gesessen hatte, erklärte, „Das ist auch besser so, denn sonst fürchten sich bei den Kontrollen auch die unschuldigen Bürger und die Fehlerrate steigt an. Und mancher Kontrollor ist oft ein wenig übereifrig und dann heißt es wieder, Unschuldige seien bei den Kontrollpunkten ums Leben gekommen. Das muss ja nicht sein.“

Reisinger wollte über die restlichen 1,5% jetzt nicht nachfragen, es schien ihm irgendwie unpassend, wo die beiden seine Gehirnwellen am Bildschirm hatten. Er bemühte sich, möglichst an nichts Emotionales zu denken und meinte möglichst sachlich: „Das ist eine sehr vernünftige Einrichtung, denn nur so können wir uns wirklich sicher fühlen.“

„Leider haben die Lesegeräte im besten Fall nur eine Reichweite von maximal zweihundert Metern. In der Regel ist schon nach hundert Metern nichts mehr zu erkennen“, erklärte Franz Huber freundlich und sachlich.

„Jetzt kann ich Ihnen auch sagen, warum Ihr Chip ausgefallen ist. Wir hatten eine Alarmmeldung über eine verbotene Datenbankabfrage am Uni Gelände rein bekommen und wollten den Täter sozusagen in Flagranti erwischen, denn dann spart man sich eine umfangreiche Beweisaufnahme. Und dabei war einer unserer Messtechniker übereifrig und hat die Leistungsstärke der Lesegeräte in den roten Bereich gedreht. Das hat dann die Überspannung bei Ihnen verursacht. Jetzt wissen wir, dass wir nicht mit zuviel Energie fahren dürfen.“

Während der ganzen Erklärung hatte Franz Huber den Bildschirm keine Sekunde aus den Augen gelassen, doch auch bei der Erwähnung der verbotenen Abfrage waren die Kurven nicht eine Spur ausgezuckt, wie es der Fall gewesen wäre, wenn der Patient plötzlich erschrocken wäre.

„OK, dann ist die Sache also erledigt?“, fragte Reisinger.

„Ja, wenn Sie wollen, bringe ich Sie auch zurück in die Uni, aber ich will Sie zu nichts überreden.“

„Vielen Dank, das ist nicht nötig, wenn ich schon einmal in diesem Viertel bin, kann ich gleich ein paar Besorgungen machen, denn es ist schon fast Mittag und der Vormittag ist ohnehin schon vorbei.“

So verabschiedeten sie sich und erst nach zwanzig Minuten, als er längst in der Fußgängerzone der Kölner Innenstadt vor einer Kaufhauspassage stand, glitt ein Lächeln über das Gesicht von Dr. Reisinger und er dachte bei sich, dass die geheimen tibetanischen Entspannungsübungen und Mantrastudien, die er seit Jahren machte, doch ihre Vorteile hätten. Als ihn der Geheimdienstmann unvermittelt angesprochen hatte, hatte er sich sofort voll unter Kontrolle gehabt und seine Gehirnfrequenzen hatten keine verdächtigen Veränderungen angezeigt. Ihn freute, dass sie ihm sogar geglaubt haben dürften, dass er die Überwachung der Gehirnwellenmuster nicht kannte. Hoffentlich hatte er nicht zu dick aufgetragen, aber vermutlich hielten sie ihn für einen harmlosen Uni Spinner, der von der realen Welt keine Ahnung hatte.

Viel mehr beschäftigte ihn jetzt die Frage, wie er mehr über diesen Professor Fowey erfahren konnte. Dass mit der verbotenen Abfrage seine Suche nach Fowey gemeint war, war ihm sofort klar gewesen, als dieser Franz Huber zu sprechen begonnen hatte. Wenn er aber vorher gewusst hätte, dass der Name Professor Fowey auf der verbotenen Liste stand, dann hätte er sich die Abfrage sparen können und nichts wäre passiert. Aber gemeinerweise wurde nie angezeigt, wenn man eine verbotene Abfrage machte, es erschien nur nie ein Ergebnis am Schirm. „Keine Treffer“ war dann die lapidare Anzeige am Bildschirm. Und in der Regel ließ es die EIO Sicherheitstruppe damit bewenden. Es gab keine Konsequenzen. Dass dies bei seiner Abfrage anders war, zeigte ihm, dass er diesmal wirklich auf einer heißen Spur war, Etwas aufzudecken, von dem gewisse Leute nicht wollten, dass es je aufgedeckt würde.

Das alte Antiquariat in der Goethe Straße fiel ihm ein. Doch jetzt sollte er besser nicht dorthin gehen, falls die vom EIO noch immer auf seiner Spur waren. Man konnte nie vorsichtig genug sein, in einer Welt, wie dieser.

So ging er in das Kaufhaus und suchte unter den Einrichtungsartikeln nach einer kleinen Vase für sein Appartement. Die Vase könne man auch als Geschenk verwenden, dachte er, als er eine gefunden hatte. Es war eine kleine niedliche Imitation einer Vase aus der späten Ming Dynastie und sie sah beinahe echt aus.

Kapitel 9