3 Romane um Dr. Alexandra Heinze Februar 2023: Super Arztroman Doppelband - Thomas West - kostenlos E-Book

3 Romane um Dr. Alexandra Heinze Februar 2023: Super Arztroman Doppelband E-Book

Thomas West

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane (399) von Thomas West: Kann sie gerettet werden? Ein Schutzengel für Dr. Heinze Schicksalssprung Als Konstantin Lorenz überraschend Knall auf Fall aus der Firma gedrängt wird, macht sich in ihm eine heftige Depression breit. Die Welt ist dunkel, und er will sich das Leben nehmen. Doktor Alexandra Heinze steigt zu ihm aufs Dach, um ihn vor dem Sprung zu bewahren, aber es scheint vergeblich.

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Thomas West

3 Romane um Dr. Alexandra Heinze Februar 2023: Super Arztroman Doppelband

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Inhaltsverzeichnis

3 Romane um Dr. Alexandra Heinze Februar 2023: Super Arztroman Doppelband

Copyright

Kann sie gerettet werden?

Ein Schutzengel für Dr. Heinze

Schicksalssprung

3 Romane um Dr. Alexandra Heinze Februar 2023: Super Arztroman Doppelband

Thomas West

Dieser Band enthält folgende Romane

von Thomas West:

Kann sie gerettet werden?

Ein Schutzengel für Dr. Heinze

Schicksalssprung

Als Konstantin Lorenz überraschend Knall auf Fall aus der Firma gedrängt wird, macht sich in ihm eine heftige Depression breit. Die Welt ist dunkel, und er will sich das Leben nehmen. Doktor Alexandra Heinze steigt zu ihm aufs Dach, um ihn vor dem Sprung zu bewahren, aber es scheint vergeblich.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Kann sie gerettet werden?

Ärztin Alexandra Heinze

Arztroman von Thomas West

Der Umfang dieses Buchs entspricht 149 Taschenbuchseiten.

Das Ehepaar Baumann wird in das Marien-Krankenhaus eingeliefert. Wie es scheint, war in die Cremesuppe aus Nelkenschwindlingen ein giftiger Pilz gelangt. Der Mann kann das Krankenhaus nach kurzer Zeit wieder verlassen, aber seine herzkranke und nervlich angeschlagene Frau muss noch bleiben. Bei Dr. Alexandra Heinze meldet sich ihre innere Stimme, das hier etwas nicht stimmt, denn irgendwie erinnert sie das an den Kaiser Claudius, der von seiner Gattin vergiftet wurde …

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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1

Würziger Bratenduft schlug ihm entgegen, als er die Küche betrat. Im Herd sah er die Umrisse des Fasans. Darüber, auf der gläsernen Kochstelle dampfte der chromblitzende Topf mit der Suppe.

Normalerweise wäre nun ein heißer Strom durch seinen Bauch geschossen, und sein Mund hätte sich mit Speichel gefüllt. Heute jedoch spürte Jochen Baumann nichts dergleichen. Nur sein Herz klopfte hart und schnell. Und ihm war, als würde ein trockenes Tuch seine Mundhöhe ausfüllen.

Die Frau vor der Arbeitsplatte strich ihre weiße Schürze glatt und entnahm der offen stehenden Schublade einen Löffel. Sie hob den Deckel des Suppentopfes und tauchte den Löffel in die dampfende, cremige Flüssigkeit.

"Halt, Gundi!" Schneller, als er wollte, stand er neben ihr am Herd. "Die Pilzsuppe schmecke ich selbst ab!"

"Wie Sie wollen, Herr Baumann." Der gekränkte Unterton war nicht zu überhören. Sie legte den Löffel auf die Spüle und band sich die Schürze auf. "Den Fasan habe ich eben noch mal übergossen." Sie warf einen Blick auf die Wanduhr. Viel zu kurz, um die Uhrzeit wahrnehmen zu können - es war Viertel vor acht - und Baumann verstand das Zeichen. "In einer halben Stunde ist der Braten sicher soweit. Ich hab' den Wecker gestellt."

"In Ordnung Gundi, ich brauch' Sie dann nicht mehr." Baumann holte einige Gläschen aus dem Gewürzregal und stellte sie neben die Kochstelle. "Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Sonntagabend."

"Danke, Herr Baumann." Sie hängte die Schürze in einen schmalen Eckschrank und ging hinaus zur Garderobe. Vor dem Spiegel arrangierte sie ihre graue Dauerwelle und schlüpfte dann in eine grüne Trachtenjacke. "Ich wünsche Ihnen auch einen schönen Abend. Das wird Ihrer Frau guttun, dass Sie sich einen ganzen Abend Zeit für sie nehmen."

Baumann überhörte die Spitze in diesem Satz einfach. Er wusste, dass sein Hausmädchen mit seiner Frau sympathisierte.

"Ich begleite Sie zur Tür." Ihr voraus ging er durch die geräumige Diele, deren Wände mit Rehbockstangen, Hirschgeweihen und ausgestopften Vögeln geschmückt waren. "Also dann, Gundi." Er reichte ihr die Hand.

Kaum hatte er die schwere Eichentür hinter Gundi Heller geschlossen, eilte er zurück in die Küche. Dort zog er ein Töpfchen auf den Herd und goss Milch hinein. Ein Blick auf die Wanduhr, dann würzte er die Pilzsuppe. Er nahm einen Löffel, bewegte die Flüssigkeit prüfend im Mund hin und her, nickte und spuckte sie in die Spüle. Die Milch kochte auf. Baumann riss eine Tüte auf und rührte ihren Inhalt, ein weißliches Pulver, in die Milch. Danach ging er zurück in die Diele.

"Helga, der erste Gang kann aufgetragen werden!", rief er die Treppe hinauf.

"Noch drei Minuten!" Sie schien noch im Badezimmer zu sein. Gundi hatte sie zu einem Melissenbad überreden können. "Das ist gut für die Nerven."

Auf Gundi, die seit fünf Jahren ihren Haushalt führte - seitdem Helga selbst dazu nicht mehr in der Lage war - auf Gundi hörte sie. Fast mehr, als auf ihren Neurologen.

Mit einem kurzen Blick in das Speisezimmer überzeugte sich Jochen Baumann vom ordnungsgemäßen Zustand der Tafel. Unnötig an sich, denn Gundi Heller machte keine Fehler - nie. Heute Abend dachte er nicht daran, sich darüber zu ärgern. Dann eilte er in den Keller. Mit dem Finger strich er an den einzelnen Fächern des Weinregals entlang. Er entschied sich für einen badischen Spätburgunder, Helgas Lieblingswein. Er zog ihn aus dem Regal und lachte trocken auf. "Einer ihrer vielen Lieblingsweine", korrigierte er sich selbst.

Wieder im Esszimmer öffnete er den Wein. Kurz darauf Helgas Schritte auf der Treppe. Er sah auf seine Armbanduhr. 19.51 Uhr. Sie trat ein.

"Oh!", rief er aus. "Schön siehst du aus!"

Helga Baumann trug ein schwarzes, eng geschnittenes Seidenkleid. Eine funkelnde Perlenkette umrahmte ihr Dekolleté. Das dunkelblonde Haar hatte sie hochgesteckt.

"Und das neue Kleid ...!" Er strahlte sie an.

Um ihren Mund lag ein bitterer, fast beleidigter Zug, als hätte ihr gerade jemand etwas gestohlen. Die blasse Gesichtshaut wirkte pergamentartig, Krähenfüße umrahmten ihre grünen Augen. Helga Baumann war groß und schlank, fast dürr, und längst schätzte sie niemand mehr auf 46 Jahre. Sie wirkte sogar älter als ihr Mann, und Jochen Baumann war damals 52 Jahre alt.

"Wo ist Gundi?" Suchend sah sie sich um.

"Sie hat ihren freien Abend genommen." Er schenkte ein. "Habe ich dir das nicht gesagt?" Er reichte ihr das Glas mit dem Wein.

"Trägst du auf?" Ungläubig sah sie ihren Mann an.

"Ja, was dachtest du denn?", lachte er. "Da staunst du, was?" Sie stießen an. "Auf die gute Bilanz der Firma", sagte er betont heiter, "deiner Firma." Er beugte sich ein Stück vor und zog die Augenbrauen hoch. Sie tranken. "Und auf den gestrigen Sieg des FC Koblenz, meines Vereins!" Wieder tranken sie. Er nur ganz kleine Schlucke. "So, und nun nimm Platz, ich hole die Suppe." In der Tür drehte er sich um. "Du wirst staunen ..."

Die Wanduhr in der Küche zeigte 19.56 Uhr. Schnell füllte er die erste Suppentasse. Die zweite schöpfte er nur halb voll und füllte sie mit der weißlichen Flüssigkeit aus dem Milchtopf auf. Den restlichen Inhalt des Topfes goss er in die Spüle. Den Topf stellte er in die Spülmaschine.

"Kann ich dir helfen, Jochen?"

"Ich bin schon soweit!" Er griff in die Hosentasche, steckte eine kleine Tablette in den Mund und spülte sie mit Wasser aus einem bereitstehenden Glas herunter. Als er die Suppentassen auf die Tafel stellte, hielt sie den Atem an.

"Ist das ..."

"Genau, Liebling, das ist eine Cremesuppe aus Nelkenschwindlingen, deinen Lieblingspilzen!" Sie sah ihn staunend an. "Hab' ich gestern Morgen von der Jagd mitgebracht. Guten Appetit!"

Sie konnte ihre Rührung kaum verbergen. Sie war es einfach nicht gewohnt, von ihrem Mann verwöhnt zu werden.

Während sie den ersten Löffel Suppe nahm, goss er ihr Wein nach. Er schielte auf seine Uhr: 20.00 Uhr. Langsam tauchte er seinen Löffel in die Suppe, langsam führte er ihn zum Mund. Das Telefon klingelte.

"Iss nur weiter, Liebling, ich gehe schon."

Er telefonierte laut.

"Tut mir leid, Sie rufen jetzt ganz ungünstig an ... ich kann jetzt wirklich nicht ... ist es denn so dringend? ... sagen wir in zwei Stunden ..."

"Wer war es denn?", fragte Helga, als er nach fünf Minuten zurück ins Speisezimmer kam.

"Ach, einer der Fußballer, wegen dem Spiel gegen die Aachener nächsten Samstag, ob ich seine Aufstellung beim Trainer durchsetzen könnte ..." Er schenkte ihr Wein nach. "Willst du noch Suppe? Der Fasan braucht noch zehn Minuten." Sie nickte.

2

"Reichen Sie mir bitte noch mal die Pinzette, Schwester Julia!" Dr. Thorsten Roloff liebte es, diesen Namen auszusprechen. Und er liebte es, den braungebrannten, schlanken Arm zu betrachten und die schmalgliedrige Hand, die ihm jetzt die Pinzette reichte.

"Autsch!", schrie der alte Mann. Er lag mit entblößtem Bauch in seinem Bett und biss die Zähne zusammen.

"Gleich vorbei." Vorsichtig füllte Dr. Roloff die Abzesshöhle mit steriler Gaze. Er wusste selbst, wie schmerzhaft es sein konnte, wenn man mit der Pinzette in einer entzündeten Wunde herumstocherte. "Schon vorbei, Herr Wegner." Er wandte sich zu der Schwester um. "Machen Sie den Verband, Schwester Julia?" Er trat vom Bett zurück.

"Ist gut, Herr Dr. Roloff." Sie beugte sich über den Patienten und begann die Bauchwunde zu verbinden.

"Die Wunde sieht schon viel besser aus, Herr Wegner."

Der Mann brummte etwas Unverständliches und starrte auf seine Bauchwunde und auf die Hände, die ihm einen frischen Verband auflegten. Roloff betrachtete das hellblonde, zu einem Zopf geflochtene und hochgesteckte Haar der Schwester.

Anfang Mai, auf dem ersten Grillfest dieses Jahres, zu dem der Chef traditionell einlud, waren sie sich näher gekommen. Drei Wochen war das her. Und am Samstag vor einer Woche hatte er Julia zu seiner Geburtstagsfete eingeladen. Gemeinsam mit drei anderen Schwestern. Damit es nicht so auffiel.

"So, fertig, Herr Wegner." Schwester Julia richtete sich auf. Auch ihre Gesichtshaut hatte diesen bronzenen Ton. Und war von Sommersprossen übersät. Wie alt mochte sie sein? Roloff hatte es noch nicht herausfinden können. Acht Jahre jünger als er selbst, schätzte er, also etwa fünfundzwanzig.

"Herr Doktor?" Roloff erschrak fast, so versunken war er in den Anblick der Schwester. Der Alte musste ihn schon ein Weilchen angestarrt haben. "Wann darf ich nach Hause?"

"Wenn die Wunde ganz zugeheilt ist, Herr Wegner."

Hilflos schaute der alte Mann ihn an.

"So in einer Woche, hoffe ich", fügte der Chirurg hinzu.

Später im Stationszimmer wusch er sich die Hände, während Julia die Instrumente und den Verbandswagen reinigte.

"Es ist schon nach acht Uhr, Sie verpassen noch Ihren Feierabend."

"Oh, den habe ich gut im Auge", lachte Julia. Es ging ihm durch und durch. "Wenn ich heute ein bisschen später gehe, macht das auch nichts, ich hab' sowieso nichts mehr vor."

"Nichts mehr vor? Am Sonntagabend?"

"Ja, morgen früh muss ich um sechs Uhr antreten, und in der vergangenen Nacht wurde es verdammt spät - wir mussten doch den Sieg unserer Mannschaft feiern."

"Der FC Koblenz hat 3 : 1 gewonnen, stimmt's?"

Julia sah den Arzt überrascht an.

"Stimmt! Seit wann interessieren Sie sich für Fußball, Herr Dr. Roloff?"

Er grinste.

"Vielleicht seitdem Sie mir auf meinem Geburtstagsfest die letzten drei Spiele so plastisch geschildert haben, dass ich schwören könnte, sie selber gesehen zu haben."

Sie wandte sich ab und schob den Verbandswagen unter den Hängeschrank. Er hatte trotzdem gesehen, dass sie rot geworden war.

"Ich fand das schön, Julia, wirklich."

"Ich genier' mich aber."

Ihre Offenheit hatte ihn von Anfang an entwaffnet. Er selber hätte so etwas nie zugegeben. "Quatsch, das müssen Sie doch nicht!" Er stellte sich neben sie. "Sie sehen doch, dass Sie es sogar geschafft haben, mich für das Spiel gestern zu interessieren."

Sie sah ihn an und grinste.

"Stimmt!" Ihre mandelförmigen, graublauen Augen schienen ihn aufmerksam zu mustern.

Er hielt innerlich den Atem an und sagte: "Am kommenden Samstag habe ich frei." Er versuchte seiner Stimme einen lockeren, fast scherzenden Klang zu verleihen. "Was halten Sie von einem indischen Abendessen, Julia?"

Offenbar hatte sie so etwas erwartet, denn sie nahm den Blick nicht von seinem Gesicht.

"Am nächsten Samstag spielt der FC gegen den Tabellenersten. Das wird das entscheidende Spiel um den Aufstieg in die zweite Liga." Sie breitete wie entschuldigend die Arme aus. "Da darf ich nicht fehlen im Fan-Club."

"Und am Donnerstagabend?" Ohne dem Gefühl der Enttäuschung Zeit zu lassen, sich auszubreiten, sprach er es aus. Sie schwieg einen Augenblick. Nachdenklich sah sie ihn an. Sie ahnte seine Gefühle, er war sich ganz sicher.

"Ich werd' es mir überlegen, ja?"

Auch das imponierte ihm. Hundert andere hätten sofort zugesagt. Eine Einladung von einem Arzt! Er versuchte, seine Aufregung hinter einer Fassade von Scherzhaftigkeit zu verbergen.

"Und wann darf ich mit Ihrer Antwort rechnen, verehrte Schwester Julia?"

"Spätestens bis Dienstag."

3

"Gegen die Aachener müssen wir mit drei Spitzen spielen." Heiko Gareis, der Trainer des FC Koblenz, hob seinen Bierkrug und nahm einen tiefen Schluck. "Und du, Oliver, bleibst in der Mitte. Wir werden sie knacken!" Gareis zündete sich eine Gaulloise an. Der Aschenbecher vor ihm quoll schon fast über. "Wir werden sie knacken, verflucht!"

Oliver Seidel schlug in die ausgestreckten Hände seiner Mitspieler ein. Fast die halbe Mannschaft saß noch um den runden Tisch im Hinterzimmer ihres Stammlokals. Sie hatten sich zur offiziellen Konferenz wegen des gestrigen Spiels hier getroffen.

Der Trainer sah den jungen Mann wohlwollend an. Und Oliver Seidel wusste, was er dachte. Ohne ihn, den Starspieler, ohne seine Torjägerqualitäten, hätten sie das Spiel gestern nicht gewonnen. Ohne ihn wäre der FC Koblenz nicht in dieser Saison von Platz zwölf auf Platz drei der Tabelle gerutscht.

Seidel legte den Arm um die Frau neben ihm. Der Stolz sprengte ihm fast die Brust. Während seine Kameraden lautstark mit Garreis um die weitere Aufstellung feilschten, sah er durch die offene Schiebetür in das gut gefüllte Lokal. Als suchte er nach weiteren Zeugen seines Ruhmes. Am Tisch neben der Tür saß ein mit sportlicher Eleganz gekleideter Mann mit silbergrauem Haar. Oliver Seidel war sich plötzlich sicher, dass der ihn schon geraume Zeit beobachtet hatte. Er grüßte den Fremden mit einem kurzen Kopfnicken und beschäftigte sich wieder mit der Frau neben ihm. Ihr Haar war tiefschwarz gefärbt. Sie trug ein tief ausgeschnittenes, kurzes Kleid und glitzerte vor lauter Schmuck. Sie beteiligte sich nicht an den Gesprächen der Männer, sondern hielt sich an ihren Filterzigaretten fest. Ihr angeklebten Fingernägel leuchteten rot.

Oliver gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

"Entschuldige mich einen Augenblick, Viki." Er stand auf und steuerte die Toilette an. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass der Grauhaarige sich ebenfalls erhob und ihm folgte. Obwohl sie die einzigen Männer in der Toilette waren, benutzte der Fremde das Pissoir direkt neben Oliver.

"Glückwunsch zum Sieg gestern!"

"Danke", Oliver strahlte. Er kam überhaupt nicht auf den Gedanken, sich über das Fußballinteresse des Fremden zu wundern. Für ihn waren alle Menschen Fußballfans, und zumindest in diesem Teil des Landes kannten sie Oliver Seidel, den Mittelstürmer des FC Koblenz, davon ging er jedenfalls aus.

Der Grauhaarige drückte die Spüle.

"Wird wohl nicht lange dauern, bis ein größerer Verein auf Sie aufmerksam wird."

"So, meinen Sie?" Oliver trat hinter den Mann an das Waschbecken. Er strahlte über das ganze Gesicht.

"Kaiserslautern sucht einen Stürmer."

Oliver stutzte.

"Ach ..." Er beugte sich über das Waschbecken und merkte plötzlich, wie der andere ihn im Spiegel beobachtete, während er sich die Hände trocknete.

"Die hatten gestern jemanden zum Spiel geschickt. Nächsten Samstag wird wohl sogar der Co-Trainer Ihre Ballkünste beobachten."

Oliver fuhr blitzartig herum.

"Wer sind Sie?"

Der Mann hatte schon die äußere Türklinke in der Hand.

"Ein Förderer guten Fußballs, auf Wiedersehen." Die Tür fiel ins Schloss.

Als er zurück zu ihrem Tisch ging, konnte er den Fremden nirgends mehr entdecken. Er fühlte sich plötzlich durcheinander.

"Also Jungs, jetzt nehmen wir erst einmal diese Hürde, und dann reden wir über die Zeit nach dem Aufstieg!" Wie durch einen Nebel hörte Oliver die Stimme seines Trainers.

Sein Mannschaftskollege Stiebert beugte sich an sein Ohr.

"Ich hab' gehört, unser Vizepräsident lässt tausend Mark pro Nase springen, wenn wir gewinnen."

"Wenig genug", der Gedanke an Baumann, seinen Chef, verdross Oliver, "verdient sich dumm und dämlich mit seinen Nobelschlitten. Der Alte würde sicher eine höhere Prämie setzen." Er wandte sich an die rauchende Frau. "Ich bring dich jetzt nach Hause."

Sie protestierte, aber er kümmerte sich nicht darum. Zwanzig Minuten später stieg sie aus seinem BMW und verschwand beleidigt in einem Wohnhaus.

"Ich ruf' dich die Woche mal an", rief er ihr nach.

Er konnte sie im Augenblick nicht ertragen. Nicht sie. Er gab Gas und fuhr in die Stadt zurück. >Kaiserslautern sucht einen Stürmer<. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Er musste mit irgendjemandem darüber reden.

Vor einem Appartementhaus am Stadtrand hielt er. Ungeduldig klingelte er. Aus der Sprechanlage drang wie von fern eine weibliche Stimme: "Ja?"

"Ich bin's, Gitti, der Oliver." Als er sich kurz darauf an einen Türrahmen des zweiten Obergeschosses lehnte, trommelte er mit den Fingern an die Tür. Eine Blondine im Morgenmantel öffnete. Er nahm sie grußlos in den Arm und küsste sie auf den Mund.

4

"Ist Werner schon zu Hause?" Alexandra Heinze telefonierte vom Notarztzimmer aus. Hinter ihr am Tisch saßen Jupp Friederichs und Ewald Zühlke. Sie lasen die Samstagszeitung. Gestern waren sie nicht dazu gekommen.

"Nein", Hilde Heinzes Stimme am anderen Ende der Leitung, "und wie geht es bei dir?"

"Danke, gut, ein ruhiger Dienst, kein Vergleich mit gestern." Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. "Aber warum ist Werner noch nicht zu Hause." Sie sah auf die Wanduhr: Halbneun. "Der Kongress war doch nach dem Mittagessen zu Ende."

"Er hat aus dem IC angerufen. Sein Zug hatte schon in Hamburg eine Stunde Verspätung. Jetzt mach' dir mal keine Sorgen, Alexandra. Er schätzte, dass er gegen neun Uhr zu Hause sein würde."

Alexandra Heinze seufzte: "Ist gut, Hilde, grüße ihn von mir und sage ihm, dass ich heute wahrscheinlich pünktlich sein werde."

"Ich werd' ihm einen Zettel schreiben."

Alexandra stutzte. Ihre Schwiegermutter achtete zwar auf einen geregelten Tagesrhythmus, aber dass sie so früh zu Bett gehen wollte, war doch ungewöhnlich.

"Fühlst du dich nicht wohl?"

"Wie kommst du denn darauf?"

"Na, weil du so früh schlafen gehst."

Am anderen Ende der Leitung hörte die Ärztin ihre Schwiegermutter in schallendes Gelächter ausbrechen.

"Wer sagt denn, dass ich schlafen gehe! Ich habe noch etwas vor."

"Oh ..."

"Also, einen angenehmen Dienst noch, Alexandra."

Sie hatte also noch etwas vor. So, so. Kopfschüttelnd legte Alexandra auf. Einen Augenblick blieb sie unschlüssig vor dem Schreibtisch stehen. Sollte sie noch eine Runde durch die Klinik drehen? Hinter ihr raschelten die Zeitungen. Sie sah sich nach ihren lesenden Sanitätern um. Ganz vertieft waren sie. Zühlke kaute ein Butterbrot. Alexandra Heinze zuckte mit den Schultern, griff nach ihrer Tasche und zog ein Buch heraus. Eine Zeitlang lang waren sie alle drei in ihre Lektüre vertieft. Jupp Friederichs brach das konzentrierte Schweigen irgendwann.

"Der Mann ist tot."

"Welcher Mann?", brummte Zühlke mit vollem Mund. Neugierig sah Alexandra Heinze von ihrem Buch auf.

"Na den sie vor zwei Wochen in Köln entführt hatten, den Immobilienmakler."

"Ach so, richtig."

"Haben sie das auch mitgekriegt, Frau Doktor?" Friederichs ließ die Zeitung sinken.

Alexandra nickte.

"Kam ja ständig in den Nachrichten. Trotz Lösegeldzahlung ermordet?"

"Schweine!", mampfte Zühlke.

"Nein, nicht ermordet, gestorben. Diabetisches Koma." Friederichs hob die Zeitung und las vor: "Fünf Tage nach der Übergabe einer Lösegeldsumme von zweimillionen Mark fand die Kölner Polizei den Immobilienmakler tot in einem Schrebergartenhaus. Obwohl den Entführern die schwere Zuckerkrankheit ihres Opfers bekannt war, hatten sie es nicht ausreichend mit dem lebensnotwendigen Insulin versorgt ..."

Die Ärztin klappte ihr Buch zu. "Furchtbar ..."

"Diese Schweine", stieß Zühlke noch einmal aus.

Alexandra ging diese schlimme Nachricht sehr zu Herzen. Natürlich hatten sie zu Hause den Fall in den Nachrichten und der Zeitung verfolgt. Dass Geldnot oder sogar einfach nur Geldgier Menschen zu solch schrecklichen Taten veranlassen konnte! Oder gab es noch ganz andere Motive?

Plötzlich zerriss das Schrillen des Notfallpiepsers die Stille. Jupp Friederichs ging ans Telefon. Die Rettungsleitstelle hatte einen Notfall.

"Mist!", schimpfte Zühlke. "Wir haben doch gestern wirklich genug geschuftet!" Er packte sein angebissenes Brot in eine Plastikbox. "Warum kann der Tag nicht so zu Ende gehen, wie es sich für einen Sonntag gehört?"

Alexandra Heinze stand schon an der Tür. Diedrichs legte auf.

"Wir dürfen", er nannte die Adresse. Ein Vorort, feinere Wohngegend.

"Dann wollen wir mal, meine Herren." Alexandra eilte voraus. "Vielleicht ist es ja nichts Ernstes ..."

5

Erschrocken tastete Gundi Heller ihre Jackentaschen ab. Kein Schlüssel! Sie durchwühlte hektisch ihre Handtasche. Auch dort keine Spur von ihrem Hausschlüssel! Sie zog sich an der Haltestange hoch und balancierte nach vorne zum Busfahrer.

"Du dummes, dummes altes Weib!", schimpfte sie mit sich selbst. "Ausgerechnet heute lässt du den Schlüssel in der Schürze, ausgerechnet heute, wo du mit Lisbeth ins Kino willst!"

Nachdem sie den Fasan in den Herd geschoben hatte, war sie mit dem Müll zum Container gegangen. Ihr Schlüssel zur Baumann-Villa hing an ihrem privaten Schlüsselbund, und da der hauseigene Schlüssel nicht in der Tür gesteckt hatte, hatte sie ihr Schlüsselbund aus dem Mantel geangelt - die Haustür durfte keinen Augenblick offen stehen bleiben, darauf legte ihre Chefin allergrößten Wert - und später dann in der Schürze vergessen.

Gottseidank näherte sich der Bus erst dem Ortsausgang, und Gottseidank hielt der Busfahrer ohne große Diskussionen an und ließ Gundi Heller auf offener Strecke aussteigen.

Es war gegen neun Uhr und die ersten Schleier der Dämmerung lagen dunstig über den Feldern am Ortsrand und über den Wipfeln des nahen Waldes. Trotz des schönen Frühsommertages spürte Gundi fröstelnd die Kühle der nahenden Juninacht. Natürlich - morgen oder übermorgen begannen die Eisheiligen.

Der Bus hatte erst zwei Haltestellen angefahren. In einer Viertelstunde musste sie die Strecke bis zur Baumann-Villa doch auch zu Fuß schaffen! Dann würde sie sogar noch den nächsten Bus erreichen und pünktlich genug in der Stadt ankommen, um vor Beginn der Spätvorstellung im Kino zu sein. Dennoch war sie wütend auf sich selbst. Noch nie war ihr so etwas passiert. Erst viel später, im Rückblick auf diesen ersten Tag der sich anbahnenden Katastrophe, kam sie auf den Gedanken, dass es wohl ein gnädiges Kommando ihres Unterbewusstseins gewesen sein musste, das sie veranlasst hatte, den Schlüssel in ihrer Schürze zu >vergessen<.

Tatsächlich erreichte Gundi nach weniger als einer Viertelstunde die Baumann-Villa. Sie musste dreimal klingeln bevor ihr geöffnet wurde.

"Gundi, Sie!?" Es war mehr ein überraschter Ausruf, als eine Frage Jochen Baumanns, und der Schreck in seinen blassen Gesichtszügen alarmierte sie augenblicklich.

"Ist etwas passiert, Herr Baumann?"

"Meine Frau, es geht ihr nicht gut", er zögerte, "warum kommen sie zurück?"

"Ich habe den Schlüssel in der Schürze vergessen." Durch die offene Tür des Speisezimmers hörte sie ein Stöhnen und Wimmern. Ohne zu fragen, trat sie ein. "Was ist mit Ihrer Frau?" Zielstrebig steuerte sie die Tür des Speisezimmers an.

"Ich weiß nicht", hinter ihr die merkwürdig unsicher klingende Stimme des Hausherrn, "wahrscheinlich ihr Herz oder wieder die Nerven ..."

Auf dem Esstisch stand ein halbleere Flasche Wein. Auf den Tellern sah Gundi reichlich Essensreste: Fasan, Rotkohl und Salzkartoffeln. Helga Baumann lag im angrenzenden kleinen Salon auf der Couch - zusammengekrümmt, die Hände auf den Bauch gepresst. Sie war schweißnass, zitterte, und in ihren Augen standen Tränen. Aus ihren Mundwinkeln rann Speichel.

"Frau Baumann, um Gottes willen!" Gundi fühlte nach ihrem Puls. "Soll ich ihre Herztabletten holen?" Der Puls raste.

"Es ist nicht das Herz", wimmerte die Kranke, "mein Bauch, o Gott! Mir ist übel!"

"Haben Sie den Arzt verständigt?", sie fuhr herum. Baumann stand wie hilflos und mit einem gehetzten Ausdruck im Blick an der Tür. "Sie braucht einen Arzt, so schnell wie möglich!"

Der große, attraktive Mann starrte sie unsicher an. Er fuhr sich nervös durch sein dichtes, grau melliertes Haar.

"Meinen Sie wirklich? Ich dachte, es werden die Nerven sein. Ich wollte ihr gerade ihre Tabletten holen." Mit den braungebrannten Händen rieb er sich den flachen Bauch. "Mir ist auch so merkwürdig."

"Das Essen", wimmerte Helga Baumann, "ich glaub', es liegt am Essen ..."

"Wir brauchen einen Notarzt!", schrie Gundi. Sie hatte plötzlich das bestimmte Gefühl, sich in der unmittelbaren Nähe großer Gefahr zu befinden. Sie sprang auf. Mit zwei Schritten war sie bei Baumann. Auch auf seiner Stirn stand Schweiß. "Setzen Sie ich hin, Herr Baumann!" So entschlusslos wie jetzt, hatte sie ihn noch nie erlebt. All die Jahre nicht. Sie stürmte in die Diele, griff zum Telefon und wählte die Notrufnummer des Roten Kreuzes.

6

"Abgelegene Gegend." Ewald Zühlke spähte durch die einsetzende Dämmerung. Die Namen auf den Straßenschildern waren noch gut zu erkennen. "Das ist die Straße."

Es war die letzte Straße des Villenviertels vor dem Waldrand. Die prunkvollen Häuser und die schweren Wagen, die vor manchen von ihnen standen, verrieten, dass die Bewohner dieser Gegend gut betucht waren.

"Hier waren wir noch nie, oder?" Friederichs hatte das Martinshorn abgestellt. Mit blinkenden Blaulichtern fuhr er langsam die Straße herunter, langsam genug, damit sein Kollege Zühlke die Hausnummern entziffern konnte.

"Ich meine, wir hatten hier mal ein Kind geholt, das eine Murmel verschluckt hatte", erinnerte sich Alexandra Heinze. "Vor zwei oder drei Jahren muss das gewesen sein."

"Stimmt." Friederichs nickte bekräftigend. "Aber es war keine Murmel, sondern der Tagebuchschlüssel der großen Schwester ..."

"Da vorne steht jemand auf der Straße und winkt." Zühlke deutete nach vorn. Fünf Häuser weiter, vor einem großen Grundstück, auf dem einige hohe Tannen wuchsen, stand eine schon ältere Frau und gestikulierte wild.

"Die macht ja einen aufgeregten Eindruck", Friederichs fuhr, von der winkenden Frau gelotst, in eine breite Einfahrt.

"Das sieht ernst aus, meine Herren, bereiten Sie sich auf eine Beatmung vor."

Alexandra Heinze sprang hinter Zühlke her aus dem Rettungswagen. Die Frau war schon an der Eingangstür.

"Schnell, kommen Sie!" Sie lief voraus durch ein Zimmer, in dem ein schwerer Eichentisch gedeckt war. Auf den Tellern nahm Alexandra Heinze noch Speisen wahr, eine Kerze brannte, und zumindest eines der beiden Gläser war noch halb mit Wein gefüllt. In einer Ecke ihres Gehirns speicherte sie die Interpretation dieser Beobachtung: Hier sind Menschen während des Essens von einem Zwischenfall überrascht worden, der gravierend genug war, um eine festliche Mahlzeit zu unterbrechen.

Aus der Art des Mobiliars, aus den Gemälden an der Wand und verschiedenen Geweihen und ausgestopften Tieren, schloss ihr Hirn - ohne dass sie sich dessen sofort bewusst war - dass hier sehr wohlhabende Leute lebten, die eine Beziehung zur Jagd hatten.

Auf der Couch einer schweren Polstergruppe lag eine Frau, zusammengekrümmt, mit dem Kopf über einem Eimer, der vor der Couch auf dem Teppich stand. Sie erbrach sich würgend, und die Notärztin sah sofort, dass ihr schwarzes Kleid schweißnass an ihrem mageren Körper klebte.

In einem der Sessel saß ein großer, breitschultriger Mann Ende vierzig. Merkwürdig abwesend wirkte er. Auch von seinem Gesicht floß der Schweiß herab. Trotz seiner Blässe und trotz der Hektik dieser Augenblicke registrierte Alexandra, dass er kräftig und gut aussah.

"Meine Frau ist herzkrank und hat schwache Nerven", sagte er leise.

Schon kniete die Notärztin mit Ewald Zühlke neben der Couch mit der Frau.

"Kümmern Sie sich um den Mann!", rief sie Jupp Friederichs zu. "Was ist passiert?"

Die ältere Frau, die sie hereingeführt hatte, erzählte kurz, wie sie die beiden angetroffen hatte. "Es muss etwas mit dem Essen zu tun haben."

"Blutdruck im Keller, 60 zu 40", schnarrte Zühlke, "Puls 52."

"Bevor ich sie rief, war er aber noch sehr schnell", rief die Frau. Sie hatte sich als Haushälterin des Ehepaars vorgestellt.

Alexandra stutzte. Die Augen der wimmernden Frau auf der Couch tränten unablässig, der Speichel floss ihr aus dem Mund und sie war nass, klatschnass. Irgendwie kam ihr das bekannt vor.

"Ich hab' sie zum Erbrechen gebracht." Wieder die Haushälterin.

"Sehr gut!" Alexandra wandte sich an den Mann. Regungslos saß er da und ließ sich von Friederichs den Blutdruck messen.

"Puls 66, Blutdruck 90 zu 60."

Wenn sie den Mann nicht Ende vierzig geschätzt hätte, wären der Ärztin die Werte noch akzeptabel erschienen.

"Was haben Sie gegessen?"

Er antwortete nicht.

"Ein Cremesuppe aus Nelkenschwindlingen." Die Haushälterin sagte das nicht, sie schrie es entsetzt heraus. Plötzlich wusste Alexandra aus welchem Seminar ihres Medizinstudiums sie die Symptome kannte. Sie stürzte zum Telefon. Es war kurz nach neun. Sie hoffte inbrünstig, dass Werner jetzt zu Hause war. Das Freizeichen, zweimal, dreimal, viermal ...

"Heinze?"

Welch ein Glück, er war da!

"Werner frag' mich nichts, renn' schnell in deine Praxis, nimm dein Pilzbuch und schlag nach, mit welchen Giftpilzen Nelkenschwindlinge verwechselt werden können."

"Was für'n Schwindel?"

"Pilze!" Alexandra musste sich beherrschen, um nicht zu schreien. "N-e-l-k-e-n-sch-w-i-n-d-l-i-n-g-e! Beeil dich, es geht ...", ein vorsichtiger Blick zu dem Ehepaar, und dann leise: "...es geht um Leben und Tod." Sie las ihm die Nummer auf dem Apparat vor und legte auf.

"Schnell, Infusionen vorbereiten!" Sie legte beiden einen Butterfly, eine Nadel, durch die die Infusionen in die Venen verabreicht werden konnten. Und Medikamente, eventuell.

"Friederichs, füllen Sie etwas von der Suppe ab. Und von den Pilzabfällen." Sie warf der Haushälterin einen raschen Blick zu. "Falls die noch erreichbar sind."

"Im Müllcontainer!" Die Frau eilte Friederichs voran nach draußen. Die Infusionen liefen. Alexandra überwachte den Blutdruck der Frau, Zühlke kümmerte sich um den Mann. Endlich das Telefon!

Mit beiden Infusionen in den nach oben gestreckten Armen ließ sie Zühlke stehen und hastete zum Apparat. Eine Frauenstimme.

"Jochen? Alles o.k.?" Die Stimme flüsterte.

"Legen Sie auf!" Jetzt schrie Alexandra wirklich. "Wir haben einen Notfall, und ich erwarte einen dringenden Anruf!" Die Verbindung wurde unterbrochen. Kaum war die Ärztin bei ihren Patienten, klingelte das Telefon erneut. Zurück.

"Werner?" Sie versuchte ihren schnellen Atem unter Kontrolle zu bringen.

"Ja, also hör' zu: Es sind Verwechslungen mit dem … - Moment ..." Alexandra hörte das Rascheln von Papier, "... mit dem Ziegelroten Risspilz beschrieben, ein stark giftiger Kerl ..."

"Welches Gift?"

"Muskarin, wie beim Fliegenpilz - nur viel stärker konzentriert."

"Ach du Schande!"

"Speichel-, Schweiß- und Tränenfluss, Blutdruck ..."

"...-abfall, Puls zunächst beschleunigt, dann verlangsamt, Kältegefühl, Erbrechen."

"Korrekt, Frau Doktor, Sehstörungen, Krämpfe in den Gliedmaßen, drohender Atemstillstand wegen ..."

"Atropin?", unterbrach sie wieder.

"Wird hier als schnell wirksam und lebensrettend beschrieben ..."

"Danke!" Alexandra legte auf, stürzte zum Medikoffer und suchte einige Ampullen Atropin heraus. "Schnell, holen sie die Trage!", rief sie Zühlke zu. "Und bestellen sie noch einen Krankenwagen, für ihn."

Immer noch saß der Mann wie unbeteiligt. Alexandra spritzte zuerst der Frau das Medikament. Sie zitterte am ganzen Körper.

7

"Sicher können wir über einen Rabatt sprechen, wenn Sie bar bezahlen." Oliver gab sich Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Barzahler in dieser Preiskategorie waren selten. "Ich kann Ihnen aber auch eine günstige Finanzierung anbieten." Der Kunde - ein Mann Anfang sechzig, dunkelblauem Anzug mit roter Fliege - bestand auf Barzahlung. Er füllte einen Scheck für die Anzahlung aus, nachdem sie sich über die Konditionen geeinigt hatten.

Oliver öffnete eine Flasche Sekt und stieß mit dem Kunden an. Diese Art der Kundenbetreuung hatte er bei seinem Chef gelernt. Und normalerweise ließ der sich diesen letzten Akt eines Geschäftes auch nicht nehmen. Doch bis jetzt - es war Montagmorgen, halbzehn - saß er noch nicht in seinem Büro.

‘Hoffentlich hat er einen Jagdunfall gehabt‘, dachte Oliver, während er nachfüllte. Doch er fühlte sich viel zu glücklich, um noch weitere gehässige Gedanken an den Geschäftsführer zu verschwenden. Soeben hatte er einen Roadster verkauft, und zwar die teuerste Ausführung, die BMW überhaupt zu bieten hatte. Er dachte an die Provision, er dachte an den Neid in den Augen des Geschäftsführers und an die anerkennenden Worte, die ihm der Seniorchef vor zwei Wochen gesagt hatte: "Herr Seidel, ich hoffe, Sie sind sich der Verantwortung bewusst, die es mit sich bringt, wenn man ein Topverkäufer ist."

Die Woche hatte gut angefangen, verdammt gut. Wenn das kein gutes Omen war! Zunächst sollte er recht behalten.

Gegen zehn rief Gustav Höfer, der Seniorchef, an. Die Sekretärin ließ Oliver ausrufen.

"Herr Seidel, dringendes Gespräch für Sie auf Apparat 12 ...!"

"Hören Sie zu, Herr Seidel, Sie müssen die Geschäftsführung vertreten." Es war die Art des Alten, immer gleich zur Sache zu kommen. "Vielleicht nur für ein paar Tage. Meine Tochter und mein Schwiegersohn liegen im Krankenhaus, Pilzvergiftung."

Oliver, völlig überrascht, dass er die Vertretung übernehmen sollte, war geistesgegenwärtig genug, noch ein paar persönliche Worte mit dem Alten zu wechseln. Er erkundigte sich nach dem Gesundheitszustand des Ehepaars Baumann und erfuhr, dass Helga Baumann wesentlich ernster erkrankt war als ihr Mann. Höfer schilderte das mit belegter Stimme.

Oliver legte auf.

"Es gibt keine Gerechtigkeit auf der Welt!", zischte er leise. Dann sah er sich um, und eine Welle von Stolz überflutete ihn. Durch die Glasverkleidungen zählte er drei oder vier Mitarbeiter, die länger bei Höfer und Co. arbeiteten als er. Und die vor allem älter und erfahrener waren. Aber ihm, Oliver Seidel, ihm wurde die Vertretung der Geschäftsführung übertragen. "Du scheinst gar nicht so verkehrt zu sein, Junge", sagte er zu sich selbst und machte sich an die Arbeit.

Er blies das Essen mit Jasmin, einer rothaarigen Schönheit, die er erst letzte Woche kennengelernt hatte, ab und arbeitete durch. In seinem beruflichen Alltag bewies Oliver Seidel dieselbe Ausdauer und Konzentration, wie beim wöchentlichen Sturm auf das gegnerische Tor. Und dieselbe Instinktsicherheit.

Gustav Höfer hatte die Talente des jungen Mannes schnell erkannt, als der vor sechs Jahren in das Autohaus Höfer und Co. einstieg. Damals führte der Senior die Geschäfte noch selbst. Und er hatte Seidel nach Kräften gefördert.

Am frühen Nachmittag, Oliver saß am Schreibtisch und diktierte Baumanns Sekretärin einen Brief, klingelte das Telefon. Gedankenlos nahm Oliver selbst ab.

"Autohaus Höfer?"

"Können Sie sprechen?"

Oliver stand langsam auf. Der Grauhaarige von gestern Abend fiel ihm plötzlich ein.

"Wer ist am Apparat bitte?"

"Merfeld, Präsidiumsmitglied des 1.FC Kaiserslautern."

Oliver sank in seinen Sessel zurück. Schnell hatte er seine Fassung wieder gefunden.

"Geben Sie mir bitte Ihre Nummer, ich rufe Sie in fünf Minuten zurück."

Als wäre nichts geschehen, diktierte er den Brief zu Ende. Einige Minuten später sah ihn Baumanns Sekräterin zu seinem bordeauxroten Fünfer eilen. Sie beobachtete, wie er das Autotelefon nahm und ein Gespräch führte, kein kurzes Gespräch. Nach zehn Minuten schaute sie wieder hin: Oliver Seidel saß noch immer in seinem BMW, aber er telefonierte nicht mehr. Er hielt die Fingerspitzen seiner flach zusammengelegten Hände an die Lippen und schien konzentriert durch die Windschutzscheibe auf die Schnellstraße zu schauen, die am Autohaus Höfer vorbeiführte. Sie guckte noch genauer hin. Oder hatte er die Augen geschlossen?

Irgendwann öffnete sich langsam die Autotür, und Seidel stieg aus. Er steckte beide Hände in die Hosentaschen und musterte bewegungslos die eine Treppenstufe, die in die Ausstellungshalle führte. Plötzlich hob er den Kopf und lachte. Er lachte, zog seine schwarze Weste aus und warf sie laut lachend in die Luft. Kurz darauf kam er durch die Ausstellungshalle auf das Büro zu. Er strahlte über das ganze Gesicht, schwenkte seine Weste wie eine Fahne über sich und tanzte mehr als er lief. "Wird ihm wieder eine auf den Leim gegangen sein", dachte Baumanns Sekretärin. Sie ahnte nicht, dass sie Zeugin des seltenen und schönen Augenblicks geworden war, in dem ein Mann seinen Kindheitstraum greifbar nah vor Augen sieht ...

8

"Sie haben hier wieder einen augenfälligen Beweis dafür, dass selbst Pilzkenner dazu neigen, ihr Wissen zu überschätzen." Dr. Albert Kranz, der Chefarzt der Inneren, wandte sich der Glasfront zu, die das Dienstzimmer der internistischen Einheit der Intensivstation vom mittleren der drei Patientenzimmer trennte. "Der Patient dort links ist Jäger, hobbyhalber zwar, aber leidenschaftlich. Von Kindesbeinen an, und durch die Tradition seiner Familie ist er mit Fauna und Flora der mitteleuropäischen Wälder vertraut. Unzählige Male hat er den Nelkenschwindling gesammelt und zu einer schmackhaften Suppe verarbeitet." Er machte eine Pause und sah seine zahlreichen Zuhörer bedeutungsvoll an. " Und trotz seiner langjährigen Erfahrung mit diesem - übrigens sehr schmackhaften - Speisepilz, greift er in diesem Frühsommer daneben und erwischt einen hochgiftigen Pilz aus der Familie der Haarschleierpilze, den Ziegelroten Risspilz, einen Giftpilz, der auch mit anderen hochwertigen Speisepilzen verwechselt werden kann, zum Beispiel mit dem köstlichen Mai-Ritterling." Wieder machte der internistische Chefarzt eine Kunstpause. Mit hochgezogenen Brauen ließ er seinen Blick über sein Publikum wandern. Es war beeindruckt. Jedenfalls die jungen Assistenzärzte, die Schwestern und Pfleger, und auch der Großteil des Laborpersonals, das Dr. Kranz zu dieser Visite hatte zusammentrommeln lassen. Manche allerdings, die älteren Hasen des Marien-Krankenhauses, zeigten sich schon relativ abgebrüht diesen Veranstaltungen gegenüber. >Fortbildungs-Visiten< nannte Albert Kranz das. Alexandra Heinze und Lore Keller, die Oberärztin der Intensiven, warfen sich vielsagende Blicke zu.

"So sind tatsächlich die meisten Menschen, die sich mit dem gefährlichsten aller Giftpilze, dem grünen Knollenblätterpilz, vergiftet haben, überzeugt davon, einen guten Speisepilz gesammelt zu haben. Eine tödliche Überzeugung, meine Damen und Herren. 99 % aller tödlichen Pilzvergiftungen gehen übrigens auf Pilze aus dem Kreis der Knollenblätterpilze zurück. Das liegt nicht nur daran, dass wir", dass der Chefarzt sich ausgerechnet an der Stelle räusperte, fand Alexandra bezeichnend, "noch über kein geeignetes Gegenmittel verfügen, sondern vor allem an der Tatsache, dass die Vergiftungssymptome erst acht bis zwölf Stunden nach dem Verzehr der Pilze auftreten. Deswegen gelang es der Gattin des römischen Kaisers Claudius auch, ihren Gemahl trotz eines zuverlässigen Vorkosters mittels des grünen Knollenblätterpilzes, äh, aus der Welt zu schaffen."

Alexandra zog ein Taschentuch heraus und tat, als würde sie sich schnäuzen. Die Beobachtung, dass Lore Keller genau dasselbe tat, machte es ihr noch schwerer, ihr Lachen zu unterdrücken.

Albert Kranz hatte sich gleich heute Morgen auf den Fall gestürzt. Seltene Vergiftungen waren für ihn ein wissenschaftlicher Genuss. Und - so mutmaßte Alexandra - eine Gelegenheit sich selbst als etwas darzustellen, das er bisher noch nicht war - als lehrenden Professor.

"Zurück zum Ziegelroten Risspilz. Er enthält das Gift Muskarin, und zwar in weit höherer Dosis als der viel bekanntere Fliegenpilz. Die Wirkung dieses Giftes macht sich häufig schon während der Mahlzeit, spätestens aber ein bis zwei Stunden danach bemerkbar. An unserer Patientin hier konnten wir alle Symptome in geradezu klassischer Weise studieren."

Von den heftigen Schweißausbrüchen bis hin zu den Sehstörungen zählte er nun alle körperlichen Erscheinungen auf, unter denen Helga Baumann gelitten hatte, und die Alexandra Heinze dem Chefarzt heute Morgen berichtet hatte. Persönlich hatte er nichts davon zu Gesicht bekommen - zu seinem Bedauern, wie Alexandra vermutete - nach der Atropingabe waren die quälenden Symptome relativ schnell wieder abgeklungen.

"Verstärkt wurde die rasche und heftige Wirkung des Giftes durch den gleichzeitigen Genuss von Alkohol, der die Gifte schneller löst und in den Kreislauf bringt. Der Ehemann der Patientin wies längst nicht solche dramatischen Vergiftungssymptome auf. Vermutlich, weil er über eine stabilere Konstitution verfügt - seine Gattin ist herzkrank und hat ein sehr schwaches Nervensystem - und vor allem, weil er so gut wie keinen Wein zu der verhängnisvollen Mahlzeit genossen hatte. Wir werden ihn vermutlich morgen früh entlassen können." Dr. Albert Kranz wandte sich nun an Alexandra Heinze. "Zur Behandlung einer solch ernsten Vergiftung, die über einen Atemstillstand sogar zum Tode führen kann, und das im Falle unserer Patientin sicher auch getan hätte, bitte ich unsere Kollegin aus der Notfallmedizin um einen kurzen Bericht."

Alexandra Heinze erzählte von der geistesgegenwärtigen Haushälterin, die Helga Baumann durch mehrfache Salzwassergaben zum Erbrechen gebracht hatte, von ihren Atropininjektionen, von den Magenspülungen, die von den Intensivärzten und -schwestern durchgeführt worden waren und von verschiedenen anderen Maßnahmen. Albert Kranz kommentierte ihren Bericht ausführlich. Endlich betraten er, gefolgt von Lore Keller, Alexandra Heinze und einer Schwester das Zimmer der beiden Vergiftungspatienten. Die anderen Ärzte und Schwestern warteten an der offenen Tür. Während der Chefarzt mit Dr. Lore Keller die Kurven studierte und die Medikamentenverordnungen überprüfte und änderte, fasste Alexandra Heinze nach Helga Baumanns Hand. Die Augen der Frau flackerten unruhig. Sie klammerte sich regelrecht an die Hand der Notärztin.

"Wie geht es Ihnen, Frau Baumann?" Sie hatte sich wegen der vielen Zuhörer tief herabgebeugt und sprach sehr leise.

"Ich habe solche Angst", flüsterte Helga Baumann der Ärztin ins Ohr.

"Aber sie brauchen doch keine Angst mehr zu haben. Das Schlimmste ist überstanden. Es ist alles gut." Aus den Augenwinkeln sah Alexandra, wie Jochen Baumann sie mit unbewegtem Gesicht beobachtete. Ganz tief in ihr und kaum hörbar meldete sich eine Stimme zu Wort, die sie erst Wochen später verstand. ,Es ist überhaupt nichts gut‘, sagte die Stimme.

9

"Wie geht es den Leuten mit der Pilzvergiftung?" Werner setzte sich neben seine Frau auf die Couch und reichte ihr ein Glas Wein.

"Die Frau hat zwar eine hohe Dosis Gift abbekommen, aber durch das frühe Erbrechen und vor allem durch das Atropin geht es ihr wieder relativ gut." Sie trank einen Schluck. "Ein Glück, dass du zu Hause warst." Nachdenklich sah sie auf Anuschka herab. Die schwarze Dogge döste an ihrem Stammplatz neben dem Kamin. "Aber sie scheint nervlich sehr angegriffen zu sein."

"Durch die Vergiftung?"

Alexandra zuckte mit den Schultern.

"Sie ist wohl schon jahrelang in nervenärztlicher Behandlung und leidet auch unter Angina pectoris. Ohne Medikamente kommt sie gar nicht aus. Und vermutlich trinkt sie auch mehr, als ihr guttut."

Eine Zeitlang schwiegen sie. Alexandra sah Werner zärtlich an und strich ihm über das Haar. "Hast du übrigens gewusst, dass Kaiser Claudius von seiner Frau mit einem grünen Knollenblätterpilz ermordet wurde?"

"Ich entsinne mich dunkel, davon gehört zu haben." Werner grinste. "Was ich aber nicht wusste und nun endlich weiß, ist, was du denkst, wenn du mich so nett anschaust." Sie lachten.

"Da fällt mir ein: was sagt eigentlich der Staatsanwalt zu der Geschichte?"

Alexandra winkte ab.

"Die haben das zu Protokoll genommen, doch das wird kein Nachspiel haben. Erstens sind ja beide betroffen, und zweitens wird die Frau kaum ihre Haushälterin oder ihren Mann wegen Körperverletzung anzeigen." Wieder sah Alexandra nachdenklich vor sich hin.

"Woran denkst du, Alexandra?"

"An diese Frau", Alexandra schüttelte den Kopf, "sie hatte richtige Angstzustände bei der Visite heute Nachmittag."

"Nun, das wäre nicht das erste Mal, dass ein schwerwiegendes Ereignis bei einem nervenkranken Patienten einen Krankheitsschub auslöst."

"Ich weiß nicht." Obwohl Werners Erklärung einleuchtete, befriedigte sie Alexandra nicht. "Irgendetwas ist eigenartig. Wenn ich Zeit habe, werde ich morgen noch einmal mit der Frau sprechen." Dann erzählte sie von Albert Kranz' ,Fortbildungs-Visite‘, von ihren heutigen Einsatzfahrten, und schließlich sprachen sie über den Kölner Entführungsfall.

Auch Werner ließ sich bewegen, ein wenig aus seiner Praxis zu erzählen, auch wenn er das, wie so oft, ziemlich knapp und sachlich tat. Er zog es vor, die Praxis nach Feierabend möglichst zu vergessen.

Irgendwann, die Sonne stand schon rot über dem westlichen Horizont, schlug Alexandra vor, einen Abendspaziergang zu machen. Das Stichwort reichte, um Anuschka aus ihrem Schlummer zu reißen. Erwartungsvoll tänzelte sie zur Tür. Werner schaute einen Augenblick sehnsüchtig auf das Fernsehgerät, erhob sich dann aber auch.

"Sag' mal, Werner, deine Mutter ist heute wieder relativ lange unterwegs, oder?" Alexandra ließ sich von ihrem Mann in die Jacke helfen.

"Ja, ist ungewöhnlich", bestätigte Werner, "wenn ich sie richtig verstanden habe, besucht sie seit neustem den Kirchenchor."

"War sie dort nicht gestern erst?"

"Doch, aber", Werner machte eine hilflose Geste, "das wird eben ein halbprofessioneller Chor sein, der öfter als nur einmal in der Woche probt."

10

Die Stationsuhr kroch so unendlich langsam auf ein Uhr zu. Nach jedem Zimmer zog sie Julias Blick erneut an. Das war immer so, wenn sie müde war. Und sie war müde. Seit fünf auf den Beinen und kaum geschlafen vergangene Nacht, sehnte sie das Dienstende herbei. Noch über eine halbe Stunde.

Dr. Roloff ging ihr nicht aus dem Kopf. Wenn sie sich bloß über ihre Gefühle im Klaren wäre. Jetzt ging er neben dem Oberarzt auf das nächste Zimmer zu. Seine Blicke sprachen Bände. Er wartete darauf, dass sie ihm ihre Antwort auf seine Einladung gab.

Die Visite heute Morgen hatte sich solange hingezogen, dass Dr. Höper nur die Hälfte aller Patienten gesehen hatte. Und überall hatte er etwas auszusetzen gehabt. Gleich nach Ende des OP-Programms war er wieder auf die Chirurgie gestürmt, um die Visite fortzusetzen. Noch griesgrämiger als heute Morgen.

Dr. Höper riss die nächste Zimmertür auf. Wie vom Donner gerührt blieb er stehen.

"Das darf nicht wahr sein!", rief er. "Das darf nicht wahr sein!" Neben einem der beiden Betten stand ein Zivi und hielt einen dickleibigen Patienten bei der Schulter, der seinen Fuß in einem Kamillebad badete. Der Zivi und der Dicke starrten den Oberarzt verständnislos an.

Höper schlug die Hände über dem Kopf zusammen und stürzte an Roloff und Julia vorbei aus dem Zimmer. "Ich werde wahnsinnig!"

Nur ganz allmählich drang Julia das Ausmaß der Bescherung ins Bewusstsein. Der Patient hatte seit Jahren Zucker, und Dr. Höper hatte ihm heute Morgen im septischen OP einen abgestorbenen Zeh amputiert. Und jetzt hing der Fuß mit der aufgebundenen, sterilen Wunde im Badewasser ...

"Bin ich denn von lauter Idioten umgeben?!" Höper tobte. Schreiend raste er ins Zimmer zurück und riss das Bein des Patienten so heftig aus der Waschschüssel, dass der Mann, noch leicht benommen von der Narkose, fast nach hinten wegkippte. "Spinnen Sie denn, diesen Fuß zu baden?!", fuhr er den Zivi an.

"Das habe ich doch jeden Tag gemacht ", versuchte der sich kleinlaut zu verteidigen.

"Ja, solange der Zeh noch eiterte und vor sich hin faulte, aber wenn Sie Augen im Kopf hätten und ein bisschen Verstand, dann würden Sie sehen, dass der eiternde Zeh heute Morgen amputiert worden ist!" Jetzt schoss Höper auf Julia zu. "Und in die gleiche Dreckschüssel, in der er den Eiterfuß gebadet hat, steckt er nun meine schöne, saubere OP-Wunde. Was glauben Sie, was das für eine Entzündung gibt?" Er stemmte die Fäuste in die Hüften und bedachte Julia mit giftigen Blicken. "Dafür werden Sie mir geradestehen, Schwester Julia. Sie haben heute Morgen die Schicht geleitet."

"Ich lehne es ab, in diesem Ton mit mir reden zu lassen, Herr Dr. Höper." Aus schmalen Augen funkelte sie ihn an. "Wir mussten zu dritt die ganze Station schmeißen. Da kann ich nicht jede ungelernte Kraft im Auge behalten. Wenden Sie sich an die Verwaltung! Die ist für Einsparungen im Personalbereich zuständig!" Einmal in Fahrt hielt sie ihm noch den schlechten Stil vor, so eine Auseinandersetzung vor Patienten auszutragen.

Das war zu viel.

"Was fällt Ihnen eigentlich ein, so mit mir zu reden?!" Er ging noch einen Schritt auf Julia zu. "Ich werde Ihnen ..."

Roloff ging dazwischen.

"Jetzt ist gut, Herr Kollege!" Er stellte sich vor Julia. "Ich kann ihre Wut verstehen. Sie haben sie herausgebrüllt, und wir alle hier wissen jetzt, dass Sie uns für Idioten halten. Und jetzt reicht's! Über Verantwortlichkeiten diskutieren wir nachher im Dienstzimmer."

Höper presste die Lippen zusammen und sog scharf die Luft durch die Nase ein. Dann wandte er sich ruckartig ab und verband den frischoperierten Fuß. Während der restlichen Visite sprach er nur das Allernötigste. Und als sie das letzte Zimmer verlassen hatten, verließ er fluchtartig die Station.

"Das hat sicher noch ein Nachspiel", seufzte Julia später im Dienstzimmer.

"Kriegen wir schon hin." Dr. Thorsten Roloff desinfizierte seine Hände. "Fand ich übrigens gut, dass Sie ihm die Meinung gesagt haben." In Wirklichkeit fand er es nicht nur gut. Das plötzliche Aufblitzen von Julias starker Persönlichkeit hatte ihn vollkommen überrascht.

"Und ich fand gut, dass Sie mir geholfen haben, danke."

Die Türklinke schon in der Hand, drehte er sich noch einmal zu ihr um.

"Ach ja, da fällt mir eben ein, ich hatte Sie ja für den Donnerstagabend zum Essen eingeladen." Das war gelogen, in Wirklichkeit hatte er schon den ganzen Vormittag daran gedacht. "Haben Sie sich entschieden?" Er versuchte gelassen zu wirken.

"Habe ich", lächelte Julia, und das war auch gelogen, denn sie entschied sich eben jetzt, in diesem Augenblick. "Ich nehme ihre Einladung an."

11

Etwa zur gleichen Zeit klopfte Alexandra Heinze auf der Inneren an die Tür des Zimmers, in das die Baumanns heute Morgen verlegt worden waren. Jochen Baumanns tiefe, sonore Stimme rief "Herein". Er trug einen hellen Sommeranzug und eine Fliege. Sein schwarzer Lederkoffer stand gepackt an der Wand.

"Ach, Sie sind es Frau Doktor." Er kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. "Das trifft sich gut, da kann ich mich noch einmal bedanken, bevor ich gehe. Für die schnelle Hilfe vorgestern Abend."

"Keine Ursache", Alexandra schüttelte seine Hand. Er sah sie kaum an dabei. Rasch wandte er sich wieder seiner Frau zu. Sie saß am Bettrand und blickte mit verweinten Augen trübsinnig auf ihre Knie.

"Also Liebling", Baumann drückte seiner Frau einen Kuss auf die Stirn, "erhole dich weiter so schnell. Du wirst sehen, es wird alles wieder gut."

Der Satz kam Alexandra bekannt vor. Es entging ihr nicht, dass Helga Baumann ein wenig zurückwich, als er sie küsste. Der verhärmte Zug um den Mund fiel ihr wieder auf. Gestern noch hatte sie gedacht, dass er mit ihren Beschwerden zusammenhing. Doch die mussten längst abgeklungen sein. Auf dem Nachttisch entdeckte Alexandra eine Breischüssel. Helga Baumann hatte heute also wieder gegessen.

Sie hat Beschwerden, die so tief liegen und schon so lange andauern, dass sie sich tief in ihre Gesichtszüge gegraben haben, schoss es der Ärztin durch den Kopf.

Jochen Baumann stützte sich mit beiden Armen neben seiner Frau auf das Bett.

"Und noch einmal: Es tut mir so leid, dass du die größere Portion Gift abgekriegt hast. Ich würde gerne mit dir tauschen, glaube mir."

"Schon gut", flüsterte Helga Baumann kaum hörbar.

Der Mann tat Alexandra leid. Fast wäre durch seinen Fehler seine eigene Frau um's Leben gekommen. Sie konnte sich seine Schuldgefühle lebhaft vorstellen.

"Ich werde es wieder gutmachen, ich verspreche es dir!"

"Ist doch gut", sie strich ihm fahrig über das Haar.

Er fasste ihre Hand und küsste sie.

"Ich rufe heute Abend an, ja?"

Er griff seinen Koffer und ging zur Tür. Dort winkte er noch einmal. Alexandra fand, dass er sehr gut erholt aussah. Fast jugendlich wirkte er, wie ein sportlicher Mittvierziger. Sie hatte es kaum glauben können, als sie in seiner Kurve sein Geburtsdatum gelesen hatte. Niemand wollte glauben, dass der Mann schon 52 war.

Die Tür schloss sich hinter Jochen Baumann, und Helga Baumann starrte wieder ihre Knie an. "Kopf hoch, Frau Baumann, Sie kommen auch bald nach Hause." Alexandra ging an ihr Bett. "Spätestens am Wochenende."

Die Frau ließ sich nur seufzend auf ihr Kissen sinken und nahm die Beine ins Bett. Alexandra zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett.

"Sie haben einen tollen Mann, Frau Baumann. Der wird schon dafür sorgen, dass sie bald wieder etwas zu lachen haben."

"Alle sagen, dass ich einen tollen Mann habe", wieder seufzte Helga Baumann. "Das stimmt auch. Und einen erfolgreichen Mann. Vor zwei Jahren wurde er in den Stadtrat gewählt, und seit letztem Jahr ist er Vizepräsident des Fußballvereins."

"Des FC Koblenz?"

"Ja. Und er führt sehr erfolgreich das Autohaus meines Vaters."

"Ach, Ihr Vater hat ein Autohaus?" Alexandra hatte über die privaten Verhältnisse der Baumanns noch nichts gehört.

"Na ja", die Frau lächelte schwach, "eigentlich gehört es mir. Mein Vater hat sich vor zwei Jahren aus dem Geschäft zurückgezogen und es mir überschrieben, wegen der zu erwartenden höheren Erbschaftssteuer, wissen Sie?"

Alexandra nickte. "Und Ihr Mann?"

"Der ist Geschäftsführer. Wir sind das erfolgreichste Haus für Luxuslimousinen im ganzen Landkreis."

"Na, meinen Glückwunsch", Alexandra sah in die matten, grünen Augen der Frau, "dann dürften sie ja eigentlich keine Sorgen haben."

Die Frau schaute sie traurig an.

"Da haben Sie recht, Frau Dr. Heinze, eigentlich dürfte ich keine Sorgen haben." Sie starrte einige Augenblicke schweigend zur Decke. Plötzlich begann ihr Körper zu zucken, und sie brach in ein krampfhaftes Weinen aus. Alexandra stand auf, hielt ihre Hand, streichelte sie an der Schulter und trocknete ihr hin und wieder die Tränen. Geduldig wartete sie, bis die Frau sich ein wenig beruhigte. Dann begann Helga Baumann zu erzählen. Von ihren Herzanfällen, die sie seit drei Jahren quälten, von ihrer Migräne und vor allem von ihren Depressionen, die sie schon seit über zwanzig Jahren in immer kürzer werdenden Abständen überfielen.

Als Alexandra sich nach einer Dreiviertelstunde verabschiedete, schien ihr Helga Baumann ruhiger geworden zu sein. Die Ärztin selbst war erschüttert über die Leidensgeschichte Helga Baumanns. Und sie war beunruhigt. Eine innere Stimme sagte ihr, dass Helga Baumann nicht das erzählt hat, was sie eigentlich erzählen wollte.

12

"Also noch mal: Wir spielen mit drei Angriffsspitzen. Unsere Chance besteht darin, ihre Abwehr zu knacken." Gareis sprach mal wieder mit Händen und Füßen. Lautstark und in dem für ihn so typischen rheinischen Dialekt versuchte der Trainer seiner Mannschaft die Strategie für das Spiel am kommenden Samstag einzuschärfen. Olivers Gedanken schweiften immer wieder ab.

"Glaubt mir Jungs, im Angriff sind sie nur guter Durchschnitt, aber ihre Abwehr steht wie eine Festung. Die hat sie an die Tabellenspitze gebracht."

Sie hatten sich nach dem Aufwärmtraining am Rande des Spielfeldes versammelt. Normalerweise war mittwochs trainingsfreier Tag. Selbst vor wichtigen Spielen. Doch das bevorstehende Spiel war mehr als wichtig. Es ging um den Aufstieg in die zweite Liga. Und die Aussicht, bei den Profis zu spielen, hatte die Mannschaft verändert. Sie waren wie elektrisiert. Keiner hatte gemurrt, als Gareis für diesen Mittwoch ein Training angesetzt hatte.

"Vor allem dieser Störhoff, der Torwart - der ist ein Fels, der ist in Bruchteilen von Sekunden in jeder Ecke seines Kastens. Ihr habt doch gesehen, wie der den Elfer im Pokalspiel gegen Braunschweig gehalten hat. Bevor du abdrückst, sieht der schon, wo das Ei hingeht ..." Gareis hatte sich derart in Rage geredet, dass ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Er machte eine Pause, um sich eine Gauloise anzuzünden.

"Darum - wenn wir ihre Abwehr knacken, haben wir das Ding gewonnen. Und vergesst nicht: Denen reicht ein Unentschieden, wir brauchen drei Punkte." Unvermittelt drehte Gareis sich um und stapfte Richtung Tor. "Und jetzt probieren wir noch mal unsere Eckballfinten."

Die Mannschaft folgte ihm. Oliver als Letzter. Ständig musste er an den Vertrag denken, den ihm der 1. FC Kaiserslautern in Aussicht gestellt hatte. Und an seinen Chef. Baumann war früher als erwartet aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ungern hatte Oliver ihm den Chefsessel geräumt, klar. Aber wie blöd er geguckt hatte, als er den jungen Seidel in seinem Büro sah. Noch die Erinnerung daran genoss Oliver. Er machte sich nichts vor: Er hätte eine Flasche Sekt aufgemacht, wenn Baumann an den Pilzen gestorben wäre. Und in der ganzen Firma hätte kein Hahn nach ihm gekräht. Nicht mal sein Schwiegervater, wenn man den bösen Zungen glauben durfte.

Aber was soll's, Oliver trat in den Rasen, dass die Erde hochspritzte, im nächsten Jahr schon würde sein größter und ältester Traum in Erfüllung gehen. Dann würde er sein Geld als Fußballer verdienen. Und nur als Fußballer. Und bräuchte sich keinen Augenblick mehr über diesen aalglatten Baumann zu ärgern.

"Übrigens, fast hätte ich's vergessen", Gareis drehte sich zu seinen Spielern um. Das grinsende Gesicht mit der Zigarette in den Mundwinkeln, verriet Oliver, dass das, was jetzt kommen würde, genau berechnet war. "Dass vom Autohaus Höfer jedem ein Riese winkt, wenn ihr gewinnt, hat sich sicher 'rumgesprochen." Er blieb stehen, und nahm die Zigarette aus dem Mund. "Aber gestern Abend hat ein wichtiger Geschäftsmann der Stadt bei mir angerufen. Seinen Namen darf ich euch nicht nennen. Aber ich soll euch sagen, dass er noch mal zwei Tausender für jeden drauflegt." Sprach's, steckte sich die Zigarette zurück in den Mundwinkel und ging weiter zum Tor. Unter den jungen Männern erhob sich überraschtes Palaver.

Das Training lief wie geschmiert. Keiner erlaubte sich die geringste Unkonzentriertheit. Die Kombinationen saßen, die Pässe stimmten, und Olivers Torschüsse riefen allgemeine Begeisterung hervor.

"Wunderbar", lobte Gareis, "wunderbar, wenn ihr am Samstag so spielt, ist die Sache gegessen." Niemand zweifelte daran, dass sie so spielen würden.

Jemand tippte Oliver auf die rechte Schulter. Er fuhr herum. Stiebert grinste ihn an.

"Man wartet auf dich", er deutete zum Zaun des kleinen Trainingsplatzes. Erwartungsvoll sah Oliver hin. Eine rothaarige Frau stand rechts neben dem Eingang. Jasmin. Er wollte schon den Arm heben und winken, da entdeckte er eine zweite Frau hundert Meter links vom Eingang. Eine schwarzhaarige - Viki.

"Au Scheiße", entfuhr es ihm.

13

In der Mitte des Restaurants stand ein riesiges Aquarium. Seine dämmrige Beleuchtung, die wie in Zeitlupe wogenden Wasserpflanzen und die schwebenden, vielfarbigen Fische strahlten Ruhe und Behaglichkeit aus. Julia ließ sich in diese Atmosphäre hineinfallen wie in ein warmes Bett.

Um das Aquarium herum waren Tischgruppen angeordnet, die durch dichte Klettergewächse voneinander getrennt waren. Das Licht im Restaurant war gedämpft und das Stimmengewirr der vielen Gäste wurde von den schweren Teppichen, den in dunklen, warmen Farben gehaltenen Wandbehängen und den Samtvorhängen geschluckt. Es war ein guter Ort.

Sie aßen gemeinsam eine indonesische Reisplatte und tranken Moselwein. Julia erzählte von ihrer Fan-Clique und porträtierte ihm sämtliche Spieler des FC Koblenz, vor allem den Mittelstürmer, Oliver Seidel.

"Das ist natürlich der absolute Star", lachte sie, "besonders für die weiblichen Fans."

Auch von ihren beiden Halbblütern erzählte sie, die sie auf einem Reiterhof in der Nähe der Stadt hielt. Dr. Thorsten Roloff bat sie solange, ihm Reitunterricht zu geben, bis sie es versprach. Überhaupt war der Arzt sehr gesprächig heute Abend.

Julia, die seine kühle Sachlichkeit und seinen Ernst mochte, hatte schon auf seinem Geburtstagsfest gestaunt, wie gründlich der verschlossen wirkende Mann auftauen konnte.

Roloff erzählte von seinem Studium in Mainz und Tübingen und schwärmte von Süddeutschland. Schließlich berichtete er von seinen Zukunftsplänen.

"Ich habe zwei Freunde im Ruhrgebiet, die machen auch gerade ihren Facharzt. Wenn wir fertig sind, wollen wir eine Gemeinschaftspraxis aufmachen, in Düsseldorf oder Köln, eine ambulante Unfallchirurgie mit zwei OPs und ein paar Betten." Er schaute sie an und als er merkte, dass sie ehrlich interessiert war, lächelte er. "Wenn ich soweit bin, sage ich Ihnen Bescheid. Vielleicht haben Sie ja Lust, weiter mit mir zusammenzuarbeiten?"

Julia lehnte sich zurück.

"Danke für das Angebot. Fragen Sie mich noch einmal, wenn es soweit ist. Doch es kann gut sein, dass ich meinen Job bis dahin an den Nagel gehängt habe und etwas ganz anderes tue."

"Das wäre schade", sagte Thorsten Roloff, und Julia merkte seinen Worten an, wie ernst sie gemeint waren. "Sie sind eine wunderbare Krankenschwester, Julia."

Sie nickte, brachte auch ein selbstbewusstes ,Danke‘ zustande, wurde aber dennoch rot.

"Sie haben so ein feines Gespür für Menschen, sie haben eine Art siebenten Sinn für das, was in Menschen vorgeht. Das ist mir sofort aufgefallen." Er nahm einen Schluck Wein und beugte sich über den Tisch. "Deswegen kann ich Ihnen auch nichts vormachen - Sie wissen längst, wie sehr ich Sie mag."

Julia verschlug es für einen Augenblick die Sprache. Es war ihr klar gewesen, dass der Arzt irgendwann zur Sache kommen würde. Aber in diesem Augenblick hatte sie wirklich nicht damit gerechnet.

"Sie bringen mich ganz aus der Fassung, Herr Dr. Roloff!" Sie lächelte dabei. Diese offene Art hatte ihr schon oft aus der Verlegenheit geholfen.

"Oh, das wollte ich nicht." Er grinste breit. Sie sollte merken, dass er log.

"Natürlich nicht", lachte sie prompt. Er bestellte noch zwei Gläser Wein. Julia beugte sich jetzt auch über den Tisch. Sie schob die Kerze, die zwischen ihren Gesichtern flackerte, zur Seite und sah ihm in die Augen.

"Ich mag Sie auch", sagte sie eindringlich, "und ich kann Ihnen auch genau sagen, was ich an Ihnen mag …" Sie hob die Hand, als er fragend die rechte Augenbraue hob. "... ich verrate es Ihnen später. Was ich jetzt sagen will, ist mir im Augenblick wichtiger - ich bin nicht der Typ Schwester, der vom ersten Lehrjahr an von einem Arzt träumt, glauben Sie mir. Und dennoch bin ich mir nicht ganz sicher, ob mir Ihre Zuneigung nicht ganz einfach schmeichelt - der tolle Doktor verguckt sich in mich kleine Krankenschwester." Sie lehnte sich wieder zurück und musterte ihn. "Lassen Sie mir einfach Zeit!"

Ein weiteres Mal verblüffte ihn ihre Offenheit. Er nickte und wechselte das Thema.