5928 STICHE - Christian Paul - E-Book

5928 STICHE E-Book

Christian Paul

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Beschreibung

Blau war schon immer meine Lieblingsfarbe! Und Blau war auch mein Leben, von der Kindheit bis zum jungen Erwachsenen. Bis eines Tages ein Riss durch mein Leben zog und alles veränderte... Die Dialyse... Doch auch nach achtzehn Jahren an der Maschine ist mein Leben immer noch blau. Es ist nicht mehr dieses herrliche Himmelblau von einst, aber aus Dunkelblau wurde mit der Zeit ein schönes Azurblau. Die Farbe des Meeres... Damit kann ich gut Leben! Christian Paul wurde 1973 in Bad Neuenahr geboren. Nach unbeschwerten Jahren der Kindheit bekam er im Alter von 19 Jahren die schockierende Diagnose "chronische Niereninssuffizienz". Wie ihn wenige Jahre darauf die Dialyse fast aus der Bahn warf und er schließlich doch noch "die Kurve gekriegt" hat; warum er anderen Dialysepatienten Mut machen und deren Angehörigen und Freunden zu mehr Verständnis verhelfen will, lesen sie in seinem Autobiographischem Roman mit Sachbuchanteil, "5928 Stiche".

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 246

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Ähnliche


CHRISTIAN PAUL

5928 STICHE

Leben mit der Dialyse

© 2018 Christian Paul

www.christian-paul.info

2. überarbeite Auflage

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Hardcover:

978-3-7469-2825-8

e-Book:

978-3-7469-2826-5

Umschlag

:

p&p Agentur für Grafik und Design, Neuwied

Foto

:

Foto Flück, Sinzig

Lektorat

:

Carolina Hüsch, Bonn

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

für Mama & Papa

Im Gedenken an

Prof. Dr. med. Norbert Maurin,

22.05.1952 ~ 09.08.2013

der hinter meinen vielen Laborwerten, Kurven und Zahlen nie vergaß, dass ich, nicht nur sein Patient, sondern auch Rheinländer bin.

"Eine Behinderung kann dich nicht definieren! Wie du die Herausforderung meisterst, die diese Behinderung darstellt, das ist was dich definiert!“

Jim Abbot

"Wenn dieser verdammte Durst nicht wäre!“

Franz Mang

Inhalt

Einleitung

Prolog

Aller Anfang ist schwer

Stunde der Wahrheit

Ab wann wurdest du dialysepflichtig?

Dialyse und Alltag

Woher wissen die, wie viel Wasser sie dir abzapfen müssen?

Wie alles begann

Der 24-Stunden-Sammelurin

Die Uhr läuft ab

Pflegepersonal und Patienten

Der Rheinländer

Erstens kommt es anders

Was ist ein Shaldon-Katheter?

Womit vertreibst du dir die Zeit während der Dialyse?

KOMA

Organspenderausweis

Depression

Dialyse ade`?.

Alternative Behandlungsmethoden.

Arndt & Peppsi

Ernährung

Wohlfühldialyse!

Zimmer

Die Nierenbiopsie

Seegeschichten

Transplantation

Warum wurdest du noch nicht transplantiert?

Entscheidungen

Das V8 in Andernach

DIE-TEX

Endzeitgesang

Schlussakkord

Einleitung oder ~ warum es dieses Buch gibt und wie es "funktioniert".

Sommer 2016

Lieber Leser,

Mein Name ist Christian Paul. Ich wurde 1973 in Bad Neuenahr geboren und bin seit April 1998 Dialysepatient. Dieses Buch entstand nach der Idee für meine Familie, für meine Freunde und für alle Neugierigen ein möglichst leicht verständliches und gleichzeitig unterhaltsames Nachschlagewerk zu sein. Da du es nun in Händen hältst, vermute ich, dass du entweder selbst betroffen bist, oder einer deiner Angehörigen oder Bekannten zu den knapp 70.000 dialysepflichtigen Nierenkranken in Deutschland gehört.

Wie läuft sie ab, so eine Dialyse? Wie lebt man damit, und was bedeutet das für die Betroffenen? Heißt es nun "Endstation Hölle", wie die Blutwäsche häufig von Außenstehenden abgeurteilt wird, oder besteht doch etwa Hoffnung auf ein annähernd lebenswertes Dasein? Meine Geschichte ist ungeschminkt und ehrlich. Sie zeichnet den langen, steinigen Weg nach, den ich allein und voller Ängste ging und an dessen Ende ich mich schließlich doch noch gut mit der Krankheit arrangierte. Mir fehlte zu Beginn schlicht und einfach der Wille zur Information, aber auch die Möglichkeit der Aufklärung. So will ich versuchen, dir mit diesem Buch deine wichtigsten Fragen zu beantworten, und dir ein wenig Mut machen für deinen Weg, auf dem du dich für lange Zeit an die Dialyse, im wahrsten Sinne des Wortes, binden wirst. Deinen Angehörigen und Freunden soll es zu mehr Verständnis verhelfen, welches von enormer Wichtigkeit wird, wenn du mit der Dialyse leben wirst.

Ich schreibe hier bewusst nicht "...wenn du mit der Dialyse leben musst"! Du kannst nämlich nur mithilfe der maschinellen Blutwäsche, abgesehen von der Transplantation, weiterhin ein annähernd normales Leben führen. Hältst du gewisse Regeln ein, gelingt das auch dir. Und das so gut wie den allermeisten Dialysepatienten auch!

Aber warum solltest gerade du mein Buch zum Thema Dialyse lesen? Es gibt eine Reihe guter Fachliteratur, die sich mit dem Thema "Nierenersatztherapie" befassen. Mit diesen Standardwerken zu wetteifern, die durch ihre fachlichen und medizinischen Texte nicht für jedermann einfach zu lesen sind, lag auch gar nicht in meiner Absicht. Im Gegenteil! Ich habe mich bemüht, den Umfang des medizinischen Teils des vorliegenden Buches bewusst knapp zu halten und so zu formulieren, das keine fachlichen Vorkenntnisse von Nöten sind. Ich hoffe, damit einen vernünftigen Kompromiss zwischen der nötigen Klarheit und der erwünschten leichten Lesbarkeit gefunden zu haben. Wir gehen gemeinsam auf eine Reise. Die Geschichten in diesem Buch sind teilweise dramatisch, mal empfindsam und sensibel aber auch voller Irrwitz, und schildern den Kampf zwischen mir und der tückischen Krankheit. Ein Kampf, den ich bereits zu Anfang fast verloren hätte.

Ich werde meinen Krankheitsverlauf nicht chronologisch schildern. Es wird immer wieder große Zeitsprünge zwischen den verschiedenen Ereignissen und Geschichten geben. Diese habe ich zur zeitlichen Orientierung mit dem entsprechenden Monat und der Jahreszahl gekennzeichnet. Den Kapiteln folgt dann häufig ein Absatz, der in einfachen Worten auf die medizinischen Vorkommnisse eingeht und erklärt. Abseits meiner Krankengeschichte gibt es eine Menge "Side-Storys", um den Unterhaltungswert zu steigern.

Den Anreiz, dieses Buch zu schreiben, gaben mir einige Freunde, Verwandte und Bekannte. Ich habe schlicht und einfach keine Lust mehr, ständig die gleichen Fragen bezüglich meiner Nierenkrankheit zu beantworten. Meine Frau Alexandra meinte, als ich ihr von der Idee für dieses Buch erzählte, ich dürfe nicht zu viel von den Leuten erwarten. Wahrscheinlich stimmt das sogar! Trotzdem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass dieses Buch seinen Weg zu bestimmten Personen aus meinem Bekanntenkreis findet. Und zwar zu denen, die mich immer wieder aufs Neue im Restaurant, auf der Grillfeier oder der Party, zu meinem eingeschränkten Trinkverhalten befragen, was denn die vielen Pillen bewirken, die ich da schlucke, ob ich noch "ständig zur Düalüse" müsse und ob es denn nicht langsam "mal besser" wird mit mir ...

Sicherlich nicht böse gemeint, nervt es mich ganz einfach mittlerweile, in ihre erstaunten Gesichter zu blicken und zu erklären warum ich nicht mehr pinkeln kann! Meine Unfähigkeit zu urinieren, bedingt durch die geschädigten Nieren, vergleiche ich dann gerne mit der Unfähigkeit zu denken bei geschädigtem Gehirn. Das erklärt mein Problem in den allermeisten Fällen. Besonders in Situationen mit mir unbekannten Personen, wünsche ich mir in diesem Punkt oft mehr Zurückhaltung. Allzu schnell steht man ungewollt im Mittelpunkt des Abends und wird nur noch auf die Krankheit angesprochen! Schnell entsteht daraus eine angeregte Diskussionsrunde zum Thema, wie viel Flüssigkeit der Mensch am Tag benötigt.

»Quatsch! Du musst VIEL trinken! Das ist gut für die Nieren! Die müssen "gespült" werden, am besten mit Bier! Das weiß man doch!«

»Logisch! Mindestens drei Liter am Tag!«

Solche Aussagen lösen in mir nur noch ein kommentarloses, müdes Lächeln aus. Wäre ich dem Rat dieser Bekannten gefolgt, hätte ich die ersten Monate an der Dialyse wohl kaum überlebt.

Einige Namen, nicht alle, in diesem Buch, habe ich wunschgemäß geändert. Sollte sich jemand in einer der Figuren wieder erkennen, lag das nicht in meiner Absicht.

Danken möchte ich meinem langjährigen Nephrologen Dr. med. Gerd Richter in Andernach für die kritische Durchsicht des Manuskripts und manchen guten Ratschlag.

Gehen wir nun auf eine Zeitreise!

In diesem Sinne ...

Christian Paul

Prolog

April 1998

»......Scheiße!«

»Das wars also jetzt«, flüstere ich leise.

Was für ein ungemütlicher und trostloser Ort.

Ich bin allein.

Nicht mal ein Fenster gibt es hier. Die Lüfteranlage rauscht. Ein leises Rasseln ... Durch die ständige Vibration hat sich wohl eine Schraube gelöst. Eine Neonröhre zuckt nervös und ohne Takt; geht an und aus. Der Geruch von Desinfektionsmitteln liegt in der Luft. Um mich herum wird es dunkel. Schwarz vor Augen; alles dreht sich ...! Kalter Schweiß auf meiner Stirn. Das Atmen fällt mir schwer. Und da ist sie wieder, diese Angst.

Ein Anfall ...

Diese Anfälle häuften sich in den letzten Monaten und quälten mich immer heftiger und länger! Immer häufiger spannte sich dann meine Gesichtshaut und brannte wie Feuer, begleitet von einem Kribbeln wie von tausend kleinen Nadelstichen. Juckreiz am gesamten Körper. Dazu die ständigen Brechattacken. Die Muskeln versagten jetzt immer häufiger in Armen und Beinen bis hin zu ersten Lähmungserscheinungen. Ich bekam schlimmste Krämpfe in allen, und wirklich ALLEN Körperregionen! Doch so stark wie jetzt war es noch nie. Mein Körper reagiert damit auf die zunehmende Vergiftung. Habe ich doch zu lange gewartet?

Nun hocke ich hier auf diesem schäbigen Mitarbeiterklo! Gut, dass ich es noch bis hier her geschafft habe. Auf der Treppe nach oben in den Verwaltungstrakt merkte ich, wie meine Beine schlappmachten.

Den langen Flur bis zur Kantine hätte ich sicherlich nicht mehr geschafft ...

Vergangene Nacht litt ich unter extremer Übelkeit. Auf der Fahrt hierher musste ich zwei mal anhalten, um mich zu übergeben. Während ich an diesem frühen Samstagmorgen mit meinem Kollegen Dirk unsere Abteilung vorbereitete, spürte ich plötzlich den nahenden Anfall.

»Mir ist übel. Ich gehe schnell mal in die Kantine hoch. Was kaltes Trinken. Dann gehts bestimmt wieder«, sage ich zu Dirk. Ich hoffte, eine eiskalte Coke aus dem Automaten in der Kantine würde mir wieder auf die Beine helfen. Jetzt bin ich nicht mehr in der Lage aufzustehen. Kopf und Oberkörper kann ich vor Schwäche kaum aufrecht halten. Meine linke Hand krallt sich in die Klopapierrolle an der Wand. Der rechte Arm will nicht gehorchen. Ich spüre, wie das Blut in meinen Schläfen pulsiert. Ich lache kurz. Anders als meine Kollegen werde ich hier und jetzt den Arsch ZU kneifen! Ich friere. Minuten der Bewegungsunfähigkeit vergehen.

Ich atme tief durch die Nase ... Einmal - zweimal dann kann ich es sogar riechen!

Das Gift!!!

Das Gift, das in den vergangenen Monaten immer häufiger meinen Körper anfällt wie ein tollwütiges Tier! Es greift mich an, packt mich und beißt sich in mir fest. Es schwächt mich immer mehr und lässt keinerlei Gegenwehr zu!

Es scheint, dass ich an diesem Samstagmorgen den Kampf verliere und warte. Ich wartete in einer seltsam lebensmüden Art und Weise, die ich mir bis heute nicht erklären kann ...

Ich habe ihn überlebt ...

Diesen Samstagmorgen im April 1998, der mein Leben radikal veränderte. Wenige Tage danach war nichts mehr wie vorher ...

Ich wurde Dialysepatient!

Aller Anfang ist schwer oder ~ wer zu spät kommt

April 1998

Einige Tage nach meinem Zusammenbruch in der Firma, saß ich mit gepackter Tasche im Warte zimmer von Doktor Bert Lichter im Neuwieder Elisabeth Krankenhaus. Er war seit 1992 mein behandelnder Nephrologe (Nierenarzt) und Chefarzt der Nierenabteilung. Seit meinem letzten Besuch im September '97 haben sich die Werte extrem verschlechtert. Ich bin voller Gift! Mein Kreatinin ist auf 18,5 gestiegen, sagt der Labor bericht. Doktor Lichter hat nicht lange gefackelt, als ich ihn anrief und erklärte, was samstags auf der Arbeit geschehen war. Er wird mich ungespitzt in den Boden rammen, wenn ich gleich zu ihm rein muss.

Heute fühlte ich mich ausgesprochen gut und ich überlegte kurz, wieder abzuhauen. Aber die Zeit, den Kopf in den Sand zu stecken, war endgültig vorbei! Der nächste Anfall könnte der Letzte sein. Mama saß neben mir. Ich schämte mich für das, was ich ihr und Papa in den vergangenen Jahren zugemutet habe. Aber jetzt wurde das Schiff endlich auf neuen Kurs gebracht. Ich hatte noch keine Lust, Mitglied im Klub 27 zu werden ...

Ich hörte mit einem Ohr der Sekretärin beim Telefonieren zu, ohne zu ahnen, dass es dabei bereits um mich ging.

»Nein nein --- ja das ist richtig --- der wird heute noch dialysiert! Es eilt, sagt der Chef!«

Ich sah auf meine ungeputzten Schuhe und grübelte über meine berufliche Situation.

Seit knapp anderthalb Jahren schuftete ich in der Elektroabteilung eines großen Warenhauses. Ganz ehrlich ...! Die Arbeit in dem Laden war die Hölle! Aber nach meiner Ausbildung zum Musikalienkaufmann war das der einzige Job, den ich fand. Es war frustrierend. Seit meiner Kindheit machte ich Musik. Musik zu machen war immer mein Traum. Als Lehrling in einem großen Fachgeschäft für Musikinstrumente verkaufte ich Klaviere, Gitarren, Geigen und worauf man sonst noch Musik machen konnte. Ich hatte täglich Kontakt zu anderen Musikern und kam meinem Ziel Stück für Stück näher. Doch nach der Lehre war Schluss. Der Verdienst war so mies; da hätte ich mich auch gleich erschießen können.

Stattdessen verhökerte ich nun Waschmaschinen und Kaffeevollautomaten. Ich war total unglücklich, aber ich brauchte die Kohle. Ich war mir ziemlich sicher, dass dies nur eine kurze Station meiner beruflichen Laufbahn sein sollte.

Vor einigen Wochen dann, wandelten die Verantwortlichen aus der Chefetage meinen auslaufenden Zeitvertrag endlich in die versprochene Festanstellung, mit dem von mir ersehnten Wechsel in die Verwaltung um. Dieser verdammte Zeitvertrag war der Hauptgrund, warum ich die Entscheidung ins Krankenhaus zu gehen, um mit der Dialyse zu starten, seit Monaten vor mir her schob. Nebenbei gesellte sich natürlich auch eine ordentliche Portion Angst.

Der Autor (1975) "Früh übt sich ..."

Ich hatte dem Chef damals bei meinem Bewerbungsgespräch die Nierenkrankheit natürlich nicht verheimlicht, doch das es mir mittlerweile so schlecht ging, ahnte er nicht. Hätte er davon gewusst, wäre es mit Sicherheit niemals zu meiner Übernahme gekommen. Es war ein Spiel mit dem Feuer. Dass ich damit aber mein Leben riskierte, verdrängte ich.

***

"Jeder Mensch treibt seine Liebhabereien sehr ernsthaft, meistens ernsthafter als seine Geschäfte." Diese weise Erkenntnis stammt nicht von mir, sondern von Herrn Goethe. So erging es auch mir. Nicht, dass ich den neuen Job in der Verwaltung nicht ernst genommen hätte; ich machte ihn gerne und ich machte ihn gut. Aber mein ganzes Herzblut steckte in meiner Nebenbeschäftigung als Lichttechniker in einer kleinen Firma für Veranstaltungstechnik. So oft mein Job und später die Dialyse es zuließen, fuhr ich mit Hans, Rainer, HIGHTOWER und Lars durch die Lande, um Konzerte jeglicher Art, Theater, Messen, Modeschauen; eben überall dort, wo Licht- und Tontechnik von Nöten war, um die Protagonisten ins rechte Licht zu setzen. Neben unzähligen Amateur- und TOP-40-Bands fanden sich aber auch einige bekanntere Namen. Darunter Atze Schröder, Herbert Knebel, Jürgen Drews, Höhner, BAP, Status Quo, Manfred Manns Earth Band, SAGA, die Neunzigerjahre Boyband Touche` und viele mehr. Gerne hätte ich das hauptberuflich gemacht.

Doch die Dialyse hinderte mich einmal mehr, meinen Traumberuf, auszuüben. Die vielen Reisen machten das schlicht unmöglich.

Zusätzlich engagierte ich mich für junge Nachwuchsbands und schaffte ihnen Auftrittsmöglichkeiten. Allen voran für die Jungs der Grunge-Rockband "DIE-TEX". Zu Sascha, Horst, Heino, Stefan, Markus und Martin hatte ich auf Anhieb ein besonderes Verhältnis. Und das lag nicht nur an dem Bier, das ich bei meinem ersten Besuch in ihrem Proberaum mitgebracht hatte. Als ich sie das erste Mal auf der Bühne erlebte, war ich wie elektrisiert! Ich war fasziniert von ihrem GROOVE und der Präzision mit der sie spielten. Für eine Garagenband gar nicht übel. Kurz darauf übernahm ich das

"Management" und versuchte, die Band, mit allen Mitteln, in der Region bekannt zu machen.

***

Diese und tausend andere Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, während ich unruhig auf meinem Stuhl hin und her rutschte und auf den Doktor wartete. Werde ich das alles aufgeben müssen? Die Dialyse wird verdammt viel Zeit beanspruchen. Und ich wollte und musste natürlich auch weiterhin Vollzeit arbeiten!

Nur eines war klar: Heute begann für mich ein anderes Leben. Ein Leben mit der Dialyse. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als sich die Tür zum Wartezimmer öffnete.

»Herr Paul, bitte ...«

Was ist Dialyse?

Die Dialyse ist eine künstliche Blutwäsche, die das Blut von giftigen Stoffen reinigt. Der Körper produziert täglich viele giftige Stoffwechselprodukte, die normalerweise über die Nieren mit dem Harn ausgeschieden werden.

Zu diesen sogenannten "harnpflichtigen Substanzen" zählen beispielsweise der Harnstoff, die Harnsäure, das Kreatinin und viele mehr. Sind die Nieren aufgrund eines akuten oder chronischen Schadens (akute oder chronische Niereninsuffizienz) nicht in der Lage, diese Stoffe ausreichend auszuscheiden, sammeln sie sich im Körper an, was innerhalb weniger Tage lebensbedrohlich werden kann.

Um eine effiziente Blutwäsche betreiben zu können, müssen dem Körper in kurzer Zeit große Mengen Blut abgenommen werden, um es ihm dann gereinigt wieder zu zuführen. Aber die Blutgefäße sind entweder schlecht zugänglich (Arterien) oder haben einen zu geringen Druck (Venen) und eignen sich daher nicht für die Dialyse. Aus diesem Grund wird bei einer langfristigen Dialyse ein spezieller Gefäßzugang zwischen Arterie und Vene angelegt. Der sogenannte "Dialyse-Shunt" ("Schant"). Hierbei handelt es sich um eine chirurgische Kurzschlussverbindung.

Das Blut der Arterie fließt dann mit ungewohnt hohem Druck in die Vene. In Anpassung daran erweitert sich die Vene mit der Zeit und bekommt eine dickere Wand. Nun kann sie regelmäßig punktiert werden. Der Shunt wird in der Regel am weniger genutzten Unterarm (also beim Rechtshänder, der linke) gesetzt.

Stunde der Wahrheit oder ~ ein schöner Tag im Herbst

September 1997

Die Wucht seiner Worte traf mich wie ein Schlag. Kopfkino setzte ein.

»CHRISTIAN!« --- »Hörst du mir zu?«

Seine Stimme wurde deutlich lauter.

»Du MUSST jetzt einen Termin mit Doktor Römer, dem Shunt-Chirurgen machen! Es führt kein Weg mehr daran vorbei. Du bleibst am besten gleich hier! Es eilt!«

Immer wenn Doktor Lichter ernst wurde, duzte er mich. Dann wusste ich, es wird unangenehm.

»220 zu 110«, murmelte er kopfschüttelnd und lies die Luft aus der Manschette ab.

Mittlerweile, nachdem ich fast ein ganzes Jahr nicht mehr in seiner Praxis zu den Laborkontrollen erschienen war, hatten sich die Werte gravierend verschlechtert. Mein Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Die Anfälle häuften sich und hielten von Mal zu Mal länger an. Aber ich musste noch einige Monate durchhalten. Ich verdrängte die Krankheit komplett aus meinem Leben. Hatte keinen Bock auf "Bad News"...!

Der Alkohol spielte eine immer größere Rolle. Das wärmende Gefühl eines gut abgestimmten Rausches ließ mich den Tanz auf dem Vulkan vergessen. Wenn ich trank, ließ ich die Medikamente, die mir helfen sollten, immer öfter weg. Eine Handvoll Pillen verträgt sich nicht gut mit 5 bis 6 doppelten Whiskys!

Von meiner Erkrankung, wussten nur wenige Freunde. Ich ließ meine Familie und Bekannte im Unklaren. Ich blockte alle Fragen ab und flüchtete vor jeder Diskussion. Meine Eltern wurden halb verrückt in dieser Zeit.

Mein Hausarzt Doktor Steinberg, der natürlich über alle Laborwerte informiert war, sprach irgendwann meine Mutter beim Einkaufen an. Sie kennen sich aus der Schule. Deswegen hat er es wohl auch mit dem Arztgeheimnis nicht so genau genommen!

»Ihr müsst auf euren Sohn einwirken, Maria«, hat er gesagt. »Das er endlich die Dialyse macht! Sonst kann er sich bald die Radieschen von unten angucken!«

Damals wohnte ich noch bei meinen Eltern. Du kannst dir vorstellen, dass diese Zeit nicht immer einfach war. Für alle Beteiligten ...

Warum ich so lange nicht bei ihm war, fuhr er mich noch mal an. Ich erschrak und wachte auf aus meinem schlechten Film. Ich blieb stumm und starrte blöde auf die Wanduhr. Fast Mittag. Ich hatte noch nichts gefrühstückt. Mein Magen meldete sich.

Lichter rief irgendwas der Sekretärin zu, die hektisch in irgendwelchen Papieren kramte. In dem Stifthalter auf seinem Schreibtisch steckt eine dicke Dialysekanüle. Die benutzt er als "Anschauungsmaterial", wenn er den Patienten den unangenehmen Teil der Prozedur erklärt. Wenn du glaubst, dass diese Nadeln die gleiche Größe haben wie die, die fast jeder vom Blut abnehmen kennt, irrst du dich aber gewaltig. Stricknadeln kommen der Sache schon näher!

Immerhin müssen um die 350 Milliliter Blut in der Minute durchlaufen. Das verlangt nach einem gewissen Querschnitt.

Die Sekretärin rannte hin und her. Er telefonierte. Doktor Lichter mag Schiffe. Segelschiffe. Das nehme ich jedenfalls an. Seine Praxis hängt voll mit Malereien alter Windjammer auf schwerer See. Die stolzen Schiffe, die Schwierigkeiten haben im Sturm ihren Kurs zu halten, machen mir meine eigene missliche Lage bewusst. Ich steuere ebenfalls auf schwerer See geradewegs auf einen Eisberg zu und bin unfähig, das Ruder herumzureißen. Ich sehe in Gedanken die Textzeilen eines Liedes meiner Lieblingsband "Element of Crime" und summte leise die Melodie dazu. In dem Titel heißt es:

Schwere See, schwere See, mein Herz

jetzt wirst auch du ganz blass.

Und du krallst dich in die Reling

Dein Blick ist starr und deine Augen matt.

Wer's einmal hat, dem geht es nie mehr aus den

Knochen raus. Krall dich an mich und danke,

dass du mir vertraust.

Ich will dein fester Boden sein

Obwohl ich selber schwanke ...

»Ich kann das nicht«, flüsterte ich.

»Noch nicht! Noch nicht jetzt! Da muss es doch noch Möglichkeiten geben! Geben sie mir mehr Tabletten! Ich verspreche auch sie regelmäßig zu nehmen! Ich mache eine Diät! Ich lass den Alkohol weg! Alles! Nur bitte DAS noch nicht!!!!«

Alles was ich in den letzten Jahren hätte tun oder lassen sollen, wollte ich jetzt auf einen Schlag ändern. Aber dazu war es nun zu spät. Und ich wusste es ...

Doktor Lichter schielte über seine Brille und dachte wohl, dass er sich verhört hatte. Er sprach von meinen miesen Laborergebnissen. Vom Kreatinin, das bei 18,5 lag, und das die Gefahr bestünde, das ich jetzt jederzeit in ein Koma fallen, einen Herzinfarkt erleiden oder anderweitig zu Tode kommen könnte. Mögliche Ursachen gab es nun mehr als genug! Ich streifte die Blutdruckmanschette ab und zog mein Hemd an.

»Ich bleibe nicht hier«, erwiderte ich. »Ich muss erst noch mal nach Hause ...!«

Das Wochenende ließ er mir noch. Aber Montag sollte ich gefälligst auf der Matte stehen! Ich nahm meine Sachen und ging. Ob ich noch was zu ihm gesagt habe, weiß ich nicht mehr.

Natürlich ging ich montags nicht zu ihm ...

Nach dem ersten Schock nahm ich meinen lebensbedrohlichen Zustand immer noch nicht als real wahr. Ich hatte noch immer die Hoffnung, der Sachverhalt könne durch irgendein Ereignis doch noch positiver für mich ausfallen. Insgeheim hoffte ich auf ein "Wunder". Das Wunder kam aber nicht! Ich verzweifelte. In dieser Zeit befand ich mich einen halben Schritt vom Abgrund entfernt und wurde zum einsamsten Menschen der Welt.

Meine selbstzerstörerische Lebensweise übertrug sich schließlich auch nach außen.

Trotz meiner panischen Angst vor sozialer Ausgrenzung, stieß ich, ganz bewusst, vielen Menschen, die es gut mit mir meinten, vor den Kopf.

Ich redete mir ein, es sei besser, jetzt sofort Beziehungen und Freundschaften zu beenden, die später unter der Belastung der Krankheit sowieso nicht standhalten würden. Viel zu viele entmutigende Beispiele von allein gelassenen und verbitterten Dialysepatienten hatte ich während der Klinikaufenthalte der letzten Jahre kennenlernen müssen. So wie die wollte ich nie werden. Und vor noch etwas hatte ich große Angst. Mitleid ...

Und so schob ich die wichtigste Entscheidung in meinem Leben weiter und immer weiter vor mir her und machte gute Mine zum bösen Spiel, bis es mich einige Monate später fast das Leben gekostet hätte. Doktor Lichter nannte es kürzlich, als wir für das Buch über diese Zeit sprachen, treffenderweise "Russisches Roulette".

Im November 1997 begleitete ich meine Freunde von DIE-TEX zu den Aufnahmen ihrer ersten CD "DANGEROUS MINDS" in ein Tonstudio. Da ging es mir schon ziemlich dreckig. Ich wollte das aber unter keinen Umständen verpassen! Die Tage mit den Jungs im Studio gehören zu den wichtigsten und schönsten Erlebnissen in meinem Leben.

Die Arbeit in der Firma wurde für mich immer anstrengender. Man reduzierte in allen Abteilungen Personal. Und weil das ja trotzdem prächtig funktionierte, packte man zum Dank weitere Aufgabenbereiche oben drauf! Aber es galt durchzuhalten und biss die Zähne zusammen.

Langsam begann ich damit meine Freunde um ihre "Luxus-Probleme" zu beneiden. Ich war noch jung und hatte nur diesen einen unerfüllbaren Wunsch! Ich wollte verdammt noch mal frei und gesund sein!!!

***

Ich musste hier raus. Raus aus Lichters Praxis; raus aus dem Krankenhaus. An der frischen Luft setzte ich mich erst mal auf eine Bank und atmete tief durch. Es war ein schöner Tag im Herbst. Einer von denen, wo man sich noch mal über die wärmende Sonne auf der Haut freut, weil man weiß, dass es bald damit vorbei sein wird. Als ich heute Morgen das Haus verließ, nahm ich eine Jacke mit. Die ersten kalten Septembernächte hinterließen schon mit Raureif geschmückte Wiesen. Aber jetzt, in der wärmenden Mittagssonne, hatte ich sie locker über die linke Schulter gelegt.

»Dialyse ..., Dialyse ...« ---

Ich murmelte das Wort einige Male vor mich her und suchte den Sinn dahinter. Ich fand ihn nicht. Ich begann nach Antworten zu suchen, auf die ich gar keine Fragen hatte. Glaubte ich wirklich, ich könnte mich auf leisen Sohlen vor der Krankheit davon schleichen? Tausend Dinge, die ich über diese Hölle in den letzten Jahren gehört hatte, schwirrten mir jetzt durch den Kopf. Und machten mir große Angst …

Ab wann wurdest du dialysepflichtig?

Eine chronische Niereninsuffizienz führt letztlich immer zur Dialyse. Wird die Krankheit aber frühzeitig erkannt und behandelt, lässt sich die maschinelle Blutwäsche hinauszögern. Der größte Risikofaktor ist der Bluthochdruck. Leider treten Beschwerden erst in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium auf. In meinem Fall dauerte es von der Diagnose Niereninsuffizienz bis zum Dialysebeginn gut fünf Jahre. Die feinporigen Membranen meiner Nierenfilter gingen ganz allmählich zugrunde, bis sie dann irgendwann ganz ihren Dienst quittierten. Stell dir eine Obstschale mit Weintrauben vor. Jedes Mal wenn du daran vorbei gehst, nimmst du dir ein, zwei Trauben weg. Irgendwann sind keine Früchte mehr da.

Ursache für eine chronische Niereninsuffizienz können beispielsweise angeborene oder erworbene Erkrankungen oder Diabetes mellitus sein. Durch die nachlassende Nierentätigkeit kommt es zu einer Reihe von Störungen im Organismus. So reichern sich z.B. harnpflichtige Substanzen wie Kreatinin im Blut an die in höheren Konzentrationen giftig sind. Normal werden diese Stoffe mit dem Urin ausgeschieden. Nimmt die Vergiftung des Körpers überhand, fällt der Patient ins Koma und stirbt schließlich.

Um beim Beispiel Kreatinin zu bleiben. Der Kreatininwert liegt bei einem gesunden Menschen zwischen 0,6 – 1,4 mg/Deziliter Serum. Steigt er an, weist das auf eine verminderte Nierenfunktion hin. Dialysepflichtig wir man spätestens bei einem Kreatinin von 10 mg/dl.

Dialyse und Alltag

Die Dialyse bedeutet einen erheblichen Eingriff in den gewohnten Alltag. Die intensive Behandlung hat Einflüsse auf das soziale und berufliche Leben. Um diese zu bewältigen und zusätzlichen Stress zu vermeiden, ist die Unterstützung durch Familie, Freunde und Kollegen besonders wichtig. Vor allem der Verlust der Mobilität und Unabhängigkeit ist eine große Einschränkung. Urlaub machen ist aber trotzdem möglich. Heute können Dialysepatienten überall in Deutschland und in die meisten Länder der Welt verreisen.

Vielmehr betrifft es alltägliche Dinge, die früher selbstverständlich waren und nun oft zu Problemen führen. Verabredungen, Essen gehen, Kino- und Theaterbesuche, Konzerte, Geburtstage, Vereinsleben. Die Liste ließ sich beliebig verlängern. Zuerst stellt sich mir immer die Frage ob das Ereignis montags, mittwochs oder freitags stattfindet. Selbst Feiertage wie Oster- und Pfingstmontag oder die Weihnachtstage und Silvester bleiben nicht verschont. Die Termine für die Dialyse sind GESETZ!

Das größte Problem für mich und ich weiß vielen anderen Dialysepatienten geht das genauso, ist die Trinkmengenbegrenzung. Freunde und Bekannte reagieren regelmäßig verwirrt, wenn sie mitbekommen wie wenig ich trinken darf.

»Was??? Nur einen dreiviertel Liter? Warum denn so wenig? Du musst viel trinken! Das ist gut für die Nieren, das weiß man doch! Die müssen gut gespült werden! Der Körper braucht viel Flüssigkeit!«

Das ist für den gesunden Menschen zwar richtig, gilt aber nicht für den Dialysepatienten. Denn mit abnehmender Nierenfunktion kommt es häufig zu einer eingeschränkten oder ganz nachlassenden Urinausscheidung. Lässt die Harnausscheidung nach oder treten Wassereinlagerungen im Körper auf, sollte die Flüssigkeitsaufnahme eingeschränkt werden. Im letzten Stadium der Niereninsuffizienz kann Wasser dann größtenteils nur noch während der Dialysebehandlung aus dem Körper entfernt werden. Daher muss der Patient dann die Flüssigkeitszufuhr stark einschränken. Bei mir stellten die Nieren kurze Zeit nach meinem Dialyseantritt ihre Arbeit ein. Selbst an heißen Sommertagen muss ich mir ganz genau überlegen, wann ich wie viel trinke. Ein Halber bis dreiviertel Liter muss dann reichen. Die Folgen eines überwässerten Körpers sind ziemlich unangenehm. Übelkeit, Erbrechen, Bluthochdruck und Luftnot sind nur einige Begleiterscheinungen. In wilden Zeiten habe ich es über das Wochenende geschafft, sieben bis acht Liter Wasser einzulagern. Dass ich montags auf allen vieren ins Zentrum kroch, brauche ich wohl nicht extra erwähnen. Zusätzliche Dialysezeit hilft, bei Überwässerung, um das "Trockengewicht" des Patienten schnell wieder her zu stellen. Am größten ist die Gefahr für das Herz, das der ständigen Überlastung durch die im Blut gestaute Flüssigkeitsmenge standhalten muss. Herzkrankheiten sind unter Dialysepatienten keine Seltenheit. Aber nicht nur Flüssigkeit ist das Problem. Der Patient sollte wissen, dass ein verstärkter Verzehr von Eintöpfen, Suppen, Obst, Gemüse und Joghurt auch eine Überwässerung begünstigen kann. Dazu aber mehr im Kapitel "Ernährung".

Zur Orientierung gilt die Regel:

Woher wissen die, wie viel Wasser sie dir abzapfen müssen?

Wir Menschen bestehen zu 65% aus Wasser. Die restlichen 35% nennen wir Substanz. Durch meine kaputten Nieren scheide ich überhaupt keinen Urin mehr aus. Das kann bei jedem Dialysepatienten unterschiedlich sein. Also muss an der Dialyse neben den Giftstoffen auch Wasser dem Körper entzogen werden. Deine gesunden Nieren erledigen diese Arbeit so perfekt, dass du nie zu viel oder zu wenig Wasser im Körper hast. Bei mir wird der Wasserentzug einfach nach der Gewichtszunahme zwischen zwei Dialysen bestimmt. Das heißt, ich werde vor und nach der Blutwäsche gewogen.

Nun kann man ja auch an Fett- und Muskelsubstanz zunehmen, denkst du jetzt sicher. Da hast du prinzipiell auch recht. Aber in zwei bis drei Tagen kann man nur einige hundert Gramm an Substanz zunehmen. Ein Kilogramm Fettgewebe entspricht etwa 7.000 Kilo-Kalorien. Eine solch große Menge an zusätzlichen Kalorien isst fast niemand! Nichtmal ich schaffe so viel in zwei bis drei Tagen!

Also entspricht meine Gewichtszunahme zwischen zwei Dialysen tatsächlich der Wassermenge, die mein Körper nicht ausscheiden konnte. Langfristig, das heißt, innerhalb von Wochen und Monaten, nehmen auch Dialysepatienten an Substanz zu oder ab. Dann muss der Arzt das Zielgewicht (nach der Dialysesitzung, das heißt, nachdem das überschüssige Wasser entfernt wurde) so nach regulieren, das der Wassergehalt bei 65% bleibt. Das so vom Arzt bestimmte Körpergewicht nennt man "Trockengewicht". Wird während der Dialysebehandlung zu wenig Wasser entzogen, besteht die Gefahr der Überwässerung mit all ihren Nebenwirkungen. Entziehen die Ärzte zu viel Wasser, kommt es zu Blutdruckabfällen und schlimmen Krämpfen. So ist es jedes Mal aufs Neue eine Herausforderung für den Arzt, die Dialyse so schonend wie möglich für den Patienten zu machen.

***