656 days - Lilli J Wettke - E-Book

656 days E-Book

Lilli J Wettke

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Beschreibung

'656 days' ist ein schonungsloser, zutiefst bewegender Psycho-Thriller, der auf wahren Begebenheiten beruht. Durch eine Beschreibung aus drei Narrativen erzählt die Autorin auf fesselnde Weise die Geschichte der Protagonistin Josefine, die Opfer eines Übergriffes wird. Zwischen Schuldgefühl und Sprachlosigkeit beginnt ein innerer Kampf, der lauter ist als jedes gesprochene Wort. Die Verknüpfung der Figuren untereinander sorgt für einige unerwartete Wendepunkte, die durch den Erzählstil und die charakterliche Tiefe der Rollen untermalt werden. Schnell wird klar: Nichts ist, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Einfühlsam und unbarmherzig ehrlich erzählt dieser Roman von einer jungen Frau, die lernen muss, sich selbst zu glauben. Ein Buch, das man nicht einfach liest, sondern spürt. Seite für Seite.

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Seitenzahl: 152

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für alle Blumen, die selbst nach einem Waldbrand noch in der Lage sind zu blühen.

Trigger Warnung!

Im nachfolgenden Buch finden sich graphische Darstellungen sexueller Gewalt, Selbstverletzendem Verhalten, Klingen, versuchtem Suizid, emotionalem Missbrauch und Derealisation beziehungsweise Dissoziation.

Auch werden Narzissmus, PTBS und Soziopathie erwähnt. Sollten dies Themen sein, die dich triggern, so empfehle ich dir, dieses Buch nicht zu lesen.

Solltest du jünger als sechzehn Jahre sein, bitte sprich mit deinen Erziehungsberechtigten, bevor du dich entscheidest, dieses Buch zu lesen.

Sollten dir die Handlungen, die in diesem Buch thematisiert sind bekannt vorkommen, dann suche dir bitte Hilfe.

Sprich mit Personen, denen du vertraust oder kontaktiere ein Hilfetelefon (116 016).

Und bitte vergiss nicht; was dir angetan wird, ist niemals, und unter keinen Umständen deine Schuld. Nach Hilfe zu fragen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von unglaublicher Stärke.

Inhaltsverzeichnis

Über Sie

Josefine

Jane

Soleil

Josefine

Soleil

Josefine

Jane

Josefine

Jane

Josefine

Jane

Josefine

Josefine

Jane

Josefine

Jane

Josefine

Soleil

Josefine

Soleil

Josefine

Über Sie

Die Ruhe vor dem Sturm

Sie sieht gerne das Meer an. Oft steht sie einfach nur da, mit ihren nackten Füßen im kalten Sand und dem wehenden Wind in ihren Haaren. Da ist so ein bestimmter Geruch, der die Ruhe vor dem Sturm ankündigt. Die Briese in ihrer Nase klingt, wie der letzte Hilfeschrei des Meers bevor der Sturm es verschluckt. Sie sitzt oft da, auf einer Düne, ihrer Düne, riecht eben diesen Geruch und hört dem Meer bei seinen leidvollen Schreien zu. Das Geräusch beruhigt sie, gibt ihr ein Gefühl von Heimat, Heimelichkeit.

Nun liegt sie da, in sich verdreht. Ihr Körper ist an den meisten Stellen blau wie das Meer. Rotes Blut läuft aus ihrer Nase und aus der Schnittwunde, die sein Messer hinterlassen hatte. Sie hatte auf ihrem Nachhauseweg die Ruhe vor dem Sturm gefühlt, hatte sich gefreut über die Heimelichkeit die ihr dieser Zustand gab. Sie war gehüpft. Nur noch fünf Minuten bis nach Hause. Und nun liegt sie hier, eine Stunde später noch immer sind es fünf Minuten bis nach Hause. Die Ruhe vor dem Sturm ist verschwunden, denn der Sturm war losgebrochen. Nun verstand sie das Meer, und warum es schrie. Nun lag sie da, allein gelassen. Ihre Hose war offen und ihr Shirt klebte nur noch wie ein einziger zerrissener Fetzen an ihr.

Fünf Minuten und die Ruhe vor dem Sturm hätte nicht für immer ihre Bedeutung geändert. Fünf Minuten und sie wäre heil zu Hause angekommen mit dem Gefühl von Heimelichkeit in ihrem Herzen. Aber nein, er hatte sie gesehen und er hatte sich haltlos gefühlt, er war rastlos über sie hergefallen wie der Sturm über das Meer. Für ihn war es nicht von Bedeutung gewesen, denn sie war nur eins der vielen Meere, in dem er seine Wogen geschlagen hatte aber das Meer war jetzt unruhig. Es bewegte sich weiter, warf riesige Wellen, hatte das Gefühl niemals wieder fähig dazu zu sein, zu Ruhe zu kommen.

Sie lag von außen ganz ruhig da, aber ihre Gedanken zogen sie in einem Strudel unter die Wasseroberfläche zum Meeresboden hin.

Sie lag noch lange dort, bis die Wellen abebbten und eine Ruhe, eine Totenstille hinterließen. Das, was eben noch von lautem Rauschen und ohrenbetäubendem Getöse, von mannshohen Wellen und metertiefen Strudeln gezeichnet gewesen war lag nun brach, war nun ruhig und glatt und kaputt. Nun lernte sie auch die Ruhe nach dem Sturm kennen, und sie verzweifelte. Ihre Gedanken tauchten wieder auf der Wasseroberfläche auf, doch es war zu spät, sie war Tod, ihre Gedanken waren ertrunken. Dennoch lebte sie, lag als stille Hülle am Boden, atmete, ohne lebendig zu sein.

Die Ruhe nach dem Sturm fraß sie auf, denn sie hatte nichts vertrautes, sie war nichts als eine grausame Leere, die der Sturm hinter sich gelassen hatte.

Nun verstand sie das Meer wirklich und von nun an verabscheute sie den Geruch von der Ruhe vor dem Sturm, denn sie hatte das Leid gefühlt, dass das Meer erleben musste.

Josefine

„Wie würdest du eigentlich reagieren, wenn ich dich küsse?“

Allein diese Frage, war im Nachhinein betrachtet schon ein rotes Tuch, aber das merkte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Jane und ich waren seit Jahren beste Freundinnen, welche Intension sollte diese Frage also haben, außer einfachem Interesse. Daher ging ich darauf ein und antwortete:

„Ich fände das, um ehrlich zu sein nicht so toll! Ich finde Freundschaft sollte Freundschaft bleiben und Beziehung, Beziehung!“

„Und, darf ich dich küssen?“ Sie schaute mich frech, aber auch erwartungsvoll an. Hatte ich mich nicht klar genug ausgedrückt? Ich liebte Jane, wirklich, aber einzig auf platonische Art und Weise. Ich fühlte mich auf der Stelle unwohl, rutschte ein kleines Stückchen von Ihr weg, nur symbolhaft, nur um sicher zu gehen. Sie rückte ein Stück näher an mich heran. Ich fühlte mich bedrängt, mein Puls beschleunigte sich, ich spürte wie Unwohlsein in mir aufschwappte. Sie würde mir nichts tun, das war mir klar. Um das zu Wissen kannte ich sie mittlerweile gut genug. Sie war eine gute Seele und ich wusste, dass sie mich gernhatte. Daher würde sie auch nie etwas tun, um mir zu schaden. Davon war ich vollstens überzeugt.

„Ach komm schon! Ich will es doch einfach nur mal ausprobieren, sei‘ doch nicht immer so eine Spielverderberin!“

Ich fing mittlerweile an, mich ernsthaft indisponiert zu fühlen. Ich hatte das Bedürfnis, einfach wegzurennen, egal wohin.

Einfach weg. Ich wollte meine Unsicherheit nicht offen zeigen, weil ich sie nicht verletzen wollte, deswegen versuchte ich schleunigst das Thema zu wechseln. Es funktionierte nicht.

Während ich redete, rutschte sie immer weiter zu mir, kam mir immer näher, bis ich aufstand, und mich auf den Boden setzte. Eigentlich ein eindeutiges Zeichen, aber Jane machte nicht einmal ein Geheimnis daraus, dass es ihr egal war, was ich über ihre ‚Idee‘ dachte. Oder merkte sie es einfach nicht? Ja, das musste es sein, sie merkte es nicht, anders konnte ich mir ihr Verhalten nicht erklären. Sie war zwar sonst nie so schwer von Begriff, dennoch weigerte ich mich dem Gedanken, ihr könnten meine Grenzen egal sein, in meinem Kopf Platz einzuräumen.

Ich wollte dieser Situation irgendwie entkommen, aber wie? Sie einfach zu bitten meine Wohnung zu verlassen, wäre unhöflich gewesen, und ich wollte nicht, dass sie dachte, dass ich ihr misstraute oder etwas in der Art. Sie war meine beste Freundin und ich liebte sie von ganzem Herzen… freundschaftlich. Das letzte, was ich wollte, war sie zu kränken, denn ich wollte auf gar keinen Fall riskieren, was wir hatten. Unsere Freundschaft war mir heilig. Wir waren irgendwie verschieden, aber irgendwie auch gleich und trotzdem eckten wir nicht an… bis auf in Situationen wie diesen.

Mein Plan mit dem Wegsetzen ging nicht ganz auf, denn auch Jane stand auf, und setzte sich direkt vor mir auf den Boden.

Sie ließ so wenig platz, dass sich sogar unsere Knie berührten.

Dann beugte sie sich vor und… Ich streckte meine Hand nach vorne aus und sagte: „Stopp!

Lass das! Ich möchte das nicht!“, so, dass keine Missverständnisse möglich waren. Ich stand auf, und setzte mich einen Meter weiter weg wieder hin. Meine Hände zittern. Ich war mehr oder weniger in der Situation gefangen, hatte keinen Ausweg, wie ein Sträfling im Gefängnis. Jane kam mir hinterher „Ey, Ey, Ey, komm mal runter. Ich tu‘ dir doch nix. Hör mal auf hier Paranoia zu schieben! Was soll schon groß passieren?“

Ich kicherte verlegen, wusste nicht wie ich reagieren sollte. Ich ließ ihr Verhalten sonst unkommentiert, was hätte ich auch sagen sollen, achtete aber bewusst darauf, dass sich unsere Knie dieses Mal nicht berührten, nur zur Sicherheit. Ich wollte meiner besten Freundin um Himmels Willen nichts unterstellen… hätte ich besser, und ich hätte sie besser aus meiner Wohnung gejagt, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt schlecht erahnen.

Dieses Spiel ging ein paar Mal weiter. Ich versuchte mich normal zu unterhalten, sie kam mir näher, ich rutschte weg. Ich war überfordert mit der Situation. Ich hatte Jane als so einen freundlichen, höflichen und rücksichtsvollen Menschen kennengelernt. Ich konnte die Situation zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht begreifen. Im Augenblick saßen wir in etwa in der Mitte meines Wohnzimmers. Es klingelte an der Türe. Endlich! Die Chance für einen kurzen Moment durchzuatmen. Ich stand auf und ging mit den Worten „Sekunde, bin sofort wieder da!“ zur Türe. Ich war erleichtert, dass die Situation gestört worden war. Wer auch immer vor dieser Türe stand, ich war froh. In meiner naiven Vorstellung würde ich gleich einfach ins Wohnzimmer zurückkehren, und alles wäre wieder wie immer. Jane hätte genug von ihren Spielchen, denn mehr war es für sie nicht. Jane war abenteuerlustig, testete gerne ihre Grenzen aus.

Es war mein Nachbar von oben. Mitte Sechzig, ledig, keine Kinder, keine Enkel. Er war ziemlich allein, und suchte gelegentlich jemanden zum Reden, weshalb ich von Zeit zu Zeit mit ihm zu Abend aß. Ich stellte für ihn eine Art Ersatz-Enkelin da.

„Hi, Entschuldigung, dass ich dich so abwürgen muss, aber gerade ist es wirklich schlecht! Ich habe Besuch, weißt du“

„Alles gut! Moment… ist alles in Ordnung bei dir Josefine?“

Allem Anschein nach ließ sich von meinem Gesicht ablesen, wie verwirrt ich war. Ich hörte Jane, wie sie sich im Wohnzimmer bewegte, was hieß, dass sie auch jedes Wort vernehmen konnte, das hier gesprochen wurde.

Ich beschloss den Mund über die Situation zu halten, in der ich mich befand. Moment, was für eine Situation eigentlich? Ich traf mich mit meiner besten Freundin, und sie war eben manchmal ein wenig eigen, na und? Daran sollte ich mich eigentlich längst gewöhnt haben. Alles andere war bloß Spinnerei in meinem Gehirn. Mein Herz weigerte sich zu glauben, dass Jane jemals etwas zu meinem Leidwesen tun würde. Also antwortete ich: „Na klar, ich hoffe bei dir ebenso. Ich habe nur momentan ein wenig Stress in der Uni, und schlafe deshalb wenig!“

„Na dann will ich mal nicht länger stören!“

„Quatsch, du störst doch nicht! Bis die Tage mal“

„Tschüss!“

Ich ging zurück ins Wohnzimmer, wo Jane anscheinend immer noch nicht zur Vernunft zurückgekehrt war, sondern ihr Spiel weiterspielte, als sein wir nie unterbrochen worden.

Irgendwann hatte sie es geschafft, mich in eine Zimmerecke zu treiben. Es war wie beim Schach, ein paar unüberlegte Züge, und man saß in der Falle, so wie ich jetzt. Schachmatt.

Bis zu diesem Punkt hatte ich bereits vierzehn Mal „Nein!“ gesagt, aber sie hatte nicht hören wollen, und mit jedem Mal, hatten meine Worte weniger Nachdruck gehabt, als hätte ich mich bereits gedanklich meinem Schicksal hingegeben.

Sie war schon immer die dominantere von uns beiden gewesen, aber so hatte ich sie noch nie erlebt! Ich hatte nie das Gefühl gehabt, dass sie die Macht, die sie über mich hatte, ausnutzte, und schon gar nicht so extrem. Ich versuchte aufzustehen, sie hielt mich fest. Rechts eine Wand, links eine Wand, vorne sie. Ich saß wie eine Maus in der Falle. Ein letztes Mal nahm ich all meinen Mut zusammen, brachte ein zittriges, letztes „Nein!“ hervor. Dieses Mal war es kein Befehl, keine Feststellung mehr, sondern ein einziges Flehen und Betteln, wie jemand es tat, dem eine Pistole an den Kopf gehalten wurde.

Sie beugte sich über mich, ich versuchte sie mit der Hand aufzuhalten, sie war stärker. Jane lag halb auf mir, ihr Körpergewicht hielt mich am Boden. Es würde passieren, ich musste mich mit dem Gedanken abfinden.

Sie fing an mich zu streicheln, und mir trat Wasser in die Augen. Ihre Hand wanderte runter über meine Brüste, bis sie schließlich anfing über meine Taille zu fahren. Ich dankte dem Schicksal innständig, dass ich mich im letzten Moment doch gegen den Rock und das Ausschnittshirt entschieden hatte.

Ihre Hand arbeitete sich langsam bis zu meinen Hüften vor, wo sie schließlich liegen blieb, und Jane ihre Finger kreisen ließ. Sie küsste meinen Hals, meine Wange, und schlussendlich landeten ihre Lippen auf meinen. Ihre Hand rutschte auf die Innenseite meines Oberschenkels. Meine Panik wurdefalls möglich, noch größer. Ich bekam kaum noch Luft. Mein Herz raste, und mir rannte eine einsame Träne über die Wange. Ich hatte sie nicht mehr zurückhalten können. Ich verspürte ein Ziehen in meinem Bauch. Mein gesamter Körper war angespannt, stand unter Strom. Ich hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, oder eher noch, nur zu fallen, in die Tiefe, am Boden der Schlucht liegen zu bleiben, tot. Mir war schwindelig und eine weitere verfluchte Träne lief mir die Wange hinunter. Ich fiel, und fiel, aber der Boden kam nicht.

Ich schlug nicht auf, sondern fiel immer weiter. Ich wollte das nicht. Ich wollte stark bleiben, mir nicht die Blöße geben zu weinen, meine Würde bewahren. Ihre Zunge war in meinem Mund, ich konnte sie ohne es zu wollen, schmecken. Es fühlte sich schrecklich an, und die Minuten, die wie Stunden zu vergehen schienen, zerrissen mich in meinem Innersten. Es tötete mich nicht, aber ich fühlte, wie in mir etwas abstarb. Innerhalb kürzester Zeit verkümmerte etwas in mir, wie eine Pflanze, der man das Wasser vorenthielt.

Sie nahm das Bein, mit dem sie mich zu Boden gedrückt hatte von mir, und auch unsere Lippen trennten sich langsam wieder voneinander. Als ich mich aufsetzte, verstärkte sich mein Schwindel. „Wie fandest du es?“, wollte Jane wissen. Das Ziehen in meinem Bauch verwandelte sich in Übelkeit.

Ich sagte nichts, konnte es nicht.

Die Stille wurde durch ein Handyklingeln durchtrennt. Jane stand auf und meldete sich, bevor sie das Zimmer in Richtung Flur verließ, um zu telefonieren. Ich sank wie ein Häufchen Elend in mich zusammen, hatte keinerlei Körperspannung mehr. Nach ungefähr zwei Minuten kehrte sie zurück.

Meine Haltung straffte sich, ich wollte vor ihr nicht zeigen, wie schwach ich mich gerade wirklich fühlte.

„Sorry, ich muss jetzt leider los!“ Mir fiel ein Stein vom Herzen, doch was sie hinzufügte, machte mir wahrhaftig Angst: „…aber beim nächsten Mal, machen wir weiter“

Jane

Immer musste Soleil zu den falschen Zeiten anrufen. Es hätte noch so viel mehr passieren können, aber nein, immer musste sie mir die Tour vermasseln. Wer glaubte sie eigentlich wer sie war. Ich liebte sie schon lange nicht mehr so wie am Anfang.

Um genau zu sein nervte sie mich nur noch, ihre immer fröhliche, energetische Art war mittlerweile kaum noch auszuhalten. Am Anfang war ich darauf noch total abgefahren, aber mittlerweile war es einfach nur noch unerträglich. Außerdem fand ich sie nicht einmal mehr körperlich attraktiv, nicht mehr, seitdem sie sich dieses riesige Mandala Tattoo an der Schulter hatte stechen lassen. Sie hatte sich das Design über Monate selbst zusammengestellt, und ich hatte ihr immer wieder davon abgeraten es stechen zu lassen. Doch sie hatte nur abgewinkt, hatte gesagt, dass ihre Kunst ein Ausdruck ihrer Persönlichkeit sei. Das klang gefährlich nach etwas, was auch Josefine von sich geben würde. Jedoch war der Unterschied, dass ich Josefine liebte. Ich mochte Soleil nicht mehr, aber mit ihr Schluss zu machen wäre hochgradig dämlich, wenn man in Betracht zog, dass sie die Tochter meines Professors war.

Also hatte ich beschlossen hinter ihrem Rücken etwas mit anderen Frauen, die ich wirklich heiß fand, anzufangen und sie, soweit es ging, nur noch wie eine Freundin zu behandeln.

Und mit „Frauen“ meinte ich Josefine.

Soleil

Hatte ich etwas falsch gemacht? Jane hatte am Telefon ziemlich unerfreut über meinen Anruf gewirkt. Ich hatte sofort gefragt, ob alles in Ordnung war, aber das hatte sie bejaht. Ich wurde in letzter Zeit nicht mehr schlau aus ihr. Es hatte sich irgendetwas zwischen uns verändert, doch wusste ich nicht, was es war. Jane war nicht mehr so liebevoll wie am Anfang, und irgendwie ließen sie auch all meine Versuche, unsere Beziehung aufzufrischen kalt. Ich fühlte mich ziemlich allein, hatte das Gefühl, dass sie mich mied. Sie wollte nicht einmal mehr meine Hand nehmen, wenn wir gemeinsam unterwegs waren. Ich hatte schon mehrfach versucht, das Problem anzusprechen, weil ich fand, dass Kommunikation in einer Beziehung immer das Wichtigste war, aber sie hatte immer schnell das Thema gewechselt, wenn ich meine Bedenken zur Sprache brachte.

Josefine

Als ich die Türe hinter Jane ins Schloss fallen hörte, atmete ich auf. Ich ließ das Zittern, das ich bis gerade mit aller Kraft unterdrückt hatte, nun endlich zu. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Meine Finger wurden starr und eiskalt. Mein Herz klopfte mindestes dreimal schneller, als es gesund gewesen wäre. Ich zitterte, aber trotzdem trat mir Schweiß auf die Stirn, plötzlich fiel es mir schwer zu atmen. Mein Brustkorb war wie zugeschnürt und meine Lunge fühlte sich an, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir. Ich keuchte. Alles in mir zog sich so weit zusammen, dass es wehtat. Mein seelischer Schmerz war so stark, dass ich ihn körperlich spüren konnte.

Ich wollte schreien. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, kämpfte um Atem, holte rasselnd Luft. Ich öffnete meinen Mund, doch es kam kein Ton hinaus, stumm schrie ich vor Leid, ohne dass es irgendjemand mitbekam.

Auf einmal war es, als wären all meine Gefühle, all der Schmerz durch meinen offenen Mund aus mir hinausgetreten. Es fühlte sich so an, als sei mit einem Schlag all meine Menschlichkeit wie weggeblasen. Als wäre mein Dasein nicht mehr als eine leblose, halb am Boden liegende, gefühllose Hülle. Ich fühlte rein gar nichts mehr. Ich wollte weinen, schaffte es aber nicht. Mein Körper hatte seine gesamte Funktion eingestellt. Einzig und allein die Qual des Atmens blieb mir noch. Ich war zu einem Stein am Grunde des Sees geworden, kalt, hart und starr… abgestumpft, völlig frei von jeglichen Empfindungen. Ich fühlte mich lebendig tot, kaum noch im Stande irgendetwas zu tun.

Ich zog mich unter größtem Kraftaufwand an der Wand hoch. Während ich in Richtung meines Badezimmers wankte, musste ich mich an sämtlichen Möbelstücken festklammern, um nicht wieder am Boden zu landen, denn die Kraft, mich noch ein weiteres Mal hochzuhieven hatte ich nicht. Dem