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"Im Traum flüstert Gott in unser Ohr." In den Herzogenrather Predigten zur Passionszeit 2022 über sieben biblische Träume fällt auf, wie sehr Gewalterfahrungen und Rechtsverletzungen Ausgangspunkt vieler Träume sind. Aber die biblischen Träume enthalten auch Hoffnungsbilder und Wegweisung.
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Seitenzahl: 84
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Im Traum flüstert Gott in unser Ohr.
Vorwort
1 Der erste Traum: eine Warnung (Genesis 20, 1-7)
2 Die Himmelsleiter (Genesis 28, 10-22)
3 Ein hörendes Herz (1. Könige 3, 3-15)
4 Der gefällte Baum (Daniel 4, 7-24)
5 Steh auf! (Matthäus 2, 13-23)
Gastbeitrag: Der Traumdeuter
6 Ein Albtraum (Matthäus 27, 19)
Rezension: Die Frau des Pilatus
7 Eine Gestalt erscheint (Apostelgeschichte 16, 6-10)
Literaturverzeichnis
Für den Philosophen Ernst Bloch (1885-1977) und seine Philosophie der Hoffnung war der Wach- und Tagtraum elementar. Im Wachtraum antizipieren die Träumenden Bilder von einer Welt, die noch nicht vorhanden ist. Der Wachtraum weist in die Zukunft und lässt den Traum von einer besseren Welt vorstellbar werden.
Heute, im Mai 2022, während ich diese Zeilen schreibe, tobt immer noch der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Täglich sterben Menschen, werden Häuser und Landschaften verwüstet. Der Westen stellt sich entschieden auf die Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer. Er ist sehr damit beschäftigt, mit immer schärferen Sanktionen Russland wirtschaftlich unter Druck zu setzen und zu isolieren. Doch nicht nur wirtschaftliche Sanktionen prägen die Reaktion auf den Bruch des Völkerrechts durch Russland, auch die militärische Unterstützung der Ukraine für ihren Abwehrkampf wird immer weiter forciert. Es ist wie in einem bösen Traum. Die Gewalt eskaliert. Es fehlt die Vorstellung, es fehlen die Bilder dafür, wie der Albtraum eine Wendung zum Guten findet. Wenn aber diese Bilder fehlen und der Wachtraum von Frieden fehlt, wird daran auch nicht gearbeitet. Wer nicht an die Überwindung von Krieg und Konflikten glaubt, der setzt sich auch nicht dafür ein.
In den diesjährigen Predigten über die sieben biblischen Träume ist uns aufgefallen, wie sehr Gewalterfahrungen und Rechtsverletzungen Ausgangspunkt vieler Träume sind. Aber die biblischen Träume enthalten auch Hoffnungsbilder und Wegweisung.
Jochen Remy erzählt davon, wie Abraham auf der Reise durch fremdes Gebiet in Gera seine Frau Sarah König Abimelech für seinen Harem überlässt. In dem ersten Traum, den die Bibel aufbewahrt hat, entdeckt Jochen Remy das Schicksal vieler Migrantinnen bis heute. Sie werden schnell zum Spielball männlich sexualisierter Gewalt. Im Traum warnt Gott Abimelech, Sarah zu berühren. Damit rettet Gott Sarah, Abimelech und bleibt seiner Verheißung an Abraham und Sarah – trotz des Fehlverhaltens Abrahams – treu.
Den bekannten Traum Jakobs von der Himmelsleiter entfaltet Dr. Dirk Puder. Er bemerkt, die Leiter kommt aus dem unendlichen Himmel, setzt aber auf der Erde auf. Der sich auf der Flucht vor seinem Bruder Esau befindende Jakob erlebt in der Nacht seiner Einsamkeit und Angst im Schlaf eine Begegnung mit den himmlischen Mächten. Die aufsteigenden Engel sind tröstlich, da sie Jakobs Schicksal Stufe für Stufe gen Himmel tragen und Jakob beim Hinabsteigen Gottes Segen und Verheißung zutragen.
In der Regel wünschen wir uns oder anderen Gesundheit, wenn ein neuer Lebensabschnitt anfängt. König Salomo wünscht sich in einem Traum, in dem er einen Wunsch frei hat, ein hörendes Herz von Gott. Renate Fischer-Bausch führt aus, dass im Hebräischen „das Herz der Sitz des Verstandes, der Ort der Erinnerung, der Entscheidung, der Klärung“ ist, „hier wohnen Gewissen und Faktenwissen, hier wohnt inne die Fähigkeit zu lieben!“ Sie fragt nach Herzensbildung im Hören auf Gottes Weisung.
Dr. Britta Schwering hat sich den Traum Nebukadnezars vom gefällten Baum aus dem Daniel-Buch vorgenommen. Der Traum betont, dass allein Gott die Macht hat, dass alle Herrscher auf Erden nur eine von Gott geliehene Macht haben. Daniel deutet Nebukadnezars Traum, dass er von seinem Unrecht lassen soll, nur dann wird die Axt nicht an den Baum gelegt. Die Parallelen zum Angriffskrieg der russischen Führung sprechen Bände, aber Schwering fragt in der Passionszeit auch danach, wo wir umkehren und die Sünde hinter uns lassen sollen.
In seiner Predigt geht Frank Ungerathen auf den Traum Josephs und die Herrscherträume des Herodes ein und setzt beide zueinander in Beziehung. Der Herrscher versucht mit der Tötung der Neugeborenen einen neuen König zu eliminieren. Bis heute ist das Töten von Kindern grausame Realität in Kriegen. Es gilt, den Schmerz der unter Gewalt Leidenden zu sehen und ihnen beizustehen. Für Glaubende ist das Holz des Kreuzes dasselbe wie das Holz der Krippe. Aber es gibt immer wieder Rettung durch das Eingreifen Gottes. Ein Bote Gottes sagt Joseph im Traum: Steh auf, nimm das Kind, Maria, und flieh nach Ägypten.
Den Gastbeitrag zu diesem Buch liefert der Theologe und Philosoph Dr. phil. Dr. theol. Paul Imhof. Er lädt ein, den Zimmermann Josef nicht in erster Linie als Handwerker zu sehen, sondern ihn in seiner Rolle als Traumdeuter fruchtbar zu machen, denn der „verstehende Umgang mit Träumen und Bildern, mit Deutungen und Überraschungen“ ist ein „unverzichtbarer Bestandteil spiritueller und psychologischer Praxis.“
Zwar erwähnt das Matthäusevangelium nur in einem Vers der Passionsgeschichte den Warntraum der Frau des Pilatus, aber inhaltlich erfährt der Leser von diesem Traum – dem einzigen einer Frau in den biblischen Schriften! – nichts. Joachim Leberecht bedient sich fiktiver Literatur (Selma Lagerlöf u. Gertrud le Fort) um den Albtraum lebendig werden zu lassen. Die Frage nach der Friedensbotschaft Jesu und eine Erinnerung daran, dass viele Christen in den ersten Jahrhunderten den Dienst an der Waffe verweigerten und dies mit dem Leben bezahlten, kann auch heute in Fragen nach Gewalt und Krieg unser Gewissen schärfen.
In das dritte neutestamentliche Traumbild taucht Erhard Lay ein. Zunächst geht er auf die welthistorische Bedeutung ein, dass Paulus auf den Ruf der Gestalt in seiner Traumvision gehört hat, seine Missionsreise in Europa fortzusetzen. Auch wir sind heute immer noch Teil dieser Wirkungsgeschichte. Ist mit dem Traum ein hoffnungsvoller Anfang verbunden, leben wir gegenwärtigen europäischen Christen geradezu traumlos.
Gott stellt sich aber auch uns wie einst Paulus in den Weg, nicht müde zu werden, sondern den Auftrag das Reich Gottes zu verkünden, wie es im Missionsbefehl nach Matthäus heißt.
Joachim Leberecht
Liebe Gemeinde,
für viele Menschen ist der Begriff „Traum“ positiv besetzt. Wir denken an einen weißen, von Palmen gesäumten Sandstrand unter einem strahlend blauen Himmel, können förmlich das sanfte Rauschen der Wellen hören und denken dabei: Traumurlaub.
Wir haben das Bild einer alten Villa vor Augen, mitten in einem großen und herrlich angelegten Garten und denken dabei: Traumhaus.
Wir sehen uns im Trikot unseres Lieblingsfußballvereins, von den Mitspielern und der Menschenmenge gefeiert, weil wir das entscheidende Tor im Pokalfinale geschossen haben – ein Lebenstraum würde wahr.
Andere denken jetzt vielleicht an eine Traumhochzeit mit einem fleischgewordenen Traumprinzen oder träumen von Kindern oder Enkelkindern, die sich vielleicht noch nicht eingestellt haben.
Aber neben solch individuellen Träumen gibt es auch solche, die sich auf alle Menschen beziehen.
Sicherlich träumen gerade jetzt in Kriegszeiten zwischen Russland und der Ukraine viele Menschen von einer Welt in Frieden.
Von einer Welt, in der die Menschen im positiven Sinne aufeinander achtgeben, sich gegenseitig helfen und stützen und in der es keine Rolle mehr spielt, welche Hautfarbe ich habe oder welches Geschlecht oder welche Religion.
Auch in der Bibel finden wir solche Visionen einer perfekten Welt.
Ja, der Begriff „Traum“ ist zumeist positiv besetzt.
Aber manche Menschen wachen auch schweißgebadet in der Nacht auf, weil sie im Traum Dramatisches erlebt haben. Manch einer durchlebt und durchleidet dabei immer wieder den gleichen Albtraum. Manchmal wissen oder ahnen wir, warum uns diese Dämonen heimsuchen, manchmal tappen wir auch völlig im Dunkeln. Ein Albtraum ist quasi der Wolf im Schlafpelz.
Und wenn es ganz übel läuft, dann entwickeln wir vor diesem inneren Ungeheuer eine solche Furcht, dass die Angst uns schon vor dem Einschlafen ergreift.
Träume können also sehr ambivalent sein.
Aber allein mit positiven und negativen Träumen ist noch nicht das ganze Spektrum möglicher Träume erfasst.
Der erste Traum, von dem in der Bibel berichtet wird, handelt von König Abimelech. Dieser erhält im Traum von Gott eine warnende Botschaft, die sein weiteres Handeln verändert. Ein Traum als Offenbarungsraum Gottes.
201Abraham brach von dort in den Süden des Landes auf. Er ließ sich zuerst zwischen Kadesch und Schur nieder, dann wohnte er als Fremder in Gerar.
2Seine Frau Sara gab er als seine Schwester aus. Abimelech, der König von Gerar, ließ Sara holen und nahm sie zur Frau.
3In der Nacht kam Gott im Traum zu Abimelech und sagte: »Du musst sterben, weil du dir diese Frau genommen hast. Denn sie ist mit einem anderen Mann verheiratet.«
4Doch Abimelech hatte Sara noch nicht berührt. Deshalb erwiderte er: »Herr, willst du wirklich Unschuldige töten?
5Abraham hat doch zu mir gesagt:› Sie ist meine Schwester.‹ Auch sie selbst hat gesagt: ›Er ist mein Bruder.‹ In gutem Glauben und mit reinen Händen habe ich das getan.«
6Daraufhin sagte Gott im Traum zu ihm :»Ich weiß, dass du in gutem Glauben gehandelt hast. Ich selbst habe dich davor bewahrt, vor mir schuldig zu werden. Deshalb habe ich nicht zugelassen, dass du mit ihr schläfst.
7Doch jetzt musst du dem Mann seine Frau zurückgeben. Denn er ist ein Prophet. Er wird für dich beten, sodass du am Leben bleibst. Wenn du sie aber nicht zurückgibst, wirst du ganz bestimmt sterben –und mit dir alle, die zu dir gehören.«
Genesis 20, 1-7, Basisbibel
Abimelech hat Sarah zu sich in seinen Harem holen lassen, als diese mit ihrem Mann Abraham in das Herrschaftsgebiet des Königs gezogen war. Abraham hat Sarah Abimelech überlassen, vermutlich war seine Angst vor den Männern des Königs zu groß. Er hat dabei Sarah nicht als seine Ehefrau zu erkennen gegeben, sondern als seine Schwester ausgegeben.
Ohne Frage hat er dabei versagt, seine Frau vor dem Zugriff des fremden Königs zu schützen.
Hier spiegelt sich vermutlich eine Erfahrung wider, die Migrantinnen oftmals auch heute noch machen müssen. Schutzlos und rechtelos werden sie schnell zum Spielball männlicher sexualisierter Gewalt. Auch hier in Herzogenrath leben vermutlich Frauen, die auf ihrer Flucht vielfach traumatisierende Erfahrungen machen mussten.
Manche konnten von Familienangehörigen nicht geschützt werden, andere müssen vielleicht ihre schlimmen Erlebnisse selbst vor ihren Familien verheimlichen, weil ein pervertierter Ehrbegriff ansonsten neues Unheil über diese gebeutelten Frauen ausschütten würde.
In unserem Bibeltext hatte Sarah mehr Glück. Obwohl sie schon Teil des Harems von Abimelech war, musste sie noch nicht mit ihm schlafen.