90-60-90 tot - Lisa Gallauner - E-Book

90-60-90 tot E-Book

Lisa Gallauner

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Beschreibung

"Mein Po ist immer noch zu fett. Und diese Oberschenkel - einfach widerlich."Mit eiserner Disziplin, Hungern, Training und Lügen unterzieht sich die zarte, bildhübsche Lena einer monatelangen "Schlankheitskur", um ihre Traummaße 90-60-90 zu erreichen. Endlich wird sie auch von Jessica, dem coolsten und angesagtesten Mädchen der Schule, akzeptiert. Jessica und ihre Clique träumen von einer Modelkarriere, von Kleidergröße 34 und einem Gewicht von 35 kg. Erst als eine Katastrophe passiert, kommt Lena zur Besinnung. "Du siehst schlecht aus", war das schönste Kompliment das man ihr machen konnte. Das hieß, dass sie dünn war.

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90-60-90 tot

von Lisa Gallauner

1. digitale Auflage, 2014

www.ggverlag.at

ISBN E-Book 978-3-7074-1706-7

ISBN Print 978-3-7074-1588-9

In der aktuell gültigen Rechtschreibung.

Coverillustration: Claudia Engelen

Lektorat: Birgit Retzny

© 2013 G&G Verlagsgesellschaft mbH, Wien

Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt

90-60-90

Kleidergröße 34

Magersüchtig? Ich doch nicht!

Rückblende – Der Stein des Anstoßes

Brainstorming

Rückblende – Das perfekte Kind

Abführmittel und Appetitzügler

Freundschaft

Rückblende – Angst und Druck

Streit

Bulimie

Ich bin nicht krank!

Schock

Rückblende – Eine harmonische Ehe

40 kg

Schuldgefühle und Panik

Hoffnung

Rückblende – Freundinnen für immer

Null Einsicht

Lügen und Drohungen

Besuch im Krankenhaus

Kalt

Horror

Ein schwarzer Tag der Erleuchtung

Epilog

90-60-90

Ein Apfel – zirka fünfzig Kalorien, ein Becher fettarmes Fruchtjoghurt – zirka siebzig Kalorien, zwei Liter Mineralwasser – null Kalorien. Bis jetzt hatte sie sich heute echt gut gehalten. Doch nun kam der schwierigste Teil des Tages, das gemeinsame Mittagessen mit der Familie.

Ihre Mutter würde wieder von ihr verlangen, dass sie mehr aß, als nötig war. Überflüssige, leere Kalorien – ungesundes Fett, Kohlenhydrate, die sie nur dick machten.

Jedes Essen mit der Familie war ein Kampf. Aber sie würde ihn gewinnen. Keiner konnte sie zwingen, etwas zu essen, was sie nicht essen wollte. Sollten sich die anderen doch gehen lassen, sollten die anderen doch fett werden, sie war stark. Sie würde all den ungesunden Versuchungen standhalten. „Ich bin stark!“

Langsam drehte sich Lena vor dem großen, hohen Spiegel in ihrem Zimmer um die eigene Achse und inspizierte kritisch jeden Millimeter ihres Körpers. Sie war nicht zufrieden mit dem, was sie sah.

„Mein Po ist immer noch zu fett. Und diese Oberschenkel, einfach widerlich!“

Bei fast 1,70 m Körpergröße wog Lena momentan 55 kg. Sie war gertenschlank, eigentlich schon eher dünn, doch das sah sie nicht. Sie sah nicht, was ihr der Spiegel wirklich zeigte, sondern ein verzerrtes, dickeres Bild von sich selbst, ein Bild, das in ihrem Kopf entstand und das sie für die Realität hielt.

„Lena, Essen ist fertig!“, rief Mama in diesem Moment von unten.

Oje, Essen.

„Na dann, auf in den Kampf! Ich bin stark!“, flüsterte Lena ihrem Spiegelbild zu. Dann verließ sie das Zimmer, um in die Küche zu gehen, wo Mama und Dominik bereits auf sie warteten.

„Igitt, Fleisch! Du weißt doch, dass ich so was nicht esse. Gibt’s kein Gemüse?“, Lena warf ihrer Mutter Doris einen vorwurfsvollen Blick zu. Die musste damit kämpfen, nicht schon am Beginn des Mittagessens die Nerven zu verlieren. Essen und Lena – das war, seit Lena diese unselige Diät begonnen hatte, ein ständiger, aufreibender Kampf. Ein Kampf, den sie nicht gewinnen konnte. Lena war sechzehn, schon lange konnte sie ihre Tochter nicht mehr dazu zwingen, etwas zu essen, was sie nicht essen wollte. Verbote, Diskussionen, gutes Zureden – nichts half.

Lena hatte ihren eigenen Kopf, wenn es ums Essen ging. Doris Lenngäuer zuckte mit den Schultern: „Dann lässt du das Fleisch eben stehen. Aber ein paar Nudeln und Salat kannst du wenigstens essen.“

Lena erschauderte. Nudeln, das bedeutete Kohlenhydrate, und weil Mama keine Vollkornnudeln kochte, auch noch leere, sinnlose Kohlenhydrate, die sie nur fett machten. Nein, die würde sie sicher nicht essen.

„Danke, Salat reicht mir. Ich hab keinen Hunger.“

Das war gelogen. Lena hatte eigentlich den ganzen Tag Hunger. Sie dachte auch ständig ans Essen, aber das hieß nicht, dass sie nachgeben würde. Sie würde stark bleiben. Doris Lenngäuer bemühte sich, ruhig zu bleiben. Stirnrunzelnd sah sie zu, wie sich Lena einen Berg grünen Salat auf den Teller schaufelte.

„Schatz, du musst etwas essen! Nur grüner Salat, das ist doch keine anständige Mahlzeit. Du siehst ja schon ganz schlecht aus.“

Lenas Herz machte einen Freudensprung.

„Du siehst schlecht aus“, war das schönste Kompliment, das man ihr machen konnte. Das hieß, dass sie dünn war. „Ich hab wirklich keinen Hunger, Mama. Ich hab mir in der Schule eine Käsesemmel gekauft.“

Schon wieder eine Lüge. Im Kampf um die perfekte Figur war Lena jedes Mittel recht.

Doris Lenngäuer zuckte erneut resigniert mit den Schultern. Sie würde am Abend einen Topf Gemüse in Rahmsoße kochen. Dann würde Lena schon etwas essen.

„Also ich finde es super, dass Lena kein Fleisch mag.

Dann bleibt mehr für mich übrig“, meinte Dominik, Lenas kleiner Bruder, schmatzend, während er nach seinem dritten Schnitzel griff.

Lena beobachtete ihn neidisch. Es war so ungerecht!

Der Zwerg konnte essen, was er wollte, und wurde einfach nicht dicker. Als Mädchen hatte man es viel schwerer.

Aber sie war stark. Der Hunger machte ihr nichts aus.

Hauptsache, sie nahm weiter ab.

90-60-90: Das war ihr einziges Ziel.

Kleidergröße 34

Drei Monate später

„Hi, Lena! Wow, du siehst ja toll aus! Hast du abgenommen?“ Lena konnte es nicht glauben. Jessica, eines der coolsten und beliebtesten Mädchen an ihrer Schule, hatte sie tatsächlich angesprochen.

„Sag mal, hast du Lust morgen mit mir und meinen Freundinnen nach der Schule shoppen zu gehen?

Wir wollen uns ein paar neue Klamotten kaufen.“

Ob sie Lust hatte? Lust, mit der angesagtesten Clique von allen gesehen zu werden? Was für eine Frage!

Lena lief rot an und stammelte nervös: „A … aber klar! Super!“

Jessica nickte lächelnd: „Cool! Dann bis morgen!“

„Bis morgen!“

Lena konnte ihr Glück nicht fassen. Bis vor Kurzem war sie noch das unauffällige, brave Mädchen mit den guten Noten gewesen, das keiner so recht wahrgenommen hatte und das gehänselt worden war, aber seit sie ihre Diät begonnen hatte, lief alles toll. Mittlerweile passte sie locker in Kleidergröße 36. Zufrieden war sie zwar noch nicht mit sich – Kleidergröße 34 war ihr Wunschziel –, aber immerhin hatte sie sich nun schon auf 50 kg herunter gehungert. Von den Meckereien ihrer Eltern und dem ständigen Hungergefühl einmal abgesehen, hatte sich ihr Leben dadurch absolut verbessert. In der Schule bekam sie immer wieder Komplimente für ihre tolle Figur, wurde gefragt, ob sie abgenommen hatte. Und nun würde sie sogar mit Jessica und ihrer Clique shoppen gehen! Wahnsinn!!!

Jessica ging in Lenas Klasse. Sie war bildhübsch und megaschlank. Sie war eines von Lenas Vorbildern.

Seit Jessica bei einem lokalen Modelcasting gewonnen hatte, bekam sie immer wieder Aufträge für Fotoshootings und auch bei einigen Modenschauen war sie schon mitgelaufen. Wenn sie so weitermachte, würde sie sicher mal ein echtes Topmodel werden.

Ihre Freundinnen wählte Jessica nach strengen Kriterien aus, das wusste jeder. Nur die hübschesten und schlanksten Mädchen gehörten zu ihrem Freundeskreis. Was natürlich zur Folge hatte, dass die coolsten Jungs auf Jessica und ihre Freundinnen abfuhren. Wer es in Jessicas Clique schaffte, war angesagt.

Und nun hatte Jessica sie angesprochen! Das war unglaublich! Gedankenverloren griff Lena nach einem Stück Apfel. Dann dachte sie an die Verabredung mit Jessica und legte den Apfel wieder weg. Kleidergröße 34 war mehr wert, als dieser kurze Genuss. Das bisschen Hunger würde sie schon aushalten. Sie war schließlich stark.

Lena konnte es gar nicht erwarten, nach Hause zu kommen. Nach dem tollen Erlebnis mit Jessica während der großen Pause hatte ihre Glückssträhne weiter angedauert. Als sie in die Küche stürmte und ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange drückte, ignorierte sie den Essensgeruch so gut es ging. „Hallo, Mama. Wir haben heute die Französisch-Schularbeit zurückbekommen. Ich hab den einzigen Einser geschrieben.“

Doris Lenngäuer, die gerade in einem Topf rührte, sah kurz auf. „Gratuliere, mein Schatz. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich nichts anderes erwartet. Du schaffst es noch, die siebente Klasse mit lauter Sehr gut abzuschließen. Von wem du diesen Ehrgeiz wohl hast?“

In diesem Moment betrat Lenas Vater, Dieter Lenngäuer, die Küche.

„Also von mir mit Sicherheit nicht. Ich wäre in der siebenten Klasse schon froh gewesen, wenn ich einen Einser ergattert hätte. Was die Schule angeht, kommst du also ganz nach deiner Mutter.“

Lena wusste, dass Mama – wie sie selbst – immer eine Vorzugsschülerin gewesen war, während Papa die Schule nicht so wichtig genommen hatte. Trotzdem war aus beiden etwas geworden. Mama war Staatsanwältin und Papa ein erfolgreicher Journalist.

„Die Spaghetti sind gleich fertig. Du kannst dich noch rasch umziehen, Lena. Dann essen wir. Gibst du bitte Nicki Bescheid? Er ist oben in seinem Zimmer.“

Lena nickte stumm. Mit einem Schlag war ihre gute Laune wie weggeblasen. Spaghetti! Die hatte sie früher so gerne gegessen! Aber jetzt waren sie absolut tabu. Vor allem Mamas köstliche Sauce Bolognese war eine einzige Kalorienfalle: Sie enthielt Faschiertes, Zucker und Ketchup – also viel zu viel ungesundes und kalorienreiches Zeug.

Wenn sie ihr ehemaliges Lieblingsessen verweigerte, würde es sicher wieder Streit geben. Aber gerade jetzt, so kurz vor dem Treffen mit Jessica und ihrer Clique, durfte sie sich keinen Ausrutscher erlauben. Sie musste sich beim Essen zusammenreißen. Oder sie verlängerte ihre tägliche Fitnesseinheit. Auf den Stepper musste sie heute sowieso noch. Wenn sie eine halbe Stunde länger trainierte als sonst, konnte sie vielleicht ein paar Nudeln essen. Aber was, wenn sie dann wieder auf den Geschmack kam? Was, wenn sie sich danach nicht mehr unter Kontrolle haben und wieder zunehmen würde? Eines war klar: Ihre alte Figur wollte sie auf keinen Fall mehr zurück. Kleidergröße 38 wollte sie nie wieder tragen. Da nahm sie lieber einen weiteren Streit mit Mama und Papa in Kauf.

Magersüchtig? Ich doch nicht!

„Oh, ich verpasse meine Lieblingssoap! Ich esse den Rest in meinem Zimmer auf, okay, Mama?“ Lena hatte es nicht geschafft, an diesem tollen Tag einen Streit vom Zaun zu brechen, und einige Bissen Nudeln mit Soße gegessen.

Nun musste sie die Reste auf ihrem Teller so schnell es ging unbemerkt loswerden, bevor sie noch der Versuchung nachgeben und alles aufessen würde.

Ihre Mutter runzelte die Stirn. „Eigentlich habe ich es lieber, wenn ihr bis zum Ende des Essens bei Tisch bleibt, aber wenn es so wichtig ist, darfst du oben fertigessen.“ Rasch sprang Lena auf. Den Teller in den Händen, rannte sie die Stiegen zu ihrem Zimmer hinauf.

Wie viele Gabeln hatte sie gehabt? Neun oder zehn? Wie viel Gramm konnten das etwa gewesen sein? Fünfzig? Oder gar mehr? Soße hatte sie auch gegessen. War sie denn verrückt?! Sie hatte gerade mindestens fünfhundert überflüssige und ungesunde Kalorien in sich hineingestopft – und das so kurz vor dem Treffen mit Jessy! Was war nur in sie gefahren?! Panisch schaltete sie den Fernseher ein, um danach sofort auf dem Stepper loszulegen. Nach einer halben Stunde fiel ihr Blick plötzlich auf den Teller, den sie auf dem Schreibtisch abgestellt hatte. Sofort begann ihr Magen zu knurren.

Sie musste etwas tun! Zweihundertfünfzig Kalorien hatte sie bis jetzt verbraucht, also musste sie mindestens noch eine halbe Stunde trainieren – und das alles nur wegen dieser blöden Spaghetti. Sie musste das Zeug sofort loswerden! Lena stieg vom Stepper, wobei ihr kurz schwindlig wurde, schnappte den Teller mit den mittlerweile eiskalten und ein wenig eingetrockneten Spaghetti und schlich leise zur Zimmertür. Vorsichtig öffnete sie diese, sah sich kurz um und lief dann auf Zehenspitzen zum Bad, um die verführerischen Kalorien im Klo zu versenken.

Lena starrte auf die in der Klomuschel schwimmenden Spaghetti und wollte eben die Spülung betätigen, als sie hinter sich ein Räuspern hörte. Mit knallrotem Gesicht drehte sie sich zu ihrem Vater um, der sie zornig und entsetzt zugleich ansah.

„Kannst du mir bitte erklären, was du hier tust, Lena?! Sieht so für dich Aufessen aus?! Ich glaube, es ist Zeit, dass wir einmal ein ernstes Wörtchen miteinander reden!“