A New Season. My London Dream - My-London-Series, Band 2 - Marnie Schaefers - E-Book

A New Season. My London Dream - My-London-Series, Band 2 E-Book

Marnie Schaefers

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Beschreibung

With you, I can be the true me. Der Blumenladen im Londoner East End ist Vincents liebster Zufluchtsort. Denn er hütet ein Geheimnis: Er ist ein Mann, im Körper einer Frau geboren, aber jeder sieht in ihm nur Victoria. Als er in Männerkleidung auf Tracey trifft, stellt er sich zum ersten Mal als Vincent vor. Von Anfang an ist Tracey von dem jungen Mann fasziniert, doch sie ahnt nichts von seinem inneren Konflikt. Es ist eine Begegnung, die ihr beider Leben komplett verändert ...

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Originalausgabe Als Ravensburger E-Book erschienen 2021 Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Verlag © 2021 Ravensburger Verlag GmbH,Postfach 2460, D-88194 Ravensburg Text © 2021 Marnie Schaefers Cover- und Innengestaltung unter Verwendung von Fotos von © wacomka / Shutterstock und Nadya_Art / Shutterstock Lektorat: Franziska Jaekel Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH

ISBN 978-3-473-47199-7

www.ravensburger.de

PROLOG

Victoria

ZWEIEINHALB JAHRE ZUVOR

Nur noch ein Jahr, dann muss ich dieses Gebäude nie wieder betreten. Mit diesem Gedanken bin ich heute Morgen aufgestanden, und er begleitet mich auch, als ich die Sporthalle an diesem Oktobertag nach der letzten Unterrichtsstunde verlasse. Sanfter Nieselregen empfängt mich, wie er nicht charakteristischer für England sein könnte. Im Grunde begleitet er mich ständig. Der Gedanke. Obwohl ich mir bewusst bin, dass das Problem eigentlich woanders liegt.

Mit dem Rucksack über der Schulter gehe ich den Bürgersteig entlang in Richtung Bushaltestelle und versuche, meine Mitschülerinnen und Mitschüler zu ignorieren, die in Gruppen zusammenstehen und sich noch gar nicht trennen möchten, obwohl sie sich in wenigen Stunden wiedersehen werden, um das Wochenende einzuläuten.

An guten Tagen ist es, als hätte ich zu Beginn der Secondary School bloß dummerweise den Anschluss verpasst und würde seitdem immer etwas hinterherhinken. An schlechten Tagen frage ich mich ernsthaft, ob es nicht doch wahr ist, was die anderen über mich sagen. Womöglich stimmt tatsächlich etwas nicht mit mir.

Ich beschleunige meine Schritte, kann es kaum erwarten, mein Ziel zu erreichen. Schon den ganzen Tag hat es mich aus dem Klassenzimmer heraus gedanklich in den Blumenladen von Agatha gezogen, und nun dauert es nicht mehr lange, bis ich dort bin. Nirgendwo sonst fühle ich mich so geborgen wie an meinem absoluten Lieblingsort. Der feuchte, erdige Geruch, der hier draußen in der Luft hängt, erinnert mich an all die Stunden, die ich dort bereits verbracht habe. Fehlt nur der Hauch von Grünschnitt darunter.

Jemand ruft meinen Namen.

»Warte!«

Etwas widerwillig bleibe ich stehen und drehe mich nach der Stimme um.

Das Mädchen, das zu mir aufschließt, ist außer Atem. »Gut, dass ich dich noch erwische.«

Obwohl Elle mir mit ihren langen blonden Haaren, den graublauen Augen und dem schmalen Gesicht ziemlich ähnlich sieht, macht die Schuluniform, die wir beide tragen, an ihr irgendwie mehr her als an mir. Möglicherweise liegt das an ihrem tänzerischen Gang und ihrer Haltung, die reinstes Selbstbewusstsein ausstrahlt. Ich dagegen würde mich oft lieber unsichtbar machen. Das wirklich Blöde jedoch ist, dass es sich bei Elena Knight um meine elf Monate jüngere Schwester handelt. Könnte ich nur etwas mehr sein wie sie. Das rufen mir zumindest unsere Eltern regelmäßig ins Gedächtnis, indem sie mich stets etwas besorgt und schief von der Seite angucken. Was sie bei Elle nie tun.

»Was gibt’s?«, frage ich meine Schwester jetzt und setze meinen Weg fort, um auf keinen Fall den Bus zu verpassen. »Ich muss zur Arbeit.«

Dafür ernte ich ein Augenverdrehen. »Kann Agatha nicht mal fünf Minuten warten?«

»Sie ist meine Chefin.«

»Sie ist eine Freundin unserer Mutter.«

»War.«

Elle und ich haben als Kinder viel Zeit bei Agatha im Laden und auf dem denkmalgeschützten Friedhof verbracht, auf dem er sich befindet. Mum und Agatha hatten sich angefreundet, nachdem meine Eltern mit uns nach Bow im Londoner East End gezogen waren. Der TowerHamletsCemetery, von dem Mum als ehemalige Geschichtsstudentin mehr als angetan war, liegt von unserem Haus aus quasi um die Ecke, und als meine Grandma krank wurde, hatte Agatha oft auf mich und meine Schwester aufgepasst, um meine Mutter zu entlasten.

»Wie auch immer«, wischt Elle meinen Einwurf beiseite und klimpert mit den Wimpern. »Kannst du mich nachher bitte entschuldigen? Ich gehe mit ein paar Freundinnen auf diese Party. James wird auch dort sein. Du weißt schon, James!«

Ja, in ihren Augen der süßeste Typ des Universums.

»Ich werde dann bei Ava übernachten. Und, na ja, unsere Eltern würden sich bestimmt freuen, aus verlässlicher Quelle zu erfahren, dass ich gleich für die erste Klausurphase einen mehrtägigen Lernmarathon mit ihr plane.«

Daher weht also der Wind.

Unnötigerweise regt sich Enttäuschung in mir, dass sie nicht mal daran gedacht hat, mich zu fragen, ob ich mitwill. Zu Hause versucht sie immer wieder, mit mir über Jungs und Klamotten und all die anderen Dinge zu quatschen, für die sie sich interessiert, obwohl ich damit nicht viel anfangen kann. Im Grunde weiß sie so gut wie ich, dass ich lieber auf dem Friedhof zwischen den alten Gräbern längst verstorbener Persönlichkeiten herumstreife, anstatt mich mit lebenden Menschen zu umgeben.

»Sicher«, sage ich deshalb zu ihr.

Inzwischen haben wir die Haltestelle erreicht.

»Hey …« Elle mustert mich mit schief gelegtem Kopf. Sie hat genau gemerkt, dass ich nicht ganz bei der Sache bin. »Ich kann mich doch auf dich verlassen?«

»Jap«, presse ich hervor und fummele an dem Haargummi an meinem Handgelenk herum. »Ich werde dich decken und dein Alibi untermauern.«

Ist ja keine große Sache, Elles Lerneifer einzustreuen, wenn Mum und ich uns nachher diese Doku über Jeanne d’Arc ansehen. Wie sollte ein siebzehnjähriges Mädchen einen Freitagabend auch sonst verbringen? Und ja, ich finde es wirklich spannend, mir historische Dokumentarfilme reinzuziehen. Schließlich habe ich vor, wie meine Mutter Geschichte zu studieren. Nur manchmal wäre es doch ganz schön, wenn ich alternativ mit Leuten in meinem Alter auf eine Party gehen könnte.

»Großartig!« Elle schlingt die Arme um mich und knutscht mich ab.

Obwohl ich so tue, als wollte ich sie von mir schieben, freue ich mich insgeheim darüber.

Als der Bus um die Ecke kommt, verabschiede ich mich und steige ein. Von draußen winkt Elle mir sogar noch einmal zu. Seufzend lasse ich mich in den Sitz sinken, und für einen Moment fühlt sich die Einsamkeit doppelt so schwer an wie sonst. Es ist auch nicht gerade hilfreich, dass zwei Reihen hinter mir geflüstert wird und ich automatisch fürchte, es hätte mit mir zu tun. Ich setze meine Kopfhörer auf und lasse Breakaway von Kelly Clarkson in Dauerschleife laufen, bis ich die Tore des Cemetery sehe.

Erst als ich im Magic of Flowers herzlich von Agatha empfangen werde, löst sich der Knoten in meiner Brust. Und das liegt nicht nur an ihrer guten Laune und den dazu wippenden grauen Korkenzieherlocken. Sobald ich mich umgezogen und mir die grüne Schürze umgebunden habe, lasse ich meinen Blick durch den Raum mit den anthrazitfarbenen Wänden schweifen, der sich im hinteren Teil zu einem zauberhaften Wintergarten öffnet. Zwischen den unzähligen Pflanzenkübeln und Blumentöpfen kann ich durchatmen und alles andere für eine Weile hinter mir lassen.

Agatha legt mir eine Hand auf die Schulter, und ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus. »Schatz, bindest du gleich noch ein paar Sträuße? Die sind heute weggegangen wie frische Blaubeermuffins.«

Ich schmunzele über diesen Vergleich, schließlich mag Agatha diese Muffins gar nicht. Aber ich.

»Klar.«

Während ich gelbe Buschrosen, lila Prärie-Enziane und Strandflieder vor mir auf der Arbeitsfläche ausbreite, verliere ich die letzte Anspannung. Ich nehme eine fröhlich leuchtende Rose und wende sie einen Moment zwischen den Fingern. Bei wem wird der Strauß wohl landen? Ein Lächeln breitet sich in meinem Gesicht aus und ich ordne die Blumen so an, dass eine scheinbar willkürlich wilde Optik entsteht. Auf jeden Fall hoffe ich, dass der Anblick dem zukünftigen Besitzer genau wie mir Freude bereiten wird.

Die Frage ist nur, wie lange mich diese Rettungsboje – mein Job im Blumenladen – noch über Wasser hält.

Wie gern würde ich lernen, was mir im Gegensatz zu anderen verborgen zu bleiben scheint: wie es sich anfühlt, wirklich glücklich zu sein und zu wissen, wer man ist und was man möchte.

KAPITEL 1

Victoria

Das ist alles falsch. Ich auf dieser Party. Ich in dem figurbetonten Shirt und diesem niedlichen Volantrock, der mir viel zu luftig erscheint. Ich an Hunters Seite. Ich – vor allem ich.

Hunters Arm liegt locker um meine Schultern, schon seit wir den Hauptcampus der University of London betreten haben, und trotzdem fühlt es sich an, als würde er mich erdrücken. Ich kann kaum atmen. Wie ferngesteuert setze ich einen Fuß vor den anderen und zwinge mich dazu, meine Panik beiseitezuschieben.

Auf in die Schlacht!

Wir betreten die Turnhalle. Unzählige pinke und weiße Luftballons und Herzen empfangen uns. Und natürlich Edelrosen. DerKlassiker geht immer, würde Agatha sagen. Ich finde, langweilig und geschmacklos trifft es in diesem Fall besser. Es gibt so viele kreativere Möglichkeiten. Andererseits passen die gewählten Blumen zum Gesamtbild. LOVE IS IN THE AIR verkündet ein Plakat in verschnörkelten Buchstaben. Ich dachte, es ging darum, den Frühlingsanfang zu feiern, aber so kann man das natürlich auch interpretieren. Bei mir wollen sich allerdings keine Frühlingsgefühle einstellen, obwohl ich eigentlich eine romantische Ader besitze. Mein Magen verwandelt sich in einen steinharten Klumpen.

Hunter bekommt davon nichts mit – oder er tut zumindest so, weil unsere Auseinandersetzung im Wohnheim ihm schon genug die Stimmung versaut hat. Mein Versöhnungsangebot, statt eines kuscheligen Abends zu zweit noch auszugehen, hat er dankbar angenommen. Er liebt Uni-Events, und wenn er könnte, würde er wahrscheinlich überall mitmischen. Jetzt löst er sich von mir, um seine Freunde zu begrüßen, die sich sofort um uns scharen.

»Ihr seid ja doch gekommen!«, freut sich Richie.

Während die vier Jungs ihre sagenhaft coolen Handschläge austauschen, stehe ich mit einem verkrampften Lächeln daneben und winke einmal in die Runde. Ich hasse es, nie zu wissen, wie ich mich Richie, Calvin und Dorian gegenüber verhalten soll. Es wäre etwas leichter, wenn sie in mir nicht nur Hunters Freundin sehen würden. Eigentlich würde ich mich gern bei Calvin über das irreführende Motto beschweren. Er war schließlich maßgeblich an der Organisation des Spring Awakening beteiligt.

»Oh, Victoria«, säuselt Richie und legt sich beide Hände auf die Brust. Einen Augenblick lang blinzele ich verwirrt, als hätte er mit jemand anderem gesprochen. »Sieh dich an! Wieso ist ausgerechnet Hunter der Glückliche?«

Plötzlich möchte ich heulen, dabei weiß ich nicht mal, warum. Richie macht mir ständig solche als Witz getarnten Komplimente. Er ist nicht besonders groß, sogar etwas kleiner als ich, aber sein Ego gleicht das locker aus. Darüber staune ich jedes Mal aufs Neue. Ich hätte eine Strickjacke anziehen sollen und bin froh, dass ich zumindest Chucks statt Pumps trage, weil ich mich in denen deutlich wohler fühle. Mit dem aufwendigen Make-up komme ich mir nun viel zu aufgetakelt vor, dabei hatte ich gehofft, es würde mir helfen, mich zusammenzureißen und meine Rolle zu spielen.

Hunter greift nach meiner Hand. »Wir holen uns erst mal was zu trinken. Kommst du?«

Ich gebe mir einen Ruck, verschränke die Finger mit seinen und folge ihm am Rand der Tanzfläche entlang zu den Tischen, auf denen Getränke und Essen angerichtet wurden. Die Musikauswahl ist ausnahmslos kitschig im positiven Sinne, weshalb ich als Fan von Lovesongs quasi jedes Lied kenne, und das Büfett bietet für eine Uni-Party richtig viel Auswahl. Schade, dass mein Magen rebelliert und ich mich daher nur an den Tomate-Mozzarella-Sticks bediene.

Ich beobachte Hunter, der uns zwei Gläser mit zitronengelber Bowle einschenkt. Seine dunkelblonden Haare sind nach hinten gegelt, sein Gesicht ist glatt rasiert. Er sieht gut aus, auch wenn ich den Bart an seiner Stelle stehen lassen würde.

Ich kann mich nicht oft genug daran erinnern: Er ist die ultimative Belohnung für die harte Arbeit der letzten anderthalb Jahre. Ich will nicht sagen, mein Märchenprinz, denn das wäre etwas übertrieben. Dennoch darf ich nicht vergessen, welche Fortschritte ich gemacht habe. Ich war immer ein Außenseiter gewesen, hatte nie irgendwo hineingepasst, obwohl ich so verzweifelt dazugehören wollte. Nach dem Schulabschluss hatte ich beschlossen, es den beliebten Mädchen einfach nachzumachen. Ich hatte es satt, dass sich andere über mich lustig machten. Also begann ich, die »richtigen« Klamotten zu tragen, gab vor, mich für die »richtigen« Dinge zu interessieren, und verhielt mich so, wie es den Jungs gefiel. Auch wenn es mir zuerst befremdlich vorkam, in einer Hinsicht funktionierte es. Ich bin nun ein Teil des Ganzen, niemand hält mich mehr für komisch. Wieso nur bin ich dann immer noch nicht glücklich?

Wir stellen uns zu Hunters Freunden an einen der Stehtische, und ich checke kurz mein Smartphone. Wo bleibt ihr?, tippe ich an Gwen und Ramona. Eigentlich wollten wir uns hier treffen, weil die beiden mich schnellstmöglich vor meinem Freund retten sollten. Auf dem Weg hierher hatte ich ihnen eine Nachricht geschickt, dass Hunter und ich aneinandergeraten waren. Der Gruppenchat bleibt jedoch stumm.

Ich lasse das Handy wieder in der Mini-Handtasche verschwinden und trinke einen großen Schluck Bowle, die dank des Rohrzuckers angenehm süß schmeckt. Darunter mischt sich Minze und natürlich der Sekt.

»Da ist sie«, zischt Calvin plötzlich und stößt Dorian den Ellbogen in die Seite.

Der flucht kurz, weil dadurch Bier auf seinem Hemd landet.

»Ohne Begleitung! Vielleicht kriege ich doch noch meine Chance«, sagt Calvin dann.

Ich setze mein Glas ab, bleibe mit dem Blick kurz an dem Lippenstiftabdruck am Rand hängen, bevor ich meiner Neugier nachgebe und mich umdrehe.

Wow.

Ich muss mich räuspern. »Wer ist das?«

Das Mädchen ist verdammt hübsch. Es gibt genau genommen keinen Dresscode für heute Abend, weshalb sie sich anscheinend gern in Schale wirft und kein Problem damit hat, aufzufallen. Ihr silbernes Paillettenkleid strahlt mit ihrem Lächeln um die Wette und passt perfekt zu ihrer dunkelbraunen Haut. Ihre glatten schwarzen Haare hat sie mit einer ebenso funkelnden Spange zu einer eleganten Hochsteckfrisur gestylt.

»Tracey Palmer«, antwortet Dorian, da es Calvin offenbar die Sprache verschlagen hat. Nicht schwer nachzuvollziehen. »Sie kommt aus New York City. Austauschstudentin von der Columbia. Sie ist in Calvins Eventmanagementkurs. Er fährt total auf sie ab, aber sie hat ihn bisher kaum beachtet.« Dorian verpasst seinem Kumpel einen freundschaftlichen Knuff, was beinahe in eine Rauferei ausartet, aber Hunter geht rechtzeitig dazwischen.

Meine Mundwinkel wandern unwillkürlich in die Höhe. Ob das an der Kabbelei der Jungs liegt oder weil Traceys Lächeln ansteckend wirkt, kann ich nicht sagen.

Richie holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. »Wie wäre es mit einem Tipp? Erhelle uns, Victoria. Worauf steht ihr Frauen?«

Hitze schießt mir in die Wangen. »K-k-eine Ahnung?«

Calvin verdreht die Augen. »Richie, dein schleimiges Geschwafel ist es sicher nicht.«

»Sportler«, mutmaßt Dorian, nachdem er Tracey einer weiteren Musterung unterzogen hat. »Mädchen wie sie stehen auf Sportler.«

»Also hättet ihr zwei als Wirtschaftsstudenten sowieso keine Chance«, folgert Hunter. Wobei Richie und er Sozialwissenschaften studieren und demnach genauso wenig infrage kämen. »Reine Zeitverschwendung.«

Calvin schmollt. Er und Hunter sind zusammen zur Schule gegangen und daher ganz besonders dicke. »Du hast gut reden, Arschloch!«, wirft er meinem Freund an den Kopf, was zweifelsfrei liebreizend gemeint ist.

Obwohl die Jungs mir und meiner wenig hilfreichen Antwort darauf, was Frauen an Männern mögen, keine Beachtung mehr schenken, hämmert mein Herz immer noch wie verrückt. Dabei ist doch gar nichts passiert.

»Äh, Cal …« Dorian schneidet eine Grimasse. »Sieht aus, als hätte Tracey doch einen Begleiter, der wahrscheinlich nur ihre Jacken an der Garderobe abgegeben hat. Du musst jetzt stark sein. Es ist –«

»Was zur Hölle?« Calvins Augen weiten sich.

Eigentlich verspüre ich nicht das geringste Bedürfnis, mir Traceys heißes Date anzugucken. Keine Ahnung, wieso ich trotzdem einen Blick riskiere.

»Ist das nicht dieser Typ vom Queen Mary Campus, den sie als Oscar-Wilde-Verschnitt bezeichnen?«, schiebt er hinterher.

Das klingt so negativ, aber OscarWilde, stellvertretend für die vornehmen Herren am Ende des neunzehnten Jahrhunderts, trifft es ziemlich gut. Jedenfalls was seine Klamotten angeht. Über einem weißen Hemd trägt er eine reich verzierte Weste, einen dünnen, darauf abgestimmten Schal und dazu eine Leinenhose. Trotzdem wirkt er nicht verkleidet, sondern stilvoll und ausgesprochen souverän. Aus Historikersicht kann ich dieses authentische Outfit nur loben, persönlich beneide ich ihn um seinen Mut, weil er sich von Leuten wie Calvin und Dorian nicht einschüchtern lässt und sich selbst treu bleibt. Das würde ich mich nie trauen. Immerhin habe ich mir meinen Wunsch erfüllt, Geschichte zu studieren.

Ohne länger zu überlegen, trinke ich mein Glas aus und beschließe, mir auf der Stelle Nachschub zu holen. Niemand hält mich auf, als ich mich erneut zum Büfett aufmache. Die Turnhalle hat sich mittlerweile deutlich gefüllt, und ich prüfe noch einmal meinen Messenger. Eine neue Nachricht von Gwen: Sorry, Ramona hat das Sushi nicht vertragen. Waren schon fast in Bloomsbury, aber ich bring sie jetzt besser nach Hause.

O nein :( Gute Besserung!, tippe ich als Antwort und meine es auch so. Ramona hat mit ihrem empfindlichen Magen irgendwie immer Pech. Nur das Timing ist diesmal echt ungünstig.

Ich senke das Handy und bleibe vor der Bowleschüssel stehen. Was tue ich hier? Hatte ich wirklich vor, mich zu betrinken, weil ich die Gegenwart meines Freundes nüchtern nicht ertrage?

Genau in diesem Moment spüre ich Hunter hinter mir. Anscheinend ist er mir gefolgt. Er zieht mich an sich und raunt mir ins Ohr: »Vergiss die Jungs. Wollen wir tanzen?«

Der Geruch seines Aftershaves katapultiert mich für einen Sekundenbruchteil zurück in sein Wohnheimzimmer und in sein Bett. Erst war alles noch in Ordnung. Ich hatte ihn bei Mario Kart abgezockt, woraufhin er mir mit einem Kuss gratulierte, weil das ja so sexy wäre. Es dauerte nicht lange, bis wir uns nicht mehr nur küssten. Doch wie die Male zuvor hatte sich etwas in mir gegen diese Art der Annäherung gesperrt. Während ich nach dem wiederholten Reinfall meinen BH anzog und es nicht fertigbrachte, ihm in die Augen zu sehen, stellte Hunter mich zur Rede. »Du willst nicht mit mir schlafen, oder?«

»Das ist es nicht«, hatte ich hastig widersprochen, obwohl es ja stimmt. Aber wie soll ich mit ihm schlafen, wenn ich schon unter normalen Umständen keine Ahnung habe, was ich mit meinem Körper anfangen soll? Manchmal kommt es mir vor, als gehörte er gar nicht zu mir.

»Es ist okay, Victoria, wenn du noch nicht so weit bist.« Möglicherweise hätte mich das sogar beruhigt, wenn Hunters Frustration nicht so unüberhörbar gewesen wäre.

Und was, wenn ich nie so weit sein werde?

»Victoria?« Auch hier auf der Party schleicht sich wieder ein enttäuschter Ton in seine Stimme.

Hinter meinen Schläfen pocht es, und mir wird klar, dass wir unseren Streit nur aufgeschoben haben.

Ich glaube nicht, dass ich Hunter genug mag. Ich glaube, ich mag überhaupt keine Männer. Nicht so. Ich weiß nur, dass ich einen Fehler gemacht habe und mir an seiner Stelle ganz schön verarscht vorkäme. Es ist unfair, ihm vorzuenthalten, was ich empfinde. Dabei hat alles so gut angefangen. Hunter hat mir das Gefühl gegeben, richtig zu sein. Zumindest eine Zeit lang, für zwei Monate.

Ich blicke an mir hinab.

Nein. Nein, nein, nein.

Hunters Hände liegen an meiner Taille, und er beginnt, uns sacht im Takt der Musik hin und her zu wiegen. Etwas stimmt nicht mit der Perspektive. Etwas stimmt nicht. Ich male mir aus, wie andere uns wohl sehen: einen Jungen und ein Mädchen auf der Suche nach der Nähe des jeweils anderen. Hunters Freunde beneiden ihn um unsere Beziehung. Ich beneide ihn auch. Vielleicht liegt genau darin das Problem. Ich finde nicht ihn toll, sondern das, was er hat. Dass er so selbstverständlich, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen, als Mann leben kann und darf. Dabei geht es mir nicht um gesellschaftliche Privilegien, die er dadurch genießt. Ich wünschte, wir könnten die Plätze tauschen. Kann ich nicht er sein, nur für einen Moment?

Der Kloß in meinem Hals wächst.

Das darf nicht sein.

»Hunter«, hauche ich.

Zu leise?

Panisch versuche ich, seine Hände von mir zu lösen. Meine wirken im Vergleich so zierlich und klein, dabei dachte ich immer, ich hätte breite Hände … für eine Frau.

Endlich gibt er mich frei. Ich stolpere nach vorn und drehe mich zu ihm um.

Hunter runzelt die Stirn. »Was hast du? Ich dachte, du wolltest herkommen.«

»Ich … ich weiß nicht.« Ich trete einen Schritt nach hinten. »Ich würde lieber nach Hause gehen. Tut mir leid.«

Er hält mich zurück. »Warte. Ist es wegen vorhin? Ich wollte dich nicht unter Druck setzen.«

Ich schüttele heftig den Kopf, kann die Tränen nicht länger zurückhalten – und fange an zu weinen.

»Hey«, seine Stimme wird weicher. Sie ist tief und warm, und ich weine noch mehr. Nicht weil er sich so bemüht, sondern weil mir überdeutlich bewusst wird, wie schrill ich geklungen habe.

»Rede mit mir. Bitte«, sagt er. Als ich das nicht tue, verliert er die Geduld. Er verschränkt die Arme vor der Brust. »Weißt du was? So hat das hier keinen Sinn.«

Wo er recht hat, hat er recht. Aber wie soll ich etwas erklären, das ich selbst nicht verstehe?

»Willst du Schluss machen?«, bringe ich schließlich hervor.

»Willst du Schluss machen, Victoria?«

Diesmal strecke ich eine Hand nach ihm aus. »Ich …«

Er nimmt sie nicht. Alles, was ich hätte haben können, fällt in sich zusammen. Es war nichts als eine Illusion. Von Anfang an. Und damit meine ich nicht nur das mit uns. Dabei habe ich mich so angestrengt … umsonst.

Hunters Lippen werden schmal. »Ich verstehe. Dann war’s das also.«

»Es tut mir leid«, flüstere ich.

»Das sagtest du bereits.«

Hunter lässt mich stehen. So konsequent kenne ich ihn gar nicht. Andererseits kenne ich nicht einmal mich. Der Schock über die plötzliche Trennung verwandelt sich in eine ungeheure Erleichterung. Letztendlich hätte es mit uns nie richtig funktioniert. Unsere Verbindung war wohl nur oberflächlich. Wir haben nie einen echten Draht zueinander gefunden oder uns je viel zu sagen gehabt. Wahrscheinlich gefiel mir vor allem die Idee, eine Beziehung zu haben, und weniger die Beziehung selbst.

Wie in Trance sehe ich Hunter nach, bis er in der Menge verschwunden ist, und wische mir über die tränennassen Wangen. Keine gute Idee, denn jetzt klebt meine Wimperntusche nicht mehr nur in meinem Gesicht. Großartig!

Abrupt wende ich mich von der Bowleschüssel ab und in Richtung Ausgang, komme jedoch nicht weit, weil ich frontal mit jemandem zusammenpralle.

»Hoppla!«, höre ich eine weibliche Stimme.

»Sorry«, murmele ich, ohne den Blick zu heben. Ich möchte mich vorbeidrängen, was aber nicht funktioniert, weil ich mich mit meinen langen Haaren in irgendwelchen Creolen verfangen habe – auch das noch –, sodass ich nun doch aufschauen muss.

Ich erstarre, als ich das Mädchen erkenne.

Tracey Palmer.

Während ich mich vor Schreck nicht rühre, befreit sie mich geschickt aus meiner peinlichen Lage.

»So.« Sie lächelt wie vorhin und streicht mir kein bisschen verlegen die verirrte Strähne hinters Ohr.

Mein schmerzendes Herz setzt kurz aus. Als Tracey bemerkt, dass ich geweint habe, wirkt sie besorgt. Es ist genau der Gesichtsausdruck, der mir schlagartig klarmacht, was sie sieht: eine völlig aufgelöste Victoria Knight.

»Bist du in Ordnung?«

»Sorry«, wiederhole ich wie eine kaputte Schallplatte, bevor sie mir noch eine gut gemeinte Frage stellen kann. Ich ertrage es nicht, wie sie mich ansieht. Ich will von niemandem je wieder so gesehen werden. »Ich muss los.«

Ich kann die Party gar nicht schnell genug verlassen und drehe mich kein einziges Mal um, bis sich die Schwingtüren hinter mir schließen. Erst vor der Turnhalle, an der frischen Luft, beginne ich zu rennen. Ich schaffe es bis zum Russel Square, dann breche ich zusammen, inmitten der Grünanlagen, die um diese Tageszeit still daliegen. Der Schmerz, der durch meine Knie schießt, zeigt mir nur, was ich eigentlich längst begriffen habe. Es hat schon viel zu lange in mir gebrodelt, ich wollte es nur nicht wahrhaben. Das Eingeständnis käme einem Befreiungsschlag gleich, würde es mein Leben nicht gleichzeitig komplett aus den Angeln heben.

Wie könnte Tracey oder Hunter oder wer auch immer sehen, dass es Victoria Knight gar nicht gibt? Wie könnte irgendjemand mich in ihr sehen? Ich kann nicht länger so tun, als sei ich sie, obwohl das in gewisser Weise leichter wäre. Victorias Körper ist ein Gefängnis, aus dem ich nicht ausbrechen kann, und niemand hört meine Schreie.

KAPITEL 2

Tracey

»Alles klar?« Justus rückt das runde Brillengestell auf seiner Nase zurecht und mustert mich eingehend.

»Alles klar«, versichere ich ihm etwas zerstreut, ehe ich meinen Blick von der Lücke löse, durch die das Mädchen mit den aschblonden Haaren nach unserem Zusammenstoß zwischen den anderen Partygästen verschwunden ist. Offenkundig wollte sie nicht auf ihre Tränen angesprochen werden.

Stattdessen schenke ich meine Aufmerksamkeit wieder dem jungen Mann an meiner Seite. Unwillkürlich muss ich lächeln. In seinen altmodisch-aristokratischen Klamotten, die er auch im Alltag trägt, sieht er schlichtweg todschick aus. Dazu seine Haut, die mattgolden schimmert …

Es ist Freitag, der sechsundzwanzigste März. Mein bester Freund und ich sind auf der SpringAwakeningParty der University of London, die ich maßgeblich mitorganisiert habe. Der Tod meiner besten Freundin liegt über ein halbes Jahr zurück. Fast genauso lange ist es her, dass ich New York den Rücken zugekehrt habe. Dabei hatte ich bei der Planung meines Auslandsaufenthalts noch keinen Schimmer, was in nur wenigen Monaten geschehen kann und wie dringend ich die Auszeit und den Abstand brauchen würde. Manchmal passiert neben ganz viel Scheiße auch etwas Gutes. Dazu gehört ohne Zweifel, dass Justus auf der anderen Seite des Atlantiks in mein Leben getreten ist.

Ich sammele mich und denke an mein Vorhaben. »Am besten, wir suchen erst mal Beatrice. Laut ihrer letzten Nachricht ist sie seit acht hier. Die Frage ist nur, wo.«

Justus schaut sich um. Mein Blick wandert ebenfalls auf der Suche nach meiner Kommilitonin durch die Turnhalle. Wir haben gleich Aufsicht über das Büfett, aber ich entdecke sie auch nicht in der Nähe der Tische. Ein bisschen Zeit bleibt uns zum Glück noch, bis wir unseren Posten beziehen müssen. Wir besuchen beide den Eventmanagementkurs bei Mr Robinson, deshalb ist dieser Abend für uns kein reines Vergnügen. Genau wie die Organisation der Party mussten alle Kursteilnehmer auch die verschiedenen Vor-Ort-Bereiche unter sich aufteilen. Ich bin dennoch nach wie vor total motiviert. Mein Studium in Business Management und vor allem das Planen von Veranstaltungen hat mir aber auch von Anfang an wirklich gefallen.

Bisher läuft alles rund. Die Deko ist fabelhaft geworden, die Party gut besucht, die Musik passt und die Stimmung wirkt ausgelassen. Justus und ich schlängeln uns einmal quer zwischen Menschengrüppchen und Paaren durch den Saal. Hier und dort grüße ich ein paar Leute und plaudere kurz mit ihnen, während sich Justus – stets höflich, aber distanziert – im Hintergrund hält. So war er am Anfang auch zu mir.

Weil ich Beatrice nirgendwo sehe, beschließe ich, ihr eine Nachricht zu schreiben. Wir bleiben etwas abseits des Partygetümmels stehen, wo es ruhiger ist, und ich strecke eine Hand aus. »Gibst du mir bitte mein Handy?«

Justus fasst in seine Weste aus Brokat und reicht es mir. Weil ich die schlichte Clutch, die ich eigentlich zu meinem Kleid kombinieren wollte, nicht finden konnte, hatte ich ihn überredet, es für mich einzustecken. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, eine Handtasche zu wählen, die nicht zu meinem Kleid passt.

»Ach ja, die mittelschwere Modekatastrophe!« sagt Justus neckisch, während er mir das Handy reicht.

»Als wärst du nicht genauso pedantisch bei deinen Outfits! Es war einfach unmöglich, auf die Schnelle einen annehmbaren Ersatz aufzutreiben.« Ich gebe vor, beleidigt zu sein.

Er hebt abwehrend die Hände. »Ich verstehe dich. Dafür hast du mich schließlich mitgenommen. Damit ich den restlichen Abend über dein Handy wachen darf. Und über unsere Ausweise, das Geld …«

Kopfschüttelnd, doch innerlich schmunzelnd, tippe ich eine Nachricht an Beatrice: Wo bist du?Sind jetzt da! Stehen neben der Fotoecke.

Tatsächlich hatte ich zuerst meine Zweifel, Justus zum SpringAwakening mitzunehmen, weil es mir vor dieser Kulisse irgendwie zu bedeutsam vorkam. Es fühlte sich nach mehr an – wie so vieles in letzter Zeit. Aber gerade weil er mir in den vergangenen Monaten so wichtig geworden ist, sollten wir uns unter keinen Umständen ineinander verlieben. Ich will nicht noch einen guten Freund aufgrund von tieferen Gefühlen verlieren … Das einmal zu erleben, hat mir gereicht. Aber nachdem ich Justus während der letzten Wochen immer wieder mit meiner To-do-Liste für dieses Event zugetextet hatte, war er so neugierig geworden, dass ich ihn nicht abwimmeln konnte.

Ich verbanne das mulmige Gefühl im Magen aus meinem Bewusstsein. Weg damit, Tür zu, Riegel vor.

»Tracey! Hi!«

Ich löse mich von meinem Smartphone. Calvin aus dem Eventmanagementkurs schiebt sich in mein Blickfeld.

»Hi?«, entgegne ich fragend.

»Schön, dich zu sehen.«

Oh! Das ist dann wohl ein Flirtversuch. Und das behagt mir überhaupt nicht. Wie von selbst rücke ich näher zu Justus und hebe eine Braue. »Wir sehen uns sogar zweimal jede Woche, im Seminar und in der Marketingvorlesung.«

Calvins Wangen werden so rot wie seine Haare. »Ja, ja, natürlich. Ich meinte, dieses Kleid steht dir echt super.«

Ich erlöse ihn aus dieser unangenehmen Lage und lächele. »Das war ein Scherz. Und danke, dann habe ich mich ja für das richtige entschieden.«

Justus blickt zwischen Calvin und mir hin und her. Ich versuche, ihn unauffällig um Hilfe zu bitten und ihm zu signalisieren, dass ich mich zwar darüber freue, wie gut mein Outfit ankommt, aber trotzdem nicht scharf darauf bin, weiter angegraben zu werden.

Calvin hüstelt und wendet sich nun an meinen Begleiter. »Woher kennt ihr euch? Du bist nicht auf der LSE, oder?«

»Das stimmt«, bestätigt Justus.

Definitiv ein Versuch, um herauszufinden, ob wir ein Paar sind. Obwohl die London School of Economics and Political Science, die ich besuche, und die Queen Mary University, zu der Justus geht, zum selben College-Verband gehören, wären wir uns wahrscheinlich nie begegnet, wenn es das A New Chapter nicht gäbe.

»Wir haben uns über meine Mitbewohnerin und deren Buchhandlung kennengelernt«, ergänze ich.

Dabei ist Lia inzwischen vielmehr eine Freundin und abgesehen von meinen Eltern und Justus gegenwärtig einer der wichtigsten Menschen in meinem Leben. Seit ich in London studiere, fällt es mir schwer, enge Bindungen zu anderen aufzubauen.

»Genau.« Justus bedenkt Calvin mit einem Stirnrunzeln und legt einen Arm um mich. Die Geste hat etwas Beschützendes und zugleich Besitzergreifendes, was mich überrascht, denn so bestimmt agiert er sonst selten. »Ich arbeite dort neben dem Studium.«

Unwillkürlich erinnere ich mich an unsere erste Begegnung und blicke ein bisschen verträumt zu meinem besten Freund auf. »Hey, weißt du noch, wie verklemmt du am Anfang warst? Erst nachdem wir gemeinsam die Flyer für diese Werbeaktion verteilt hatten, ist das Eis gebrochen.«

Justus verdreht die Augen. »Und schon waren wir auf dem besten Weg, ein Dreamteam zu werden«, ergänzt er dennoch pflichtschuldig.

Danke, Mate!

»Ach so«, sagt Calvin. »Dann will ich euch auch gar nicht länger aufhalten.«

Mein ungewollter Verehrer tritt den Rückzug an und gesellt sich zu seinen Kumpels, die das Ganze aus einiger Entfernung beobachtet haben. Sie klopfen ihm nacheinander auf die Schulter wie bei einer Beileidsbekundung.

Ich lache kurz auf. »Finde nur ich das witzig?«

Justus verzieht das Gesicht. »Es ist nicht leicht, eine schöne Frau anzusprechen, und hart, von ihr zurückgewiesen zu werden.«

Okay … War das etwa auch ein Kompliment? Sein Arm bewegt sich jedenfalls keinen Millimeter, obwohl wir nun niemandem mehr etwas vormachen müssen. Mir wird warm und wärmer. Ich sollte etwas Abstand zwischen uns bringen, sofort. Andererseits, was ist schon dabei? Genau diese Vertrautheit schätze ich so an uns.

In diesem Moment werde ich auf ein Winken aufmerksam. Beatrice, nach der wir die ganze Zeit Ausschau gehalten haben, kommt aus Richtung der Toiletten geradewegs auf uns zugeeilt. Damit ist der Bann gebrochen. Ich löse mich von meinem besten Freund.

»Sorry!«, ruft Beatrice, noch bevor sie bei uns ist.

Das letzte Stück gehe ich ihr entgegen, Justus im Schlepptau.

»Ich musste mich nur noch mal kurz frisch machen. Jetzt aber schnell. Lass uns die anderen ablösen.«

»Hallo erst mal?«, feixe ich, wofür ich ihr charakteristisches Augenverdrehen ernte. »Beatrice, Justus. Justus, Beatrice«, stelle ich die beiden einander vor.

»Jaja.« Beatrice schnaubt. »Hi, Justus! Freut mich, dich kennenzulernen.« Ohne ein weiteres Wort steuert sie das Büfett an. Ich muss einen Zahn zulegen, um mit ihr mitzuhalten.

»Ich bewundere dich für deine Ruhe, Tracey. Machst du dir keine Sorgen, dass etwas schiefläuft? Wie schaffst du es nur, so gelassen zu bleiben? Das hier fließt zu einem Viertel in unsere Note ein!«

Um die Benotung mache ich mir wenig Gedanken. Und ich leiste mir keine Unruhe, keine Angst, nichts, was mich schwach dastehen lassen könnte. Niemand soll merken, wie chaotisch es zuweilen in mir aussieht. Stichwort: Buch mit sieben Siegeln.

»Du überschätzt mich, Beatrice«, spiele ich das Thema herunter.

»Nur keine falsche Bescheidenheit, Tracey.« Sie blinzelt zu Justus hinüber, als wollte sie stumm fragen, ob da mehr zwischen uns läuft.

Um nicht darauf eingehen zu müssen, richte ich meine Aufmerksamkeit auf die zwei Studenten hinter den Tischen, die unser Näherkommen bereits verfolgen und es offenbar kaum erwarten können, mit uns die Plätze zu tauschen.

Während der nächsten zwei Stunden sorgen Beatrice und ich dafür, dass Servierplatten und Schüsseln, Karaffen und Bowlegefäße immer ausreichend gefüllt sind. Mehr als einmal müssen wir auf unsere Reserven im Lagerraum zurückgreifen. Außerdem sammeln wir benutztes Geschirr und Besteck ein und stellen dafür immer wieder sauberes bereit. So vergeht die Zeit im Nu. Zwischendurch schaue ich immer wieder zu Justus hinüber, der irgendwo einen Klappstuhl aufgetrieben und sich ein ruhigeres Plätzchen gesucht hat, um sich in ein Taschenbuch zu vertiefen.

Als wir in einer kurzen Verschnaufpause dabei zusehen, wie sich die nächsten Leute die Teller vollladen, zischt Beatrice mir plötzlich zu: »Robinson auf drei Uhr!«

Dabei haben wir überhaupt nichts zu befürchten. Unser Dozent dreht wie angekündigt seine Runden, und nun sind wir an der Reihe, von ihm kontrolliert zu werden.

»Alles gut bei Ihnen?«

»Bestens«, beteuert Beatrice.

Ich stimme ihr zu.

Es folgt ein wenig Small Talk, und kurz darauf ist unsere Schicht auch schon zu Ende. Wir werden abgelöst.

Endlich können wir uns auch am Büfett bedienen. Ich entscheide mich für zwei Avocado-Wraps, die mich schon die ganze Zeit wie magisch angezogen haben. Während Beatrice uns einen Tisch sichert, hole ich Justus zurück in die Realität, indem ich ihn mit einem Schultertippen fast zu Tode erschrecke – so tief war er in die Geschichte versunken. Rasch springt er auf und besorgt sich ebenfalls ein paar Häppchen, bevor er sich zu uns gesellt.

Während des Essens landen wir schnell bei Justus’ Lieblingsthema, dem Universum. Er kann endlos über das Weltall und dessen unendliche Weiten philosophieren oder sich in wissenschaftlichen Vorträgen verlieren. Deshalb studiert er vermutlich auch Astrophysik.

Nach dem Essen verabschiedet sich Beatrice, um sich mit ihrer Clique in Londons Nachtleben zu stürzen. Vermutlich würde ich mich anschließen, wenn ich nicht mit Justus unterwegs wäre. Da er nicht zu den Typen gehört, die ständig einen draufmachen müssen, möchte ich Rücksicht auf ihn nehmen. Um aber trotzdem noch das Beste aus dem Abend herauszuholen, verkünde ich, kaum dass Beatrice gegangen ist: »Bowle!«

Justus hebt die Augenbrauen, protestiert jedoch nicht. Nach zwei Gläsern ziehe ich ihn auf die Tanzfläche. Erst ist Justus noch etwas befangen, aber schließlich lässt er sich von mir mitreißen. Auch die anderen um uns herum gehen richtig ab, als das Tempo des Songs anzieht. Nach ein paar wilden Nummern geht der DJ zu einer Ballade über. Mein Adrenalinrausch hält jedoch weiter an.

Schwer atmend stehen Justus und ich uns gegenüber.

Ich lächele ihn an.

Er lächelt zurück. Etwas Zärtliches schimmert in seinen Augen. Er macht einen Schritt auf mich zu und noch einen. Im nächsten Moment nimmt er mein Gesicht in seine Hände und küsst mich, so sanft, als könnte ich mich in Luft auflösen. Dennoch bin ich vor Überraschung zunächst wie eingefroren – einen Herzschlag lang, der es mir erlaubt, mich an die Berührung seiner Lippen zu gewöhnen. Es fühlt sich gut an. Als seine Lippen auseinandergleiten, öffne auch ich den Mund. Er küsst mich heftiger.

Er – mein bester Freund.

Ich höre auf, Justus zu küssen und reiße mich von ihm los. Obwohl ich noch immer die Wärme seiner Lippen und Hände spüre, wird mir schlagartig eiskalt. Was haben wir getan? Was, wenn es nicht funktioniert? Wenn wir damit unsere Freundschaft kaputt machen?

Justus sieht mindestens so entsetzt aus, wie ich es bin. Mir ist richtig schlecht. Ich merke erst, dass ich mir die Hände vors Gesicht geschlagen habe, als er mich am Ellbogen berührt.

»Tracey?« Justus klingt beinahe panisch. »Verzeih mir. Verzeihst du mir?«

Langsam lasse ich die Hände sinken. Sie zittern unkontrollierbar. Natürlich verzeihe ich ihm. Nur mir, mir kann ich nicht verzeihen. Nach dem, was in New York passiert ist, hätte ich es kommen sehen müssen. Ich sollte es besser wissen.

KAPITEL 3

Tracey

Selbst drei Tage später kann ich noch nicht fassen, welchen katastrophalen Verlauf die Spring Awakening Party genommen hat. Justus Gāo hat mich geküsst, und ich habe seinen Kuss erwidert. Ich wünschte, es wäre nie so weit gekommen. Ich weiß nur zu gut, wie es sich anfühlt, etwas zu bereuen.

Wie zum Spott betonte Mr Robinson im Seminar auch noch mehrmals, was für ein Erfolg der Abend gewesen sei. Glücklicherweise ist Eventmanagement montags immer mein letzter Kurs, und ich bin schon auf dem Weg zur Temple Underground Station am Victoria Embankment.

Der Campus der LSE liegt superzentral in der City of Westminster mit ihren ehrwürdigen, in Prunk erstrahlenden Gebäuden und Luxusapartments. Ich schaudere, schiebe es aber auf die recht frische und eher wenig frühlingshafte Brise. Außerdem habe ich meine olivgrüne Utility-Jacke lediglich übergeworfen und nicht zugebunden. Mit dem Smartphone in der Hand und der Handtasche über dem Arm kämpfe ich darum, den Gürtel zu verknoten. Krampfhaft versuche ich, an etwas anderes zu denken. Theoretisch könnte ich mich noch in die Bibliothek setzen und lernen, denn vor den Ostersemesterferien ist noch ein Test fällig. Da ich aber schon gut vorgearbeitet habe, beschließe ich, den verbleibenden Tag sinnvoller zu nutzen. Zum Beispiel, indem ich Lia anrufe.

Meine Lieblingsmitbewohnerin und ich haben viel zu lange nichts mehr zu zweit unternommen, und mal wieder mit ihr zu reden und sie wegen Justus um Rat zu fragen, könnte vielleicht helfen, die Last auf meinen Schultern zumindest zu verringern.

Ich wähle ihre Nummer.

»Hi«, begrüße ich sie und gehe die sandsteinfarbene Treppe hinunter, die mich zur U-Bahn-Station führt. Ein Stück weiter geradeaus beginnt bereits die Uferpromenade der Themse. Der Eingang zur U-Bahn befindet sich zu meiner Rechten und wird von den ersten grünen Zweigen des Jahres überspannt. Soeben strömen jede Menge Fahrgäste nach draußen und drängen mich nach links ab, wo vor der schmiedeeisernen Umzäunung des kleinen Parks ein Zeitungsstand aufgebaut ist. Fast stoße ich einen der Aufsteller um.

»Sorry, sorry!«, beschwichtige ich den meckernden Verkäufer. »Lia? Bist du noch dran? Du hast heute frei, oder?«

Weil es unter der Erde und in der Bahn keinen Empfang gibt, bleibe ich vorerst neben dem Zeitungsstand gegenüber des Stationseingangs stehen. Leider wird meine Hoffnung sofort zerschlagen, als ich Lias leicht verzweifeltes Lachen höre.

»Leider nicht. Justus und ich haben die Schichten getauscht, ich springe heute für ihn ein und habe gerade mal fünf Minuten Pause!«

Ich kann mir bildlich vorstellen, wie sie mit ihrer Double-Bun-Frisur und im Latzkleid in der Buchhandlung hinter der antiken Ladentheke steht und sich nicht entscheiden kann, ob sie den ruhigen Moment lieber für einen Blick auf ihr Handy nutzen soll oder dafür, ein paar Seiten zu lesen.

Was Justus treibt, würde ich dagegen zu gerne wissen. Ist er krank? Geht es ihm nicht gut – wegen uns? Seit wir am Freitag kurz nach dem Kuss die Party verlassen und uns äußerst steif voneinander verabschiedet haben, konnte ich mich nicht überwinden, ihm auf seine Nachrichten zu antworten. Nach dieser Sache weiß ich einfach nicht, wie ich mich verhalten soll, was richtig wäre.

»Übernimm dich nicht«, sage ich zu Lia und bemühe mich, die Enttäuschung aus meinen Worten herauszuhalten. Ich freue mich total für sie, dass ihre Buchhandlung so boomt und ich als angehende Unternehmensberaterin meinen Teil dazu beitragen konnte. Nach allem, was Lia durchmachen musste, hat sie nichts anderes verdient.

»Tracey?«

»Ja?«

»Lass uns heute Abend reden, okay?«

Ich seufze leise. Natürlich hat sie gemerkt, dass mich etwas bedrückt. Lias feine Antennen sind legendär. Dennoch tue ich so, als gäbe es nichts zu sagen, weil es viel zu kompliziert wäre, alles – wirklich alles – zu erklären. »Muss nicht unbedingt heute sein. Aber pass du auf dich auf. Ich bewundere echt, wie du den Laden schmeißt, Girlboss. Lass dir von Drew mal einen Kaffee vorbeibringen oder so.«

»Ja, er wollte gleich mit Nico vorbeischauen.«

»Beruhigend. Dein Freund weiß, was sich gehört.«

Lia geht nicht auf meinen scherzhaften Tonfall ein. »Wie gesagt, ich bin nachher zu Hause. Dann kannst du mir erzählen, wie es am Freitag beim Spring Awakening war.«

Sekunde …

Die Zahnräder in meinem Kopf rattern. Was, wenn Justus Lia längst eingeweiht hat? Daran habe ich bislang noch gar nicht gedacht. Das ist der Nachteil daran, dass sie uns beide so gut kennt.

Mein Blick gleitet über die Passanten, und ich beiße mir leicht verzweifelt auf die Unterlippe. Mein Mund wird staubtrocken, und ich weiche noch weiter bis zum Zaun in meinem Rücken zurück – denn inmitten der nächsten Fahrgastwelle entdecke ich meinen besten Freund. Wenn man vom Teufel spricht beziehungsweise – in diesem Fall – an ihn denkt!

In seinem aus der Zeit gefallenen Anorak sticht er mir gleich ins Auge. Er sieht auch nicht krank aus. Was macht er hier? Wir sind nicht verabredet. Will er mich abfangen? Er kennt meinen Stundenplan, genau wie ich seinen. Oder ist er gar nicht meinetwegen hier?

Er verlangsamt seine Schritte, hebt das Handy ans Ohr, lässt es aber gleich wieder sinken, als er auf mich aufmerksam wird.

Mist.

Herzrasen und schweißnasse Hände.

»Ich muss Schluss machen«, entschuldige ich mich eilig bei Lia und drücke sie weg, bevor ich überhaupt checke, was ich da tue.

Da hat Justus mich bereits erreicht.

»Hallo«, sage ich und umklammere meine Handtasche, weil ich sonst nichts zum Festhalten habe.

»Hallo«, erwidert er genauso unverbindlich.

Das läuft ja super.

Eine Strähne seines schwarzen Haares fällt ihm in die Stirn. Ich schlucke.

Obwohl wir uns auf der Party so nah waren wie noch nie, kommt es mir vor, als hätte sich ein Graben zwischen uns aufgetan. Justus tritt unbehaglich von einem Bein auf das andere, die Hände in den Taschen seiner Tweedhose vergraben.

»Ich wollte dich gerade anrufen, um zu fragen, wo genau du bist. Umso besser, dass ich dich hier treffe.«

Unausgesprochen bleibt, dass ich wahrscheinlich nicht ans Handy gegangen wäre. Schließlich habe ich auch nicht auf seine Nachrichten reagiert. Trotzdem macht er mir keine Vorwürfe.

»Ich bin direkt von der Queen Mary hergefahren. Hat Robinson früher Schluss gemacht?«

»Ein wenig«, nehme ich seinen Versuch, eine normale Unterhaltung zu führen, vorsichtig auf. Ich mache eine Handbewegung in Richtung Uferpromenade, von der uns nur die Überquerung einer Straße trennt. »Wollen wir vielleicht …? Da ist es nicht so trubelig, und wir stehen niemandem im Weg.«

In einvernehmlichem Schweigen lassen wir den Eingang der U-Bahn-Station links liegen. Es dauert ewig, bis die Ampel auf Grün springt, und es herrscht viel zu viel Verkehr, um bei Rot zu gehen. Die ganze Zeit vermeide ich es, Justus auch nur anzusehen. Mit Blick auf den Fluss setzen wir uns schließlich auf die Mauer. Ich im Schneidersitz, er lässt die Beine baumeln. Ein Sightseeing-Boot voller Touristen fährt vorbei. Die Sonne scheint, und der Himmel ist blau, doch ich kriege kaum Luft, zupfe wie unter Zwang an dem ausgefransten Loch in meiner schwarzen Jeans.

Wieder macht Justus den Anfang. »Ist zwischen uns alles gut?«

Unfassbar, wie dringend ich das anscheinend von ihm hören wollte. Mir fällt ein Kilo Steine vom Herzen, und ich kann mich nicht mehr davon abhalten, mich zu ihm zu drehen. »Ja. Ja, das ist es.«

Er kratzt sich im Nacken. »Okay. Ich meine, entschuldige, dass ich dir so viele Nachrichten geschickt habe. Ich wollte das klären, bevor ich in den nächsten zwei Wochen bei meinen Eltern in Ungarn bin und dieser Kuss irgendwie zwischen uns steht.«

Justus’ Vater arbeitet für die chinesische Botschaft und ist mittlerweile in Budapest im Einsatz.

Ich beiße mir schon wieder auf die Unterlippe. Er hat recht, nur habe ich sämtliche seiner Kontaktaufnahmeversuche einfach abgeblockt. Spätestens jetzt sollte ich wohl etwas mehr dazu sagen.

»Es ist wirklich alles gut«, betone ich. »Ich hatte bloß befürchtet, du könntest mehr in das Ganze hineininterpretieren. Sorry, dass ich dir nicht zurückgeschrieben habe. Ich bin froh, dass dich das nicht abgeschreckt hat.«

Justus winkt ab. »Mir tut es leid, dass ich dich überhaupt geküsst habe. Ich habe die Wirkung der Bowle unterschätzt.«

Dabei wissen wir beide, dass die Bowle nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat und ich auch nicht ganz unschuldig war. Wie von selbst zucken meine Augen zu seinem Mund. Shit. Hat er es bemerkt?

Ich könnte nicht mit Justus zusammen sein, selbst wenn ich wollte. Unsere Freundschaft ist etwas so Besonderes, wir hätten sie niemals leichtfertig aufs Spiel setzen dürfen.

»Also«, ergreife ich die Chance, die er mir bietet, »zurück zur Normalität?«

»Zurück zur Normalität.«

Mir entgeht nicht, wie sich seine Haltung entspannt, doch in seinen Augen bleibt ein trauriger Ausdruck zurück. Er steht auf, und ich blinzele gegen die Sonne zu ihm hoch.

»Keine zehn Minuten von hier gibt es ein tolles Café in Covent Garden. Was meinst du, wollen wir ein Eis essen gehen?«

Womit habe ich diesen Menschen nur verdient? Er hätte gekränkt oder sauer sein können, stattdessen legt Justus sich nur noch mehr für unsere Freundschaft ins Zeug.

»Du weißt, dass ich zu Eis nie Nein sage.«

Er zwinkert mir zu. »Möglicherweise.«

Meine abgöttische Vorliebe für Eis hatte er herausgefunden, als ich ihn im Januar zum ersten Mal in seiner winzigen Einzimmerwohnung in Stratford besuchte. Nachdem wir uns einen Animationsfilm im Kino angesehen hatten, köderte er mich mit Ben & Jerry’s, und ich entschied, spontan noch mit zu ihm zu gehen.

Nicht mal an diesem Abend war etwas zwischen uns passiert. Wir müssen es unbedingt schaffen, diesen Kuss zu vergessen. Was sicher nicht leicht wird, denn entgegen seiner Behauptung, die Bowle sei schuld gewesen, empfindet er wahrscheinlich doch mehr für mich. Schon bevor er etwas getrunken hatte, habe ich ein Kompliment von ihm bekommen, und nach Calvins Abgang war er nicht gleich von meiner Seite gewichen. Er hatte meine Nähe gesucht. Wäre Beatrice nicht aufgetaucht und hätte ich seinen Arm, der immer noch um meine Schultern lag, nicht abgestreift … Gefühle lassen sich nicht einfach ausschalten, und ich will ihm nicht wehtun.

Justus zieht mich auf die Füße, und wir gehen nebeneinander den River Walk entlang.

»Ich kann es kaum noch erwarten, meine Eltern endlich wiederzutreffen!«, teilt er seine Vorfreude mit mir und schlägt damit eine deutlich ungefährlichere Gesprächsrichtung ein, was mich sehr erleichtert.

Ich denke an meine Eltern in New York, die ich zuletzt zu Weihnachten getroffen habe. »Zweifelst du manchmal an deiner Entscheidung, deine Mom und deinen Dad nicht nach Budapest begleitet zu haben?«

Hinter dem eindrucksvollen Somerset House passieren wir the Strand, eine der bekanntesten Straßen der britischen Hauptstadt. Sie verbindet den Trafalgar Square mit der City.

»Nein, ich hatte das ständige Umziehen satt«, erklärt Justus. »Und ich wollte hier studieren. Das war mir gleich zu Beginn unserer Zeit in London klar.«

»Kann ich gut nachvollziehen.« Das ist die Gelegenheit, ihm noch mehr entgegenzukommen und ihm zu zeigen, wie viel mir an unserer Freundschaft liegt, auch wenn es mir manchmal schwerfällt, über NYC zu sprechen. »Du weißt ja, ich vermisse meine Eltern. Trotzdem überlege ich immer häufiger, meinen Auslandsaufenthalt zu verlängern. Ich meine, was täte ich ohne dich und Lia?«

So direkt habe ich das bis jetzt noch nie ausgesprochen, höchstens mal Andeutungen fallen lassen, weil es mir feige vorgekommen war, so als würde ich weglaufen, wenn ich noch länger als geplant in London bleibe. Leider wird die Uni einer Verlängerung so kurzfristig nicht zustimmen.

»Das wäre ja toll! Dann solltest du dich wirklich dahinterknien.«

Ich nicke. »Ich kann mir partout nicht vorstellen, nach dem Sommer nach New York zurückzugehen.«

Der Ausdruck in Justus’ Augen wird ernst, als wollte er sagen: Ich verstehe.

Nur versteht er es nicht.

Wir erreichen die Halle des Covent Garden Market, und Justus führt mich zu einem der Säulengänge, die den Platz davor säumen. Sobald es noch wärmer wird, füllen sich die freien Flächen mit Tischen und Stühlen und Straßenkünstlern. Das Leto’s ist eines der wenigen Lokale in dieser Toplage. Das Innere des Cafés lässt sich am besten mit »grün und blumig« beschreiben. Möbel im Used-Look runden das künstlerisch angehauchte Ambiente ab.

Wir gehen zur Theke, und ich schaue mir die Auswahl an.

»Hast du dich entschieden?«, fragt Justus nach einer Weile.

Ich zeige auf drei Eissorten, die mich spontan ansprechen: Erdnuss, Karamell und Schoko-Kokos. Bevor ich etwas sagen kann, bestellt er für uns beide.

»Ich übernehme das«, grätsche ich ihm voll in die Gentlemannummer. Sein überrumpelter Gesichtsausdruck ist unbezahlbar.

Nach dem Eis – es war himmlisch! – bummeln wir noch durch die Straßen. Londons West End punktet neben kulinarischen Köstlichkeiten, Musicals und Theatern mit ein paar tollen Boutiquen. Während wir in den Läden stöbern, lässt die verkrampfte Atmosphäre zwischen uns weiter nach.

Es tut gut, etwas so Alltägliches zu genießen. Anders als jener Kuss in New York wird der mit Justus mich nicht einen der wichtigsten Menschen in meinem Leben kosten. Die Dinge zwischen uns werden wieder in Ordnung kommen. Daran muss ich einfach glauben. Es reicht, dass ich meine beste Freundin verloren habe.

KAPITEL 4

Victoria

Ich höre den Song bestimmt zum hundertsten Mal, aber nachdem ich einmal auf Repeat getippt hatte, gab es kein Entrinnen. Ezra Furmans Worte hallen in mir wider und durchdringen jede Faser meines Seins – und diesen Körper, der nicht meiner ist und irgendwie leider doch. Haunted Head fasst meine gegenwärtige mentale Verfassung so treffend zusammen, als wären die Lyrics für mich geschrieben worden. Es ist erstaunlich und erschreckend, was für eine Leistung im Verdrängen mein Verstand jahrelang vollbracht hat.

Aktuell brummt mein Kopf vor rotierenden Gedanken. Was mache ich denn jetzt? Fuck! Was soll ich machen? Bevor ich taub werde, passe ich die Lautstärke schließlich doch etwas an, richte meinen Blick auf die Hängepflanzen in den Blumenampeln, die über meinem Bett hin und her pendeln, und hoffe auf eine beruhigende Wirkung.

Natürlich habe ich die ganze Zeit gespürt, dass das Gebilde, das ich errichtet habe und mein Leben nenne, ziemlich wackelig war. Umso verbissener habe ich versucht, es zusammenzuhalten, bis meine Trennung von Hunter es endgültig zum Einsturz gebracht hat. Insbesondere in unserer Beziehung wusste ich genau, wer ich zu sein hatte, wo mein Platz war. Nun ist es, als wäre ich in tausend Stücke zersprungen und stünde vor der unlösbaren Aufgabe, mich wieder zusammenzusetzen. Denn ich will sie nicht erneut auf Biegen und Brechen aneinanderkleistern. Diesmal sollen sie sich von selbst verbinden. Und das ist es, was mich so fertigmacht.

Jemand klopft an meine Zimmertür.

Benommen ziehe ich mir die Kopfhörer von den Ohren und drehe mich halb im Bett um. Ich bekomme gerade noch das aufgeklappte Notebook am Ende der Matratze zu fassen, bevor es durch die Bewegung vom Bett rutscht. Puh.

»Victoria, bist du da drin?«, höre ich die Stimme meiner Mutter aus der Diele.

Es ist, als hätte sie mir eine Ohrfeige verpasst.

Nein!, möchte ich brüllen, und es würde sogar stimmen, dabei kann Mum gar nicht wissen, was ihre vermeintlich harmlose Frage in mir auslöst. Wie würde sie reagieren, wenn ich ihr eröffne, dass ich gar nicht ihre Tochter bin, sondern ihr Sohn? Allein bei der Vorstellung, es ihr zu sagen, dreht sich mir vor lauter Angst der Magen um. Keine Ahnung, wie ich das jemals hinkriegen soll. In der Theorie klingt es so leicht, in der Praxis wäre es garantiert ein Schock für sie. Würde sie mich dann mit anderen Augen sehen? Und was, wenn ich mich doch irre, auch wenn es unwahrscheinlich ist? Ich wäre nicht der Erste. So etwas kann passieren.

Stopp!

Ich starre auf den Laptopbildschirm und atme tief durch.

Ich bin ihr Sohn. Ich bin ein Junge im Körper eines Mädchens. Genau wie der Typ aus dem YouTube-Video vor mir, das ich unterbrechen musste, weil mich seine Schilderungen zu sehr an meine eigene Geschichte erinnert und zusätzlich aufgewühlt haben.

Es klopft erneut.

Ich klappe das Notebook zu. »Was ist denn?«

»Lässt du mich rein?« Mum klingt besorgt.

In den letzten drei Tagen – inzwischen ist Montag – war es mir immer irgendwie gelungen, sie abzuwimmeln und mich vor den gemeinsamen Mahlzeiten zu drücken – weil ich angeblich so viel Lernstress hätte. Seit der Party am Freitag habe ich wirklich mein Bestes gegeben, um ihr und dem Rest meiner Familie aus dem Weg zu gehen. Mein Zimmer hatte ich nur verlassen, wenn es unbedingt notwendig war, damit ich bloß nichts erklären musste. Ob Mum gemerkt hat, dass ich heute weder in der Uni noch auf der Arbeit gewesen bin?

»Elle hat mir vorhin erzählt, dass mit Hunter Schluss ist«, höre ich sie von der anderen Seite der Tür hinzufügen. »Wieso hast du das nicht gleich gesagt?«

Ich reibe mir die Augen. So viel zu nichts erklären müssen … Das wäre dann wohl gelaufen.

Hinzu kommt, dass es sich die meiste Zeit so anfühlt, als würde die Trennung gar nicht mich, sondern nur Victoria betreffen. Woher weiß meine Schwester davon? Vermutlich hat sich die Neuigkeit schon unter unseren Kommilitonen verbreitet. Elle hat ihr Studium an derselben Uni zwar erst ein Jahr nach mir angefangen, im Gegensatz zu mir aber einen Haufen Kontakte gesammelt, die ihr so etwas sofort zutragen. Hunter ist außerdem recht bekannt, weil er regelmäßig an campusübergreifenden Freizeitaktivitäten teilnimmt. Bei einem der kostenlosen Konzerte, die einmal wöchentlich in der Shaw Library stattfinden, hatten wir uns auch kennengelernt. Unvermittelt muss ich an Gwen und Ramona denken. Ich sollte ihnen ein Lebenszeichen senden. Ich hätte mich früher dazu aufraffen müssen und die Anrufe und Nachrichten meiner zwei Freundinnen nicht ignorieren dürfen.

»Hast du mich gehört? Vic–«

Wenn Mum mich noch einmal Victoria nennt, werde ich entweder explodieren oder in Tränen ausbrechen. Als hätte ich während der letzten Tage noch nicht genug geheult. Weniger wegen der Trennung, mein Ex-Freund fehlt mir eigentlich kaum, sondern weil ich nicht glauben kann, wie blind ich zwanzig Jahre lang gewesen bin – und aus Panik vor der Unausweichlichkeit, meine Transidentität nun zu akzeptieren.

Ich schlage die Decke zurück und schwinge die Beine über die Bettkante. Das alles kommt mir immer noch so unwirklich vor, obwohl mich der Gedanke bereits seit Ewigkeiten verfolgt, nur eben weitaus diffuser, weniger greifbar. Seit ich mich erinnere, war ich irgendwie anders. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich zum ersten Mal darauf gestoßen bin, dass trans* Menschen existieren. Mit fünfzehn, sechszehn war ich wie gebannt von der Thematik, jedoch noch nicht in der Lage, das direkt auf mich zu beziehen. Auf jeden Fall wollte ich nicht glauben, dass ich trans* sein könnte. Ich habe die Anzeichen beiseitegeschoben oder geleugnet und nach anderen Erklärungen gesucht. Denn ich kannte die Konsequenzen: Psychotherapiesitzungen, um sich die eigene (Trans)Identität attestieren zu lassen, Hormone, Operationen, das offizielle Anpassen des eigenen Vornamens und Geschlechtseintrags … Damals kam es mir weniger beängstigend vor, mich mit der Tatsache zu arrangieren, dass ich laut meines Körpers eine Frau sein soll. Und eigentlich wollte ich mich ja auch mit dem Geschlecht identifizieren können, das mir schon vor der Geburt zugewiesen worden war. Eigentlich passte doch alles. In der Pubertät war doch niemand mit sich oder seinem Körper im Reinen, oder?

Ich bin an der Tür und reiße sie auf. Offenbar sehe ich genauso miserabel aus, wie ich mich fühle, denn meine Mutter breitet sofort die Arme aus und zieht mich an sich.

»Oh, meine Süße. Es tut mir so leid!«

»Mum«, ächze ich und versuche, mich aus ihrer Umarmung zu befreien, obwohl ich so gern hineinsinken würde. Sie sieht nicht mich, sondern die Person, für die sie mich hält – ihr kleines Mädchen.

Als sie mich loslässt und ich wieder Luft bekomme, nuschele ich: »Ist schon gut.«

Meine Mutter wirkt müde und erschöpft. Ihr Haarknoten ist inzwischen grauer als braun. Seit Grandmas zweitem Schlaganfall hat sie kaum noch eine Pause oder Zeit für sich. Trotzdem versucht sie, wie auch in der Vergangenheit, so gut es geht für mich da zu sein.

»Du solltest heute wirklich mit uns essen.«

»Ich glaube nicht, dass …« Ich weiß nicht, wie ich den Satz beenden soll.

Ein mitfühlendes Lächeln. »Du musst das nicht allein durchstehen.«

Würde sie das auch noch sagen, wenn sie wüsste, dass ich keine Frau, sondern ein Mann bin? Ich spüre einen Stich in meiner Brust.

»Es gibt Hühnchen mit gebratenem Reis und Gemüse.«

Langsam schüttele ich den Kopf. Mir fehlt im Augenblick die Kraft für die Wahrheit. Und ich kann gerade auch nicht weiter so tun, als wäre ich jemand, der ich nicht bin. Mir bleibt nur die Lüge, obwohl es sich falsch anfühlt, meine Mutter in dem Glauben zu lassen, ich hätte lediglich ein gebrochenes Herz.

»Tut mir leid. Ich mach mir später etwas warm. Ich bin wirklich nicht ganz auf der Höhe wegen der Trennung.« Ich halte die Nase an meinen Pullover, der passenderweise Hunter gehört hat, bis er ihn mir zum Valentinstag geschenkt hat. Dabei habe ich ihn vor allem deshalb angezogen, weil er das einzige eindeutig maskuline Kleidungsstück ist, das ich besitze. Die plötzliche Abneigung dagegen, feminine Klamotten zu tragen, kam unerwartet und ging weit über das bisherige Gefühl des Unwohlseins hinaus. »Und ich könnte dringend eine Dusche vertragen.«

Das nimmt Mum, wie erhofft, den Wind aus den Segeln.

Im Badezimmer schäle ich mich aus Hunters viel zu großem Pulli und der Jogginghose, als mir siedend heiß einfällt, was darunter steckt. Ich schaue kurz an mir hinab. Wie habe ich das auch nur für eine Sekunde vergessen können! Frauen haben nun mal Brüste; Frauen rasieren sich die Beine; Frauen müssen stets nett lächeln, sind Phrasen, die ich mir immer wieder eingebläut habe. Dabei ist einiges davon echt Bullshit, und ich war den Veränderungen, die mein Körper nach der Kindheit durchlief, hilflos ausgeliefert. Ich wasche mich in Rekordgeschwindigkeit, bleibe keine Sekunde länger als notwendig unter dem Brausekopf und dem warmen Wasserstrahl stehen und bin heilfroh, mich danach in meinen (immerhin nicht pinken) Bademantel wickeln zu können. Am liebsten würde ich mich sofort wieder ins Bett legen, so sehr haben mich das Duschen und die Konfrontation mit meinem Körper ausgelaugt.

Aus einem selbstzerstörerischen Impuls heraus wische ich mit der Hand über den beschlagenen Spiegel. Sieh dich an. Wie soll das denn gehen? Niemand würde dich als Kerl je ernst nehmen.

Trotzig recke ich mir das Kinn entgegen. Und wenn doch?

Nach der Schule habe ich schon einmal mein Image umgekrempelt, um Freunde zu finden. Ich glaubte, mich an das anpassen zu müssen, was gemeinhin von Mädchen erwartet wurde. Auch wenn sich das rückblickend als Irrweg erwiesen hat und ich das Gefühl des Andersseins falsch interpretiert hatte, hörten die Leute in meinem Umfeld auf, mich kindlich oder Spätzünderin zu nennen, und bewunderten die schöne junge Frau, zu der ich geworden war. Sei es meine Familie, entferntere Verwandte, Nachbarn oder andere Bekannte.

Plötzlich habe ich einen total abgefahrenen Einfall und finde im Wäscheraum nebenan, was ich brauche, um ihn umzusetzen. Elle wirft hin und wieder Klamotten von ihrem Freund in die Wäsche, und auch diesmal ist etwas dabei. Praktischerweise ist James deutlich kleiner als Hunter. Mit wild klopfendem Herzen schnappe ich mir eine Hose, ein T-Shirt und eine Sweatshirtjacke von der Leine. James wird gar nicht merken, dass ich mir die Teile ausgeliehen habe. Ich brauche sie nur für heute Abend, für meinen ersten Auftritt als Mann. Fehlt nur noch eine Kopfbedeckung, um meine Haare zu verstecken. Hoffentlich finde ich etwas Brauchbares in den Tiefen meines Kleiderschranks. Dann werde ich zum Kiosk an der Bow Road laufen und mir einen Schokoriegel kaufen. Der kleine Shop hat rund um die Uhr geöffnet, und es ist vollkommen unwichtig, was die Angestellten dort möglicherweise von mir denken.

Ich habe mich nie getraut, mir auszumalen, womit ich meine Transition beginnen würde, weder als ich mich früher mit dem Thema beschäftigt habe, noch bei meiner Recherche am Wochenende. Bislang war ich einfach nicht bereit gewesen, die Möglichkeit zu transitionieren als real zu betrachten, als etwas, das ich ernsthaft tun könnte. Mein Widerwille dagegen, eine Frau zu sein, musste zuerst groß genug werden – und gerade in meiner Beziehung mit Hunter, in der ich eindeutig den weiblichen Part übernommen hatte, war dieses beklemmende Gefühl stetig gewachsen, bis ich es nicht mehr wegschieben konnte.