Abenteuer Ayurveda - Christian Salvesen - E-Book

Abenteuer Ayurveda E-Book

Christian Salvesen

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Beschreibung

Ayurveda, die alte Heilkunst aus Indien und Sri Lanka, bietet gerade heute in unserer westlichen Zivilisation sehr wirksame Methoden, sich selbst zu heilen und gesund zu halten. Die aktuelle Corona-Krise ist dafür eine ganz besondere Bewährungsprobe. Wir können mit Hilfe von Ayurveda unsere Abwehrkräfte stärken und einer möglichen Panik in uns und um uns herum entgegenwirken. Durch tiefere Einsicht in die Zusammenhänge von Körper, Geist und Seele, durch eine besondere Ernährung und durch Meditation. Im ersten Teil des Buches erzählt Christian Salvesen von seinen Erfahrungen während einer Ayurveda-Kur in Sri Lanka. Ein kleiner Roman mit erhellenden Tipps und hintergrundinfos. Im zweiten und dritten Teil erläutert Dr. Aruna Bandara die Lehre des Ayurveda und gibt ganz konkrete tipps, wie sich jeder selbst helfen kann - zum Beispiel bei Ängsten, Stress, Schlaflosigkeit, Hyperaktivität, Depressionen, Impotenz. Das Buch ist leicht verständlich geschrieben und eröffnet zugleich tiefe einsichten in das Leben.

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Seitenzahl: 271

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Inhaltsübersicht

Einleitung

Teil 1

ERFAHRUNGEN IN SRI LANKA

Ankunft im „Land ohne Sorgen“

Manicks Vision

Zimmer am Strand

Der „Zauberberg“

Einchecken: Die Diagnose

Nadeln, Hände und öliges Badewasser

Gesunde Kost kann ein Genuss sein

Gespräche mit Gästen

Weligama

Kräutertrank und QiGong

Stars und Sternenmeditation

Die Haut der Seele

Tiefer zum Kern

Buddha als Arzt

Teil 2

GESCHICHTE UND LEHRE DES AYURVEDA

Wie Ayurveda in die Welt kam

Entwicklung des Ayurveda bis heute

Studium in Sri Lanka

Die 8 Ayurveda-Fächer

Die 3 Energien

Die 5 Elemente

Die 20 Eigenschaften

Das Gleichgewicht finden

Die Beratung

Weitere Aspekte: Gewebe und Kanäle

Die buddhistische Tradition

Zur Geschichte

Die Heilung des Girimananda

Das Heilsame suchen, das Unheilsame meiden

TEIL 3 PRAXIS DER SELBSTHEILUNG

Ängste durchschauen und loswerden

Wovor haben wir Angst?

Angst und Gedanken

Die Doshas und die Eigentherapie

Chronische Schmerzen lindern

Schmerzen Sinn geben

Die Doshas und die Selbsthilfe

Abhilfe bei Kopfschmerzen

Stimmungstiefs und Depression entgegenwirken

Die Symptome

Im seelischen Feld

Behandlung

Doshas

Stress: Herzprobleme vermeiden

Zeit- und Leistungsdruck

Das Herz als Kraftzentrum

Selber genauer nachfragen

Den Bluthochdruck senken

Konzentrationsschwächen und Hyperaktivität meistern

Verstand und Seele

Hyperaktivität

Doshas und Behandlung

Allergien verhindern

Was sind Allergien?

Allgemeine Tipps

Die Doshas

Das Prämenstruale Syndrom verstehen

Kulturen und Hormone

Der tiefere Grund

Die Doshas und spezielle Behandlung

Sexuelle und Partnerschaftsprobleme lösen

Sex und Liebe

Sexuelle Probleme

Behandlung

Mit Magersucht und Übergewicht richtig umgehen

Das Ungleichgewicht auf der Erde

Übergewicht

Möglichkeiten der Selbstbehandlung

Wieder besser schlafen können

Innere Uhren

Doshas und Qualitäten

Das Altern, Wechseljahre, Anti-Aging

Die wahre Bedeutung des Alterns

Die Wechseljahre

Anti-Aging

Die Doshas und Qualitäten

Lebensfreude gewinnen

ANHANG

Anmerkungen

Literatur

DVDs/CDs

Adressen

Einleitung

Ayurveda wird meist übersetzt mit „Wissen vom Leben“. Es ist allerdings ein mit Weisheit und Mitgefühl verbundenes Wissen. Darin schwingt eine tiefe und umfassende Liebe zum Leben. Lieben wir das Leben? In diesem Buch möchte ich Sie bitten, sich selbst zu fragen: Wie stehe ich zum Leben? Was erwarte ich vom Leben? Wofür kann ich dankbar sein? Wo hat es mich bisher enttäuscht? Fühle ich mich womöglich vom Leben betrogen? Aus den unverblümten Fragen und ehrlichen Antworten werden die eigentlichen Lösungen für Ihre Probleme erwachsen.

Ayurveda folgt als „Wissenschaft vom Leben“ durchaus rationalen Prinzipien und objektiven Gesetzen – ähnlich wie die westliche Schulmedizin. Doch wer wie ich sowohl in der traditionellen Ayurveda-Heilkunde als auch in der modernen Medizin ausgebildet ist, sieht natürlich gut die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Richtungen. Im Jahrtausendealten Ayurveda stellt die objektive, logische Herangehensweise nur einen Aspekt, eine relativ kleine Schicht dar. In der heutigen Naturwissenschaft ist sie dagegen ausschlaggebend. Mit vielen, auch sehr komplizierten körperlichen Vorgängen kann diese rationale Wissenschaft ganz gut umgehen. Doch je näher wir dem seelischen Bereich kommen, desto weniger scheinen die technisch hoch entwickelten Apparate, Methoden und Medikamente zu helfen.

Haben Sie schon mal Ihren Hausarzt gefragt: „Herr Doktor, können Sie mir sagen, was die Seele ist?“ Er wird vermutlich ebenso ratlos sein wie Sie selbst. Sicher, es gibt viele Psychologen und Psychotherapeuten, die psychische und psychosomatische Störungen mit den unterschiedlichsten Therapien behandeln, sehr oft mit Medikamenten, die auf das Gehirn einwirken. Was wir als seelisch einstufen, Emotionen, Depressionen, Konzentrationsschwächen und vieles andere, worauf ich in diesem Buch eingehen werde, hat nach Ansicht der meisten westlichen Experten und Ärzte mit dem Gehirn zu tun. So als wäre das Gehirn der Sitz der Seele, ja, als wäre das Gehirn selbst unser innerster Kern.

Diese uns allen sehr geläufige Auffassung entspricht überhaupt nicht dem Verständnis von Ayurveda. Das ursprüngliche „Wissen vom Leben“ geht von völlig anderen Voraussetzungen und Erkenntnissen aus. Wenn ich gelegentlich lese, wie manche Hotels und Wellness-Einrichtungen für den Wohlfühl-Aspekt von Ayurveda werben, kann ich nur ungläubig den Kopf schütteln: „Lassen Sie mal Ihre Seele baumeln“. Wie kann ich „meine“ Seele „baumeln“ lassen? Wenn überhaupt, könnte umgekehrt die Seele mich baumeln lassen!

Es hängt natürlich erst einmal am Verständnis dieses Begriffs „Seele“. In der indischen Philosophie der Veda, aus der Ayurveda hervorging, ist die Seele kein Gefühl oder eine Idee, die wir mal kurz wie feuchte Unterwäsche zum Durchlüften in den Wind oder in die Sonne hängen. Die Seele (brahman, atman) ist vielmehr ein enormes, unbegrenztes Feld von Energie und Bewusstsein, in dem wir als persönliche Individuen auftauchen, leben und verschwinden. Wir haben keine individuelle Seele, wir sind eine allumfassende Seele. Viele spirituelle Traditionen benutzen zur Veranschaulichung das Bild der Welle im Meer. So wie die Welle ein kleiner Teil des Ozeans ist, doch nicht getrennt von ihm, so ist jeder von uns eine einzigartige Erscheinung und ein individueller Ausdruck des Lebens. Jedes Wesen ist Leben und mit seiner unbändigen, unendlichen Kraft aufs Innigste verbunden. Doch niemand kann es kontrollieren, auch wenn der Verstand es gerne glauben machen möchte. Der Verstand mitsamt allen Wissenschaften und Gefühlen ist selbst ein Instrument des Lebens, nicht sein Meister.

Diese Auffassung von Seele, Verstand und Ich mag etlichen Lesern bereits bekannt, anderen fremd sein. Doch selbst wer davon gehört oder darüber gelesen hat, wird zugeben, dass die innere Umstellung auf diese Perspektive nicht so selbstverständlich und simpel ist. Wir können es ruhig immer wieder hören, denn in den üblichen Nachrichten, Kultur- oder Ratgebersendungen ist davon nie die Rede.

Alles hängt zusammen. Das Leben ist ein Mysterium, ein unverdientes Geschenk, eine Gnade, eine unendliche, unvorhersehbare Reise. Möge dieses Buch Mut machen und jeden Leser darin bestärken, dem Leben zu vertrauen und die Reise mit Freude, Kreativität und Dankbarkeit fortzusetzen – wohin auch immer sie führt!

Aruna Bandara

Ich kann mich Aruna nur anschließen. Wir begegneten uns 2005 wegen eines Buchprojekts und wurden bald Freunde. Dieses Buch veröffentlichen wir gemeinsam. Es enthält Teile aus dem Buch „Ayurveda hautnah“ von Doris Iding und mir und Teile aus „Ayurveda für die Seele“ von Aruna Bandara. Die Bücher erschienen 2005 und 2007 im O. W. Barth Verlag und sind seit vielen Jahren vergriffen.

Meine Erfahrungen während einer Ayurvedakur in Sri Lanka 2004, ein Jahr vor dem Tsunami, schildere ich im ersten Teil. Die Beschreibungen der Ayurvedabehandlungen bilden nur einen Teil davon. Das Flair der Insel, die Kontakte mit den Menschen, die Gespräche, die auftauchenden Erinnerungen, das alles gehört für mich zum Thema Ayurveda. Und dann begegnete ich einem buddhistischen Mönch, ehemals ein bekannter westlicher Psychologe, der vieles von dem, was im Westen als Ayurveda populär ist, in Frage stellte. Er behauptete, Ayurveda sei eigentlich buddhistischen Ursprungs und zeige einen Weg aus dem Leiden, das aus Unwissenheit entstehe. Zugleich bestätigte er meine intuitive Auffassung, dass alles, was wir erleben, im Ayurveda zählt.

Die Ayurveda-Hotels in Barberyn Reef und Weligama haben den Tsunami relativ glimpflich überstanden. Während und nach der Katastrophe hat Mr. Manick, der Besitzer, seinen Landsleuten in den Hotels Zuflucht, Unterkunft und Verpflegung geboten. Ab 2006 konnten in den renovierten Gebäuden wieder die ersten westlichen Gäste für die Ayurvedabehandlung empfangen werden. Heute zählen die beiden Einrichtungen zu den beliebtesten Hotels mit authentischem Ayurveda in Sri Lanka. Im Anhang gebe ich eine Auswahl an Internetadressen.

Im zweiten und dritten Teil dieses Buches besteht meine Aufgabe vor allem in der sprachlichen Vermittlung des Wissens meines Freundes Aruna Bandara. Er ist Arzt, nicht Schriftsteller. Ich schreibe diese Zeilen während der „Corona-Krise“ im Frühjahr 2020. Jeder kann mit den praktischen Tipps aus der Ayurveda-Tradition gerade in dieser Situation etwas Gutes für sich selbst und in der Familie bewirken. Wie stärke ich mein Immunsystem und schütze mich vor Ansteckung? Wir gehe ich mit Angst und Enge um? Wie hilft mir die Ernährung, klar und zuversichtlich zu bleiben? Wir behalten dabei die tiefergehenden Fragen nach dem Sinn von Leben und Tod stets im Blick. Denn so funktioniert Ayurveda: Was wir Menschen am meisten fürchten und lieben bestimmt unser Lebensgefühl und unsere Gesundheit.

Christian Salvesen, April 2020

TEIL 1: ERFAHRUNGEN IN SRI LANKA

Ankunft im „Land ohne Sorgen“

Flughafen Colombo, Sri Lanka, 15. Januar 2004, 12.15 Uhr. Die Maschine landete pünktlich. Ich kam diesmal aus der südindischen Hauptstadt Madras, die nun Chennai heißt. Nur eine Stunde Flug. Ein Klimaschock war nicht zu erwarten. In den vergangenen zwei Wochen hatte ich angenehme Tagestemperaturen von 24-28 Grad Celsius genossen. Beim Lande-Anflug vom Meer her sieht man lehmig-braune Seen inmitten von Palmenwäldern unter sich vorbeiziehen. Tropische Gefilde. Im Flugzeug ist die Luft noch kühl. Als ich aus dem Flugzeug ausstieg, war ich allerdings doch überrascht, wie schon bei meinen früheren Ankünften in Sri Lanka. Welch eine Treibhaus-Luft!

Die Seefahrer früherer Jahrhunderte haben es sicher anders empfunden. Araber, Portugiesen, Holländer und Briten sahen die Konturen der Insel am Horizont aufsteigen. Die Luft würde für sie – zumindest an der Küste – so warm und feucht bleiben wie zuvor. Sie mögen sich nach Erde unter den Füssen, grünen Pflanzen ringsum, frischem Wasser, gutem Essen, Bewegung und Kontakt mit anderen Menschen gesehnt haben. Der geschäftliche Grund der monatelangen Reise waren vor allem die Gewürze. Pfeffer, Ingwer, Zimt oder Muskatnuss wurden in Europa mit Gold aufgewogen. Heute werden abgepackte Gewürzsortiments an jeder Straßenecke für ein Euro angeboten. Immer noch ein nettes Geschenk für Freunde zuhause.

Sri Lanka war und ist das Juwel im indischen Ozean. Der Name „Lanka“ bedeutet schönes, leuchtendes Land. So nannten die aus Indien kommenden Arier die Insel in der vedischen Zeit (1500-400 v. Chr.). Für die Chinesen war Lanka das „Land ohne Sorgen“. Im Laufe ihrer wechselhaften Geschichte erhielt die Insel unterschiedliche Namen. Aus einem von ihnen, „Silan“, machten die Engländer im 18. Jahrhundert „Ceylon“. Seit 1972 heißt der unabhängige, sozial-demokratisch regierte Nationalstaat Sri Lanka.

Am Ausgang des kleinen Flughafens warteten Leute mit Namensschildern. Ja, da war auch mein Name. Die Email-Kommunikation mit dem Barberyn Reef Ayurveda Hotel hatte also funktioniert. Der junge Mann mit dem Schild lächelte freundlich, als ich auf ihn zukam. Sein Name war Ravi. Er bedeutete mir zu warten, bis er mich mit dem Auto abholen würde. Der Bereich um den Flughafen war stärker abgeschirmt als in Indien, wo sich Taxifahrer und Händler an einen herandrängten. Immerhin hatte Sri Lanka in den vergangenen 25 Jahren unter einem Bürgerkrieg gelitten, in dem über 50.000 Menschen umgekommen sind.

Bei meinem ersten Besuch 1976 war davon noch nichts zu spüren gewesen. Damals konnte ich auf der Rundreise die Ruinen von Anuradhapura, der ersten Hauptstadt Sri Lankas (ca. 300 v. Chr. bis 700 n. Chr.) besichtigen. Sie liegt relativ hoch im Norden der Insel. Bei meinem zweiten Besuch im Januar 2000 war dieses Gebiet abgeriegelt. An vielen Straßen gab es Militärsperren. Der Spannungsherd schwelt seit Jahrtausenden. Immer wieder mussten sich die stolzen Singhalesen (der Name bedeutet „Löwenrasse“) vor südindischen Invasoren zurückziehen. Im 19. Jahrhundert holten die Englänger Tamilen aus dem heutigen Bundesstaat Tamil Nadu als Teepflücker nach Sri Lanka. Die hinduistischen Tamilen leben im Norden und Osten der Insel. Gemessen an den buddhistischen Singhalesen, die 74 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, bilden sie mit etwa 18 Prozent (neben 7 Prozent Muslims und 7 Prozent Christen) eine Minderheit, die sich unterdrückt fühlt. Ihre radikalen Vertreter, die „Tamil Tigers“, verübten zahlreiche Bombenanschläge. Das bremste natürlich auch die Haupteinnahmequelle Sri Lankas, den Tourismus.

Ich konnte allerdings unbesorgt sein. Die Situation war zur Zeit relativ entspannt. Ravi kam mit einem Kleinbus vorgefahren. Ich war der einzige Fahrgast, machte es mir auf einem der vorderen Sitze bequem und genoss die Klimaanlage. Allein für die Fahrt durch Colombo brauchten wir über eine Stunde. Was sich da auf der Straße abspielte, würde jedem deutschen Verkehrspolizisten den Angstschweiß von der Stirne tropfen lassen. Busse überholten Lastwagen, die gerade die dreirädrigen Taxis überholten, die wiederum haarscharf an Fahrrädern, Fußgängern oder streunenden Hunden vorbeiratterten. Das überbot sogar noch, was ich gerade auf Indiens Straßen erlebt hatte. „Heute wenig Verkehr, Feiertag“ grinste Ravi. Ach ja, es war Bungal, das Neujahrsfest der Hindus. In Madras hatte es Feuerwerk und Umzüge gegeben. Hier war davon nichts zu bemerken. Wenig Verkehr? Über Seitenstraßen durch Randgebiete der Stadt hatten wir schließlich die Küstenstraße nach Süden erreicht. Gelegentlich schimmerte durch Palmen das blaue weite Meer.

Nach gut zwei Stunden Fahrt tauchte vor uns die weiße Glockenform eines großen Stupa auf. Der Stupa ist ein typisch buddhistischer Bau, ein Monument, das bereits vor über 2000 Jahren zum Gedenken an Buddha in Indien, Nepal und Sri Lanka errichtet wurde. Der Legende nach stritten acht Fürsten nach Buddhas Tod um dessen Knochen. Jeder bekam dann schließlich einen Teil der sterblichen Überreste und ließ über der Reliquie einen halbkugelförmigen Stupa bauen. Der älteste erhaltene Stupa steht im indischen Sanchi, doch auch der Stupa von Anuradhapura, eines der als Weltkulturerbe geschützten Denkmäler auf Sri Lanka, hat über 2000 Jahre auf dem Buckel. Der 40 Meter hohe Stupa von Kalutura, der vor uns näher rückte, war sehr viel jünger, gilt aber den Buddhisten hierzulande als eines der bedeutendsten Heiligtümer. Ravi hielt auf der Brücke vor dem Heiligtum an, stieg aus, warf eine Geldmünze in einen Kasten am Brückengeländer und sprach ein kurzes Gebet. „Wegen Glück und Schutz“ erklärte er mir. Er kooperierte allerdings mit Buddha, fuhr wachsam und vermied jedes riskante Überholmanöver.

Immer öfter wurde nun der Blick auf herrliche Palmenstrände frei. Die Strasse führte dicht am Meer entlang. Doch nach nun fast drei Stunden Fahrt wurde ich allmählich ungeduldig. Es sollten doch nur 80 Kilometer vom Flughafen bis zum Ayurveda-Hotel in Beruwela sein! Ich studierte die Ortschilder mit der malerisch verschnörkelten Schrift in Singhalesisch und Tamil, in der untersten Reihe die für mich lesbaren lateinischen Buchstaben.

Englisch ist die dritte offizielle Landessprache. An etlichen Schulen wird sogar Deutsch unterrichtet. Mit knapp 10% Analphabeten liegt Sri Lanka weit unter dem Schnitt in den Nachbarländern. Die Schulbildung in diesem Land, deren 18 Millionen Bevölkerung zu zwei Dritteln unter 30 Jahre alt ist, kann für asiatische Verhältnisse als vorbildlich gelten. Allerdings suchen gerade die jungen Leute ihr Glück im westlichen Ausland. Nur wenige bekommen aufgrund ihrer Qualifikation die begehrte Ausreise-Genehmigung. Dazu gehören auch Ayurvedaärzte.

Endlich bogen wir in einer größeren Ortschaft ab in einen kleinen Weg mit Schlaglöchern, die nur Schritttempo erlaubten. Jetzt erinnerte ich mich. Vor vier Jahren musste man hier ebenfalls so langsam fahren. Es hatte sich nichts geändert. Der Weg diente nach wie vor als Zufahrt für verschiedene Hotels und Privathäuser und endete gut 500 Meter von der verkehrsreichen Straße entfernt unter dem Dach des Barberyn Reef Hotels, direkt vor der Rezeption. Als ich die Empfangshalle mit den schweren, dunklen und mit Schnitzereien verzierten Kolonialzeit-Möbeln wiedersah, dahinter das geräumige Restaurant mit den großen Glastüren, die sich zum Strand und zum Meer hin öffneten, fühlte ich mich, als hätte ich diesen Ort nie verlassen, als wäre keine Zeit vergangen. Wie konnte das sein?

„Willkommen in Barberyn. Hatten Sie eine gute Reise?“ begrüßte mich der Mann an der Rezeption. Ravi hatte inzwischen mein einziges Reisegepäck, einen kleinen Rucksack, ausgeladen und von mir zum Abschied ein Trinkgeld von 100 Rupien empfangen, was ihn strahlen ließ. Für uns Europäer entspricht das einem Euro, für Ravi bedeutete es wenigstens das Zehnfache an Kaufwert.

Über die Frage nach dem angemessenen „Trinkgeld“ entfachen sich unter westlichen Touristen in ärmeren Ländern wie Sri Lanka immer wieder heftige Diskussionen. Ein normaler Bauer oder Teeplantagenarbeiter verdient vielleicht gerade mal einen Euro am Tag. Stören wir mit zu hohen Trinkgeldern nicht das gesamte Sozialsystem? Im Einführungsvortrag hier im Hotel wird empfohlen, dem Personal des Gesundheitszentrums, speziell den Masseuren, 200-300 Rupien (2-3 Euro) wöchentlich zu geben. Den Kellnern könne man gelegentlich 50 Rupien in die Hand drücken.

Fragen wie: „Wie viel soll ich ihm oder ihr geben?“ können die Ruhe einer Ayurvedakur durchaus beeinträchtigen. Sie scheinen lächerlich und geistern dann doch während einer eigentlich entspannenden Massage im Kopf herum. In der ältesten überlieferten Ayurveda-Schrift, der Charaka-Samhita, werden Freigebigkeit und Opferbereitschaft als erste Tugenden und Voraussetzungen für ein gesundes Leben aufgeführt. Ich fand bald eine praktische Lösung: Am besten man gibt dem Personal gleich nach der ersten Behandlung hundert Rupien und ist dann diese Sorge für einige Tage los.

„Bitte, nehmen Sie doch im Restaurant Platz. Wir haben noch Mittagessen für Sie.“ Danke, sehr aufmerksam! Ich ging unschlüssig durch den jetzt am Nachmittag menschenleeren, großen Speisesaal, vorbei an vielen Tischen mit Schildern mit Nummern darauf. Ach ja, die Zimmernummern! Man saß ja bei den Mahlzeiten stets am selben Platz. Ein junger Mann in einer Art Karateanzug mit rotem Gürtel trat aus dem hinteren Küchenbereich auf mich zu, geschmeidig und aufgerichtet. Er sollte mich offensichtlich bedienen. Er sah mich nur ruhig an. War er nicht auch schon vor vier Jahren hier? Erkannte er mich wieder? Sein Gesicht verriet keine Regung. Ich zeigte nach draußen, wo einige kleine Tische und Sitzgelegenheiten aus Stein standen, im Sand unter Palmen. „Ich würde gerne dort essen, ist das möglich?“ „Natürlich, Sir, Was möchten Sie trinken?“ Nach einem kurzen Zögern sagte ich: “Kaffee, bitte!“

„Gerne. Kommt sofort.“ Mein Gegenüber – die Bezeichnungen „Kellner“ oder „Herr Ober“ passten hier einfach nicht - verzog keine Miene. Er hatte sicher, wie alle vom Personal, ein Namensschild. Es ist gut, die Menschen hier bei ihrem Vornamen anzureden. Doch ich war zu abgelenkt von all den neuen Eindrücken und nervös. Ich sah weder das Namensschild noch fragte ich ihn nach seinem Namen. Erst nach einigen Tagen wurde mir bewusst, dass jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, ja, alles was ich wahrnahm, zur Ayurveda-Kur – zur Einsicht in das Leben - dazugehörte.

Kaffee ist neben Alkohol in der Regel tabu in jeder Ayurvedakur. Aber meine Kur hatte ja noch nicht begonnen. Es würde mein letzter Kaffee für die nächsten sechs Tage bis zu meiner Abreise sein. Ich lebe normalerweise nicht gesund. Ich rauche bis zu 20 Zigaretten und trinke eine Flasche Rotwein, während ich nachts am PC schreibe. Bisher hat mir das nicht viel ausgemacht. Allerdings teilten mir ausgerechnet die Ayurvedaärzte hier vor vier Jahren erstmals mit, dass mein Blutdruck zu hoch sei. Vor zwei Jahren bekam ich dann in Deutschland Medikamente zur Blutdrucksenkung verschrieben.

Der starke Kaffee kam und ich rauchte dazu ein indisches Bidhi, ein kleines gerolltes Tabakblatt mit Krümeln von Tabak und undefinierbaren Kräutern darin. Der Geruch erinnert manche an Marihuana. Ich kann das nicht beurteilen, weil ich seit einem Verkehrsunfall vor 30 Jahren überhaupt nichts mehr rieche. Möglicherweise sind beim Aufprall meiner Stirn auf die Windschutzscheibe die Geruchsnerven gerissen. Westliche Ärzte hatten damals den Fall als unheilbar abgehakt. Vor vier Jahren hatte ich es hier beim Gesundheitscheck erwähnt. Sollte ich noch einmal darauf eingehen? Ich entschied nein. Ich konnte ganz gut alle Speisen schmecken. Den Geruchsverlust empfand ich schon lange nicht mehr als Verlust an Lebensqualität. Was wollte ich hier eigentlich? Abnehmen, Blutdruck senken, Recherchieren, Entspannen, das Meer genießen? Irgendwie erhoffte ich mir immer noch so etwas wie eine grundlegende Einsicht, was das Leben eigentlich ist.

„Ihr Lunch, Sir!“ Feine, dunkelbraune Hände platzierten flink und zugleich sicher diverse Schälchen mit gebratenem Fisch, Reis und Gemüse auf dem kleinen Steintisch. „Sagen Sie mal, kennen wir uns nicht?“ „Ja, Sie waren schon einmal hier!“ Einige Sekunden fühlte ich mich wie betäubt. Der hatte mich nach all den Jahren wiedererkannt und sich nichts anmerken lassen! Hatte ich ihn damals vielleicht irgendwie beleidigt? Nein. Er wirkte auch nicht beleidigt. Einfach nur höflich-kühl. Waren wir westlichen Touristen für die Einheimischen möglicherweise nur ein notwendiges Übel? Nein, solche Verallgemeinerungen stimmen nicht. Wir müssen genauer beobachten, vor allem unsere Beurteilungen! In den folgenden Tagen zeigte sich, dass mich einige Menschen nach den vier Jahren wieder erkannten. Sie lachten und freuten sich. Wie andere sich verhalten, hat meist viel weniger mit uns zu tun als wir glauben. Jeder hat seine besondere Art, und gerade Ayurveda kann uns helfen, ein Verständnis für die Individualität zu entwickeln. Wir sehen den Anderen und auch uns selbst klarer, ohne unsere persönlichen Vorurteile, Erwartungen und Emotionen.

Während ich mir aus den sechs Schalen die Leckereien auf den Teller schaufelte, überlegte ich, wie es nun weitergehen sollte. Ich war bisher davon ausgegangen, dass ich heute noch weiterfahren würde nach Weligama an der Südspitze der Insel. Dort war vor einem Jahr die Zweigstelle von Barberyn fertig geworden, ein Ayurveda-Hotel mit mehr Platz und viel unberührter Natur. Dort wartete Hans-Georg auf mich. Seit 1992 leitet er in Barberyn Yoga- und Qi Gongkurse. Er hatte mich vor vier Jahren zu meiner ersten Ayurvedakur und Recherche angestiftet und auch diesmal entscheidend dazu beigetragen, dass ich hier war.

Manicks Vision

„Mister Manick ist von Colombo auf dem Weg hierher und wird Sie bald begrüßen!“ kündigte mir mein geschmeidiger Karate-Kellner mit dem höflich-undurchdringlichen Gesichtsausdruck an. Manick Rodrigo ist der Besitzer und Spiritus Rektor dieser und der neuen Hotelanlage. Ich hatte ihn vor vier Jahren interviewt. Sein Vater, Sudhana Rodrigo, ließ 1968 das Barberyn Reef Hotel an diesem idyllischen Strand bauen. Das vorgelagerte Korallenriff schirmt hier die Ozeanwellen ab und lässt so ein etwa 150 Meter langes und 40 Meter breites, natürliches Schwimmbecken entstehen. In den 70er Jahren begann Sudhanas eigentliche Pionierarbeit. Er bot Ayurveda an. Keiner der westlichen Touristen hatte je davon gehört. Sie mussten zu kostenlosen Massagen überredet werden. Doch allmählich sprach es sich herum, vor allem in Deutschland. „Das tut ja wirklich gut!“ Längst gibt es andere Hotels, an der Küste und im Landesinneren, die Ayurveda anbieten. Barberyn ist zwar kein 5-Sterne-Hotel, doch nach allem, was ich selbst erfahren, von anderen gehört und gelesen hatte, ist die Kompetenz im Ayurveda hier nach wie vor unübertroffen. Über 50 Fachkräfte - Ärzte, Masseure, Köche, dazu noch gut weitere 100 Angestellte (Gärtner, Wächter, Fahrer etc.) - kümmern sich, wenn das Hotel voll belegt ist, um 140 Gäste, die zum Teil immer wieder kommen und schon lange vorher buchen.

Sollte ich einige Tage hier in Barberyn bleiben dürfen, umso besser. Ich liebte diesen Platz. Doch was auch immer nun weiter geschehen würde, ich fühlte mich entspannt und zugleich allem gegenüber offen. Ein herrlicher Zustand. Keine Kunst in dieser paradiesischen Umgebung. Wofür kommt man schließlich hierher?

Manick war da. Wie einer dieser exotischen Fische, die ihre Farbe den Korallen anpassen, trat er lautlos aus dem Hintergrund des Restaurants hervor. Er trug einen Wickelrock, den Sarong, das traditionelle Kleidungsstück der Einheimischen. Ziemlich ungewöhnlich für einen Chef, sich so schlicht zu kleiden, fand ich. Wollte er damit irgendetwas demonstrieren, eine bestimmte religiöse oder sozialpolitische Gesinnung zum Ausdruck bringen? Oder fand er diesen Dress einfach nur lässig und bequem? Manick hat eine Vision, das wusste ich aus Gesprächen mit Hans-Georg. Es war auch aus der bisherigen Entwicklung von Barberyn-Reef und dem professionellen Internetauftritt ersichtlich. Ayurveda sollte nicht in die rein materielle Wellness-Schiene rutschen, sondern so authentisch wie möglich – doch mit westlichem Komfort – angeboten werden.

„Hatten Sie eine angenehme Reise?“ Manick sprach leise und vorsichtig. Er sah mich nur kurz an, dann blickten seine großen, glänzenden Augen an mir vorbei, vielleicht auf das Meer. Ich empfand eine Art von Scheu. Kam sie von ihm oder von mir? „Oh ja, es lief alles wunderbar, vielen Dank. Ich bin sehr froh, wieder hier zu sein!“ Es war einen Moment still. Nicht unangenehm, doch ungewöhnlich. Im Westen hat ein Mann mit Visionen in der Regel viel zu sagen. Er spricht meist laut und ohne Pausen. Manicks Sarong war vielleicht doch kein Überzeugungsmanöver, sondern einfach stimmig.

„In Weligama wartet mein Freund Hans Georg, den alle hier seit Jahren als Mr. Hans kennen auf mich“ sagte ich. Manick schien aus der Ferne zurückzukommen und antwortete: „Ja, ich weiß. Da ist ein Missverständnis passiert. Seit einem halben Jahr wohnt hier in Barberyn ein anderer Mr. Hans aus Deutschland. Er hilft mir bei den Übersetzungen und hält Einführungsvorträge. Bleiben Sie doch erstmal hier. Sie können ihn heute Abend beim Dinner kennen lernen.“ Er sagte wie beiläufig einige Worte auf Singhalesisch zu einem der Angestellten, der in der Nähe stand, worauf dieser nickte und verschwand.

Was es mit dem Missverständnis auf sich hatte, konnte ich zu diesem Zeitpunkt nur vage vermuten. Ich hatte mich in Emails schon vor Monaten als Journalist und Buchautor angekündigt, der über das Barberyn-Reef-Projekt schreiben wollte und mich dabei auf Mr. Hans berufen. Dass es da noch jemanden gab, der so hieß und mich natürlich nicht kannte, wer konnte das ahnen! Man hatte ihn wahrscheinlich gefragt und nur Kopfschütteln als Antwort erhalten.

Der Angestellte tauchte wieder auf und sagte etwas zu Manick. „Mr. Hans wird heute Abend mit Ihnen am Tisch sitzen. Er kann Ihnen weitere Fragen beantworten. An der Rezeption wird man Ihnen Ihren Zimmerschlüssel geben. Morgen Vormittag können Sie sich im Gesundheitszentrum checken lassen. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt!“ Meine erste Unterredung mit Manick war beendet. Er entfernte sich wieder so unauffällig wie er gekommen war. Es sollten weitere Gespräche folgen, in denen sich mir dieser stille Mensch mit seiner „Vision“ allmählich offenbarte und erschloss.

Zimmer am Strand

Mein Zimmer befand sich hier im Haupthaus über dem Restaurant. Der Weg führte über eine gerade Holztreppe auf einen Innenbalkon mit den großen, dunkelbraunen Zimmertüren auf der einen und der gut zehn Meter hohen Empfangshalle auf der anderen Seite. Mein Zimmer war das letzte auf diesem offenen Gang. In der Halle unter mir plätscherte ein kleiner Wasserfall über aufgetürmte Felsbrocken in einen von üppigen Pflanzen umgebenen Teich. Das sprudelnde Wasser verströmte eine belebende Frische. Abends und nachts quakten Frösche.

Das Zimmer wirkte geräumig durch die hohe Decke und die großen Fenster mit dem Blick aufs Meer. Im schmaleren Eingangsbereich führte eine Tür nach rechts zum Badezimmer mit Dusche, westlichem WC und Waschbecken. Gegenüber befanden sich dunkle Holzregale und ein Kleiderschrank. Das Zimmer selbst war zu Zweidrittel ausgefüllt von dem riesigen Doppelbett mit dem Moskitonetz darüber, das während des Tages zusammengebunden über dem Bett hing.

Ich dankte dem Zimmerboy, der mein unansehnliches Reisegepäck getragen und mich in mein neues Heim eingeführt hatte. Eigentlich mag ich diese Hoteletikette nicht, wo einem ständig irgendein Bediensteter zur Hand geht. Lieber trage ich meine Sachen selbst und betrete mein neues Zimmer allein. Doch ist ein Hotel nicht eine Art soziales Gewebe, wo jeder seine Funktion und seinen Platz hat? Ja, wie in einem Korallenriff, wo die großen Fische ihr Maul aufsperren, um die kleinen Putzerfische die Parasiten fressen zu lassen. Hm. Irgendwie erschien mir dieser Vergleich zwar nicht so ganz überzeugend, doch ich wollte das nicht vertiefen. Wichtiger war mir jetzt der Ausblick aufs Meer. Ich hatte meinen eigenen Balkon.

Direkt unter mir blickte ich auf den Hotelgarten mit Palmen und exotischen Pflanzen, dazwischen einer der Steintische, wo ich gerade gesessen hatte. Dieser etwa fünf Meter breite Bereich war durch einen Zaun abgetrennt vom öffentlichen Strand und dem natürlichen Schwimmbecken. In Sri Lanka sind im Prinzip alle Strände für jedermann zugänglich. Dort am Strand, der je nach Gezeiten zwischen zehn und zwanzig Metern breit war, zogen also etliche Touristen und Einheimische, meist Händler vorbei. Ich schaute auf den Horizont, wo sich Wasser und Himmel still auf der geraden Linie berührten.

In den Palmen vor mir bewegte sich etwas. Eine Art Eichhörnchen, nur kleiner und ohne den buschigen Schwanz, turnte dort in den weit ausladenden Blättern herum und stieß dabei helle, keckernde Laute aus, zwitscherte fast wie ein Vogel. Bewegung! Das war es, was ich jetzt brauchte. Raus, an den Strand!

Auf dem glatten Steinweg, der innerhalb der durch Pflanzen vom Strand abgetrennten Anlage parallel zum Strand verlief, ging ich barfuß. Die warmen Ziegelsteine fühlten sich gut an. Rechts zur Seeseite lagen einige Gäste auf Liegen. Sie lasen, dösten oder unterhielten sich miteinander. Links lagen kleine Bungalows, die genug Platz für zwei bis drei Personen boten. Mehrere Ausgänge führten zum Strand. Am Ende des Weges und der Hotelanlage kam ich zu einem kleinen Strandrestaurant, wo man Bier, Kaffee und alle möglichen Speisen bestellen konnte, die nicht gerade zur Ayurveda-Diät gehörten.

Als meine Füße von den weichen, warmen Wellen des Meeres umspült wurden, die frische Seeluft meine Lungen füllten und der Blick die Strandszene mit den Menschen am Wasser und der kleinen vorgelagerten Insel wie eine Kamera einfing, geschah etwas Seltsames. Dieselbe Szene und dasselbe Gefühl, so schien mir, hatte ich hier an dieser Stelle vor vier Jahren erlebt – und schon damals war mir das Ganze traumhaft und zeitlos vorgekommen.

Wie in einem unendlichen Kaleidoskop, wo sich Farbsplitter zu immer neuen Bildern zusammenfügen.

Das Grundgefühl – ich prüfte nach – war durchaus angenehm. Die laue, weiche Luft schien jeden inneren Widerstand aufzulösen. Ich dachte kurz an Deutschland im Winter, an einen Schneesturm und die Anspannung des Körpers. Hier war kein Schutz nötig. Die Haut, äußere Grenze des Körpers, schien so durchlässig wie Luft. Innen und außen verschmolzen zu einer beschwingten Melodie.

Ich ging weiter im seichten Wasser den Strand entlang. Die späte Nachmittagssonne tauchte alles in ein unwirkliches, rötliches Licht. Wieder versuchte ich, die Grundqualität des Lebens zu erspüren. Alle Eindrücke und Empfindungen zusammengenommen, wie die vielen Zutaten zu einem Kuchen – was genau war der Geschmack? Einerseits veränderte sich ja alles ein wenig in jedem neuen Moment: Der linke Fuß traf unerwartet auf etwas Hartes und Spitzes, da kam ein Hund angerannt, ein Jogger überholte mich, der Gedanke, umzukehren tauchte auf. Und zugleich war da so etwas wie eine stets gleichbleibende Grundqualität. Das Gefühl zu sein, zu leben? Es entglitt immer wieder meiner Aufmerksamkeit wie ein glitschiger Fisch und schließlich machte ich kehrt und dachte an den heutigen Abend.

Der Zauberberg

Dinner (Abendessen) war von 19.30 – 21.30 Uhr. Die Sonne hatte sich milde lächelnd verabschiedet. Ihre letzten Strahlen ließen die Wolken über dem Meer dunkelrot-violett aufleuchten, was die Herzen vieler Strandbesucher erfreute, die meist still dasaßen. In Sri Lanka werden die Tage während des ganzen Jahres kaum kürzer oder länger. Die Sonne geht morgens zwischen 6 und 7 Uhr auf und abends zwischen 18 und 19 Uhr unter. Die Dämmerung dauert etwa eine halbe Stunde.

Als ich um 19.40 Uhr den Speisesaal betrat, war das sanft rauschende Meer in Dunkelheit gehüllt. Nur drei oder vier der insgesamt etwa 20 Tische waren bisher von Hotelgästen besetzt. Einer der Karate-Kellner fragte mich nach meiner Zimmernummer und führte mich daraufhin an einen noch unbesetzten Tisch. Da stand ein Schild mit meiner Nummer neben drei weiteren Nummernschildern.

„Das Menü für heute Abend, Sir!“ Der hoch gewachsene, kräftige junge Mann überreichte mir die Karte wie einen persönlichen Brief. Sie war tatsächlich kaum größer als eine Glückwunschkarte und beschrieb in feiner Druckschrift drei Gänge mit einer Auswahl für das Hauptgericht. Hähnchen oder vegetarisch. „Was darf ich Ihnen zu trinken bringen, Sir?“ Ich bestellte einen Orangensaft und schwarzen Tee. Alkoholisches gab es hier nicht und Kaffee schien mir nicht mehr angebracht.

Es waren also drei weitere Tischpartner zu erwarten. Einer von ihnen würde wohl der mir von Manick angekündigte Mr. Hans sein. Ich blickte herum und betrachtete möglichst unauffällig die anderen Gäste. An einem Tisch saß ein Pärchen etwa Mitte dreißig, das schaute ziemlich gelangweilt und unterhielt sich kaum. An zwei anderen Tischen saß jeweils eine Vierergruppe, offensichtlich in ein angeregtes Gespräch vertieft. Einige bemerkten meinen Blick und nickten lächelnd zum Gruß.

Zwei Männer kamen jetzt auf meinen Tisch zu. Sie waren wie alle hier leger gekleidet, trugen Jeans und Hemden, was zu ihrer sportlichen, schlanken Erscheinung passte. Der Ältere, etwa Mitte fünfzig, mit grauem, gepflegtem Bart, Denkerfalten auf der hohen Stirn und dunklen, ruhigen Augen, streckte mir seine Hand entgegen: „Hallo, ich bin der besagte Mr. Hans. Johannes Hirsch. Manick hat mir von Ihnen erzählt.“ Er zeigte auf seinen Begleiter, den ich auf Ende dreißig schätzte. „Das ist Dr. Markus Gollmann, Arzt für Allgemeinmedizin. Wir kommen beide aus Stuttgart und kennen uns schon lange.“ Die beiden haben wohl jahrelang zusammen Tennis gespielt, so durchtrainiert wie die aussehen, dachte ich. Die Begrüßung war locker, ja herzlich, als würden wir uns schon länger kennen. „Was gibt es denn heute? Spätzle oder Schweinebraten mit Knödeln?“ meinte Hans lachend.