Abenteuer SpaceCamp - Annika Lüders - E-Book

Abenteuer SpaceCamp E-Book

Annika Lüders

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Beschreibung

Endlich! Der 13-jährige Sky hat es geschafft, er darf die Sommerferien im Space Camp verbringen. Und nicht nur das: Die Teams, denen es gelingt, die harte Ausbildung abzuschließen, werden mit einem Flug ins All belohnt. Ausbilder Lüders und seine Assistentin Kristal Datafile setzen alles daran, die Jungen ihrer Gruppe durchzubringen. Als Skys Team zu seinem Weltraumflug startet, gerät ihr Raumschiff in einen Antimateriesturm und wird in eine weit entfernte Galaxie geschleudert. Alle vier Jungen überleben die Bruchlandung auf einem fremden Planeten, der zunächst zwar ausgesprochen karg, doch unbewohnt erscheint. Ausgestattet mit letzten Vorräten an Weltraumnahrung und Wasser, machen sich Sky, Jonas, Patrick und Matthew auf, nach Hilfe zu suchen und erleben das wohl unglaublichste Abenteuer ihres Lebens samt brenzligen Begegnungen mit Aliens und Doppelgängern.

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Annika Lüders

ABENTEUER SPACE CAMP

Mit Zeichnungen der Autorin

BUCH 01

KAPITEL 01

Die Dunkelheit des Weltalls umschloss ihre Galaxien wie seit 14 Milliarden Jahren, als Sky Target zum ersten Mal einen Fuß ins Space Camp setzte. Er war 13 Jahre alt und verliebte sich sofort in die gigantische Anlage. Es war ein heller Tag. Ganz im Osten und von überall aus sichtbar thronte stolz die Startrampe. Von hier wurden mit einer Kraft von 650 Tonnen Treibstoff die Raketen ins All geschossen. In einer von ihnen würde er sitzen. Tief in ihm kribbelte es vor Ehrfurcht und Abenteuerlust.

Dass so junge Menschen überhaupt ins All fliegen konnten, verdankten die Auserwählten einem ungeheuer reichen Mann aus den USA. Er lebte in Texas, hatte mit Raumfahrt nichts am Hut, erfüllte aber seinen Söhnen jeden Wunsch. Und die wollten nun mal ins All und nicht warten, bis sie erwachsen waren und in ein Raumfahrtprogramm aufgenommen wurden.

Also kaufte dieser Texaner Land in der kasachischen Steppe und ließ ein Raumfahrtzentrum errichten. Er pumpte Milliarden in die Forschung und Entwicklung der internationalen Raumfahrt. Einzige Bedingung: Es musste jedes Jahr ein Astronautencamp für den Nachwuchs geben. Wer in der Ausbildung gut genug abschnitt, durfte zu einem mehrtägigen Flug ins All starten. Das war den Verantwortlichen der internationalen Raumfahrt nur recht. Nachwuchs so früh wie möglich zu entdecken und zu fördern war ein akzeptabler Preis für die Möglichkeiten, die das Geld des Stifters ihnen eröffnete.

Sky schaute zum Himmel hinauf. Sein Blick wurde vom leuchtenden Blau der Stratosphäre gestoppt. Sky wusste, welche Schichten der Erdatmosphäre darüber lagen: erst die fast minus 100 °C kalte Mesosphäre. Dann kam die 500 Kilometer breite Thermosphäre, die es mit ihren wirbelnden Teilchen auf brutal heiße 1700 °C brachte. Daran schloss sich in 600 Kilometer Höhe die Exosphäre an, die nahtlos in das tiefe, dunkle und bitterkalte Weltall überging.

Dort herrschten Gleichgültigkeit und Leere. Ab und zu saugte ein Schwarzes Loch alle Materie an, die sich in seiner Nähe befand, und vernichtete sie völlig. Dann war es wieder lange, lange still. Die einzige Aufgabe des Weltalls bestand darin, den Verstand und die Vorstellungskraft des Menschen majestätisch an sich abprallen zu lassen. Das Weltall hatte nichts zu beweisen. Die Menschen wollten manchmal nachschauen, was da draußen so los war. Manchmal erreichten sie ein Ziel und fanden auch etwas. Winzige Dinge wie Mondgestein oder Pole aus Eis auf dem Mars.

Manchmal aber bezahlten sie ihre Neugier mit dem Leben.

Astronauten starben beim Start ihres Raumflugs, weil ein winziges Staubkorn an einer Dichtung rieb, die den Treibstoff dann nicht mehr völlig von der Umgebung isolierte und so die ganze Rakete explodieren ließ. Sie starben im Weltall, weil ein pfeilschnelles Materieteilchen ein winziges Loch in den Raumanzug riss und so die dünne Schutzhülle zwischen Mensch und tödlicher Umgebung zerstörte. Sie starben beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre, weil sie dachten, sie bräuchten dazu keine Raumanzüge mehr. Sie hatten sich geirrt und ihr Blut fing unter dem ungeheuren Druck an zu kochen.

Dem Weltall war das egal. Es bündelte irgendwo da draußen Antimaterie zu einem weiteren Schwarzen Loch. Das hatte einen solchen Sog, dass es seine Umgebung verformte. Es schob das Universum zusammen, wie man ein glattes Handtuch zu einem welligen Hügel zusammenschiebt. Punkte im All, die weit, weit voneinander entfernt lagen, kamen sich dadurch kurzzeitig so nahe, wie es nur einmal in einer Ewigkeit passiert. Kosmische Strahlung aus verschiedenen Galaxien schoss für Minuten nebeneinander durchs All. Hatte das Schwarze Loch genug gefressen und verformt, glätteten sich die Wellen und Verkrümmungen wieder zu der dunklen Kühle unvorstellbarer Entfernungen.

Sky blinzelte und schaute weiter in den Himmel hinauf. Ja, genau dort wollte er hin. Dort musste er hin. Er würde in diesem Camp Höchstleistungen abliefern, das hatte er sich geschworen. Es kam einfach nicht infrage, dass er nicht zum Prüfungsflug zugelassen wurde.

Die hochmoderne Camp-Anlage würde für die nächsten sechs Wochen sein Zuhause sein.

Er fragte sich, wie der Anblick der Erde von oben auf ihn wirken würde.

Er wusste noch nicht, wie sehr er sich freuen würde, sie überhaupt wiederzusehen.

Jugendliche in seinem Alter, alle um die 12 bis 13 Jahre alt, standen mit ihren Eltern oder allein auf dem Gelände, schleppten Koffer und schauten sich interessiert um.

Sky war allein gekommen. Seine Mutter hatte Vorstellung im Theater, sein Vater war auf Dienstreise. Er war froh darüber. Seine Mutter war Schauspielerin und so überdreht, dass sie Sky oft peinlich wurde.

Dort hinten stand ein unglaublich hübsches Mädchen und redete auf einen sportlichen Typ ein, der sie gelassen betrachtete. Ob sie die Schwester eines der neuen Schüler hier war? Hoffentlich kam sie ihn oft besuchen. Oder gab es auch Mädchen im Camp? Sky dachte zum ersten Mal über diese Frage nach. Für ihn waren Astronauten immer Männer gewesen. Er wusste, dass auch Frauen schon ins All geflogen waren, aber seine Vorbilder waren Gagarin und Reiter. War es möglich ...? Konnte eigentlich nicht sein. Kein Mädchen konnte hierher eingeladen worden sein. Kein vernünftiger Vater würde seiner Tochter etwas so Gefährliches erlauben.

In diesem Moment landete die zweite Cessna und spuckte vier weitere Jugendliche aus. Darunter waren noch zwei Mädchen, die sich offensichtlich kannten. Wenn nicht alle Jungs ihre Schwestern oder Freundinnen mitgebracht hatten, gab es tatsächlich Mädchen im Camp. Verwirrend. Sky prüfte, ob sein Irokese noch in Form war. Er hatte sich vor der Abreise noch einmal seine dunkelblonden Haare an den Seiten kurz rasiert und den Iro in der Mitte mit Haarwachs aufgestellt. Gut, dass er seine lässige Jacke anhatte.

Sky griff seinen Rucksack und ging auf das Haupthaus zu, wo ein WILLKOMMEN JUNGE ASTRONAUTEN-Schild über der Tür hing. Er machte einen Bogen um einen dunkelhaarigen Jungen mit Seitenscheitel, der mit einem Haufen blitzneuer Koffer bei seinen Eltern stand. Sky verzog den Mund. Solche Typen waren verwöhnte Idioten, die immer das Neueste geschenkt bekamen und heulten, wenn ihre Haare durcheinandergerieten. Wenn er mit diesem Angeber in ein Team käme, würden es anstrengende Sommerferien werden.

KAPITEL 02

Alle Schüler versammelten sich mit ihren Eltern im Alpha-Centauri-Saal. Hier würde die Begrüßung stattfinden, bevor die Jugendlichen auf ihre Zimmer gingen und die Eltern sich verabschieden mussten. Ein paar Mütter weinten bereits. Die Familien sprachen leise miteinander und eine Atmosphäre der Anspannung lag in der Luft. Dies hier war schließlich kein gewöhnliches Sommercamp.

Sky saß allein am Rand einer Sitzreihe und wartete ungeduldig. Für ihn musste alles so schnell wie möglich gehen.

Endlich regte sich etwas. Ein großer Mann in einem lächerlich karierten Anzug kam durch die Tür und ging selbstsicher zum Stehpult vorn im Saal. Das Mikro war bereits auf seine enorme Größe eingestellt. Er sprach Englisch mit amerikanischem Akzent. Man merkte, dass er es gewohnt war, vor Publikum zu reden.

»Guten Abend, Ladies, guten Abend, Gentlemen, ich hoffe, Sie alle hatten einen angenehmen Flug hierher, zumal ja einige in meiner Cessna mitfliegen mussten. I’m sorry. Das tut mir wirklich leid.« Schon hatte er die ersten Lacher eingeheimst.

»Ich weiß, dass die meisten der Schüler hier mehr Flugstunden hatten als ich und viel besser fliegen können. Aber alle sind gut gelandet, wie ich sehe. Ich bin erfreut, dass auch viele Eltern mitgekommen sind. Ich weiß, dass dieses Camp etwas völlig anderes ist als jedes andere Sommercamp auf dieser Erde – es findet teilweise nämlich gar nicht auf der Erde statt!«

Wieder wurde gelacht. Sky fand den Typ witzig. Wer war das? Der Campleiter?

»Jetzt wollen Sie sicher wissen: Wer ist der große Mann in dem furchtbaren Anzug? Das will ich Ihnen sagen. Mein Name ist Hedge Bain Parker I, ich bin aus Texas, USA, und habe dieses Camp gegründet. Was ich von Raumfahrt halte? Gar nichts. Ob ich mal im Weltall spazieren gehen möchte? Nein, danke sehr. Mir reicht ein Spaziergang mit meinem Hund. Er gehorcht nicht gut.« Ein paar Lacher.

»Aber ich weiß, dass es junge, sehr junge Menschen gibt, die für einen Flug ins All ausgesprochen gut geeignet wären und die sich nichts mehr wünschen. Und ich weiß, dass die offiziellen Gesetze das nicht erlauben. Ich habe mich gefragt, warum. Warum sollten begabte Jungen und Mädchen nicht so früh wie möglich mit Skywalk, Spaceships und dem Weltall vertraut gemacht werden? Also: Dies ist mein Camp für den Nachwuchs. Den besten Nachwuchs, den meine Scouts in den Astronauten-Nachwuchs-Camps überall auf der Welt entdeckt haben. Bitte genießen Sie alle diesen Moment. Die Besten sitzen hier in diesem Raum!«

Aus dem vereinzelten Klatschen wurde Applaus. Jeder beklatschte jeden. Obwohl er ganz allein saß, fühlte Sky sich gut. Er war der Einzige, dessen Eltern ihn nicht hatten bringen können. Das heißt, nein: Zwei weitere Jungen waren ohne Begleitung. Ein blonder blasser in bravem Hemd und ein hochgewachsener, schlaksiger Typ mit raspelkurzem Militärhaarschnitt.

Der Seitenscheitel mit den vielen Koffern saß natürlich artig zwischen seinen Eltern. In diesem Moment erhob sich sein Vater in seinem eleganten Anzug. »Mein Name ist Slazenger, ich bin der Vater von Matthew. Herr Parker I, wann ist die Zeit, einige Fragen zu stellen?«, sagte er selbstbewusst.

»Ah, guten Abend, Herr Slazenger. Sie dürfen mich jederzeit bei meiner langweiligen Rede unterbrechen. Alle wären dankbar dafür.« Lachen. »Die zweite Möglichkeit ist, nach der Begrüßung in mein Office zu kommen. Ich bin den ganzen Abend bis zur Abreise der Eltern dort zu sprechen.«

Herr Slazenger nickte knapp und setzte sich wieder.

Sky war erneut froh, dass seine Mutter nicht dabei war. Sie hätte sofort eine peinliche Frage nach der nächsten gestellt und versucht, ebenfalls ein paar Lacher zu ernten.

Alle Eltern hier hatten, wie Skys Vater auch, schon vor Wochen den Vertrag für das Camp unterschrieben und damit erklärt, dass sie die besonderen Gefahren für Leib und Leben kannten und billigten. Sky hatte Glück, seinem Vater war es egal, wie gefährlich oder teuer etwas war, solange Sky nur der Beste darin sein würde. Sky hatte mit sechs Jahren seine erste Flugstunde bekommen. Er stellte sich gut an, also gab es weitere Flugstunden. Er hatte auch mal Tennisunterricht erhalten. Er stellte sich (absichtlich) ungeschickt an und wurde nie Bester seiner Gruppe. Die Tennisstunden wurden gestrichen.

Sky fragte sich, was die Eltern jetzt noch fragen wollten? Sie alle hatten einen Haufen Geld für dieses Camp überwiesen und die Einverständniserklärung unterschrieben. Es gab kein Zurück mehr. Obwohl dieser blasse Blonde in seinem braven Hemd da vorne aussah, als hätte ihn der Mut verlassen.

KAPITEL 03

Nach dem Essen holte Sky seinen Rucksack aus der Halle und trug ihn die Treppe hinauf. Alle anderen nahmen den Fahrstuhl, er nicht. Er brauchte viel Bewegung, sonst wurde er schnell unzufrieden.

Sie waren jeweils zu zweit in einem Zimmer untergebracht. Skys Zimmer lag im zweiten Stock und hieß Jupiter. Das gefiel ihm. Jupiter war sein Lieblingsplanet. Ein Gasriese, der nach dem Höchsten der Götter im Olymp benannt war. Alle Räume im Camp waren nach Planeten oder Begriffen aus der Raumfahrt benannt. An den Zimmern Merkur, Venus, Erde und Mars war er schon vorbeigegangen. Das nächste musste also Jupiter sein. Sie hielten sich hier an die richtige Reihenfolge.

Sky stutzte. Die Tür stand offen, sein Mitbewohner war also schon da. Er trat ein und überlegte sofort, ob er ein anderes Zimmer verlangen sollte. Ausgerechnet der verwöhnte Seitenscheitel mit den vielen Koffern stand vor dem klapprigen Kleiderschrank und tippte mit dem Finger lethargisch gegen einen der drei verbogenen Drahtbügel. Sky hatte mit seiner Mutter oft in Jugendherbergen und billigen Pensionen übernachtet und war erstaunt, dass überhaupt Bügel im Schrank hingen. Manche Kleiderschränke auf ihren Reisen hatten nicht mal Türen gehabt; jemand hatte sie herausgebrochen, um damit sonst was zu bauen oder den Kamin zu heizen. Das hatte also Hedge Parker I am Ende seiner Rede gemeint, als er sagte: »Ach, eine Sache noch. Die Unterbringung ist miserabel, keine Frage. Sorry. Aber hier im Camp legt man Wert auf die Ausbildung. Unterrichtsräume, Flugsimulatoren, Trainingsräume und Ausrüstung sind so neu, dass die NASA jedes Jahr aus den Raumanzügen kippt, wenn sie das hier sieht!« (Lachen)

Obwohl die Räume tatsächlich aussahen wie schäbige Rattenlöcher, galten die strengen Regeln des Camps auch hier und zwar bis in den letzten Winkel. Es durfte in den Zimmern nicht gegessen oder gekocht werden, alles war peinlich sauber zu halten, und das hieß nicht einfach nur morgens das Bett machen. Die Jungen mussten den Boden jeden Tag wischen, alle Flächen abstauben und ihre Sachen in Ordnung halten. Getragene Socken und Hemden mussten in einem Korb gesammelt werden, getrocknete Wassertropfen auf dem Spiegel über dem winzigen Waschbecken in jedem Zweierzimmer führten zu empfindlichen Strafpunkten.

Verwöhnt und hofiert wurden die Jungen nur im und um das harte Trainingsprogramm. Die Ausbilder legten ihnen sogar die Unterlagen und Stifte bereit.

Der Seitenscheitel tippte noch einmal gegen den baumelnden Bügel und Sky grinste. Sein Entsetzen, dass ausgerechnet der Junge mit den vielen Koffern und schick gekleideten Eltern sein Mitbewohner wurde, war einer schadenfrohen Vorfreude gewichen. Solche Knaben ließen sich hervorragend ärgern.

Der Seitenscheitel hörte ihn eintreten und drehte sich um. »Ah, wie schön, dich wiederzusehen. Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Matthew Slazenger, ich komme aus England. Ich freue mich auf unsere gemeinsame Zeit im Camp und als Zimmergenossen.«

Wart’s ab, dachte Sky und sagte: »Hi, ich bin Sky. Sky Target. An meinem Vornamen ist meine Mutter schuld, also spar dir deine Bemerkungen.«

Wenn Matthew sich wunderte, ließ er es sich nicht anmerken.

Er zeigte auf den Schrank. »Ich habe bislang nur die winzige Kammer für die Putzutensilien der Reinigungskräfte gefunden. Wo befinden sich denn unsere Garderoben und Ankleidezimmer?«

Jetzt war es an Sky, sich nichts anmerken zu lassen. Der Kerl meinte das offensichtlich ernst. Verarschen oder fair sein? Verarschen machte mehr Spaß und Sky ließ sich nie eine Gelegenheit dazu entgehen. Aber aus irgendeinem Grund hörte er sich jetzt sagen: »Ich verderbe dir ungern den ersten Tag, aber das hier ist der Kleiderschrank. Etwas wie Reinigungskräfte wirst du im Radius von Lichtjahren nirgends finden, und abgesehen davon haben wir Glück: Ich glaube, die Jungen in Zimmer Merkur haben jeder nur eine Schublade.«

Matthew riss die Augen auf. »Ah«, sagte er. »Nun, wir werden uns arrangieren müssen, bis wir einen größeren Schrank aufgestellt bekommen. Das kann ja höchstens ein paar Tage dauern.«

Jetzt war es wieder an Sky zu staunen. »Du wirst überhaupt nix aufgestellt bekommen. Aber weißt du was? Nimm du den Schrank, ich kann meine Sachen auch im Rucksack lassen.«

Was war nur in ihn gefahren? Normalerweise vergnügte sich Sky gründlich mit Typen wie Matthew, indem er sie auf die Probe stellte, sie auf den Arm nahm und ihnen ihren sauberen Seitenscheitel durcheinanderbrachte. Der Knabe hier wäre ein idealer Kandidat.

Matthew sah sich kurz um. »Ah«, sagte er erneut. »Ich helfe dir erst mal, deine Koffer heraufzutragen. Wo befindet sich dein Gepäck?«

»Da«, sagte Sky und zeigte auf den verschlissenen Armeerucksack seines Großvaters.

»Ich habe mich unklar ausgedrückt«, sagte Matthew. »Ich meinte nicht dein Handgepäck, sondern dein Reisegepäck.«

»Da«, sagte Sky noch einmal und zeigte auf seinen Rucksack, der verloren und staubig neben den drei großen vornehmen dunklen Koffern von Matthew stand.

»Ah«, sagte Matthew leicht ermattet. »Kein weiteres Gepäck?«

»Kein weiteres Gepäck«, sagte Sky.

Matthew holte tief Luft und nickte.

»Nun gut. Ich habe einige der Drahtbügel von der Kleidung, die direkt aus der Reinigung kam, dabei. Wir können sie dazuhängen, um den Platz in dem Bretterhaufen, den sie hier Schrank nennen, so gut wie möglich zu nutzen.«

Sky grinste. Er ahnte, dass dieses tiefe Gefühl in ihm, das sich manchmal meldete und ihn zu Handlungen oder Entscheidungen veranlasste, die er für kaum möglich gehalten hatte, wieder einmal besser wusste, was gut für ihn war. Wenn es sich meldete und die Führung übernahm, wusste Sky, dass er sich darauf verlassen konnte. Er verstand es nicht, aber er hatte gelernt, dass es sich immer lohnte. Matthew lohnte sich anscheinend. Trotz Seitenscheitel und zu viel Geld. Immerhin sah er sportlich aus und ließ sich von Skys Irokesenschnitt und seiner schroffen Art nicht beeindrucken.

»Gehen wir mathematisch vor«, sagte Sky.

Matthew stieg sofort ein. »Die Menge des Gepäcks?«

»Das Volumen des Gepäcks«, sagte Sky.

»Dann«, sagte Matthew, »würde ich sogar noch die Hälfte deines Bettes bekommen.«

»Nein«, sagte Sky, »dann müsste ich in dem Bretterhaufen wohnen, den sie hier Schrank nennen, und du in unserem Zimmer.«

Die Jungen lächelten sich an und gaben sich die Hand.

Matthew zeigte auf seine drei Hochleistungskoffer. »Garderobe. Elektronik und Sportgerät. Verpflegung.«

Aus dem letzten Koffer tauchten die erstaunlichsten Dinge auf: Matthew hatte einen Wasserkocher, mehrere Sorten Tee, Porzellantassen, Servietten, Kekse, Konservendosen, Kandis, Tütensuppen und Schokolade dabei. Da Essen in den Zimmern nicht erlaubt war, waren das lauter verbotene Dinge.

Aber das war nur ein winziger Teil seiner Ausstattung. Im nächsten Koffer waren Bücher, Comics, Videospiele, DVDs, eine Playstation, ein Skateboard, ein Longboard, eine Tauchausrüstung, ein Volleyball ...

»Wenn du irgendetwas brauchst, leih es dir aus. Du musst nicht jedes Mal vorher fragen. Nimm es einfach«, sagte Matthew. »Das gilt natürlich nicht für die Schokolade und solche Dinge. Die kannst du essen und musst sie nicht zurückgeben.« Er lächelte und Sky war verblüfft und beeindruckt von so viel entspannter Großzügigkeit.

»Tja, dasselbe gilt umgekehrt, aber Unterhosen und ein Longboard hast du ja schon.«

Die Jungen sahen auf Skys zerknautschten Rucksack und lachten.

KAPITEL 04

»Sky, du verpasst den Unterricht, wenn du dich jetzt nicht beeilst.«

»Wie spät?«, murmelte Sky schlaftrunken in sein Kissen, ohne die Augen zu öffnen.

»Sechs«, sagte Matthew freundlich.

»Mist«, sagte Sky und setzte sich mit einem Ruck auf. Heute war der erste Unterrichtstag und im Space Camp wurde Zuspätkommen nicht geduldet. Aber noch wichtiger war, dass Sky keine Minute der Ausbildung versäumen wollte. Trotzdem fiel es ihm wie jeden Morgen unglaublich schwer, wach zu werden. Es war, als käme er aus einem Land, aus dem es kein Entrinnen gibt. Bleib hier, schmeichelten lockend die warme Decke, das dunkle Zimmer und der gerade verklingende Traum. Sky musste jedes Mal gnadenlosen Willen aufbieten, um sich dem zu entreißen.

»Dusche ist frei. Deine Sachen habe ich auch schon zusammengesucht«, sagte Matthew munter.

»Widerlicher Aufschneider«, gab Sky zurück.

Von Matthew kam keine Antwort, aber Sky, der die Augen noch geschlossen hatte, ahnte, dass er lächelte.

Er hatte recht. Matthew nahm Sky nichts übel. Er hatte keine Geschwister und fand die Idee, mit jemandem in einem Zimmer zu leben und sich gut zu verstehen, so gut, dass auch die übelste Laune von Sky ihn nicht erschüttern konnte. Für ihn gehörte das zu seiner romantischen Vorstellung von Geschwisterhaben. Er hatte genug Bücher gelesen und Filme gesehen: Unter Geschwistern war auch ab und zu schlechte Stimmung; das gehörte dazu.

Der Speiseraum hieß Milky Way. Alle waren pünktlich zum Frühstück erschienen und beäugten schüchtern und neugierig die anderen. Sky zählte drei Mädchen und zwölf Jungen. Die hübsche Langhaarige war dabei. Sie saß mit den anderen beiden Mädchen an einem Tisch. Die zwei sahen sich ähnlich, bestimmt waren sie Schwestern. Nur ihr Stil war völlig verschieden. Die etwas Größere sah sehr sportlich aus und ihre kurzen Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab. Dazu trug sie ein verwaschenes, unförmiges Sweatshirt. Die andere Schwester hatte einen mädchenhaften Pferdeschwanz, Ohrringe und Armreifen. Sie war zierlicher und trug eine hellblaue enge Bluse.

Die drei teilten sich das größte Zimmer, Zimmer Erde. Typisch Mädchen – sie hatten nur eine Nacht gebraucht und wirkten, als würden sie sich schon ewig kennen. Irgendwie hatten sie eine Menge zu kichern und zu tuscheln, wobei die Langhaarige und die Sportliche das meiste sagten und die zierliche Schwester mit großen Augen zuhörte.

Für alle war gedeckt, auf jedem Vierertisch standen warmer und kalter Kakao, Tee, Saft, Wasser, Brötchen, Müsli und frisch geschnittenes Obst. Die Teller und Becher hatten Weltraummotive. Sky aß nur wenig und trank Milch aus einem Sonnensystem-Becher. Mit ihm und Matthew am Tisch saßen der blasse blonde Junge, der Jonas hieß, und der große mit dem Militärhaarschnitt, der wie Sky ohne Eltern gekommen war. Er hieß Mark. Er aß kaum etwas, trank dafür aber bestimmt einen Liter Wasser.

»Noch ’n Glas und es fließt dir aus den Ohren wieder raus«, sagte Sky.

Mark lächelte, schwieg und trank. Sky mochte ihn.

Matthew aß äußerst manierlich, benutzte sogar die Serviette und war ausgesprochen höflich zu allen.

»Jonas«, sagte er freundlich, »wie gefällt es dir in deinem neuen Zimmer?«

Jonas sah ihn dankbar an. »Gut. Sehr gut. Ich bin mit Patrick zusammen. Der sitzt da drüben. Er ist sehr sportlich, macht Kickboxen und Kraftsport.«

»Und wofür interessierst du dich?«, fragte Matthew.

»Ich ... also, ich mag Biologie und Forschung. Ich möchte im Weltall neues Leben und biologische Organismen untersuchen.«

»Sehr interessant«, sagte Matthew. »Wie lange hast du gebraucht, um deine Eltern zu überreden, diesen fiesen Vertrag zu unterschreiben und dafür auch noch Geld zu bezahlen?«

Jetzt war auch Sky neugierig.

»Ach, wisst ihr, das Geld war nicht das Problem. Mein Vater meinte: Jonas, mein Sohn, entweder ein eigener Chauffeur zum 14. Geburtstag oder dieses Space Camp. Etwas schwieriger war es mit meiner Mutter. Sie fand es natürlich zu gefährlich.« Sky und Matthew grinsten. Das kam ihnen bekannt vor. Mark war aufgestanden, um den Wasserkrug nachzufüllen.

»Meine Mutter hat geweint«, sagte Matthew. »Dann hat mein Vater sie ausgeführt – ich glaube, in die Oper. Danach wurde nicht mehr diskutiert und beide haben unterschrieben.«

»Mark, was war mit deinen Eltern?«, fragte Sky.

In dieser Sekunde unterbrach sie der Gong zum Unterrichtsbeginn.

KAPITEL 05

Auch im Ausbildungstrakt hatte jeder Raum einen Namen.

Alle versammelten sich aufgeregt zu ihrer ersten Stunde in Raum Laika. Das hübsche langhaarige Mädchen flüsterte der sportlichen Schwester etwas zu. Alle anderen saßen still da und warteten auf den Unterrichtsbeginn.

Die Energie, mit der ihr Lehrer in den Raum stürmte, unterbrach die unangenehme Stille. Er war ein großer Mann mit stechenden hellblauen Augen. Durchtrainiert und breitbeinig stand er vor der Klasse. Er trug sportliche Kleidung und klobige Siefel. In der rechten Hand hielt er eine Wasserflasche.

»Guten Morgen! Mein Name ist Lüders, Ausbilder Lüders.«

»Guten Morgen«, murmelten die Schüler.

»Schüchterne Astronauten, ha!«, rief der Mann. »Noch mal!«

»Guten Morgen«, kam es jetzt selbstbewusster.

»Sie alle waren die Besten in den Astronauten-Sommer-Camps ihres Landes. Die internationale Raumforschung ist immer auf der Suche nach Nachwuchs, um die Besten so früh wie möglich so gut wie möglich zu fördern. Sie alle sind bereits jetzt etwas

Besonderes. Wir werden Sie in Teams aufteilen. Jedes Team wird in der harten Ausbildung Punkte sammeln. Ohne ausreichend Punkte kein Prüfungsflug ins All, klar?«

Es war Wirklichkeit. Sie würden das Camp mit einem Flug ins All abschließen.

Ausbilder Lüders nahm einen Schluck Wasser und ließ seine Worte wirken.»Die Teams, die da oben hervorragend abschneiden, werden zu der anspruchsvollen Ausbildung für Jugendliche ab 14 Jahren im nächsten Jahr zugelassen.«

Ein gut gekleideter Junge hob die Hand. Ausbilder Lüders nickte ihm knapp zu.

»Mein Name ist Hedge Parker III. Bitte nennt mich einfach HP3.« Er sprach es Englisch aus: aitchpiessrie. »Ich wüsste gerne, wie groß die Teams sein werden. Wir sind fünfzehn, eine ungerade Anzahl Schüler.«

»Fünf Mitglieder pro Team«, sagte Ausbilder Lüders. »Ich sage es noch einmal: Die Vorbereitungen auf den Flug sind ein Wettlauf. Wir vergeben für gute Leistungen Punkte und wir ziehen für schlechte Leistungen und Fehlverhalten Punkte ab. Wenn Sie zu spät kommen, Punkt weg. Wenn Sie Ihre Räume und Sachen nicht sauber halten, Punkt weg. Wenn Sie sich selbst nicht sauber halten: Punkt weg.«

Die Mädchen kicherten.

»Wenn Sie Respekt vermissen lassen, Punktabzug. Wenn Sie den Unterricht stören, Punktabzug. Also geben Sie Ihr Bestes, dann sind Sie bald dort oben!«

Oh, das würde er. Sky wäre am liebsten sofort in eine Rakete gestiegen und losgeflogen. Die Stimmung im Raum war jetzt wach und energiegeladen.

»Ein Flug ins All ist kein Ausflug, sondern harte, harte Arbeit. Wir können nur diejenigen von Ihnen dort rauf lassen, die alle

Anforderungen erfüllen. Denn nur die kommen auch gesund wieder zurück.« Er nahm einen langen Schluck aus seiner Wasserflasche, sah Sky an und sagte: »Wir möchten nämlich, dass Sie überhaupt zurückkehren.«

Als Ausbilder Lüders den Blick nicht abwandte und lange schwieg, wurde Sky unbehaglich zumute. Warum guckte der nicht wieder weg? Die anderen kicherten unterdrückt, von dem hübschen Mädchen kam ein »Huuuh ...«

»Verstanden«, sagte Sky, um irgendetwas zu sagen.

Er hatte das Gefühl, dass Ausbilder Lüders ihn öfter ansah als jeden anderen. Sky war selbstbewusst und liebte Aufmerksamkeit. Aber diese Blicke waren prüfend, kritisch und irgendwie röntgenähnlich. Als könnte der Mann Gedanken lesen. Seine Blicke drangen wie kosmische Strahlung in Skys Kopf und schienen dort zu vibrieren.

»Ah. Gut.« Ausbilder Lüders wandte sich wieder der gesamten Klasse zu. »Ein anderer wichtiger Grund ist, dass ein solcher Raumflug einen Haufen Geld kostet. Wir schießen also nicht ein paar Trottel ins All, die dann dort nur Unfug machen, weil sie nicht wissen, wie man ein Raumschiff fliegt und welche Gefahren es gibt.«

Die Klasse kicherte wieder. Im Lauf der Stunde wurde klar: Ausbilder Lüders war streng, laut und unberechenbar. Aber eines war er auch: lustig. Er mochte seine Schüler und würde ihnen helfen, wo immer er konnte. War die Stimmung am Boden, sorgte er für Aufheiterung. Schon dass er ständig aus einer großen Wasserflasche trank, war merkwürdig genug, um sich darüber zu amüsieren.

»Slazenger! Die Gefahren der bemannten Raumfahrt?«

Matthew sagte: »Die technischen Gefahren: Vorbereitung, Start, Aufenthalt, Wiedereintritt und Landung der Astronauten. Die menschlichen Schwachstellen: körperliche und seelische Belastbarkeit.«

»Richtig. Ein Flug ins All ist also von Anfang bis Ende eine einzige Gefahr. Das ist eine Tatsache. Aber da wir das wissen, können wir alles tun, um diese Gefahren zu bannen. Beginnen wir mit Slazengers letzter Aussage, den menschlichen Schwachstellen. Astronauten müssen fit sein, gut trainiert und absolut gesund. Mars – eine gewöhnliche, harmlose, menschliche Krankheit?«

Das zierliche, unsportlich wirkende Mädchen, das Missy Mars hieß, wurde rot, atmete schneller und flüsterte: »Schnupfen?«

»Schnupfen! Ha! Sehr gut. Wenn ein Astronaut also zwei Tage vor dem Lift-Off einen Schnupfen bekommt, kann er nicht mit ins All. Target, was ist ein weiterer Indikator gegen einen Start ins All auf körperlicher Ebene?«

»Zu geringe Belastbarkeit bei Start und Landung.«

»Wie zeigt sich das?«

»Man verliert das Bewusstsein bei den hohen Fliehkräften während des Starts. Ob das so ist, kann man aber vorher im Simulator feststellen. Es kann auch sein, dass man die Augen nicht aufbekommen und die Instrumente nicht lesen und bedienen kann. Und schließlich kann einen die Raumkrankheit derart einschränken, dass man im All nichts Nützliches mehr tun kann und nur dauernd kotzt.«

»Sehr anschaulich, Target. Noch was?«

»Nein«, sagte Sky.

»Doch«, sagte Jonas. »Gegen einen Start spricht auch, ein Hund zu sein. Sie haben Laika damals ohne Schutz in diese Raumkapsel gesetzt und ins All geschossen. Sie ist noch in der ersten Umlaufbahn um die Erde an Überhitzung gestorben.«

Die Flecken auf Missys Wangen wurden noch röter und ihr traten Tränen in die Augen. Patrick wandte sich erstaunt um und sagte: »Alter, das ist ewig her. Unsere Raumanzüge sind sicher.«

»Jonas, bist du ein Mädchen?«, fragte HP3. »Warum kommst du uns mit diesem Köter?«

»Was hat das mit Mädchen zu tun?«, fragte Missys Schwester angriffslustig.

»Was ist noch gefährlich?«, unterbrach Ausbilder Lüders die unsachliche Diskussion.

»Aliens«, sagte Sky. Da war sie wieder – seine impulsive Art, zur falschen Zeit die falschen Dinge zu sagen oder zu tun. Warum fing er in Ausbilder Lüders' Unterricht an, von Aliens zu faseln? Es war kosmisch still geworden.

»Aliens ... gefährlicher als uns lieb ist, Target. Deshalb immer wachsam bleiben. Und um siebzehnhundert in meinem Büro. Klar?!«