Aber das Herz irrte nicht - Leni Behrendt - E-Book

Aber das Herz irrte nicht E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Es war im November und das passende Wetter dazu – nämlich eines, wo der Bauer nicht einmal seinen Hund hinausjagt, wie es im Volksmund heißt. Zwar regnete es nicht Bindfäden vom grauverhangenen Himmel, es nieselte nur; aber gerade dieses haarfeine Nieseln hat es bekanntlich in sich, es dringt auf die Dauer durch den dichtesten Wettermantel. Also drang es auch durch den des Mannes, der die Endstation der Straßenbahn verließ und raschen Schrittes eine nur mäßig beleuchtete Straße entlangging, möglichst die blanken Pfützen vermeidend, die sich auf dem ausgetretenen Pflaster gebildet hatten. Trotzdem wurden seine Füße naß, die Kleider unter dem Mantel unangenehm feucht. Nachdem der Mann wohl zehn Minuten gegangen war, hörte nicht nur das Pflaster auf, sondern auch die karge Straßenbeleuchtung. Der Weg, den er rechts einschlug, war sehr dunkel und schlecht gehalten, obwohl zu beiden Seiten Häuser standen. Am letzten Haus verhielt der Mann den raschen Schritt, öffnete eine Pforte, die im Staketenzaun eingelassen war, überquerte den kurzen Fliesengang und stand nun vor dem Haus, in dem er wohnte. Durch die Fenster im Parterre schimmerte Licht mit traulichem Schein. Dahinter klang gedämpfte Musik, flatterte Lachen zu dem Mann hin, der mit den fröhlichen Menschen nichts gemein hatte; denn seine Wohnung befand sich in der ersten Etage, und hinter seinen Fenstern war es dunkel. Ein Zeichen, daß er nicht erwartet wurde, der da durchnäßt, müde und hungrig von einer Reise zurückkehrte. Zwar hatte er seine Ankunft nicht genau auf die Stunde angegeben, und dennoch... Mit einem Gefühl der Enttäuschung schloß er die Haustür auf, knipste Licht an, durchquerte den kleinen Flur und stieg langsam die Treppe hinauf. Rosalia Skörsen konnte man auf dem Emailleschild lesen, das an der Etagentür angebracht war. Darunter hielten zwei Reißstifte eine Visitenkarte mit dem Namen: Doktor Ralf Skörsen. Der Mann schloß nun auch diese Tür auf und stand jetzt in einem Korridor, in dem gerade nur eine Flurgarderobe Platz fand, an die er sorglich den nassen Mantel und den Hut hängte, bevor er nachsah, ob Mutter und Schwester zu dieser frühen Abendstunde etwa schon zu Bett gegangen wären. Doch das Schlafzimmer war leer. Ein resignierter Zug grub sich um den hartgeschnittenen Mund des jungen Arztes, als er in die Küche ging, die kalt und unaufgeräumt war. Wahrscheinlich waren die beiden gleich nach Mittag fortgegangen, da Geschirr und Kochtöpfe ungesäubert herumstanden. Aber dafür hatte der nachsichtige Sohn und Bruder eine Entschuldigung. Nun ja, wenn man ohne Hilfe den Haushalt versehen mußte, konnte so etwas schon mal vorkommen.

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Leni Behrendt Bestseller – 2 –

Aber das Herz irrte nicht

Leni Behrendt

Es war im November und das passende Wetter dazu – nämlich eines, wo der Bauer nicht einmal seinen Hund hinausjagt, wie es im Volksmund heißt.

Zwar regnete es nicht Bindfäden vom grauverhangenen Himmel, es nieselte nur; aber gerade dieses haarfeine Nieseln hat es bekanntlich in sich, es dringt auf die Dauer durch den dichtesten Wettermantel.

Also drang es auch durch den des Mannes, der die Endstation der Straßenbahn verließ und raschen Schrittes eine nur mäßig beleuchtete Straße entlangging, möglichst die blanken Pfützen vermeidend, die sich auf dem ausgetretenen Pflaster gebildet hatten. Trotzdem wurden seine Füße naß, die Kleider unter dem Mantel unangenehm feucht.

Nachdem der Mann wohl zehn Minuten gegangen war, hörte nicht nur das Pflaster auf, sondern auch die karge Straßenbeleuchtung. Der Weg, den er rechts einschlug, war sehr dunkel und schlecht gehalten, obwohl zu beiden Seiten Häuser standen.

Am letzten Haus verhielt der Mann den raschen Schritt, öffnete eine Pforte, die im Staketenzaun eingelassen war, überquerte den kurzen Fliesengang und stand nun vor dem Haus, in dem er wohnte.

Durch die Fenster im Parterre schimmerte Licht mit traulichem Schein. Dahinter klang gedämpfte Musik, flatterte Lachen zu dem Mann hin, der mit den fröhlichen Menschen nichts gemein hatte; denn seine Wohnung befand sich in der ersten Etage, und hinter seinen Fenstern war es dunkel. Ein Zeichen, daß er nicht erwartet wurde, der da durchnäßt, müde und hungrig von einer Reise zurückkehrte.

Zwar hatte er seine Ankunft nicht genau auf die Stunde angegeben, und dennoch...

Mit einem Gefühl der Enttäuschung schloß er die Haustür auf, knipste Licht an, durchquerte den kleinen Flur und stieg langsam die Treppe hinauf.

Rosalia Skörsen konnte man auf dem Emailleschild lesen, das an der Etagentür angebracht war. Darunter hielten zwei Reißstifte eine Visitenkarte mit dem Namen: Doktor Ralf Skörsen.

Der Mann schloß nun auch diese Tür auf und stand jetzt in einem Korridor, in dem gerade nur eine Flurgarderobe Platz fand, an die er sorglich den nassen Mantel und den Hut hängte, bevor er nachsah, ob Mutter und Schwester zu dieser frühen Abendstunde etwa schon zu Bett gegangen wären. Doch das Schlafzimmer war leer.

Ein resignierter Zug grub sich um den hartgeschnittenen Mund des jungen Arztes, als er in die Küche ging, die kalt und unaufgeräumt war. Wahrscheinlich waren die beiden gleich nach Mittag fortgegangen, da Geschirr und Kochtöpfe ungesäubert herumstanden.

Aber dafür hatte der nachsichtige Sohn und Bruder eine Entschuldigung. Nun ja, wenn man ohne Hilfe den Haushalt versehen mußte, konnte so etwas schon mal vorkommen.

Also setzte er den Wasserkessel auf den elektrischen Herd und suchte sich etwas zu essen. Was er fand, war Brot, Butter, Wurst. Und dabei lechzte der hungrige und durchfrorene Mann aber nach einem warmen Essen und einem heißen Trunk, den er sich allerdings mit einer Tasse Tee verschaffen konnte. Er trank sie während des Abwaschens, aß einige belegte Schnitten dazu und verließ die Küche erst, als sie wieder sauber war.

Im Wohnzimmer, wo der Ofen nicht mehr brannte, war es auch nicht gerade mollig, aber immerhin wärmer als in der Küche.

Ohne Licht zu machen, ließ er sich in einen Sessel sinken, steckte seine zweitletzte Zigarette in Brand und dachte an die Vergangenheit.

Die war sorglos gewesen, bis der Vater, der die Stellung eines Regierungsrats einnahm, eine Frau kennenlernte, die den alternden Mann von seinem bisher korrekten Lebensweg abirren ließ. Und da solche Frauen ja immer viel Geld kosten, ließ der blindverliebte Narr sich zu etwas hinreißen, was er im normalen Zustand nie getan hätte:

Er begann zu spielen.

Und wie das bei einem so gefährlichen Wagnis wohl öfter vorkommt, war ihm zuerst Fortuna hold, bis – ja, bis sie sich hohnlachend von ihm abwandte. Er verlor an einem Abend eine Summe, die ihm nicht zur Verfügung stand.

Nun wandte sich noch jemand von ihm ab: Die Frau, die ihn ruinierte. Als nichts mehr von dem närrischen Liebhaber zu holen war, ließ sie ihn kaltlächelnd im Stich und ging mit einem anderen auf und davon.

Und der verlassene Mann? Er konnte mit Schiller sagen: Ich habe ein gewagtes Spiel gespielt. Aber da die meisten Menschen die Schuld nie bei sich, sondern bei anderen zu suchen pflegen, so geschah es auch hier.

Schuld hatte seine Frau, jawohl! Wäre sie mit ihm in Urlaub gefahren, so hätte er zu einer Liebelei gar keine Gelegenheit gehabt!

Aber nein, sie wollte, wie gewöhnlich in den Ferien, an die See, die er so gar nicht vertrug. Jedesmal holte er sich in der rauhen Luft eine Erkältung, die er dann nur schwer wieder loswurde.

Außerdem wollte er auch einmal in ein mondänes Bad.

Als seine Frau ihm klarmachte, daß ihr zurückgelegtes Urlaubsgeld für Extravaganzen nicht ausreichte, erklärte er kurz:

»Anka geben wir zu Bekannten aufs Land, wo sie den Ferienaufenthalt umsonst hat, und Ralf braucht uns nicht ewig am Rock zu hängen. Der soll zusehen, daß er uns nach dem teuren Studium endlich von der Tasche kommt, indem er sich um einen Posten als Assistenzarzt bemüht.«

»Du bist ja der reinste Rabenvater!« geriet die Gattin nun auch in Rage.

Es fielen harte, böse Worte, da sie beide hitzige, rechthaberische Naturen waren. Also gab keiner nach, und man fuhr getrennt in Urlaub: die Mutter mit ihren Kindern an die See, der Vater in ein mondänes Bad.

Und damit begann ein Elend, das der Mann zwar allein verursachte, dessen Ursache er jedoch seiner Frau zuschob. Rücksichtslos eröffnete er ihr, als man wieder zu Hause war, was sich ereignet hatte. Der Krach war da, eine bis dahin ganz gute Ehe bekam einen gehörigen Knacks, aber die Spielschulden blieben.

In seiner Bedrängnis ging der Mann in Gedanken sämtliche Freunde und Bekannten durch – bis ihm ein Studienfreund einfiel, der ihm als Studenten in seiner Gutmütigkeit so manches liebe Mal aus der Patsche geholfen hatte. Vielleicht würde er es jetzt wieder tun.

Und er tat es. Allerdings nicht um Skörsens willen – mit dem hatte dieser Mann von hohen Ehrbegriffen kein Erbarmen, sondern weil ihn die Familie dauerte, die dieser skrupellose Spieler und Ehebrecher mit sich in Schande und Not ziehen würde, falls er die Spielschulden nicht zahlte.

Also bekam er das Geld, aber erst, nachdem es notariell gesichert war; denn sein Gläubiger, Privatdozent Doktor Ingwart, war ein vorsichtiger Mensch.

Skörsen mußte sich verpflichten, monatlich die Schuld, einschließlich Zinsen, mit einer Summe abzudecken, die die Hälfte seines Gehalts ausmachte. Nach seinem Ableben hatte die Witwe die Zahlungen fortzusetzen, nach deren Ableben wiederum ihre Kinder; und so fort, bis die Schuld abgedeckt war; was immerhin zehn Jahre dauern würde. Sollte jedoch Ingwart inzwischen sterben, so erhielten seine Erben die Raten.

Nun, auf das alles ging der bedrängte Mann ohne weiteres ein. Was er damit seiner Familie antat, war ihm gleichgültig. Hauptsache, er konnte die Spielschulden bezahlen und somit in den Augen seiner Mitmenschen der »ehrenwerte« Bürger bleiben – was ihm tatsächlich auch gelang, selbst über seinen Tod hinaus, der schon einige Monate danach erfolgte.

Herzschlag hieß es allgemein. Doch sein Sohn, der ja Arzt war, wußte es besser. Er wußte, der Vater hatte eine zu starke Dosis von Schlaftabletten genommen, die ihm der Arzt verschrieb. Diesem jedoch lag gar nichts daran, das Geschehnis an die große Glocke zu hängen.

Auch Doktor Skörsen, der an einem auswärtigen Krankenhaus angestellt war, lag nichts daran, und so fiel denn kein Schatten auf das Andenken des Toten. Er, der sich so feige aus dem Leben stahl, weil er die jetzige »Misere« nicht länger ertragen konnte, bekam ein ehrenwertes Begräbnis – und manch einer beneidete die Witwe um die gute Pension. Daß sie jedoch die Hälfte davon abgeben mußte, um die Schuld des Gatten noch über das Grab hinaus zu sühnen, das ahnte man allerdings nicht.

Als die Skörsens dann in die Stadt zogen, wo der junge Arzt seinen Posten hatte, verlor man die angesehene Familie aus den Augen, was dieser nur recht sein konnte.

*

Soweit war der Grübler in seinen unerquicklichen Gedanken gekommen, als die Tür geöffnet wurde.

Das Licht wurde angeknipst, und die Mutter riß überrascht die Augen auf.

»Junge, du bist schon hier? Ich habe dich frühestens morgen erwartet, sonst hätte ich mich gewiß nicht aus dem Hause gerührt. Aber warum sitzt du im Dunkeln?«

»Weil das die Augen schont«, gab er scherzend zurück, während er die Mutter mit einem Handkuß begrüßte und die Wange der Schwester tätschelte.

»Einen netten Bummel gemacht, Ankalein?«

»Er war nicht nur nett, sondern zauberhaft«, schwärmte das Mädchen. »Zuerst waren wir im Café, anschließend im Kino. Da spielte ein Mann, einfach gottvoll! Nicht wahr, Mama?«

»Na ja«, dämpfte diese den Enthusiasmus der Siebzehnjährigen, weil sie augenblicklich dafür kein Interesse hatte. Denn sie brannte förmlich vor Neugierde, zu erfahren, was den Sohn so lange bei Frau Ingwart festgehalten hatte.

Aber soweit konnte sie sich denn doch beherrschen, ihn nicht gleich mit Fragen zu überfallen. Also sondierte sie erst einmal vorsichtig.

»Du – bliebst lange fort, mein Sohn. Gab es etwas Besonderes zu regeln?«

»Zuerst eine Hochzeit – und dann ein Begräbnis.«

»Junge, redest du etwa irre?«

»Keineswegs, mein Verstand ist klar wie eh und je.«

»Dann drück dich gefälligst deutlicher aus.«

»Ich bin ja gerade dabei. Du weißt, daß Frau Ingwart gleich nach dem Tode des Gatten vom Schlag gerührt wurde?«

»Allerdings. Aber was hat das mit dir zu tun? Warum rief sie dich überhaupt außer der Zeit zu sich? Deine Besuche viermal im Jahr müßten doch vollauf genügen. Was wollte sie also jetzt von dir?«

»Sie rief mich zu sich, weil sie ihr Ende nahen fühlte. Da sie ihre Tochter nicht mutterseelenallein zurücklassen wollte, bat sie mich, sich ihrer anzunehmen.«

»Mein Gott, Ralf, du kannst dich als junger Mann doch unmöglich mit einem Mädchen belasten!« fiel die Mutter ihm erregt ins Wort, und da blitzte ein Lachen in seinen Augen auf.

»Siehst du, Mama, der Ansicht war ich auch. Also habe ich der Einfachheit halber dieses Mädchen geheiratet.«

Nach diesen schwerwiegenden Worten war es zuerst einmal beklemmend still.

Entsetzt starrte die Mutter ihren Sohn an, als zweifelte sie an seinem Verstand. Mühsam rang sie nach Fassung, bis es ihr gelang, ihre Stimme soweit zu meistern, daß sie überhaupt sprechen konnte.

»Ralf, warst du überhaupt zurechnungsfähig, als du diesen übereilten Schritt tatest? Oder hat dich die Frau dazu gezwungen – angesichts unserer Schulden?«

»Die wir bisher vertragsmäßig abzahlten«, unterbrach er die Erregte gelassen. »Also kann von Zwang nicht die Rede sein – in keiner Beziehung. Was ich tat, geschah aus freiem Willen, das merke dir nur für alle Zeit, Mama.«

»Damit willst du doch nicht sagen, daß du deine Frau aus Liebe geheiratet hast?«

»Genau das.«

»Warum hast du nie darüber gesprochen? Ich meine, so eine Liebe kommt doch nicht von heute auf morgen.«

»Das wohl kaum. Aber ich wurde mir dieses Gefühls erst recht bewußt, als ich mir vorstellte, daß dieses junge und dazu noch schöne Menschenkind nach der Mutter Tod schutzlos allen Fährnissen des Lebens ausgesetzt sein würde. Es davor zu behüten und zu bewahren, dieser Wunsch stieg fordernd in mir auf. Und wie könnte ich das wohl besser und einfacher tun als bei meiner Frau?«

»Das schon«, räumte die Mutter widerwillig ein. »Aber mußte diese Heirat denn so überstürzt werden?«

»Ja. Denn die Tage Frau Ingwarts waren gezählt. Sie sollte mit dem Bewußtsein dahingehen, ihr Kind, das nach dem Tod des geliebten Mannes ihr einziges Glück war, wohlbehütet zurückzulassen.«

»Wann habt ihr geheiratet?«

»Vor einer Woche.«

»Aber das ist doch gar nicht möglich! Du warst doch nur zwölf Tage vom Hause fort, und schon die Frist des Aufgebots allein...«

»Man hat eine Ausnahme gemacht«, warf er kurz ein. »Jedenfalls sind Lenore und ich vorschriftsmäßig getraut, standesamtlich wie auch kirchlich.«

»Nur deine Mutter wußte nichts davon«, bemerkte sie spitz.

Er zog ihre Hand an die Lippen und sah sie bittend an.

»Mama, du bist doch eine vernünftige Frau, nicht wahr? Also wirst du auch das verstehen, was gewiß nicht aus böser Absicht geschah, sondern vielmehr der Not gehorchend. Frau Ingwart befand sich nämlich in einem Zustand, wo jede Unruhe ihr Ende beschleunigt hätte. Es war sowieso bewundernswert, daß sie die Kraft aufbrachte, der kirchlichen Trauung überhaupt beiwohnen zu

können. Zwei Tage später setzte dann ein Herzschlag ihrem Leben ein jähes Ende.«

»Mein Gott, wie gräßlich!« schauerte Anka zusammen, die dem allen mit atemloser Spannung gelauscht hatte. »So heiraten – nein, das könnte ich nicht.«

»Davor möge dich auch Gott bewahren, mein Kleines«, sprach Ralf mit einem warmen Blick auf die um zwölf Jahre jüngere Schwester. »Auch für Lenore hoffte ich inbrünstig, daß ihre Mutter, an der sie mit ganzer Kindesliebe hing, wenigstens noch einige Wochen nach der so traurigen Hochzeit gelebt hätte. Aber was können wir gegen das Schicksal tun? Es springt mit uns Menschen um nach Lust und Laune. Nun, Lenore wird zunächst einmal bei uns wohnen. Oder bist du damit nicht einverstanden, Mama?«

Nein, das war sie ganz und gar nicht. Doch was blieb ihr anderes übrig, als so zu tun, als ob das der Fall wäre? Denn erstens gehörte die Wohnung dem Sohn, weil er die Miete zahlte, zweitens trug er noch einen Teil zum gemeinsamen Lebensunterhalt bei, was beides aufhören würde, wenn er seinen eigenen Hausstand gründete.

Doch halt, seine Frau bekam ja jetzt laut Vertrag die monatlichen Raten. Wenn sie ihnen die erlassen würde? Man mußte mal vorsichtig sondieren, wie Ralf darüber dachte.

Doch bevor sie es tun konnte, kam Anka ihr bereits zuvor, die allerdings die Worte nicht wog, sondern ungeniert herausplatzte:

»Jetzt sind wir wenigstens unsere Schulden los! Somit hat deine Heirat schon etwas für sich.«

»Halt mal!« unterbrach der Bruder sie scharf. »Deine Annahme ist falsch. Wie kommst du überhaupt darauf?«

»Och, nur so.« Sie schob maulend die Unterlippe vor. »Weil es doch unter Eheleuten heißt: Was mein ist, ist auch dein.«

»Das stimmt, soweit es sich auf die Eheleute selbst bezieht, aber nicht mehr für deren Anhang.«

»Aber Ralf, wie kannst du unser Dummchen nur so ernstnehmen!« fiel die Mutter hastig ein, um dieses verfängliche Gespräch im Keim zu et sticken. »So eine Siebzehnjährige spricht doch nur gedankenlos nach, was sie hört oder liest. Laß uns lieber beraten, wie wir uns wohl am besten einrichten. Wir haben doch nur die drei Zimmer.«

»Und eins davon gehört mir. Darin wird Lenore mit mir zusammen wohnen.«

»Wenn ihr euch damit begnügen wollt, mir soll es recht sein. Wenn du mit der jungen Frau zusammen in deinem Zimmer wohnen willst, wirst du wohl noch verschiedene Sachen anschaffen müssen.«

»Nicht erforderlich. Lenore besitzt von ihren Eltern Wohn- und Schlafzimmer mit allem Drum und Dran.«

»Gott, wie altmodisch!« rümpfte Anka das Näschen. »Ich würde mich als junge Frau bestimmt nicht mit dem alten Kram begnügen.«

»Mein liebes Kind, dieser Kram, wie du sehr geschmacklos zu sagen beliebst, sind Stilmöbel von hohem Wert«, versetzte der Bruder gelassen. »Du müßtest schon einen wohlhabenden Mann heiraten, damit er dir so wertvolle Stücke kaufen könnte. Ich bin ordentlich stolz auf die Zimmer die Lenore auf meinen Wunsch behielt, während sie die übrige Einrichtung verkaufte. Bis wir uns eine eigene Wohnung leisten können, haben wir das, was in mein Zimmer nicht hineingeht, einem Spediteur zur Aufbewahrung übergeben.«

»Wann wirst du dir die

Wohnung denn leisten können?« warf die Mutter lauernd ein.

»Wahrscheinlich erst, wenn ich Oberarzt geworden bin. – Und nun wollen wir schlafen gehen, mein Bettzipfel winkt ganz gehörig. Gute Nacht, meine Lieben, schlaft wohl. Wenn die Eröffnung über meine so rasch geschlossene Ehe euch auch nicht gefallen hat – um so mehr wird euch Lenore gefallen, das weiß ich bestimmt.«

*

Am nächsten Tag trafen die von Ralf erwarteten Möbel ein und konnten aufgestellt werden, nachdem die Möbelräumer die Sachen, die bisher in Ralfs Zimmer gestanden hatten, auf den Boden gebracht hatten. Mit einem guten Trinkgeld zogen sie ab, was Frau Rosalia mit einem süßsauren Lächeln zur Kenntnis nahm, während Anka ungeniert herausplatzte:

»Ralf, kannst du aber nobel sein. Wenn doch auch ich einmal etwas davon zu spüren bekäme! Doch da hältst du dein Portemonnaie verschlossen, wie die Muschel ihre Perle. Aber weißt du, die Möbel sind doch ganz nett.«

»Beruhigt mich ungemein«, kam es trocken zurück. »Nämlich, daß der ›Kram‹ Gnade vor deinen Augen findet.«

Von der Frau Mama wurden die Sachen von vornherein verächtlich abgetan, was bei ihrer Voreingenommenheit gar kein Wunder war. Was konnte schließlich von diesen Leuten Gutes kommen? Sie hütete sich jedoch, dem Sohn gegenüber derartiges lautwerden zu lassen, enthielt sich überhaupt jeder Kritik, während Anka diese ohne jede Hemmung kundtat.

Jedes Stück, das der Bruder den Koffern und Kisten entnahm, wurde von ihr bewundert oder kritisiert. Doch als das Zimmer komplett eingerichtet war, mußte sie zugeben, daß ihr eigenes dagegen geradezu schäbig wirkte.

Und was die Tochter aussprach, dachte die Mutter. Nun kam zu der Abneigung, die sie ohnehin für die Schwiegertochter hegte, noch der Neid – eine Wurzel vielen Übels.

Hätte Ralf seine Mutter besser gekannt, so hätte er seine junge, unerfahrene Frau gewiß nicht hierher gebracht. Aber leider kannte er sie nur so, wie sie sich gab, nicht so, wie sie wirklich war.

Nachdem alles säuberlich verstaut war, nahm der junge Arzt in einem Sessel Platz und steckte eine Zigarette in Brand. Dabei ließ er die Blicke durch das Zimmer schweifen, das einen unbedingt vornehmen Eindruck machte. Alles, was sich darin befand, war wertvoll und gediegen.

Der große dicke Teppich, der so lange im Wohnzimmer der Ingwarts gelegen, hatte jetzt seinen Platz in dem kombinierten Wohn- und Schlafgemach, ihm Wärme und Traulichkeit verleihend. Auf den Betten glänzten die Daunendecken in ihrem stickereibesetzten Überschlag. Die selbe Stickerei wiesen auch die Kissen auf, denen man die Daunenfüllung geradezu ansah. Die eine Querwand nahm der wuchtige Garderobenschrank fast völlig ein. Die dazu passende Kommode, die Frisiertoilette, der Hocker davon und zwei Stühle machten die Schlafzimmereinrichtung komplett.

Die anderen Möbelstücke waren dem Wohnzimmer entnommen: zwei weiche, bequeme Sessel, die in einer Ecke standen, dazwischen der reichgeschnitzte Klubtisch. Zwischen den beiden Fenstern stand schräggestellt der Schreibtisch. Dann gab es noch einen Schrank, oben mit Glas, unten mit Schüben. Das alles zusammen bot einen höchst erfreulichen Anblick.

Nur die billigen Gardinen wollten zu dieser Möblierung durchaus nicht passen, ebenso die Lampe nicht. Aber dieses beides stammte eben aus der bescheidenen Einrichtung des ebenso bescheidenen Mannes, der es noch gar nicht fassen konnte, daß er dieses wunderbare Zimmer nun bewohnen sollte, zusammen mit der Frau, die ihm so herrliche Dinge in die Ehe brachte. Und wenn er noch alles das dazu rechnete, was bei einem Spediteur untergestellt war, so hatte er eigentlich eine ganz gute Partie gemacht.

Das sagte er auch der Mutter, als er später deren Wohnzimmer betrat, wohin sie sich mit Anka zurückgezogen hatte. Und obwohl sie anderer Ansicht war, enthielt sie sich jeder Äußerung, während Anka ihr vorlautes Zünglein wieder einmal nicht zügeln konnte.

»Bist du bescheiden!« rümpfte sie das Stupsnäschen. »Du hättest eine ganz andere Partie machen können.«

»Anka!« griff die Mutter mahnend ein. »Was redest du nur wieder für einen Unsinn Übrigens hast du uns noch gar nicht verraten, wo deine Frau sich zur Zeit befindet, mein lieber Junge. Etwa noch in der alten Wohnung?«

»Nein, Mama, die ist seit vier Tagen geräumt. Bevor ich herkam, brachte ich Lenore in einem Fremdenheim unter. Ich wollte sie erst abholen, wenn das Zimmer hergerichtet ist, damit sie sich darin gleich zu Hause fühlt. Das sind wir ihr ja wohl schuldig, deren Vater so viel für uns tat.«

»Ja, gewiß«, gab Frau Rosalia gegen ihre Überzeugung zu. Was hatte Ingwart schon viel getan? Er verlieh nach raffinierten Sicherungen Geld, das ihm an Zinsen mehr einbrachte, als die Bank zahlte. Aber Ralf, dieser Narr, sprach großartig von Dankbarkeit, aus der heraus wahrscheinlich seine unsinnige Ehe zustande gekommen war.

Aber nichts davon kam über die Lippen der Frau, der noch immer die Angst im Nacken saß, daß der Sohn seine Hand von ihr abziehen könnte. Daher überlegte sie erst jedes Wort, bevor sie es aussprach, wenigstens in dieser heiklen Angelegenheit.

»Wann kommt sie her?« fragte sie jetzt lauernd.

»Morgen. Entschuldige bitte, daß ich so rasch aufbreche, aber ich muß mich beeilen, damit ich den Zug noch erreiche.«

»Du holst sie ab?«

»Natürlich.«

Nachdem er gegangen war, konnte die erboste Mutter nun endlich der Tochter gegenüber ihrem Ärger Luft machen.

»So viel Aufhebens ist dieses dumme Ding doch nun wirklich nicht wert. Als ob sie nicht ohne ihn herfinden könnte. Diese unnötige Reise ist doch nichts weiter als Geldvergeudung.«

In der Art redete sie weiter, unterstützt von Anka, die mit der Mutter durchaus einer Meinung war.

Und hätte Ralf das alles mitangehört.

Aber leider hörte er es nicht, und so nahm denn das Schicksal seinen Lauf.

*

Nach zwei Stunden Fahrt hatte Doktor Skörsen sein Ziel erreicht und wurde auf dem Bahnsteig von seiner jungen Frau empfangen, die sich an seinen Arm hängte und die Wange an seinem Ärmel rieb gleich einem zärtlichen Kätzchen.

»Wie bin ich froh, daß du da bist!« bekannte sie leise, und neckend kam die Frage:

»Hast du etwa angenommen, daß ich dich sitzenlassen könnte – nach einwöchiger Ehe?«

»Ist alles schon dagewesen.«

»Aber nicht bei mir, du Dummes«, lachte er, ihren Arm an sich drückend und mit ihr dem Ausgang des Bahnhofs zustrebend.

Ein schönes Paar, wie es unser Herrgott nicht oft zusammenbringt. Er hochgewachsen, blondhaarig, blauäugig, mit rassigem Kopf und scharfgeschnittenem Gesicht; sie mittelgroß, grazil, mit goldbraunem Gelock und feinem Gesicht, aus dem die blauen Augen wie zwei Sonnen herausstrahlten.

Am nächsten Vormittag fuhr das junge Paar der Stadt zu, die Lenore fortan Heimat sein sollte. Und obwohl sie den Gatten neben sich hatte, war ihr bitter weh ums Herz. Sie mußte sich zusammenreißen, um den Tränen nicht freien Lauf zu lassen, die ihr die Kehle eng machten.

Das Gehetze der Menschen, überhaupt das ganze nervöse Treiben, das nun einmal auf den Bahnhöfen herrscht, wirkte beängstigend auf sie. Kein Wunder, da sie drei Jahre lang kaum aus den vier Wänden des Krankenzimmers herausgekommen war.

Sie schrak aus ihren Gedanken auf, als jetzt die Abteiltüren zugeworfen wurden. Gleich darauf setzte sich der Zug in Bewegung.

Und nun kamen Lenore doch die Tränen.

Denn es war ja ihre Heimatstadt, die sie verließ, um in eine fremde Umgebung zu gehen. Die Stadt, wo sie als fröhliches Kind gelebt, als übermütiger Backfisch, als junges Mädchen, wo sie glücklich gewesen war, selbst dann noch, als sie als Krankenpflegerin auf alle Freuden der Jugend verzichten mußte.

Aber die Mutter war doch dagewesen, mit ihrer Liebe, ihrem gütigen Verständnis.

Und jetzt? Nichts mehr war ihr davon geblieben als das Grab neben dem des Vaters. Selbst von diesen Gräbern mußte sie fort, die das Liebste bargen, was sie je besessen.

Ein wehes Schluchzen klang auf, und erschrocken sah Lenore zu dem Mann hin, der ihr gegenüber saß. Wahrscheinlich hatte er nichts gehört, sonst hätte er doch wenigstens von der Zeitung aufgeschaut, in die er so vertieft war, daß er nichts anderes sah.

Ein bitteres Gefühl stieg in Lenore auf, als sie sich fester in die Ecke drückte. Dabei stieß sie mit der Fußspitze an das Bein des Gatten, so daß er erschrocken hochfuhr.

»Verzeihung, Ralf, das war ungeschickt von mir«, sagte sie leise unter seinem forschenden Blick.

»Du weinst, Lenore?«

»Nur so ein bißchen. Entschuldige, bitte.«

»Vor allen Dingen entschuldige du, daß ich mich so gar nicht um dich kümmerte. Aber der Artikel im Fachblatt, er ist so interessant…«

»Dann lies nur ruhig weiter«, unterbrach sie ihn freundlich, und er hätte es vielleicht auch getan, wenn der Zug nicht eben auf einer Station gehalten hätte.

Gleich darauf betrat ein Herr das Abteil, welches das junge Paar bisher allein gehabt hatte. Der Hinzugekommene machte den Eindruck, als ob er sich selbst nicht leiden könnte.