ABNORM - Björn Brocks - E-Book

ABNORM E-Book

Björn Brocks

4,8

Beschreibung

Der Oktober wird ein blutiger Monat für die Landeshauptstadt Hannover. Im Bereich von Fußgängerzone und Eilenriede werden ausgedehnte Blutlachen entdeckt. Die Ermittlungen der Polizeidirektion Hannover ergeben, dass es sich bei dem Sekret um menschliches Blut handelt. Es fehlen jedoch die dazugehörigen Opfer, niemand wird vermisst, kein Zeuge kann sachdienliche Angaben machen. Nachdem die Ermittlungen vorerst im Sande verlaufen, wird Tarek Neumann auf den Fall angesetzt. Der ehemalige Zielfahnder des LKA genoss aufgrund seiner unkonventionellen Ermittlungsmethoden einen guten Ruf. Der durch private Krisen und dienstliche Entgleisungen gebrandmarkte Mittvierziger irakischer Herkunft wurde aus disziplinarischen Gründen zum Zentralen Verkehrsdienst versetzt. Jetzt scheint er der einzige Hoffnungsträger zur Lösung dieses Falles zu sein. Die erschütternde Mordserie bedeutet für ihn die Rückkehr in seine dienstliche Heimat und das Eintauchen in die unendlichen Tiefen menschlicher Abgründe.

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Björn Brocks

Abnorm

Tarek Neumanns erster Fall

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.ddb.de

© 2011 CW Niemeyer Buchverlage GmbH, Hameln

www.niemeyer-buch.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Carsten Riethmüller

Druck und Bindung: AALEXX Buchproduktion GmbH, Großburgwedel

Printed in Germany

E-Book-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

E-Book ISBN 978-3-8271-9810-5

Alle verwendeten Namen, Handlungszusammenhänge und Geschehnisse sind frei erfunden.

Etwaige Namensgleichheiten wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

Über den Autor:

Björn Brocks wurde 1967 geboren und lebt mit seiner Familie in Bückeburg.

Nach dem Abitur begann er seine berufliche Laufbahn als gebürtiger Niedersachse bei der Polizei des Nachbarlandes Nordrhein-Westfalen. In 25 Dienstjahren lernte er den Polizeiberuf in all seinen Facetten kennen. Nach Einsätzen bei der Bereitschaftspolizei in Stukenbrock sowie den Polizeibehörden in Köln, Detmold und Minden absolvierte er das Masterstudium für den höheren Dienst an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster-Hiltrup.

Nach verschiedenen Anschlussverwendungen leitet er aktuell die Direktion Verkehr bei der Kreispolizeibehörde Herford. Als bodenständiger Niedersachse reizten ihn schon immer die Gegensätze der beschaulichen Kleinstadt Bückeburg zu den vielfältigen Möglichkeiten der schillernden Metropole Hannover.

Die Leidenschaft für das Schreiben entdeckte er bereits in seiner Jugend.

Nach mehreren Kurzgeschichten und einer Veröffentlichung im Rahmen der Anthologie „Bückeburg mordet“ stellt der Autor mit dem Roman „Abnorm“ sein erstes Buch vor.

Für meine Familie

Kapitel 1

Exakt um 3:30 Uhr klingelte der Wecker. Ein ohrenbetäubender Lärm durchbrach die harmonische Stille ihrer nächtlich dahinschlummernden 2-Zimmerwohnung im Lindhorster Ortskern. Nach einem kurzen, aber beherzten Schlag auf den geschwungenen Bügel zwischen dem eifrig und pflichtbewusst in betriebsamer Hektik mal zur rechten und mal zur linken Glocke ausschlagenden Hämmerchen, stellte sich urplötzlich wieder absolute Ruhe ein.

Ruhe … Ruhe, nur noch ein Minütchen schlafen, sanft aus dem Traum erwachen, ein Kännchen Kaffee aufgießen, Weißbrot in den Toaster, Milch für den Kakao aufwärmen und Nele wecken … Nele wecken, Nele wecken!!!

Nele war gar nicht da! Babsi hatte ihre Tochter am Sonntagabend zur Großmutter nach Stadthagen gebracht, um heute in aller Frühe ungestört aufstehen zu können. Heute war doch ihr Tag, sie war verantwortlich für die gesamte Dekoration, ihr war es vorbehalten, die Boutique mit den neuen Winterartikeln zu verzieren.

Der Schreck, der ihr von dem brüllenden Wecker in die Glieder gefahren war, verflog so schnell wie er gekommen war.

Nach einem ausgedehnten Seufzer und einem weiteren tiefen Atemzug in ihre noch müde Lunge wusste sie, wie sie hieß, wer sie war und was heute geschehen sollte.

Sie, das war bürgerlich Babette Schmidt, kurz Babsi, 38 Jahre alt, alleinerziehende Mutter einer sechsjährigen Tochter und Mitarbeiterin einer auf kurzlebigen Modeschmuck und überflüssige Accessoires spezialisierten Boutique in der Hannoveraner Passerelle.

Zwei Jahre lang durfte sie schon dort arbeiten. Nach unzähligen Absagen und endlosen fadenscheinigen Umschreibungen ihres doch sehr üppig geratenen Äußeren hatte sie die Hartz-IV-Zeit mit einem blauen Auge und der Unterstützung ihrer Mutter einigermaßen würdig überstanden.

Ihre Tochter Nele sollte aufgrund einer Entwicklungsverzögerung erst nächstes Jahr eingeschult werden.

Außer ihrer Einfalt war sie aber ein liebenswertes Mädchen und das beste Enkelkind, das sich Oma jemals vorstellen konnte.

Einen Mann gab es in Babsis Leben nicht. An Gelegenheiten hatte es nie gemangelt, man traf sich, fand sich sympathisch, und dann wollten die Kerle so rasant mit ihr ins Bett, dass der Duft ihres Aftershaves noch in der Luft klebte, als sich die Tür bereits hinter ihnen ins Schloss gelegt und damit die Erinnerung an sie schon längst aufgelöst hatte.

Wer Neles Vater war, konnte Babsi nicht so genau sagen, sie vergaß auch relativ schnell die Namen derer, die ihr für eine Nacht die ewige Treue schworen.

Babsi hatte einfach Pech, kaum einer der Don Juans, die so auf ihre pralle Auslage fixiert waren, blieb länger als eine Nacht.

„Mit so viel Weiblichkeit können die gar nicht umgehen“, hatte ihre Mutter stets behauptet und machte sich insgeheim Sorgen um ihre alternde Tochter, deren beste Jahre immer mehr vergingen.

Babsi wusste das, sie war sich über ihre Situation vollkommen im Klaren.

Aber heute, heute war es soweit. Dagmar, ihre Chefin vom Bijou Celine, hatte ein gewisses Organisationstalent bei ihr entdeckt. Klar, Babsi war übergewichtig, blond, grell geschminkt und sah ein wenig einfältig aus, aber einen untrüglichen Sinn für die Bedürfnisse der zumeist weiblichen Kundschaft, den besaß sie.

Mit ihrer unbändigen Fröhlichkeit und dem Charme einer emsigen Honigbiene umgarnte sie die Rat suchenden Konsumenten und konnte ihrem Gespür folgend genau den Artikel ausmachen, welcher den Kundinnen zu ihrer Glückseligkeit gerade noch fehlte.

Diese Gabe war ihr Kapital und heute war der Tag, an dem sie honoriert werden sollte.

Nach den ersten Startschwierigkeiten kam ihr Motor immer besser auf Touren. Sie tänzelte leicht beschwingt ins Bad, stellte einen Kaffee an, gönnte sich eine heiße Dusche und trank dann von dem schwarzen Gebräu, das Tote hätte wecken können. Die Kaffeetasse eng umklammert, malte sie sich aus, wie sie die ersten Auslagen dekorieren und die neue Ware in Szene setzen würde.

Jetzt aber schnell wieder ins Bad, das „Gesicht aufsetzen“, wie sie zu sagen pflegte.

Gemeint war damit eine Prozedur, die in knapp dreißig Minuten eine übergewichtige Enddreißigerin zu einem grell geschminkten Super-Vamp mutieren ließ. Dieser wartete nur darauf, unschlüssigen Kundinnen kompetente Kaufentscheidungen zu ermöglichen.

Zwei Brote geschmiert, ein paar Süßigkeiten für zwischendurch eingepackt, schnell noch in den Fummel geschmissen, die Handtasche umgehängt und schon machte sie sich auf in den dunklen Morgen zum Lindhorster Bahnhof.

Es war Montag, der 10. Oktober.

Normalerweise nahm sie die S-Bahn zwei Stunden später. Aber heute war eben eine Ausnahme. Sie wollte ganz sichergehen. Sie wollte genug Zeit haben, um ihren kreativen Ideen freien Lauf lassen zu können und sie wollte … sie musste es allein schaffen. Dagmar sollte stolz auf sie sein, sie wollte ihr Vertrauen nicht enttäuschen!

Mit einem markanten, spitztönigen Surren glitt die S-Bahn aus Richtung Minden kommend an den Bahnsteig heran. Seit der Expo 2000 gelangte man nun fast im Halbstundentakt von dem liebenswerten Ort Lindhorst in die Landeshauptstadt Niedersachsens, Hannover. Diese Anbindung war für Pendler, die die Lebensqualität in der Kleinstadt mit den beruflichen Möglichkeiten einer Großstadt kombinieren wollten, ein wahres Geschenk.

Babsi konnte sich sowieso kein Auto leisten und die Zuganbindung bedeutete für sie eine Rückkehr in ein selbstbestimmtes Arbeitsleben.

Sie stieg ein, setzte sich auf die Bank direkt neben der Tür und hing ihren Gedanken nach, als der Zug über Haste, Wunstorf, Dedensen, Seelze, Letter und die Nordstadt schließlich im Hauptbahnhof Hannover pünktlich um halb sechs eintraf.

Sie hasste diesen Weg. Am letzten Gleis angekommen, musste sie quer durch die gesamte Bahnhofspassage in Richtung Passerelle. Jeden Morgen das gleiche Prozedere. Wie oft war sie schon von besoffenen Männern angepöbelt oder bekifften Jugendlichen angegrabscht worden. Meistens lungerte dieses Volk an der Treppe zu einem rund um die Uhr geöffneten Schnellrestaurant herum, darauf vertrauend, dass ein starker Kaffee ihre Arbeitsfähigkeit wiederherstellen und die Spuren der durchfeierten Nacht verblassen lassen würde. Viele dieser Discogänger hatten nicht geschlafen und begaben sich direkt von der Partymeile zur Arbeit.

Den Jackenkragen hochgeschlagen, die Handtasche sicher im Griff, den Blick starr geradeaus, marschierte sie beschleunigten Schrittes geradewegs in Richtung Passerelle. Die Bundespolizei und die Bahnsicherheit hatten gerade Schichtwechsel und vor halb sieben war mit kompetenter Hilfe nicht zu rechnen, wenn man sich in Not befand. Immer das Gleiche!, dachte sie, wenn man die Polizei mal braucht, ist sie nie da und wenn man sie absolut nicht brauchen kann, dann belästigt einen der Freund und Helfer in den unmöglichsten Lebenslagen, weil die Kinder zu laut, das Fahrrad zu alt oder die … „Hey Schnalle! Wo wackelst du denn mit deinem fetten Arsch hin? Is‘ wohl ein bisschen früh für ein paar Mettwürste auf Stilettos. Die Freier warten am Steintor!“, brüllte es aus Richtung Zeitungskiosk zu ihr herüber. Nein, sie ließ sich dieses Mal nicht einschüchtern, heute war ihr großer Tag und sie wollte sich ihre Chance nicht von anderen Blödmännern nehmen lassen.

„Fick dich ins Knie, Arschloch!“, platzte es aus ihr heraus. Sie war selber erstaunt, wie stark und bestimmt ihr der Kommentar über die Lippen glitt. So viel Mut hätte sie sich selbst gar nicht zugetraut. Wow, jetzt geht es mir schon besser, fiel es von ihr herab. Ein kurzer, kontrollierender Blick – nein – es folgte ihr niemand, ihr kraftvoller Kommentar hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Sie fühlte sich wieder ein bisschen sicherer.

Geschafft! Bahnhof hinter sich, Passerelle vor sich, die Hälfte des Weges war erledigt. Ihr schlug unvermittelt feuchte Kälte ins Gesicht. Für Anfang Oktober war es ungewöhnlich kühl und der Morgendunst schob sich in wabernden Schlieren durch den unwirtlichen Untergrund, der vor ihr lag. Knapp 200 Meter, die musste sie noch zurücklegen, dann den Laden aufschließen, Tür zu und sie würde mit sich und ihren Accessoires allein sein und hätte alle Ruhe, zu dekorieren, was das Zeug hält! Nur ankommen musste sie noch. Sie blieb kurz stehen, atmete tief durch und setzte ihren Weg fest entschlossen fort. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Besoffenen, Kiffern und Obdachlosen waren ihre Sinne immer hellwach, man musste auf alles gefasst sein!

In einiger Entfernung vor sich hörte sie plötzlich ein leises Scharren, konnte aber aufgrund des Dunstes nichts erkennen. Sie versuchte ihren Blick zu schärfen – war da nicht was? Nein, nichts, sie hatte sich wohl geirrt. Oder doch?

Überfallartig durchbrach ein metallenes Scheppern die Stille und riss sie aus ihren Gedanken. Unmittelbar danach krachte es wieder – Stille – dann noch ein drittes Mal, diesmal etwas leiser. Alle Geräusche kamen aus Richtung Kröpcke.

Nach einer kurzen Pause hörte sie das Starten eines Motors und etwas schien mit quietschenden Reifen in einiger Entfernung davonzufahren. Schon wieder einer dieser Anlieferungs-Rowdies, kam es ihr in den Sinn. Die Anlieferung zur Passerelle gestaltete sich stets etwas kompliziert. Die Lieferwagen mussten in der Regel über die Georgstraße durch die Fußgängerzone anfahren, beim Kröpcke halten, die Ware ausladen und dann mit Sackkarren in die daruntergelegene Passerelle schaffen. Ein sehr anstrengender Job, wie Babsi fand, aber ihr wurde auch nichts geschenkt, dann können sich auch die Lieferanten mal ins Zeug legen.

Jetzt sah sie etwas. In einigem Abstand vor ihr schimmerte der Boden. Sie war schon ein paar Schritte gegangen und nicht mehr weit vom Bijou Celine entfernt. Ihre Schritte verlangsamten sich, sie zögerte, kniff ihre Augen zusammen und versuchte, Klarheit in die vom Dunst aufgeweichten Strukturen zu bekommen. Das ist ja genau vor unserem Lädchen, erkannte sie. Beim Näherkommen sah sie eine Art Pfütze auf dem Boden. Sie dehnte sich vom Eingangsbereich des Bijou Celine in die Mitte der Passerelle aus, um sich dann ein wenig weiter in Richtung Treppe, die zum Kröpcke hochführt, auszudehnen.

Eigenartig, das sieht aus, als hätte ein Auto Öl verloren. Dunkelrot bis Schwarz glänzte die seltsame Lache auf dem Boden und sah ein wenig klebrig aus. Babsi kam immer näher heran. Sie musste mit ihren schicken Schuhen die Flüssigkeit durchqueren, um zum Aufschließen an die Ladentür zu kommen. Es roch süßlich nach Metall und Schweiß, ein leicht ekelerregender Gestank machte sich breit. Sie musste wirklich diese Pampe durchqueren! „Das kann doch nicht wahr sein, ausgerechnet heute, so ein Mist, meine besten Schuhe!“, fluchte Babsi. Vorsichtshalber bückte sie sich etwas nach vorn. Bevor sie sich ihre neuen Schuhe ruinierte, wollte sie sich vergewissern, um welchen Dreck es sich handelte.

Babsi kramte in ihrer Handtasche und zog ein benutztes Taschentuch heraus. Das wird genügen, dachte sie. „Heute scheint sich die ganze Welt gegen mich verschworen zu haben. Ich will doch nur dekorieren, ich will zeigen, was ich kann! Erst diese Penner, dann die Kälte und jetzt noch diese Suppe hier – das kann doch alles nicht wahr sein!“, zischte sie leise vor sich hin.

Vorsichtig bückte sie sich nach vorne. Aus der Nähe betrachtet, roch die klebrige Pampe jetzt noch übler als vorher. Babsi stippte das Taschentuch ganz vorsichtig hinein und erschrak. Vor dem weißen Hintergrund zeichneten sich tiefrote Sprenkel ab. Das sieht aus wie … Blut. Blut! Das ist Blut! „Bluuuut!“, brach es laut aus ihr heraus. „Hier ist Blut, Hilfe, Hilfe, Bluuuut!“ Ihr verzweifelter Schrei zerschnitt die Stille des Montagmorgens. Er verhallte ungehört. Babsi taumelte. Nur nicht die Kontrolle verlieren, ich muss in den Laden, aber von wem ist das Blut und warum liegt hier so viel, was soll das, was ist passiert?

Sie schaute sich Hilfe suchend um. Babsi bekam ihre Verwirrung nicht in den Griff. Angst machte sich breit. Sie musste in ihren Laden durch diese verdammte Suppe, alles voller Blut, die Tür nur drei Meter weg, sie musste dekorieren, bald kam die Kundschaft, es sollte alles so perfekt werden und jetzt war alles … Das blutverschmierte Taschentuch noch in der Hand, riss sie den Ladenschlüssel aus der Handtasche, ihre Beine wurden weich, sie knickte um. Oh nein, jetzt auch noch Blut an der Strumpfhose, was mache ich nur? Sie hechelte, atmete tief, immer schneller. Panische Blicke in die Umgebung werfend, sackten ihr plötzlich beide Beine weg, nur noch wenige Meter, dann bin ich im Laden, sicher … dekorieren … Dagmar … „Aaah!“ Nach einem kurzen Schrei versagten ihre Beine gänzlich den Dienst, sie wankte, drehte eine kurze Pirouette und riss ihre Arme in die Höhe. Ein letztes Aufbäumen, dann verlor sie die Besinnung und ihr runder Körper platschte in einer letzten Umdrehung rücklings auf das Pflaster. Ihre blonden Haare tunkten in die dunkelrote Soße. Einem barocken Schnee-Engel gleich, hatte Babsi ihre endgültige Lage gefunden – sie lag auf dem Rücken, die Arme weit geöffnet, als wolle sie die ganze Welt umarmen – mit gekrümmten Beinen und bewusstlos – im kalten Dunst des hannoverschen Morgens.

Kapitel 2

„Morgen!“ „Morgen!“ „Morgen Schorsch!“ „Morgen zusammen!“ Hier wurde sich noch mit Handschlag begrüßt. 6.00 Uhr morgens, der Frühdienst brach an und die Kolleginnen und Kollegen der ersten Gruppe vom Zentralen Verkehrsdienst der Polizeidirektion Hannover legten teils müde, teils hellwach ihre Ausrüstung an und trotteten danach allmählich in die Teeküche ihrer Dienststelle. Dort genossen sie den ersten heißen Kaffee, Tee oder Rosenbergs Spezialmischung als Starthilfe für die Frühschicht und führten den ersten kollegialen Plausch an diesem Morgen.

Rosenberg, den seine Kollegen liebevoll Rosi nannten, war ihr Gruppenführer. Nach über fünfunddreißig Dienstjahren hatte er einen Zaubertrank entwickelt, der dem Kraftgebräu von Miraculix in nichts nachstand: Acht Löffel Mocca, vier Löffel echter Kakao, zwei Löffel Traubenzucker, eine Prise Salz, ein halber Teelöffel Pfeffer und für die geschmackliche Abrundung eine Messerspitze Kardamom. Das Ganze einmal in der Industrie-Kaffeemaschine durchgebrüht, einen Spritzer Zitrone hinein und, wer wollte, einen Schluck Milch, damit die Mixtur nicht gleich den Blutdruck in schwindelerregende Höhen katapultierte.

Die Zaubertrank-Fraktion befand sich eindeutig in der Minderzahl, galt aber bei Rosenberg als die leistungsstärkste.

Nachdem es sich alle gemütlich gemacht hatten, begann das Ritual, das sich zu jedem Schichtbeginn wiederholte.

„Was liegt an?“, fragte Schorsch etwas gelangweilt. Georg Bartz, kurz Schorsch, war der stellvertretende Gruppenführer.

In der Regel gab es dann vier zur Auswahl stehende Antworten:

– Geschwindigkeits-Lasermessungen auf der Vahrenwalder Straße, der Bückeburger Allee, dem Messeschnellweg oder irgendeiner anderen Hauptverkehrsstraße,

– Alkohol- und Drogenkontrollen,

– Kontrolle von Gurtverstößen,

– oder die Königsdisziplin Schulwegüberwachung.

Lkws wurden auch manchmal überprüft und selten, wirklich sehr selten, widmete man sich den Fahrradfahrern.

„In der Fußgängerzone hat es in den letzten Wochen einige Unfälle zwischen Fußgängern und Radfahrern gegeben. Die Radler rasen wie die Bekloppten durch die FuZo und treiben alles auseinander, was sich ihnen in den Weg stellt – Verkehrsanarchisten! Samstag erst ist eine alte Omi von einem Fahrradkurier auf die Hörner genommen worden – Oberschenkelhalsbruch, sie wird wohl den Rest ihres Lebens nicht mehr richtig gehen können. Deswegen machen wir heute Fahrradkontrollen in der Fußgängerzone rund um Kröpcke, Bahnhofstraße, Georgstraße und Große Packhofstraße. Wir teilen uns in drei Trupps. Du, Georg, kontrollierst mit deinem Trupp den von der Bahnhofstraße einfahrenden Fahrradverkehr in Richtung Kröpcke. Sabine, du holst dir Kai, Mira und Andreas dazu. Ihr überprüft die Fahrrad-Rahmennummern und checkt, ob die Bikes als gestohlen registriert sind. Die Ecke Packhofstraße/Georgstraße übernimmt Matthias mit seinen Mannen und als Verfolger auf den neuen Dienstfahrrädern machen sich Jule und …“, Rosenberg blickte in die Runde, tastete die Teeküche suchend ab, fand aber nicht, was er vermisste.

Einen kurzen Augenblick lang herrschte Stille, Rosenberg drehte den Kopf, zog eine Augenbraue hoch, wollte gerade seine Stimme erheben, als er an der Türzarge lässig lehnend den Kollegen fand, der ihm am meisten Kummer bereitete – Tarek Neumann. „Tarek!“ platzte es aus ihm heraus.

Da stand er nun, lässig mit seiner Schulter an die Türzarge gelehnt. Hauptkommissar Tarek Neumann hatte das rechte Bein vor das linke Knie gekreuzt, die muskulösen Arme vor dem mächtigen Brustkorb verschränkt. Ein süffisantes Grinsen umspielte seine Lippen, begleitet von einem durchdringenden, klaren Blick aus seinen stahlblauen Augen. Er genoss solche Auftritte, wusste er doch, wie er gerade auf seine weiblichen Kolleginnen wirkte.

Tarek baute sich auf und stellte sich aufrecht in den Türdurchgang. Die Blicke der Kolleginnen hefteten sich ausgehend von den durchtrainierten Waden über die kraftvollen Oberschenkel, seine schlanke Taille, den wie ein V geformten Oberkörper hin zu einem breiten, klar definierten Kreuz, das selbst dem skrupellosesten Schläger Respekt einflößte. Auf einem starken Nacken ruhte das kantige Gesicht eines lebenserfahrenen Mittvierzigers mit dunklem Teint, klaren blauen Augen und blondem, vollem Haar. Er war bereits umgezogen und seine perfekte Figur zeichnete sich durch die hauteng anliegende Fahrradkombi unwiderstehlich ab.

Tarek Neumann, 44 Jahre alt, 1,90 m, Polizeihauptkommissar. Eine imposante Erscheinung. Sohn von Fritz und Rokaya Neumann, geboren in Basra (Irak). Seine Eltern kehrten aus beruflichen Gründen mit dem 6-jährigen Tarek nach Hannover zurück. Er kannte den Irak nur aus verklärten Erinnerungen seiner frühen Kindheit.

Tarek wollte, seit er denken konnte, Polizist werden. Nach nur einer Bewerbung nahm ihn die Polizei Niedersachsen auf. Die Ausbildung verbrachte Tarek in Hannoversch Münden, dann führte seine steile Karriere über den Streifendienst zur Kriminalpolizei und letztendlich aufgrund seiner hervorragenden Ermittlungsmethoden später zum LKA. Dort arbeitete er als Zielfahnder für schwer lösbare Fälle.

Sein kometenhafter Aufstieg endete jäh nach der Trennung von seiner Frau Andrea. Rosenkrieg, Sorgerechtsstreit, Hausverkauf – die typischen Begleiterscheinungen einer Scheidung, setzten ihm vor zwei Jahren derart zu, dass er seinen Kummer in Alkohol- und Drogenexzessen zu verdrängen suchte. Der Absturz war vorprogrammiert. Nach mehreren Disziplinarverfahren wurde er schließlich vom LKA zur Polizeidirektion Hannover versetzt und dort trotz seines hohen Dienstranges als Gruppenbeamter im Zentralen Verkehrsdienst eingesetzt.

Hier angekommen, hatte ihn Rosenberg hart an die Kandare genommen. Doch unter ständiger Aufsicht erholten sich Körper und Seele allmählich und mittlerweile schätzten die Kollegen sein geradliniges und konsequentes Auftreten.

Nahezu ein perfekter Beamter, wäre da nicht diese Macke, die ihn seinerzeit auch seine Ehe gekostet hatte. Tarek war überaus korrekt, fast schon pedantisch. Und dieses Verhalten konnte die Kollegen hin und wieder in den Wahnsinn treiben.

„Angeber“, murmelte Schorsch, der mit seinen 1,75 m, runder Wampe und schütterem Haar Tarek nicht annähernd das Wasser reichen konnte.

Rosenberg räusperte sich. „Hm, hm, ich sehe, du hast dich schon umgezogen, Tarek, umso besser. Ich denke, die taktischen Aufträge sind klar, ich will ein konsequentes Einschreiten sehen, kein Verstoß soll uns durch die Lappen gehen!“

Vom Zentralen Verkehrsdienst am Welfenplatz war es nur einen Katzensprung weit in die Innenstadt. Jule und Tarek fuhren direkt mit ihren grün-silbernen Dienst-Fahrrädern die etwa eineinhalb Kilometer lange Strecke in Richtung Fußgängerzone, die anderen Kollegen machten sich mit zwei blau-silbernen Bullis und einem Streifenwagen auf den Weg.

„Ich habe mich wohl mit der Temperatur ein bisschen vertan, das ist ganz schön kalt geworden“, sprach Jule in Richtung Tarek, als sie zum Einsatzort fuhren. „Mach dir ein paar heiße Gedanken Jule, dann wird dir schon ein bisschen wärmer“, gab Tarek zurück.

„Ich könnte mir ja noch einmal den geilen Anblick von dem Mann in der Türzarge ins Gedächtnis rufen, ich befürchte nur, dass ich dann nicht besonders weit kommen werde, weil ich auf meinem Sattel ausrutsche.“ Jule war eine Verfechterin des klaren Wortes, ohne viele Umschweife kam sie genau auf den Punkt.

„Jule, ich schätze dich wirklich sehr, aber du bist mir einfach zu direkt und ein bisschen zu …“, Tarek überlegte kurz und sinnierte, was er ihr entgegnen konnte, ohne sie als Mannweib zu beleidigen und ohne zu riskieren, nach Schichtende direkt bei der Gleichstellungsbeauftragten vorsprechen zu müssen, „… zu dünn. Weißt du, eine Frau darf bei mir auch danach aussehen. Du weißt schon, mit Rundungen auf der Vorderseite, kurz unterhalb der Schulterblätter, und an der anderen wichtigen Stelle, etwas tiefer als der Bauchnabel.“

„Ja, ja, ich weiß, du meinst Torpedo-Busen und Rundarsch, das ist ja nicht neu. Ich dachte, ich würde dich irgendwann mal anbaggern können, aber die Hoffnung kann ich wohl begraben.“

Wie recht du hast!, dachte Tarek im Stillen, denn die Anziehungskraft seiner Exfrau Andrea war trotz des apokalyptischen Scheidungs-Streits für ihn immer noch ungebrochen. Die Erinnerung daran schmerzte und stimmte ihn nachdenklich.

„Wir sind da“, holte Jule ihn aus seinen Gedanken zurück. Sie mussten noch auf die motorisierten Kollegen warten und bauten sich auf halbem Weg zwischen Kleiner und Großer Packhofstraße auf, um vor den Kontrollen flüchtende Radfahrer in Richtung Steintor aufnehmen zu können. Tarek scannte in der Zwischenzeit seine Umgebung ab.

Es war wirklich kalt. Der zwischen den Häusern gefangene Nebel lichtete sich ein wenig. Tarek schloss die Augen. Tief sog er den Duft der erwachenden Stadt in sich auf. Das Gemisch aus Dunst, Abgasen und Straße mischte sich mit den frischen Nuancen der von den Alleebäumen herabfallenden Blätter, Düften von Naschwerk und Honig aus dem benachbarten Süßwarengeschäft sowie dem angenehmen Parfum seiner Kollegin Jule, die etwas gelangweilt neben ihm auf den Beginn des Einsatzes wartete.

Selbst in einer Großstadt wie Hannover war kurz vor sieben noch nicht viel los. Die ersten Ladenbesitzer durchschritten müde die Fußgängerzone und öffneten die Türen ihrer Geschäfte, verschlossen sie jedoch sofort wieder, um die Auslagen für den großen Ansturm nach dem Wochenende vorzubereiten. In einzelnen Kaufhäusern ging das Licht an. Emsige Angestellte bereiteten die Wühltische für den heranbrechenden Sturm kaufwütiger Kunden vor, der am Montagmorgen nach einem langen Wochenende über sie hereinbrechen sollte.

Zahlreiche Kleintransporter summten wie Bienen durch die Fußgängerzone und belieferten eilig die Geschäfte, Boutiquen, Ladenlokale, Kioske und spuckten die bestellte Ware im Minutentakt auf das Trottoir.

Etwa 100 Meter entfernt in Richtung Steintor erkannte Tarek eine Personengruppe von etwa 20 Menschen, die langsam aber stetig anwuchs. Sie versammelte sich auf der Kreisfläche gegenüber der Schillerstraße. Einige von ihnen rollten Transparente aus, wieder andere schienen sich zu verkleiden. Die Gruppe erhielt beständig Zulauf. Die Verkleideten wirkten in ihrer Aufmachung wie Bären, Füchse oder Nerze.

„Was soll denn dieser Budenzauber?“, murmelte Tarek und erhielt prompt eine unerwartete Antwort von Jule.

„Tarek, hättest du heute Morgen die Tageslage studiert, wüsstest du, dass die BIHaT eine Demo macht!“, kommentierte Jule etwas schnippisch in Tareks Richtung, noch eingeschnappt von seinem vernichtenden Kommentar bezüglich ihrer Weiblichkeit.

Ach ja, die BIHaT, die Bürgerinitiative Hannover Tierschutz, hatte für heute eine Demonstration vor dem Pelzatelier Lambertz angemeldet, natürlich habe ich das gelesen!, erinnerte sich Tarek im Stillen.

Die BIHaT hatte es sich zur Aufgabe gemacht, sämtlichen Pelzhändlern Hannovers das Leben zur Hölle zu machen. Neben dem Lahmlegen der Homepages durch Mail-Bomben, Leserbriefen und symbolischen Tier-Befreiungsaktionen, waren auch immer wiederkehrende Demonstrationen vor diesen Fachgeschäften Teil einer vernichtenden Strategie, die Pelzhändler in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. Der eine oder andere Hannoveraner Prominente hatte sich dieser Bewegung angeschlossen. Einige bekannte Gesichter meinte Tarek in dem Pulk erkannt zu haben.

Sein Blick kreiste weiter. An den Geschäftszeilen vorbei, folgte Tareks Blick der Georgstraße Richtung Kröpcke.

„Nanu, der war doch vorher nicht da!“, entfuhr es Tarek.

„Wer?“, hakte Jule nach.

„Der Rettungswagen da an der Kröpcke-Uhr. Hast du den gehört, Jule?“

„Nee, ist ja auch noch nichts los, der kommt so durch und braucht seine Musik nicht anzuschmeißen“, gab seine Kollegin zurück.

Was ist da los?, überlegte Tarek. Von Natur aus misstrauisch, versuchte er in Richtung Rettungswagen zu gehen, um die Kollegen vom Rettungsdienst auszufragen.

„Hiergeblieben, über Funk haben sich die anderen angemeldet, wir sollen uns schon mal klarmachen, sie fangen gleich mit den Kontrollen an!“, ranzte Jule Tarek an, den Clip vom Funkgerät in ihr Ohr einhakend.

So ein Blödsinn, dachte Tarek, um zwanzig nach sieben ist doch kaum ein Radler unterwegs. Und in der Tat war das Verhältnis Radfahrer zu Polizei um diese Uhrzeit deutlich zugunsten der Polizei ausgeprägt.

Der Gedanke, die Umstände des Rettungswagen-Einsatzes am Kröpcke nicht zu kennen, quälte Tarek.

Bis acht Uhr gab es nicht viel zu tun. Alle Radfahrer rückten brav ihre EC- und Kreditkarten heraus, um ihre Verwarngelder zu bezahlen.

Kurz darauf entstand etwas mehr Bewegung in der Szenerie rund um den Kröpcke. Tarek heftete seine Blicke auf einige Passanten, die wild gestikulierten und sich mit anderen unterhielten. Irgendetwas muss dort geschehen sein, das die Leute aufwühlt, mutmaßte Tarek.

Fünf Minuten später rollte ein unscheinbarer, grauer VW T5 mit Hochdach an. Beinahe lautlos bahnte er sich seinen Weg durch die Passanten und glitt bis an die Treppe, die vom Kröpcke hinab zur Passerelle führt. Zwei Personen stiegen aus, gingen um das Fahrzeug herum, öffneten die beiden Heckklappen, entluden mehrere Koffer und zogen sich weiße Overalls an.

„Der neue Tatortwagen vom Zentralen Kriminaldienst (ZKD)“, entfuhr es Tarek. „Jule, gib’ mir mal sofort das Funkgerät, der ZKD scheint in der Passerelle einen Tatort aufzunehmen.“

Mit den Augen rollend, reichte Jule ihm den altmodischen Kommunikator und Tarek machte sich sofort daran, bei der Leitstelle nachzufragen, was konkret in der Passerelle vor sich ging.

Nach einigem Gezerre über Funk, was es den Verkehrsdienst angehe, was die Kriminalpolizei dort mache und dass es überhaupt nicht Aufgabe des ZVD sei, die Kollegen der Kripo zu unterstützen, erfuhr Tarek rudimentär den Sachverhalt, der sich in der Passerelle zugetragen hatte.

Heute Morgen, gegen Viertel nach sechs wurde von einem Passanten eine Frau bewusstlos in einer roten Lache vor dem Bijou Celine in der Passerelle gefunden. Nach einigen Umständen hatte der Mann über den Feuerwehr-Notruf einen Rettungswagen angefordert. Kurz danach sei auch die Bundespolizei hinzugekommen und der gerufene Notarzt habe die Frau vor Ort ärztlich versorgt.

Die Kollegen von der Bundespolizei haben den Tatort dann abgesperrt, weil die Polizeidirektion genug andere Einsätze hatte und sich auf die Demo-Lage in der Innenstadt vorbereiten musste. Und jetzt seien eben die Kollegen vom ZKD dabei, den Tatort aufzunehmen.

Der Beamte der Leitstelle konnte sich einige bissige Kommentare nicht verkneifen, aber Tarek hatte erfahren, was er wollte. Aufgekratzt und angespannt bis in die Haarspitzen malte er sich aus, was sich dort unten wohl zugetragen haben könnte. Seine Motivation als Zielfahnder hatte in den Jahren beim Verkehrsdienst nicht im Geringsten gelitten.

„Los, Tarek, lohoos! Da geht uns einer durch die Lappen!“, riss Jule ihn unvermittelt aus seinen Gedanken und zerrte an seinem Oberteil. In null Komma nichts war Tarek wieder im Diesseits angekommen, sprang auf sein Fahrrad und nahm hinter Jule die Verfolgung des flüchtenden Radfahrers auf.

Schnell hatte er Jule überholt. Blut schoss in seine Oberschenkel, die Pedalen ächzten unter seinem kraftvollen Antritt.

Vor sich sah er eine kleinwüchsige Gestalt auf einem Mountainbike Fersengeld geben. Der Zwerg hatte Matthias, der die Rahmennummern überprüfen sollte, beim Anhalteversuch über den Haufen gefahren und anschließend Gas gegeben.

Na, warte, du Ratte! Tarek konnte richtig zornig werden, wenn jemand versuchte, die Staatsmacht an der Nase herumzuführen.

„Stehen bleiben, Polizei!“, brüllte er dem rasenden Terrier hinterher.

„Leck mich!“, hallte es ihm aus Richtung des Verfolgten entgegen.

„Ich kriege dich, halt an oder ich werde echt sauer!“, konterte Tarek, der zum direkten Angriff auf seinen Vordermann ansetzte.

„A.C.A.B.!“, kreischte es vor ihm. Er kannte diese Abkürzung ganz genau. Sie stand für „All Cops Are Bastards“ und war alles andere als schmeichelhaft für die uniformierte Zunft.

Tarek legte noch ein paar Kohlen drauf. Er holte den grölenden Winzling ein, schloss seitlich zu ihm auf und sagte in aller Ruhe: „Wenn du nicht sofort anhältst, pack ich dich am Kragen, schüttele dir deine Bosheit aus dem Balg und sperre dich in das Kellerloch an der Waterloostraße. Hast du mich verstanden?“

Mit einem freundlichen Grinsen, ohne jegliche Spur von Erschöpfung, lugte Tarek in Richtung Fahrradzwerg.

„A.C.A.B., A.C.A.B.!“, gellte es von dem hechelnden Rumpelstilzchen hysterisch in Tareks Richtung.

„Jetzt reicht‘ s!“

In voller Fahrt krachte Tareks linke Hand mit einem wuchtigen Schlag zwischen die Schulterblättchen des Klein-Querulanten. Tarek griff in die eng anliegende Jacke seines Nebenmanns.

Einem Schraubstock gleich zog sich seine Pranke in dem Gewebe fest. Panisch jaulte der Störenfried auf, als er merkte, wie eine unbändige Kraft ihn langsam aus dem Sattel hob.

„Tarek, Achtung, die Demonstranten!“, brüllte Jule hinter ihm her.

Und tatsächlich. In rasender Fahrt näherte sich der Festnahme-Klumpen aus den beiden Protagonisten und den zwei Fahrrädern der Demonstrations-Formation.

„Letzte Chance auf ein friedliches Ende“, signalisierte Tarek seinem Nebenmann. „Blöde Sau!“ Wild zappelnd wehrte sich der Klein-Terrorist gegen seine Festnahme.

Jetzt habe ich die Faxen dicke, resümierte Tarek. Mit einem kräftigen Hub trennte er den zappelnden Zwerg von seinem Fahrrad. Ohne seinen Fahrer rollte das Gefährt führerlos noch wenige Meter weiter, bevor es krachend und scheppernd seitlich auf das Pflaster fiel.

„Lass mich los, Arschloch, lass mich los!“, würgte der ohne sein Fahrrad in der Luft wild um sich schlagende Zwerg hervor.

„Bist du dir sicher?“

Tareks Gesicht nahm besorgte Züge an.

„Loslassen, sofort!“, hallte es neben ihm zurück.

„Na gut, du hast es so gewollt.“

Unmittelbar vor den Demonstranten öffnete Tarek schlagartig seine Hand und schwenkte nach rechts ab.

Unsanft plumpste der verdutzte Bösewicht zuerst mit dem Gesäß auf das raue Pflaster der Fußgängerzone, rollte bäuchlings nach vorne, küsste kurz mit dem Unterkiefer das Trottoir, schlug noch mehrere Purzelbäume, bevor er leicht lädiert und zerkratzt unmittelbar vor den Demonstranten zum Stillstand kam.

Tarek stieg in aller Seelenruhe von seinem Dienstrad, stellte es ordnungsgemäß ab und schlenderte lässig in Richtung Landeplatz seines Schützlings.

„Du bist vorläufig festgenommen“, raunte Tarek den zerknautschten Pedalisten an. Mit einer leichten Verbeugung vor den Zuschauern hob er das Bündel auf, begleitete den gestellten Rowdy zum Streifenwagen und übergab ihn seinen Kollegen.

Dort angekommen, rollte Rosenberg mit den Augen. „Musste das sein?“, fragte er Tarek.

„Er bat ausdrücklich darum.“ Grinsend nahm Tarek ein Desinfektionstuch aus der Tasche, reinigte sich gründlich die Hände und nahm seinen Posten wieder ein.

Jule empfing ihn mit einem vielsagenden Lächeln.

„Richtig starke Vorstellung, Tarek, fast filmreif. Aber Rosi wird dir richtig den Arsch aufreißen, von wegen unverhältnismäßiger Polizeigewalt und so. Ich wünsch‘ dir viel Vergnügen beim Anschiss.“

Die restliche Schicht verlief unspektakulär. Der eingefangene Helldriver wurde nach Feststellung seiner Personalien wieder freigelassen, 29 Verwarngelder wurden eingenommen, 12 Ordnungswidrigkeiten-Anzeigen geschrieben und drei Fahrräder aufgrund von Fahndungstreffern der Rahmennummern sichergestellt.

Auf die Dienststelle zurückgekehrt, verlief Rosis Anschiss glimpflicher als von Tarek erwartet. Denn insgeheim freute sich Rosenberg, dass diesem Fahrrad-Anarchisten eine nachhaltige Lektion erteilt worden war.

Matthias hatte auch keine bleibenden Schäden von dem Zusammenstoß davongetragen, sodass sich alle auf das wohlverdiente Feierabend-Bier freuten.

„Kommst du noch auf ein Bier mit in den Keller?“, erkundigte sich Jule mit flehendem Blick.

„Nein danke, Jule, du weißt doch, ich hatte so meine Probleme mit dem Alkohol. Ich bin froh, dass ich das Zeug nicht mehr brauche. Ich möchte noch meinen Vater besuchen. Ihm geht es nicht so gut.“

Mit einem tiefen Seufzer entließ Jule ihren Kollegen.

Zwanzig Minuten später verließ Tarek frisch geduscht die Dienststelle. Der Gedanke an den Tatort in der Passerelle ließ ihn nicht mehr los. Was mochte sich dort zugetragen haben?

Kapitel 3

An sich hätte dieser Montag genauso eintönig verlaufen sollen wie jeder andere Montag auch. Auf die Beamten der Spurensicherung (SpuSi) wartete normalerweise ein Stapel mit Aufträgen. Die Einbrüche des vergangenen Wochenendes waren abzuarbeiten. Wie am Fließband wurde sich zuerst bei den Betroffenen vorgestellt, um Einlass gebeten, dann der Tatort aufgenommen, Fotos, Finger- und Fußspuren genommen, manchmal sogar DNA sichergestellt und sich korrekt verabschiedet. Anschließend wurden im Büro die Spurensicherungsberichte gefertigt.

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