Abschied gestalten - Christine Kempkes - E-Book

Abschied gestalten E-Book

Christine Kempkes

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  • Herausgeber: Humboldt
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Früher oder später trifft es uns alle. Das Lebensende – ob altersbedingt oder durch eine lebensverkürzende Diagnose – stellt eine Ausnahmesituation dar: Wie gehen wir mit den vermeintlichen Tabuthemen Sterben und Tod um? Wie kommen wir ins Gespräch über das, was uns jetzt beschäftigt? Wie binden wir unsere Kinder mit ein? Und wie können wir in dieser belastenden Zeit als Angehörige stabil bleiben? Diesen Fragen widmet sich die Autorin und greift dabei auf ihren reichen Erfahrungsschatz aus Bestattung, Sterbe- und Trauerbegleitung zurück. Sie zeigt einfühlsam und mit praktischen Beispielen, wie gemeinsame Kommunikation gelingt, wertvolle letzte Erinnerungen geschaffen werden, aber auch, wie die finale Lebensphase und die Beisetzung gestaltet werden können.

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Seitenzahl: 210

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Für meine Mutter,die mir täglich zeigt, wie es möglich ist,die letzte Lebensstreckemit Würde, Klarheit und Humor zu gehen.

INHALT

Geleitwort

Vorwort

Wenn die Welt aus den Fugen gerät

Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit

Angst, deine neue Gefährtin

Der Angst einen Namen geben

Raus aus der Starre

Vom Druck, alles richtig machen zu wollen

Selbstmitgefühl ganz praktisch

Mit den eigenen Kräften haushalten

Die Bettkantenentscheidung

Gesund Grenzen setzen

Vier Entscheidungsfilter

Warum Selbstfürsorge nichts mit Egoismus zu tun hat

Vorweggenommene Trauer

Traueraufgaben statt Trauerphasen

Die Unterschiedlichkeit der Trauer aushalten

Ungeliebte Gefühle

Abschied will gelernt sein

Wir kommen hier alle nicht lebend raus

Rede ich den Tod herbei?

Leben bis zuletzt

Grenzen erkennen und wahren

Sowohl-als-auch statt Entweder-oder

Mit allen Sinnen fühlen

Um wen geht es eigentlich?

Wenn die Krankheit den Menschen verändert

Wer oder was trägt mich jetzt?

Hilfreiche und weniger hilfreiche Menschen

Ein Netz vielfältiger Unterstützung

Professionelle Begleitung

Spiritualität am Lebensende

Was kann, was darf, was möchte ich glauben?

Was wir aus Nahtoderfahrungen lernen können

Könnte es sein, dass wir im Tod gar nicht allein sind?

Und wenn doch nichts nach dem Tod kommt?

Was trägt in dieser fragilen Zeit am Lebensende?

Notfallübungen

Butterfly Hug – Schmetterlingsumarmung

Die Atmung beruhigen

Imagination deines sicheren Ortes

Miteinander reden

Das große Schweigen

Der erste Schritt: Das Gute würdigen

Den Gesprächseinstieg finden

Hilfreiche Rituale

Mehr fragen als sagen

Die Kunst des Zuhörens

Die Kunst, sich einzufühlen

Sich schrittweise an den Kern herantasten

Wenn nur eine Seite sprechen möchte

Was tun bei unrealistischen Hoffnungen?

Humor als Katalysator

Humor gibt Wind unter die müden Flügel

Offene Baustellen

Im Angesicht des eigenen Todes: Der Blick zurück

Wenn Konflikte dein Herz schwer machen

Unausgesprochenes aussprechen

Konflikten ins Auge schauen

Reden – aber wie?

Ho’oponopono – ein Vergebungsritual

Wenn die andere Konfliktpartei bereits verstorben ist

Kinder einbeziehen

Zutrauen statt zumuten

Die Last des Ungesagten

Wie du Kinder stärken kannst

Kinder haben ein Recht auf Information

Die Kompetenz der Kinder achten

Trauer zeigt sich ganz unterschiedlich

Im Gespräch bleiben

Achte auf deine Formulierungen

Deine Gesprächsbereitschaft ist das A und O

Die wichtigste Botschaft: „Du bist nicht schuld“

Du bist das Muster, an dem Kinder sich orientieren

Den Bedürfnissen Raum geben und mitgestalten

Erinnerungen schaffen

Erleben

Die eigenen Ressourcen und Bedürfnisse wahren

Bewusste Abschiede

Schreiben

Briefe an die Lieben

Deine Lebensrückschau

Video/Audio

Gespräche am Lebensende

Botschaften an die Zurückbleibenden

Weitere kreative Gestaltungsmöglichkeiten

Erinnerungskiste

Fotobuch

Lieblingsrezepte

Playlist

Erinnerungsschmuck

Die finale Lebensphase

Vom Segen der Palliativmedizin

Palliativ versus kurativ

Bestmögliches Leben

Wann ist es Zeit für eine palliative Begleitung?

Krankenhaus, Hospiz oder doch zu Hause?

Palliativversorgung kommt überall hin

Eine anspruchsvolle Entscheidung

Die letzte Wegstrecke

Kommunikation ohne Worte

Blickkontakt aufnehmen

Sinneswahrnehmung bis zuletzt

Letzte Wünsche erfüllen

Die Schwierigkeit loszulassen

Die Hand halten, ohne festzuhalten

„Du darfst gehen“

Der letzte Atemzug

Was jetzt zu tun ist

Abschied in aller Ruhe

Hausaufbahrung

Ärztliche Todesbescheinigung

Die Zeit bis zur Beisetzung

Bestattungs- und Grabarten

Fragen, auf die ihr Antworten finden solltet

Erd- oder Feuerbestattung

Der Klassiker: Friedhof

Bestattungswald

Seebestattung

Luftbestattung

Die Trauerfeier als zentrales Abschiedselement

Religiöser Ritus oder freie Zeremonie?

Wo soll die Trauerfeier stattfinden?

Welche Musik soll gespielt werden?

Welche Dekoration ist passend?

Weitere Texte oder Wortbeiträge

Trauer- und Abschiedsrituale

Wie kommt der Sarg oder die Urne zum Grab?

Verbindung für die, die nicht dabei sein können

Weitere Gestaltungsmöglichkeiten

Abschiednahme am offenen Sarg

Sarg- bzw. Urnenbeigaben

Sarg oder Urne selbst gestalten

Kerze gestalten

Traueranzeige in der Zeitung

Kleine Zeremonie im Krematorium

Rechtliches

Vorsorgevollmacht

Hinterlegung im zentralen Vorsorgeregister

Patientenverfügung

Notfallordner: Alles auf einen Griff

Notfalldose

Testament

Digitaler Nachlass

Bankkonten

Dank

Anhang

Hilfreiche Adressen

Quellenangaben und Literatur

Register

GELEITWORT

Was für ein wundervolles Buch

Zum Thema Tod, Abschied, Sterben und Trauer gibt es eine fast erschlagende Vielzahl von Büchern, die meiste davon eher schwere Kost, nicht so dieses Buch.

Es ist trotz seiner großen inhaltlichen Dichte federleicht und mitreißend geschrieben, mit ganz vielen wunderbaren Bildern, unglaublich liebevoll formuliert und mit unendlich vielen hilfreichen Anknüpfungspunkten gespickt. Es gibt so vieles in diesem Buch zu entdecken – und das sage ich als gestandener Palliativmediziner, der seit über 20 Jahren ziemlich tief in diesen Bereich eingetaucht ist. An ganz vielen Stellen hatte auch ich meine Aha-Erlebnisse und werde einige der Ideen aus diesem Buch für meine eigene Arbeit nutzen bzw. auch an An- und Zugehörige weitergeben.

Ein Beispiel hierfür ist die Formulierung „Traueraufgaben“ statt „Trauerphasen“, weil es das, was vor einem liegt, viel besser beschreibt und alleine in dieser Formulierung schon ein kleiner Mutmacher steckt: in einer Phase steckt man drin, eine Aufgabe ist im besten Fall zu bewältigen. In diesem Kapitel formuliert die Autorin unter anderem auch einen extrem klugen und hilfreichen Abschnitt zum Thema Hoffnung: „Hoffnung bis zuletzt fühlt sich rückblickend wie ein Warteraum auf ein Wunder an. Und in diesem Raum sind Gespräche über den Tod und alles, was damit zusammenhängen könnte, leider tabu. Viele Menschen bereuen in der Rückschau, den Blick auf die Realität nicht geschafft zu haben.“

Auch bemüht sich die Autorin stets um positive Assoziationen. Diese finden sich in Formulierungen wie „sich dankbar erinnern als Traueraufgabe“ oder auch „die Unterschiedlichkeit der Trauer aushalten“. Die Autorin schreibt, dass ihre Oma gerne den Satz ‚Jeder ist anders komisch‘ gebraucht hat. Weiter heißt es, dass dieser Satz die Türe weit öffnet, hinter der sich Toleranz und Güte gerne verschanzen. Wir leben in einer zutiefst defizitorientierten Gesellschaft und so ist es umso erfrischender, auf ein Buch zu stoßen, das sich durch seine Ressourcenorientiertheit wohltuend davon abhebt.

Auch das Kapitel über den Umgang mit Kindern gefällt mir als Kinderarzt, Begleiter und „Anwalt“ von Kindern in schwierigen Situation und nebenbei auch noch Vater von fünf Kindern außerordentlich gut. Hier finden sich absolut treffende Formulierungen, wie schon die Überschrift „Zutrauen statt Zumuten“. Es ist eine unserer vornehmsten Aufgaben, insbesondere diese kleinen wundervollen Menschen nicht zu vergessen.

An keiner Stelle des Buches wird der moralische Zeigefinger erhoben, nie bekommt man das Gefühl, dass es nur den einen richtigen Weg gibt. Dieses Buch macht Mut, entlastet und schafft somit etwas, was vielen anderen Ratgebern nicht gelingt: es gibt Orientierung, ohne den individuellen Weg, den jeder selbst gehen muss, vorzugeben.

Dieses Buch ist ein Geschenk. Und ich wünsche diesem Buch den Erfolg und die Verbreitung, die es verdient!

Sven Gottschling

Chefarzt im Zentrum für altersübergreifende Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Universitätsklinikum des Saarlands

VORWORT

Wenn ich dieses Leben überstehe, ohne zu sterben, wäre ich überrascht.

Mullah Nasreddin, Philosoph und Sufi

Wir werden alle sterben. Wenn eins im Leben klar ist, dann das. Genauso klar ist jedoch auch: Wir möchten uns nicht mit dem Lebensende beschäftigen. Wobei das auch eine wirklich paradoxe Angelegenheit ist: Aus der Ferne mit genügend Abstand betrachtet, können wir nämlich gar nicht genug vom Tod bekommen: In Filmen, Büchern, Podcasts darf gern viel Blut fließen, lieben wir den Nervenkitzel und erleben so einen Tod nach dem nächsten. Gleichzeitig sprießen Ratgeber zu den Themen Sterben und Tod geradezu aus dem Boden, es scheint also grundsätzlich ein wachsendes Interesse an diesen sogenannten „schweren Themen“ zu geben.

Aber unser eigenes Lebensende oder das unserer Liebsten? Den Gedanken daran schieben wir gern weit von uns. Zu schwer scheint uns das Thema, um damit unser schönes Leben zu belasten. Ohne Not und konkreten Anlass über das Sterben nachzudenken, das ist doch nur etwas für lebensmüde oder sehr alte Menschen. Sicher tragen auch die Errungenschaften der medizinischen Forschung dazu bei, dass wir über die letzten Jahrzehnte ein Gefühl von Unsterblichkeit entwickelt haben. Der Tod betrifft nur die anderen, gegen die eigenen Krankheiten wird es wohl irgendein Mittel geben.

Und dann steht da plötzlich eine bedrohliche Diagnose im Raum! Eine Erkrankung, die mit hoher Wahrscheinlichkeit tödlich enden wird. Oder wir realisieren, dass die eigenen Eltern tatsächlich alt und „tüddelig“ werden und daher vielleicht doch nicht mehr so viel gemeinsame Zeit bleibt wie gedacht. Nun steht das Schreckgespenst Tod im Raum und blickt uns feindselig an. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, die Augen zu öffnen und diesem Schreckgespenst zu begegnen. Doch gleichzeitig lauern auch schon alle Emotionen hinter der nächsten Ecke, die uns daran hindern, klare Gedanken fassen zu können: die Angst zu sterben, die Überforderung angesichts so vieler anstehender Entscheidungen oder die unendliche Traurigkeit über den drohenden Abschied.

Als Bestatterin und Trauerbegleiterin erlebe ich allzu oft, dass Menschen erst dann erkennen, was sie alles hätten besprechen, entscheiden, tun oder auch lassen können oder sollen, wenn es dafür zu spät ist. Genau das ist mein Ansatz für dieses Buch: Ich möchte dir ermöglichen, das Tabu zu brechen und dem Tod möglichst angstfrei, unerschrocken und mutig ins Gesicht zu schauen. Mein Anliegen ist es, das schwere Thema Tod aus einer etwas leichteren, vor allem sinnerfüllten Perspektive zu betrachten. Sterben und Tod dorthin zu holen, wo sie hingehören, nämlich ins Leben – das ist mir eine Herzensangelegenheit.

Ich möchte dir ermöglichen, dem Tod möglichst angstfrei, unerschrocken und mutig ins Gesicht zu schauen.

Die Journalistin und Redakteurin Regine Schneider schreibt in ihrem Buch „Ich möchte sterben, wie ich gelebt habe“: „Jeder, der sich nicht erst im eigenen Sterbeprozess mit diesem Thema auseinandersetzt, sagt, dass es sinnvoll und hilfreich ist. Und selbst im Angesicht des Todes ist es nicht zu spät, mit dem Tod Frieden zu schließen.“ Wenn ich etwas empfehlen darf, dann warte mit dieser Auseinandersetzung nicht allzu lange. Je früher es dir gelingt, den Tod als realistische Option in dein Leben zu integrieren, desto erfüllter wirst du die verbleibende, kostbare Lebenszeit nutzen können. Ich bin überzeugt, dass die Auseinandersetzung mit dem Sterben unser Leben bereichert. Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit verschiebt unsere Prioritäten und lenkt den Blick auf das, was uns wirklich, wirklich wichtig ist.

In diesem Buch habe ich meine vielfältigen Erfahrungen aus der Sterbebegleitung, der Bestattung und der Arbeit mit Trauernden zusammengetragen und um Mut machende Beispiele meiner Klientinnen und Klienten und auch meiner Follower in den sozialen Medien ergänzt (siehe Anhang).

Ich unterstütze dich dabei,

• deine Perspektive auf Themen zu erweitern, die du bisher in deinem Leben eher ausgeklammert hast,

• deine Handlungsfähigkeit zurückzuerlangen in einer Lebensphase, die zunächst durch Ohnmacht und Fremdbestimmung geprägt ist,

• dich selbst und dein Familiensystem in der letzten Lebensphase noch einmal neu kennenzulernen und

• die Angst vor dem Tod abzulegen.

Du erhältst sehr konkrete Hilfestellungen, die dich und deine Lieben nun auf eurem Weg begleiten können. Verstehe dabei meine Ideen bitte als Vorschläge und entscheide selbst, was für dich und deine individuelle Situation am besten passt. Mancher Gedanke wird dir auf den ersten Blick fremd erscheinen und vielleicht sogar auf einen inneren Widerstand stoßen. Ich wünsche dir eine Portion Neugier und Mut, dich auch auf diese Blickwinkel einzulassen und neue Denkpfade anzuschauen und auszuprobieren.

Bei der Vielfalt der skizzierten Ideen und Impulse mögen manche – je nach Krankheitsbild – nicht auf deine konkrete Situation anwendbar sein. Auch ist das eine oder andere Thema in deiner persönlichen Situation vielleicht nicht relevant. Für diese Fälle bitte ich dich einfach, solche Passagen zu überblättern.

Ausdrücklich geht es in diesem Buch nicht um medizinisches Wissen. Für das Kapitel „Organisatorisches“ über notwendige juristische Themen wie Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung habe ich mir fachlichen Beistand in Form einer Kapitelpatin geholt. Was du hier auch nicht findest: 08/15-Lösungen, die für jeden Menschen gleichermaßen gelten. Vielmehr möchte ich mit meinen Ideen deine eigene Kreativität anstoßen, mit der du die individuellen Lösungen entwickelst, die richtig gut für deine Situation passen.

Da wir uns alle frühzeitig mit unserer Endlichkeit auseinandersetzen sollten, müssten Bücher über dieses Thema eigentlich für jede erwachsene Person Pflichtlektüre sein! Beim Schreiben habe ich mir insbesondere Leserinnen und Leser vorgestellt, die durch eine lebensverkürzende Diagnose für sich selbst oder im engen Umfeld oder durch die Erkenntnis, dass die alten Eltern zunehmend gebrechlich werden, mit Sterben und Tod konfrontiert sind. Dabei spreche ich meistens sowohl die unmittelbar betroffenen, also erkrankten Personen, als auch ihre Zugehörigen an.

Mit meinen Ideen möchte ich deine Kreativität anstoßen, mit der du für dich individuelle Lösungen entwickelst.

Vielleicht ist dir der Begriff „Zugehörige“ fremd: Damit sind neben den Angehörigen, zu denen ja nur Verwandte und Angeheiratete zählen, alle Menschen gemeint, mit denen wir freundschaftliche Beziehungen pflegen. Gerade wenn es keine Verwandten mehr gibt oder diese auf der ganzen Welt verstreut leben, übernehmen diese Zugehörigen vielfach Aufgaben, die früher im engen Familienverbund angesiedelt waren.

Ganz bewusst habe ich entschieden, dich in diesem Buch zu duzen, auch wenn wir uns bisher noch nicht kennen. Wir sprechen über sehr persönliche Themen und ich möchte dir auf Augenhöhe begegnen. Dafür scheint mir die persönlichere Ansprache im „Du“ am besten geeignet zu sein. In vielen Formulierungen benenne ich sowohl die männliche als auch die weibliche Form. Manchmal wechsle ich beide Geschlechter ab, damit es leichter lesbar ist.

Alle persönlichen Geschichten, die Menschen mir für dieses Buch geschenkt haben und die den verschiedenen Themen Leben und Seele einhauchen, wurden von ihnen zur Veröffentlichung freigegeben.

Im Anhang findest du ein Register, das heißt, du kannst ganz gezielt nach den Themen suchen, die dich gerade besonders interessieren. Mitunter gebe ich Verweise auf andere Kapitel, die dir helfen, den Zusammenhang zu verstehen. Du brauchst also hier nicht von vorne bis hinten chronologisch zu lesen.

Nun wünsche ich dir von Herzen, dass dieses Buch dir ein hilfreicher Wegweiser für die vor dir liegende Lebensstrecke ist und dass es dich ermutigt, verantwortungsvolle Entscheidungen voller Liebe und Klarheit zu treffen.

Herzlichst

Deine

WENN DIE WELT AUS DEN FUGEN GERÄT

Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit

Eine lebensverkürzende Diagnose, ein gesundheitlicher Warnschuss in Form eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts, geliebte Menschen werden alt und gebrechlich – Situationen wie diese beunruhigen uns, ziehen uns vielleicht sogar den Boden unter den Füßen weg. Es sind diese Momente im Leben, die uns vor Augen führen, wie fragil unser Leben ist, wie schnell von heute auf morgen gefühlte Sicherheiten ins Wanken geraten können. Es sind Momente, in denen wir am liebsten den Reset-Knopf drücken würden, um einen neuen, angenehmeren Lebensfilm wählen zu können.

Eine lebensverkürzende Diagnose, geliebte Menschen werden alt und gebrechlich – solche Situationen ziehen uns vielleicht den Boden unter den Füßen weg.

Sabine Dinkel, Coach und Autorin des Buches „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“, vergleicht diese Ausnahmesituation mit einem sich Wiederfinden in einer völlig fremden Welt: „Wenn jemand die Diagnose Krebs bekommt, ist es für mich, als wäre dieser Mensch ungefragt auf einem fremden Planeten abgeworfen worden, von dem er schon viele grausige Geschichten gehört hat. Womöglich kennt er auch Leute, die schon auf diesem Planeten verloren gegangen sind. Er weiß weder, was los ist, noch, was ihn auf diesem komischen Planeten erwartet. Alles ist unheimlich, alles macht einfach nur ganz arg Angst. Kurzum: Er ist existenziell erschüttert. Doch nach und nach stellt sich heraus, dass der Planet nicht nur groß und gruselig ist, sondern dass man ihn erobern und dabei viel Schönes entdecken kann.“ Sabines Gedanken lassen sich problemlos auf alle anderen lebensverkürzenden, schockähnlichen Diagnosen übertragen.

Daher vorab ganz kurz eine Idee, die ich auf den nächsten Seiten noch weiter ausführen werde: Wie wäre es, wenn du versuchen würdest, den ersten Impuls anders zu bewerten? Anstelle von „Uns bleibt nicht mehr viel Zeit“ vielleicht ein liebevoller Satz, zum Beispiel „Ich nutze die verbleibende Zeit; ich versuche zu genießen, dass sie uns noch geschenkt ist“. Ja, dieser Switch ist nicht ganz leicht, dennoch möchte ich dich gern schon an dieser Stelle ermutigen, auf das Leben zu schauen, das jetzt noch möglich ist, anstatt wertvolle Energie auf das zu verwenden, was nicht (mehr) geht.

Angst, deine neue Gefährtin

Von Herzen wünsche ich dir, dass du medizinisch in guten Händen bist. Und zwar in solchen, die dich bzw. deinen geliebten Menschen nicht nur fachlich umfassend informieren und beraten, sondern auch eure emotionalen Bedürfnisse im Blick haben. Je unübersichtlicher die Situation ist und je mehr Informationen, vielleicht sogar widersprüchliche, auf euch einprasseln, desto stärker drängt sich nämlich eine unangenehme Gefährtin in den Vordergrund: die Angst. Zukunftsangst, die Angst vor dem, was noch alles kommen wird, Todesangst, finanzielle Angst, um nur einige Variationen zu nennen. Besonders belastend ist auch die Tatsache, nicht zu wissen, wie lange dieser Weg sein wird, der nun vor dir und euch liegt.

Wie jede Emotion hat auch die Angst einen Sinn. Du kannst sie dir vorstellen wie einen Bodyguard, der dich beschützen möchte. Angst entsteht nämlich immer dann, wenn wir uns körperlich oder seelisch bedroht fühlen. Sie signalisiert uns, dass Gefahr droht, und möchte diese Bedrohung vermeiden bzw. den erwarteten Schaden möglichst kleinhalten. Daher verstärkt jede für dich nicht verständliche Information, jedes überraschende neue Ereignis deine Angst. Hingegen trägt alles, was dir ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, zu einer Milderung deiner Angst bei. Wissen und Information ist also das Gebot der Stunde – denn das sind gewichtige Gegenspieler zur Angst!

Lass dich von der Frage leiten: Was hilft mir jetzt, mich sicherer zu fühlen?

Lass dich von der Frage leiten: Was hilft mir jetzt, mich sicherer zu fühlen? Neben der Recherche im Internet gibt es heutzutage zu beinahe jeder Erkrankung vielfältige Ratgeberliteratur. Vielleicht hast du die Möglichkeit, das Gespräch mit weiteren Fachleuten zu suchen oder dir eine zweite Meinung bei einer anderen Ärztin oder einem anderen Arzt einzuholen. Meistens gibt es ja nicht die eine Behandlungsmöglichkeit, sondern ganz unterschiedliche Vorgehensweisen und Empfehlungen. Je umfänglicher du dich bzw. ihr euch informiert, desto sicherer können Entscheidungen getroffen werden.

Ganz sicher findest du noch weitere Möglichkeiten, die dir Sicherheit schenken: das Gespräch mit Menschen, die dir nahestehen und wohlgesonnen sind. Menschen, die Ähnliches bereits erlebt haben, oder auch der Kontakt zu Selbsthilfegruppen, die es ja für alle möglichen Lebenssituationen gibt. Im Anhang findest du einige Links für die Suche nach einer passenden Selbsthilfegruppe.

Der Angst einen Namen geben

Da die Angst zu den gesellschaftlich unerwünschten, weil unangenehmen Emotionen gehört und wir sie deshalb gern verdrängen, möchte ich dir einen anderen Blick auf die Dinge vorschlagen: Nur mal angenommen, dein Bodyguard „Angst“ wäre eine Person – versuche dir diesen Bodyguard als einen hilfreichen, dich unterstützenden Weggefährten oder eine Weggefährtin vorzustellen. Je persönlicher, desto besser! Männlich oder weiblich? Welche Frisur und Haarfarbe? Latzhose oder Blümchenkleid? Ringelshirt oder Lederjacke? Holzclogs oder Wanderstiefel? Suche Bilder aus, die dir Freude machen. Vielleicht möchtest du ihm oder ihr auch einen Namen geben!

Meine Angst beispielsweise heißt Frieda und ist ein kleines, etwas rundliches Wesen mit roten Strubbelhaaren und Ringelsocken. Sie passt in meine Handtasche, was den Vorteil hat, dass sie mich auch unterwegs beschützen kann. Wenn sie mal zu aufdringlich wird, dann frage ich sie: „Mensch, Frieda, was ist los? Was möchtest du mir gerade sagen?“ Unsere Bodyguards haben nämlich immer, wirklich immer, eine gute Absicht im Gepäck. Sie möchten nur unser Bestes, nur erkennen wir dies häufig nicht, weil wir genervt sind von ihrer Aufdringlichkeit. Frieda sagt dann zum Beispiel so etwas wie „Hey, Christine, mach mal langsam und setze einen Schritt vor den nächsten. Du willst gerade mal wieder zu viel auf einmal.“ In diesen Momenten erinnert sie mich übrigens an meinen Lieblingssatz des Schriftstellers Martin Walser: „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.“ Auf diese Weise an Friedas positive Absicht erinnert, kann ich ihr dann dafür danken und entspannter weitergehen. Frieda entspannt sich und kann nach getaner Arbeit ein Nickerchen machen.

Die Angst zu personalisieren, kann dazu beitragen, sie als hilfreichen Bodyguard zu akzeptieren.

Vielleicht kommt dir diese Idee etwas spooky vor, was bringt diese kindlich anmutende Herangehensweise schon? Die Personalisierung deiner Angst kann dazu beitragen, sie als hilfreichen Bodyguard zu akzeptieren und einen leichteren Umgang mit ihr zu finden. Probiere es doch einfach einmal aus!

Raus aus der Starre

Vermutlich fühlt sich deine Lebenssituation gerade an wie ein einziger Kontrollverlust. Du fühlst dich fremdgesteuert und der Krankheit ausgeliefert. Eine mögliche Reaktion darauf ist die Schockstarre. Manche meiner Klientinnen und Klienten schildern mir, wie sie oft stundenlang einfach nur dasitzen und Löcher in die Luft starren, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Geht es dir ähnlich? Ruhe bewahren ist ein erster wichtiger Schritt.

Aus der Erstarrung kannst du mithilfe folgender Fragen herauskommen:

• Wo ist jetzt überhaupt dein bzw. euer Handlungsspielraum?

• Worauf kannst du gerade selbst Einfluss nehmen?

• Auch wenn du dich völlig fremdgesteuert fühlst: An welcher Stelle kannst du selbst wieder das Ruder in die Hand nehmen? Was könnte ein erster klitzekleiner Schritt sein?

Vom Druck, alles richtig machen zu wollen

Ganz häufig höre ich aus betroffenen Familien, dass mit der Diagnose einer lebensverkürzenden Krankheit ein unglaublicher Druck eingezogen ist: Alle möchten jetzt ihr Bestes geben, sie möchten alles, wirklich alles richtig machen. Die richtige Therapie, das richtige Krankenhaus, die richtigen Hilfsmittel. Und jeder Moment soll bitte noch so gut es geht genutzt werden. So entsteht fast schon eine Art Leistungsdruck, unter dem alle Beteiligten enorm leiden und der in die völlige Überforderung führt.

Selbstmitgefühl ist jetzt angesagt! So leicht es uns oft fällt, mit anderen Menschen mitzufühlen, so schwierig ist es oft, sich dieses Mitgefühl auch selbst zu schenken. Stattdessen gehen wir streng mit uns ins Gericht, indem wir zu hohe Erwartungen an uns selbst stellen und diese Latte dann gefühlt ständig reißen. Ein ungesunder Teufelskreis. Dabei ist in dieser Lebensphase der liebevolle Umgang nicht nur mit den anderen, sondern gerade auch mit uns selbst so wichtig.

So leicht es uns oft fällt, mit anderen Menschen mitzufühlen, so schwierig ist es oft, sich dieses Mitgefühl auch selbst zu schenken.

Selbstmitgefühl ganz praktisch

Wie aber funktioniert Selbstmitgefühl, wenn ich es bisher nie geübt habe? Es ist eine Haltung dir selbst gegenüber, die sich oft in kleinen Dingen äußert:

• Erlaube dir, nicht perfekt zu sein. Perfektionismus ist die größte Bremse für Selbstmitgefühl! Denn ständig sitzt da ein kleines Männchen auf deiner Schulter und treibt dich an, noch besser zu werden oder dich noch gewissenhafter zu kümmern. Jetzt, in dieser Lebensphase, die alles von dir fordert, ist jedoch an vielen Stellen das Unperfekte das Gebot der Stunde! „Better done than perfect“ heißt es in einem britischen Sprichwort, also frei übersetzt „Es ist besser, du hast es überhaupt gemacht“ – das sollte jetzt so oft wie möglich dein Motto sein.

• Bestrafe dich nicht, wenn du etwas falsch gemacht oder nicht so gut gemacht hast. Nimm dich stattdessen in den Arm und sage dir: Du hast es so gut gemacht, wie es dir in dem Moment möglich war. Und dann erinnere dich an Punkt eins und danke dir dafür, dass du dich in dieser unperfekten Version sein lässt.

• Sei stolz auf dich, wenn du einen Termin abgesagt hast, weil dir gerade alles zu viel wird.

• Achte darauf, wie du über dich selbst sprichst. Wähle liebevolle Worte.

Sei dir bewusst, dass nichts, was du jetzt entscheidest, für alle Ewigkeit in Stein gemeißelt ist. Das Leben ist im Fluss. Du nimmst enorm Druck raus, indem du zulässt, dass Entscheidungen nicht final sein müssen. Denke und handle mehr für den Moment als für die Ewigkeit. Und verlasse dich dabei auch auf deine Intuition, dein Bauchgefühl: Was tut dir gut? Was fühlt sich für dich richtig an?

Mit den eigenen Kräften haushalten

Als Zugehöriger kannst du nur ganz für den erkrankten oder alten Menschen da sein, wenn du selbst auf möglichst festem Boden stehst. Oder wie die Expertin für kontemplative Sterbebegleitung Kirsten DeLeo es so schön formuliert: „Mit einer leeren Kanne kann man keine Blumen gießen.“

Es ist daher wirklich wichtig, auf dich achtzugeben und so, wie du für andere da bist, auch dir eine gute Selbstfürsorge angedeihen zu lassen. Nimm die Warnzeichen ernst, die dir anzeigen, dass du über deine Grenzen gehst: Vielleicht spürst du Dünnhäutigkeit, gehst bei Kleinigkeiten schon an die Decke, es kommt dir der Humor abhanden oder es zeigen sich körperliche Symptome wie Kopfschmerzen oder Schlaflosigkeit. Du selbst kennst dein körperliches Frühwarnsystem sicher am besten.

Nimm die Warnzeichen ernst, die dir anzeigen, dass du über deine Grenzen gehst.

Und so schwierig es auch sein mag: Es ist für deinen Energiehaushalt essenziell, möglichst wenig Energie auf Dinge zu verwenden, die du sowieso nicht ändern kannst. Bedenke daher immer, ob das, wofür du gerade Kraft aufwendest, überhaupt von dir beeinflussbar ist. Manchmal verrennen wir uns in Themen, die völlig außerhalb unserer Möglichkeiten liegen und am Ende keinerlei Verbesserung bringen.

Die Bettkantenentscheidung

Ein kleiner Tipp für den Alltag: Frage dich und entscheide jeden Morgen auf der Bettkante, welche Kleinigkeit du heute tun wirst, um ein wenig besser durch den Tag zu kommen. Akute Belastungssituationen leeren permanent unseren Akku. Umso wichtiger ist es, eine Art Akku-Ladeliste zu führen. Erstelle dir eine Liste mit leicht umsetzbaren kleinen Kraftquellen: eine Tasse Kaffee auf der Bank vor dem Haus in der Sonne, das leckere Kuchenstück vom Lieblingskonditor, der kurze Schwatz mit der besten Freundin, die Gassirunde mit dem Hund oder die Extra-Streicheleinheit für die Katze, fünf Reihen Stricken oder Häkeln. Dies sind nur einige meiner Beispiele – fülle die Liste mit den Dingen, die deinen persönlichen Akku aufladen. Diese aufzuschreiben ist wertvoll, weil sie uns häufig nicht einfallen, wenn um uns herum das Chaos tobt. Am besten hängst du dir diese Liste gut sichtbar auf, beispielsweise an die Kühlschranktür oder die Pinnwand im Arbeitszimmer.

Gesund Grenzen setzen

Selbstmitgefühl und eine gesunde Selbstfürsorge bedeuten auch, Grenzen zu setzen, um dich selbst zu schützen. Manchmal bezieht das auch die Grenzen des erkrankten Menschen mit ein, der sich ab einem gewissen Krankheitsstadium nicht mehr gegen Übergriffigkeiten von außen wehren kann. Auch für ihn und natürlich in Absprache mit ihm darfst du Grenzen setzen.