Acht, Neun ... du wirst es bereuen - Andrea Reinhardt - E-Book

Acht, Neun ... du wirst es bereuen E-Book

Andrea Reinhardt

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Beschreibung

Wer spricht, verliert – wer schweigt, besteht.
Doch Schweigen bleibt, wenn alles vergeht.

Die Journalistin Anna Wenzel begibt sich zur “Klinik der Stille”, um ihre Sprachblockaden zu überwinden. Doch schnell ist sie sich sicher, die Mauern der Klinik hüten mehr als nur Therapie. Sie hört Schreie aus dem abgesperrten Trakt, Patientinnen verschwinden und die Ärzte hüllen sich in Schweigen. Und Anna ist die Einzige, die ihren Geheimnissen nachgehen kann und will.
Eine junge Frau ist das erste von vielen Opfern, die mit derselben grausamen Signatur aufgefunden werden: Eine Stimmgabel tief in ihrem Hals. Je tiefer Kriminalkommissar Mathias Kron und sein Team graben, desto klarer wird: Die Schatten der Vergangenheit reichen weiter, als irgendjemand ahnt. Und zu lange im Dunkeln zu tappen könnte dieses Mal für Kron selbst tödlich enden …

Ein düsterer Psychothriller von Bestsellerautorin Andrea Reinhardt, in dem Geheimnisse aus der Stille gezerrt werden müssen, bevor sie noch mehr Leben kosten.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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ACHT, NEUN … DU WIRST ES BEREUEN

ANDREA REINHARDT

Verlag:

Zeilenfluss Verlagsgesellschaft mbH

Werinherstr. 3

81541 München

_____________________

Texte: Andrea Reinhardt

Cover: MT-Design

Satz: Zeilenfluss

Korrektorat: Dr. Andreas Fischer

_____________________

Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

_____________________

ISBN: 978-3-96714-575-5

Für das Team des Zeilenfluss Verlags

Danke für euer Vertrauen.

Danke für eure Unterstützung.

Danke für die Chance.

Danke für die Zusammenarbeit.

TRIGGERWARNUNG

Die Geschichte dieses Thrillers beinhaltet Themen, die unter Umständen triggern können.

Die Triggerthemen findet ihr unter zeilenfluss.com/product/acht-neun-du-wirst-es-bereuen/, da sie Spoiler fürs ganze Buch enthalten.

1

1964

Der schwarz-glänzende Mercedes-Benz-220 rollte den langen Weg durch den Wald. Jakob war trotz seiner Angst stolz, dass er in diesem Wagen fahren durfte. Er kannte so einen durch seinen Opa, der ein großer Autoliebhaber war und ihm bereits sehr viele Mercedes-Bilder gezeigt hatte. Und es war schon immer einmal sein Wunsch gewesen, in so einem zu sitzen. Opa wäre bestimmt vor Neid grün geworden.

Wäre es doch nur ein Familienausflug gewesen, anstatt dieser Anlass, dann wäre heute der schönste Tag in seinem Leben.

Der Mercedes brauste die Auffahrt zu dem gruseligen grauen Gebäude nach oben und stoppte mit quietschenden Reifen davor.

Der Mann mit der Schirmmütze, der am Steuer saß, hielt beide Hände am Lenkrad und schaute nur geradeaus durch die Windschutzscheibe. Er bewegte sich nicht. Er sagte nichts.

»Steig aus, Jakob«, befahl seine Mutter streng.

Jakob drangen Tränen in die Augen, weil seine Mama ihn einfach dort abgeben wollte. »Ich will nicht hierbleiben.«

Seine Mutter nahm seine Hand und lächelte ihn sanft an. Das Grübchen, das sich dann immer in ihrem blassen Gesicht an der rechten Wange bildete, brachte ihn für gewöhnlich zum Schmunzeln. Aber dieses Mal nicht.

»Es ist ja nicht für immer. Sie werden dir helfen, damit du nicht mehr so als Sonderling giltst. Es ist wichtig, damit du später ein guter Junge wirst. Das verstehst du doch, oder?«

Jakob schaute seine Mama wütend an. »Das sagen nur die heiligen Schwestern aus dem Kinderhaus, dabei mache ich gar nichts Schlimmes. Ich habe doch bloß mit meinen Freunden gesprochen. Ich bin kein böser Junge.«

Seine Mutter seufzte und stieg aus. Kurz darauf öffnete sie die Tür auf seiner Seite. »Komm schon raus.« Sie ging in die Hocke und griff ihn an seinen Oberarmen. »Diese Freunde existieren aber nicht. Sie sind nur in deinem Kopf. Das ist nicht normal. Deshalb musst du hierhin und dir helfen lassen.«

»Du bist gemein, du hast mich gar nicht mehr lieb, wenn du mich einfach zu Fremden gibst.«

Die zarten Gesichtszüge seiner Mutter verhärteten sich. Sie presste die Lippen zusammen.

Wenn Mama wütend wurde, gehorchte Jakob immer schnell, denn wenn sie erst ausflippte, würde er eine Ohrfeige kriegen, und das wollte er auf keinen Fall. Also folgte er und kletterte aus dem Wagen.

Der Mann, der sie vom Bahnhof abgeholt hatte, stieg ebenfalls aus und nahm seine Tasche aus dem Kofferraum. Wortlos stellte er sie vor Mamas Füße, stieg wieder ein und fuhr fort.

Warum hatte er nicht ein Wort gesprochen? Hatte er etwa keine Stimme? Vielleicht war er auch in dieser Klinik, wo man so viel schweigen musste. Das hatte sein Papa ihm erzählt.

Jakob riss die Augen auf. Würde er auch nie wieder sprechen können, wenn er irgendwann von dort wegkam?

»Wollen die mir meine Stimme wegnehmen?«, fragte er mit zittrigen Worten.

Seine Mutter seufzte. »So ein Unsinn, die machen dich nur gesund.«

Sie nahm die Tasche in die eine Hand und Jakob an die andere. Dann liefen sie die Stufen nach oben zu der riesigen Tür.

Noch ehe seine Mutter nach der Klinke griff, öffnete jemand von innen.

Ein großer Mann schaute Jakob streng über seine Brille hinweg an. Er hatte dunkle Augen, einen grauen, langen Bart und sah aus wie ein Monster. »Guten Tag, Sie sind Familie Meisner?«

Seine Mutter nickte.

Jakob bemerkte, dass ihre Hand zitterte.

»Mein Name ist Manfred Weber, ich bin der leitende Arzt der Abteilung für verhaltensauffällige Kinder mit symptomatischen Sprachproblematiken. Kommen Sie rein und folgen Sie mir.« Seine Stimme klang tief und brummig, was Jakob nur noch mehr Angst machte.

Als er und seine Mutter eingetreten waren, fiel die schwere Eisentür ins Schloss, und ein Echo hallte über den Flur.

Jakob schaute den langen, düsteren Korridor entlang und bekam Panik. Es war gruselig an diesem Ort, fast wie in einem Gespensterschloss.

Die Bodenfliesen sahen aus wie Opas Schachbrett, nur waren sie nicht aus Holz, sondern aus schwarzweißen Steinen.

Seine Mutter zog ihn hinter sich her.

Alle paar Meter war eine hölzerne Tür, die in der Mitte ein Fensterchen mit Gitterstäben besaß.

»Mama, das ist ein Gefängnis«, flüsterte Jakob, und seine Sorge, hierbleiben zu müssen, wurde immer größer.

»Sei still«, ermahnte Mama ihn und zog ihn weiter.

Seine Schritte verursachten laute Töne auf dem Boden. Es war dort kaum möglich zu schleichen. Wie sollte er abhauen, wenn es ihm nicht gefiel? Denn das war sein Plan gewesen. Man würde ihn jedoch sofort hören.

Am Ende des Ganges bogen sie nach rechts in einen weiteren Flur. An einer Seite erstreckten sich lange hohe Fenster, die ebenfalls vergittert waren. Jakob war zu klein, um hinauszuschauen.

An der Decke summten Neonröhren. Das Licht flackerte.

Jakob war sich sicher, dass er nicht in einer Klinik war, sondern in einem Gefängnis. »Ich will hier weg, das ist gar keine Klinik. Ein Krankenhaus sieht ganz anders aus.«

Der strenge Mann drehte sich um und musterte Jakob finster. »Freundchen, hier gibt es eine klare Regel. Du sprichst nur, wenn wir es erlauben. Hast du das verstanden?«

Jakob riss die Augen auf und schaute flehend zu seiner Mutter. Sie wollte ihren Sohn doch nicht wirklich bei dem Monster lassen. Er ruckelte an ihrer Hand.

Doch sie folgte dem Mann weiter, ohne auch nur eine Sekunde auf Jakob zu reagieren.

Sie betraten mit ihm ein Zimmer, in dem ein großer Schreibtisch stand.

»Sie unterzeichnen mir jetzt bitte die Unterlagen, dann bringt Sie Schwester Greta wieder hinaus. Es darf über den Zeitraum des Klinikaufenthalts kein Kontakt zwischen Ihnen und Ihrem Sohn bestehen. Wenn sich etwas ergibt, melden wir uns per Eilbrief bei Ihnen.«

Seine Mutter nickte.

»Nein, ich bleibe nicht hier«, brüllte er und kassierte erneut einen strengen Blick des Monsters.

»Jakob wird aufgrund emotionaler Unruhe und abweichenden Sozialverhaltens behandelt. Die Selbstgespräche, die er führt, sind nach der Therapie verschwunden«, erklärte der Mann.

Seine Mutter schaute Jakob an. »Es ist zu deinem Besten. Sei ein großer Junge und tu, was man dir sagt.«

Dann unterschrieb sie, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer.

Da der Arzt ihn bereits an der Schulter gepackt hatte, versuchte er erst gar nicht, hinter ihr herzulaufen. Er war ohnehin wütend auf seine Mama. Dass sie ihn einfach dort ließ, würde er ihr niemals mehr verzeihen.

Schweigend stand er mit dem Mann in dem Büro und rührte sich nicht.

Nach einer Weile kam Schwester Greta wieder. Sie trug eine weiße Haube und weiße Handschuhe. »Komm mit, ich bringe dich jetzt zu den anderen Kindern.«

Sie nahm seine Tasche und verließ das Zimmer.

Jakob folgte ihr. Er war beruhigt, dass es noch andere Kinder gab. So war er wenigstens nicht allein an diesem schrecklichen Ort.

Die Frau führte ihn in einen Saal, in dem die Kinder im Kreis auf Stühlen saßen.

»Setz dich auf den leeren Platz«, befahl Schwester Greta.

Jakob gehorchte.

Die Kinder schauten alle auf den Boden, niemand sah ihn an.

»Hallo«, sagte er mit brüchiger Stimme, erhielt aber keine Antwort.

Wie unfreundlich sie alle sind.

Die Schwester stellte sich in die Mitte des Stuhlkreises und legte die Hände ineinander. »Es gibt drei Neuzugänge, die unsere Regeln noch nicht kennen. Larissa, du wirst sie ihnen jetzt beibringen.«

Ein Mädchen, das Jakob gegenübersaß, sprang auf. Sie schaute niemanden an. »Dies ist die Schweige-Klinik. Reden ist nur erlaubt, wenn es ausdrücklich durch das Personal gestattet wird. Auch Geräusche jeglicher Art und Blicke sind verboten. Du darfst nur jemanden anschauen, wenn du angesprochen wirst. Nichtbeachten der Regeln wird zunächst mit Isolationshaft bestraft, weitere Vergehen können härtere Konsequenzen nach sich ziehen.«

Das Mädchen hatte die Regeln monoton heruntergerattert, ohne eines der neuen Kinder anzuschauen. Danach setzte sie sich zurück auf ihren Stuhl.

Schwester Greta kam wieder in die Mitte und sah Jakob mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Schnell senkte er den Blick zu Boden.

»Worte bringen nur Chaos, aber das Schweigen reinigt euch. Deshalb seid ihr hier an diesem Ort. Um eure Dämonen loszuwerden.« Die Schwester lief einmal im Kreis an den Kindern vorbei. »Wir achten hier auf Sauberkeit. Ihr habt immer saubere Hände und Füße, außerdem jeden Tag frische Unterwäsche und Socken an.«

Jakob schluckte und hoffte, dass das keine Geräusche machte. Er bemerkte neben sich ein Mädchen zittern. Er drehte nur ganz wenig den Kopf zu ihr, um nach ihr zu schauen.

Ihr Körper bebte, und Tränen tropften zu Boden.

»Hey, ist alles okay bei dir?«, flüsterte er so leise wie nur möglich.

Das Mädchen schluckte und riss die Augen auf, wandte sich Jakob aber nicht zu.

Ein schrilles Klingeln ertönte. Es war so laut, dass es ihm wehtat. Er presste die Hände auf die Ohren. »Was ist das? Ich habe Angst.«

Kurz darauf stürzten zwei Männer in den Saal.

Schwester Greta zeigte auf Jakob.

Die Männer, die weiße Hosen und weiße Shirts trugen, packten ihn und zerrten ihn mit sich.

»Aua, nein. Es tut mir leid«, schrie Jakob, als ihm bewusst wurde, dass er eine Regel gebrochen hatte und nun bestraft werden würde. »Ich muss das erst lernen. Ich wollte ihr doch nur helfen. Es ging ihr schlecht.«

Niemand beachtete ihn, keiner half ihm.

Die Männer nahmen ihn einfach mit. Trugen ihn über den düsteren Flur mit den Gitterfenstern.

»Lasst mich sofort los. Ich will zu meiner Mama. Ihr seid gar keine Ärzte, ihr seid böse Menschen.«

Wieder erhielt er keinerlei Antwort.

Vor einem Zimmer am Ende des Ganges blieben sie stehen.

Einer der beiden drehte an einem Zahlenschloss, das die Tür verriegelte, dann öffnete er diese und schleppte Jakob in einen engen Raum. Er schaltete eine Taschenlampe ein.

In dem Zimmer gab es kein Fenster. Die Wände waren mit schwarzer Farbe gestrichen. Der Boden war aus Stein. Es standen keine Möbel drin.

»Bitte sperrt mich nicht ein. Ich ersticke hier und habe so große Angst. Ich werde auch nie wieder etwas sagen.«

Sein Flehen wurde ebenso ignoriert.

Die Schritte des Mannes entfernten sich. An der Tür drehte er sich noch einmal zu Jakob. »Der Eimer an der Wand ist deine Toilette.«

Entsetzt starrte Jakob das dreckige Teil an. Ich kann doch nicht in einen Eimer machen. Was, wenn ich groß muss? »Ich will nicht da reinpinkeln.«

Die schwere Tür wurde geschlossen.

Jakob saß im Dunkeln und zitterte.

»Bitte sperrt mich hier nicht ein«, flüsterte er.

2

12. SEPTEMBER 2023

Mathias fuhr mit Blaulicht über die Bundesstraße 9 Richtung Koblenz-Kesselheim. »Ich hasse es, wenn der Morgen mit einem Tötungsdelikt startet. Wir waren noch nicht einmal fünfzehn Minuten im Dienst.«

Romy seufzte. »Hätte ich doch nur dein Frühstücksangebot angenommen. Jetzt komme ich wahrscheinlich so schnell nicht mehr zum Essen.«

Mathias grinste. »Du solltest anfangen, auf mich zu hören, ich weiß immer, was gut und wichtig ist.«

»Ja, Papa«, erwiderte sie gespielt übertrieben und verdrehte die Augen.

Mathias lachte laut auf. Er war froh, dass Romy nach wie vor bei ihm im Haus wohnte. Er hatte ständig die Befürchtung, sie würde irgendwann ausziehen. Zwar war ihm klar, dass dies eines Tages geschehen würde, sie würde sich verlieben, vielleicht Kinder bekommen und mit ihrer Familie ganz bestimmt nicht bei einem alleinerziehenden verwitweten Mann leben wollen. Doch derzeit tat sie ihm gut. Zwar hatte der Trauerschmerz um Saras Tod bereits nachgelassen, aber er fühlte sich allein. Insgeheim war er also froh, dass Romys Wut auf ihren Ex-Freund, der sie betrogen hatte, noch immer so groß war, dass sie gar keinen neuen Partner haben wollte. Und ihr Zusammenleben lief harmonisch, sie hatte im Haus eine gute Rückzugsmöglichkeit, sie verstanden sich prächtig und halfen sich gegenseitig, über ihren Schmerz hinwegzukommen.

»Hey, bist du noch anwesend?«, fragte Romy.

Mathias räusperte sich. »Klar, hast du was gesagt?«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. »Nur, dass ich hoffe, dass der Fall schnell geklärt wird. Ich will mein Frei am Wochenende nämlich unbedingt behalten.«

»Das klappt schon. Du wirst zu deinem Konzert können.«

Mathias bog in Koblenz-Kesselheim in die Schmiedestraße ein und parkte das Auto am Haus des Opfers.

Sie stiegen aus und gingen zu dem Beamten der Schutzpolizei, der vor der Tür stand.

»Guten Morgen«, sagte Mathias müde. »Was haben wir?«

»Wir wurden vorhin vom Rettungswagen hinzugerufen, weil der Notarzt einen unnatürlichen Tod festgestellt hat. Das Opfer hatte eine Stimmgabel im Rachen stecken.«

Mathias riss die Augen auf. »Eine Stimmgabel?«

»Richtig verstanden. Es sieht danach aus, dass sie der Frau brutal in den Hals gerammt wurde.«

Romy schüttelte den Kopf. »Wie furchtbar. Wer ist das Opfer?«

»Anna Wenzel, dreiundvierzig Jahre. Sie arbeitete als Redakteurin einer Kulturzeitschrift. Ihre dreizehnjährige Tochter hat sie heute Morgen so vorgefunden.«

»Gibt es Einbruchsspuren?«, hakte Mathias nach.

»Wir haben auf den ersten Blick nichts gesehen, was auf einen Einbruch hindeutet. Es ist nichts verwüstet, und es scheint auch nichts gestohlen worden zu sein, es sei denn, der Täter hat nach etwas ganz Bestimmtem gesucht und gewusst, wo er es findet. Durchwühlt wurde zumindest nichts.«

»Okay.« Mathias bedankte sich. »Ist die Spurensicherung informiert?«

»Ja, sie sind gleich da.«

Mathias lief zu seinem Auto und holte Schuhüberzieher und Handschuhe heraus. Er reichte jeweils ein Paar an Romy.

Als sie das Haus betraten, hörten sie aus einem der Räume lautes Weinen, fast schon ein verzweifeltes Schreien. Mathias bekam bei dem darin erkennbaren Schmerz Gänsehaut. Er ging den hell beleuchteten Flur entlang, dessen Wände mit mehreren eingerahmten alten Zeitungsausschnitten behangen waren. Am ersten Zimmer hielt er an und warf einen Blick auf die Leiche. Er trat in das Wohnzimmer und betrachtete das Opfer von Weitem, um keine Spuren zu verwischen.

Die Frau war in einem hauchdünnen Negligé gekleidet und lag auf dem Rücken. Ihre Hände waren über der Brust verschränkt. Ihr Mund stand weit offen, und aus ihrem Rachen ragte eine silberne Stimmgabel. Aus den Mundwinkeln verlief eine Blutspur. Die Augen der Frau waren geöffnet, so als starrte sie an die Decke.

Ein zweiter Polizist trat neben Mathias. »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Wie kommt man darauf, jemandem solch ein Instrument in den Rachen zu hauen?«

Mathias blies Luft aus seinen Wangen. »Die Stimmgabel wird mit Sicherheit eine Bedeutung für den Täter haben. Was auch immer der Grund war, die Frau so zu töten, es war brutal. Das könnte für viel Wut sprechen. Womöglich eine Beziehungstat. Wissen wir schon etwas über die Familienkonstellation?«

»Frau Wenzel wohnt hier mit ihrer Tochter allein. Sie ist geschieden, der Ex-Mann lebt im Ausland. Mehr wissen wir noch nicht. Die Tochter sitzt in der Küche. Ihre Großmutter ist bei ihr. Da könnt ihr vielleicht mehr erfahren. Wir haben ein Kriseninterventionsteam zur Unterstützung angefordert.«

»Okay, danke. Ich werde versuchen, mit ihr zu reden, eventuell kann sie mir ein paar Fragen beantworten.« Mathias ging in die Küche.

Das Mädchen schluchzte laut, ihr Kopf lag in den Armen ihrer Großmutter. Ihr ganzer Körper bebte.

Die Frau starrte Mathias kreidebleich an. Er konnte ihr ansehen, dass sie sich alle Mühe gab, nicht zusammenzubrechen, um für ihre Enkeltochter stark zu sein.

»Guten Morgen, mein aufrichtiges Beileid«, sagte er, wobei sich das jedes Mal wieder nur wie ein falscher Trost anhörte. Immerhin waren die Polizeibeamten Fremde, die nach solch einem schrecklichen Erlebnis auch noch überall im Haus herumschnüffelten und die Angehörigen mit Fragen bombardierten. Das wirkte nicht gerade nach Anteilnahme. Sie mussten aber so vorgehen, denn jede Minute, die nach einem Tötungsdelikt verging, verschaffte dem Täter mehr Zeit zu verschwinden. Von den Hinterbliebenen konnte man in deren Schockzustand solch eine Denkweise jedoch nicht erwarten. Deshalb war viel Feingefühl nötig. »Mein Name ist Kron, wir sind von der Kripo Koblenz«, stellte er sich vor.

»Wer tut so etwas?«, fragte die Großmutter mit zittriger Stimme.

»Das wollen wir herausfinden, deshalb möchten wir gern frühzeitig mit Ihrer Enkelin sprechen. Aber wir verstehen selbstverständlich auch, wenn das derzeit nicht möglich ist. Gleich wird ein Kriseninterventionsteam eintreffen, das sind Seelsorger, die Sie und Ihre Enkeltochter betreuen. Wir können also noch warten.«

Die Großmutter streichelte dem Teenager über das Haar.

Das Mädchen hob den Kopf und schaute Mathias mit tränennassen Augen an. »Ich kann versuchen, Ihre Fragen zu beantworten.«

»Du kannst das auch später machen«, erwiderte ihre Oma.

»Nein. Ich möchte, dass derjenige, der das getan hat, schnell gefasst wird.« Es traten neue Tränen in ihre Augen. »Derjenige gehört ins Gefängnis. Mama hat das nicht verdient.«

Mathias zerriss es das Herz, dieses junge Mädchen so voller Schmerz zu sehen. Er konnte diesen seit Saras Tod gut nachvollziehen. Seine Kinder hatten ihn sicherlich in derselben Weise empfunden, als ihre Mutter gestorben war. Wie viel schlimmer musste der Tod eines geliebten Menschen sein, der so brutal aus dem Leben gerissen wurde? Er setzte sich dem Kind gegenüber. »Kannst du mir deinen Namen sagen, damit ich dich ansprechen kann?«

»Ich bin Theresia.« Ihre Stimme klang dünn. Sie klammerte sich an ihrer Großmutter fest.

»In Ordnung, Theresia, ich stelle dir ein paar Fragen, die wichtig für uns sind, um uns ein Bild zu machen. Dazu gehört auch, dass wir deine Mutter kennenlernen müssen, damit wir möglicherweise Anhaltspunkte finden, wo wir nach dem Täter suchen können. Wenn es für dich unangenehm wird oder du einfach nur sehr traurig bist, dann kannst du jederzeit sagen, dass du eine Pause brauchst, okay?«

Der Teenager nickte.

Mathias schaute zu der Großmutter. »Sind Sie die Mutter von Anna Wenzel?«

»Ja, das ist richtig.«

»Gut, dann können Sie uns eventuell auch etwas helfen.« Mathias nickte Romy zu und gab ihr das Zeichen, dass sie das Notieren übernahm. Er wollte sich voll und ganz auf die Jugendliche konzentrieren. In solchen Fällen brauchte es Feingefühl. Er sah Theresia an. »Du hast deine Mutter heute Morgen so gefunden, das ist korrekt?«

»Ja, ich habe sie aber angefasst, weil ich sie aufwecken wollte. Ich weiß aus dem Fernsehen, dass es falsch ist, eine Leiche zu berühren, weil ich dadurch Spuren verwischen kann.«

»Das ist gar kein Problem und völlig normal, dass du so reagiert hast, um deiner Mama zu helfen. Wir werden dafür deine DNA und Fingerabdrücke nehmen, damit wir die unterscheiden können, falls wir noch eine andere DNA finden. Mach dir also darüber keinen Kopf. Hast du denn in der Nacht oder heute früh irgendetwas gehört, was du merkwürdig fandest? Ein Klopfen, Klingeln, irgendein Geräusch. Egal was.«

»Nein, ich habe tief und fest geschlafen. Eigentlich wäre ich ja so früh noch gar nicht aufgestanden, es war ja erst kurz vor fünf Uhr, aber ich hatte Durst und gestern Abend vergessen, mir Trinken mit in mein Zimmer zu nehmen. Sonst hätte ich Mama erst später gefunden. Ich stehe sonst immer auf den letzten Drücker auf.«

Mathias lauschte geduldig. Es war normal, dass Angehörige von Opfern sich oft in Erzählungen vertieften und versuchten, alles loszuwerden, was ihnen durch den Kopf ging. Es war die Aufgabe des ermittelnden Beamten, sie schonend zur Befragung zurückzuführen. »Das war sicher ein großer Schock, deine Mutter so vorzufinden. Dafür bekommst du auch Hilfe, damit du diese schrecklichen Bilder verarbeiten kannst. Bist du für die nächste Frage bereit?«

Das Mädchen zog ihre Hände in die Ärmel ihres Pullovers. »Ja.«

»Als du in das Wohnzimmer gekommen bist, ist dir da etwas aufgefallen, was anders war als sonst? Hat etwas gefehlt? Hast du etwas gefunden, was nicht zu euch gehört? Oder hast du vielleicht etwas anderes gesehen, was dir merkwürdig vorkam?«

»Ich … ich …« Theresia schaute sich in der Küche um. »Ich habe nur Mama gesehen und bin zu ihr gerannt. Sie war ganz kalt.« Tränen rannen dem jungen Mädchen die Wangen herab. »Ich weiß nicht, ob etwas fehlt.«

Mathis setzte sich neben das Kind und legte seine Hand auf ihre Schulter. »Ich weiß, es ist sehr hart für dich. Mir tut es sehr leid, dass du solch eine schlimme Erfahrung machen musstest. Brauchst du eine Pause?«

Theresia schüttelte den Kopf und schniefte.

»Okay, gib Bescheid, wenn es für dich nicht mehr geht. Dann machen wir erst weiter, wenn ein Psychologe da ist.« Er wartete noch einmal kurz ab, aber das Mädchen sagte darauf nichts, deshalb entschied er, fortzufahren. »Hatte deine Mama denn gestern Besuch? War jemand da, den du vielleicht nicht kennst?«

»Ja«, antwortete Theresia mit dünner Stimme. »Ein Mann war da, ich habe den schon ein paarmal mit Mama zusammen gesehen. Sie hat gesagt, dass es ein guter Bekannter ist.«

»Du kennst aber nicht seinen Namen?«

Das Kind schüttelte den Kopf. »Bestimmt habe ich ihn schon gehört, aber ich merke mir Namen immer nicht so gut.«

»Theresia hat Prosopagnosie, sie kann Namen schlecht behalten, weil sie keine Gesichter erkennt«, ergänzte die Großmutter. »Sie identifiziert die Menschen dann meist an den Stimmen, wenn sie die schon öfter gehört hat.«

Mathias nickte. »Kannst du dich vielleicht an andere Merkmale dieses Mannes erinnern?«

»Ja, er hatte blonde Haare, an den Seiten ganz kurz und oben länger. Er war, glaube ich, größer als Sie und sehr schlank. Er trug eine Jeanshose und ein graues Hemd, auf dem waren Schweißflecken.«

Mathias notierte sich die Beschreibung. »Und weißt du vielleicht, worüber deine Mutter und dieser Mann gesprochen haben?«

»Nicht so richtig. Ich meine, dass sich Mama etwas geärgert hat, denn sie hat geschimpft. Ich habe aber nicht verstanden, was sie genau gesagt hat. Irgendwann habe ich die Badtür knallen gehört. Und einige Minuten später auch die Eingangstür. Ich habe dann am Küchenfenster gesehen, dass der Mann gegangen ist.«

Mathias schaute die Großmutter an. »Wissen Sie, wer dieser Mann gewesen sein könnte?«

»Leider nicht. Ich muss dazusagen, dass ich erst vor einigen Wochen nach Koblenz gezogen bin und nicht allzu viel über den Freundes- und Bekanntenkreis meiner Tochter weiß. Ich habe in den Niederlanden gelebt, wir haben uns nicht oft gesehen. Und wenn, dann sind Anna und Theresia zu mir gekommen, um Urlaub am Strand zu machen.«

Mathias lächelte Theresia an. »Das war eine sehr gute Beschreibung, bestimmt hilft sie uns, herauszufinden, wer dieser Mann war.«

Theresia senkte den Kopf. »Warum hatte Mama diese Stimmgabel im Hals stecken?«

»Wir wissen leider noch nicht, was passiert ist. Aber wir versuchen alles, um das herauszufinden«, erwiderte Mathias. »Hat so eine Stimmgabel irgendeine Bedeutung für deine Mutter? Hat sie zum Beispiel gesungen oder ein Instrument gespielt? Gehört die Stimmgabel ihr?«

»Nein, nichts davon trifft zu.« Theresia lächelte für einen ganz kurzen Moment gequält. »Sie konnte wirklich nicht singen, es klang grauenvoll, wenn sie morgens in der Küche schief trällerte.«

Mathias schaute die Großmutter an. »Können Sie sich einen Grund vorstellen, warum ausgerechnet dieses Instrument verwendet wurde? Es ist sehr speziell und hat vermutlich eine Bedeutung für den Täter.«

»Nein«, antwortete auch die ältere Dame. »Meine Tochter hatte noch nie etwas mit Musik zu tun.«

»Gab es vielleicht jemanden in ihrem Bekanntenkreis, der eine Stimmgabel nutzt?«

Theresia schüttelte den Kopf. »Da fällt mir niemand ein, der musikalisch war. Mama hat ab und zu mal mit ein paar Freundinnen Karaoke gemacht. Aber das hat sich bei allen schräg angehört.«

Mathias überlegte weiter, was der Grund für die Verwendung dieser Stimmgabel sein könnte. Da fiel ihm ein Bericht ein, den er einmal gelesen hatte. Dieser hatte geschildert, dass es Therapien mit Stimmgabeln gab. »Hat deine Mutter eine Therapie gemacht?«

»Was? Nein«, antwortete Theresia. »Mama war gesund.«

Die Großmutter räusperte sich. »Warum fragen Sie das?«

Ihre Hautfarbe war um eine Nuance blasser geworden. Irgendwas an seiner Frage schien sie aufzuwühlen.

»Weil es Therapieformen gibt, bei denen mit solchen Stimmgabeln gearbeitet wird.«

Die Frau senkte den Kopf und knetete ihre Hände.

»Oma, was hast du?« Ihre Enkelin starrte sie an.

»Also, Theresia weiß davon nichts, weil Anna sie nicht beunruhigen wollte. Aber …«

»Was, Oma? Was weißt du denn? War Mama krank?«

Die Großmutter streichelte dem Mädchen über den Kopf. »Nicht so, wie du denkst. Deine Mutter hat als Kind einmal eine schlimme Erfahrung gemacht, die sie nie wieder vergessen konnte. Das hat sie sehr lange belastet. Und vor drei Monaten hat sie mir gesagt, dass sie mit dem Gedanken spielt, eine neue Therapieform ausprobieren zu wollen, damit sie dieses Trauma endlich loswird. Sie hat gemeint, dass sie seit dem Vorfall damals das Gefühl hätte, ihre Stimme gehörte nicht zu ihr. Ein Kinderpsychologe hat mir mal erklärt, dieses Trauma könnte dazu führen, dass sich Anna fremd gefühlt und das auf ihre Stimme projiziert hat.«

Mathias richtete sich auf und wurde hellhörig. »Um was für eine Therapie ging es dabei?«

Die Mutter des Opfers seufzte. »Ich kann Ihnen gar nicht viel sagen, denn ich habe noch nie etwas von so einer Therapie mitbekommen. Sie nannte es ›Stimmrückführungstherapie‹. Ich habe im Internet recherchiert, aber keine wirkliche Erklärung dazu gefunden. Sie ist dafür in eine Klinik gegangen, aber hat vor wenigen Tagen gesagt, es wäre wohl doch nicht das Richtige, und diese merkwürdige Therapie wieder abgebrochen. Sie erzählte mir, dass sie bei den Sitzungen immer wie betäubt, gleichgültig und verstört war. Und sie hat sich danach nie besser gefühlt.«

»Wissen Sie, wie diese Klinik heißt?«, wollte Mathias wissen.

»Nein, ich erinnere mich nicht. Aber ich glaube, es war sinngemäß etwas mit ›Schweigen‹.«

Mathias kam sofort die Stimmgabel in den Sinn. Wollte der Täter die Frau zum Schweigen bringen? »In Ordnung, das war es erst einmal. Wir schauen uns jetzt noch ein wenig um, ob wir was entdecken, das uns weiterhelfen kann. Vielleicht finden wir heraus, welche Klinik das war.« Er wandte sich an Theresia. »Wo hat deine Mutter ihren Computer oder Laptop aufbewahrt?«

Er hoffte, dass sie dort möglicherweise E-Mails oder andere Notizen sicherstellen könnten, die Hinweise auf diese Therapie gaben.

»Der steht im Wohnzimmer in ihrer Laptoptasche neben dem Sofa.«

»Danke, du hast die Beantwortung meiner Fragen sehr gut gemeistert.« Mathias erhob sich. Dann sah er zu der Großmutter. »Das Haus wird jetzt für ein paar Tage beschlagnahmt, bis wir alle Spuren gesichert haben. Wohnen Sie in der Nähe, damit Sie Ihre Enkelin mitnehmen können, sie für uns aber erreichbar ist?«

»Ja, ich wohne hier in derselben Straße. Nur vier Häuser weiter.«

Das war ein wichtiger Aspekt, der Mathias eventuell weitere Hinweise liefern könnte. »Haben Sie vielleicht in den letzten Wochen etwas Auffälliges beobachtet? Ein Auto, das hier sonst eher nicht hergehört? Möglicherweise irgendwo anders geparkt? Eine Person, die plötzlich häufiger entlangspaziert ist, vorher aber noch nie hier gesehen wurde?«

»Nein, da ist mir nichts aufgefallen. Aber wie gesagt, ich lebe noch nicht lang in Koblenz-Kesselheim, für mich ist alles und jeder noch fremd.«

»Okay, wir werden später noch die Nachbarn befragen. Vielen Dank. Ein Kollege begleitet dich in dein Zimmer. Packe dir ein paar Sachen zusammen und Dinge, die du mitnehmen willst. Es tut mir sehr leid, was passiert ist.« Mathias ging zu Romy, die bereits die Küche verlassen hatte. »Wir müssen die Klinik ausfindig machen, in der Frau Wenzel Patientin war.«

Romy nickte. »Klingt irgendwie wie eine ausgedachte Therapie. Was soll man sich darunter vorstellen? Wie man eine Stimme zurückholt, oder was?«

Mathias zuckte die Schultern.

»Hallo?«, rief es aus dem Flur. »Wo müssen wir hin?« Es war René Walther, der leitende Kriminaltechniker.

Mathias winkte ihn in das Wohnzimmer.

Die Kollegen der Spurensicherung kamen zu ihm und ließen sich eine kurze Übergabe machen.

»Was soll das nun wieder sein? Eine Stimmrückführungstherapie. Habe ich ja noch nie gehört.« René Walther schüttelte den Kopf und schaute sich das Opfer an. »Und du glaubst, dass diese Stimmgabel etwas mit dieser Therapie zu tun hat?«, fragte er Mathias.

»Ich habe keine Ahnung, finde es nur merkwürdig, dass sie eine Stimmrückführungstherapie macht und dann mit einer Stimmgabel getötet wird. Kann natürlich auch einfach nur Zufall sein.«

René winkte ab. »Gott sei Dank ist es eure Aufgabe, das zu ermitteln. Ich kümmere mich jetzt um die Spuren.«

»Neben dem Sofa soll der Laptop stehen, es wäre super, wenn ihr euch den zeitnah anschaut. Vielleicht findet ihr dort etwas über die Klinik. Wir fahren jetzt zur Arbeitsstelle der Frau und fragen, woran sie gearbeitet hat. Unter Umständen ergibt sich da eine Spur.«

René nickte. »Wir melden uns. Der Rechtsmediziner ist auf dem Weg. Er wollte in Anbetracht einer Stimmgabel im Rachen die Leiche so ansehen, wie sie am Tatort aufgefunden wurde. Deshalb kann es sein, dass es etwas dauert, er reist ja aus Mainz an.«

»Alles klar. Danke.« Mathias verabschiedete sich von der Großmutter und der Tochter und ging nach draußen.

Romy unterhielt sich gerade mit einer Frau, die am Gartenzaun stand. Mathias lief zu ihnen.

»Das ist Frau Schandel, die Nachbarin der Familie Wenzel. Ich habe sie gerade gefragt, ob sie etwas mitbekommen hat.«

Die Frau hatte feuchte Augen. »Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Die Anna war so ein liebes Mädchen, wer soll sie denn umbringen?«

»Das wollen wir herausfinden. Haben Sie denn in der Nacht etwas gehört?«, fragte Romy.

»Ich bin mir unsicher. Ich glaube schon, dass ich ein Klirren gehört habe, aber es könnte auch sein, dass ich es geträumt habe. Ich habe aus dem Fenster geschaut und nichts gesehen, also habe ich es einfach wieder verdrängt.«

»Schreie oder so haben Sie nicht wahrgenommen?«, hakte Mathias nach.

»Nein. Es war alles ganz ruhig.«

»Okay, vielen Dank.« Mathias ging zu einem Kollegen der Schutzpolizei. »Bitte geht die Nachbarhäuser ab und fragt, ob die Bewohner etwas mitbekommen haben. Den Zeitraum stecken wir zwischen dreiundzwanzig und fünf Uhr ab. Die Tochter ist gegen fünf Uhr aus ihrem Zimmer gekommen und hat die Mutter gefunden, also wissen wir, dass da der Täter schon weg war.«

»Erledigen wir.« Der Beamte ging zu seinem Kollegen.

»Was machen wir jetzt?«

»Wir fahren zu ihrer Arbeitsstelle und finden heraus, wer Anna Wenzel war, woran sie gearbeitet hat.«

Gerade als Mathias ins Auto steigen wollte, eilte ein Kollege der KTU auf ihn zu. »Mathias, warte. Ich habe hier etwas, das euch vielleicht hilft. Ich habe in die Laptoptasche geguckt, der Rechner fehlt. Ich habe mich umgeschaut und ihn nicht gefunden, aber das heißt noch nichts, vielleicht bewahrt sie ihn woanders auf. Das war nur auf die Schnelle geschaut. Allerdings war in der Tasche ein Kalender. Da war für heute um zehn Uhr ein Termin notiert. Dr. Richling. Mehr stand nicht da.«

»Dann finden wir das raus, danke.« Mathias stieg ins Auto und rief Norman an.

»Hey Chef, alles klar?«

»Wie man es nimmt. Du musst für uns etwas herausfinden.« Mathias brachte seinen Kollegen auf den aktuellen Stand und nannte den Namen. »Wir müssen wissen, wo der Arzt tätig ist. Wir fahren kurz zu dieser Redaktion, bei der Anna Wenzel arbeitet, und kommen dann ins Präsidium.«

»Wird erledigt, bis nachher habt ihr alle Infos, die ihr benötigt.« Norman legte auf.

Romy grinste. »Seit seiner langen Krankheit gefällt er mir einfach viel besser.«

»Er nimmt seinen Job jedenfalls deutlich ernster.« Mathias lachte. Dann fuhr er los.

3

12. SEPTEMBER 2023

Mathias und Romy liefen den Altenhof nach oben. Die Redaktion, in der Anna Wenzel gearbeitet hatte, befand sich mitten in der Altstadt von Koblenz. Als sie dort ankamen, standen ein paar Personen vor dem Eingang und rauchten. Die Stimmung schien ausgelassen, Gelächter füllte die Gasse.

Mathias hasste es, dass er die Heiterkeit gleich zerstören musste.

»Guten Tag«, grüßte er und zeigte seinen Dienstausweis. »Kommissar Kron, Kripo Koblenz. Das ist meine Kollegin Blauen. Wir würden gern mit dem Vorgesetzten von Anna Wenzel reden.«

Ein schlanker Mann trat mit gerunzelter Stirn nach vorn. »Ich bin ihr Vorgesetzter. Was ist mit Anna?«

Sein blondes Haar hing ihm strähnig in die Stirn, was Mathias schon beim Hinschauen nervös machte. Wie konnten Menschen das nur aushalten, wenn permanent ein Haar im Gesicht kitzelte?

»Sagen Sie uns bitte zuerst Ihren Namen«, forderte Romy ihn auf.

»Natürlich. Chris Neumann. Warum wollen Sie mit mir sprechen? Ist Anna etwas zugestoßen?«

»Können wir das bitte an einem ruhigen Ort bereden?«, hakte Mathias nach.

Der Mann schluckte und nickte schließlich. »Kommen Sie mit in mein Büro.«

Er reichte seine Zigarette einem Kollegen weiter und lief voraus.

Sein Büro glich einem Fitnessraum. Bis auf den Schreibtisch und einen Aktenschrank befanden sich nur Sportgeräte darin. Dabei sah der Körper des Mannes gar nicht danach aus, als würde er viel Fitnesstraining absolvieren.

»Bitte nehmen Sie Platz.« Er zeigte auf zwei Sesselstühle, die vor dem Schreibtisch standen. Er selbst blieb am Fenster und lehnte sich an den Sims.

Mathias und Romy setzten sich.

»Was ist mit Anna?«, fragte der Vorgesetzte noch einmal und knubbelte an seinen Fingern herum.

»Es tut uns aufrichtig leid. Ihre Kollegin wurde in der Nacht Opfer eines Gewaltverbrechens. Bedauerlicherweise ist sie dabei ums Leben gekommen.«

Der Mann riss seine Augen auf. »Wie bitte? Das ist ein Scherz, oder?«