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Band 1-4 der packenden Thriller-Reihe von Bestseller-Autorin Andrea Reinhardt jetzt erstmals im Bundle!
Wieder und wieder muss Kriminalkommissar Mathias Kron in die Abgründe der menschlichen Seele blicken. Jeder Fall der spannenden Thriller-Reihe “Tick, Tock … tot.” ist in sich abgeschlossen. Es kann allerdings nicht schaden, auch die vorangegangenen Fälle zu kennen.
Das Bundle mit fast 1.200 Seiten Lesestoff enthält:
Fünf, Vier ... gleich sterben wir
Nach einer Party wacht der siebzehnjährige Jonas orientierungslos in einem heruntergekommenen Bau auf, der einem Gefängnis gleicht. Nach und nach kommen weitere Jugendliche dazu. Gesteuert von seiner Besessenheit verfolgt der unbekannte Entführer einen perfiden Plan und spielt mit den Teenagern ein grausames Psychospiel, das nur die Gewinner überleben.
Kriminalkommissar Mathias Kron der Kripo Koblenz ermittelt mit Hochdruck, um die Teenager zu finden. Doch die Uhr tickt, und schon bald wird jegliche Hilfe zu spät kommen …
Neun, Zehn ... ich will dich sterben seh’n
In einer Selbsthilfegruppe wollen traumatisierte Frauen ihre durch Gewalt geprägte Vergangenheit verarbeiten – stattdessen werden sie zum Ziel eines bestialischen Mörders. Als die erste Leiche gefunden wird, schrillen bei Mathias Kron sofort sämtliche Alarmglocken: Zwei Jahre zuvor hat der Kriminalkommissar einen Täter mit demselben Modus Operandi hinter Gitter gebracht. Zu seinem Entsetzen erfährt Kron, dass dieser wieder auf freiem Fuß ist. Will der Mörder nun zu Ende bringen, was er damals begonnen hat?
Sieben, Acht ... blutig ist die Winternacht
Anja weiß, in ihrem Zuhause stimmt etwas nicht. Als ihre Tochter Lili mit ihren Puppen einen brutalen Mord nachstellt, der kurz darauf Schlagzeilen macht, gefriert Anja das Blut in den Adern.
Kriminalkommissar Mathias Kron sieht sich mit schaurigen Tatorten zu festlicher Kulisse konfrontiert. Männer, Frauen, Kinder, Familien – der Mörder hat keine Skrupel und ganz offensichtlich eine persönliche Rechnung mit dem Weihnachtsfest offen.
Eins, Zwei ... hörst du ihren Schrei?
Kommissar Matthias Kron wird nicht über Akten in seinen nächsten Fall gezogen, sondern ist gleich mitten im Geschehen. Bei einem eigentlich entspannten Tag mit seinen Kindern im Park taucht ein Mädchen auf, das alle um sie herum erstarren lässt. Sie trägt übertriebenes Make-up, ist gekleidet wie eine Puppe und hinterlässt blutige Fußabdrücke auf dem Asphalt.
Sie ist eines von einer ganzen Reihe an jungen Mädchen, die vermisst werden. Alle kehren auf mysteriöse Weise verändert zurück – und erst, nachdem Blut geflossen ist ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Für Sonja Dobnigg, Nicole Bruckhardt,
Sarah Baumann, Bärbel Zimmer, Pia Henrich
„Setze dich deiner tiefsten Angst aus. Danach hat die Angst
keine Macht mehr über dich.“
Jim Morrison
Jonas trank seinen letzten Schluck Bier und schaute auf die Uhr. Es war bald Mitternacht, er musste unbedingt gehen, sonst würde er am nächsten Tag die Schule nicht überleben. Wieder einmal ärgerte er sich, dass er nicht schon älter war. Dann wäre es egal, wann er eine Party verließ, und es gäbe auch keine nervigen Kontrollen seiner Eltern mehr. Er wollte frei sein, in Australien surfen, keine Schule und keine Regeln. Aber sein Vater sah ihn in der Zukunft als Anwalt in einer langweiligen Kanzlei sitzen. Jonas würde sich mit Händen und Füßen dagegen wehren.
Hau einfach ab und sei frei. Wie oft hatte er schon mit diesem Gedanken gehadert, und schlussendlich blieb alles beim Alten.
»Hey. Warum sitzt du so allein herum und starrst in die Ferne?« Luna setzte sich ungefragt auf seinen Schoß und legte ihren Arm um seine Schultern. »Du bist siebzehn und kein alter Mann. Hab doch Spaß.« Sie klimperte ihn mit den falschen Wimpern an. Ihre Lippen leuchteten knallrot. Jonas hasste solche aufgetakelten Mädchen, die ihre natürliche Schönheit mit Mengen an Make-up überkleisterten.
»Geh von mir runter.« Er gab ihr einen leichten Schubs.
»Meine Güte, was muss man eigentlich tun, um bei dir zu landen?«, lallte Luna und grinste ihn mit verführerischem Blick an. »Gefühlt jedes Weib der Schule steht auf dich, doch du ignorierst alle.«
»Ich suche mir meine Freundin selbst aus. Derzeit mag ich keine haben.«
»Du musst mich ja nicht gleich heiraten.« Wieder versuchte sie sich auf seinen Schoß zu setzen, doch Jonas blockte sie ab. »Wir können auch einfach nur ein bisschen Spaß haben.«
»So jemand bin ich nicht.« Er erhob sich, lief ins Haus, stellte seine leere Bierflasche in den Kasten und ging ins Wohnzimmer.
Die Party fand im Haus eines Zwanzigjährigen statt. An der Einrichtung erkannte Jonas, dass der Typ ziemlich reich aufgewachsen sein musste. Ihm selbst ging es nicht anders. Sein Vater war ein Anwalt, der jegliche Stars und Sternchen vertrat, und seine Mutter eine erfolgreiche Managerin. An Geld fehlte es Jonas nicht, aber an Aufmerksamkeit. Schon sein ganzes Leben lang.
Er betrachtete die feiernde Meute, die laut grölend einen Drink nach dem anderen in sich hineinschüttete. Sie tanzten auf Tischen, Stühlen und dem weißen übergroßen Sofa, auf dem schon Essensreste klebten. Meine Mutter würde mich killen.
»Hey Kumpel, was stehst du hier so rum. Feier ein bisschen.« Ein Junge aus der Neunten, der um diese Uhrzeit noch weniger auf der Party zu suchen hatte als er selbst, wankte an ihm vorbei und verschüttete dabei Bier.
Jonas hatte genug, es war nichts für ihn. Solche ausufernden Partys, bei denen es darum ging, wer schneller trank und mehr Alkohol vertragen konnte, waren nicht sein Ding. Lieber genoss er am See ein kleines Lagerfeuer mit seinen Freunden, seiner Gitarre und ein paar leckeren Cocktails. Jonas hielt nach seinem Kumpel Ausschau, den er schon seit einigen Stunden nicht mehr gesehen hatte.
Er blickte auf sein Handy. Obwohl er ihm bereits drei Nachrichten geschrieben hatte, reagierte Hannes nicht. Mittlerweile sorgte sich Jonas, denn es war nicht die Art seines Freundes. Vor allem nicht, wenn er ihn auf dem Roller mit nach Hause nehmen sollte. Er rief ihn an, doch Hannes nahm nicht ab.
»Hast du Hannes gesehen?«, fragte er eine Klassenkameradin. Doch sie war so betrunken, dass sie Jonas nicht wahrnahm.
Er lief durch jedes Zimmer, um nach Hannes zu suchen. Dieser blieb verschwunden. War er etwa schon allein los? Aber warum meldete er sich dann nicht?
Einen Augenblick würde er noch warten, doch wenn sich Hannes in der nächsten halben Stunde nicht meldete, würde er ohne ihn fahren. Er ging wieder nach draußen auf die Terrasse, um der unerträglichen Lautstärke zu entkommen. Jonas setzte sich auf einen der riesigen Blumenkübel, die mittlerweile als Aschenbecher dienten. Er scrollte durch TikTok, um sich die Zeit während des Wartens zu vertreiben.
Ein Mädchen, das sich neben ihn setzte, lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Sie weinte und rieb sich die Oberarme.
Obwohl es tagsüber schon sehr warm war, herrschten nachts noch einstellige Temperaturen, da war es für ein Trägertop schlichtweg zu kalt.
Jonas zog sein Hemd aus und legte es über ihre nackten Schultern. »Ist alles okay?«
Das Mädchen schaute auf das Hemd. »Ähm, danke. Ja, alles in Ordnung. Hatte nur etwas Streit mit meiner Freundin. Sie ist stinkbesoffen und will noch feiern. Ich würde aber gern nach Hause, ehe meine Mutter herausfindet, dass ich mich aus dem Haus geschlichen habe.«
»Verstehe«, antwortete Jonas. »Ich suche auch meinen Kumpel, weil ich heim will. Ist mir etwas zu wild hier.«
»Die benehmen sich wie Tiere.« Das Mädchen grinste. »Sind wir zu spießig?«
Es irritierte Jonas, dass sie ihm nicht in die Augen sah, wenn sie sprach. Sie hielt ihren Blick stur geradeaus. »Für die bestimmt schon.« Er reichte ihr die Hand. »Ich bin Jonas.«
»Julia. Danke noch mal für das Hemd.« Noch immer drehte sie sich nicht ganz zu ihm.
»Ich hab dich noch nie gesehen, gehst du auf das Steiner-Gymnasium?«
»Ja, aber erst seit Kurzem. Ich gehe in die zehnte Klasse.«
»Ich bin in der zwölften. Schön dich kennenzulernen, vielleicht läuft man sich mal über den Weg.«
Julia nickte und lächelte. »Vielleicht.«
Das lange schwarze Haar flatterte ihr im Gesicht herum. Sie nahm es und band es zusammen.
»Also, wenn du magst, kann ich dich mit dem Roller nach Hause fahren. Mein Freund scheint schon weg zu sein.«
Nun schaute sie ihn an, und Jonas begriff, warum sie sich die ganze Zeit nicht zu ihm gedreht hatte. Ihre rechte Gesichtshälfte war vernarbt, es sah aus, als wären es alte Brandwunden. »Danke, das ist nett. Aber ich will meine Freundin nicht allein lassen. Obwohl sie wahrscheinlich gar nicht mehr heim will. Und meine Eltern werden mich umbringen.«
Jonas strengte sich an, nicht auf die Narben zu starren. »Du könntest sie noch einmal fragen, und wenn sie Nein sagt, nehm ich dich mit. Sie ist alt genug.«
Julia schwieg, nickte dann aber.
Sein Handy piepste. Er zog es aus der Hosentasche und sah eine Nachricht von einer unbekannten Nummer. Stirnrunzelnd öffnete er sie. Sein Herz setzte aus. Jonas starrte auf seinen Kumpel Hannes, der auf einem Stuhl gefesselt saß. Das Bild war etwas klein und unscharf, aber Jonas glaubte Blut an Hannes‘ Stirn zu erkennen.
»Ach du Scheiße.« Er sprang auf.
»Alles okay?«, fragte Julia.
Jonas antwortete nicht. Eine zweite Nachricht ging ein.
Ich habe Hannes. Wenn du ihn lebend wiedersehen willst, musst du ihn holen. Keine Polizei, du kommst allein. Sonst stirbt er.
Jonas wankte. Es fühlte sich an, als drehte sich um ihn alles. Fassungslos starrte er auf die Nachricht, öffnete dann das Bild erneut. Bei dem Anblick seines Freundes erbrach er. Bierdunst stieg ihm in die Nase, der wiederum einen weiteren Würgereiz in ihm auslöste.
»Kann ich dir irgendwie helfen?« Julia stellte sich neben ihn.
Sein Handy piepste noch einmal. Schnell wischte er sich den Speichel ab und schaute auf sein Smartphone.
Komm zum Sportplatz. Allein! Sonst ist Hannes tot!
Jonas richtete sich auf. »Es tut mir leid, Julia. Ich muss weg. Mein bester Freund braucht dringend meine Hilfe.«
Er wartete keine Antwort ab und eilte los.
»Dein Hemd«, rief Julia ihm hinterher.
Doch Jonas war das Hemd scheißegal. Er rannte von der Terrasse durch das Wohnzimmer zur Haustür, rempelte dabei einige der Leute an, ignorierte aber die lauten Proteste. Seine Gedanken waren bei seinem besten Freund, den er seit der Grundschule kannte. Immer wieder spukten ihm die schrecklichen Bilder des gefesselten Hannes im Kopf herum. Wer hatte das getan? Und warum?
Jonas‘ Verstand alarmierte ihn, dass es nicht clever war, allein, und ohne jemandem Bescheid zu sagen, dort hinzufahren. Aber er würde es sich niemals verzeihen, wenn Hannes ermordet würde, weil er die Polizei hinzugezogen hatte.
Er setzte den Helm auf, startete seinen Roller und raste los. Sein Herz klopfte so wild, dass er sich nur wenig konzentrieren konnte. Als eine Ampel auf Gelb sprang, war er geneigt, Gas zu geben, besann sich jedoch rechtzeitig. Würde er Aufsehen erregen, weil er sich wie ein verrückter Straßenraudi benahm, würde er einen großen Fehler begehen. Es wäre eine Katastrophe, wenn ihn die Polizei anhalten würde.
Also riss er sich trotz seiner Ungeduld zusammen.
Nervös wippte er mit den Beinen, bis die Ampel endlich auf Grün sprang. Beim Anfahren quietschten die Räder.
Als er in dem abgelegenen Bezirk außerhalb der Stadt ankam, wurde ihm flau im Magen. Er stellte seinen Roller am Sportplatz ab und lief auf den Rasen. Jonas war mulmig zumute, weil er niemanden sehen konnte. Das Gelände war weitläufig und bot viele Möglichkeiten, sich zu verstecken. Er rechnete damit, dass gleich jemand aus einer Ecke heraussprang und ihn überfiel. Und genau in diesem Moment hätte er sich dafür ohrfeigen können, dass er allein dorthin gefahren war.
Er wartete eine Weile, doch niemand kam. »Hallo?«, rief er. Er hörte selbst, wie ängstlich seine Stimme geklungen hatte. »Hannes? Bist du hier?«
Nichts.
Jonas schaltete die Taschenlampe seines Handys an und leuchtete in die dunklen Ecken, die von Bäumen und Büschen umgeben waren. Er zuckte zusammen, als ein Anruf einging. Der Klingelton schallte extrem laut.
Er nahm ab.
»Hey, hast du mich etwa vergessen?«
Jonas riss die Augen auf, drehte sich einmal um seine eigene Achse, konnte jedoch nichts erkennen. »Hannes! Wo bist du?«
»Noch auf der Party. Bist du ohne mich gefahren?«
»Aber …« Jonas wurde übel. Er eilte zurück zu seinem Roller, doch ehe er den erreichte, stand eine schwarz vermummte Person vor ihm.
»Alles in Ordnung, Kumpel?«
Wie gelähmt starrte Jonas auf die Gestalt. Das Telefon noch immer am Ohr. »Willst du mich verarschen? Ich finde das nicht lustig.«
»Was stimmt nicht mit dir? Wo bist du?«, fragte Hannes.
Ein unbändiger Schmerz schoss durch seinen Kopf, nachdem er einen heftigen Schlag abbekommen hatte. Seine Beine sackten zusammen, er ließ das Handy fallen. Die Gestalt trat neben ihn. Ein weiterer Schlag auf seinen Kopf folgte. Dann wurde es dunkel.
»Na, Brillenschlange. Hat Mami wieder etwas in der Altkleidersammlung für dich gefunden?«
Zwei Jungen aus einer der höheren Klassen bespritzten Peter mit ihren Trinkflaschen. In einer war Limo, die nun auf seiner Haut klebte.
»Peter Müll.«
»Ich heiße Mühl und nicht Müll.«
»Müll wird nicht mit H geschrieben, sag das mal deiner blöden Mutter.«
Alle Kinder auf dem Schulflur lachten.
Peter standen Tränen in den Augen. Er biss sich auf die Unterlippe, damit die Schüler sein zitterndes Kinn nicht sahen. Würde er losheulen, dann würde die Hänselei nur noch schlimmer werden.
»Müllpeter, Müllpeter, Müllpeter«, riefen die Jungs, und schon nach wenigen Sekunden stimmten jede Menge Kinder mit ein.
Auch wenn sein Herz zerfetzte und sich ein weiterer Dolch in seinen Magen bohrte, so kannte Peter dieses Gefühl, und er wusste, dass er sich später wieder mit seinen Freunden treffen würde. Zu Hause, in seinem sicheren Umfeld. Und dann würde es ihm sofort besser gehen. Deshalb hielt er die Demütigungen aus.
Er stellte sich an die Wand und dachte an die fünf, die ihn immer wieder aufmunterten. Die Rufe der Kinder drangen in den Hintergrund. Die Gesichter seiner Freunde tauchten vor seinem inneren Auge auf. Camille, Amelia, Isla, Freddie und Finley. Sie waren seine Helden, mit ihnen fühlte er sich wohl und überlebte den Albtraum in der Schule.
Ein Ruckeln an seinem Arm holte ihn aus seinen Gedanken.
»Peter, der Unterricht geht los. Warum bist du nicht in deiner Klasse?« Der Direktor sah Peter streng an. »Warum muss man dich eigentlich immer ermahnen?« Er stemmte seine Hände in die Hüften.
»Es tut mir leid«, stammelte Peter und rannte in seine Klasse, in der er erneut zum Gespött der Kinder wurde.
»Müllpeter kommt«, brüllte sein Klassenkamerad, und alle hielten sich die Nase zu.
»Hört auf damit«, schimpfte Peters Klassenlehrerin. »Peter, setz dich auf deinen Platz.«
Er gehorchte und lief zu seinem Tisch. Schon seit zwei Schuljahren saß er allein, weil sich niemand mit ihm einen Tisch teilen wollte. Manchmal fühlte er sich einsam, obwohl er sich inmitten einer Horde Kinder befand. Doch all diese kleinen Monster ignorierten oder hänselten ihn. Seufzend ließ er sich auf den Stuhl nieder. Ein Mädchen starrte ihn an und grinste dann. Kurz darauf wusste Peter, warum. Er saß im Nassen. Schnell sprang er wieder auf.
Das laute Gekicher seiner Klassenkameraden fuhr ihm durch Mark und Bein.
»Müllpeter hat in die Hose gemacht.«
»Ihr sollt damit aufhören«, schrie die Lehrerin gegen die Lautstärke an. »Wer hat das zu verantworten?«
Die Klasse verstummte.
Peter stand mit gesenktem Kopf im Klassenraum und wünschte sich, dass der Erdboden ihn verschlingen würde.
Die Lehrerin wischte den Stuhl ab und bat Peter, sich wieder hinzusetzen.
»Das wird gleich trocken«, sagte sie und ging zurück an die Tafel. Dann begann sie mit dem Unterricht. Keiner wurde bestraft, es war so wie immer. Und am nächsten Tag würde es weitergehen.
Peter hatte kaum etwas von der Schulstunde mitgekriegt und atmete erleichtert auf, als es endlich gongte und die letzte Stunde vorbei war.
Seine Klassenkameraden sprangen auf und stürmten aus dem Raum.
Peter blieb sitzen, obwohl er es gar nicht abwarten konnte, nach Hause zu kommen. Als alle weg waren, packte er sein Schulzeug in den Ranzen. Nun musste er sich beeilen, den Bus noch zu erwischen.
»Peter, bist du in Ordnung?«, fragte seine Klassenlehrerin.
»Ja, ich mach mir gar nichts daraus, wenn die mich ärgern.«
Seine Lehrerin schaute traurig aus. »Vielleicht solltest du dich nicht immer so verschanzen. Du kannst doch auch mal mit deinen Klassenkameraden sprechen. Bestimmt wollen sie dich gern näher kennenlernen.«
Peter fragte sich, ob seine Lehrerin selbst glaubte, was sie da redete.
»Ich hab meine Freunde zu Hause. Die sind nett und stark. Sie würden mir niemals wehtun. Irgendwann kommen sie mal und werden mir helfen. Und dann werden alle Schüler dumm schauen.«
Die Lehrerin seufzte. »Ich finde es sehr schade, wenn du immer so traurig bist in der Schule. Das merkt man leider auch an deinen Noten, denn du konzentrierst dich nicht so gut und bekommst im Unterricht nicht viel mit. Dabei warst du immer einer der besten Schüler in der Klasse.«
Peter blickte beschämt nach unten.
»Vielleicht sollte ich einmal mit deinen Eltern sprechen.«
Er verkniff sich das Grinsen. Sie konnte gern mal versuchen, einen Termin bei seinen Eltern zu erwischen. »Ich kann mich etwas mehr anstrengen.«
»Nun geh erst einmal nach Hause. Hab einen schönen Nachmittag. Und denk daran, wir schreiben morgen eine Klassenarbeit in Deutsch. Du musst dich etwas ins Zeug legen, sonst verbaust du dir deine Chance, aufs Gymnasium zu gehen. Ich verstehe nicht, warum du in letzter Zeit so schlechte Noten schreibst.«
Um die Lehrerin zufriedenzustellen, nickte er und hopste dann glücklich aus dem Klassenraum. Er wollte so schnell wie möglich Camille, Amelia, Isla, Freddie und Finley treffen. Danach würde es ihm wieder gutgehen.
Eine halbe Stunde später stieg er an der Haltestelle in seinem Ort aus dem Bus. Die Fahrt war wie immer eine Katastrophe gewesen, denn auch im Bus hatte man sich Peter als Spielball auserkoren. Heute hatten sie ihn mit Kaugummi beworfen, und einer davon klebte nun in seinen Haaren.
An der Haustür kramte er seinen Schlüssel heraus, schloss auf und trat in den penibel aufgeräumten Flur.
»Hallo Peter«, rief seine Mutter. »Das Essen steht in der Küche.«
Er zog seine Schuhe aus, stellte sie in den Schrank und brachte seinen Ranzen nach oben in sein Zimmer.
Als er wieder herunterkam, stand seine Mutter wartend im Flur vor der Eingangstür. »Mensch Peter, willst du mir nicht wenigstens Tschüss sagen? Du weißt doch, dass ich nicht viel Zeit habe.«
Peter lief geknickt auf seine Mutter zu und schmiegte sich an ihren Oberkörper.
Sie aber klopfte ihm nur lieblos auf die Schulter, anstatt ihn fest an sich zu drücken. Wie sehr wünschte er sich, nur einmal einen Kuss von ihr zu bekommen.
»Igitt, was hast du in deinem Haar?« Seine Mutter stieß ihn von sich weg.
»Kaugummi.«
»Warum schmierst du dir Kaugummi ins Haar?«
»Das waren die Kinder im Bus.« Peter kämpfte mit den Tränen.
»Warum lässt du dir das gefallen? Du kannst doch nicht ewig das Opfer spielen? Sei nicht immer so eine Memme, dann wählen sie dich auch nicht aus, um dich zu ärgern.«
Peters Lippen zitterten. Er wusste, wenn er weinen würde, würde seine Mutter kopfschüttelnd das Haus verlassen und ihn ihre Enttäuschung spüren lassen. »Es sind so viele. Ich kann nicht gegen sie kämpfen. Kannst du nicht mal etwas in der Schule sagen? Ich brauche deine Hilfe, Mama.«
Seine Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, das klärst du selbst. Ich kann nicht immer für dich da sein.«
Du bist nie für mich da.
»Ich muss jetzt los, iss das Gemüse und sieh zu, dass das eklige Ding aus deinen Haaren verschwindet.«
»Wann kommt ihr nach Hause?«, fragte Peter, obwohl er die Antwort bereits wusste. Er erkundigte sich dennoch immer wieder und behielt trotz unzähliger Enttäuschungen die Hoffnung, dass sie sich eines Tages freinahm, um Zeit mit ihm zu verbringen.
»Geh um acht ins Bett. Es wird spät. Wir haben im Büro viel zu erledigen.« Das war ihre Antwort stattdessen. Dann drehte sie sich um und ließ Peter allein in dem großen Haus zurück. So wie jeden Tag.
Er lief in die Küche, stocherte etwas in dem überbackenen Gemüse herum, gab den Rest Oskar, der schwanzwedelnd vor ihm stand. Anschließend ging er mit ihm eine kleine Gassirunde. Sein Hund brauchte zwar mehr Auslauf, aber Peter konnte gar nicht weiter abwarten, endlich seine Freunde zu sehen. Jede Sekunde, in der er sie nicht sah, vermisste er sie. Und er hatte tierische Bauchschmerzen, wenn er sich nur vorstellte, dass sie irgendwann nicht mehr da wären.
Als Oskar sein Geschäft erledigt hatte, flitzte Peter nach Hause, holte sich eine Tüte Chips aus dem Schrank und setzte sich aufs Sofa.
Er steckte die DVD in den Player und startete Tale of Friends. Die Geschichte der fünf Freunde faszinierte Peter, und sehnlichst wünschte er sich so eine Clique. Die Charaktere waren so unterschiedlich und nur durch ein gemeinsames Schicksal zusammengewachsen. Jede Nacht betete er, sie einmal zu treffen.
Peter war bei der dritten Staffel angekommen und nutzte jede freie Minute, um sie zu sehen. Seine Eltern verboten es ihm zwar, weil in den Folgen viel Gewalt vorkam, aber es interessierte sie nicht wirklich, was er zu Hause trieb, wenn sie weg waren.
Er kuschelte sich auf das Sofa, öffnete die Chips, sein tägliches Hauptnahrungsmittel, und war gespannt, wie es weiterging. In der letzten Folge war Finley entführt worden, und seine Freunde planten, ihn zu suchen. Die Szene begann mit einem Ritual, das die fünf Freunde immer machten, wenn sie zu einem großen Abenteuer aufbrachen. Sie legten die Hände aufeinander und sagten: ›Das hier ist unsere Geschichte.‹
Jonas hob den Kopf, in dem es hämmerte, als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Die Bewegung verschlimmerte seine Übelkeit. Er hielt sich den Hinterkopf und bemerkte eine klebrige Masse. Als er auf seine zitternde Hand sah, erkannte er, dass es Blut war.
Verwirrt schaute er sich um. Er befand sich in einer Zelle, so wie in einem Gefängnis, nur war diese deutlich größer, als er es aus dem Fernsehen kannte. Nachdem der Schwindel etwas nachgelassen hatte, versuchte Jonas sich zu erinnern, was passiert war. Er war auf der Party gewesen, aber wie war er in diese komische Örtlichkeit gekommen? Hatte er zu viel getrunken?
Ich wurde zum Sportplatz gerufen.
Langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Das Foto mit dem gefesselten Hannes und die Aufforderung, allein zu kommen. Dann war er zum Sportplatz gefahren, um nach seinem Freund zu suchen, der aber plötzlich angerufen hatte. War das ein blöder Scherz von Hannes? Nicht witzig.
Er erhob sich von dem Klappbett, das zusammen mit fünf weiteren in dieser Zelle stand. Noch etwas wankend lief er zur Tür. Sie war abgeschlossen. »Hannes? Wo bist du? Was soll der Mist?«
Es blieb still.
Da der Schwindel im Stehen schlimmer wurde, setzte er sich wieder auf eines der Betten. »Hallo? Ist hier jemand? Ich brauche Hilfe. Mir ist übel.«
Doch auch dieses Mal bekam er keine Antwort.
Noch einmal musterte er den Raum. Es stand nichts außer der Betten und einer Toilette darin, die jedoch so gammlig aussah, dass Jonas hoffte, er würde nicht so schnell darauf müssen. Die Wände waren rissig und feucht, es roch muffig. An der einen Seite hing ein kleines Waschbecken, das nicht sonderlich stabil wirkte, an der maroden Wand. Die Fensterscheiben wurden vom Mond angestrahlt, sodass Jonas erkennen konnte, dass sie völlig verdreckt waren. Sie waren mit Gitterstäben versehen. Auf einem der Holzrahmen waren die Initialen S+K eingeritzt. In der rechten Deckenecke hing eine Kamera, die genau auf ihn zeigte. Und an der gegenüberliegenden Wand war weit oben ein Fernseher angebracht.
»Bin ich hier etwa in einem Gefängnis?«
Jonas erhob sich und wechselte auf ein anderes Bett, das in der rechten Ecke stand, um der Kamera zu entkommen, doch diese bewegte sich mit ihm.
Er fühlte sich zunehmend unbehaglich. Hannes war zwar ein Spaßvogel, und er verschaukelte ihn auch gern. Dass Hannes ihn niederschlug und einsperrte, traute er seinem Freund jedoch nicht zu. Warum aber war Jonas hier? Wer hatte ihm diese Nachricht geschickt?
Die kleine Luke an der massiven Metalltür wurde geöffnet. Es quietschte so laut, dass es Jonas Gänsehaut bereitete. Erschrocken starrte er in die Richtung. Eine Person mit schwarzer Sturmhaube schaute in die Zelle. Sie sah aus wie die Gestalt auf dem Sportplatz.
Jonas sprang auf. »Was soll der Mist? Wer sind Sie? Warum haben Sie mich eingesperrt?«
Die Person antwortete nicht, warf stattdessen einen Zettel und eine Flasche Wasser durch das Fenster und schloss die Luke wieder.
Jonas hämmerte gegen die Tür. »Hey, machen Sie sofort auf. Sind Sie komplett irre?«
Er erwartete nicht wirklich, dass er mit seinem Gebrüll weiterkam, denn selten entschied sich ein Entführer plötzlich um und ließ sein Opfer wieder frei. Doch in Jonas tobte Wut, und die musste raus. Es dauerte nicht lang, da gab er auf, weil die Anstrengung seine Kopfschmerzen verschlimmerte.
Er hob den Zettel auf und las die Zeilen.
Manchmal ist es nur ein kurzer Moment, nur eine winzige Entscheidung, die dein Leben umwirft. Willkommen in deinem Spiel. Willkommen in deiner neuen Welt. Du wirst der Anführer der Gruppe sein. Doch die Kontrolle habe ich. Immer und überall. Du tust, was ich will.
Jonas starrte in die Kamera. »Was für eine Gruppe? Sie sind total krank. Was soll das alles bedeuten?«
Noch ein weiteres Mal las er den Zettel und versuchte, die Worte zu begreifen. Die letzten Zeilen lösten Nervosität in ihm aus, denn eine seiner größten Ängste war es, seine Selbstkontrolle zu verlieren. Sofort schossen ihm die grausamen Bilder in den Sinn, als er fast mit einem dieser Leichtflugzeuge abgestürzt war. Den Flug hatte Jonas von seinem Vater zum Geburtstag geschenkt bekommen, aber der Pilot hatte ihm so gar nicht gefallen. Er war launisch gewesen, und trotz mehrmaliger Bitte, keine Loops zu fliegen, hatte er nicht darauf gehört und Spaß daran gehabt, Jonas zu ärgern. Plötzlich war das Flugzeug abwärtsgeschossen, der Pilot hatte nicht auf Rufe reagiert. Erst als Jonas sich schon am Boden hatte zerschellen sehen, hatte sich der Mann geregt und die Maschine wieder nach oben gezogen. Seitdem hatte Jonas niemandem mehr je die Möglichkeit gegeben, die Kontrolle über sein Leben zu haben. Er stieg bei niemandem ins Auto, verzichtete auf Flugreisen und fuhr auch keine Fahrgeschäfte auf einer Kirmes. Er vertraute nur sich selbst.
Das Summen der Kamera holte ihn aus den Gedanken.
Er war sauer und streckte dem Gerät seinen Mittelfinger entgegen. »Niemals wirst du krankes Schwein Kontrolle über mein Leben haben.«
Erneut hämmerte und trat er gegen die Tür. Dann setzte er sich auf eines der Klappbetten.
Fragen häuften sich in seinem Kopf, und die Ungewissheit trieb ihn in den Wahnsinn.
Unerwartet schaltete sich der Fernseher ein. Erst war nur Rauschen zu hören, der Bildschirm aber blieb schwarz. Dann tauchte er darauf auf, wie er auf dem Bett saß und sich verstört umsah. Eine computerverzerrte Stimme sprach, als wären es die Nachrichten.
»Jonas Michels, siebzehn Jahre alt, beliebter Schüler, Freund und Sohn, wird an dem Spiel der Clique teilnehmen. Unter meiner Kontrolle wird er das Spiel seines Lebens bewältigen. Ob er jemals entkommen wird? Man weiß es nicht.«
Das Bild wurde wieder schwarz.
Jonas sprang erneut auf und sah in die Kamera. »Was haben Sie vor? Reden Sie endlich mit mir!«
Ein weiteres Bild erschien auf dem Monitor. Es sah aus, als tippte jemand etwas in einen Computer.
Die eben gesehene Nachricht wird ganz Deutschland erhalten. Alle werden zuschauen, wie du das Spiel spielst.
In Jonas zogen sich die Eingeweide zusammen. Er dachte an seine Großeltern, die unter der Sorge zusammenbrechen würden. Auf der anderen Seite jedoch hoffte er, dass die Polizei so herausfinden würde, wo er festgehalten wurde. Denn man konnte doch wohl erkennen, dass es ein Gefängnis war. Oder nicht? Wie viele davon gab es denn in Koblenz? Oder war er gar in eine andere Stadt gebracht worden?
Erschöpft ließ er sich wieder auf eines der Betten nieder, und obwohl er es schon lange nicht mehr getan hatte, betete er stumm.
Julia war hundemüde, als sie den Schulhof betrat. Ursprünglich hatte sie ihrer Mutter vorspielen wollen, dass es ihr nicht gutginge, um zu Hause bleiben zu können. Denn die hatte von ihrer nächtlichen Herumtreiberei nichts mitbekommen. Doch ihr spukte Jonas im Kopf herum, seit er in der Nacht so plötzlich aufgesprungen und verschwunden war. Er war der Grund, warum sie entschieden hatte, in die Schule zu gehen.
Sie hatte die ganze Nacht darüber nachgedacht, ob Jonas sich ihretwegen so merkwürdig verhalten hatte. Erst hatte er sie mitnehmen wollen, und dann war er einfach abgehauen. Allerdings machte sie sich Sorgen, denn er war auf einmal so blass geworden. Es hatte ausgesehen, als hätte er einen Schock erlitten.
Obwohl ihr Herz bis zum Hals schlug, hatte sie sich fest vorgenommen, ihn in der Schule anzusprechen. Sie hatte immer noch sein Hemd, und das war ein guter Grund, mit ihm in Kontakt zu treten.
Als sie in die Eingangshalle des Gymnasiums kam, herrschte ein großer Tumult auf dem Flur. Der Schulleiter redete mit einem Mann und einer Frau und sah etwas besorgt aus.
Julia ging zu ihrer Freundin, die gerade ihre Bücher aus dem Spind holte.
»Was ist denn hier für ein Durcheinander?«, fragte sie.
Tonja schaute sie etwas pikiert an.
Julia verdrehte die Augen. »Bist du etwa immer noch beleidigt, weil ich nach Hause gegangen bin?«
»Ohne mich hättest du überhaupt keinen Anschluss an dieser Schule gefunden. Ich habe dich mit auf die Party genommen. Du hättest ruhig ein wenig dankbarer sein können.«
»Das bin ich doch. Aber trotzdem muss ich nicht bis in die Puppen wegbleiben. Meine Mutter hätte mich nie wieder rausgelassen, wenn sie mich erwischt hätte.«
Tonja betrachtete Julia noch einen Moment beleidigt, doch dann zeigte sie auf den Schulleiter. »Ich weiß nicht, wer, aber es wird wohl ein Schüler vermisst. Die sind von der Kripo.«
»Was? Das ist ja furchtbar.« Julia schaute zum Direktor, der gerade den beiden Beamten zuhörte und ständig nickte.
Dann klingelte es. Die Flure leerten sich.
Julia lief in ihre Klasse und setzte sich an ihren Platz. Wenige Augenblicke später trat die Klassenlehrerin ein, obwohl sie gar keinen Unterricht bei ihr hatten.
»Liebe Schüler, seid bitte einmal alle ruhig. Ich möchte etwas Wichtiges mit euch besprechen.«
Alle gehorchten sofort und starrten die sichtlich besorgte Lehrerin an.
»Wie einige schon mitbekommen haben, wird seit letzter Nacht ein Schüler unserer Schule vermisst. Er ist nicht nach Hause gekommen. Wir haben gerade die Kriminalpolizei im Haus, die sich mit einigen Kindern unterhalten möchte. Deshalb muss ich von euch wissen, wer gestern auf dieser Party in Immendorf gewesen ist.«
Julia warf Tonja einen Blick zu. Dann meldeten sie, Tonja und ein weiterer Klassenkamerad sich.
»Wer wird denn vermisst?«, fragte Julias Freundin.
»Es handelt sich dabei um Jonas Michels, ein Schüler aus der zwölften Klasse.«
Julia wurde speiübel. In ihren Ohren dröhnte es. Und ihr Herz schlug wie wild gegen ihre Rippen.
»Hast du dich nicht gestern mit ihm unterhalten?« Ihr Klassenkamerad sah Julia abwartend an.
Sie nickte zögerlich.
Ihre Lehrerin kam auf sie zu. »Du kennst Jonas?«
»Ich … Ich habe ihn nur ganz kurz gesprochen. Er hat mir sein Hemd geliehen, weil mir kalt war. Aber dann ist er plötzlich abgehauen.«
»Gut, dann bringe ich dich nun sofort zu den Beamten, es könnte wichtig sein.« Die Lehrerin schaute die anderen beiden an. »Ihr habt mit Jonas nichts zu tun gehabt?«
Tonja schüttelte den Kopf. Auch der andere Mitschüler verneinte.
»Dann gebe ich eure Namen an die Kripo weiter, eventuell wollen die sich später noch mit euch unterhalten.« Die Lehrerin ging zur Tür. »Unter den gegebenen Umständen wird heute der Unterricht ausfallen, weil einige Schüler von der Kriminalpolizei befragt werden. Sollte jemand das Bedürfnis verspüren, kann er später mit Herrn Reichert über seine Sorgen reden.«
Julia war noch immer schlecht. Sie dachte an Jonas‘ blasses Gesicht, nachdem sein Handy geklingelt hatte. Langsam folgte sie der Lehrerin ins Sekretariat. Ein ganz furchtbares Gefühl machte sich in ihr breit, und sie fragte sich, ob sie nicht hartnäckiger hätte sein sollen, als sie bemerkt hatte, dass mit Jonas etwas nicht stimmte.
Die Lehrerin klopfte an die Tür und wartete, bis sie zum Eintreten aufgefordert wurde.
»Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ich denke, es könnte von Wichtigkeit sein. Ich habe hier eine Schülerin, die eventuell etwas zu dem vermissten Schüler sagen kann.«
»Schicken Sie sie bitte herein.«
Die Lehrerin nickte Julia auffordernd zu.
Julia trat zögernd in das Zimmer. Mit zittrigen Händen fummelte sie an ihrem Shirtsaum herum.
»Hallo Julia, bitte setz dich doch«, sagte der Schulleiter und zeigte auf einen Stuhl.
Julia gehorchte.
Neben ihr saß ein Junge, dessen Augen stark gerötet waren. Julia hatte ihn mit Jonas schon öfters zusammen gesehen. Er wippte nervös mit den Beinen.
Die beiden Kriminalkommissare standen hinter dem Direktor. Der Mann verschränkte die Arme vor der Brust, und die Frau lächelte sie freundlich an.
Julia atmete erleichtert aus, weil der Sozialarbeiter Herr Reichert ebenfalls im Raum anwesend war. Sie vertraute ihm, denn er war nicht so streng wie die meisten Lehrer an der Schule. Wie zum Beispiel Herr Lister, der neben dem Direktor saß und sie genau musterte.
»Das sind Kommissar Kron und Kommissarin Blauen von der Kripo Koblenz. Sie werden dir ein paar Fragen stellen, in Ordnung?« Der Schulleiter zeigte auf die beiden Männer. »Herr Reichert ist da und steht dir zur Verfügung, wenn es dir mit der Sache nicht gutgeht.«
Julia nickte und sah zu dem Jungen neben sich.
»Das ist Hannes Meurer, er ist Jonas‘ bester Freund«, fuhr der Schulleiter fort.
»Er hat dich gesucht«, platzte es aus Julia heraus. Sie starrte den Jungen vorwurfsvoll an, obwohl sie nicht mal wusste, warum.
Hannes schluckte. Eine Träne rollte seine Wange hinunter.
Kriminalkommissar Kron schaute sie an. »Sagst du uns erst einmal deinen vollständigen Namen und dein Alter.«
»Ich bin Julia Wolff und fünfzehn Jahre. Ich gehe in die zehnte Klasse.«
»Und du kennst Jonas Michels? Warst du mit ihm auf der Party gestern?«
Sie nickte. »Kennen ist zu viel gesagt. Er saß draußen, und ich hatte Streit mit meiner Freundin gehabt. Deshalb bin ich auf die Terrasse und hab mich neben ihn gesetzt. Wir haben uns unterhalten, und er hat mir gesagt, dass er seinen Freund nicht finden kann und gern nach Hause möchte.«
»Weißt du, wann das in etwa war?«
»Ich glaube, es war so kurz nach null Uhr. Ich hatte vorher auf die Uhr geschaut, weil ich mir Gedanken gemacht habe, dass meine Mutter merkt, dass ich mich hinausgeschlichen habe. Ich darf unter der Woche nicht so lange raus und schon gar nicht auf eine Party.«
»Weißt du, wohin Jonas nach eurem Gespräch gegangen ist?«
Julia nestelte an ihren Fingern. »Es war sehr merkwürdig. Eigentlich wollte er mich nach Hause fahren, dann hat aber sein Handy mehrfach gepiept. Er sah sehr geschockt aus, hat sich übergeben und ist dann weggerannt.«
»Er hat nichts gesagt?«, fragte Kommissar Kron.
»Nur, dass sein Freund Hilfe braucht. Er war ganz aufgebracht.«
Der Kommissar schaute zu Hannes. »Wann hast du die letzte Nachricht von Jonas bekommen?«
»Das war so gegen null Uhr zehn, da hat er geschrieben, dass er heim will und ich kommen soll. Und dann habe ich ihn etwa um null Uhr fünfzig angerufen. Er hat geglaubt, dass ich ihn verarsche, und dann war die Verbindung plötzlich weg.«
Obwohl Julia mit Jonas nur eine kurze Zeit geredet hatte, fühlte sich sein Verschwinden entsetzlich an. »Ich hätte ihn aufhalten müssen.« Die Gedanken stürzten sie in eine Krise. »Er war viel zu aufgebracht, ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Irgendjemand hat ihm mehrere Nachrichten geschickt. Was, wenn etwas Schlimmes passiert ist?«
Hannes starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. »Sag so was nicht. Jonas kann gut auf sich aufpassen.«
Doch an seinem Gesichtsausdruck erkannte Julia, dass er selbst nicht davon überzeugt war.
»Wir werden nach ihm suchen«, sagte Kommissar Kron. »Gibt es sonst noch etwas, was wichtig sein könnte?«
Julia und Hannes schüttelten den Kopf.
»Gut, dann könnt ihr erst einmal gehen. Wir danken euch, dass ihr uns so geholfen habt. Wir möchten euch bitten, eure Erziehungsberechtigten zu informieren, damit diese nachher mit euch auf das Präsidium kommen. Wir müssen eure Aussagen noch einmal protokollieren.«
Julia nickte.
»Bitte finden Sie Jonas«, sagte Hannes mit tränenerstickter Stimme. »Ich möchte ihn nicht verlieren.«
»Wir tun unser Bestmögliches.«
Julia erhob sich und schluckte den Kloß in ihrem Hals hinunter. Sie schaute jedem im Raum in die Augen, wusste nicht, was sie sich davon versprach, hoffte jedoch irgendeine Antwort darin lesen zu können. Da war nichts.
»Irgendwann musste das ja mal passieren«, motzte Herr Lister.
Wie sehr Julia diesen Lehrer hasste. Sie verstand gar nicht, warum er überhaupt da war.
»Was meinen Sie?«, fragte der Kommissar.
»Die Kinder machen nur noch, was sie wollen. Kaum mehr ein Elternteil schert sich um die. Sie schreiben schlechte Noten, haben Spaß daran, andere Kinder zu beleidigen oder zu schikanieren. Partys mitten in der Woche? Das hätte es bei uns nicht gegeben.« Herr Lister verschränkte die Arme.
»Das spielt doch hier jetzt keine Rolle«, erwiderte der Schulleiter und warf dem Lehrer einen missbilligenden Blick zu.
Dieser schaute pikiert. »Ich finde schon. Wer weiß, in was für Kreise dieser Junge geraten ist. Wahrscheinlich war er betrunken und hat nicht mal gemerkt, mit wem er es zu tun hat. Vielleicht macht er sich auch gerade irgendwo einen Lenz.«
»Er hat nicht viel Alkohol getrunken«, schrie Hannes und funkelte den Lehrer so böse an, dass Julia es mit der Angst zu tun bekam.
Doch sie nickte, denn auch sie hatte nicht den Eindruck, dass Jonas alkoholisiert gewesen war. »Er musste noch fahren und hat nur ein Bier getrunken, das hat er mir gesagt.«
»Nur weil Sie Schüler hassen, vor allem Jonas, müssen Sie nicht so einen Unsinn erzählen.« Hannes schnitt eine Grimasse. Sein Gesicht war knallrot.
Der Sozialarbeiter erhob sich von seinem Stuhl. »Beruhig dich, Junge. Es ist nicht leicht für dich, das verstehen wir. Ich bringe euch in die Klassen, und ihr könnt jederzeit zu mir kommen, wenn ihr darüber reden wollt.«
Er begleitete Julia und Hannes aus dem Sekretariat.
Hannes‘ Kinn zitterte. »Jonas würde niemals etwas tun, was ihm schaden könnte. Es muss was passiert sein. Er ist auch nicht jemand, der einfach so verschwindet. Das muss er gar nicht. Seine Eltern sind reich, und er bekommt alles, was er braucht. Er würde das seinen Großeltern niemals antun.«
»Ich glaube auch, dass da etwas nicht stimmt«, sagte Julia. »Er hat wirklich sehr komisch reagiert, als er diese Nachrichten bekommen hat.«
»Die Kriminalpolizei wird dem ganz sicher nachgehen.« Herr Reichert lächelte sanft. »Macht euch keine Sorge. Ich bin sicher, Jonas wird bald gefunden, und dann klärt sich diese ganze Geschichte auf.«
Plötzlich wurde es auf dem Schulflur laut. So ziemlich jeder Schüler starrte auf sein Handy, murmelte Sätze wie: »O Gott« oder »Das ist doch Jonas.«
Tonja kam auf Julia zugelaufen. »Habt ihr das Video gesehen? Jonas ist entführt worden.«
»Was?« Hannes starrte Julias Freundin mit aufgerissenen Augen an.
»Zeig mir mal bitte das Video«, forderte Herr Reichert sie auf.
Etwas zögernd reichte Tonja dem Sozialarbeiter das Handy. Dieser schaute sich den Film an. »Ich muss das der Kripo zeigen. Warte einen Moment.«
Dann ging er zurück in das Sekretariat.
Hannes holte sofort sein Handy aus der Tasche. »Wo finde ich das Video?«
»Du musst nur die sozialen Netzwerke öffnen, dort ist es überall.«
Julia schaute Hannes über die Schulter. Ihre Eingeweide zogen sich zusammen, als sie auf den etwas verwirrten Jonas blickte. Er saß auf einem Klappbett und sah sich verängstigt um.
»Jonas Michels, siebzehn Jahre alt, beliebter Schüler, Freund und Sohn, wird an dem Spiel der Clique teilnehmen. Unter meiner Kontrolle wird er das Spiel seines Lebens bewältigen. Ob er jemals entkommen wird? Man weiß es nicht«, ertönte eine Computerstimme.
»Was soll das denn bedeuten?«, fragte Julia entsetzt. Ihr Herz raste.
Hannes starrte auf Jonas. Eine Träne tropfte aus seinem Auge. »Das ist alles meine Schuld. Wäre ich da gewesen, dann …«
»Hier hat niemand Schuld«, sagte Herr Reichert, der gerade wieder aus dem Sekretariat kam. »Geht jetzt in die Turnhalle. Ich werde dort gleich mit allen Schülern sprechen.« Dann sah er Hannes an. »Jonas wird ganz sicher gefunden.«
Hannes zog von dannen.
Herr Reichert lief ihm hinterher.
Julia konnte sich nicht bewegen. Sie hatte ein entsetzliches Gefühl, das sich in ihren Magen bohrte und diesen in tausend Einzelteile zerfetzte.
Die Tür zum Sekretariat öffnete sich, und Herr Lister trat heraus.
Peter Lister, der ekelhafteste Lehrer auf der Schule. Julia betete stumm, dass er weitergehen würde, doch er blieb genau neben ihr stehen.
»Alles in Ordnung, Julia?«
Sie räusperte sich. »Ja, ich mache mir nur ein wenig Vorwürfe wegen Jonas. Ich hätte ihn in seiner Verfassung nicht gehen lassen dürfen.«
Herr Lister schüttelte den Kopf. »Du bist neu an der Schule, ich weiß. Du suchst Anschluss. Aber mit Jungs wie Jonas solltest du dich nicht abgeben. Diesem Jungen fliegt alles zu, er braucht nichts dafür zu tun. Ein verwöhnter Kerl, der den großen Macker gibt. Sei nicht so dumm und such dir vernünftige Freunde, die dich nicht in Schwierigkeiten bringen.«
»Wie können Sie in solch einer schrecklichen Situation so schlecht über ihn reden? Ich glaube, dass Sie einen ganz falschen Eindruck von ihm haben. Er war sehr nett zu mir. Ganz anders als all die anderen Jungs auf dieser Party. Außerdem hat er es nicht verdient, entführt zu werden. Keiner hat das.«
Herr Lister betrachtete Julia einen Augenblick mit abfälliger Miene und schüttelte dann den Kopf.
»Mit euch Bälgern ist die Welt echt verloren«, sagte er im Weggehen.
Der Blick, mit dem er sie durchlöchert hatte, war unheimlich gewesen und hatte sich in ihr Gedächtnis gegraben.
»Peter, hast du denn nicht für die Klassenarbeit gelernt?«, fragte seine Lehrerin.
Er schaute auf die große rote Sechs und konnte bereits die Schimpftiraden seines Vaters hören.
»Wenn du so weitermachst, wirst du es nicht nur nicht aufs Gymnasium schaffen, du wirst auch die Klasse wiederholen müssen.«
Peter dachte an Camille aus Tale of Friends. Auch sie war sitzengeblieben, und trotzdem war sie glücklich. Es zählte für sie nur die Freundschaft. Gemeinsam waren sie stark. Und Peter wollte unbedingt dazugehören.
»Hörst du mir überhaupt zu?« Die Lehrerin stupste ihn an.
»Ich hatte keine Zeit zum Lernen. Meine Freunde haben mich gebraucht. Finley wurde entführt, und ich musste doch für sie da sein.«
Die Lehrerin runzelte die Stirn. »Was erzählst du denn da? Wer wurde entführt?«
»Mein Freund Finley. Er wurde von einem Geisteskranken gekidnappt und wird in einem Bunker festgehalten.« Peter dachte an die Angst, die Finley gehabt hatte. Und obwohl er ihm leidtat, so hatten ihn dessen panische Augen auch fasziniert. Peter hatte versucht, jede Emotion, die Finley durchlebt hatte, nachzuempfinden. Er würde das niemals vor seinen Freunden zugeben, aber er konnte auch die Gefühle des Täters nachempfinden. Dafür schämte er sich jedoch.
Die Lehrerin räusperte sich. »Ich werde mit deinen Eltern telefonieren.«
Seine Klassenkameraden grinsten ihn an.
Peter war froh, als die Schulglocke läutete und damit das Thema beendet war. Als alle Kinder hinausgerannt waren, packte er seine Sachen in den Schulranzen und verließ das Klassenzimmer.
Da es an diesem Tage recht warm war, entschloss er, nach Hause zu laufen. Im Bus würden ihn sowieso alle nur schikanieren. Darauf hatte er keine Lust. Die zwei Kilometer in den Mühlental würde er in einer halben Stunde schaffen. Es war sowieso nur seiner Faulheit geschuldet, dass er den Bus nahm, denn der brauchte genauso lang wie er zu Fuß, weil er an zig Haltestellen stehen blieb.
Da er die Einsamkeit liebte, wählte Peter den Weg über die Felder. Es war ein kleiner Umweg, jedoch besser als die Pfarrer-Kraus-Straße, wo ihm zur Mittagszeit einige Leute entgegenkommen würden. Über den Silberweg eilte er auf den Falkenweg und schlenderte an den Häusern vorbei. Er mochte es, in die Gärten zu schauen. Wenn er Rutschen, Spielhäuser oder Schaukeln sah, stellte er sich vor, wie er mit anderen Kindern dort spielte. An der Nummer fünfzehn stand immer ein blauer Anhänger, der ihm einmal das Leben gerettet hatte. Als er von einer Horde Jungs gejagt worden war, hatte er sich darin versteckt und war erst wieder herausgekommen, als es schon dunkel wurde.
Am Ende des Falkenweges bog er in den Hannarschweg ein und freute sich, über den Eselsbacherhof zu laufen. Dort roch es nach Kühen, und das liebte Peter. Manchmal bekam er auch frische Milch. Von den Bauern war aber niemand da, so beschloss er, zügig den Eselsbach zu überqueren.
Dieser mündete direkt in den Mühlental, seine Wohnstraße. Dort spielte er am liebsten, denn es gab in der Straße immer nur vereinzelt mal ein Haus, und in keinem davon wohnten Kinder, die ihn ärgern könnten. Der Mühlental war von einem kleinen Wald und Feldern umgeben. Sein Haus war das erste in der Straße und stand etwas versteckt im Wäldchen. Kurz bevor er dort ankam, begrüßten ihn drei Jungs aus seiner Klasse.
»Na, Müllpeter, du hast wohl gedacht, wenn du den Bus nicht nimmst, kannst du uns entkommen?«, fragte einer der Halbstarken.
»Was wollt ihr hier? Ich sage es meiner Mutter, wenn ihr nicht sofort verschwindet.«
Der mollige Fred grinste. »Deine Mutter ist gar nicht da. Wir haben schon längst geklingelt.«
Der speckige Junge war total verschwitzt und schnaufte wie ein Walross.
Peter schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter, der aufgrund seiner Panik zunehmend anschwoll. Mit seinen Augen überflog er die Umgebung, überlegte, in welche Richtung er am besten abhauen sollte. Doch eine Chance rechnete er sich nicht aus. Sie waren zu dritt und zwei von ihnen auch deutlich schneller als er.
»Wo ist denn dein entführter Freund?« Die Jungs lachten und schlugen sich auf die Schulter. »Du erzählst doch nur Märchen. Ich glaube, dass du total spinnst.« Fred machte einen Satz auf Peter zu.
Peter schmiss seinen Schulranzen auf den Boden und rannte los. Ohne Ziel und Plan hastete er in den Wald. Doch es dauerte nicht lange, da hatte Klaus ihn eingeholt und am Kragen gepackt.
Klaus riss ihn zu Boden, setzte sich auf ihn und klatschte ihm eine ins Gesicht. »Du bist ein richtiger Lügner. Und Betrüger müssen bestraft werden.«
»Geh von mir runter«, brüllte Peter und wand sich. »Ich werde ganz laut schreien.«
»Mach doch. Hier hört dich eh keine Sau«, erwiderte Fred arrogant, der sich neben Klaus gestellt hatte.
Der erhob sich, und die beiden Jungs packten Peter an den Armen und zogen ihn hoch. Dann schleiften sie ihn zu einem Baum. Der Dritte hatte ein dickes Seil in der Hand.
Sie banden ihn an den Stamm, zogen ihm die Hose und Unterhose hinunter und beschmierten sein Gesicht mit roter Farbe.
»Wir hätten ihn lieber mit Honig bestrichen, dann kämen die Bienen und hätten was zu fressen«, witzelte Fred.
Die drei lachten.
Fred kam ganz nah an Peter heran. »Du kannst hier verfaulen. Deine Eltern interessieren sich eh nicht für dich, die werden gar nicht merken, dass du fort bist.«
Peter biss sich auf die Oberlippe, um sich das Heulen zu verkneifen. Leider hatte Fred damit recht. Es würde ewig dauern, bis seine Eltern nach Hause kämen, und vielleicht würden sie nicht mal nach ihm suchen. Einzig Oskar bellte im Haus lautstark, weil er sicher merkte, dass etwas nicht stimmte.
Seine Klassenkameraden zogen lachend ab.
Peter versuchte sich aus dem Seil zu befreien, es gelang ihm jedoch nicht, und er gab nach wenigen Minuten erschöpft auf. Die rote Farbe lief ihm in das rechte Auge und brannte wie Feuer.
»Hilfe!«, schrie er laut. Vergeblich.
Mit geschlossenen Lidern verharrte er in der peinlichen Situation, in der Hoffnung, niemand würde ihn so finden. Doch ihm war klar, am nächsten Tag in der Schule würde jeder wissen, dass er halbnackt an einem Baum gefesselt war.
Bitte Camille, kommt mich retten, betete er stumm. Er sehnte sich die fünf so sehr herbei. Sein Opa hatte ihm immer gesagt, wenn man sich etwas ganz doll wünschte, dann würde es auch in Erfüllung gehen.
Von seinen Freunden kam niemand.
Er wusste nicht, wie lange er so dagestanden hatte. Doch es war noch hell, als er ein Auto in die Auffahrt kommen hörte. Als eine Tür zugeschlagen wurde, brüllte er laut: »Hallo? Mama? Papa? Hilfe!«
Nach einem Augenblick raschelte das Laub, und seine Mutter stand vor ihm.
»Hilf mir, Mama. Die Farbe brennt in meinen Augen.«
»Was soll das denn bitte sein? Spinnst du jetzt total?«
»Ich kann nichts dafür. Das waren drei Jungs aus meiner Klasse. Sie haben mich geärgert.«
»Wann fängst du endlich an, dich zu wehren? Du bist ein richtiges Opfer.«
Peters Lippen zitterten. Die harschen Worte seiner Mutter schmerzten ihm. Viel lieber wollte er in ihre Arme genommen werden. Er wollte hören, dass alles wieder gut werden würde und dass sie ihn unterstützen würde. So etwas würde eine gute Mutter doch tun, oder nicht?
Sie band ihn los. »Geh ins Haus, dusch dich, und dann habe ich ein Hühnchen mit dir zu rupfen.«
Seine Mutter dampfte ab. Sie stakelte über den Waldboden, sodass ihre hohen Absätze in dem lockeren Boden einsanken. Es sah aus wie eine watschelnde Ente. Und Peter spürte den Zorn, den sie ausstrahlte.
Natürlich war sie nicht früher nach Hause gekommen, um mit ihm gemütlich zusammenzusitzen. Wahrscheinlich hatte seine Lehrerin angerufen.
Peter stand in dem kleinen Wäldchen, schaute sich um und überlegte einfach abzuhauen. Doch wo sollte er hin? Resigniert trabte er ins Haus. Zog seine Schuhe aus und lief ins Bad. Er ging unter die Dusche, schrubbte sich den Kopf und das Gesicht und ließ seinen Tränen freien Lauf.
Eine Viertelstunde später saß er am Essenstisch.
Seine Mutter trommelte mit den Fingern auf der Platte. »Du weißt, warum wir hier sitzen?«
Peter nickte.
»Weißt du, all den Luxus können wir uns nur leisten, weil dein Vater und ich so hart arbeiten. Dir geht es anscheinend zu gut. Anders kann ich mir dein unmögliches Verhalten nicht erklären.«
»Ich kann nichts dafür. Die Kinder ärgern mich.«
»Ich rede von deinen Märchen, die du deiner Lehrerin aufgetischt hast. Ein entführter Freund. Du hast gar keine Freunde. Sie wollte die Polizei einschalten. Ich konnte uns diese Blamage gerade so ersparen. Dein Vater wird ausflippen.«
»Aber Finley ist wirklich entführt worden.«
»Wer ist Finley? Hast du etwa wieder diese scheußliche Serie geschaut?«
Peter senkte den Blick.
»Bist du denn dumm? Das ist ein Film. Keine Realität.«
Die Wut kochte in ihm und brodelte fast über. Peter sprang auf. »Sie sind meine Freunde. Und wenn ich fest daran glaube, kommen sie mich eines Tages aus diesem schrecklichen Leben retten.«
Seine Mutter schlug auf den Tisch, dass die Gläser klirrten, die noch vom Frühstück dort standen. »Muss ich dich zu einem Psychiater schicken? Sie werden nicht kommen, Peter. Sie existieren nur im Film. Es ist eine ausgedachte Story, eine extrem schlechte noch dazu. Du bist total süchtig. Vielleicht sollte ich dir Fernsehverbot erteilen.«
Peter erwiderte darauf nichts, denn damit konnte seine Mutter ihm nicht wirklich drohen. Sie gab ihm alle fünf Tage Fernsehverbot, aber er hielt sich nie daran. Er war eh immer allein zu Hause. Dass sie so schlecht von seinen Freunden sprach, ärgerte ihn jedoch. »Sie sind jedenfalls für mich da, wenn ich traurig bin. Du bist es nie.«
Seine Mutter sah ihn irritiert an. So lange hatte sie noch nie geschwiegen, wenn er vorlaut gewesen war. Sie erhob sich und lief aus der Küche. Ihre hohen Absätze klapperten auf den glatten Fliesen. Ein Geräusch, das Peter abgrundtief hasste. »Du lässt den Fernseher aus!«
Dann verließ sie das Haus.
Das war es. Peter stand allein in dem großen Haus im kleinen Wäldchen von Arenberg. Seine Mutter hatte getan, was man von einer guten Mutter erwartete, wenn sie einen Anruf von der Schule bekam. Sie war sofort nach Hause gefahren, um mit ihrem Sprössling zu reden. Sein Gefühl war dadurch nicht besser. Für seine Mutter aber war die Sache erledigt. Und nun würde er sich eine Packung Chips nehmen, Tale of Friends anschalten und ihr Verbot einfach ignorieren. So wie immer.
»Was für ein Tag.« Mathias lehnte sich in seinen Fahrersitz und ließ sich die Aussagen der Schüler durch den Kopf gehen. »Im Grunde haben uns nur die Angaben dieser Julia etwas weitergebracht.«
Seine Partnerin Romy öffnete ihr Haar und band es wieder zusammen.
Wäre Mathias zehn Jahre jünger, solo und kinderlos, wäre Romy genau sein Typ Frau. Er beobachtete sie gern, denn sie erinnerte ihn an seine Sara, als sie noch jünger gewesen war.
»Als Erstes fahren wir zu dem Jungen nach Hause und schauen sein Zimmer durch. Außerdem müssen wir uns seine Handydaten beschaffen. Offenbar hat er eine verstörende Nachricht erhalten«, sagte Romy.
»Sein Vater ist ein renommierter Anwalt. Er wird uns den Kopf abreißen, wenn wir einen Fehler machen und Jonas Michels dadurch etwas zustößt.«
Romy verzog ihr Gesicht. »Ich arbeite in diesem Fall genauso akribisch wie in jedem anderen auch. Einziges Ziel: Jonas lebend finden. Was sagt dein Bauchgefühl?«
Mathias seufzte. »Um ehrlich zu sein, nichts Gutes. Er sucht nach seinem Freund, möchte das junge Mädchen heimfahren und erhält dann eine Nachricht, die ihn aus der Fassung gebracht hat. Sollte eine Entführung dahinterstecken, dann hat der Täter den Jungen dadurch wohl angelockt.«
Mathias‘ Handy klingelte. Er nahm ab und stellte die Freisprechanlage an. »Kron.«
Es war sein Kollege Norman Feist. »Sorry, die Störung. Es ist ein Video aufgetaucht, wurde bei Youtube hochgeladen. Zu sehen ist unser Opfer Jonas Michels, der scheinbar irgendwo festgehalten wird. Eine computerverzerrte Stimme faselt irgendetwas vom Spiel seines Lebens.«
»Ja, wir haben das auch gesehen. Die Schüler des Steiner-Gymnasiums waren schon fleißig am Schauen. Wir sind gerade auf dem Weg zu seinen Eltern. Habt ihr eine Spur, von wem dieses Video hochgeladen wurde?«
»Die Kollegen sind noch dran.«
»In Ordnung. Bis später.«
Romy nickte. »Hoffentlich finden wir den Jungen schnell.«
Mathias startete den Motor und fuhr los.
»Wie geht es deiner Frau?«, fragte Romy.
»Viel besser. Sie erholt sich langsam. Die Operation hat sie gut überstanden, doch sie braucht noch eine Reha. Ich bin froh, dass ihre Eltern noch so fit sind und sich um die Kinder kümmern können.«
»Du kannst jederzeit freinehmen.«
Mathias lächelte. »Ja, hab ich ja versucht. Aber Sara fleht mich regelrecht an, wieder arbeiten zu gehen.« Seine Gedanken schweiften zu dem Tag vor drei Wochen, als Sara mit den Kindern eine Radtour gemacht und plötzlich einen Herzinfarkt erlitten hatte. Dabei war sie so ungünstig gefallen, dass sie mit dem Kopf auf einem Stein aufschlagen war und eine Hirnblutung davongetragen hatte. Nach einer OP und einer Woche Koma hatte sie sich Gott sei Dank erholt. Doch der Schock saß bei allen noch tief.
Romy stieß ihn in die Flanke. »Träumst du?« Sie zeigte auf die Ampel. »Es ist grün.«
Sein erster Blick ging in den Rückspiegel, weil er sich wunderte, dass noch keiner gehupt hatte. Aber er stand allein an der Ampel. Er gab Gas.
»Es nimmt dich nach wie vor mit, nicht wahr?«
»Ich bin noch immer schockiert. Sie war eine gesunde, sportliche Frau. Gerade vierzig Jahre alt. Es zeigt, wie schnell alles vorbei sein kann.«
Romy seufzte. »Das stimmt. Ich bin wirklich froh, dass es ihr wieder besser geht. Sie ist zäh.«
»Ja, und schon wieder frech. Sie kann mich nicht ertragen, weil ich sie so betätschle.«
Romy lachte laut auf. »Du bist eben besser im Dienst aufgehoben.«
Mathias parkte das Auto vor dem großen Anwesen der Familie Michels. Davor standen bereits Autos der Kriminaltechnik, die schon vor Ort Spuren sicherten.
Die beiden liefen auf die weiße Villa zu und wurden am Eingang von einer schlanken und adrett gekleideten Dame empfangen. Ihre Augen waren gerötet und stark angeschwollen.
Mathias mutmaßte, dass es sich dabei um die Mutter handelte.
»Guten Tag, ich bin Kommissar Kron, das ist meine Kollegin Blauen.«
»Kommen Sie mit in den Wohnbereich. Dort wartet mein Mann.«
Die beiden folgten Frau Michels durch einen langen Flur, der größer war als Mathias‘ ganzes Einfamilienhaus. Die Decken waren sehr hoch, und alles war sehr pompös eingerichtet.
Sie betraten ein Zimmer, das dem Innenraum eines Museums glich. Dort stand ein Mann in schwarzem Designeranzug an den hohen Fenstern und schaute in die Ferne.
»Liebling, die Kommissare sind da.« Die Mutter setzte sich auf einen Ledersessel und bot Mathias und Romy einen Platz auf dem Sofa an.
Mathias stellte sich dem Vater noch einmal vor. »Wir würden gern noch ein paar Fragen stellen, die Sie sicher schon einmal unseren Kollegen von der Streife beantwortet haben. Manchmal fällt einem aber nachträglich noch etwas ein.«
»Zunächst hätte ich erst einmal gewusst, wie Sie das Video einschätzen, das gerade in den Medien verbreitet wird«, fragte Herr Michels streng.
»Meine Kollegen gehen dem bereits nach, und wir werden alles tun, dass es so schnell wie möglich verschwindet. Leider bestätigt es den Verdacht, dass Ihr Sohn entführt wurde. Deshalb ist Eile geboten.«
»Und was tun Sie gerade dafür?« Michels verschränkte die Arme. Er war ein hochgewachsener breitschultriger Mann, dessen gesamtes Auftreten Respekt einflößte.
»Derzeit laufen Befragungen, bei den Partygästen, den Schülern am Gymnasium. Wir klingeln bei den Nachbarn des Partyveranstalters und fordern diese auf, ihre Garagen und Nebengebäude zu kontrollieren, ob Jonas vielleicht irgendwo dort Unterschlupf gesucht hat. Und wir werden die Handydaten Ihres Sohnes einsehen, denn in der Schule sagte ein Mädchen aus, dass Jonas unmittelbar vor seinem Verschwinden mehrere Nachrichten erhalten hat, die ihn verstört haben sollen, woraufhin er überstürzt aufgebrochen sei.«
Herr Michels nickte, und seine Mimik wurde sanfter. »Wenn ich irgendetwas tun kann, sagen Sie Bescheid. Auch Geld spielt keine Rolle.«
»Überlegen Sie noch einmal, ob Sie wirklich alle Freunde angerufen haben«, hakte Mathias nach, auch wenn er sich sicher war, dass Jonas wahrscheinlich nicht freiwillig verschwunden war.
»Haben wir«, antwortete der Vater. »Hat man denn schon seinen Roller gefunden?«
»Darüber habe ich noch keine Meldung. Wir tun alles, um Ihren Sohn zu finden. Dürfen wir uns noch kurz mit unserem Team besprechen? Danach würden wir fahren.«
»Selbstverständlich. Meine Frau bringt Sie nach oben. Vielen Dank.«
Romy und Mathias erfragten bei den Kollegen der KTU den Stand, die jedoch noch nichts Brauchbares im Zimmer des Jungen gefunden hatten. Anschließend verabschiedeten sie sich und fuhren zum Präsidium.
Mathias bog auf den Parkplatz des Präsidiums ein. Seinen Job liebte er, trotzdem hatte er sich fest vorgenommen, seine Stelle zu reduzieren, sobald Sara wieder nach Hause kam. Er war immer schnell dabei, einzuspringen, doch das würde sich fortan ändern. Er musste lernen, Nein zu sagen.
Als die beiden im Büro ankamen, rief Mathias das Team in den Besprechungsraum. Er hängte ein Foto von Jonas Michels an die Pinnwand und wartete, bis seine Kollegen saßen. Romy stellte ihm ein Glas Wasser auf den Tisch.
»Gut, wir übernehmen den Fall Jonas Michels. Ein siebzehnjähriger Gymnasiast, der seit letzter Nacht als vermisst gilt.« Er zeigte auf das Foto des Schülers, der mit seinem strahlenden Lachen sicher einige Herzen zum Schmelzen brachte. Sein blondes Deckhaar war zu einem Zopf zusammengebunden, die Seiten kurz geschoren. »Das Bild ist aktuell. So ist sein Stil. Sein Freund bestätigt, dass er die Haare immer so trägt.«
»Jonas war gestern auf einer Party im Hause der Familie Schröder in Koblenz Immendorf. Der zwanzigjährige Sohn hatte sturmfrei und ein paar Gäste geladen. Darunter waren viele Schüler des Steiner-Gymnasiums.« Romy sah zu Mathias.
»Wahrscheinlich ist der Junge einfach nur mit einem Flirt abgezogen und hat vergessen, nach Hause zu gehen«, erwiderte Kollege Feist.
»Prinzipiell wäre ich da auch nicht gleich besorgt, doch in diesem Fall schon«, antwortete Mathias. Es war nicht unüblich, dass Jugendliche in dem Alter einfach mal für ein paar Tage von zu Hause fortblieben. »Jonas gilt als sehr zuverlässig. Er hatte kurz vor seinem Verschwinden eine Unterhaltung mit einem Mädchen. Diese sagt aus, dass er sie nach Hause fahren wollte, dann jedoch mehrere Nachrichten bekommen hat, die ihn offenbar verstört haben. So sehr, dass er sogar erbrochen hat. Er hatte es dann ganz eilig, wegzukommen.«
»Und er hat niemandem etwas gesagt?«, fragte der Kollege.
Mathias schüttelte den Kopf. »Er sprach von einem Freund, der Hilfe brauchte. Zuvor hatte er nach seinem besten Freund gesucht, den er mehrere Stunden nicht gefunden hatte. Was mich auch besorgt, ist der Film, der vorhin in den Netzwerken umging. Wir müssen von einer Entführung ausgehen.«
»Habt ihr diesen Freund bereits befragt?« Petra Schiller, die erst seit zwei Wochen im Team war, machte sich Notizen.
»In der Schule. Er hat erzählt, dass er mit einem Mädchen zugange war und deshalb nicht auf die Anrufe seines Freundes reagiert hat. Als er dann später nach Hause wollte, war Jonas verschwunden. Er hat ihn angerufen, und Jonas wirkte auf ihn verwirrt. Er hat ihn gefragt, ob er ihn verarschen wolle.«
Romy verschränkte die Arme. »Wir haben diesen Freund mit seinen Eltern herbestellt, um eine Aussage aufzunehmen.«
»Dann sollten wir sein Alibi prüfen. Irgendwie klingt das merkwürdig«, sagte Norman Feist. Er war etwas brummig, oft auch richtig mies gelaunt, doch er irrte sich nur selten. Seine jahrelange Erfahrung war eine große Bereicherung für das Team.
»Du glaubst, der Junge könnte etwas mit dem Verschwinden zu tun haben?«, fragte Romy.
Feist zuckte die Schultern. »Sag ich nicht. Aber erst ist er stundenlang verschwunden, dann will er heim. Er ruft seinen Freund an, der glaubt, dass er ihn verarscht. Warum glaubte Jonas das?«
»Dem gehen wir nach«, sagte Mathias. »Schauen wir uns das Video noch mal an.«
Romy erhob sich, öffnete das Programm und ließ das Video abspielen.
Mathias bekam Bauchschmerzen, wenn er den verängstigten Jungen sah. »Ich hoffe, der Film ist bereits aus den Medien verschwunden?«
Ein Kollege aus der Abteilung für Cyber-Kriminalität nickte. »Wir haben es im Griff, aber wie immer gilt: Es verschwindet nie ganz aus dem Internet.«
»Seine Eltern sind reich, vielleicht handelt es sich hier um eine Lösegelderpressung«, fuhr Mathias fort. »Wir haben zwei Kollegen bei der Familie sitzen, falls dahingehend etwas reinkommt. Die Spurensicherung ist noch im Gange, es wurde bislang nichts gefunden, was uns weiterhelfen könnte.«
»Jonas ist der Sohn des berühmten Staranwaltes Michels«, sagte Feist. »Das macht den Fall noch viel komplizierter. Er wird uns alle auseinandernehmen, wenn wir seinen Sohn nicht lebend finden.«
»Deshalb sollten wir uns sputen. Denn wir wissen, mit jeder Stunde, in der wir den Jungen nicht aufspüren, wird die Gefahr größer, dass wir ihn nur tot finden.« Mathias erhob sich. »Wir prüfen die Daten von dem Provider des Jungen. Norman, du holst dir die Anordnung vom Staatsanwalt. Mach ihm bitte die Dringlichkeit klar. Ich will wissen, was er für Nachrichten bekommen hat. Romy, wir vernehmen den Freund Hannes und checken das Alibi genauer. Außerdem war Jonas mit seinem Roller auf der Party, der dort aber nicht mehr ist. Er könnte also mit dem Ding losgefahren sein. Danach fahnden wir auch. Petra, du besprichst mit der Pressestelle die Meldung und offizielle Fahndung. Jonas trug am Abend der Party eine schwarze Jeans, ein schwarzes Shirt und weiße Sneaker der Marke Puma.«
Romy und Petra nickten.
