Adalbert Stifters Ausgewählte Prosa I - Adalbert Stifter - E-Book

Adalbert Stifters Ausgewählte Prosa I E-Book

Adalbert Stifter

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Beschreibung

»Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels das Schimmern der Gestirne halte ich für groß; das prächtig einherziehende Gewitter, den Blitz, welcher Häuser spaltet, den Sturm, der die Brandung treibt, den feuerspeienden Berg, das Erdbeben, welches Länder verschüttet, halte ich nicht für größer.« (Adalbert Stifter, Bunte Steine, Vorrede, unten S. 139) In seinen Landschaftsbeschreibungen, propagiert dieser Pionier der Moderne nur scheinbar Idyllen. Stifter ist demütig vor dem Plan der Dinge, er trauert um Verlorenes und Nicht-Erreichbares, nichts ist ihm zu klein, vielleicht vermag man sogar in unseren lärmenden Tagen bei der Lektüre seiner Werke die einzelnen Minuten zu hören, wie sie in den Ozean der Ewigkeit hinuntertropfen.

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Orlando Syrg Taschenbuch 12023

OR SY TA

Exemplarische Werke der Weltliteratur

herausgegeben von

Joerg K. Sommermeyer

Über dieses Buch

»Das Wehen der Luft das Rieseln des Wassers das Wachsen der Getreide das Wogen des Meeres das Grünen der Erde das Glänzen des Himmels das Schimmern der Gestirne halte ich für groß; das prächtig einherziehende Gewitter, den Blitz, welcher Häuser spaltet, den Sturm, der die Brandung treibt, den feuerspeienden Berg, das Erdbeben, welches Länder verschüttet, halte ich nicht für größer.« (Adalbert Stifter, Bunte Steine, Vorrede, unten S. 139)

In seinen Landschaftsbeschreibungen, propagiert dieser „Pionier der Moderne“ nur scheinbar Idyllen. Stifter ist demütig vor dem „Plan der Dinge“, er trauert um „ Verlorenes und Nicht-Erreichbares“, nichts ist ihm zu klein, vielleicht vermag man sogar in unseren lärmenden Tagen bei der Lektüre seiner Werke „die einzelnen Minuten zu hören, wie sie in den Ozean der Ewigkeit hinuntertropfen

Der Autor

Adalbert Stifter, österreichischer Schriftsteller, Maler und Pädagoge, wurde am 23. Oktober 1805 in Oberplan/Böhmen geboren und starb am 28. Januar 1868 in Linz. Er zählt zu den großen deutschsprachigen Autoren nicht nur des Biedermeier. Stifter schuf Erzählungen und Novellen (Sammelbände »Studien« und »Bunte Steine«) sowie die monumentalen Romane »Der Nachsommer« und »Witiko«. Ausführlicher Biographischer Abriss des Herausgebers Joerg K. Sommermeyer: unten, S. 235 ff.

Der Herausgeber

Joerg K. Sommermeyer (JS), geb. am 14.10.1947 in Brackenheim, Sohn des Physikers Kurt Hans Sommermeyer (1906-1969). Kindheit in Freiburg. Studierte Jura, Philosophie, Germanistik, Geschichte und Musikwissenschaft. Klassische Gitarre bei Viktor v. Hasselmann und Anton Stingl. Unterrichtete in den späten Sechzigern Gitarre am Kindergärtnerinnen-/ Jugendleiterinnenseminar und in den Achtzigern Rechtsanwaltsgehilfinnen in spe an der Max-Weber-Schule in Freiburg. 1976 bis 2004 Rechtsanwalt in Freiburg. Zahlreiche Veröffentlichungen. JS (Joerg Sommermeyer) lebt in Berlin und Lahnstein.

Orlando Syrg, Berlin, 5. März 2023

Inhalt

Über dieses Buch

Der Autor

Der Herausgeber

Studien

Vorrede

Der Hochwald

2. Waldwanderung

Die Mappe meines Urgroßvaters

3. Der sanftmütige Obrist

4. Margarita

Abdias

I. Esther

II. Deborah

III. Ditha

Bunte Steine

Vorrede

Einleitung

2. Kalkstein

4. Bergkristall

5. Katzensilber

Biographischer Abriss des Herausgebers Joerg K. Sommermeyer

Portrait Adalbert Stifters

(

Kohlezeichnung von JS, Februar 2015, nach einem Gemälde von Bartholomäus Székely,1835-1910)

Studien

[6 Bände, Gustav Heckenast, Pest / Leipzig 1844-1850]

Seiner Mutter und seinen Geschwistern widmet diese ersten Versuche der Verfasser

Vorrede

In beifolgenden Versuchen wird dem Publikum eine Sammlung loser Blätter vorgelegt, die sich zu verschiedenen Zeiten von meinem Schreibtische verloren hatten. Es lag eigentlich nie in meiner Absicht, als Schriftsteller aufzutreten, sondern wie die meisten Menschen eine Lieblingsspielerei haben, der sie sich zur Erheiterung hingeben, so liebte ich es, an gegönnten Stunden mich in Bildern und Vorstellungen zu ergehen, wie sie eben der Gemütslage zusagten, und solche Dinge zu Papiere zu bringen: allein wie es mit jeder Liebhaberei geht, dass man sie nämlich immer weiter treibt, so ging es auch hier. Die Zeit am Schreibtisch ward endlich die liebste und gewünschteste, und wie jede heimliche Liebe zuletzt eine offene wird, wird es auch die Schriftstellerei und ist man einmal so weit, dass man mehrere zerstreute Blätter in den Händen des Publikums weiß, so ist der Schritt ein ganz leichter, dass man sie sammelt und ein Buch daraus macht, ob mit Recht oder zu Unrecht, weiß ja der Verfasser selber nie, da er aus seinen Arbeiten zuletzt doch immer nur das Gewollte herauslieset, nicht das Gewirkte. Auf diese Weise entstanden folgende Bände, und auf diese Weise wünscht der Verfasser, dass man ihr Erscheinen entschuldige.

Auf eine vorteilhafte Zusammenstellung der Arbeiten habe ich nicht gesonnen, sondern ich ließ sie so folgen, wie sie entstanden sind, dass sich dem, der das Buch seiner Durchsicht würdigt, zeige, ob ein Fortschritt zu bemerken sei oder nicht. Die Fehler, welche mir durch zugekommene Urteile bekannt geworden sind, habe ich, soweit ich sie einsah, zu verbessern gesucht, da ich den ganzen Stoff umarbeitete, die andern, die ich nicht einsah, oder deren Vermeidung außer den Grenzen meiner Kräfte lag, sind freilich stehen geblieben. Auf Schriftstellertum macht das Vorliegende keinen Anspruch, Sondern sein Wunsch ist nur, einzelnen Menschen die ungefähr so denken und fühlen wie ich eine heitere Stunde zu machen, die dann vielleicht weiter wirkt und irgendein sittlich Schönes fördern hilft. Ist dies gelungen, dann ist der Zweck dieser Blätter erreicht, und sie mögen vergessen werden ist doch selbst die glänzendste Tat der Gegenwart eigentlich nur ein Baugerüst der Zukunft, und wird abgebrochen, so wie diese Zukunft fertig ist aber eben darum geht auch nicht das kleinste Körnchen verloren, das in der Gegenwart ein wahrhaft Gutes setzt; denn der ganze Bau der Ewigkeit ruht mit auf diesem Körnchen.

Und möchten die vorliegenden Schriften nur die kleinsten aus solchen kleinen Körnchen enthalten, dann bereut der Verfasser nicht die Zeit, die er auf ihre Abfassung verwendet, und nicht die Gefühle, womit ihn Gott während der Arbeit belohnt hat.

Wien, im Mai 1843, A. Stifter

Der Hochwald

2.Waldwanderung

Es sind noch heutzutage ausgebreitete Wälder und Forste um das Quellengebiet der Moldau, dass ein Bär keine Seltenheit ist, und wohl auch noch Luchse getroffen werden; aber in der Zeit unserer Erzählung waren diese Wälder über alle jene bergigen Landstriche gedeckt, auf denen jetzt gereutet ist, und die Walddörfer stehen mit ihren kleingeteilten Feldern, weißen Kirchen, roten Kreuzen und Gärtchen voll blühender Waldbüsche. Wohl acht bis zehn Wegestunden gingen sie damals in die Breite, ihre Länge beträgt noch heute viele Tagreisen.

An dem Laufe eines frischen Waldwassers, das so klar wie flüssiges Glas unter nassgrünen Erlengebüschen hervorschießt, führt ein gewundenes Tal entlang, und in dem Tal geht heutzutage ein reinlicher Weg gegen das Holzdorf Hirschbergen, das seine malerischen hölzernen Waldhäuser zu beiden Seiten des Baches auf die Abhänge herumgestreut hat. Diese Abhänge prangen mit Matten der schönsten Bergkräuter, und mit mancher Herde, deren Geläute mit einzelnen Klängen sanft emporschlägt zu der oben harrenden Stille der Wälder. Damals aber war weder Dorf noch Weg, sondern nur das Tal und der Bach, jedoch diese noch schöner, noch frischer, noch jungfräulicher als jetzt, besetzt mit hohen Bäumen der verschiedensten Art. An der einen Seite des Wassers standen sie so dünne, dass sich der grüne Rasen wie ein reines Tuch zwischen den Stämmen dahinzog, ein Teppich, weich genug selbst für den Fuß einer Königstochter. Aber kein Fuß, schien es, hat seit seinem Beginn diesen Boden berührt, als etwa der leichte Tritt eines Rehs, wenn es zu dem Bach trinken kam, oder sonst zwischen den Stämmen und Sonnenstrahlen lustwandeln ging. Heute aber war der Tag gekommen, wo die Heerschar der Gräser und Blümlein dieses Rasens, ungleich ihren tausendjährig stillen und einsamen Ahnherren, zum ersten Mal etwas anderes sehen sollten, als Laubgrün und Himmelsblau, und etwas anderes hören, als das Gemurmel der Wellen.

Klare, liebliche, silberhelle Menschenstimmen Mädchenstimmen drangen zwischen den Stämmen vor, unterbrochen von dem teilweisen Anschlage eines feinen Glöckleins.

Gleichsam wie lauschend dem neuen Wunder hielt die Wildnis den Atem an, kein Zweig, kein Läubchen, kein Halm rührte sich die Sonnenstrahlen traten ungehört auf das Gras und prägten grüngoldne Spuren die Luft war unbeweglich, blank und dunkelblau nur der Bach, von seinem Gesetz gezwungen, sprach unaufhörlich fort, flüchtig über den Schmelz seiner Kiesel schlüpfend wie über eine bunte Glasur. Näher und näher klangen Stimmen und Glöcklein. Plötzlich sprang eine Gestalt vor elfig, wie einst Libussas Mutter, in schneeweißem Kleide saß sie auf schneeweißem Pferdlein, das so zartfüßig wie ein Reh, kaum den Rasen eindrückend, halb hüpfend, halb spielend seine Last wie eine schwebende Feder zwischen den Stämmen hervortrug; zwei Demanten leuchteten voran, neugierig das fernere Geheimnis des Waldes suchend. Johannas Augen waren es, die heiter, glänzend, freudig vorausflogen, um die Schönheit des Tages und die ausnehmende Lieblichkeit des Plätzchens vorweg zu genießen auch das Pferdchen, Luft gewinnend zwischen den hochschaftigen, weitstehenden Bäumen, spielte neckisch vorwärts, baumelnd und neigend mit Kopf und Hals, als wollte es zu eigener Freude recht oft das silberne Glöcklein erklingen lassen, das es an himmelblauem Band um den Nacken trug. Hinter Johanna erschien nun auch Clarissa, auf einem ähnlich gezäumten Pferd, das aber hellbraun und ohne den kindischen Schmuck des Glöckleins war. Sie trug ebenfalls ein weißes Kleid.

Auch der stattliche alte Ritter wurde sofort sichtbar, und ihm zur Seite ein schöner blonder Jüngling, oder vielmehr fast noch ein Knabe, der oben angeführte Felix, der Bruder der Mädchen, beide zu Pferde, und endlich noch ein fünfter Reiter, ein hoher Mann mit sprechendem Antlitz, nachlässig edel sein Pferd zwischen den schlanken Waldsäulen vorwärts geleitend und, wie es schien, in seine dunklen Augen nachdenklich einprägend die so schönen vor ihm schwebenden schuldlosen Gestalten.

Die Waldblumen horchten empor, das Eichhörnchen hielt auf seinem Buchenast inne, die Tagfalter schwebten seitwärts, als sie vordrangen, und die Zweiggewölbe warfen blitzende grüne Karfunkel und fliegende Schatten auf die weißen Gewänder, wie sie vorüberkamen; der Specht schoss in die Zweige, Stamm an Stamm trat rückwärts, bis nach und nach nur mehr weiße Stückchen zwischen dem grünen Gitter wankten und endlich selbst die nicht mehr aber auch der Reiter tauchte in die Tiefe des Waldes und verschwand, und wieder nur der glänzende Rasen, die lichtbetupften Stämme, die alte Stille und Einöde und der dareinredende Bach blieben zurück, nur die zerquetschten Kräutlein suchten sich aufzurichten, und der Rasen zeigte seine zarte Verwundung. Vorüber war der Zug unser lieblich Waldplätzchen hatte die ersten Menschen gesehen.

Immer entlang dem Waldbach, aber seinen Wassern entgegen geht der Zug, sich vielfach windend und biegend, um den tiefer hängenden Ästen und dem dichteren Stande der Bäume auszuweichen. Sie betrachten und vergnügen sich an den mancherlei Gestaltungen des Waldes. Die vielzweigige Erle geht am Wasser hin, die leichte Buche mit den schönfarbigen Schäften, die feste Eiche, die schwanken Halme der Fichten stehen gesellig und plaudern bei gelegentlichen Windhauchen, die Espe rührt hierbei gleich alle ihre Blätter, dass ein Gezitter von Grün und Silber wird, das die Länge lang nicht auszutaumeln und auszuschwingen vermag der alte Ahorn steht einsam und greift langarmig in die Luft die Tannen wollen erhabne Säulengänge bilden, und die Büsche, Beeren und Ranken, gleichsam die Kinder, sind abseits und zurück in die Winkel gedrängt, dass mitten Raum bleibe für hohe Gäste. Und diese sind auch gekommen. Frei und fröhlich ziehen sie das Tal entlang.

Wer die Gesichter der Mädchen ansieht, wie sie doppelt rein und zart neben dem dunkeln Grunde des Waldlaubes dahinschweben, wie sie blühend und vergnügt aus dem wallenden weißen Schleier des Kopfschmuckes herausblicken der hätte nicht gedacht, dass sie sich noch kürzlich so sehr vor diesen Wäldern fürchteten und scheuten. Johanna blieb fast immer an der Spitze, wie sie ihrer Natur gemäß sich vorher unmäßig fürchtete, so freute sie sich auch jetzt unmäßig und von dem zarten Rot, das sie sich beim Abschied vom Hause in die Augen geweint hatte, war keine Spur mehr sichtbar.

Die Pracht und Feier des Waldes mit allem Reichtum und aller Majestät drang in ihr Auge und legte sich an ihr kleines Herz, das so schnell in Angst, aber auch so schnell in Liebe überfloss und jeder Schritt gab ihrer Einbildungskraft neuen Stoff, war es nun ein seltsamer Strauch, mit fremden glühend roten Beeren überschüttet, oder war es ein mächtiger Baum von ungeahnter Größe oder die schönen buntfarbigen Schwämme, die sich an Stellen schoben und drängten, oder war es ein plötzlich um eine Ecke brechender Sonnenstrahl, der die Büsche vor ihr in seltsames grünes Feuer setzte und aus unsichtbaren Waldwässerchen silberne Funken lockte, oder war es endlich dieser oder jener Ton, der als Schmelz oder Klage, als Ruf oder Mahnung aus der Kehle eines Waldvogels tief aus den ferneren geahnten Waldschoßen drang. Alles fiel in ein schon aufgeregtes, empfangendes Gemüt. Clarissas edles Angesicht lag liebreich ruhevoll dem Himmel offen, der zwischen den Ästen festlich wallend sein Blau hereinhängen ließ und erquicklich seine Luft um ihre lieben sich färbenden Wangen goss; wie ein schöner Gedanke Gottes senkte sich gemach die Weite des Waldes in ihre Seele, die dessen unbewusst in einem stillen und schönen und sanften Fühlen dahinwogte. Selbst der alte Freiherr empfand sich in der freien Luft wie gestählt und von einem frischen Hauche seiner Jugend angeweht.

So ritten sie alle vorwärts, und wenn auch die Bäume und Gesträuche oft stellenweise sich zusammendrängten und sich ihnen entgegenstellten, so fanden sie doch immer wieder einen Ausweg, der sie vorwärts geleitete, tiefer und tiefer in das Tal hinein, das die Wiege des ihnen begegnenden Baches war.

Der Vater, wo es die Stellen zuließen, ritt gerne an die Seite der Mädchen und sprach und kosete mancherlei mit ihnen. Felix war bald vorne bei den Schwestern, bald hinten bei dem nachdenklichen Reiter.

Endlich wurde der Boden so ansteigend und der Waldbestand so dicht, dass das Weitervordringen immer beschwerlicher ward, bis sie zuletzt zu einem Felsen gelangten, der jede weitere Aussicht zu verstellen schien; aber eben dieser Felsen war auch das glücklich erreichte Ziel, das sie vor der Hand mit ihrer Wanderung anstrebten; auch war der Gegenstand, den sie hier antreffen sollten, bereits allen Augen sichtbar. Ein alter Mann saß in der Nachmittagssonne an dem glänzenden Gestein und hatte den Kopf in seine Hände gestützt, als schlummere er, oder denke nach. Zu seiner Seite lag ein Feuergewehr und ein langer Waldstock. Die Mädchen stutzten, und eine heftige Furcht schien Johannen zu fassen, obwohl sie wusste, dass man einen Führer erwarte. Bei dem Annähern der Reitergesellschaft, insbesondere der zögernden Mädchen, stand er auf und entblößte sein Haupt, indem er den breiten beschattenden Hut von demselben herabzog schneeweiße Haare wallten den Blicken der Mädchen entgegen, zurückweichend von einer Stirn, die hoch und schön gewölbt, aber tiefbraun und von den Linien des Hochalters gefurcht war zwei große treuherzige Augen sahen zu ihnen hinauf, in ihrer Schwärze seltsam abstechend gegen die zwei schneeweißen Bogen, die sich über ihnen spannten. Auf den harten Wangen lag Sonnenbrand, Alter und Gesundheit.

Von aller Furcht erlöst, erwiderte Johanna zierlich seinen Gruß, und bei dem zweiten und dritten Blick musste sie ihm schon gut sein eine solche eherne Einfalt und Güte prägte sich in der ganzen Gestalt aus, wie er dastand und sie alle mit den klugen Augen ansah.

Man war nach und nach abgestiegen, und der alte Freiherr trat auf den Erwartenden zu, schüttelte ihm die Hand, die der andere ohne Zögern dargereicht hatte, und sagte freudig: »Gott grüße dich, Gregor, Gott grüße dich tausendmal; so haben wir uns doch noch einmal in diesem Leben gesehen aber, Knabe, alt sind wir geworden, seit wir in dem Jungwald zum letzten Male miteinander jagten alt, alt .«

Freilich waren sie alt geworden, das sahen die jungen Begleiter alle, die seitwärts standen und sämtlich ihre Blicke auf die zwei Greise hefteten. Es war ein schöner Anblick, wie sie dastanden, beide so ungeheuer verschieden, und beide doch so gleich. Der Freiherr, wie gewöhnlich, im schwarzsamtnen Kleid, der andere in dem gröbsten grauen Tuch; der Freiherr, obwohl gebräunten und gefurchten Antlitzes, doch fast mädchenhaft weiß gegen die dunkle Sonnenfarbe des andern, ein Stubenbewohner gegen den Genossen des Mittagsbrandes und des Sturmes; der eine ein Sohn der Waffen, die er einst geführt mit Grazie und Kraft, jetzt zum Dank von ihnen geschmückt; der andere ein Bruder des Felsens neben ihm. Siebenzig Jahre sind Regen und Sonnenschein vergeblich auf beide gefallen, sie sind beide nur ein wenig verwittert der eine mit dem Anstand der Säle, der andere mit dem der Natur; aber schön sind sie beide, und ehrwürdig beide, beide der Abglanz einer großgearteten Seele, und das Haarsilber liegt mit all der Unschuld des Alters auf ihrem Haupte.

»Ja«, erwiderte Gregor, »wir mögen wohl um eine Handvoll Jahre gealtert sein. Herr, Eure braunen Haare sind seitdem auch alle ganz weiß geworden. Ich bin sehr erfreut, Euch noch einmal zu sehen, Ihr wart damals ein freundlicher, zugänglicher Herr.«

»Und du ein lustiger, goldtreuer Jäger. Siehe, das habe ich nie vergessen, und wie mir der Knabe da von dir erzählte, dass er dich in dem Walde gefunden, und dass du ihn so lieb habest, so erfreute sich mein altes Herz darüber, und ich dachte, er wird wohl des Vaters nicht vergessen haben, und deshalb, Gregor, gebe ich dir meine Kinder in den Schutz Gott gab mir den Gedanken, dich dazu auszuwählen, als alten, wohlbekannten Freund und Kameraden. Siehe, diese zwei Mädchen sind mein; sie werden dir recht gut sein, und die Hand und das Haupt ehren, so über ihnen wacht.«

Des alten Mannes Augen erglänzten, wie von einem melancholischen Strahl der Freude, als er dieses hörte, und seine Blicke, wie zwei Adler, gegen die Mädchen kehrend, sagte er: »Sie sind zwei schöne Waldblumen; es wäre schade, wenn sie verkämen.« Und er konnte seine Augen ordentlich gar nicht zurückziehen, als ihm die sanften, glänzenden Blicke der zwei schönen Wesen vor ihm begegneten.

»Tritt näher, Johanna«, sagte der Freiherr, »und reiche diesem Manne die Hand; er wird nun längere Zeit bei euch leben.«

Johanna tat es augenblicklich. Der alte Mann reichte die seine fast verschämt zögernd hin, und es war eine seltsame Vermählung, ein lieblicher Gegensatz, als sich ihre weiche, kleine Hand, wie eine Taube, in die Felsen seiner Finger dockte, auch Clarissa reichte ihm ungeheißen ihre schöne Rechte, und auch Felix und der fremde Ritter hießen ihn willkommen.

Der alte Jäger hatte sichtliche Freude an den Mädchen; das sah man an der Art, wie er dem Freiherrn alle die Anstalten auseinandersetzte, die er zum Weiterkommen getroffen habe. Von hier aus sollen die Pferde zurückgeschickt werden, sobald des Freiherrn Beauftragter eingetroffen, dann gehe man über den Hirschfelsen zu Fuß, und jenseits warte schon eine zweisitzige Sänfte für die Jungfrauen. Die Männer müssen sie alle zu Fuße begleiten.

Als er noch sprach, kamen drei Männer über den Felsen herüber, die den Freiherrn ehrerbietig grüßten. Sie waren die Bestellten. Sofort wurden ihnen die Pferde übergeben mit der Weisung, sie zurückzuführen bis Pernek, um dort auf weitere Anordnung zu warten. Johanna umarmte fast ihr kleines weißes Rösslein, und dieses, als betrübe es sich um seine Herrin, ging traurigen Auges und gesenkten Hauptes hinter seinem Führer.

Man nahm an dem Felsen ein kleines Mahl, und eine andere Wanderung begann nun. Der Schutz des Vaters und des fremden Reiters, den der Freiherr immer bloß mit dem Namen ›Ritter‹ anredete, hörte auf, und es begann der des alten Jägers, dem der Freiherr mit vielem Lachen erzählte, wie ihn seine törichte Tochter Johanna für einen furchtbaren Wildschützen gehalten, der in dem entsetzlichen Walde sein Unwesen treibe und wie sie ihn nun mit so freundlichen Augen ansehe, und in den Wald nun begierig wie in eine liebliche grüne Fabel eindringe. Nur ein kurzer, für Sänften ungangbarer Felsensteig war zu erklimmen, und sie traten wieder auf einen Rasenplatz hinaus, wo zwei Männer mit einer Sänfte harrten. Die Mädchen stiegen ein, und mit dem alten Jäger an der Spitze schlug die Gesellschaft einen Weg ein, der mit dem Tal der Hirschberge einen rechten Winkel bildete.

Die Nachmittagssonne war schon ziemlich tief zu Rüste gegangen und spann schon manchen roten Faden zwischen den dunklen Tannenzweigen herein, von Ast zu Ast springend, zitternd und spinnend durch die vielzweigigen Augen der Himbeer- und Brombeergesträuche

daneben zog ein Hänfling sein Lied wie ein anderes dünnes Goldfädchen von Zweig zu Zweig, entfernte Berghäupter sonnten sich ruhig, die vielen Morgenstimmen des Waldes waren verstummt, denn die meisten der Vögel arbeiteten, oder suchten schweigend in den Zweigen herum. Manche Waldlichtung nahm sie auf und gewährte Blicke auf die rechts und links sich dehnenden Waldrücken und ihre Täler, alles in wehmütig feierlichem Nachmittagsdufte schwimmend, getaucht in jenen sanftblauen Waldhauch, den Verkünder heiterer Tage, daraus manche junge Buchenstände oder die Waldwiesen mit dem sanften Sonnengrün der Ferne vorleuchteten. Soweit das Auge ging, sah es kein ander Bild, als denselben Schmelz der Forste, über Hügel und Täler gebreitet, hinausgehend bis zur feinsten Linie des Gesichtskreises, der draußen am Himmel lag, glänzend und blauend wie seine Schwester, die Wolke. Selbst als sie jetzt einen ganz baumfreien Waldhügel erstiegen hatten, und der alte Gregor der wundervollen Umsicht halber sogar die Sänfte etwas halten ließ, ging der Blick wohl noch mehr ins Weite und Breite, aber kein Streifchen nur linienbreit wurde draußen sichtbar, das nicht dieselbe Jungfräulichkeit des Waldes trug. Ein Unmaß von Lieblichkeit und Ernst schwebte und webte über den ruhenden dämmerblauen Massen. Man stand einen Augenblick stumm, die Herzen der Menschen schienen die Feier und Ruhe mitzufühlen; denn es liegt ein Anstand, ich möchte sagen ein Ausdruck von Tugend in dem von Menschenhänden noch nicht berührten Antlitz der Natur, dem sich die Seele beugen muss, als etwas Keuschem und Göttlichem, und doch ist es zuletzt wieder die Seele allein, die all ihre innere Größe hinaus in das Gleichnis der Natur legt.

Die Gemüter der Mädchen, wie sie so dasaßen in ihrer Sänfte und wie zwei Engelsbilder aus einem Rahmen herausschauten, erweiterten sich und hoben sich, und fast war alle Sorge um zu Hause verlassene Erdengüter von ihnen abgefallen die Blumen ihrer Herzen, die Augen, schauten glänzend hinaus in die schöne Welt, und waren selbst schöner als sie auf ihrem schmalen Brettchen mussten sie jede den einen Arm um die andere schlingen, und die Herzen, die sich fast gegenseitig schlagen hörten, hätten sich gerne noch fester aneinander gedrückt, um sie nur zeigen zu können, die unbegrenzte Fülle von Liebe und Güte, die sie zueinander hatten.

Der alte Gregor tupfte endlich mit der Hand an den Sänftenrand, und zeigte rechts hinüber auf einen machtvollen schwarzblau hereingehenden Waldrücken, von grauen Felsenbändern schräge gestreift, die aber kaum sichtbar waren in dem Funkeln und Dämmern der Luft. »Seht«, sagte er, »das ist das Ziel unserer Reise, und wir müssen heute noch fast bis auf zwei Drittel gegen seine Scheidelinie hinauf. Der Platz hier hat etwas wunderlich Zutunliches, und ich wusste, dass er euch gefallen müsse, aber die Sonne neigt sich der Wand zu, und wir müssen weiter.«

»Ja, ja«, fuhr er fort, als man die Sänfte wieder aufgenommen hatte und die andere Seite des Waldhügels hinabging »ja, ja, schöne Jungfrauen, der Wald ist auch schön, und mich dünkt manches Mal, als sei er noch schöner, als die schönen Gärten und Felder, welche die Menschen machen, weil er auch ein Garten ist, aber ein Garten eines reichen und großen Herrn, der ihn durch tausend Diener bestellen lässt; in ihm ist gar kein Unkraut, weil der Herr jedes Kräutlein liebt und schätzt er braucht auch ein jedes für seine vielen tausend Gäste, deren manche lecker sind und ganz Besonderes verlangen. Sehet, da habe ich draußen es sind wohl einige Wegestunden von hier da habe ich auch ein paar Kühe, viele Ziegen, auch Hafer- und Gerstenfelder jetzt gehört alles meinem Enkel der pflegt und hegt es aber wenn ich damals, vor zwanzig, dreißig Jahren, von meinem Hauswesen so des Sonntags in den Wald heraufging in die Länge und Weite immer tiefer, so allerlei sinnend, oft auf das Wild gar nicht einmal Acht habend, so war das ein lieblicherer, anmutigerer Tag, als die ganze andere Woche, und öfter wollte es mich bedünken, als hätte ich da eine schönere Vesper gefeiert, als die hinaus in die Nachmittagskirche, aber auch in das Schenkhaus gegangen sind; denn seht, ich habe mir immer mehr und mehr ein gutes Gewissen aus dem Wald heimgetragen. Es kann ja auch nicht anders sein; denn wie ich nachgerade mutiger wurde, und weiter und weiter herein kam, auch mehr Zeit hatte, da mein Sohn Lambrecht das Hauswesen überkam seht, da fing ich an, allgemach die Reden des Waldes zu hören, und ich horchte ihnen auch, und der Sinn ward mir aufgetan, seine Anzeichen zu verstehen, und das war lauter Prachtvolles und Geheimnisreiches und Liebevolles von dem großen Gärtner, von dem es mir oft war, als müsse ich ihn jetzt und jetzt irgendwo zwischen den Bäumen wandeln sehen.

Ihr schaut mich mit den schönen Augen seltsam an, Jungfrau aber Ihr werdet, wenn Ihr länger hier bleibt, schon auch etwas lernen; denn Eure Augen sind schön und klug. In allem hier ist Sinn und Empfindung; der Stein selber legt sich um seinen Schwesterstein, und hält ihn fest, alles schiebt und drängt sich, alles spricht, alles erzählt, und nur der Mensch erschaudert, wenn ihm einmal ein Wort vernehmlich wird. Aber er soll nur warten, und da wird er sehen, wie es doch nur lauter liebe, gute Worte sind.«

Johanna sah mit unverhohlnem Erstaunen in das Antlitz des alten Waldsohnes, und es begann ihr ordentlich immer schöner zu werden. Man war mittlerweile wieder ins Tal zu einem rauschenden, springenden Bach gekommen, und Gregor musste sein Gespräch abbrechen, weil er hier wieder Anordnungen behufs des Weitergehens zu machen hatte.

»Vater, Vater«, sagte Johanna leise, »welch einen seltsamen Menschen habt Ihr uns hier beigegeben!« »Kind, dies ist ein Kleinod der Wüste«, erwiderte der Vater, »niemand weiß dies weniger, als er selber; du wirst oft auf seine Worte horchen wie auf Klänge silberner Glocken, du wirst von ihnen vieles lernen und er wird euch eine Stimme der Wüste sein, wenn ihr fern von der Heimat in der Einsamkeit leben müsset. Wir haben vor Jahren manche Tage miteinander verlebt, damals war er kühner und feuriger, aber die wunderlichen Gedanken seines Herzens spannen sich schon damals, wie ein seltsamer ausländischer Frühling, aus ihm heraus, und wenn wir so oft einen langen Nachmittag miteinander allein zu einem fernen Jagdzug gingen, und er zutraulich wurde und das Band seiner Reden und Phantasien löste, so warf er Blüten und Bäume, Sonne und Wolken durch einander, und abenteuerlich Glauben und Grübeln, dass es mir oft nicht anders war, als würde aus einem alten schönen Dichtungsbuche gelesen. Manche höhnten ihn, und gegen diese verschloss er wie mit Felsen den Quell seiner Rede, aber ich habe ihn jederzeit geliebt, und er mich auch. Er war es, der mir einst den schönen einsamen Platz zeigte, zu dem wir eben auf der Wanderung sind, und den vielleicht kein Mensch weiß, und er ist es auch, der nicht um Geld und Geldeswert, sondern ebenfalls aus alter Liebe zu mir, und neuer zu euch, wenn ihr sie nicht verscherzet, sich entschlossen hat, die Zeit eures Waldaufenthaltes bei euch zu wohnen, um mit dem Reichtum seiner Erfahrungen zu eurem Schutz behilflich zu sein.«

Der Gegenstand, von dem die Rede war, trat indessen wieder hervor, als ziehe es ihn zu der Gegenwart der lieblichen Wesen, die ihm anvertraut werden sollten. Der Bach, an dem man jetzt entlang und ihm entgegen stieg, war nicht das klare Waldwasser aus dem Tal der Hirschberge, sondern ein wild einherstürzender, schäumender Bergbach mit goldbraunem, durchsichtigem Wasser. Man ging immer an seinen Ufern, und die Männer mit der Sänfte stiegen rüstig von Stein auf Stein, wie sie so weiß auf dem schwarzmoorigen Grund umherlagen, von dem Wasser geschlemmt und gebleicht. Das Land hob sich sanft der blauen Waldwand entgegen, auf die Gregor gezeigt hatte. Man eilte sichtlich; denn am Rande der Wand, die, wie man ihr näher kam, immer größer und kühler emporstieg, spielten schon die Strahlen der Abendsonne in breiten Strömen herein und legten einen mattroten Goldschein weithin auf die gegenüberliegenden Waldlehnen. Am kühlblauen Osthimmel wartete schon der Halbmond. Der Boden fing an, sehr merklich emporzusteigen und wilder und wilder zu werden. Manch zerrissner Baumstamm stand an ihrem Weg mancher Klotz war in das Wirrsal der Ranken und Schlingkräuter geschleudert, um dort zu vermodern, oder auch öfters kamen sie zwischen mannshohen Farrenkräutern durch, oder Himbeergesträuchen, die oft mit Beeren bedeckt waren, von fern zu sehen, als hätte man ein rotes Tuch über sie gebreitet.

Da sie gelegentlich wieder an einer Espe vorüberkamen, deren Blätter, obwohl sich kein Hauch im ganzen Wald rührte, dennoch alle unaufhörlich zitterten, so sagte Clarissa zu dem Alten, wenn er die Zeichen und die Sprache der Wälder kenne und erforsche, so wisse er vielleicht auch, warum denn gerade dieser Baum nie zu einer Ruhe gelangen könne, und seine Blätter immer taumeln und baumeln müssen. »Es sind da zwei Meinungen«, entgegnete er, »ich will sie euch beide sagen. Meine Großmutter, als ich noch ein kleiner Knabe war, erzählte mir, dass, als noch der Herr auf Erden wandelte, sich alle Bäume vor ihm beugten, nur die Espe nicht, darum wurde sie gestraft mit ewiger Unruhe, dass sie bei jedem Windhauch erschrickt und zittert, wie jener ewige Jude, der nie rasten kann, sodass die Enkel und Urenkel jenes übermütigen Baumes in alle Welt gestreut sind, ein zaghaft Geschlecht, ewig bebend und flüsternd in der übrigen Ruhe und Einsamkeit der Wälder. Darum schaute ich als Knabe jenen gestraften Baum immer mit einer Art Scheu an, und seine ewige Unruhe war mir wie Pein. Aber einmal, es war Pfingstsonntags Nachmittag vor einem Gewitter, sah ich (ich war schon ein erwachsener Mann) einen ungemein großen Baum dieser Art auf einer sonnigen Waldblöße stehen, und alle seine Blätter standen still; sie waren so ruhig, so grauenhaft unbeweglich, als wären sie in die Luft eingemauert, und sie selber zu festem Glas erstarrt es war auch im ganzen Wald kein Lüftchen zu spüren und keine Vogelstimme zu hören, nur das Gesumme der Waldfliegen ging um die sonnenheißen Baumstämme herum. Da sah ich mir denn verwundert den Baum an, und wie er mir seine glatten Blätter, wie Herzen, entgegenstreckte, auf den dünnen, langen, schwanken Stielen, so kam mir mit eins ein anderer Gedanke: wenn alle Bäume, dacht ich, sich vor dem Herrn geneigt haben, so tat es gewiss auch dieser, und seine Brüder; denn alle sind seine Geschöpfe, und in den Gewächsen der Erde ist kein Trotz und Laster, wie in den Menschen, sondern sie folgen einfältig den Gesetzen des Herrn, und gedeihen nach ihnen zu Blüte und Frucht darum ist nicht Strafe und Lohn für sie, sondern sie sind von ihm alle geliebt und das Zittern der Espe kommt gewiss nur von den gar langen und feinen Stielen, auf die sie ihre Blätter, wie Täfelchen, stellt, dass sie jeder Hauch lüftet und wendet, worauf sie ausweichen und sich drehen, um die alte Stellung wieder zu gewinnen. Und so ist es auch; denn oft habe ich nachher noch ganz ruhige Espen an windstillen Tagen angetroffen, und darum an andern, wo sie zitterten, ihrem Geplauder mit Vorliebe zugehört, weil ich es gut zu machen hatte, dass ich einstens so schlecht von ihnen gedacht. Darum ist es aber auch ein sehr feierlicher Augenblick, wenn selbst sie, die so leichtfertige, schweigt; es geschieht meistens vor einem Gewitter, wenn der Wald schon harret auf die Stimme Gottes, welche kommen und ihnen Nahrung herabschütten wird. Seht nur, liebe Jungfrauen, wie schmal der Fuß ist, womit der Stiel am Holze und das Blatt am Stiele steht, und wie zäh und drehbar dieser ist sonst ist es ein sehr schönes Blatt.«

Bei diesen letzten Worten hatte er einen Zweig von einer der Espen gerissen und ihn Clarissen hingereicht.

»Es ist ein Zeichen, dass wir eine schöne Nacht bekommen«, fuhr er fort, »da diese Zweige so munter sind; vor dem Nachtregen werden sie gern ruhiger.«

»Kommen wir denn in die Nacht?« fragte Johanna.

»Wenn es auch geschähe«, antwortete der Jäger, »so steht ja schon dort am Himmel der aufnehmende Mond, der so viel Licht gibt, dass gute und achtsame Augen genug haben. Aber ich denke, dass wir ihn gar nicht mehr brauchen werden.«

Das Laubholz wurde seltener, und die ernste Tanne und Fichte zog ständeweis gegen die Bergbreiten der rote Sterbeglanz des Tages auf dem jenseitigen Joch ging langsam gegen die Bergscheide empor, und aus dem Tal hoben sich die blauen Abendschatten der Halbmond wurde jede Minute sichtlich glänzender an seinem bereits stahlblauen Osthimmel. Der Freiherr drängte sich durch Farrenkraut und Schlinggewächse, um an der Seite der Sänfte zu bleiben.

Felix war mit dem Ritter in tiefem Gespräche begriffen und ziemlich weit hinten geblieben. Der Bach war stellenweise gar nicht mehr sichtbar und hörbar, weil er unter übergewälzten Felsenstücken hinfloss.

So mochte die Wanderung noch eine halbe Stunde gedauert haben, und eine dichtere Finsternis blickte schon aus den Tiefen der Fichtenzweige, die sich so nahe drängten, dass sie häufig die Sänfte streiften da blitzte es sie mit einem Male durch die Bäume wie glänzendes Silber an. Sie stiegen einen ganz kleinen Hang nieder, und standen an der weit gedehnten Fläche eines flimmernden Wassers, in dessen Schoße bereits das zarte Nachbild des Mondes wie ein blödes Wölklein schwamm. Ein leises Ach des Erstaunens entfuhr den Mädchen, als sie den schönen See erblickten, da sie derlei in dieser Höhe, die sie erstiegen zu haben meinten, gar nicht vermuteten ein flüchtig Schauem rieselte durch Johannas Glieder, da dies ohne Zweifel jener Zaubersee sei, von dem sie gehört hatte. Die hohen Tannen, die dem Ufer entlang schritten, schienen ihr ordentlich immer größer zu werden, da sie gemach und feierlich den einfärbigen Talar der Abenddämmerung angetan und von ihren Häuptern fallen ließen, wodurch sie massenhafter und somit größer wurden. Die jenseitige Felsenwand zeichnete sich schwach silbergrau, wie ein zartes Phantasiebild, in die Luft, zweifelhaft, ob sie nicht selbst aus Luft gewoben sei; denn sie schien zu schwanken und sich nach dem Takte zu neigen, aber es waren nur die Wasser, die sich abendlich bewegten.

Der Vater hieß die Mädchen aussteigen, und mit Freuden verließen sie das enge tragbare Gefängnis. Ein Floß lag am Gestade, und trug ein erhobenes Gerüst mit Sitzen für die Gesellschaft. Man bestieg ihn, und die zwei Sänftenträger, und noch zwei andere Männer, die man bei dem Floße stehend vorgefunden, lenkten das Fahrzeug in den See hinaus, gerade auf die Felswand zu. Die Waldmassen traten zurück und verschränkten sich dem Auge nach und nach zu einer hohen, dichten, schwarzgrünen Mauer, die das Wasser umfängt die Felswand trat näher, und stieg so mauerrecht aus dem See empor, dass man nicht absah, wie zu landen sein werde, da wohl kein handgroß Steinchen dort liegen möge, um darauf stehen zu können: allein zur größten Überraschung in diesem Land der Wunder tat sich den Mädchen auch hier wieder eines auf. Wie man der Wand sich näherte, wich sie zurück und legte ein liebliches Rasenland zwischen sich und den See, und auf dem schönen Grün desselben sahen die Mädchen nun auch ein geräumiges hölzernes Haus stehen, nach Art der Gebirgshäuser gebaut und alle seine Fenster schimmerten sie gastlich silbern an, schwach erglänzend von dem Schein der weißen aufblühenden Rosenknospe des Mondes.

Das Reiseziel war erreicht. Weibliche Diener der Mädchen stürzten gegen das Ufer, Hand und Kleider ihrer holden Gebieterinnen küssend, und voll Freude, dass sie endlich gekommen. Das sämtliche Dienstgesinde, das aus zwei Mägden und drei Knechten bestand, wurde einige Tage vorher mit der größten Mühseligkeit über die Felsenrücken herübergebracht, da man den weiteren, aber leichteren Weg durch den Urwald noch nicht wusste, den Gregor erst für den Freiherrn ausgekundschaftet hatte. Mit freundlichen Worten dankten die Mädchen den Sänftenträgern und Ruderern, und dann, der Freiherr Johannen, der Ritter Clarissen am Arme nehmend, führten sie dieselben die Treppe hinan in eine Art Tafelzimmer, wo für alle, die Diener und Träger mit eingeschlossen, ein Abendmahl bereitet stand. Nach Beendigung desselben und tausend Gutenachtwünschen führte der Freiherr mit schmerzlich freudigen Gefühlen seine Töchter in die zwei für sie bestimmten Gemächer. Ein Ruf der Überraschung und ein doppeltes Umschlingen der schönen Arme lohnte ihn; denn bis zum Erschrecken ähnlich waren die Zimmer denen, die sie zu Wittinghausen bewohnt hatten. Der Vater küsste beide auf die Stirn, wünschte ihnen eine friedensreiche, gute erste Nacht und ging zur Tür hinaus die Mägde wurden sogleich entlassen und nun, als die Tür verriegelt war, gleichsam als hätte ein Hemmnis bisher die Flut gewaltsam zurückgehalten, brach sie vor: die Mädchen stürzten sich in die Arme, Herz an Herz verbergend, ja fast vergrabend ineinander, und sich die zarten Siegel der Lippen anpressend so heiß, so inbrünstig, so schmerzlich süß, wie zwei unglückselig Liebende, und fast eben so trennungslos. Also ist es wahr, die Heimat, das gute Vaterhaus ist preisgegeben und verloren, all ihr früher Leben ist abgeschnitten, sie selbst wie Mitspieler in ein buntes Märchen gezogen, alles neu, alles fremd, alles seltsam und dräuend in dem drohenden Wirrsal kein Halt, als gegenseitig die warmen Lippen, das treue Auge und das klopfende Herz.

Aber als bei den Mädchen Tränen und Kosen in Ruhe übergegangen, traten sie auf den hölzernen Söller, der vor ihren Fenstern lief, heraus, und blickten noch, ehe sie schlafen gingen, in die kühle beruhigende Nacht. Der See lag zu ihren Füßen, Stücke schwarzer Schatten und glänzenden Himmels unbeweglich haltend, wie erstarrte Schlacken der Wald dehnte seine Glieder weithin im Nachtschlummer, die feuchten Mondesstrahlen spannen von Berg zu Berg, und in dem Tal, woher die Wanderer gekommen sein mochten, blickte ruhender Nebel auf.

Gute Nacht, ihr lieben, schönen, fürchtenden Herzen, gute Nacht!

Die Mappe meines Urgroßvaters

Dulce est, inter majorum versari habitacula et veterum dicta factaque recensere memoria. Egesippus

3. Der sanftmütige Obrist

Ich saß nämlich vor drei Tagen bei einem Weibe, das noch jung und unvermählt ist, und redete viele Stunden zu ihrem Sinne, dass sie ihn ändere. Als ich sie nicht abzubringen vermochte, lief ich in den Wald, an welcher Stelle eine Birke steht, und wollte mich daran erhängen. Ich werde es später schreiben, wie ich so übermütig mein Heil an das Weib gebunden habe, dass ich meinte, ohne ihr nicht sein zu können, aber sie sollte es nur sehen, dass ich alles zerreiße, und dass ich sie strafe, das falsche, wankelmütige Herz; vorher aber muss ich nur das von dem Obrist eintragen. Ich lief von ihr in mein Haus, riss ein buntes Tuch vom Tisch, lief durch den Garten, sprang über den Zaun und schnitt dann den Weg ab, indem ich über Allerbs Hofmark und durch die Wiesen der Beringer ging. Dann traf ich auf den Fußsteig, der an den Mitterwegfeldern geht dort eilte ich eine Weile fort. Ich hatte aus dem Tuch eine Schlinge gemacht und trug es im Busen versteckt. Dann bog ich wieder links vom Weg ab, strebte unter den dünnen Stämmen des ausgebrannten Waldes der Dürrschnäbel hinauf, drang durch den Saum des Kirmwaldes, streifte an dem Stangenholz, an den Tannenbüschen, an den Felsblöcken vorbei und sprang auf den Platz hinaus, wo die vielen Birken stehen und der grüne Rasen dahingeht. Als ich nun da war, harrte ich gleichwohl noch ein wenig, und alle Bäume sahen mich fragend an. Es war auch ein breiter, grauer Fels da, der nicht weit davon viele Klaftern hoch emporstand, und von dem die Sonnenstrahlen ohne Geräusch wegprallten, dass alle Steinchen funkelten und glänzten. Auch war eine wolkenleere, finsterblaue Luft bis in die Baumzweige herunter. Ich schaute nicht um, gleichsam als stünde einer hinter mir. Dann dachte ich: da hat vor wenig Augenblicken eine Feldgrille gezirpt, ich wolle noch so lange warten, bis ich sie wieder höre. Aber ich hörte sie nicht.

Das Himmelblau rückte immer tiefer in die Wipfel. Von dem Baum ging der starke Ast seitwärts, auf den ich gedacht hatte, und ließ dann das Moos wie einen grünen Bart hängen, derlei diese Bäume gern haben, und weiter draußen gingen die dünnen Zweige nieder, die mit den vielen kleinen Blättern besetzt waren. Die Grille zirpte nicht.

Aber der Obrist war mir nachgelaufen, als er mich hatte in den Wald heraufgehen gesehen, und griff mir jetzt, den ich gar nicht herzutreten gehört hatte, ganz leise an die Schulter. Ich erschrak sehr, sprang um den Baum herum und schaute zurück. Da sah ich den alten Mann stehen, mit den weißen Haaren auf seinem Kinn und Scheitel.

Er redete zuerst und sagte: »Warum erschreckt Ihr denn so sehr?« Ich aber antwortete: »Ich erschrecke nicht, und was wollt Ihr denn von mir, Obrist?« Er wusste anfangs nicht, was er sagen sollte aber dann fing er langsam an und erwiderte: »Nun ich habe Euch heraufgehen gesehen, und da meinte ich, dass ich Euch auch nachgehen könnte, weil Ihr diese Stelle ganz besonders zu lieben scheint, und dass wir da vielleicht miteinander redeten ich hätte Euch etwas zu sagen aber wenn Ihr wollt, so können wir es auf ein andermal lassen.« »Nein, nein, redet gleich«, sagte ich, »redet, so lange Ihr wollt, ich will Euch geduldig anhören und nicht zornig werden. Aber wenn Ihr geendet habt, dann müsst Ihr mich lassen, weil ich hier noch ein Geschäft habe.« »O nein, Doktor«, antwortete er, »ich will Euch nicht stören, wenn Ihr ein Geschäft habt mein Ding kann warten ich habe nur gemeint, wenn es sich so zufällig ergäbe ich lasse Euch schon. Es tut nichts; weil ich einmal da bin, so kann ich gleich in den Reutbühl hinübergehen; der Knecht sagt ohnedem, dass sie mir Holz stehlen. Wenn Ihr mich ein andermal anhören wollt, so werde ich schon fragen lassen, wann Ihr zu Hause seid, wollet Ihr aber gar freundlich sein, so besucht lieber Ihr mich einmal, weil ich in meiner Stube leichter reden würde als in einer fremden. Aber nicht, dass Ihr das für eine Unartigkeit aufnehmet, ich kann auch gerne zu Euch kommen, lasst es mir nur in diesen Tagen sagen, wie es Euch besser gefällt. Tut nun Euer Geschäft tut es im Namen Gottes und denkt nur immer, dass ich Euer Freund gewesen bin, der Euch stets Gutes gewollt hat. Ich habe fast gemeint, dass Ihr hier oben an dieser Stelle wieder lesen werdet, wie Ihr sonst gerne tatet; aber ich sehe, dass es nicht so ist. Noch eins muss ich sagen: habt Ihr denn nicht auch im Heraufgehen gesehen, Doktor, wie heuer das liebe Korn gar so schön stehet; es legt sich auf diese Jahreszeit schon so hoch und dunkel, dass es ein Wunder ist. Ich will von dem Reutbühl durch die Mitterwegfelder gehen und dort den Neubruch betrachten, wo heuer zum ersten Male Weizen steht. Dann gehe ich wieder nach Hause. Lebt jetzt wohl, und besucht mich bald.«

Diese oder ähnliche Worte hat er gesagt; denn ich habe sie mir nicht genau merken können. Dann zauderte er noch ein wenig dann tat er aber höflich sein Barett ab, wie er es gewohnt ist, und ging davon. Er scheint auf keine Antwort gewartet zu haben, und ich habe auch keine geben gewollt. Ich schaute ihm nach und sah, wie er immer weiter hinter die Baumstämme zurückkam, bis es wieder war, als wenn gar niemand da gewesen wäre. Ich wartete noch ein wenig, dann nahm ich das Tuch aus meinem Busen und warf es mit Ingrimm weit von mir weg in die Büsche. Dann aber blieb ich noch auf der Stelle stehen, und getraute mir nicht, aus dem Wald zu gehen. Ich schaute die Dinge an und bemerkte, dass es schon unterdessen sehr Nachmittag geworden war. Die Baumblätter regten sich schwach, die weißen Birkenstämme standen einer hinter dem andern, und zwischen ihnen kam die tiefe Sonne herein und umzirkelte sie, dass sie vergleichbar waren dem matten Schein silberner Gefäße.

Ich blieb noch recht lange im Wald.

Es war endlich die Zeit des Abendgebetes gekommen, und manche Tannenäste wurden rot.

Siehe, da klang auf einmal hell und klar, wie ein Glöcklein, die Stimme der Grille und klopfte mit einem silbernen Stäblein an mein Herz gleichsam mit einem feinen, silbernen Stäblein klopfte das missachtete Tier an mein Herz, als sagte es mir deutliche menschliche Worte. Beinahe hätte ich mich gefürchtet.

Und wie ich dann von der Stätte fortging, klang auch das Abendlied der Ammer, es klang so dünn und dicht neben mir, als flöge das Vöglein heimlich mit und zöge ein zitternd Goldfadlein von Zweig zu Zweig. Und wie ich weiter gegen die Felder hinauskam, lichtete und lohete der Wald immer mehr und mehr die Augen des Himmels sahen herein, und die dünnen Stämme waren wie feurige Stäbe. Und wie ich nun gänzlich hinauskam, lag die ruhige Saat des Kornes da, welche der Obrist angeschaut hatte weithin lag sie dunkelgrün und kühl da, nur die Spitzen waren ganz ein wenig rot gestreift von dem Widerschein des Himmels. Die Wiesen droben waren schon dunkel und wie mit grauem Reif bedeckt, und hinter dem Wald draußen war die Sonne untergegangen.

Als ich zu Tal gekommen und an mein Haus getreten war, führte der Knecht meine zwei schwarzen Pferde aus der Schwemme heim, und grüßte mich; ich aber ging in die Stube, wo die Bücher sind, und aß des Abends keinen Bissen mehr.

Des andern Tages war ein Sonntag, es war der vorgestrige Tag, und ich fuhr um fünf Uhr früh zum Erlebauer hinaus, weil es sich am Tag zuvor mit ihm so verschlimmert hatte; aber er war besser, und ich ließ ihm wieder von dem Trank zurück. Die Inwohnerin des alten Klum war besser, ebenso die junge Mechtild mit dem Gallenfieber. Um neun Uhr war ich schon bei allen gewesen und ging dann in die Kirche zu dem sonntäglichen Gottesdienst. Nachmittags weinte ich sehr.

Da sendete ich noch in der Nacht zu dem Obrist und ließ ihm melden, dass ich morgen kommen würde, wenn es ihm genehm wäre. Ich wolle zuerst die Kranken versorgen, und dann würde ich hinaufgehen, wenn er zu Hause sei, das ist gegen zehn Uhr, oder um weniges später. Er solle mir zurücksagen lassen, wenn er da nicht könne und es anders wolle. Aber der Obrist vermeldete mir durch meinen Knecht, dass er mit vieler Freude auf mich warten werde, und dass ich keinen Kranken übereilen solle. Er werde den ganzen Tag in seinem Hause oder in seinem Garten herum sein, dass ich ihn leicht finde.

Dann legte ich mich nieder und gab vorher dem Knecht noch, in Anbetracht, dass heute Sonntag war und er den Gang getan hatte, ein Glas Wein. Ach Gott der Keller war schon fertig, und ich wollte ein großes Haus darauf bauen und ich weiß nun nicht, für wen ich es baue. Ein recht großes, schönes Haus wollte ich bauen, weil mich Gott so gesegnet hat, und weil mein Vater doch nur ein Kleinhäusler gewesen ist, mit einer Hütte und Steinen darauf, wie sie noch überall auf den Waldhöhen herum stehen. Nur der Obrist ist gekommen und hat: ein Haus mit steinernen Mauern gebaut, das nun als Vorbild weithin gegen die Fichten leuchtet. Dann las ich noch bis Mitternacht in Hochheimbs Buch.

Am andern Morgen, da ich schon lange nicht mehr schlafen konnte, stand ich sehr früh auf, und fuhr, als noch der Tau lag, durch den Wald am Bach hinunter, dass ich meine Kranken besuche. Das Wasser rollte kühl über seine Steine und an den Gräsern dahin. Es ging bald die Sonne auf und brachte einen recht schönen, lieblichen Vormittag. Dieser trocknete die Nässe von den Nadeln und von all’ den vielen Kräutern, die nichts anderes zu tun hatten, als recht eilends in dieser Frühlingswärme zu wachsen. Als ich wieder nach Hause gekommen und die Pferde in den Stall gebracht waren, legte ich einen besseren Rock an und begab mich auf den Weg zu dem Obrist. Da ich um die Ecke des Holzes bog und an den Gerstenfeldern des Maierbacher ging, die er heuer so schön hat, sah ich schon das Haus, wohin ich wollte, freundlich und weiß herabschimmern es schimmerte so lange, als ich an dem Abhang dahin ging, und wie ich den weichen Grashügel emporstieg, wo die vielen Eschen stehen, kamen die zwei Wolfshunde herabgelaufen, tanzten um mich und heulten freudig, weil sie mich schon so lange nicht gesehen hatten. Der Obrist selber war im Garten, und ich sah ihn durch die Stäbe der Umzäunung. Er hatte den grünen, samtenen Rock an, den er so liebt, und die goldene Kette um, von der glänzende Funken weggingen. Als wir die Barette abgetan hatten, ging er mir entgegen und verneigte sich. Ich verneigte mich auch. Dann geleitete er mich durch den Garten an den vielen grünen Büschen hin, die er zieht, und führte mich in das Haus hinein. Wir kamen im Gang an der Tür vorüber, die in Margaritas Zimmer führt. Die feine, gelbe Rohrmatte lag auf der Schwelle.

Als wir in seiner Stube angelangt waren, sah ich, dass er seine grünseidenen Vorhänge über die Fenster herabgelassen hatte, wodurch eine unliebe Totendämmerung um alle Dinge floss. Er schritt gegen die Fenster, zog die Vorhänge empor, ließ sie dann wieder nieder, und zog sie doch endlich empor. Sodann nahm er mir die Handschuhe und das Barett, legte beides auf sein Bett, und stand dann da, und hatte die weißen Haare so genau und reinlich zurückgekämmt wie immer. Er hatte noch nichts geredet, ich auch nicht.

Endlich nahm er das Wort und sagte: »Das ist ein schöner Tag, Herr Doktor.« »Ja, ein sehr schöner«, antwortete ich. »Ist die alte Sara schon besser, und was macht der Erlebauer?« »Die Sara ist ja schon seit drei Wochen nicht mehr krank, und der Erlebauer wird auch schon besser.« »Das ist gut; es wäre schade um den Mann gewesen, er ist sehr tätig und hat fünf lebende Kinder.« »Gestern hat er die Krisis überstanden, und die nützliche Luft wird ihn bald heilen.« »Habt Ihr noch viele Kranke?« »Nicht sehr viele.« »Der Meilhauer hat ja auch einen Fuß gebrochen.« »Freilich, weil er sich nicht wahrt; eine Buche hat ihn gestreift.« »Im Taugrund wars?« »Im Taugrund.« »Ihr kommt ja jetzt öfter in den Haslung hinunter, ist es wahr, dass sie das Gehäng reuten [roden]?« »Lauter Felder, seit sie sich los gekauft haben.« »Und in den drübigen Hofmarken mähen sie schon Heu?« »Es ist kein Halm mehr auf den Wiesen.« »Das ist ein gesegnetes, schönes Jahr. Wenn uns der Herr noch weiter hinaus behütet und das Verheißene gut einbringen lässt, dann kann sich mancher helfen. Wollt Ihr Euch denn nicht ein wenig auf das Sitzbett niederlassen, Doktor?«

Nach diesen Worten nötigte er mich auf das Sitzbett, das er vor dem Tisch hat, und setzte sich zu mir. Nachdem er die Falten an dem Teppich glatt gestrichen und die Brosamen herabgestreift hatte, sagte er plötzlich: »Das ist recht schön, Doktor, dass Ihr gekommen seid, und wieder hier sitzt, wie so oft; darum sagt mir auch geradewegs, ob Ihr denn auch auf mich zürnet?« »Nein, Obrist«, antwortete ich; »nein, ich weiß es schon, dass Ihr mir nichts getan habt. Ihr seid ja ein freundlicher Mann gegen jedes Geschöpf. Ihr habt allen Leuten im Walde herum wohl getan, und wenn einer undankbar war, so seid Ihr hingegangen und habt ihm eine neue Güte erwiesen. Wie sollte ich Euch zürnen? Nein, eher muss ich Euch jetzt sagen, was ich noch nie gesagt habe: Ihr seid der beste und sanfteste Mensch, den ich auf der Welt kennen gelernt habe.« »Bin ich das«, erwiderte er, »so macht mir die Freude, Doktor, und tut Euch kein Leid an.« Mir rollten die Tränen hervor, und ich sagte, dass ich es nun nicht mehr tun wolle.

»Ich bin vorgestern«, sagte er, »mit großer Angst durch den Reutbühl gegangen; denn der Mensch vermag hierin nichts zu ändern, und ich ließ Euch in Gottes Hand zurück. Als die Sonne untergegangen war, stand ich an dem Fenster und betete und da sah ich Eure Gestalt am Saum des Kornes nach Hause gehen, wie manches Mal an andern Tagen, wenn Ihr mit einem Buch unter den Birken gewesen seid und es kam eine recht ruhige, freundliche Nacht in mein Haus. Seht, da ich damals von Euch fort gegangen war, bin ich im Reutbühl auch an unsere Föhrenpflanzung gekommen, die Ihr im vorigen Frühling mit mir angelegt habt, und habe gesehen, dass kaum ein einziges Pflänzchen ausgegangen ist; manche sind schon sehr hoch und ballen mit ihren Wurzeln das Steingerölle. Am andern Tag bin ich von der Stube in den Stall gegangen, vom Stall in den Garten, und von da wieder herein und habe über die kleinen Felderhügel geschaut, und über die Spitzen der Wälder, in denen Ihr vielleicht fahren werdet oder sonst etwas tun. Da kam in der Nacht Euer Knecht und brachte mir große Freude. Ich hatte es ja nun in der Hand, ich kannte Euch, Ihr seid so oft zu mir gekommen, und ich wusste es ja, dass Ihr Euch herausreißen würdet.«

Ich konnte den Mann nicht anschauen, und sagte, weil ich schon so viel eingestanden hatte, dass ich so zerdrückt sei und die Tage her keinem Menschen, nicht dem Knecht, nicht der Magd und keinem Tagelöhner in die Augen sehen könne. »Das ist unrecht«, antwortete er, »und es wird sich ändern. Tut ihnen Gutes, seid ein rechter Arzt, und Ihr werdet wieder ihresgleichen. Auch wissen sie ja nichts.« »Aber ich weiß es.« »Ihr werdet es vergessen.«

»Und mit einer solchen Schwermut fahre ich an den Fichten und Tannen vorüber, dass in meinen Augen stets das Weinen ist. Ich bin gleich recht gern zu meinen Kranken gegangen, auch zu denen, die schon besser sind, auch zu dem alten Keum bin ich gegangen, der sterben muss, weil er das Zehrfieber hat, und habe ihn ein wenig getröstet.« »Das ist immer so«, antwortete der Obrist, »dass aus dem harten Stein Zorn der weiche Funken Wehmut kommt. So fängt Gott die Heilung an.« »Schont mich vor der Welt, Obrist.« »Redet nicht so. Nur der Herr im Himmel und ich haben es gesehen, und beide schweigen. Lasst nun die Zeit fließen, und es werden Hüllen nach Hüllen darauf kommen. Die Seele hat einen Schreck erhalten, und wird sich ermannen. Es ist nun alles gut, lassen wir es gehen, und reden von andern Dingen. Sagt mir, Doktor, habt Ihr denn den Thomas abgedankt, dass gestern ein anderer Knecht zu mir gekommen ist?« »Nein, aber er ist jetzt bloß bei den Pferden. Den andern habe ich zu den Geschäften im Haus und zum Botengehen genommen. Er ist der Sohn des Inbuchsbauer.« »Ich kenne ihn, er hat die Füllen des Gregordubs gehütet. Ihr müsst ja jetzt viele Leute in Eurem Hause haben?« »Nur noch zwei Mägde.« »So habt Ihr das Bauen einstweilen eingestellt?« »Nein, ich habe es für das heurige Frühjahr nur noch nicht begonnen. Wir waren erst ein wenig an dem großen Brunnen, aber seit der Bernsteiner im Steinbühel den Keller gräbt, habe ich ihm alle meine Leute hinüber gehen lassen. Er will bis zum Schützenfest fertig sein.« »Ich war schon lange nicht in Pirling, und wusste nicht, dass er graben lässt. Im Steinbühel muss er wohl stark in die Felsen sprengen.« »Sie schießen ja schon drei Wochen, und alle Leute, die ich sonst hatte, sind dabei beschäftigt.« »Ich möchte auch manches in meinem Haus ändern, und wenn der Grunner zu empfehlen ist, so müsst Ihr ihn mir einmal herauf schicken. Mit dem ganzen Hintereck möchte ich gegen den Eichenhag hinausfahren, auch möchte ich eine neue Stiege und einen neuen Kellereingang machen lassen.« »Meinen Brunnen wenigstens hat der Grunner vortrefflich herausgebaut.« »O Doktor, Ihr habt eine schöne Lage in der Biegung des Tales; Ihr seid noch jung, und wenn Ihr Euch bestrebt, so kann es ein schönes Besitztum werden, das seinen Herrn und seine Frau erfreut, wenn einmal eine einzieht. Meine Tage sind schon wenige, ich gehe dem Grab entgegen, und wenn Margarita einmal fortzieht, wer weiß, in welche Hände dies Gebäude kommt, das ich so eifrig aufgeführt habe. Lieber Doktor, ich möchte noch recht gerne von etwas Längerem und Ausführlicherem mit Euch reden.« »So redet.«

»Ihr werdet jetzt vielleicht seltener zu mir kommen, und da denke ich, ist es billig, dass Ihr auch meine Fehler wisst, denn Ihr habt mich bisher zu viel geachtet auch könnte Euch die Sache vielleicht nützlich sein. Ich möchte Euch nämlich von meinem früheren Leben erzählen, und wenn ich geendet habe, möchte ich noch gern eine Frage und eine Bitte an Euch tun

vorausgesetzt, wenn Ihr nämlich Zeit habt, mich anzuhören.« »Ich muss nur abends noch zur Haidelis hinaus, und vor dem Schlafengehen noch den Erlebauer sehen, sonst habe ich heute nichts mehr zu tun. Sprecht also nur, Obrist, wie Ihr es für gut haltet, und fragt dann und bittet, was Ihr wollt.«

»Wisst Ihr noch, ich habe vorgestern im Birkenstand zu Euch gesagt, dass ich etwas mit Euch zu reden hätte das war aber damals unwahr; sondern da ich Euch von hier forteilen, nach Hause gehen und dann über den Zaun und die Wiesen gegen den Wald schreiten sah, ahnte mir Böses; ich lief Euch nach, um ein Unglück zu verhüten; aber da Ihr mich oben von dem Platz fortdrängtet, wusste ich mir nicht zu helfen und sagte nur die Worte allein seitdem habe ich es mir so ausgebildet, dass ich mit Euch von meiner Vergangenheit reden möchte, die gewesen ist, ehe ich in dieses Tal gekommen bin. Nehmt es nur nicht übel, dass ich alt bin, und etwa weitschweifig in meinen Worten.« »Nein, Obrist«, sagte ich; »sind wir nicht manchen Abend im Wald gegangen, und habe ich nicht gezeigt, dass mir Eure Worte lieb und angenehm waren?« »Ja, das ist wahr, das habt Ihr getan; darum mag ich auch jetzt gerne zu Euch reden. Ihr habt mich vor einer Weile den sanftesten Menschen geheißen, den Ihr auf Erden gekannt habt ich muss Euch bekennen, dass es mir wohl tat, dass Ihr das gesagt habt. Ihr seid der zweite Mensch auf dieser Erde, der es sagte; der erste hat vor vielen Jahren gelebt, und ich werde Euch später von ihm erzählen. Ihr werdet dann einsehen, dass mir diese gute Meinung von euch beiden lieber ist, als von allen andern Menschen auf der Welt. Nun zur Sache. Habt Ihr nie von einem Grafen Uhldom gehört?« »Meint Ihr den berüchtigten Casimir Uhldom?« »Dieser berüchtigte Casimir Uhldom bin ich.« »Ihr?«

»Ja, ich. Spieler, Raufer, Verschwender und jetzt das, was Ihr seit einigen Jahren kennt.«

»Nein, das ist nicht möglich als ich noch auf der Schule war, gingen zwar unbestimmte,