Adams Glück - Dietmar Schulte - E-Book

Adams Glück E-Book

Dietmar Schulte

0,0
6,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Adam, ein Psychologie-Forscher, der seine Gefühle verdrängt, aber über Gefühle forscht, der nur seine Forschung kennt, sich aber nach dem Leben sehnt, entwickelt mittels Künstlicher Intelligenz äußerst erfolgreiche Computer Software, die Emotionen der Menschen fortlaufend über die Selfie-Kameras beobachtet und daraus ihre aktuellen Wünsche und sogar ihre grundlegenden Motive entschlüsselt – mit erwünschten und erschreckenden Folgen. Er geht einen Weg voller Umwege, über große berufliche Erfolge und Anerkennung, über die ambivalente Beziehung zu einer ihm rätselhaften Frau, über die Flucht in eine von ihm ersehnte, aber letztlich fremde Welt und über ein bürgerliches Leben im Wohlstand, um am Ende sein Glück zu finden. Aber nicht er findet sein Glück.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Zum Buch

Dietmar Schulte

Teil 1

Kapitel 1. Wie es begann

Kapitel 2. Möglichkeiten

Kapitel 3. Träume und Ängste

Kapitel 4. Visionen

Kapitel 5: Hoffen und Bangen

Kapitel 6: Die Entscheidung

Teil 2

Kapitel 7: Der Anfang

Kapitel 8: Sehen, Staunen, Lernen, Planen

Kapitel 9: Es beginnt

Kapitel 10: Neue Ziele und eine andere Welt

Kapitel 11: Fortschritte

Kapitel 12: Der Durchbruch

Kapitel 13: Die nächste Herausforderung

Teil 3

Kapitel 14: Fragen und Testen

Kapitel 15: Zweifel und Zuversicht

Kapitel 16: Erfolge

Kapitel 17: Licht und Schatten

Kapitel 18: Unglück und Glück

Nachwort

Personenverzeichnis

Verzeichnis der Programme

Autor

Impressum

Adams Glück

Zum Buch

Adam, ein Psychologie-Forscher, der seine Gefühle verdrängt, aber über Gefühle forscht, der nur seine Forschung kennt, sich aber nach dem Leben sehnt, entwickelt mittels Künstlicher Intelligenz äußerst erfolgreiche Computer Software, die Emotionen der Menschen fortlaufend über die Selfie-Kameras beobachtet und daraus ihre aktuellen Wünsche und sogar ihre grundlegenden Motive entschlüsselt – mit erwünschten und erschreckenden Folgen.

Er geht einen Weg voller Umwege, über große berufliche Erfolge und Anerkennung, über die ambivalente Beziehung zu einer ihm rätselhaften Frau, über die Flucht in eine von ihm ersehnte, aber letztlich fremde Welt und über ein bürgerliches Leben im Wohlstand, um am Ende sein Glück zu finden. Aber nicht er findet sein Glück.

Dietmar Schulte

Adams Glück

Im Netz der Künstlichen Intelligenz

Roman

Teil 1

Kapitel 1. Wie es begann

Am Ende

Adam merkte, dass seine Hand zitterte, er konnte den Brief, besser gesagt den Zettel kaum lesen. Was stand da? Adam verstand es nicht. Das konnte nicht sein! Er war von Anneka, seiner Freundin, seiner Verlobten, der Frau, die er in zwei Monaten heiraten wollte. Eine Pause, schrieb sie, sie brauche eine Pause. „Lieber Adam, ich brauche eine Pause. Ich brauche Zeit zum Nachdenken und ein wenig Distanz.“

Sie brauche etwas Distanz. Distanz zu ihm? Pause von ihm? Wieso das? Wo ist sie überhaupt? Wir lieben uns! Wir sind immer zusammen, wenn es geht! Er zitterte. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Seinen Kopf hatte er auf den Küchentisch gestützt.

Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, sie drängten sich ihm auf. Das kann nicht sein. Sie hatten doch ihre Hochzeit schon geplant. Mühsam erhob er sich und begann, durch die Küche zu gehen. Die war nicht groß, so wie die ganze Wohnung, es waren nur ein paar Schritte. An sich hatte er eine stattliche Statur, groß, schlank, aber breite Schultern. Wenn er ging, wirkte er sicher und selbstbewusst, aber davon war jetzt nicht viel zu erkennen. Er schlurfte eher durch die Küche, die Schultern waren nach vorne gefallen, der Blick auf den Boden gerichtet. Er wirkte nicht wie dreißig, eher wie ein alter Mann.

Vor dem Küchentisch hielt er wieder an, stützte sich ab und starrte erneut auf den Brief. Da stand noch etwas. „Entschuldige, dass ich dir nichts gesagt habe. Es ging nicht, ich habe es versucht, mehrmals versucht, aber du warst nicht da, warst nicht erreichbar. Du warst bei dir, bei deinen Plänen, nicht bei mir.“

Adam war sprachlos. Er verstand nicht, was sie meinte. Er war doch da gewesen, gerade in den letzten Tagen war er kaum in die Uni, ins Institut gegangen. Nur seine Vorlesung hatte er gehalten. Ja, und ein Seminar. Und die Besprechung mit den Doktorandinnen und Doktoranden. Er war doch immer zu Hause wegen all der Vorbereitungen für die Hochzeit. Es gab furchtbar viel zu tun. Vorgestern hatte er noch nach Hotels für die Flitterwochen gesucht. Auf Mauritius fand er einige, die sich darauf spezialisiert hatten. Sie hatten spezielle Honeymoon Angebote, und als er Honeymoon in die Suchmaschine von OFAGO eingab, erschienen unzählige Hotels, auch in anderen Ländern.

Er hatte alles arrangiert, beim Standesamt angerufen, um freie Termine zu erfahren. Es gab an sich kurzfristig keine mehr, aber er hatte es noch hinbekommen. Voller Stolz hatte er ihr davon berichtet. Und dann schreibt sie, er sei nicht da gewesen? Ja, was sollte er denn noch tun? Sie hatte sich ja an der ganzen Organisation nicht beteiligt. Wenn er ehrlich sein sollte, müsste er zugeben, dass er sich sogar ein wenig geärgert hatte. Aber er hatte es gerne gemacht. Nur dass sie jetzt schreibt, er sei nicht da gewesen? Sie musste doch viel öfter weg, zur Arbeit. Und irgendwer musste doch all die Planungen machen! Er fühlte sich missverstanden, gekränkt. Es tat weh, ein Schmerz im ganzen Körper. Das war nicht fair, das war gemein, es machte ihn wütend.

Du warst nicht bei mir, du warst bei dir. Er wusste nicht recht, was sie meinte, aber es schmerzte ihn. Und er wusste ja auch gar nicht … Sie hätte doch etwas sagen können, er hätte es doch sofort gemacht. Er stand wieder auf und ging umher. Was meinte sie damit, sie habe es versucht, mit ihm zu reden? Sie haben doch miteinander gesprochen. Ja, in der letzten Zeit war sie etwas, wie sollte er das ausdrücken, einsilbig. Nein, nicht einsilbig, kurz angebunden. Nein, das stimmte auch nicht. Sie hat vielleicht nicht so viel gesagt. Er hat sicherlich mehr geredet als sie, aber das war doch immer so. Das hat sie doch nie gestört. Was will sie nur, schoss ihm durch den Kopf. Er schlug mit den Fäusten gegen seine Stirn. Ich verstehe es nicht. Das kann man wohl auch nicht verstehen. Ich verstehe es auf jeden Fall nicht.

Er merkte, dass er noch gar nicht seinen Mantel ausgezogen hatte. Als er vorhin in die Wohnung kam, hatte er gleich den Zettel auf dem Küchentisch liegen sehen. Er zog den Mantel und die Schuhe aus und ging ins Schlafzimmer. Da sah er es: tatsächlich, sie hatte all ihre Sachen ausgeräumt. Eine Schiebetür des Schrankes stand offen; er war leer. Sie meint das ernst, sie will wirklich weg.

Dann drängte sich der Gedanke auf, dass sie das vielleicht doch gar nicht so meine, dass sie sich zumindest nicht sicher sei und daher nicht mit ihm sprechen wolle. Denn es war schon oft passiert, dass er sie schnell umgestimmt hatte, wenn sie etwas anderes wollte als er. So würde es sein. Er musste sie anrufen, musste sie treffen, musste mit ihr reden. Das würde wieder!

Ihr Handy war abgeschaltet. Was konnte er tun? Soziale Plattformen nutzte er nicht, die liebte er nicht, die würden nur seine Daten klauen. Sie könnte bei Silke sein. Silke war ihre beste Freundin, also eine gute Freundin, so genau wusste er das gar nicht. Allerdings, sie sollte Trauzeugin werden.

Wie schön hatte er sich ihre Hochzeit ausgemalt. Sie würde nur im kleinen Kreis stattfinden, nur die Trauzeugen, also Bernd, sein Freund, und Silke, vielleicht noch ein paar Freunde, vor allem von Anneka. Keine Familie. Anneka hatte schon seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern, und Geschwister hatte sie auch nicht. Und seine Familie? Ihm wurde wehmütig, als er daran dachte, wie man ihm erzählt hatte, dass seine Eltern verunglückt waren. Er war damals elf. Ihr Auto sei in den Bergen in einer Kurve von der Straße abgekommen und in den Abgrund gestürzt. Er kam in ein Internat, Verwandte gab es nicht. Über seine Internatszeit sprach er nicht, es war zu viel passiert. Als er achtzehn wurde, bekam er Zugriff auf das Geld seiner Eltern. Es reichte, um sein Studium zu finanzieren.

Erst später hatten ihm die Freunde seiner Eltern, das Paar, mit denen zusammen sie die Bergtour gemacht hatten, erzählt, was wirklich passiert war. Sein Vater stand mit seinem Freund noch auf einem etwas tiefer gelegenen Felsplateau, seine Mutter war mit ihrer Freundin schon etwas vorgegangen. Sie wollte ein Foto machen, trat zurück und stürzte in die Tiefe. Sein Vater sah sie vor seinen Augen hinabstürzen, trat einen Schritt vor, als wolle er sie halten, strauchelte und fiel ebenfalls in den Abgrund.

Es war jetzt schon so lange her, aber dieses Bild schnürte ihm jedes Mal die Kehle zu. Es war für ihn wie ein Symbol für seine Einsamkeit. Er hatte niemanden, und jetzt war auch Anneka weg. Er saß und blickte vor sich. Schließlich schüttelte er sich.

Silke, dachte er. Sicherlich ist Anneka erst einmal zu ihr gegangen. Es klingelte, endlos lange, bis die Verbindung zustande kam. Er wartete gar nicht, bis Silke etwas sagen konnte, sondern meldete sich sofort „Hier ist Adam …“ Er wollte weiter sprechen, aber sie unterbrach ihn. „Hallo Adam, das ist ja eine Überraschung.“ „Ja, ja, ist Anneka da?“ „Anneka, bei mir?“ „Ja, ist sie bei dir? Kann ich sie einmal kurz sprechen?“ „Nein, Anneka ist nicht bei mir, wie kommst du darauf?“

Was sollte er sagen, er konnte doch nicht sagen, dass sie ihm weggelaufen war, dass sie ihn sitzen gelassen hatte, einfach so. „Ja, also, Anneka ist nicht da. Und … ich wollte sie etwas fragen.“ Es war einen Moment still. „Sie ist nicht da, was meinst du, ist sie weg?“ „Ja“, kam es aus ihm heraus. Er hatte das gar nicht sagen wollen. „Ja“, sagte Silke. „Wieso ja? Weißt du etwas? Weißt du, wo sie ist?“ „Nein Adam, das weiß ich nicht, bei mir ist sie nicht.“ „Aber du weißt doch etwas, das merke ich doch.“ „Na ja, ich meine, hat sie dir denn nichts gesagt?“ „Was gesagt? Nein, sie hat mir nichts gesagt.“ Silke schwieg. „Silke, hörst du mich? Was hat sie dir gesagt? Du musst es mir sagen!“ „Nun, nichts Konkretes, sie war nur, wie soll ich sagen, nicht so glücklich, also, in der letzten Zeit.“ „Nicht glücklich, hatte sie Probleme bei der Arbeit?“ „Das auch.“ Was meint sie, ging ihm durch den Kopf, das auch, wo denn noch? – Zuhause? Also bei ihnen zu Hause? Bei ihm? Soll das heißen, sie war mit ihm nicht glücklich? Was bildet sich diese Silke denn ein? Sie kennt uns doch gar nicht! Anneka unzufrieden mit ihm, mit ihrer Beziehung? Das stimmte nun wahrhaftig nicht. So undankbar war Anneka nicht. Und außerdem hätte er das ja gemerkt. Diese Silke ging ihm auf die Nerven. Er machte Schluss, „Ja, danke“, sagte er und legte auf. So eine …

Er ging in die Küche, er musste etwas essen. Der Kühlschrank war gut gefüllt. Na wenigstens das, dachte er, aber er machte ihn wieder zu und nahm eine Birne von der Obstschale. Birnen mochte er, wenn sie nicht schon so weich waren. Oft fingen die an der dünnen Seite an, weich zu werden. Warum hatten die dagegen noch nichts unternommen? „Typisch Adam“, hätte Anneka jetzt gesagt, „immer gleich Probleme lösen, egal welche und egal wessen Probleme das sind.“ Er hatte das stets von sich gewiesen, aber in Wirklichkeit hatte sie nicht so Unrecht.

Er ging zurück ins Wohnzimmer. Wieso sollte ihre Beziehung nicht in Ordnung sein? War da vielleicht wirklich etwas, was er nicht gemerkt hatte? Hatte sie einen anderen? Der Gedanke kam ihm absurd vor. Aber vielleicht, da war doch dieser Kollege an Annekas Arbeitsstelle, bei dieser Informatikfirma, bei der Anneka arbeitete und Programme schrieb. Wie hieß der noch? Er kam nicht darauf. So ein bulliger Typ, etwas älter

als Anneka, er schätzte siebenundzwanzig Jahre. Auch nicht viel jünger als ich. Adam mochte ihn nicht. Er sah an sich ganz gut aus, aber irgendetwas an seiner Art gefiel ihm nicht. Anneka mochte ihn, sie hatten darüber gesprochen. Er hatte sie beide einmal zu sich eingeladen. Danach hatte Anneka ihm gesagt, dass sie ihn, - Michael, jetzt fiel es ihm wieder ein –, dass sie den Michael ganz sympathisch fände. Er hielt das für eine Laune. Aber vielleicht – sie sahen sich ja jeden Tag, oft länger als er Anneka sah. Irgendwie passte ihm das nicht, der Gedanke gefiel ihm nicht, überhaupt nicht.

Plötzlich ging ihm durch den Kopf, dass Anneka ja noch in ihrer Firma sein könnte. Dass er daran nicht gleich gedacht hatte. Er schaute auf die Uhr, sie müsste noch ungefähr eine Stunde arbeiten. Im Nu war er angezogen und hastete zur U-Bahn-Station. Das war das Schöne an der Wohnung. Sie war zwar klein, sehr klein, aber prima gelegen. In fünf Minuten waren sie an der U-Bahn und konnten von da überall hin. Eine halbe Stunde brauchte er bis zur Uni, bis zum Psychologischen Institut, einmal umsteigen. Zu Annekas Firma war es sogar deutlich kürzer. Ein Auto brauchten sie nicht.

Adam wollte gleich durchgehen zu dem Raum, in dem Anneka zusammen mit einigen andern arbeitete, doch die Sekretärin hielt ihn auf. „Hallo Adam, wo willst du hin?“ „Ich will nur kurz zu Anneka, muss Sie etwas fragen.“ „Aber Anneka ist doch nicht da, sie ist doch schon seit zwei Tagen nicht mehr da.“ Adam schaute sie sprachlos an. „Sie hat doch gekündigt und dann gleich ihren Resturlaub genommen.“ Adam stand wie versteinert. „Das hättest du doch …, ich meine, hast du das nicht gewusst?“ Adam durchlief es siedend heiß. Wie peinlich, schrecklich peinlich. Warum hatte sie ihm auch nichts gesagt? Er war wütend, dass sie ihn in eine solche Situation gebracht hatte. Schließlich stammelte er: „Ja schon, also, ich war jetzt so in Eile.“ Und nach einer Pause: „Der Michael, also könnte ich den Michael wohl sprechen, ist er hier?“ „Ja, da hinten sitzt er“, und sie winkte ihm zu, herzukommen. Jetzt merkte Adam erst, dass alle in dem Großraumbüro mit ihrer Arbeit aufgehört hatten und zu ihnen herüberschauten. Wie peinlich.

Michael riss ihn aus seinen Gedanken: „Hallo Adam“, sagte er und sah ihn direkt an. Etwas spöttisch, kam es Adam vor, oder überlegen, oder herablassend? Es ärgerte ihn. Der weiß etwas, so wie der guckt! „Ist Anneka bei dir?“ Michaels Mimik änderte sich, er war erstaunt, fast erschrocken. „Anneka bei mir? Wie kommst du da drauf?“ Adam wusste nichts zu sagen, doch dann: „Du kannst es ruhig sagen.“ Nun schien es Adam so, als wenn Michael wieder diesen spöttischen Gesichtsausdruck hätte. „Ist sie dir weggelaufen?“ Adam schoss das Blut ins Gesicht, er verkrampfte sich, Wut stieg in ihm auf. Am liebsten wäre er auf Michael losgegangen. Mit Mühe riss er sich zusammen, atmete mehrfach tief durch. Lass das, ermahnte er sich. Das bringt nichts, das ist nicht deine Art. Noch einmal sah er Michael scharf an, dann drehte er sich um und verließ wortlos die Firma.

Den Blick starr voraus gerichtet lief er über die Straße. Er nahm nichts wahr, lief geradeaus. Nur Wut spürte er, nichts als Wut, Wut auf diesen eingebildeten, überheblichen Michael. Wie der sich über ihn lustig gemacht hatte, wie alle das mitbekommen hatten, wie sie ihn angestarrt hatten. Das war ein schönes Schauspiel, was er denen geliefert hatte. Noch nie hatte er sich so gedemütigt gefühlt. Warum hatte Anneka ihm das angetan? Anneka, die Sanfte, die Mitfühlende, die niemandem etwas zuleide tun konnte, die Verständnisvolle. Deswegen hatte er sie gemocht. Und jetzt das. Ein kleiner Zettel und das war's. Das war – gemein. Das hatte er nicht verdient. Es schnürte ihm die Kehle zu. Es tat ihm so leid, er tat sich so leid.

Er wusste nicht, wie lange er so gelaufen war, aber es musste schon einige Zeit sein, denn die Straßenzüge um ihn herum kannte er nicht. Hier war er noch nie gewesen. Was sollte er jetzt machen? Wo konnte sie sein? Wo konnte er noch suchen? Irgendwo musste sie ja schlafen. Vielleicht ist sie bewusst nicht zu einer Freundin gegangen, damit er sie nicht findet. Vielleicht ist sie erst einmal in ein Hotel gegangen. Das Residenz-Hotel fiel ihm ein, ein älteres, fast romantisch zu nennendes Hotel. Sie hatten schon einmal dort übernachtet, nur so, aus einer Laune heraus.

Er fuhr hin, musste zweimal umsteigen, es lag am anderen Ende der Stadt. An der Rezeption war eine junge Dame, die ihn freundlich begrüßte. „Guten Abend“, sagte er, „Ist bei Ihnen eine Anneka Richards?“ „Richards“, murmelte die Dame und schaute in ihren Computer. „Leider, das kann ich Ihnen nicht sagen.“ „Was heißt das: Können Sie mir nicht sagen. Sie haben doch nachgeschaut. Ist der Computer kaputt?“ „Wie gesagt, ich kann Ihnen das nicht sagen.“ „Also ist sie da, und sie hat Ihnen gesagt, dass Sie keine Auskunft geben sollen.“ „Wir geben generell keine Auskunft“, mischte sich eine ältere Angestellte ein. Adam mochte sie nicht, sie sah so verkniffen aus. „Also sagen Sie es doch gleich, sie wollen es mir nicht sagen.“ Die Ältere, Verkniffene, ging weg, und die Jüngere wandte sich wieder ihrem Computer zu. So jung ist sie auch nicht und geschminkt wie eine Puppe, dachte Adam und trat zurück.

Sie ist bestimmt hier, war er überzeugt, sie wollen es mir nur nicht sagen. Er schaute sich um. An der hinteren Seite war eine Bar, von dort konnte er den Eingang und die Rezeption gut überschauen. Dort würde er warten und würde sehen, wenn sie kam oder wenn sie das Hotel verlassen wollte. Der Barkeeper schaute ihn freundlich an: „Womit kann ich Sie denn erfreuen?“ „Ich fürchte, das schaffen sie nicht.“ „Sagen Sie das nicht, mir ist das schon bei manchem hoffnungslosen Fall gelungen“, antwortete er und lächelte Adam an. „Na dann probier‘ ich es einmal mit einem Whisky.“ „Whisky on the rocks, das ist doch schon einmal ein Anfang.“ Der ist ja ganz nett, dachte Adam, nahm seinen Whisky und nahm einen Schluck. Das tat gut.

Er beobachtete die Lobby. Einige Gäste standen an der Rezeption, ein älterer Herr saß in einem Sessel und las Zeitung. Wie in einem alten Film, dachte Adam. Von Anneka keine Spur. Die Eiswürfel in seinem Glas wurden allmählich kleiner. Er beobachtete, welcher wohl als erster aufgetaut sein würde. „Ist das spannend?“ Adam schaute auf. Der Barkeeper lächelte ihn wieder an. „Was meinen Sie?“ „Die Eiswürfel, die scheinen es ihnen angetan zu haben.“ Adam wusste nicht so recht, wie er reagieren sollte. Er fand das schon recht übergriffig. Doch andererseits – er war ja sehr freundlich und meinte das wohl nur gut. „Na ja“, sagte Adam und fixierte wieder seine schwindenden Eiswürfel. Der Barkeeper ging weg.

Adam beobachtete wieder das Treiben im Foyer. Einige Gäste reisten ab, ihre Koffer wurden nach draußen gebracht. Der ältere Herr war verschwunden, aber die Verkniffene war noch an der Rezeption. Die Jüngere auch. Seine Gedanken schweiften ab. Er dachte an Anneka, wie sie sich kennengelernt hatten, vor drei Jahren. Sie war ihm buchstäblich in die Arme gefallen. Die U-Bahn hatte ganz plötzlich scharf gebremst, und sie hatte den Halt verloren, er hatte sie aufgefangen. Sie schaute ihn an, erschrocken, mit großen blauen Augen. Er konnte seinen Blick gar nicht abwenden. Sie war so schön. „Sie können mich aber schon wieder loslassen“, sagte sie und lächelte ihn an. Es war ein solches Lächeln, dass er meinte, die Sonne ginge auf. „Dein Sonnenlächeln“, hatte er es später genannt. „Oh, Entschuldigung“, sagte er und half ihr, sich aufzurichten. „Haben Sie sich verletzt? Geht es Ihnen gut? Kann ich etwas für Sie tun? Brauchen Sie Hilfe?“ „Nein, nein“, antwortete die Fremde, die Schöne, „es ist alles in Ordnung.“ Sie lächelte ihn weiter an. Er konnte nicht anders, er musste auch lächeln, sie anlächeln. Er konnte den Blick nicht abwenden. „Ich muss jetzt aussteigen“, sagte sie. Er schaute durch das Fenster: „Oh ja, ich auch, das hätte ich ja fast verpasst.“ Sie lächelte wieder. Auf dem Bahnsteig ging er hinter ihr her. Dann nahm er allen Mut zusammen und fragte sie: „Kann ich sie vielleicht auf einen Kaffee einladen, ich meine, nach dem Schock?“

Ja, so war das gewesen. Bernd, sein Freund, hatte gesagt: „Dir musste schon jemand eine Frau in den Schoß legen, sonst hättest du nie eine bekommen.“ Dieses Lästermaul. Aber er hatte schon recht. Er wusste auch nicht – irgendwie. Eine frühere Kommilitonin hatte ihm später einmal erzählt, dass sie während des Studiums unsterblich in ihn verliebt gewesen sei. Er hatte nichts gemerkt.

So hatte alles angefangen – und so sollte es nun enden? „Liebeskummer?“ Der Barkeeper war wieder zu ihm getreten. Adam starrte ihn an. „Sie haben so versonnen gelächelt und dabei so traurig geschaut. Das kann nur Liebeskummer sein.“ Adam konnte nicht anders, er musste schmunzeln. „Sie sind wohl ein Psychologe.“ „Hinter der Bar

wird man zu einem.“ Nach einiger Zeit fragte er: „Und?“ „Was und?“ „Habe ich recht, ist es Liebeskummer?“ „Ja, ich glaube, das kann man so nennen.“ „Ist sie weg?“ Das geht den ja nun wirklich nichts an, dachte Adam. Aber dann sagte er: „Ich weiß nicht, vielleicht, vielleicht ist sie auch hier im Hotel. An der Rezeption wollte man mir nichts sagen.“ „Hm“, sagte der Barkeeper und wischte die Theke. „Möchten Sie noch einen Whisky?“ „Ja, bitte“, meinte Adam.

Die Zeit verging. Adam beobachtete das Geschehen um sich herum, ohne etwas wahrzunehmen. Nur: Anneka kam nicht. Der Barkeeper hatte noch mehrfach versucht, ihn ins Gespräch zu verwickeln, aber er wollte nicht. Es war schon lange dunkel. Über der Rezeption sah er eine Uhr. Viertel nach elf, konnte das sein? Wie lange hatte er hier gesessen? Wenn er richtig gezählt hatte, waren es vier Whisky lang. Es lohnt sich wohl nicht mehr, musste er sich schweren Herzens eingestehen. Wie sollte er jetzt nach Hause kommen? Er fühlte sich so schwach, konnte sich zu nichts aufraffen. „Bernd“, dachte er, „ich muss Bernd anrufen.“ Bernd war sein Freund. Er war auch am Psychologischen Institut, in der gleichen Abteilung. Bernd hatte kurz nach ihm promoviert. Er war wissenschaftlicher Assistent. Bernd verstand ihn, sie verstanden sich.

Es dauerte nicht lange, bis Bernd sich am Telefon meldete, mit seinem Hausnamen: „Basel“. Wenigstens lässt er seinen Doktor weg, dachte Adam, aber das war nur ein kurzer, lästiger Gedanke. „Ich bin's.“ Mehr konnte er nicht sagen, seine Kehle schnürte sich wieder zu.

„Adam? Bist du das, Adam? Was ist los?“ Er räusperte sich. „Anneka, Anneka ist weg.“ „Wie weg? Wo ist sie hin?“ „Ich weiß es nicht, sie ist einfach nur weg.“ Er musste würgen. „Sie hat einen Brief geschrieben, dass sie weggeht.“ „Wo bist du?“, fragte Bernd. „Im Residenz Hotel.“ „Was machst du denn da?“ „Ich weiß auch nicht, ich sitze an der Bar.“ „Ich komme. Lauf mir nicht weg“, sagte Bernd und legte auf.

Adam blieb sitzen, das Telefon in der Hand. Die Gedanken kreisten, aber sie kamen nicht weiter. So saß er, bis er plötzlich eine Stimme hörte. „Da bist du ja, Gott sei Dank.“ Bernd war es, Adam starrte ihn an als wisse er nicht, wieso der hier plötzlich auftauchte. „Ach du“, sagte er. Bernd setzte sich neben ihn. Adam sah schrecklich aus. Sein dunkelblondes Haar hatte sich selbstständig gemacht und strebte in allen Richtungen davon. Seine Augen waren mit dunklen Ringen geschmückt. Er blinzelte. Den Arm auf die Theke gelegt hing er mehr als dass er saß. Bernd bekam einen Schrecken, er tat ihm so leid. So hatte er seinen Freund noch nie gesehen. Adam war immer der Starke, der immer eine Lösung wusste. Sein Optimismus konnte schon manchmal nerven. „Ich bring’ dich jetzt nach Hause“, sagte er und bezahlte die Rechnung. Vier Whiskys, Donnerwetter! Auch das hatte er bei Adam noch nicht erlebt.

Adam hatte gar nicht richtig mitbekommen, wie er nach Hause gekommen war. „Seit wann trinkst du Whisky?“ „Trinke ich nicht.“ „Nun, in der Bar hast du vier getrunken.“ „Wirklich? Dann will ich noch einen.“ Bernd glaubte nicht, in Adams Wohnung Whisky zu finden, doch tatsächlich stand im Wohnzimmer eine Flasche, noch nicht angebrochen. Wer weiß, wie alt die war. Bernd fiel wieder auf, wie klein die Wohnung war und wie spartanisch ausgestattet. Man hatte den Eindruck, dass sie den Bewohnern nicht wichtig war. Für Adam galt das auch, zumindest behauptete er das, er war ja sowieso die meiste Zeit im Institut. Aber Anneka störte das. „Ich dachte, ihr wolltet umziehen, in eine neue Wohnung?“, fragte Bernd und stellte zwei Gläser auf den Tisch. „Wollten wir ja auch, nach der Hochzeit. Aber jetzt ist sie weg.“

„Nun erzähl mal, was heißt das, sie ist weg?“ „Ja, sie ist weg, einfach weg, verschwunden, hat sich aufgelöst.“ Nun war Bernd doch erschrocken: „Adam, das tut mir so leid. Was ist denn passiert?“ Adam sprach vor sich hin. Sie brauche eine Pause, hätte sie geschrieben, sie brauche Distanz. Stelle gekündigt, Koffer gepackt und verschwunden. Adam suchte den Brief, hielt ihn hoch. Dieser Zettel sei alles, was er habe. Warum habe sie ihm das angetan? Warum habe sie ihm nichts gesagt? Hatte sie ihm die ganze Zeit etwas vorgespielt? Vielleicht hatte jemand sie gezwungen, den Brief zu schreiben? Aber nein, sie hatte gepackt, sie hatte gekündigt, sie war auch für die Kollegen verschwunden, einfach so. So etwas mache man nicht. Er habe das nicht verdient.

Bernd hatte still zugehört; es erschreckte ihn, was er da hörte. Er wunderte sich auch über Adam. War er traurig, war er sauer, war er ärgerlich? „Das klingt, als seist du beleidigt“, sagte er schließlich, „das klingt nicht nach Liebeskummer, das klingt nach Mitleid, aber Mitleid mit dir selber. Hast du denn nichts gemerkt?“ „Nein, es war alles in Ordnung, sie hat mich doch geliebt, und sie liebt mich noch.“

Bernd sah ihn eindringlich an. „Bist du dir sicher? Manchmal bist du ihr doch auch auf den Wecker gegangen, manchmal fühlte sie sich bedrängt, und wenn ihr zusammen irgendwo ward, kam sie ja kaum zu Wort. Habt ihr darüber nie gesprochen?“ „Nein, wie kommst du da drauf? Wir wollten heiraten! Sie wollte das auch. Wir haben doch alles schon geplant.“ „Du hast geplant!“

Das zweite Glas Whisky stand auf dem Tisch. Adams Sprache wurde langsamer, und Bernd hatte Mühe zu folgen. „Das werde ich nicht hinnehmen. Ich suche sie, und ich werde sie finden.“ „Wo willst du sie suchen?“ „Ich weiß es nicht, aber ich werde sie suchen, und ich werde sie finden, das weiß ich.“ „Woher weißt du das? Wieso bist du dir sicher?“

Bernd hatte inzwischen aufgeholt und den dritten Whisky getrunken. Allmählich kreiste das Gespräch und es war unklar, wer was sagte: „Ich bin mir sicher, ich weiß es“, „Aber du weißt es nicht“, „Wieso, was willst du denn wissen.“ „Weißt du etwas? Hat sie dir etwas gesagt?“ „Nein, aber wieso hat sie dir nichts gesagt?“ „Das frage ich mich auch, das frage ich mich die ganze Zeit. Egal, letztlich hat das nichts zu bedeuten, sie braucht ja nur eine Pause, schreibt sie, und Pause heißt ja nur Pause, das heißt sie kommt wieder.“ „Einfach so? Oder solltest du sie suchen?“ „Ja, ich suche sie, und ich werde sie finden, da kannst du dir sicher sein, ganz sicher.“

Bernd gluckste: „Bist du denn ein guter Sucher?“. Adam sah ihn an. „Was willst du damit sagen?“, fragte er. „Nichts“, sagte Bernd. „Nichts?“ „Nichts!“ Adam sah ihn weiter an: „Dann habe ich es verstanden.“

Ein Moment war Stille. Dann prustete Bernd los und Adam auch. Das Lachen brach so aus ihnen heraus, wie eine Explosion, wie eine Erlösung. „Nichts, dann habe ich es verstanden“, wiederholte Bernd und schüttelte sich. „Ich kann nicht mehr, ich glaub’, mir wird schlecht.“ Sie stießen an. Dann brach das Lachen wieder los. Beobachter würden rätseln, was mit den beiden los war. Sie würden es nicht verstehen, und die beiden verstanden es selber schon lange nicht mehr.

Spät am nächsten Morgen wachten sie auf. Bernd brauchte einige Zeit, bis er wusste, wo er war und was passiert war. Adam war bereits wach, saß auf dem Boden, an das Sofa gelehnt, hielt sich den Kopf und starrte vor sich hin. „Ich dachte erst, es sei nur ein Traum gewesen“, sagte er leise. „Aber sie ist wirklich weg. Was soll ich bloß tun? Was kann ich tun?“

„Das ist mal etwas Neues“, sagte Bernd, „dass du zugibst, nicht alles unter Kontrolle zu haben. Geh erst einmal duschen. Ich setz’ schon einen Kaffee auf.“

Sie sprachen nicht viel während des Kaffeetrinkens. Adam beobachtete Bernd. Er war ihm dankbar, dass er ihn nach Hause gebracht und bei ihm geblieben war. Nun sah er etwas wild aus, unausgeschlafen, verkatert. Bernd war sowieso nicht so groß und etwas stämmig, aber jetzt wirkte er noch kleiner, so wie er auf dem Küchenstuhl saß.

Die Stille wurde drückend. Dann sagte Bernd: „Du solltest sie wirklich suchen, sonst drehst du durch.“ „Aber wo? Wo kann sie sein? Ich habe doch schon überall gesucht.“ „Du könntest einmal mit Birte sprechen. Vielleicht hat Anneka ihr etwas gesagt oder zumindest Andeutungen gemacht. Oder sie hat ihr verboten, dir etwas zu sagen, dann kannst du sie vielleicht überreden.“

Birte war auch eine Freundin von Anneka. Er kannte sie nicht gut. „Wenn du meinst?“ Vielleicht sollte er das wirklich tun, vielleicht wusste sie ja wirklich etwas, irgendjemand musste doch etwas wissen. Adam wirkte ein wenig zuversichtlicher, und Bernd bestätigte ihn. „Mach es gleich. Ich fahre jetzt erst einmal nach Hause. Wir sehen uns dann später im Institut.“ „Danke“, sagte Adam.

Aber erst rief er noch einmal bei dem Hotel an. Er wolle Frau Richards sprechen. Sie sagten ihm, dass sie keinen Gast diesen Namens hätten.

Er setzte sich an seinen Rechner. Vielleicht hatte sie ihm eine E-Mail geschickt. Das war verrückt, aber wer weiß, es könnte doch sein. Auf dem Laptop war noch der Browser geöffnet. Plötzlich erschien mitten auf der Seite ein Fenster: ‚Ihr Honeymoon Hotel‘ stand dort. Es war der Verweis auf eines der Hotels, die er sich wegen der Hochzeitsreise angeschaut hatte. Er starrte auf den Bildschirm. Es kam ihm unwirklich vor, unpassend, ja wirklich völlig unpassend. Ihm war jetzt wirklich nicht nach Honeymoon zumute. Es war eine Zumutung, ein Übergriff. Wer manipulierte ihn da?

Er kannte natürlich solche Einblendungen von Internet-Seiten und hatte sie schon oft gesehen. OFAGO, die Internetkrake, war halt überall. Man konnte ihr nicht entkommen, oder man ließ den Rechner geschlossen und das Smartphone in der Tasche. In der Regel ließen solche eingeblendeten Werbeanzeigen ihn kalt. Sie waren nur lästig. Aber diese war wie ein Stich. Die konnten doch nicht einfach so etwas senden. Ihm war so, als wenn „die“ doch wissen müssten, wie es ihm ging und dass er im Moment an dieses Thema wahrhaftig nicht erinnert werden wollte. Natürlich wussten sie das, oder nicht?

Voller Ärger klappte er den Laptop zu. Dann fiel ihm ein, dass er nach E-Mails schauen wollte. Es gab einige, aber sie waren ihm egal. Von Anneka war nichts dabei. War ja auch nicht zu erwarten gewesen.

Nur eine Idee

Er rief Birte an, Annekas Freundin. „Sie ist weg, tatsächlich weg?“, fragte sie, als Adam ihr die Situation erklärt hatte. Adam war ernüchtert: „Dann weißt du nichts? Hat sie dir nichts gesagt? Ihr habt doch immer alles besprochen. Du musst doch was gemerkt haben“. „Du meinst, mehr als du selbst?“ Adam musste schlucken: „Ja, das meine ich wohl, das hoffe ich. Wenn du nichts weißt, dann weiß ich auch nicht mehr, was ich tun könnte.“ „Komm vorbei“, sagte Birte, und er machte sich sofort auf den Weg.

Es war nicht so weit bis zu Birte. Sie wohnte mit Damian, ihrem Mann, in einem schicken Haus in bester Lage. Er war auch dort schon einmal mit Anneka gewesen. Wir waren sowieso nur bei ihren Freundinnen und Freunden, außer bei Bernd. Aber den Gedanken vertiefte er nicht weiter.

Alles war großzügig, geschmackvoll eingerichtet. Das war nicht verwunderlich: Birte brachte den Geschmack mit, sie war Innenarchitektin, und Damian das Geld. Er war bei OFAGO tätig, ausgerechnet bei OFAGO, musste er denken. Die Firma war ihm noch unsympathischer als gewöhnlich.

„Komm rein“, sagte Birte. „Möchtest du einen Kaffee?“ Das wäre sicher gut, denn der Schädel brummte ihm noch immer. Er schaute sich um, so, als ob Anneka hinter einer Ecke stehen würde. „Nun erzähl mal“, sagte Birte. „Da ist nicht viel zu erzählen. Ich habe nichts, wirklich gar nichts, nur einen kurzen Brief. Sie ist einfach wie vom Erdboden verschwunden. Sie hat mir nichts gesagt, sie hat mich nichts merken lassen.“

Birte schaute ihn nachdenklich an. Sie hat lange Wimpern, dachte Adam. Auch sonst ist sie ganz attraktiv. Nicht unbedingt für ihn. „Sie mag dich schon“, sagte Birte schließlich. „Wieso weißt du denn nichts von ihren Plänen?“ Adam räusperte sich. Birte fuhr fort: „Wie gut kennst du sie wirklich? Zum Beispiel, war sie mit ihrer Arbeit zufrieden? Wollte sie vielleicht lieber etwas anderes tun? Hat sie dir darüber nie etwas gesagt?“

„Ja, schon, aber das war nur der übliche Arbeitsstress.“ Es war Adam peinlich; er hatte den Eindruck, Birte auch. Sie blickte auf ihre Hände: „Ich glaube, das war schon mehr. Mir hat sie zumindest erzählt, dass ihr die Arbeit keinen Spaß machte. Einfach nur programmieren war nicht das, was sie machen wollte. Und konnte. Sie wollte selber Lösungen, Programme konzipieren. Aber das war in ihrer Firma wohl nicht möglich. Sie hätte liebend gerne gewechselt.“

Adam schaute Annekas Freundin groß an. „Wirklich?“, fragte er, „hat sie das wirklich gesagt?“ „Dir nicht?“ Adam senkte den Blick. „Nun ja, sie hat, glaube ich, mal so etwas gesagt. Aber ich hab es nicht für so wichtig genommen. Ich muss sagen, ich habe auch nicht weiter nachgefragt.“ „Ja“, sagte Birte.

Die Stille, die folgte, konnte man fast schon hören. „Du meinst“, fragte Adam schließlich, „sie könnte eine neue Stelle haben?“ Birte hob die Schultern: „Ich weiß es nicht, aber wundern würde es mich nicht. Sie war ja wie besessen von der Idee, eigene Programme zu entwickeln. Wie sie ihr Ziel erreichen wollte, davon hat sie mir nie etwas erzählt. Sie hat aber Damian über die Tätigkeit von Informatikern und IT Ingenieuren bei OFAGO fast ausgehorcht.“ „Dann ist sie vielleicht bei OFAGO? Hat Damian etwas gesagt? Hat er ihr einen Job vermittelt?“ „Frag ihn selber“, sagte Birte, „ich höre sein Auto.“

Damian Wanke trat ein und beherrschte sofort das Zimmer. Er war groß, kräftig gebaut und hatte eine tiefe, laute Stimme. „Hallo, ich erinnere mich“, begrüßte er Adam und setzte sich in einen etwas abseits stehenden Sessel. „Sie sind mit Anneka zusammen, Birtes Freundin.“ „Ja, wir wollen in zwei Monaten heiraten.“ „Oh“, sagte Damian, „das wusste ich nicht.“ Er schaute nach unten, etwas betroffen, hatte Adam den Eindruck. Aber dann fuhr er fort: „Toll. Ist ja heutzutage schon fast eine Seltenheit, dass junge Leute heiraten.“ So viel älter ist er auch nicht, dachte Adam, vielleicht zehn Jahre? Vielleicht war er auch schon fünfzig. Seine Frau war auf jeden Fall jünger, kaum älter als Anneka. Er würde sie auf Anfang dreißig schätzen.

„Anneka ist ja eine äußerst engagierte Informatikerin“, sagte Damian. „Sie suchte doch einen anderen Job.“ Er schaute Adam an, aber der sagte nichts. „Nun, hat sie ihn gefunden? Hat das geklappt? Ich würde es ihr wünschen.“ Und dann gleich weiter: „Wo ist sie, ist sie auch hier?“ Es war Adam sehr peinlich. „Nein“, antwortete er, „sie ist nicht hier.“ „Anneka ist weg“, warf Birte ein und sah ihren Mann an, etwas lang und eindringlich, nach Adams Eindruck. „Adam ist gekommen um zu fragen, ob ich wüsste, wo sie ist. Aber ich weiß nichts.“

Damian sah zu Adam. „Sie wissen nicht, wo sie ist?“ Adam hätte am liebsten gesagt: „Wissen Sie es?“ Irgendwie klang das so, als wenn dieser Damian mehr wusste. Aber das schien ihm dann doch zu direkt und auch irgendwie nicht angebracht. Er hatte auch keine Lust, alles zu wiederholen, was er Birte schon erzählt hatte. Er hatte gar keine Lust mehr, darüber zu sprechen. Er sagte nichts, und Damian fragte nicht nach.

„Sie sind auch Informatiker?“, fragte Damian schließlich, offenbar um die Stille zu überbrücken. Interessieren tat es ihn nicht. „Nein“, antwortete Adam, „ich bin Psychologe.“ „Psychologe, das ist ja interessant. Da meint man ja gleich, sich vorsehen zu müssen, weil Sie einem in den Kopf schauen.“ Wie er das hasste! „Ich kann Sie beruhigen“, sagte Adam etwas gequält. „Mit das Erste, was Studierende der Psychologie lernen müssen, ist, dass sie ihrem Eindruck nicht so ohne weiteres vertrauen dürfen. Sonst müssten sie ja nicht Psychologie studieren.“

Damian nickte. „Das macht Sinn. Was machen Sie, machen Sie Psychotherapie?“ „Nein“, antwortete Adam. Birte mischte sich in das ‚Verhör‘ ein. „Er ist an der Uni, bildet Studenten aus und macht Forschung.“ „Interessant“, meinte Damian. „Sind Sie Professor?“

„Oh nein“, lachte Adam, etwas gequält. Er war jetzt froh, über etwas anderes sprechen zu können. „So schnell geht das nicht, Professor zu werden. Ich bin Privatdozent und arbeite in der Abteilung für Motivation und Emotion auf einer befristeten Stelle. Eine Professur wäre der nächste Schritt, aber Professorenstellen sind selten.“

„Das sind dann ja nicht gerade die besten Aussichten“, sagte Damian. „Richtig“, gab Adam zu. „Man kann diesen Job nur machen, wenn einen die Forschung wirklich interessiert, wenn man neugierig ist, wenn es einen befriedigt, eine Antwort auf Fragen zu finden, seien sie auch für sich genommen nur klein und unbedeutend. Aber zusammengenommen können Ergebnisse doch manch wichtige Fragen beantworten oder auch Ideen für praktische Anwendungen geben. Das gilt natürlich auch für die Psychologie, und ich meine, gerade für die Psychologie.“ Damian war interessiert. „Wirklich? Ich habe die Psychologie noch nie für so wichtig gehalten, wenn ich das sagen darf. Irgendwie wirkt das doch alles ein wenig – spekulativ, interpretativ. Was machen Sie denn, woran forschen sie? Oder – man kann das sogar anwenden, sagten sie?“

„Wie soll ich das erklären?“ Adam schaute Damian Wanke an. „Am besten erzähle ich Ihnen einmal, was mir eben passiert ist. Da war ich sehr verärgert über ihre Firma, über OFAGO.“ „Oh, wie das?“ warf Herr Wanke spöttisch ein. Adam ging nicht darauf ein. Er erzählte ihm von dem Werbefenster für das Honeymoon-Hotel. „Dass diese Seite wieder auftauchte, ist ja vielleicht nicht so schlimm, ist vermutlich eine lukrative Werbestrategie Ihre Firma. Aber für mich, in dieser Situation, in der ich gerade gewissermaßen vor dem Aus stand, hätte ich alles andere gebrauchen können als einen Hinweis auf Honeymoon.“

„Oh nein!“, sagte Birte, „das kann ich wirklich verstehen.“ „Ja“, sagte Damian. „Und Sie können das mit ihrer Forschung verändern?“, fragte er skeptisch. „Nun ja, es wäre gut, wenn Ihr Programm wüsste, in welcher Situation es den Menschen antrifft. Dann könnte es entscheiden, ob die Werbung Sinn macht oder den Betrachter nur ärgert.“

Damian lachte, „Das wäre wirklich gut. Aber wie soll das gehen? Wie soll das Programm wissen, in welcher Situation sich der User befindet? Ich kann ihn kaum fragen, oder? Übernimmt sich da der Psychologe nicht etwas?“ schmunzelte er. Birte schaute ihn strafend an, und Adam spürte wieder den Ärger aufsteigen über OFAGO, über Damian und über die Arroganz, mit der dieser Herr Wanke wie so viele andere über die Psychologie urteilten nach dem Motto: Ich kenne mich, also kenne ich den Menschen, da brauche ich keine Psychologie. Dabei kennen sie noch nicht einmal sich selber, nur was sie glauben zu sein.

Adam versuchte, sich seinen Ärger nicht anmerken zu lassen, doch es reizte ihn, den eingebildeten Firmenchef von seiner Arroganz herunterzuholen. „Sie haben recht. Es wäre anmaßend und verrückt, in Bruchteilen von Sekunden die Lage eines Menschen objektiv beurteilen und einordnen zu wollen. Aber darum geht es nicht. Das Programm müsste nur wissen, wie die Person sich fühlt, in welcher Stimmung sie gerade ist. Wenn ihr Programm gemerkt hätte, welche Gefühle ich in dem Moment hatte, dann hätte es auf die Werbung verzichten können. Denn so viel steht fest: in der Stimmung war mir wahrlich nicht danach zumute, etwas zu kaufen oder zu bestellen. Die Firma hätte sich den Ärger ersparen können, den ich nunmehr mit ihr verbinde, und der Ärger verbindet sich auch mit dem, was ich da gesehen habe, mit dem Hotel. Das kann doch wohl nicht in Ihrem und im Interesse Ihres Kunden sein.“

Damian hatte ihm zugehört. „Da haben Sie sicher recht. Und das geht einfach so, die Gefühle zu erkennen?“ Nach Adams Eindruck wirkte das noch immer ziemlich herablassend. „Na ja, das können selbst Sie.“ Damian blickte etwas pikiert, aber so hatte er das nicht gemeint. „Ich meine“, sagte er, „das kann jeder Mensch. Wenn wir einen Menschen sehen, in einer bestimmten Situation, dann haben wir tatsächlich in Bruchteilen von Sekunden einen ersten Eindruck von seinen aktuellen Gefühlen, selbst wenn uns das in dem Moment gar nicht bewusst ist.“ „Interessant. Und die Psychologen glauben, das kann ein Computer auch? Da bin ich gespannt“, reagierte Damian mit süffisantem Lächeln.

Diese Überheblichkeit nervte Adam. Er musste sich zusammennehmen, um nicht heftig zu reagieren. „Ob das die Psychologen denken, weiß ich nicht, aber ich denke, ja. Das Erkennen der Gefühle meines Gegenübers ist keine übernatürliche Fähigkeit. Es gibt sehr handfeste Hinweise bei der Person, Hinweise, die wir wahrnehmen können und die uns spontan erkennen lassen, wie es der Person geht, wie sie sich fühlt. Mehr noch: automatisch können wir ein Stück mit ihr mitfühlen.“

Damian war jetzt aufmerksam: „Das Programm müsste also erkennen, was die Person fühlt, die vor dem Computer sitzt oder das Smartphone in der Hand hat?“ „Ja, genau.“ „Forschen Sie darüber?“ „In gewisser Weise“, meinte Adam, und er merkte, dass es ihm guttat, dass Damian nun nicht mehr so abfällig klang. „In unserer Arbeitseinheit beschäftigen wir uns unter anderem damit, wie man Gefühle bei einem anderen wahrnimmt. Das können wir ja, ohne uns anstrengen zu müssen, zumindest meistens. Der Eindruck ist einfach da.“ „Das stimmt“, meldete sich Birte, „das sieht man an seinem Gesicht.“ „Richtig, wie er schaut, wie er den Mund verzieht oder die Stirn runzelt, an seiner Mimik.“ Adam lächelte Birte an und fuhr fort.

„Da gibt es noch viel mehr, das mir bei meinem Gegenüber etwas über seine Gefühle verrät, etwa die Art, wie er spricht, laut oder leise.“ „Du sprichst immer laut“, sagte sie zu Damian. „Ich denke“, warf Adam ein, „wenn er sich freut, wird er etwas lauter sprechen und wenn er etwas traurig oder deprimiert ist, etwas leiser, etwas zögerlicher, und vielleicht ist die Sprache auch weniger deutlich.“ „Hm“, sagte Damian, und Birte lächelte ihn an. Adam erzählte noch über die weiteren Hinweise, aus dem Verhalten, aus körperlichen Reaktionen, die man wahrnehmen könne, wenn jemand rot oder blass im Gesicht würde. Auch die Wortwahl spiele eine Rolle. „All das passiert gleichzeitig, gehört gewissermaßen zusammen, und wir haben gelernt, dass so eine bestimmte Konstellation immer dann auftritt, wenn eine Person ärgerlich ist oder erwartungsvoll, sich freut oder wütend ist. Wenn wir das wahrnehmen, unterschwellig, wir müssen gar nicht darauf achten, ist sofort der Eindruck von diesem Gefühl da. Aber unbewusst richten wir uns darauf ein, dass unser Gegenüber zum Beispiel ärgerlich ist. Dann verhalten wir uns anders, als wenn wir merken, dass er gute Laune hat.“ „Das ist toll“, sagte Birte.

„Und ein Computer soll das alles auch erkennen?“, fragte Damian. Adam kam in Fahrt: „Ja, etwa an der Mimik: Wir wissen inzwischen sehr genau, welche Muskeln im Gesicht angespannt und welche locker sind, wenn wir ein bestimmtes Gefühl erleben. Die Methode, aus dem Muster der Anspannung einzelner Gesichtsmuskeln auf Emotionen schließen zu können, ist inzwischen ziemlich ausgereift. Und Computer können das tatsächlich erkennen.“ Er schaute Damian an: „Es gibt bereits Programme, die Gefühle von Personen auf Fotos oder Filmen analysieren können. Vielleicht hat OFAGO selber auch schon ein solches Programm.“ Damian sagte nichts, er schaute vor sich hin. „Wie gruselig“, sagte Birte.

Adam fuhr fort: „Man müsste das nur so gestalten, dass nicht ein Foto oder ein fremdes Gesicht analysiert werden, sondern das Gesicht des Nutzers. Aber das sehen der Computer oder die Smartphones ja heute sowieso fortlaufend über die Selfie-Kameras. Die erfassen und identifizieren ja das Gesicht. Man kann ja bereits heute den Computer einschalten, indem man nur auf den Bildschirm schaut.“

„Ich verstehe“, überlegte Damian. „Sie meinen, dass man dann auch erfassen könnte, welche Gefühle der User hat. Meinen Sie wirklich, das geht?“ „Ja, ich bin mir sicher. Ich finde das wirklich spannend, wenn man das überprüfen und weiterentwickeln könnte. Denn wenn man die Gefühle eines Nutzers erfassen kann, in verschiedenen Situationen oder bei Betrachtung verschiedener Homepages, gibt es wirklich sehr viele Möglichkeiten, das anzuwenden, zum Beispiel die Werbung zu steuern.“

Damian schwieg eine Weile. Dann räusperte er sich. „Das klingt wirklich interessant, was Sie da sagen.“ Adam sah ihn an: „Aber um das machen zu können, braucht man große Datenmengen, Daten von vielen Menschen, um daraus mittels Künstlicher Intelligenz regelmäßige Muster von Muskelkontraktionen oder typischen Sprachmerkmalen herauszufiltern. Das lässt sich unter den Forschungsbedingungen von Universitäten kaum realisieren.“

„Sie würden das gerne machen?“, sagte Damian nachdenklich. „Oh ja“, meinte Adam, „das fände ich wirklich spannend.“ „Hm“, meinte Damian, „vielleicht könnte OFAGO Sie bei diesen Projekten unterstützen und ihnen die Daten liefern. Wir bekommen sehr viele Daten von unseren Nutzern, auch ohne allzu großen Aufwand, wie Sie wissen.“

Adam schaute Damian an. Ihm schossen die Gedanken durch den Kopf: Ein Projekt mit Unterstützung von OFAGO? Welche Möglichkeiten hätte man da! Aber von OFAGO, ausgerechnet OFAGO, der Datenkrake? Er wusste andererseits, dass OFAGO sehr viel Grundlagenforschung unterstützte, auch große Projekte, und das ohne große Auflagen, selbst wenn noch sehr fraglich war, ob am Ende dabei etwas kommerziell Verwertbares herauskäme. Zumindest hatte er das einmal gelesen. Nach der Philosophie des Unternehmens ging es angeblich auch nicht darum, sondern um die Frage, was man machen könne, um das Leben zu erleichtern. So hieß es wenigstens. Das wären natürlich ideale Rahmenbedingungen für viele interessante Forschungsprojekte. Aber meinte Damian das wirklich so, wollte er ihm eine Projektfinanzierung und vor allem Daten anbieten?

Damian schmunzelte. Er hatte Adam beobachtet. „Ich denke, das würde Sie reizen. Vielleicht sollten Sie das machen. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie mit OFAGO ihre Ideen realisieren könnten. Überlegen Sie sich das einmal. Rufen Sie mich an, dann könnten wir vielleicht ein Gespräch in etwas größerem Kreis arrangieren, damit Sie noch ein paar andere Leute von Ihrer Projektidee überzeugen können. Ich muss bekennen, dass ich sehr beeindruckend fand, was Sie gesagt haben. Ich würde mich freuen, wenn etwas daraus würde.“ Birte lächelte ihn an. „Das wäre doch wirklich was.“

Adam verabschiedete sich. Seine Gedanken überschlugen sich. Das wäre spannend, das wäre herausfordernd, da könnte er etwas erreichen. Es war ein gutes Gefühl. Aber dann dachte er wieder: Der meint das sicherlich nicht ernst. Oder: er hat das nur gesagt, um abzulenken, weil er ein schlechtes Gewissen hat, weil er in Wirklichkeit doch weiß, wo Anneka ist. Aber das war absurd, das konnte nicht sein, den Gedanken wies Adam gleich wieder von sich. Die Vorstellung von solch idealen Arbeitsbedingungen war viel zu aufregend.

Eine andere Sorge meldete sich, fast ein schlechtes Gewissen. Emotionen waren ja gar nicht sein Forschungsschwerpunkt, sondern der von seinem Freund Bernd, auch wenn sie ja viel zusammen arbeiteten und Emotionen mit Motivation, seinem Schwerpunkt, eng zusammen hingen. Sollte da nicht eher Bernd diese Chance bekommen? Adam dachte nach. Sie sollten das gemeinsam machen, gemeinsame oder mehrere einzelne Projekte. Er müsste das dringend Bernd erzählen. Obwohl – das Ganze war ja noch nicht mehr als eine Idee und wohl sehr unrealistisch.

Er war aufgeregt. In seinem Kopf ging alles durcheinander. Erst später merkte er, dass er gar nicht mehr an Anneka gedacht hatte.

Kapitel 2. Möglichkeiten

Aufgewühlt

Nichts war mehr wie zuvor. Alles lag wie hinter einem Schleier der Unwirklichkeit, nunmehr schon seit zwei Wochen. Anneka war weg, seine Wohnung war leer. Und dann diese Gedanken an OFAGO, die ihn nicht mehr losließen. Soll ich das machen, ein Projekt bei OFAGO? Er malte sich aus, welche Möglichkeiten er haben könnte. Die Projekte, die ihm durch den Kopf gingen, wurden immer größer und fantastischer. Und vor allem: er könnte eine ungeahnte Menge an Daten bekommen, sodass Auswertungen möglich würden, die bei kleinen Stichproben gar nicht möglich waren.

Im Institut fühlte er sich fast fremd, oft konnte er sich nicht konzentrieren. Dann wieder kam es ihm vor, als ob er sich verkaufen würde. Wofür? Für Erfolg? Was für ein Erfolg? Für Geld? Für sein Renommee als Forscher? Dürfte er seine Forschungsergebnisse von Projekten bei OFAGO überhaupt veröffentlichen? Würde überhaupt jemand die Ergebnisse mitbekommen, falls das Projekt erfolgreich wäre? Wenn es tatsächlich gelingen würde, in kürzester Zeit automatisch die Emotionen vom Gesicht einer Person abzulesen, die vor einem Computer sitzt, ein Tablet benutzt oder auf ihr Smartphone schaut, vielleicht sogar, wenn sie vor einem Fernseher sitzt? Er wusste nicht genau, ob Fernseher auch eine eingebaute Kamera und ein Mikrofon haben. Dann kamen ihm wieder Gedanken, was man alles noch machen könnte, wenn man tatsächlich online die Emotionen erfassen könnte.

Manchmal zwang er sich, nicht daran zu denken. Dann dachte er an Anneka. Er hatte überlegt, Annekas Eltern anzurufen, obwohl das vermutlich keinen Sinn machte, weil sie ja keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern hatte. Sie hatte auch nicht gewollt, dass sie zu ihrer Hochzeit kämen. „Dann machen wir das im engsten Freundeskreis, ganz ohne Familie“, hatte er vorgeschlagen. Anneka hatte etwas enttäuscht geschaut und gesagt: „Wie bei einer Beerdigung, im engsten Kreis“. Damals hatte er gar nicht drauf geachtet, aber jetzt fiel es ihm wieder ein. Was hatte sie wohl gemeint? Wie war sie auf Beerdigung gekommen? Er schüttelte den Gedanken ab. Er wollte bei Annekas Eltern anrufen! Was sollte er sagen, wenn er ihre Mutter oder ihren Vater am Telefon hätte? Sie kannten ihn ja gar nicht, und nachher machten sie sich vielleicht Sorgen. Dann suchte er doch die Telefonnummer und rief an. Ihre Mutter meldete sich: „Richards“. „Guten Tag, Frau Richards“, sagte er, „könnte ich wohl Anneka sprechen?“ „Die ist nicht hier“, antwortete sie. „Wer sind Sie denn?“ „Ein Bekannter, ich habe ihre Tochter einmal getroffen und wollte Sie etwas fragen. Ich erinnerte mich nur, aus welcher Stadt sie kam, und so habe ich Ihre Telefonnummer gefunden.“

„Aha“, sagte Frau Richards, „aber wie gesagt, sie ist nicht hier, und wir wissen auch nicht, wo sie ist.“ „Dann entschuldigen Sie bitte die Störung“, sagte Adam und legte auf. Er war nicht enttäuscht, eher erleichtert, dass das Gespräch beendet war. Er hatte ein schlechtes Gewissen. Mehr und mehr gewöhnte er sich an den Gedanken, dass er nur warten könne, bis sie sich wieder meldete. Denn das würde sie auf jeden Fall tun, da war er sich sicher. Aber das Warten war schwer – dachte er.

Vor einem Gespräch bei OFAGO hatte er Angst. Könnte er dort überzeugen? Die würden sicherlich das Ganze als Phantasmen abtun! Er musste sich vorbereiten, mehr erfahren über den letzten Stand der Forschung zum System der Gesichtskodierung und Emotionsanalyse. Ihm wurde klar, dass er mit Bernd sprechen musste. Er brauchte ihn dafür, und er wollte ihn auch dabei haben, aber er war sich keinesfalls sicher, ob der mitmachen würde.

Adam saß im Institut und las einen Artikel über Gesichtserkennung, als Bernd in sein Zimmer stürmte. „Du glaubst es nicht, ich hab's, ich hab das Projekt, es ist bewilligt, stell dir vor!“ „Welches Projekt?“ „Na, das mit der Filmdarbietung von Gesichtern in Zeitlupe. Um zu sehen, ob die Emotionen dann zuverlässiger erkannt werden können.“ Es hatte jetzt tatsächlich geklappt, er hatte lange dafür gearbeitet.

„Bist du glücklich?“, fragte Adam. „Ich bin glücklich!“, rief Bernd und riss seine Arme in die Höhe. „Beruhige dich, das vergeht wieder“, meinte Adam. Bernd schaute ihn irritiert an, dann stürzte er auf ihn los und ließ spielerisch seine Fäuste auf ihn niedergehen. „Du Idiot!“ „Halt!“, bremste ihn Adam und lachte, „lass das, das stimmt doch. So ein Glücksgefühl hält doch nicht lange, das erschöpft sich.“ Nachdem das Trommeln von Bernds Fäusten nachgelassen hatte, redete er weiter: „Da musst du schon etwas tun, damit dann ein neuer Wunsch in Erfüllung geht und du dich wieder glücklich fühlst.“ Bernd hob erneut die Arme. „Also“, fuhr Adam fort, „zum Beispiel, wenn die Versuchsanlage dann endlich steht.“ Bernd hielt inne und grinste. „Ach so, und wenn die Ergebnisse so sind, wie ich hoffe“, sagte er und lachte. „Und so richtig, richtig glücklich wirst du, wenn du aufgrund der Ergebnisse eine Professur bekommst.“ „Jawohl!“, rief Bernd und riss seine Arme wieder hoch. Beide lachten.

„Siehst du, nun hast du wieder etwas gelernt.“ „Danke, Herr Professor, und was habe ich gelernt?“ „Dass das Glück flüchtig ist. Du willst Glück auf Dauer pachten, du Nimmersatt. Aber das schaffst du nicht. Du kannst nur versuchen, möglichst häufig solche Glückserlebnisse zu haben und möglichst selten unglücklich zu sein.“ „Dann wäre ich nur so richtig glücklich, wunschlos glücklich, wenn ich nicht immer wieder neue Wünsche hätte?“ „Jawohl, heiliger Bernd, ich sehe dich schon als wunschlosen buddhistischen Mönch, kurz vor dem Nirwana.“ „Das wäre ja furchtbar langweilig.“ „Und schwups, da hast du schon einen weiteren Wunsch: keine Langeweile erleben.“ Bernd schaute empört: „Mit einem Motivationsforscher sollte man nicht sprechen, das bringt nur Unglück.“

Emotionserkennung

Bernd sah den Artikel auf dem Schreibtisch von Adam. „Was liest du denn da, etwas über Gesichtskodierung?“ „Ja, ich wollte sowieso mit dir darüber sprechen. Komm, wir gehen essen.“ Sie gingen in Bernds Zimmer, der sich dort seinen Mantel holen wollte. Es war ein einfacher Büroraum, nicht anders als die anderen Räume der Mitarbeiter, wenn man einmal von den Papierstapeln absah, die überall lagen, wo noch ein Plätzchen frei war, selbst auf dem Besprechungstisch.

Adams Blick fiel auf ein Plakat, das Bernd an einer Wand angebracht hatte. Es zeigte eine Vielzahl von Gesichtern mit unterschiedlicher Mimik. Er hatte es schon oft gesehen, aber erst jetzt stach es ihm ins Auge. „Das sind ja eine ganze Menge Gefühle“, meinte Adam. „Oh nein, nur eine kleine Auswahl. Wenn ich alle darstellen wollte, reichten vermutlich meine vier Wände nicht. Immerhin sind inzwischen zehntausend Gesichtsausdrücke unterschieden worden.“ „Zehntausend?“, wiederholte Adam. „Naja“, meinte Bernd“, wenn du die dreiundvierzig Muskeln unseres Gesichts nimmst und die miteinander kombiniertest, dann kämst du noch auf eine um ein Vielfaches höhere Zahl. Aber manche Muskeln sind gewissermaßen miteinander verknüpft, sodass sich die Zahl der Kombinationsmöglichkeiten reduziert.“

Sie gingen in die Mensa. Dort aßen sie meistens, das war am bequemsten. Bernd fragte nach Anneka, doch Adam brachte das Gespräch schnell auf die Gesichtskodierung. „Zehntausend Gesichtsausdrücke kann man unterscheiden, sagtest du, also kennt man zehntausend Emotionen?“ Bernd lachte. „Das kannst auch nur du fragen. Du kennst nur – lass mich raten, drei, wenn du überhaupt merkst, wie sich jemand fühlt. Auf dem Auge bist du, ich muss es leider sagen, blind.“ Adam wollte protestieren, aber Bernd redete weiter: „Schon gut, schon gut. Also: Sicher unterscheiden kann man im Moment nur sieben Basisemotionen: Fröhlichkeit, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung. Die sind weitgehend kulturunabhängig, der entsprechende Gesichtsausdruck ist bei allen Menschen gleich, und alle, also fast alle, Anwesende ausgenommen, erkennen diese Gefühle.“

„Hm.“ Adam schaute skeptisch. „Das ist aber wohl mal mager, Doktor Basel, da müssen sie sich wohl noch ein bisschen mehr Mühe geben.“ Bernd konterte: „Dann geben Sie mir mal gefälligst einige Millionen Forschungsmittel, dann reise ich durch die Welt und schau mir an, wie die Menschen in verschiedenen Ländern ihr Gesicht verziehen. Denn vermutlich ist für viele Emotionen der Gesichtsausdruck kulturspezifisch.“ „Dann mach das doch“, sagte Adam. Bernd lachte, „na klar, und du gibst mir das Geld dafür“. „Ja“, sagte Adam, aber Bernd war schon beim nächsten Thema.

„Außerdem ist es leider so, wie du selber weißt, dass es ganz kurzzeitige Muskelkontraktionen von nur etwa ein fünftel Sekunden Dauer gibt, und zwar ganz am Anfang. Wenn ein geschulter Beobachter solche „Mikroexpressionen“ erfasst, ist seine Trefferquote bei der Emotionserkennung sehr gut. Wir werden ja jetzt bei dem neuen Projekt Filme in Zeitlupe vorführen. Ich denke, dass die Beobachter dann die Gefühle vielleicht besser erkennen werden.“ „Wäre gut“, sagte Adam, „aber für die spontane Beobachtung im Alltag geht das ja nicht.“ „Nein, du Besserwisser. Es gibt allerdings Firmen, die Trainingsprogramme anbieten, und selbst Mitarbeiter von Geheimdiensten lassen sich von denen schulen.“

Adam überlegte: „Was meinst du, sollten wir das vielleicht auch machen, Kursgebühr tausend Euro pro Tag, damit sich das dann auch lohnt?“ „Keine schlechte Idee“, lachte Bernd. „Du bist dann das Trainingsobjekt, denn dich durchschaut sowieso keiner.“ „Blödmann! Aber es wäre schon gut, wenn wir mehr Mittel für unsere Projekte hätten.“ Bernd stimmte zu: „So ein paar Millionen, wie gesagt, wären schon prima.“ „Gut“, antwortete Adam, „dann machen wir das.“ Bernd schaute ihn an: „Okay, lass uns mal überlegen, wie wir das Geld bekommen könnten. Eine Lösung hätte ich ja, wir spielen Lotto.“ „Keine schlechte Idee“, meinte Adam. „Ich hätte auch eine: Wir lassen uns die Projekte von OFAGO finanzieren.“ Bernd lachte: „Das ist es, ich habe auch gehört, dass die gerade auf uns warten. Die wissen ja nicht, wohin mit ihren ganzen Werbeeinnahmen.“ „Ja, so ähnlich“, reagierte Adam. „Wenn man zündende Ideen hat, dann rücken sie schon Geld raus, dann fördern sie die verrücktesten Projekte, selbst wenn überhaupt nicht erkennbar ist, dass sich das für sie irgendwann einmal lohnen wird.“

„Na gut.“ Bernd ging weiter auf das Spiel ein. „Wäre nur noch die Frage, wer den Antrag schreibt.“ „Ist erst mal nicht nötig“, sagte Adam, „ich soll das Projekt mündlich vorstellen.“ „Ach so, dann ist ja alles klar, dann hast du das Geld ja schon praktisch in der Tasche.“ „Nicht ganz, ich brauchte schon noch deine Hilfe. Und alleine will ich das auf keinen Fall machen, sondern nur, wenn du mitmachst.“

Jetzt schaute Bernd etwas irritiert. „Klingt fast, als wenn du das ernst meintest.“ „Ja klar“, grinste Adam, „natürlich. Ich brauche nur anzurufen, um den Termin für die Projektvorstellung auszumachen.“ „Du machst Scherze“, sagte Bernd. „Dass ich doch immer wieder auf dich reinfalle.“ „Nein, Bernd, jetzt ganz im Ernst. Ich habe eine Einladung, Projektideen bei OFAGO vorzustellen.“

Bernds Mund stand offen vor Staunen. „Das ist nicht wahr!“ „Doch, das ist wahr“ „Und wie, bitte schön, bist du da dran gekommen?“ „Den entscheidenden Anstoß hast sogar du gegeben.“ „Wie das?“, fragte Bernd. „Als du mir geraten hast, Birte nach Anneka zu fragen. Ich bin hingegangen und traf dort Damian, ihren Mann. Wusstest du, dass der ein hohes Tier bei OFAGO ist?“ „Nein“, sagte Bernd, „das wusste ich nicht. Und der wollte dich über deinen Verlust trösten und hat dir deswegen Forschungsgelder angeboten?“ „Nicht so ganz. Wir kamen im Gespräch darauf, dass man über die Muskelkodierung Emotionen erkennen könne, dass das auch ein Computer könne, und zwar auch bei der Person, die vor dem Bildschirm sitzt. Und dann sei es möglich, die Werbung so einzusetzen, dass sie zu den momentanen Gefühlen des Betrachters passt.“

Bernd blieb die Luft weg. „Das hast du ihm vorgeschlagen? Wie bist du darauf gekommen?“ „Er hat mich geärgert“, meinte Adam, „da wollte ich ihn beeindrucken und hab mir das ausgedacht.“ „Und er fand das gut?“ „Ja, das wäre vielleicht etwas, das OFAGO finanzieren könnte“ hat er gesagt. Ich soll ihn anrufen und dann die Idee einem größeren Kreis vorstellen.“

Bernd sah Adam mit großen Augen an. „Ist das wirklich wahr?“ „So wahr ich hier sitze, und genauso wahr ist, dass wir das natürlich zusammen machen werden.“ Bernd war ganz still. „Das wäre ja toll“, sagte er schließlich, „aber bei OFAGO?“ „Das ging mir auch als Erstes durch den Kopf“, meinte Adam. „Ich habe in den letzten Tagen etliches gelesen über die Firma. Die machen auch wirklich sehr gute Sachen und sind nicht nur hinter dem Geld her. Sie fördern Ansätze, von denen sie glauben, dass sie Fortschritte für die Menschheit bringen. Klingt übertrieben, fast anmaßend, aber es ist wohl so. Nur so etwas würde langfristig auch ihre Firma weiterbringen.“ „Und du meinst, wir könnten solche Glücksbringer sein?“ Bernd schaute skeptisch. „Durchaus“, meinte Adam. „Ich denke, es gibt viele Anwendungsmöglichkeiten, die wirklich hilfreich sind.“

„Darüber müssen wir noch mal ausführlich sprechen“, meinte Bernd, „aber jetzt muss ich zurück ins Institut. Ich hab eine Besprechung mit Franziska wegen des Versuchsaufbaus für ihre Dissertation.“ „Da geht es doch auch um Emotionsanalyse?“, fragte Adam. „Kann ich da mitkommen, dann bekomme ich etwas mehr mit, woran ihr gerade arbeitet?“ „Na klar“, sagte Bernd, „und danach müssen wir unbedingt auf den Schock einen trinken.“

Der Raum, in dem Franziska ihre Untersuchung durchführte, war eine der typischen Versuchszellen im Institut für Psychologie, klein und ohne Fenster. Franziska saß an dem Tisch vor einem Monitor. „Hi“, sagte Bernd, „ich habe Adam Leonard mitgebracht. Du kennst ihn ja aus den Kolloquien.“ „Natürlich“, antwortete Franziska und grüßte ihn, etwas schüchtern. „Ich will nicht stören“, meinte Adam, „aber mich interessiert, woran ihr gerade arbeitet.“ Er hatte Franziska schon öfter gesehen. Sie war ihm aufgefallen, weil sie oft kluge Fragen stellte. Und auf den Mund gefallen war sie auch nicht, kritisierte, wenn sie etwas nicht gut fand. Dabei wirkte sie gar nicht so, war eher zierlich. Er glaubte, sie noch nie in einer Hose gesehen zu haben. Sie trug meist Röcke, kurze, lange, weite, enge, oft bunte. Sie hatte Geschmack.