AfD, Pegida und Co. -  - E-Book

AfD, Pegida und Co. E-Book

3,8

Beschreibung

Rechtspopulisten sind in Europa und inzwischen auch in Deutschland massiv auf dem Vormarsch. Sie bedienen sich Ressentiments und vor allem der Ängste der Menschen, um gegen Randgruppen und auch demokratische Strukturen zu hetzen. Dabei verwenden sie auch religiöse Bezüge, die sie pervertieren. Hochkarätige Autoren beleuchten Hintergründe und Entstehungsgeschichte und blicken weiter: Was müssen die Kirchen und religiösen Gemeinschaften tun, um sich nicht zu distanzieren, sondern klar Stellung zu nehmen? Und wie kann man gemeinsam den Vormarsch stoppen? Hier finden profunde Kenner deutliche Worte und bieten konstruktive Vorschläge. Konkret, entschieden und mutig. Ein Buch aus der Reihe Edition Herder Korrespondenz. Mit Beiträgen von: Hans Joachim Meyer, Werner J. Patzelt, Andreas Püttmann, Thomas Sternberg, Kardinal Rainer Maria Woelki, Paul Michael Zulehner u.a. "Zu den zentralen Themen von AfD, Pegida und anderen gehört die Religion. Einerseits bezieht man sich auf das »christliche Abendland« und fürchtet sich vor »dem Islam«, den man undifferenziert wahrnimmt. Andererseits stören sich die Wortführer am Engagement der Kirchen für die Flüchtlinge im Land, die in größerer Zahl gekommen sind. In vielfältiger Weise geht es da um Religions- und Kirchenkritik. Angriff auf die Religion also? Und was ist ihm entgegenzusetzen?" (aus dem Vorwort)

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Stefan Orth, Volker Resing (Hg.)

AfD, Pegida und Co.

Angriff auf die Religion?

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2017

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © dpa

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, München

ISBN (E-Book) 978-3-451-81122-7

ISBN (Buch) 978-3-451-27466-4

Inhalt

Impressum

Vorwort

Paul M. Zulehner – Zum Rechtspopulismus in Europa

Gründe und Gegenstrategien

Andreas Püttmann – Was ist die AfD?

Und wie als Kirche mit ihr umgehen?

Sonja Angelika Strube – Christliche Unterstützer der AfD

Milieus, Schnittmengen, Allianzen

Christian Hermes – Kirchlich-politische Wachsamkeit

Die AfD als Prüfstein

Karlheinz Ruhstorfer – Die Alternative zur Alternative

Warum Pegida, AfD und Co. das Abendland nicht lieben

Hans Joachim Meyer – Weder abweisende Festung noch bunte Karawanserei

Alternativen für Deutschland

Joachim Klose und Werner J. Patzelt – Was ist so schlimm am Rechtspopulismus?

Pegida, AfD und die Folgen

Thomas Sternberg – Das Christliche im Abendland

Europas Zukunft aus christlichem Geist gestalten

Kardinal Rainer Maria Woelki – Entschieden für Menschenwürde und Menschenrechte

Zur kirchlichen Haltung gegen Rechtspopulismus

Verzeichnis der Autoren und Herausgeber

Vorwort

Was länger schon in anderen europäischen Ländern und auch im US-amerikanischen Wahlkampf mit dem dann gewählten Präsidenten Donald Trump zu beobachten war, scheint jetzt auch auf Deutschland zuzutreffen: Rechtspopulistische Strömungen verfestigen sich. Zuerst die Demonstrationen der »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands« (Pegida), jetzt der anhaltende Erfolg der »Alternative für Deutschland« (AfD), die inzwischen, teils aus dem Stand mit höheren zweistelligen Prozentzahlen, in rund zwei Drittel aller Landesparlamente der Bundesrepublik Deutschland eingezogen ist. Zwar hat es von der NPD über die »Republikaner« immer wieder Parteien im Spektrum rechts von den Unions-Parteien gegeben. Sie konnten allerdings keine vergleichbaren Erfolge erzielen.

Zu den zentralen Themen von AfD, Pegida und anderen gehört die Religion. Einerseits bezieht man sich auf das »christliche Abendland« und fürchtet sich vor »dem Islam«, den man undifferenziert wahrnimmt. Andererseits stören sich die Wortführer am Engagement der Kirchen für die Flüchtlinge im Land, die seit dem Herbst 2015 in größerer Zahl gekommen sind. In vielfältiger Weise geht es da um Religions- und Kirchenkritik. Angriff auf die Religion also? Und das so kurz vor der Bundestagswahl 2017?

Wie ist es überhaupt zum Phänomen AfD gekommen? Und worum geht es ihr im Kern? Vor allem um den Euro als skeptisch beäugte Leitwährung Europas, die vermeintlich für die nationalen Interessen gefährliche Europäische Union, die Kritik an der jüngeren Flüchtlingspolitik oder gar um die Ablehnung des Islam in all seinen Facetten?

Wie sehen die AfD und einzelne ihrer wichtigen Vertreter das Christentum, das Judentum und den Islam? Inwieweit ist die Berufung auf das »christliche Abendland« zutreffend? Welche religionspolitischen Forderungen werden im Einzelnen gestellt? Welche Enttäuschungen stehen möglicherweise hinter den kritischen Haltungen?

Und vor allem: Wie gehen auf der anderen Seite die Kirchen und ihre wichtigsten Vertreter mit dem neuerlichen Rechtspopulismus um? Wie ist ihm ihrer Überzeugung nach am besten zu begegnen, artikuliert er doch immer wieder auch diametral entgegengesetzte Überzeugungen zum Christentum, vor allem beim Einsatz für Fremde, in Not Geratene, Hilfe suchende Flüchtlinge? Welche Wege führen bei der Auseinandersetzung mit den Provokationen durch AfD, Pegida und Co. auf der anderen Seite in die Irre?

Das sind die Fragen, um die es in diesem zweiten Band der Edition Herder Korrespondenz über die Wechselbeziehungen zwischen Rechtspopulismus und Religion geht. Dabei kommen ganz unterschiedliche Ansätze und Lösungsvorschläge zu Wort. Die europäischen Perspektiven werden ebenso berücksichtigt wie die besondere Situation in Sachsen oder in Baden-Württemberg. Zu Wort kommen Politiker, Theologen, Politikwissenschaftler sowie andere Experten und Kirchenmänner.

Wir danken allen Autoren für die hervorragende Zusammenarbeit und die Aktualität der Beiträge. Wir wünschen eine anregende Lektüre.

Stefan Orth und Volker Resing

Freiburg, im November 2016

Paul M. Zulehner Zum Rechtspopulismus in Europa

Gründe und Gegenstrategien

Wachsende Teile der Bevölkerungen Europas bewegen sich politisch schon seit der Mitte der Neunzigerjahre nach rechts. Dass in jüngster Zeit eine große Zahl von Schutzsuchenden aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten, Afghanistan oder Afrika nach Europa gekommen ist, kann also allein diese Entwicklung nicht erklären. Der Zuzug von Frieden suchenden Menschen ist eher eine Lesehilfe für diese schon laufende Entwicklung, verstärkt sie allerdings auch. Die wahren Ursachen liegen tiefer. Daher ist auch zu erwarten, dass nach einem erhofften baldigen Ende der vielen Kriege in der Nähe Europas die Rechtsbewegung auf dem Kontinent keinesfalls aufhören wird. Es wäre eine trügerische Hoffnung, darauf zu setzen. Eine differenzierende Analyse über die wahren Gründe ist ebenso angebracht wie eine fundierte Gegenoffensive, falls man die rechtspopulistische Entwicklung für schädlich hält.

Umbrüche

Darin ist sich die Wissenschaft einig: Die politische Rechtsbewegung hat mit tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüchen zu tun. Diese erfolgen mit atemberaubender Geschwindigkeit. Angetrieben werden sie durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Errungenschaften. Die Erfolge in den Wissenschaften wachsen in immer kürzerer Zeit, verändern die Produktionsweisen (man denke an Wirtschaft 4.0), aber auch die Mittel der Kommunikation. Die Welt eint sich wirtschaftlich und ökologisch, zugleich hat sich der Terror globalisiert und prägende Krisen haben Weltdimension. Nicht einmal alle hochgebildeten Menschen kommen mit der Entwicklung und ihrem Tempo zurecht. Von den weniger gebildeten Schichten ganz zu schweigen.

Typisch für die Entwicklung ist, dass sie für die große Mehrheit »unübersichtlich« geworden ist – Jürgen Habermas redet von der »neuen Unübersichtlichkeit«. Zugleich haben in den letzten Jahrzehnten in allen Ländern Europas – im Westen seit 1968, im Osten seit 1989 – die Freiheitsgrade zugenommen. Was als repressiv für die Freiheit empfunden wurde, erlitt eine markante Schwächung. Das widerfuhr Normen, Autoritäten und Institutionen. So kam es aber nicht nur zu einer Aufwertung des Individuums, sondern zugleich auch zur Privatisierung vieler Risiken. Von »riskanten Freiheiten« ist die Rede (Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim).

Diese neuen Anforderungen an die persönliche Lebensführung bringt eine gut gebildete, Ich-starke und daseinskompetente gesellschaftliche Elite nicht aus der Fassung. Zugleich macht sie aber große Mehrheiten in den Bevölkerungen fassungslos. Die Schere zwischen Anforderungen und entsprechenden Kompetenzen geht bei einer wachsenden Zahl von Zeitgenossinnen und Zeitgenossen zunehmend auseinander. Zumal die Zahl junger Menschen (primär unter den Männern) wächst, welche inmitten der von Generationen erkämpften europäischen Freiheitsgesellschaften die lästige Last der Freiheit wieder loswerden wollen. Das begünstigen einige markante gesellschaftliche Faktoren. Ich-Stärke und mit ihr Daseinskompetenz entwickeln sich für gewöhnlich in den ersten Lebensjahren in stabilen familialen Netzwerken in förderlich-fordernder Auseinandersetzung mit elterlichen Menschen, Müttern und Vätern. Bei dieser Aufgabe erleben sich aber nicht wenige berufstätige Eltern zunehmend überfordert. Nicht selten ist das Familiensystem ramponiert. Nicht förderlich zur Ausbildung widerstandsfähiger Ich-Stärke ist die oral gestimmte Konsumkultur, die von der Verführbarkeit der Bürgerinnen und Bürger profitiert.

Wachsenden Herausforderungen stehen also bei einer beträchtlichen Zahl von Bürgerinnen und Bürgern schrumpfende Daseinskompetenzen gegenüber. Die sozialen Medien, von denen man auf den ersten Blick einen Zuwachs an kommunikativer Vernetzung erhoffen kann, führen eher zur ausufernden Entnetzung der realen Personen und schaffen im Rahmen virtueller Kollektive viele Alleingelassene und Vereinsamte. Die Ausbildung stabiler und handlungskompetenter Identitäten hat es in solchen Zusammenhängen nicht leicht. Sich Fügen und Einfügen ist »in«.

Identitätsanleihen

Auf diese Entwicklung gibt es eine logische »Überlebensreaktion«. Misslingt die eigene Ausbildung einer handlungsfähigen Identität, dann liegt es nahe, sich eine solche zu »leihen«. Vorbilder haben Konjunktur. In strahlendes weißes Gewand gekleidete Päpste waren und sind solche Identitätslieferanten für überraschend viele junge Menschen. Neben Vorbildern haben auch »Führer« neuerlich Konjunktur. Attraktiv erweisen sich mit diesen Anführern jene Bewegungen, welche versprechen, die Unübersichtlichkeit zu vermindern. »Komplexitätsreduk­tion«, von manchen der Religion zugewiesen,1 wird zunehmend von säkularen Führungspersonen, Frauen wie Männern, geleistet. Populismus vereinfacht, mindert die Unübersichtlichkeit, verspricht einfache Lösungen für komplexe Probleme. Das verleiht manchen populistischen Bewegungen eine religiöse Aura und damit Attraktivität und argumentative Unantastbarkeit.

Mit dem Wunsch nach einfachen Erklärungen und Lösungen geht eine Ablehnung all jener einher, welche unbeugsam auf die Komplexität der Wirklichkeit verweisen und so die gesuchte Einfachheit in der Analyse verweigern und bei der Suche nach »Lösungen« verunsichern. Mahnende Andersdenkende werden schnell zu Gegnern der eigenen psychischen Überlebensstrategien. Für solche gibt es keinen Respekt und keinerlei Toleranz, eher schon Hass und abwehrende Gewalt, wie es der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker widerfahren ist. Multikulturelle Vielfalt wird als unerträglich erlitten und verworfen. Für »Pluralitätstoleranz« (Hermann Stenger) ist man nicht geeignet.

Bekommt es eine solche Persönlichkeit dennoch mit »Anderen« zu tun (anderen Meinungen im Land, mit Menschen, die aus anderen Kulturen kommen und eine andere Weltanschauung haben), dann gefährden diese die gesuchte oder auch gewonnene einfache Weltsicht. Um sich nicht verunsichern zu lassen, werden diese »Anderen« bekämpft. Im Mittelalter wurden Scheiterhaufen errichtet. Heute brennen mediale Scheiterhaufen, zu gewaltaffinen Protestdemonstrationen wird angefeuert, noch gar nicht bezogene Flüchtlingsheime werden abgefackelt, Schutz suchende Personen angepöbelt und angegriffen; in sozialen Medien wird gnadenlos gehasst und gehetzt. Findet sich ein psychisch belasteter Mensch, von denen es in modernen Kulturen genug gibt, kommt es zu barbarischer »Gewalt gegen Personen und Sachen«. Solche Gewalt zeigt sich zunächst in der Sprache; Postings bringen sie hemmungslos ans Licht. Der Weg von der Sprache der Gewalt zu ausgeübter Gewalt ist kurz. Dass populistische Führer sich gern der derben und gewaltaffinen Sprache bedienen, ist fahrlässig und macht diese zu Mitschuldigen an den kriminellen Gewalttaten in ihrem Umfeld. Das Ziel ist immer das gleiche: Es gilt, verbal und brachial zu beseitigen, was die eigene überschaubare Weltsicht stört.

Solche Analysen über die psychische Verfassung einer wachsenden Zahl von Menschen besagen nicht, dass es in den modernen Entwicklungen keine realen großen Herausforderungen, ja selbst Bedrohungen gibt. Die Chancen, welche diese Entwicklung auch mit sich bringt, werden von den Populisten allerdings häufig ausgeblendet und manche von ihnen zugleich (wie die modernen Kommunikationsmittel) selbstverständlich genutzt.

Dieser erste Zugang deckt bereits auf, dass Rechtspopulismus gewiss mit »äußeren Gegebenheiten« zu tun hat, noch mehr aber mit der inneren Konstitution der Personen. Das kann allein daran erkannt werden, dass es in ein- und derselben realen Weltentwicklung nicht nur Menschen gibt, die auf Vereinfachung angewiesen sind und deshalb Vielfalt fürchten, sondern auch andere, die durchaus Lust an der Vielfalt haben. Den Pluralitätsgegnern stehen Pluralitätsliebhaber entgegen, die in der Vielfalt einen kulturellen Reichtum sehen (so auch der Päpstliche Rat für Migration2). Die einen riskieren weltweite Öffnung, die anderen fordern sichernde Schließung. Die einen wehren ab, die anderen setzen sich ein. Die einen hetzen, die anderen helfen. Die einen fühlen vorwiegend Ärger, andere Sorge, die Dritten Zuversicht.

Es gibt zwei Texte aus dem Alten Testament, welche diese beiden kontrastierenden Optionen erzählerisch einfangen. In dem einen Text mauert sich die Stadt Jerusalem ein, im anderen erhält sie als offene Stadt eine virtuelle (also kraftvolle) »göttliche Firewall«: »Jetzt aber sagte ich zu ihnen: ›Ihr seht selbst, in welchem Elend wir leben: Jerusalem liegt in Trümmern und seine Tore sind abgebrannt. Gehen wir daran und bauen wir die Mauern Jerusalems wieder auf! So machen wir unserer Schande ein Ende.‹« (Neh 2,17) »Da trat der Engel, der mit mir redete, vor und ein anderer Engel kam ihm entgegen und sagte zu ihm: ›Lauf und sag dem jungen Mann dort: Jerusalem wird eine offene Stadt sein wegen der vielen Menschen und Tiere, die darin wohnen. Ich selbst – Spruch des Herrn – werde für die Stadt ringsum eine Mauer von Feuer sein und in ihrem Innern ihr Ruhm und ihre Ehre‹« (Sach 2,7-9).

Autoritarismus

Diese holzschnittartige Beschreibung der Hintergründe der Entwicklung vieler europäischer Gesellschaften kann sich auf langjährige wissenschaftliche Studien zum sogenannten »Autoritarismus« stützen. Es war Theodor W. Adorno, der eine Erklärung dafür suchte, warum in der dunklen Zeit zwischen den beiden Weltkriegen große Teile der Bevölkerungen in Europa autoritär-faschistische Systeme in freien Wahlen gewählt und jahrelang engagiert unterstützt haben. Er nahm an, dass es in vielen Menschen dieser Zeit eine Bereitschaft zur Unterwerfung unter autoritäre Führer gegeben habe. Eben diese Unterwerfungsbereitschaft definierte er als »Autoritarismus«. Sie drückt sich knapp gefasst in der Aussage aus: »Recht hat, wer oben ist«. Oder auch im hingabevollen Leitspruch: »Führer befiehl, wir folgen dir!« Wie meine eigene Langzeitstudie »Religion im Leben der Österreicherinnen 1970–2010« belegt, war 1970 dieser Autoritarismus bei drei von vier Menschen in Österreich nach wie vor sehr ausgeprägt.3 Dank der Studentenrevolution minderte sich der Autoritarismus innerhalb eines Vierteljahrhunderts temporeich. Seit der Mitte der Neunzigerjahre aber steigen die Werte zumal bei jüngeren Menschen neuerlich an. Dieser Autoritarismus ist, so die Studie an deutschen Männern 2008, an den politischen Rändern links wie rechts erheblich ausgeprägter als in der politischen Mitte.4 Das gilt zumindest für die Sympathisanten und Sympathisantinnen – in der damaligen Studie also für die NPD sowie für »Die Linke«.

In meiner Online-Umfrage zur Flüchtlingspolitik im Jahre 2015 hatte ich gleichfalls die Ausstattung der Befragten mit Autoritarismus erhoben.5 Dabei bestätigte sich, dass sich die autoritär gestimmten Menschen weitaus mehr einen starken Führer wünschen als die wenig-autoritär ausgestatteten Menschen. Zudem zeigen die Daten zugleich, dass autoritär gestimmte Menschen die »Alternative für Deutschland« (AfD) überdurchschnittlich unterstützen. Die Führenden der AfD und die gesamte Bewegung sammeln somit Menschen, denen die gegenwärtige Entwicklung »unübersichtlich« und damit bedrohlich geworden ist und der gegenüber sie sich ohnmächtig allein gelassen erleben. Deshalb sie sind dankbar, dass sich jemand ihrer Ängste und Verunsicherungen annimmt. Die gebildeten Führenden der AfD leisten damit den im Schnitt weniger gebildeten Personenkreisen einen – von diesen gesuchten – psychischen Dienst der Entlastung und Orientierung. Das erklärt Dankbarkeit, Zusammenhalt, Gefolgschaft, Treue zur Bewegung sowie Aggressivität gegen Andersdenkende in Wort und Tat. Den Führenden der AfD kommt dies zugute. Sie leihen einerseits den Verunsicherten eine Gruppenidentität, mit der diese wohl auch geraume Zeit das Auslangen finden. Ihrer Bewegung führt dies andererseits eine ansehnliche Anzahl von Modernitätsgegnern sowie Modernitätsverlierenden zu. Dass dies nicht dazu beiträgt, in den Mitgliedern der Bewegung eine autonome Identität aufzubauen, mag kritisiert werden. Für die Anhänglichkeit an die Bewegung und damit deren politische »Schlagkraft« (in des Wortes doppelter Bedeutung) ist diese »Unmündigkeit« durchaus sehr nützlich.

Ängste

In all diesen Analysen schwingt bereits jene Thematik mit, welche die derzeitige politologische Diskussion nachhaltig prägt: die Rolle der Ängste im persönlichen wie im politischen Leben. Dabei soll hier nicht ausführlich auf den komplexen Unterschied zwischen Angst und Furcht eingegangen werden. Nur so viel sei gesagt: Die meisten Menschen im Land unterscheiden alltagssprachlich beide Gefühle nicht trennscharf voneinander. Sie scheinen ein Gespür dafür zu haben, dass sie mehr zusammenhängen als unterscheidbar sind. Die Begriffsgrenzen sind fließend. Wenn man schon unterscheidende Akzente setzen will, dann ist der Sitz der Ängste eher der Bauch, jener der Furcht hingegen der Kopf. Ängste sind oftmals gesichtslos diffus, die Furcht hingegen hat vielfältige Gesichter. Angst lähmt, Furcht macht handeln. Solche Furcht spielte einst und spielt auch heute im Überlebenskampf der Menschen eine wichtige Rolle. Das bescheinigt kulturanthropologische Forschung einhellig.

Angst haben wir alle, so die Tiefenpsychologin Monika Renz, in jedem Menschen lauert eine Urangst.6 Das ist ihre plausible Erklärung dafür: In der Wärme und Geborgenheit des Mutterschoßes genieße für gewöhnlich das neue menschliche Lebe­wesen paradiesische Verhältnisse. Bei der Geburt hingegen werde es aus dem Paradies vertrieben. Eine Urangst stelle sich (trotz aller kreatürlichen Neugierde des lebenshungrigen Wesens) ein. Leben wird als verletzlich empfunden. Die »Erbsündenlehre« des Ostens spricht von der Wunde des Todes.

Nun aber gelte es in einem lebenslangen Prozess, dem Tohu­wabohu der Urangst festes Lebensland namens Urvertrauen abzugewinnen. Wer vertrauen lernt, kann glauben und lieben. Elterliche Menschen, die in einem »Raum geprägt von Stabilität und Liebe«7 ihr Gesicht über dem Neugeborenen leuchten lassen (was Fromme ein Leben lang vom elterlichen Gott erhoffen), tragen dazu bei, dass Bindung und damit Vertrauen aufgebaut wird.8 Behält aber die Angst über das Vertrauen die Oberhand, dann greifen solche Personen zu Selbstverteidigungsstrategien. Die herausragenden sind: Gewalt, Gier und Lüge – oder politisch: Terror, Finanzgier, Korruption.

Den meisten Menschen gelingt es, im Laufe ihres Lebens liebende Menschen zu werden. Das schaffen sie, wenn und weil sich die Balance zwischen Angst und Vertrauen bei ihnen auf die Seite des Vertrauens neigt. Zeiten des Friedens und des Wohlstands sind gute soziale Bedingungen für ein solches Überwiegen des Vertrauens. Ob das Vertrauen die Oberhand behält, hat viel mit dem herrschenden gesellschaftlichen Klima zu tun.

Dieses Klima ist aber im heutigen Europa nicht vertrauensfreundlich. Der französische Politologe Dominique Moïsi vermutet, dass China und Indien eine »Kultur der Hoffnung« besitzen.9 In der Arabischen Welt beobachtet er hingegen terrorproduzierende »Demütigung« und in Amerika gebe es seit Nine Eleven eine »Kultur der Angst«.10 Europa wiederum habe sich regional unterschiedlich entwickelt und erst 2008 in einer »Angstkultur« wirklich »geeint«.11 Bis dahin gingen die beiden Hälften Europas verschiedene Gefühlswege. Westeuropa war nach dem Zweiten Weltkrieg eine aufblühende Hoffnungskultur. Hoffnungszeichen dieser Zeit waren: Wirtschaftswunder, europäische Einigung, dadurch für Europa einmalige 70 Jahre Frieden. Die bis heute unbewältigte Finanzkrise und in deren Folgen die wirtschaftlichen Probleme vor allem im Süden Europas mit enormer Jugendarbeitslosigkeit haben in Westeuropa eine Angstkultur ausgelöst.

Anders Osteuropa. Dort kreierten die totalitären Systeme eine Kultur der Verdächtigung, der Überwachung, der allgegenwärtigen Ängste. Die samtene Revolution von 1989 befreite den Halbkontinent von dieser vierzigjährigen »babylonischen« Gefangenschaft in einer Angstkultur. Hoffnung keimte auf: die Hoffnung auf politische und persönliche Freiheit, auf die Befreiung der Bürgerinnen und Bürger von der allgegenwärtigen Überwachung, auf Sicherheit und wirtschaftlichen Aufschwung inmitten der Europäischen Union, in die sie damals freudig hineindrängten.

Es war die Hoffnung auf einen neuen Patriotismus, der freilich allzu schnell in einen im Internationalismus des Kommunismus unterdrückten dumpfen Nationalismus kippte und der heute in vielen jungen Reformdemokratien von Viktor Orbans Ungarn ausgehend populistisch bewirtschaftet wird. Dieser Orbanistische Nationalismus hat rasch um sich gegriffen und schuf eine seltsam anmutende Ambivalenz im Verhältnis zur Europäischen Union. Einerseits braucht man sie zum Schutz gegen den neuen realen oder befürchteten Imperialismus Russlands. Andererseits wird die Abhängigkeit von Moskau rasch durch eine gefühlte Fremdbestimmung durch Brüssel ersetzt. Im Versuch, die Herausforderung durch Frieden und Sicherheit suchende Kriegsflüchtlinge in Europa gemeinsam zu meistern, hat sich dies deutlich gezeigt. Die sogenannten Vysegrádländer wie Polen, Ungarn und andere wehren sich, gemeinsam beschlossene Quotenregelungen in die Praxis umzusetzen. Eine »illiberale Demokratie« gilt als Ziel politischer Reformen. Um die eigene Bevölkerung darauf einzustimmen, sind viele Mittel willkommen: Der Schutz des Christlichen Abendlandes vor dem Eindringen des Islam wird als »guter« Grund der Verweigerung einer solidarischen Meisterung der Flüchtlingsfrage ebenso beschworen wie die Reinheit der Kultur der wieder erstandenen eigenen Nation. Sosehr man den europäischen Schutzschild will, die ökonomischen Vorteile sucht, so wenig sind osteuropäische Länder bereit, angesichts ihrer ohnedies großen ökonomischen Begrenzungen solidarisch Lasten mitzutragen. Manche sind dank ihrer prekären wirtschaftlichen Lage dazu auch gar nicht imstande.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass auch die Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen, ein tiefer liegendes Problem nicht lösen würde, sondern dieses lediglich ans Licht hebt: Flüchtlinge, die beispielsweise in Polen Asyl und mit diesem die europäische Ansiedlungsfreiheit erhalten haben, ziehen binnen weniger Monate nach Deutschland oder nach England weiter. Die Sozialleistungen in Polen betragen in etwa ein Drittel der Leistungen in Deutschland. Wen wundert es, dass Flüchtlinge von Polen nach Deutschland weiterziehen, ja dass von Haus aus »Germany«, »Austria« oder »Sweden« von den wohl informierten Schutzsuchenden als bevorzugtes Fluchtziel angegeben wurden? Die Flüchtlinge decken also durch das Votum ihrer Füße das dramatische soziale Gefälle auf, das Europa als Solidargemeinschaft derzeit immer noch schwer belastet. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass dank der Politik der Europäischen Union die Förderung der Regionen in den letzten Jahrzehnten große Erfolge zu verbuchen hat. Aber ebenso klar ist, dass noch viele Aufgaben gemeistert werden müssen, bis die sozialen Unterschiede einigermaßen eingeebnet sind.

Politik der Angst

Seit 2008 herrsche, so Dominique Moïsi, in ganz Europa eine – freilich unterschiedlich eingefärbte – Kultur der Angst. Das begünstigt, dass es nunmehr immer mehr Menschen misslingt, im Balanceakt Angst–Vertrauen sich auf der Seite des Vertrauens zu halten. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine wachsende Zahl von Menschen von realen Befürchtungen, handfesten Sorgen und diffusen Ängsten belastet sind, hat zugenommen. »Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen«, so lautet ein Standardsatz politischer Sonntagsreden. Dieser Satz kann ein Zweifaches bedeuten: Man nimmt zwar die Ängste der Leute wahr, aber statt sie zu mindern, werden sie durch eine »Politik der Angst« noch vermehrt. Die wahltaktische Absicht ist klar: Je mehr Ängste die Menschen haben, umso eher wählen sie eine populistische Angstpartei. Der Erfolg populistischer Bewegungen verdankt sich realen und irrealen Ängsten eines Teils der Bevölkerung.

Die Themen einer solchen Politik der Angst hat die Online-­Studie 2015 deutlich aufgezeigt. Sie kreisen alle um »Abwehr«: Abgewehrt werden äußerlich die Schutz suchenden Flüchtlinge, innerlich aber die eigenen Ängste und Sorgen. Stichworte einer »Politik der Angst« sind: Man müsse Zäune errichten, Europa zur Festung ausbauen; die Kriminalität nehme zu, es kämen doch nur Wirtschaftsflüchtlinge, Krankheiten würden eingeschleppt, die Islamisierung des Christlichen Abendlandes drohe; wenn es so weitergehe, komme unaufhaltsam eine Katastrophe auf uns zu.

Diese »Politik der Angst« hat ihre eigene Sprache. Sie meidet Gesichter, umgeht Worte wie Herausforderung, Bewältigung, Bereicherung. Es geht in den politischen Reden nicht um Menschen, die Sicherheit, Frieden und Schutz suchen. Von Lawinen, Strömen und Wellen ist ebenso die Rede wie vom Hochziehen von Schotten im Frachtraum des Schiffes Europa, welches durch das Eindringen der Flüchtlinge vom Untergehen bedroht ist. Geschürt wird der Verdacht des Missbrauchs von Sozialleistungen. Zur Eigenheit der Kommunikation unter Anhängern einer »Politik der Angst« gehören Verschwörungstheorien sowie erfundene Gräuelgeschichten (vgl. www.hoaxmap.de). Einzelfälle werden generalisiert. Nach Köln könne sich keine blonde deutsche Frau mehr auf der Straße vor männlichen, Testosteron-überfüllten Flüchtlingen sicher fühlen. Pfeffersprays und kleinkalibrige Waffen wurden über Nacht zu Bestsellern. Diese Politik hat in der Studie einen Schutzherrn, eine politische Galionsfigur: Viktor Orban, Regierungschef in Ungarn, der am Rande einer Tagung der Regierungschefs der »Balkanroute« im Österreichischen Fernsehen seine Teilnahme mit den Worten erklärte: »I am here only as observer.«

Politik des Vertrauens

»Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen«: Das kann auch bedeuten, die Ängste der Menschen wahrzunehmen und durch eine »Politik des Vertrauens« abzumildern. In der Online-­Studie werden die entsprechenden Momente einer vertrauensbildenden Politik sichtbar. Stichworte sind: Integration (auf Zeit, auf Dauer), Sprache lernen, Wohnen in kleineren Einheiten, Zugang zum Arbeitsmarkt und entsprechende Ausbildung beziehungsweise Anerkennung von mitgebrachten Qualifikationen, intensive Kommunikation mit der ansässigen Bevölkerung in Begegnungen und Festen. Die Grundstimmung einer solchen Politik ist Einsatz, das bewegende Grundmotiv: Wir schaffen es. Das macht die Autorin dieses Wahlspruchs, Angela Merkel, in ihrem Stehvermögen zur Leitfigur einer »Politik des Vertrauens«.

Eine solche vertrauensbildende Politik setzt sich engagiert für einen baldigen Waffenstillstand ein. Ihre Außenminister besuchen die am Krieg beteiligten Länder wie Saudi-Arabien und den Iran statt Grenzzäune in Mazedonien. Waffenlieferungen werden erschwert, auch wenn das der Waffenindustrie des Landes nicht dient. Es wird durch verlässliche Finanzierung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) sichergestellt, dass die Flüchtlinge in den riesigen Lagern rund um das Kriegsgebiet genug Nahrung haben und dass auch Bildung für Kinder und Jugendliche ermöglicht wird. Die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit dem nördlichen Afrika werden aufgestockt, um den verarmten Regionen Hoffnung auf ein Überleben in der Heimat zu geben. Schon jetzt wird an einem Marshallplan für Syrien gearbeitet. Nur wenn der Wiederaufbau des Landes rasch vorangeht und für diesen jetzt bei uns Asylsuchende großzügig ausgebildet werden, kann der Traum jener Frau in Erfüllung gehen, die mir erzählte, dass sie so große Sehnsucht nach ihren Aprikosenbäumen in Aleppo habe.

Eine solche »Politik des Vertrauens« ist durch eine breit gefächerte Bildung zu unterstützen. Dazu gehört Persönlichkeitsbildung, weil daseinskompetente ich-starke Persönlichkeiten eher eine »Politik des Vertrauens« unterstützen als Verunsicherte und von sozialen Abstiegsängsten Bedrohte. Hohe Dringlichkeit besitzt dabei interreligiöse Bildung. Unsere Bevölkerung muss lernen, dass alle Religionen ambivalent sind. Keine Religion ist davor gefeit, sich in ihrem Handeln durch einen »Gott«, der ein Ebenbild ihrer Machtgelüste ist, zu rechtfertigen. Das haben die europäischen Christen im Dreißigjährigen Krieg ebenso gemacht wie heute der sogenannte Islamische Staat Gott in Misskredit bringt, statt ihm Kredit zu beschaffen. So wie das Christentum Krieg damals gegen das Christentum geführt hat, führt heute der Islam Krieg gegen den Islam (Navid Kermani). Es muss den Menschen durch religiöse Aufklärung klar werden, dass das Wesen der großen Religionen Erbarmen und Gerechtigkeit ist, nicht Gewalt und Rache. Kriterium einer wahren Religion ist, dass Leben auf- und nicht umkommt.

Dazu wird es unverzichtbar sein, dass es für die heiligen Schriften der großen Religionen eine fachlich hoch entwickelte Exegese gibt. Die Suren des Korans, die der Prophet Muhammed in der Verfolgungszeit in Mekka verfasst hat, sind weit gewaltärmer als jene, die er in Medina schrieb, als er die Macht hatte, weite Teile Nordafrikas, Kleinasiens und Südeuropas zu erobern. Nicht Gott hat sich verändert, wohl aber dessen Einfärbung durch den historischen Kontext des Propheten. Ebenso unerlässlich ist es, den religiösen und den politischen Bereich zu trennen. Die Politik darf nicht mehr religiös legitimiert, das Ringen um Wahrheit nicht mit Waffengewalt ausgetragen werden. Ohne eine »benigne Säkularisierung« (in Anlehnung an Michael Balint) und verbürgte Religionsfreiheit wird es keinen Frieden in Gerechtigkeit geben.

Das Christliche im Christlichen Abendland

Auf dem Programm vieler Populisten in Europa steht »die Rettung des Christlichen Abendlandes«. Man mag verstehen, dass vielen die derzeitige Entwicklung des Christentums in Europa Sorge macht. Schon bald nach dem Krieg fragte der französische Religionssoziologe Emile Pin, ob Europa ein Missionsland sei.12 Historische Analysen zeigen, dass gerade die Verbindung des Christentums mit der politischen Macht, also »von Thron und Altar«, die nach der Kirchenspaltung 1517 zu einem der blutigsten Kriege in Europa geführt hat, die Reputation des Christentums in Europa nachhaltig beschädigt hat. Voltaire lehnte nicht die Religion für die Menschen ab, wohl aber die Kirchen, welche blutige Hände hatten. Später haben dann Paul-Henri Thiry d’Holbach und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert eine Welt ohne Gott gefordert: Erst der Atheismus unterbinde die den Religionen innewohnende Gewalt und schaffe Raum für Frieden. Sein Anliegen erweist sich nach Auschwitz und den GULAGs als historischer Irrtum. Es ist also das Christentum selbst, das sich in Europa schwer und nachhaltig beschädigt hat. Dazu braucht es nicht andere Religionen, die mit Gastarbeitern ins Land gerufen wurden und welche Flüchtlinge mitbringen. Wenn also jemand das Christliche Abendland gefährdet hat, dann waren es in den letzten Jahrhunderten in Europa die Christen selbst. Dazu braucht es nicht Muslime. Diese decken freilich in ihrer Glaubensstärke die Schwäche des Christentums auf. Sind deshalb so viele Menschen aggressiv gegen Muslime, weil diese uns den Spiegel vorhalten, in dem wir unsere eigene Schwäche erkennen? Nicht der glaubensstarke Islam ist also das Problem Europas, sondern das glaubensschwache Christentum ist sich selbst das Problem.

Die Flüchtlingspolitik von Viktor Orban und Angela Merkel unterscheiden sich erheblich. Nun sind aber beide Mitglieder einer christlichen Kirche. Allein dieses Beispiel zeigt, dass es Christinnen und Christen in allen Gefühlslagern gibt: sowohl bei den abwehrend-verärgerten Wutbürgern wie auch bei den zuversichtlich-einsatzbereiten Mutbürgern. Dabei ist die Aufteilung von Wut und Mut hier ziemlich provisorisch; manche sind ob ihrer Zuversicht wütend, andere in ihrer Wut mutig.