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Beschreibung

Das Buches möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Rassismus und Sprache eng miteinander verknüpft sind. Viele heute gebräuchliche Begriffe zu ›Afrika‹ im weitesten Sinne haben eine kolonialistisch geprägte, rassistisch wirkende Bedeutungsgeschichte, die immer noch zum Ausdruck kommt. Es ist ein Anliegen des Buches aufzuzeigen, wie diese Begriffe rassistisch gebraucht und welche Konzepte mit ihrer Benutzung transportiert werden. Und es will Menschen zum Nachdenken anregen, die meinen, längst reflektiert zu sprechen. Vielen ist nicht bewusst, dass Begriffe wie ›Stamm‹, ›Schwarzer Kontinent‹, ›primitiv‹ oder ›Häuptling‹ einen diskriminierenden Gehalt haben. Der Hauptteil des Buches enthält über 30 kolonial und rassistisch geprägte Begriffe, mit denen Afrika und Schwarze bezeichnet werden. In ergänzenden Beiträgen wird die Wechselwirkung von Rassismus und Sprache diskutiert; mit einer exemplarischen Analyse eines Zeitungsartikels wird außerdem gezeigt, wie sich auch unabhängig von rassistischen Begriffen der rassistische Diskurs sprachlich manifestiert. Das Buch eignet sich für die politische Bildung und Wissenschaft und möchte – über allgemein interessierte Leser*innen hinaus – Multiplikator*innen an Schulen und Universitäten, in (Schul- & Sachbuch-)Verlagen, öffentlichen Institutionen und natürlich den Medien erreichen. Unter Mitarbeit von Marlene Bauer, Andriana Boussalas, Katharine Machnik und Kathrin Petrow »Mit ›Afrika und die deutsche Sprache‹ haben die Autorinnen […] ein wichtiges Nachschlagewerk geschrieben, das helfen kann, die kritische Reflexion seiner Leser/innen anzuregen. Der Verlag hofft, dass besonders Personen in ›multiplikatorischen Funktionen‹ sich mit dem Buch beschäftigen. Diesem Wunsch kann der Rezensent sich nur anschließen. Hoffentlich wurden einige Exemplare an die verschiedenen Redaktionen deutscher Wörterbücher verschickt.« – Micha Ostermann, Die Berliner Literaturkritik

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Seitenzahl: 352

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Susan Arndt und Antje Hornscheid (Hg.)

Afrika und die deutsche Sprache

Ein kritisches Nachschlagewerk

herausgegeben unter der Mitarbeit vonMarlene Bauer, Andriana Boussoulas, Katharine Machnikund Katrin Petrow

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Für die finanzielle Unterstützung bedanken wir uns bei dem Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität zu Berlin.

Susan Arndt / Antje Hornscheidt (Hg.):

Afrika und die deutsche Sprache

3. Auflage, März 2018, unveränderter Nachdruck v. 2009

eBook UNRAST Verlag, September 2023

ISBN 978-3-95405-163-2

© UNRAST Verlag, Münster

www.unrast-verlag.de | [email protected]

Mitglied in der assoziation Linker Verlage (aLiVe)

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung

sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner

Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter

Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Online Design GmbH, Bad Kreuznach

Satz: UNRAST Verlag, Münster

Inhalt

I. Ein Nachschlagewerk zu Kolonialismus, Rassismus und Afrikaterminologie.Prolog

II. »Worte können sein wie winzige Arsendosen.« Rassismus in Gesellschaft und Sprache

1. Rassismus und Kolonialismus

2. Sprache und Gesellschaft. Koloniale Begriffe und ihre Wirkungsmacht in Geschichte und Gegenwart

3. Rassistische Begriffe und gesellschaftliche Aufarbeitung

4. »Ich habe es doch nicht so gemeint.«Rassistisches Sprechen und Weiße Strategien der Verweigerung

5. Wann ist Sprache rassistisch?

6. Rassistische Begriffe und Wörterbücher

7. Rassismus ohne rassistische Wörter

· Rassismus durch an sich nicht rassistisch konnotierte Wörter

· Diskriminierung durch Stereotype

· Diskriminierung durch Phrasen und Schlagwörter

· Nicht-Erwähnen als sprachliche Manifestation von Rassismus. Von der vermeintlichen Normalität, Weiß zu sein.

8. Rassistischer Sprachgebrauch: Strategien der Vermeidung

9. Aufbau des Nachschlagewerkes

III. Begriffe

»Animismus«

»Asylant/Asylantin«

»Bananenrepublik«

»Bastard/Bastardin«

»Busch«

»Buschmänner«

»Dritte Welt«

»Dschungel«

»Eingeborene/Eingeborenr«

»Entwicklungsland«

»Ethnie«

»Farbige/Farbiger«

»Fetisch«

»Hamite/Hamitin«

»Häuptling«

»Hottentotten/Hottentottin«

»Kaffer/Kafferin«

»Kannibalen/Kannibalismus«

»Mischling«

»Mohr/Mohrin«

»Mulatte/Mulattin«

»Naturreligion«

»Naturvölker«

»Neger/Negerin«

»primitiv/Primitive«

»Pygmäe«

»Rasse«

»Schwarzafrika«

»Schwarzer Kontinent«

»Sippe«

»Stamm«

»Zivilisation«

IV. Manifestationen von Rassismus in Texten ohne rassistische Begrifflichkeiten.Ein Instrumentarium zum kritischen Lesen von Texten und eine exemplarische Textanalyse

Textanalyse

Kontextanalyse

V. Leseempfehlungen: Kommentierte deutschsprachige Literatur zu Rassismus und Sprache

VI. Index

VII. Angaben zu den Herausgeberinnen

I. Ein Nachschlagewerk zu Kolonialismus, Rassismus und Afrikaterminologie

Prolog

»Worte können sein wie winzige Arsendosen«, schreibt Victor Klemperer in seiner Analyse der Sprache des Nationalsozialismus: »Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.«[1] Vergleichbar mit Klemperers Warnung will das vorliegende Buch ein Bewusstsein dafür schaffen, dass auch Rassismus kontinuierlich durch Sprache hergestellt wird und wirkt. Vielen ist nicht bewusst, dass Begriffe wie »Mischling«, »Schwarzer Kontinent«, »primitiv« oder »Häuptling« einen diskriminierenden Gehalt und eine kolonialistisch geprägte, rassistisch wirkende Bedeutungsgeschichte haben, die bis heute zum Ausdruck kommt.

Durch Benennungen werden Dinge, Sachverhalte, Emotionen und Menschen – zugeordnet zu verschiedenen Gruppen und eingeordnet nach diversen Kriterien wie Aussehen, Tätigkeiten, Alter usw. – überhaupt erst sichtbar und wahrnehmbar. Dadurch wird ein Blickwinkel auf Wirklichkeiten zum Ausdruck gebracht: Es macht einen Unterschied, ob gesagt wird, »siehst du den Menschen dort« oder statt »Mensch« von der Frau, der Präsidentin, der Weißen, der Mutter, der Alten, der Jungen, der Verrückten gesprochen wird – oder ob man/frau gar nichts sagt, die Person ignoriert. Alle Benennungen können sich auf dieselbe Person beziehen und bringen doch unterschiedliche Perspektiven und Bewertungen zum Ausdruck. Menschen können durch Benennungen und Nicht-Benennungen aufgewertet oder diskriminiert, zur Norm gesetzt oder ausgegrenzt werden – Sprache kann auf diese Weise als Macht- und potentielles Gewaltmittel funktionieren. In der Regel ist Menschen dieser aktive konstruierende Prozess beim Sprechen nicht bewusst. Stattdessen wird Sprache oft als neutrales Medium wahrgenommen, dass »das« vermeintlich Gegebene einfach nur widerspiegele. Das führt, gerade in Bezug auf kolonialistisch geprägte und rassistische Termini, oft zu einer Weigerung, Sprachgebrauch kritisch zu reflektieren, oder auch zu Aggressionen und Wut, wird frau/man damit konfrontiert. Auch die Herausgeberinnen und Autor/inn/en des Buches, das aus Weißer Perspektive geschrieben und editiert wurde, haben durch die Arbeit an diesem Projekt ihren eigenen Sprachgebrauch neu zu überdenken gelernt. Es war ein wichtiger Lernprozess für alle beteiligten Weißen, auch für jene, die einen Migrationshintergrund haben, sich darauf einzulassen, die eigene Sprache sowie den Sprachgebrauch im sozialen Umfeld und in der Gesellschaft (z.B. Medien, Politik, Werbung) kritisch auf rassistische Muster hin zu reflektieren.

Es ist bis heute ein Weißes Privileg, Begegnungen mit Rassismus in Sprache entweder zu ignorieren oder in einer analysierenden Außenperspektive zu verharren. Die von uns kritisierte Sprache präsentiert sich weit jenseits offenkundiger rassistischer Vokabeln. Wenn Weiße beim Lesen dieses Buches den Eindruck haben, dass die hier gegebenen Darstellungen an einzelnen Stellen überspitzt oder übertrieben seien, dass Sprache doch eigentlich nicht so wichtig sei, dass es sich hier um »Wortklauberei« handele usw., könnten sie diese Gegenwehr zunächst auch daraufhin befragen, ob es sich dabei jeweils um Abwehrstrategien handelt, um sich nicht mit eigenen Vorannahmen, Wahrnehmungen und den eigenen Denkmustern auseinander setzen zu müssen. Nimmt frau/man eine Position ein, dass Sprache einfach da und nicht wichtig sei, wird auf diese Weise auch die eigene, permanente Verantwortung, das eigene sprachliche Handeln zu hinterfragen, abgelehnt.

Das Buch soll vor diesem Hintergrund dazu anregen, sich mit der eigenen Position, Verantwortung und Macht im eigenen Sprechen auseinander zu setzen. Die Projektidee selbst ist der Initiative Schwarzer Studierender am Seminar für Afrikawissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin zu verdanken, die unter großer emotionaler Kraftaufwendung und weitreichenden persönlichen Konsequenzen nicht aufgegeben haben, den Gebrauch rassistischer Vokabeln und Ausdrucksweisen an der Hochschule zu kritisieren.

Der vorliegende Band kann von Anfang bis Ende durchgelesen werden, aber auch als Nachschlagewerk dienen. In der Einleitung werden die oben angesprochenen, gängigen Vorannahmen zu Sprache, Denken und Rassismus aufgegriffen. Es wird aufgezeigt, inwiefern Denken und Sprache eng zusammen hängen und durch Sprache Gewalt ausgeübt werden kann. Dabei wird auf das historische Gewordensein der deutschen Afrikaterminologie im Kontext von Kolonialismus und Rassismus eingegangen, und es werden verschiedene Argumentationsstrategien kommentiert, die immer wieder anzutreffen sind, wenn Menschen auf den rassistischen Gehalt ihres Sprachgebrauchs angesprochen werden.

Im Hauptteil des Buches können über 30 kolonial und rassistisch geprägte Begriffe nachgeschlagen werden, mit denen Afrika und Schwarze bezeichnet werden. Damit wird nicht angenommen, dass ein »politisch korrekter« Sprachgebrauch oder das bloße Ersetzen von bestimmten Wörtern Rassismus ein Ende bereiten könnte. Durch eine Auseinandersetzung mit rassistischen Begrifflichkeiten kann jedoch eine offene gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Manifestationen von rassistischen Denkmustern – seiner Geschichte und aktuellen Implikationen – gefördert werden. Die Auseinandersetzung mit den Begriffen bietet Anregungen und Impulse für eine solche notwendige Reflexionsarbeit.

Im Anschluss daran zeigt eine exemplarische Analyse eines Zeitungsartikels, wie sich Rassismus auch unabhängig von rassistischen Begriffen manifestiert. Dieser Teil gibt den Leser/inne/n ein Instrumentarium dazu in die Hand, wie sie selbst Texte kritisch lesen können.

Der Band schließt mit einer kommentierten Auswahlbibliografie von weiteren Titeln, die die Herausgeberinnen des Bandes Interessierten zum Weiterlesen zu verschiedenen Themenschwerpunkten empfehlen.

Die Illustrationen, die sich an einigen Stellen des Buches finden, sollen die jeweiligen Analysen durch einen visuellen Eindruck weiter verdeutlichen und sind auf diese Weise Teil der jeweiligen Analysen.

Für die Zukunft sind vier weitere Bände geplant, die sich mit Rassismus und Sprache im Kontext anderer Regionen und politischer Kontexte auseinandersetzen. Gedacht ist hier an Bände, in denen die deutsche Terminologie zu Nord- und Südamerika, zu Europa, zu Asien und Australien sowie zu Antisemitismus kritisch reflektiert wird. Alle, die an einer Mitarbeit interessiert sind, sind eingeladen, sich über die Email-Adresse mit dem Projekt in Verbindung zu setzen. Diese Email-Adresse ([email protected]) und die hier angebundene Mailing-Liste soll zudem ein Anlaufpunkt sein, um den Leser/inne/n dieses Bandes ein Forum zu bieten, die Beiträge dieses Bandes kritisch und ergänzend zu diskutieren.

Wir danken Heiko Thierl und insbesondere Regina Stein von der Initiative afrodeutscher Frauen (ADEFRA), die durch ihre Lektüre wichtige Impulse beigetragen und Weiße Denkmuster der Autor/inn/en und Herausgeberinnen aus ihrer Perspektive als Schwarze Deutsche kritisch hinterfragt haben. Darüber hinaus dankt das Herausgeberinnengremium auch Marcus Scharrer und Marek Spitczok von Brisinski, zwei Weißen Deutschen, für ihre kritischen Kommentare und Anregungen.

Die Herausgeberinnen danken dem in Kamerun geborenen, seit vielen Jahren in Berlin lebenden Künstler Moise Ngolwa, dass er ihnen einige Zeichnungen aus seinem Werk zur Verfügung stellte, um diese im vorliegenden Buch wiedergeben zu können. Seine künstlerischen Werke illustrieren insgesamt nachdrücklich, was analysieren wird.

Anmerkungen

1      Klemperer, Victor. LTI. Notizen eines Philologen. Leipzig 1987 (Erstveröffentlichung 1946): 21.

II. »Worte können sein wie winzige Arsendosen.«[1]Rassismus in Gesellschaft und Sprache[2]

Susan Arndt, Antje Hornscheidt

1. Rassismus und Kolonialismus

In der Ära des transatlantischen Sklavenhandels und Kolonialismus bedurften die europäischen Kolonialmächte einer Rechtfertigungsideologie für ihre Politik der Eroberung, Ausbeutung, Unterdrückung und Gewaltherrschaft. Schließlich verletzte diese Praxis die neu formulierten und vom Bürgertum deklarierten Ideale von »Freiheit«, »Gleichheit« und »Solidarität«. Vor diesem historischen Hintergrund kam es im Zeitalter der Aufklärung zur Erfindung und Hierarchisierung menschlicher → »Rassen« – ein Prozess der gemeinhin als Formierung des Rassismus angesehen wird. Diese ins 17. Jahrhundert zurückreichende »Erfindung« bot letztlich auch die Grundlage für moderne Genozide, die im deutschen Kontext ihren Anfang 1904 nahmen, als die deutsche Kolonialmacht planmäßig und zielgerichtet danach strebte, die Hereros und Namas zu vernichten.

Rassismus kann als Komplex von Einstellungen – Gefühlen, Vorurteilen, Vorstellungen – und Handlungen beschrieben werden, die darauf beruhen, dass Weiße ausgehend von »Rassentheorien«, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erhoben haben, aus einer Vielzahl von zumeist visuell sichtbaren körperlichen Merkmalen einzelne (wie etwa die Hautfarbe) selektieren, dichotomisieren und zu einem »natürlich gegebenen« und relevanten Kriterium der Unterscheidung erklären. Dabei werden den vermeintlich gegebenen, statischen und objektiven »Rassenmerkmalen« bestimmte soziale, kulturelle und religiöse Eigenschaften und Verhaltensmuster zugeschrieben. Die so hergestellten Unterschiede werden, wie Albert Memmi zeigte, in einem Prozess Weißer[3] hegemonialer Praxis verallgemeinert, verabsolutiert und gewertet. Ausgehend von einer konstruierten Normsetzung des »Eigenen« wurde das »Andere« erfunden und homogenisiert. Psychologisch und praktisch dient dieser Konstruktionskomplex Weißen dazu, unterschiedliche Macht- und Lebenschancen von Weißen und Schwarzen sowie Weiße Aggressionen und Privilegien zu legitimieren.[4] Stereotype Wahrnehmungen, die etwa Afrikaner/innen von Europäer/inne/n haben, besitzen nicht eine solche machtlegitimierende Ideologie. Wenn Weiße durch Schwarze markiert werden, dann ist das zwar eine Folge der Markierung und Diskriminierung, die von Weißen eingeführt wurde. Es handelt sich aber nicht um Rassismus, da dieser an den Besitz politischer, sozialer und ökonomischer Macht gebunden ist.

Häufig wird behauptet, Europäer/innen würden nun einmal anders aussehen als Afrikaner/innen. Dabei wird u.a. auf die Pigmentierung angespielt. Weder alle Weißen noch alle Schwarzen haben den gleichen Hautfarbton. Manche als Weiß konstruierte Europäer/innen haben einen dunkleren Teint als Afrikaner/innen. Erst durch den Rassismus wurde das Farbspektrum von Hautfarben auf eine Dichotomie von »weiß« auf der einen Seite und »schwarz« auf der anderen reduziert, wobei Weiß-Sein als Norm gesetzt und das »Nicht-Weiße« alterisiert, das heißt zum Anderen, »Un-Normalen« gemacht wurde. Dabei wurde auf der Seite des »Anderen« partiell ausdifferenziert, etwa in »dunkelhäutig«, »rothäutig« und »gelb«.

Hier wird deutlich, dass solche Grenzlinien in einem breiten Farbspektrum willkürlich gezogen werden. Die entscheidende Frage ist, weshalb und auf Grund welcher Kriterien und Machtkontexte dies geschieht und so Unterschiede als gesellschaftlich relevant hergestellt und bewertet werden.

Im Zuge der Formierung von Rassismus waren Weiße Wissenschaftler bemüht, diese dichotomische Konstruktion wissenschaftlich zu fundieren.[5] Menschliche Körper wurden vermessen, Blutuntersuchungen vorgenommen. Noch heute lagern Tausende von Schädeln als Relikte dieser biologistischen Forschungen in deutschen Krankenhäusern und ethnologischen Museen. Viele der Schädel stammen von Menschen, die von der deutschen Kolonialmacht ermordet worden sind.[6] Wegen ihres naturwissenschaftlichen Duktus und der Unmöglichkeit, die »wissenschaftlichen Befunde« direkt zu überprüfen, konnten Thesen, wie etwa die, dass sich »Rassenunterschiede« genetisch belegen lassen, besonders machtvoll wirken. Entscheidend war, dass diese Forschungen politische Begehrlichkeiten bekräftigten und absicherten.

Heute sind diese Thesen widerlegt[7], so wie auch in anderen Bereichen immer wieder zur Diskussion steht, ob es eine objektivierbare Naturwissenschaft gäbe, die grundlegende menschliche Kategorisierungen »beweisen« könne.[8] Dennoch ist es nicht möglich, diese Klassifizierung nach → »Rassen« einfach zu ignorieren. Auch wenn wir nicht als Schwarze und Weiße geboren werden, werden wir – um Simone de Beauvoirs berühmte Aussage zur gesellschaftlichen Sozialisierung von Frauen aufzugreifen – zu diesen gemacht. Im Bemühen, solche Konstruktionen in ihrer politischen und kulturellen Wirkungsmacht anzuerkennen und zu benennen, ohne die rassistischen Inhalte zu transportieren, haben sich in der solche Überlegungen aufnehmenden Wissenschaft und Politik alternative Bezeichnungen durchgesetzt. Dazu zählen die Begriffe »Schwarze/r« und »Weiße«. Sie beziehen sich nicht auf die Hautfarbe, sondern sind politische Begriffe, die darauf abzielen, auf die soziopolitischen Folgen und historischen Verantwortlichkeiten hinzuweisen. Dabei ist »Schwarze« die politische Bezeichnung für all diejenigen, die zu Objekten des Rassismus konstruiert werden; Weiße agieren als Subjekte rassistischer Prozesse und Akteure und Akteurinnen rassistischer Handlungen. Um deutlich zu machen, dass es sich bei Schwarzen und Weißen um Konstrukte des Rassismus handelt und nicht um biologisch klassifizierbare Gruppen, werden »Schwarz« und »Weiß« auch in adjektivischer Verwendung groß geschrieben. Dies geschieht vor dem Hintergrund, markieren zu wollen, dass Rassismus Weiße wie Schwarze konstruiert hat und Weiß-Sein damit eine kulturelle und politische Implikation und Wirkkraft hat, die unabhängig davon besteht, ob Weiße Individuen sich dieser bewusst sind oder nicht.

Oftmals wird kritisiert, dass mit den Bezeichnungen Schwarze und Weiße biologistische und essentialisierende Kriterien fortgeschrieben werden würden. Hier manifestiert sich aber das Problem, dass es fatal wäre, im Duktus der colour-blindness[9] die Existenz und soziopolitische Konsequenz biologistischer Konstruktionen einfach auszublenden. Dadurch würden bestehende Hierarchien eher noch bestärkt werden.[10] Indem man/frau aber essentialistische Bezeichnungen adaptiert und dabei gleichzeitig bricht, wie das etwa bei der Bezeichnung Schwarze Deutsche der Fall ist, kann Rassismus offengelegt und kritisiert werden. Durch sprachliche Innovationen und Irritationen (Großschreibung des Adjektivs) werden zugleich diese Konstruktionen kritisch hinterfragt.

Neben einer Verwendung von »Schwarze« als allgemeine Bezeichnung für Menschen, die Objekte des Rassismus sind, gibt es auch den Ansatz, zwischen »Schwarzen« und »People of Colour« (POC) zu unterscheiden. Schwarze bezieht sich dabei auf Afrikaner/innen und Menschen, die in den afrikanischen Diasporas bzw. Kulturräumen mit einem Hintergrund in afrikanischen Kulturen leben. POC, das anders als Schwarze nur als Kollektivbezeichnung existiert, rekurriert auf Menschen und Kulturen, die Opfer Weißer hegemonialer Macht und von Rassismus sind, aber keinen afrikanisch geprägten kulturellen Hintergrund haben. Dazu zählen etwa Inder/innen und Angehörige der First Nations People of America.[11] Auch türkische Migrant/inn/en in Deutschland greifen auf POC als Selbstbezeichnung zurück. Damit eröffnet sich zwar ein Instrumentarium, um innerhalb der überaus heterogenen Gruppe der Personen, die durch Rassismus diskriminiert werden, differenzieren zu können. Doch letztlich kann der diesbezüglichen Homogenisierung nur bedingt entgegengewirkt werden. Politisch und kulturell konstituieren sich beide Gruppen – Schwarze und POC – noch immer heterogen. In diesem Wörterbuch wird dem Ansatz gefolgt, »Schwarze« als allgemeinen politischen Begriff zur Bezeichnung von Menschen zu gebrauchen, die durch Rassismus diskriminiert werden.

Rassismus darf aber nicht pauschal zur Benennung jedweder Form von transkultureller oder transnationaler Diskriminierung verwendet werden. Dies ginge mit einer inflationären Verwendung des Begriffes einher, die den geschichtlichen Kontext des Konzepts Rassismus und somit die Spezifik, Gefahr und Verantwortung, die ihm innewohnen, verschleiert. Bei den Erfahrungen von körperlicher, sprachlicher und psychischer Gewalt, die etwa Weiße Russen und Russinnen heute in Deutschland erfahren, handelt es sich zwar um Formen von Diskriminierung, die auf eine antislawische und antirussische Tradition in Deutschland aufbaut, nicht aber um Rassismus in dem Sinne, wie wir den Begriff hier gebrauchen.

In der deutschen Gesellschaft lässt sich eine Tendenz verzeichnen, Rassismus zu sagen und Rechtsextremismus (und diesen auch noch als »ostdeutsche Jugendkultur«) zu meinen. Dabei wird negiert, dass Rechtsextremismus nur die Spitze des rassistischen Eisberges ist, die ohne Rückhalt in der Gesellschaft schmelzen müsste. Rassismus auf Rechtsextremismus zu reduzieren, heißt, die gefährliche allgegenwärtige und komplexe Verankerung des Rassismus in der bundesdeutschen Gesellschaft zu bagatellisieren. Zudem kann Rassismus nicht einfach mit »Fremdenhass« oder »Ausländerfeindlichkeit« gleich gesetzt werden. Dass im öffentlichen Sprachgebrauch häufig von Fremden- oder Ausländerfeindlichkeit geredet wird, ist irreführend. Denn einerseits sehen sich »Fremde« oder »Ausländer/innen«, wie etwa Weiße aus Frankreich, Skandinavien oder Großbritannien, in Deutschland nicht mit Rassismus konfrontiert, andererseits sind ihm zum Beispiel Schwarze Deutsche alltäglich ausgesetzt.

ohne Titel, Moise Ngolwa, 2003Künstlerische Ironisierung des »positiven Rassismus« durch Moise Ngolwa.

Rassismus nur mit Feindlichkeit oder Hass zu verbinden, bagatellisiert die ihm immanenten stereotypen Vorstellungen, die beispielsweise suggerieren, alle Schwarzen seien ausgezeichnete Tänzer/innen. Auch wenn solche Kategorisierungen über positiv gemeinte stereotype Vorstellungen von Schwarzen hergestellt werden, ist entscheidend, dass auch diese sich auf Körperlichkeit und »genetisch festgeschriebene Verhaltensweisen« beziehen und damit auf eine angenommene »Natur« Bezug nehmen. Stereotypisierungen sind, wie noch ausführlicher erörtert werden wird, immer diskriminierend, egal ob sie mit positiven oder negativen Intentionen geäußert werden.[12]

Zudem wird heute oft davon gesprochen, es gäbe eine neue Tendenz – den »kulturellen Rassismus«. Das ist insofern irreführend, als der Begriff Rassismus zwar auf → »Rasse« zurückzuführen ist,[13] er aber von Anfang an eine Ideologie war, bei der biologistischen Konstruktionen soziale und kulturelle Attribute zugeschrieben wurden. Neu ist jedoch, dass sich seit den 1970er Jahren Strategien erkennen lassen, wonach sich Rassismus zunehmend auch gänzlich unabhängig von biologistischen Ausgangskriterien manifestiert und in stereotypisierender Weise angeblich »naturbedingte« und als unvereinbar proklamierte Unterschiede zwischen bestimmten Kulturen konstruiert werden, die – so die gleichzeitig damit vertretene Annahme – unweigerlich Konflikte nach sich ziehen würden.

Das Kopftuch islamischer Frauen, beispielsweise, ist in Deutschland in den letzten Jahren zu einem Symbol dieser Denkhaltung instrumentalisiert worden. Aus der Weißen deutschen Perspektive heraus wird es als Beleg für die Weigerung von Türk/inn/en interpretiert, sich »integrieren« zu wollen und zu können.[14] Aus Weißer feministischer Sicht bzw. unter vorgeschobener Berufung auf Frauenrechte wird das Kopftuch häufig als Beleg für die »anderen Kulturen« innewohnende Frauenverachtung angeführt, die im »eigenen Kulturraum« nicht geduldet werden könne, da sonst hinter die eigenen »zivilisatorischen Fortschritte« zurück gegangen werden würde. Damit werden die eigenen Normen und Bewertungsmaßstäbe, die dem damit vertretenen Konzept der »Integration« zu eigen sind, nicht reflektiert, sondern als allgemein gültig reproduziert und weiter verfestigt. Ausgrenzungs- und Ghettoisierungsstrategien der deutschen Gesellschaft gegenüber Menschen, deren Arbeitskraft in einer bestimmten Phase der wirtschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik unerlässlich schien und deswegen ausgebeutet wurde, bleiben ausgeblendet. Die diesbezügliche deutsche Politik manifestiert sich zum Beispiel auch im euphemistischen Begriff »Gastarbeiter/in« – ein Gast kommt auf Grund einer Einladung, geht aber auch wieder bzw. muss wieder gehen, da sonst der Status »Gast« gebrochen werden würde.

Am bundesdeutschen Umgang mit türkischen Migrant/inn/en zeigt sich auch, dass sich Diskriminierungen auf Grund der Zuschreibung von (kollektiven) Identitäten aus komplexen Wechselwirkungen verschiedener Differenzen ergeben. In der Alltagswahrnehmung wird in der Regel jedoch nicht die Komplexität von Diskriminierung realisiert, sondern diese homogenisiert und/oder vereinfachend auf ein Kriterium, zum Beispiel Gender oder »Race«, reduziert. Das Zusammendenken von Gender[15] und »Race«[16] verdeutlicht aber beispielsweise gerade, wie mit Hilfe der Geschlechterdifferenz rassistische Hierarchien konstruiert und aufrechterhalten werden, weswegen sich Rassismus auch geschlechtsspezifisch und damit für Frauen partiell anders als für Männer manifestiert. Wenn Schwarze Frauen nicht nur durch Rassismus, sondern auch durch Geschlechterhierarchien diskriminiert werden, dann äußert sich dies in einer komplexen Verschmelzung beider Herrschaftserfahrungen. Weiße Frauen bewegen sich wiederum in der Ambivalenz von Subordination (in Bezug auf die Geschlechterdifferenz) und Dominanz (in Bezug auf rassistische Handlungsmuster). Andere Normsetzungen und Hierarchien führen zu weiteren Differenzierungen.

Wenn in diesem Band Manifestationen des Rassismus einen zentralen Stellenwert einnehmen, dann ist das nicht als eine eventuelle Hierarchisierung potentieller Diskriminierungsformen zu verstehen. Vielmehr ergibt sich dieser Fokus aus der thematischen Ausrichtung des Bandes auf Rassismus, Sprache und die deutsche Afrikaterminologie. Durchgängig wird aber versucht, die Komplexität von Differenz und Herrschaft möglichst explizit zu machen.

2. Sprache und Gesellschaft. Koloniale Begriffe und ihre Wirkungsmacht in Geschichte und Gegenwart

Im Kontext des Kolonialismus war Sprache ein wichtiges Medium zur Herstellung und Vermittlung des Legitimationsmythos, Afrika sei das homogene und unterlegene »Andere« und bedürfe daher der → »Zivilisierung« durch Europa. Dieser Ansatz schlägt sich in der kolonialen Benennungspraxis nieder. Grundsätzlich sind zunächst einmal afrikanische Eigenbezeichnungen ignoriert worden. Da Afrika aber als »das Andere« konstruiert wurde, weigerten sich die europäischen Okkupant/inn/en gleichzeitig, für gegenwärtige europäische Gesellschaften gültige Begriffe auf den afrikanischen Kontext zu übertragen.

Alternativ etablierten Weiße auf der Grundlage ihrer Hegemonie neue Begriffe. So wurde etwa für die Vielzahl von Selbstbezeichnungen für Herrscher/innen in afrikanischen Gesellschaften ganz pauschal der Begriff → »Häuptling« eingeführt. Ein anderes Beispiel dafür ist die Bezeichnung → »Hottentotten«. Die gängigste Erklärung dieses Begriffes geht davon aus, dass die Europäer/innen mit diesem Wort auf die Tatsache reagierten, dass in einigen Sprachen des südlichen Afrika implosive Konsonanten, so genannte »Schnalzlaute« oder Clicks, vorkommen. Im Duktus eines allgemeinen Gefühls der Überlegenheit versuchten sie diese, ihnen unbekannte, phonetische Spezifik nachzuahmen, wobei diese Imitation bald als Bezeichnung der betreffenden Gesellschaften isoliert wurde. Kulturell, politisch und linguistisch entbehrt dieses abwertende Konstrukt jeder Grundlage. Indem, wie etwa im Fall von → »Häuptling«, »Medizinmann« und → »Buschmänner«, Wörter eingeführt wurden, die mit Männern assoziiert werden bzw. denen per se eine weibliche Form fehlt, bleiben zudem die Existenz und reale gesellschaftliche Position von Frauen ausgeblendet.

Andere Neologismen bauen auf der überholten Annahme auf, dass Menschen in »Rassen« unterteilt werden können. Dazu gehören etwa Termini wie → »Neger/in«, → »Schwarzafrika«, → »Mulatte« und → »Mischling«. So wird ein/e Schwarze/r Deutsche/r, nicht aber ein Kind aus einer Weißen französisch-deutschen Beziehung als »Mischling« bezeichnet.

Wurde auf Begriffe, die bereits zuvor im europäischen Kontext verwendet worden sind, zurückgegriffen, so handelte es sich ausschließlich um Bezeichnungen, die abwertend benutzt wurden. Dazu zählen erstens Begriffe, die eine Bedeutungsverschiebung erfuhren: → »Bastard« etwa fungierte ursprünglich als Bezeichnung für »uneheliches Kind«. Im kolonialen Kontext wurde der Begriff auf Kinder aus Beziehungen von Schwarzen und Weißen übertragen. Dabei wurde die Konnotation, das heißt der Bedeutungsinhalt, »illegitim« transferiert. Zudem wurde so ein assoziativer Bezug zum Tier- und Pflanzenreich hergestellt, wo »Bastard« mit Unfruchtbarkeit assoziiert werden kann.

Zweitens handelt es sich um historisierende Begriffe, die im deutschen Sprachgebrauch Konnotationen von »Primitivität« und »Barbarei« tragen. So bezeichneten Weiße etwa in Anlehnung an die historisierende Bezeichnung »germanische Stämme« Organisationsformen in Afrika pauschal als → »Stämme«. Damit negierten sie nicht nur die Vielfalt von Gesellschaften in Afrika, sondern machten diese zudem, wenn überhaupt, als höchstens mit einer früheren Epoche europäischer Geschichte vergleichbar. Mit diesem Verfahren konnten diskriminierende Perspektiven und Konstruktionen von Afrika als »das Andere« sowie unterlegen, »rückschrittlich« und veraltet hergestellt und transportiert werden.

Ein zentraler Baustein der Konstruktion von Afrika als unterlegener Gegenpol zu Europa durch Neologismen sowie Bedeutungserweiterungen und -übertragungen ist die begriffliche Herstellung eines hierarchischen Gegensatzes zwischen »Natur« und »Kultur«. So wurde Afrika über Begriffe wie → »Buschmänner« und → »Naturvölker« als »Natur« konstruiert. Dabei wird häufig, worauf Frantz Fanon hingewiesen hat,[17] über eine ausgeprägte Tiermetaphorik eine Nähe zwischen Schwarzen und Tieren unterstellt. → »Mulatte« etwa geht auf Maulesel, Maultier zurück. Dieses Tier wird zu den → »Bastarden« gezählt. In der Tier- und Pflanzenwelt gelten diese als nicht fortpflanzungsfähig. Eben dies wurde auch Kindern aus Beziehungen von Schwarzen und Weißen unterstellt. Als sich dieser Mythos nicht länger halten ließ, wurde schließlich die Notwendigkeit der Sterilisation dieser Menschen erörtert. Was in der Weimarer Republik theoretisch erörtert wurde, wurde dann im Nationalsozialismus praktiziert.[18]

Im Kontrast zu dieser Konstruktion von Afrika als »Natur« und Schwarzen als »Bindeglied zwischen Mensch und Tier« wird Europa als »Kultur« konstruiert.[19] Dabei wird Europa als »Norm« gesetzt. Das vollzieht sich in einem eher impliziten Verfahren. Wenn zum Beispiel »Naturvölker« im Gegensatz zu »Völkern«, → »Naturreligionen« zu Religionen und »Buschmänner« zu Männern bzw. Menschen stehen, wird ein spezifizierender Unterbegriff einem generischen Oberbegriff gegenübergestellt. Dieses Prinzip, das sich beispielsweise auch im aktuellen Begriff → »Bananenrepublik« findet, weist darauf hin, dass sich koloniale Benennungen auch über eine Strategie der Asymmetrie vollziehen. Das heißt, in der Regel wird das, was aus Weißer westlicher Sicht als abweichend und »anders« konstruiert wurde, benannt, während die vermeintliche Normalität Weißer Kulturen nicht weiter spezifiziert, sondern durch den Oberbegriff bezeichnet wird. Dadurch vollzieht sich die Normsetzung unsichtbar und ist somit schwieriger zu hinterfragen, als wenn sie explizit gemacht werden würde.

Zudem basieren viele der zur Bezeichnung von Afrikaner/inne/n sowie gesellschaftlicher, kultureller und religiöser Prozesse in afrikanischen Ländern geprägten Neologismen und Bedeutungsübertragungen, wie etwa → »Busch«, auf Konzepten von Chaos, Unordnung und Regellosigkeit. Auch damit wird eine Auffassung transportiert, die Weiße und westliche Wertvorstellungen als Norm setzt und legitimiert. »Ordnung« und »Regelhaftigkeit« werden so als »objektiv fassbar« und »objektiv positiv und erstrebenswert« hergestellt. Die Konzepte von Unordnung und Chaos, die mit dem »Anderen« und »Fremden« verbunden werden, gelten als Bedrohung für die eigene, die Weiße Lebensweise, wodurch sie gleichzeitig auch Gefühle von Angst hervorrufen. Da die Kriterien, auf denen diese Zuschreibungen basieren, in der Regel unbenannt und unreflektiert bleiben, scheinen diese Konstruktionen zusätzlich unangreifbar und gewinnen an mentaler Macht.

Globale und nationale Macht- und Herrschaftsverhältnisse manifestieren sich auch darin, wer die Macht zur Benennung hat, welche Benennungen eine weite Verbreitung finden und sich im gesellschaftlichen Diskurs durchsetzen. Umso machtvoller der Sprachgebrauch ist, umso größer und frequenter ist seine Verbreitung. Durch ständige Wiederholungen bestimmter Wörter, Phrasen und Ausdrucksweisen aus einer Machtposition heraus schleifen sich ihre Gebrauchsweisen und damit die mit diesen vertretenen Konzepte in das Denken ein. Dass diese nicht neutral und objektiv sind, nicht unausweichlich, nicht die einzig mögliche Sichtweise und Benennung, wird so immer schwieriger zu durchschauen. Die Macht der sprachlichen Benennung verselbstständigt sich auf diese Weise zunehmend.

Auch die kolonialen Fremdbenennungen erfolgten in einem Machtraum Weißer Hegemonie. Nur aus diesem Grund konnten sie – in einem symbolischen Akt der Ignoranz der Sichtweisen und Stimmen der so bezeichneten Gruppen – Deutungshoheit und Bezeichnungsmacht erlangen, die zur Etablierung dieser Begriffe bis in den aktuellen Alltagsdiskurs hinein führte.

Der Machtkontext der kolonialen Sprache hat nicht selten zur Übernahme dieser Begriffe durch die so bezeichneten Gruppen geführt. Auch wenn Begriffe wie etwa → »Stamm« oder → »Buschmänner« bis heute z.T. auch von Afrikaner/inne/n verwendet werden, hebt das nicht den kritisierten und historischen Gehalt dieser Bezeichnungen auf. Vielmehr wird hier deutlich, wie Rassismus – gerade vermittelt über Begriffe – das Denken, einschließlich von Selbstwahrnehmungen, prägen kann. So sind gerade rassistische Fremdbenennungen ein wichtiges Medium, über das Afrikaner/innen und andere Schwarze terminologisch (re-)produzierte Abwertungen in das eigene Sein inkorporieren. Diese Wirkungsmacht von Sprache muss den diskriminierten Individuen nicht zwangsläufig bewusst sein. Sie ist nur in einem Prozess kritischer Reflexion und Emanzipation überwindbar.

Weil sprachliche Benennungen im gesellschaftlichen und globalen Machtkontext entstehen und wirken sowie Herrschaft sich mit ihnen realisiert und festigt, was im Kontext einer hegemonialen Benennungspraxis zum Selbst und was zum Anderen (re-)produziert wird, kommt dem Ersetzen rassistischer Fremdbezeichnungen durch politisch-alternative Selbstbenennungen eine wichtige Rolle im Rahmen von Emanzipationsprozessen zu. Politisch ist diese Strategie ein wichtiger Schritt, um für diskriminierte Gruppen und Individuen Öffentlichkeit herzustellen.[20] Der Verzicht auf bzw. das Ersetzen von rassistischen Wörtern muss, damit ein Überdenken von Wert- und Denkvorstellungen beginnt, sich allerdings nicht stillschweigend, sondern eingebettet in eine öffentliche Debatte und Aufarbeitung von Geschichte vollziehen.

3. Rassistische Begriffe und gesellschaftliche Aufarbeitung

In vielen historischen und gesellschaftlichen Bereichen, die von Diskriminierung gekennzeichnet (gewesen) sind, wird es heute zunehmend als (politisch) korrekt angesehen, bestimmte Begriffe nicht zu benutzen. Neben einigen Frauen verachtenden Ausdrucksweisen ist die Vermeidung der Verwendung nationalsozialistisch geprägten Vokabulars dafür ein Beispiel.

Nur wenige Wörter wurden im Rahmen nationalsozialistischer Ideologie neu erfunden. Die meisten Begrifflichkeiten, die wir heute als nationalsozialistisch geprägt verstehen, waren vor den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts gebräuchlich, erfuhren aber in den 30er und 40er Jahren starke Veränderungen ihrer konventionellen Bedeutungen: Ihnen wurden, initiiert durch die Herrschenden, systematisch neue Inhalte und Bedeutungen zugeschrieben. Dabei wurden sie enger und/oder neu ausgelegt. Es gab viele Begriffe wie zum Beispiel »Rassenhygiene«, »Passmarken« oder → »Rasse«, die schon im Kolonialismus Verwendung fanden, für die auch die Nationalsozialist/inn/en eine zentrale Bedeutung in ihrer Ideologie beanspruchten.[21] Der Begriff und die Grundidee zu »Konzentrationslagern« zum Beispiel, mit denen heute vor allem das Lagersystem (Konzentrationslager und Vernichtungslager umfassend) der Nationalsozialist/inn/en sowie das Gulag-System in der Sowjetunion verbunden werden, sind ursprünglich von einem spanischen General (mit preußischen Vorfahren) 1896 auf Kuba geprägt worden.[22] Ab 1900 begann dann die US-amerikanische Besatzungsmacht auf den Philippinen, Aufständische auf der Insel Mindanao in concentration camps einzusperren. Etwa zur gleichen Zeit inhaftierte die britische Kolonialmacht Buren in concentration camps.[23] Vier Jahre später wiederum, im Dezember 1904, ordnete Reichskanzler Bernhard von Bülow an, Konzentrationslager für die Herero einzurichten.[24] Der deutsche Begriff fand nunmehr Eingang in den politischen Sprachgebrauch.

Wenn frau/man sich heute mit der Sprache aus der Zeit des Nationalsozialismus auseinandersetzt, ist in der Regel von der Art und Weise der Verwendung bestimmter Begriffe im Rahmen nationalsozialistischer Ideologie und Propaganda auszugehen. Während einige Begriffe, wie etwa »Gemeinschaft« und »gigantisch«, die im Dritten Reich eine nationalsozialistisch bestimmte Bedeutung gehabt haben und mit bestimmten Konnotationen verwendet worden sind, noch heute gebräuchlich sind, verschwanden andere Wörter ganz aus dem aktiven Wortschatz. Einige dieser Begriffe, wie etwa »Passmarken«, fielen nach 1945 weg, weil sie nur im Kontext des Nationalsozialismus bzw. zuvor des Kolonialismus von Bedeutung waren. Heute werden sie nur verwendet, um historische Phänomene zu bezeichnen. Andere Wörter, wie etwa »Führer« oder »Rampe«, werden heute von vielen bewusst vermieden, weil sie durch den konkreten Gebrauch im Nationalsozialismus ethisch verschlissen und historisch belegt sind.[25]

Die These, dass allein das Nicht-Verwenden historisch belasteter Wörter schon dazu führe, dass auch die damit verbundenen Ideologien und Einstellungen verschwinden, ist umstritten. So ist etwa der Vorname »Adolf« in Deutschland weitgehend ausgestorben. Tatsächlich aber muss eine effektive Aufarbeitung von historischen Prozessen weit über den Verzicht auf ideologiebehaftete Wörter hinausgehen und kann nur fruchtbar sein, wenn diese offen und kontinuierlich – u.a. unter Berücksichtigung des Zusammenhangs von Ideologie und Sprache – geführt wird.[26] Genau das geschieht in den meisten Bereichen aber bislang nur sehr oberflächlich. Wenn überhaupt, so orientiert sich die Auseinandersetzung mit dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch im wesentlichen an einzelnen Begriffen.[27] Dieser Ansatz ist durchaus symptomatisch für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Die Debatte wird geführt und doch mangelt es ihr an Breitenwirksamkeit und Tiefenschärfe.[28]

Die gesellschaftliche Aufarbeitung des Kolonialismus ist im Vergleich dazu defizitär und rudimentär. Öffentliche Debatten und Mahnmale fehlen gänzlich. Gemeinhin wird das deutsche Kolonialkapitel als Fußnote der Geschichte abgehakt, die keiner weiteren Aufmerksamkeit bedarf. Die sich daraus ergebende Wirkmacht kolonialer Geschichte manifestiert sich jedoch sichtbar in der deutschen Afrikaterminologie. Bis heute finden kolonial geprägte Begriffe in Deutschland, wie auch in anderen europäischen Sprachen, mehrheitlich unreflektiert Verwendung. Oft werden sie sogar mit dem Habitus gebraucht, es sei legitim oder »nicht so schlimm«, diese Wörter zu verwenden. Das ist nur ein exemplarischer Ausdruck dafür, dass eine öffentliche, breitenwirksame und fundierte Auseinandersetzung mit Kolonialismus vonnöten ist. Nicht zuletzt aufgrund der historischen Zusammenhänge, die zwischen Kolonialismus und Nationalsozialismus bestehen, sowie wegen der Parallelen, Übereinstimmungen und Wechselwirkungen von Antisemitismus und Rassismus,[29] liegt es auf der Hand, diese beiden Kapitel deutscher Geschichte auch als komplexe Entwicklung aufzuarbeiten – und zwar unter Einbeziehung von historischem und aktuellem Sprachgebrauch.

4. »Ich habe es doch nicht so gemeint.«Rassistisches Sprechen und Weiße Strategien der Verweigerung

Wenn Klemperer rassistische Wörter als kleine Arsendosen beschreibt, die zu einer schleichenden und irreversiblen Vergiftung führen, weist er damit auf die Konsequenzen hin, die Sprache auf die Gesellschaft insgesamt und auf Individuen in der Gesellschaft hat.[30] Wichtig in diesem Zusammenhang ist zum einen, dass rassistische Begriffe stereotypisierend und normierend wirken, Schwarze in Stress versetzen und verletzen. Rassistisches Sprechen, von vielen Schwarzen als psychische Gewalt empfunden, verlangt ihnen – wie auch alle andere Formen von rassistischen Handlungen – unaufhörlich resistenzbildende Energien ab. Das geschieht unabhängig davon, ob sie mit einem Wort direkt angesprochen werden oder ob es ihnen in Äußerungen begegnet, die nicht direkt an konkrete Menschen adressiert sind (etwa Redewendungen); es ist dabei egal, ob der Sprecher oder die Sprecherin nun direkt anwesend ist oder Schwarze Menschen vermittelt durch Medien wie etwa Fernsehen erreicht. Unabhängig davon, ob eine Schwarze Person sich von entsprechenden Anreden oder Ausdrucksweisen explizit distanziert oder nicht, muss sie sich permanent zu ihnen verhalten und positionieren, wozu auch Schweigen und Übergehen sowie Ignorieren zu rechnen sind.

Zum anderen werden auch Weiße durch rassistische Begriffe sozialisiert und beständig als Weiße reproduziert. Die Auswirkungen von Sprache auf Schwarze und Weiße Erfahrungs- und Verhaltensmuster ist Weißen in der Regel nicht bewusst.

Werden sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie gerade einen kolonialistisch geprägten und/oder rassistischen Begriff verwendet haben, so formulieren sie in der Regel Widerstand, der oft aggressiv geäußert wird. In diesem Kontext kommt es zu zusätzlichen Verletzungen von Schwarzen, etwa wenn ihnen unterstellt wird, »schwierig«, ein/e »Nervensäge« oder ein/e »Querulant/in« zu sein und mit ihrer »Empfindlichkeit« zu »übertreiben«. Interessanterweise ist diese Reaktion auch bei jenen anzutreffen, etwa Feminist/inn/en, die im Kontext anderer Machtrepräsentationen, etwa der patriarchalisch geprägten Sprache, längst Innovationen (etwa das große Binnen-I, z.B. in LehrerInnen) praktizieren. Auch ein reflektierter Umgang mit nationalsozialistischem Vokabular steht nicht selten einer Ignoranz kolonialistisch geprägter Sprache gegenüber.

Zur Verteidigung der vertrauten rassistischen Begriffe werden in der Regel nicht Argumente bemüht, die konkret die Notwendigkeit belegen sollen oder können, dass dieses oder jenes Wort gebraucht werden müsse oder kann. Vielmehr wird auf einer eher allgemeinen Ebene versucht, die Notwendigkeit einer solchen Kritik und Reflexionsarbeit an sich in Frage zu stellen. Im Folgenden werden einige der gängigsten Argumentationsmuster, mit denen Kritiken an bestimmten Begriffen zurückgewiesen werden, reflektiert.[31]

Häufig wird argumentiert, dass Begriffe wie etwa → »Mohr« historische Zeugnisse seien und deswegen auch ihren Platz in der deutschen Sprache behalten sollten. Diese Argumentation ist insofern problematisch, als man/frau sich vergegenwärtigen muss, dass die kolonial konzipierten Begriffe die deutsche Kolonialgeschichte und deren Ideologie transportieren und festigen. Wörter wie → »Neger«, »Mohr« oder → »Mischling« beispielsweise zementieren die Weiße Vorstellung von biologistischen Gruppeneinteilungen, -zugehörigkeiten und -kategorisierungen als wissenschaftlich fundiert und dienen damit auch zur Pseudolegitimation des biologistischen Konstruktes → »Rasse«. Und wenn Afrikaner und Afrikanerinnen als → »Eingeborene«, »Wilde« »Jäger und Sammler/innen« und ihre Religionen mit Wörtern wie → »Naturreligion«, → »Animismus« oder → »Fetischismus« umschrieben werden, verfestigt sich nur der Irrglaube von der → »Primitivität« und Unterlegenheit von Afrikaner/inn/en im Weißen Bewusstsein. Das zeigt sich exemplarisch darin, dass analoge Konzeptionen auch in aktuelle Wortschöpfungen wie etwa → »Entwicklungsland« und → »Bananenrepublik« Eingang finden. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Notwendigkeit, in einer kritischen Aufarbeitung des Kolonialismus, begriffsgeschichtliche Zeugnisse dieser Zeit nur gebrochen zu verwenden.

Eine andere Argumentationslinie ist, dass Wörter »nicht so wichtig« seien. So wird Sprache oft dem Handeln und »inhaltlichen Diskussionen« gegenüber gestellt und diese so implizit als »Nicht-Handlung« und »inhaltslos« hingestellt. Sprache wird auf diese Weise zum neutralen Medium stilisiert, als würde sie einfach nur Informationen transportieren und die Wirklichkeit beschreiben sowie »unschuldig« sein. So werden Sichtweisen und Kategorisierungen als »gegeben« und »normal« dargestellt und unreflektiert hin- und angenommen. Dadurch wird negiert, dass Sprache machtvolles Handeln darstellt. Sprachgebrauch wird als jenseits der eigenen Sprachmacht und -verantwortung stehend charakterisiert. In logischer Konsequenz wird auch die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichem sowie dem eigenen sprachlichen Handeln ignoriert.[32]

Zu der Auffassung, Sprache sei nicht so wichtig und »neutral«, gesellt sich oft das Argument, dass die Forderung nach dem Verzicht auf bestimmte Wörter haarspalterische politicalcorrectness sei und eine künstliche Sprache erzwinge. Schließlich gäbe es ja (leider) keine anderen Begriffe – gemeint sind dann oft gängige Wörter –, man/frau müsse sich ja aber schließlich irgendwie ausdrücken. In logischer Konsequenz wird den Kritik Äußernden auch mit dem Argument begegnet, übertrieben empfindlich zu reagieren.

Das zeigt sich exemplarisch in einem Brief der Firma Dr. Oetker von 1992 an die Elterngruppe Schwarzer Kinder. Auf deren Kritik, eine Eissorte mit »14 Schwarze Negerlein« – die Tautologie spricht für sich –, zu benennen, antwortete die Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, dass Kinder fast ausnahmslos Sympathiewerte mit dem Eis assoziieren würden, damit also viel unkomplizierter als Erwachsene auf diese Begriffe reagieren würden.[33] Diese »kindliche Reaktion« wird als Beleg der Wertneutralität dieses Begriffes gedeutet, wobei impliziert wird, dass nur die komplizierte Denkweise mancher Erwachsener dazu führe, diesen als rassistisch wahrzunehmen. Sprache wird hier als von den Sprechenden abtrennbar stilisiert, wobei suggeriert wird, dass der konventionalisierte Sprachgebrauch nichts damit zu tun habe, wenn einige Menschen bestimmte Begriffe als rassistisch wahrnehmen.

Ein weiteres Argument ist, dass ein Insistieren auf das Vermeiden rassistischer Wörter auch deswegen unsinnig sei, weil sich dadurch ohnehin nichts ändere bzw. dass sich zunächst die »Wirklichkeit« ändern müsse, Sprache sich dann schon »automatisch« an eine veränderte Wirklichkeit anpassen würde. So antwortete etwa noch 1992 die Sprachberatungsstelle der Duden-Redaktion der Elterngruppe Schwarzer Kinder auf die Anfrage, warum im Duden »Rechtschreibung« die rassistische Verwendung des Begriffes → »Neger« nicht verzeichnet ist, dass » … es übrigens naiv [ist] anzunehmen, dass man nur die Sprache zu ändern, ein Wort zu stigmatisieren oder auszumerzen braucht, wenn man das Bewusstsein der Menschen und die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern will.«[34] Der Vorschlag der Elterngruppe Schwarzer Kinder an die Duden-Redaktion, sich kritisch mit der Begrifflichkeit, die sie verwenden, auseinander zu setzen, wird in der Antwort der Sprachberatungsstelle so dargestellt, als würde die Elterngruppe dies als die einzige notwendige Strategie ansehen. Doch tatsächlich gab die Elterngruppe das an keiner Stelle ihres Briefes zu verstehen. Entsprechend der Aufgabe und Funktion der Duden-Redaktion ist es aber nur logisch und konsequent, in einer schriftlichen Kommunikation mit dieser genau diesen Aspekt – die sprachlichen Benennungen – zu thematisieren. Zusätzlich zu dieser Unterstellung wertet die Duden-Redaktion das Anliegen der Elterngruppe auch noch dadurch ab, dass sie in diesem Zusammenhang die negativ konnotierten Begrifflichkeiten »ausmerzen« und »stigmatisieren« verwendet sowie dass sie das formulierte Anliegen als »naiv« verwirft.

Das alltäglich oftmals zu beobachtende Argumentationsmuster, gesellschaftliche Veränderungen besäßen Vorrang vor sprachlichen, wird hier ausgerechnet von den »Fachleuten« der deutschen Sprache reproduziert und somit autorisiert. Damit versuchen sie nicht nur ihre ignorante (und im Übrigen nun wirklich naive) Haltung zu rechtfertigen. Zudem kehren sie die notwendige Auseinandersetzung mit dem Thema – gerade von einer Wörterbuch-Redaktion mit Deutungshoheit – vom Tisch.[35]

Zuweilen wird auch entgegnet, man/frau hätte nicht gewusst, dass das Wort abwertend sei. Schließlich sagten es doch alle und schon immer so. Selbst in Bezug auf das Wort → »Neger« wird oft behauptet, dass es »früher« jedenfalls nicht diskriminierend gewesen sei.[36] Eng mit einer solchen Verkennung sprachgeschichtlicher Kontexte und kolonialistischer Begriffs- und Konventionalisierungsgeschichte verbunden ist die Reaktion, man/frau würde das Wort ja nicht rassistisch meinen.

In dem bereits zitierten Brief der Firma Dr. Oetker wird in diesem Sinn angeführt, dass mit der Namensgebung des Produkts als »14 Schwarze Negerlein« auf den Kinderreim »10 kleine Negerlein« angespielt werden würde. »Sicherlich sind Sie mit uns der Meinung, dass der Autor dieses Reims seinerzeit keine rassistischen Gedanken verfolgte.« Eine angenommene Autorintention, die sich ohnehin aus heutiger Forschungssicht nicht bestätigen lässt, dient als Argumentation dafür, dass die Benennung des Produkts nicht rassistisch sei. Damit wird Sprechenden, hier dem Verfasser des Reims, eine vollkommene Autorität über die eigenen Konzeptualisierungen eingeräumt. Dass Individuen als Mitglieder von Gesellschaften auch deren Werte und Normen internalisiert haben, bleibt unreflektiert.

Da Sprache durch historische, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenhänge geprägt ist, kann es nicht zum Kriterium erhoben werden, wie man/frau ein Wort individuell und persönlich meint oder ob es alle benutzen oder schon immer benutzt haben. Entscheidend sind sowohl der historische Entstehungskontext eines Wortes als auch die im aktuellen Gebrauch dominierende Konnotation.[37] Wenn ein Wort rassistisch konzipiert wurde, bedarf es zumindest einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung sowie eines offensiven Bruchs mit dieser Konnotation, bevor es mit neuen Assoziationen benutzt werden kann.

Selbst für Begriffe aus Bereichen, in denen Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmuster gesellschaftlich debattiert wurden und werden, vollziehen sich neue Konzeptualisierungen diskriminierender Begriffe nur partiell. Als ein Beispiel dafür steht der Begriff »schwul«.[38] Exemplarisch zeigt sich hier, dass Bedeutungstransformationen möglich sind, dass dabei aber zwischen verschiedenen Kontexten und sozialen Gruppen unterschieden werden muss. Während seit den 1990er Jahren in geistes- und sozialwissenschaftlichen akademischen Kontexten sowie in sozialen Gruppen, in denen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Homosexualität geführt wurde, eine Benennung mit »schwul« nicht mehr herabsetzend verwendet wird, fungiert eine Benennung mit »schwul« im Jugendslang noch immer als Schimpfwort. Wenn »schwul« beispielsweise auch frequent als herabsetzendes Attribut vor verschiedenen Objekten verwendet wird (z.B. »schwule Federtasche«), scheint es hier allerdings teilweise, zumindest vordergründig, seine sexuellen Konnotationen verloren zu haben.[39]

Ebenfalls gängig ist das Argument, man/frau kenne eine/n Schwarze/n, die/der nichts gegen das Wort habe oder aber, Schwarze würden sich doch selbst so bezeichnen. Tatsächlich präsentiert sich Weiße Macht gerade auch darin, dass Rassismus und seine Manifestationen von denjenigen, die durch Rassismus diskriminiert werden, verinnerlicht und perpetuiert werden.[40] Zudem kann es auch ein Schutzmechanismus und eine Überlebensstrategie sein, sich vor dem diskriminierenden Gehalt bestimmter Äußerungen zu verschließen. Sich selbst einzugestehen, diskriminiert zu werden, ist ein äußerst schmerzvoller und schwieriger Prozess, der auch dazu führen kann, dass man/frau es nicht mehr aushalten kann, unter diesen Umständen zu leben. Die Aussage von Einzelnen, dass sie sich nicht von bestimmten Benennungen diskriminiert fühlen, stellt keinen Maßstab rationaler Kritik dar.

Eine andere Frage ist es, wenn sich Schwarze Gruppen bestimmte Benennungen wieder aneignen, wie zum Beispiel im Stil der »Kannak-Attack« oder der Schwarzen Rapper, die versuchen, rassistische Begriffe ironisierend aufzubrechen. Dies ist ein politischer, widersprüchlicher Emanzipationsprozess, der nicht auf andere Bereiche übertragbar ist. Entscheidend ist ohnehin der Unterschied, ob Gruppen von Schwarzen eine Bezeichnung für sich verwenden und ihn dabei kontextualisieren, ironisieren oder letztlich zurückweisen oder ob der Begriff als Fremdbezeichnung gebraucht wird.

Weil Weiße nicht Rassismus ausgesetzt sind und auch durch Sprache nicht rassistisch diskriminiert werden, haben sie im Gegensatz zu Schwarzen unter der Perspektive der eigenen Diskriminierung das Privileg, frei entscheiden zu können, ob sie sich mit Rassismus und Sprache auseinandersetzen möchten oder nicht, ob sie die vielfältigen Argumentationen ihrer Verweigerungshaltung als Schutzschild behalten oder aber sich dem schmerzhaften und komplizierten Prozess einer kritischen Reflexion des eigenen Sprechens unterziehen wollen. Vehemente Verteidigungen rassistischer Begriffe und Äußerungen sind in letzter Konsequenz nicht einfach nur als Unkenntnis, sondern als bewusstes Handeln zu bewerten. Sie sind Verweigerungshaltungen gegenüber dem Widerstand, mit dem der Weißen Bezeichnungsmacht und -hoheit begegnet wird, und daher als Versuch anzusehen, den gesellschaftlichen Status quo beizubehalten. Kritische Auseinandersetzungen mit herrschenden Normen und Konventionen des Sprachgebrauchs sind hingegen zugleich auch Kritiken an herrschenden Denk- und Sichtweisen sowie rassistischen Strukturen der Gesellschaft. Eine solche kritische Reflexionsarbeit kann sich aber nicht ausschließlich auf der Grundlage des eigenen Sprachgefühls vollziehen. Vielmehr bedarf es dafür fassbarer Kriterien.

5. Wann ist Sprache rassistisch?

Zu den Kriterien, mit denen sich die rassistische Konnotation von Begriffen feststellen lässt, gehören zunächst einmal Fragen wie: Auf der Grundlage welcher Faktoren, Charakteristika und Elemente wird was warum benannt und markiert? Welche Abgrenzungen werden durch eine Benennung geschaffen, welche Differenzen benannt oder aufgestellt? Welche Seiten dieser Differenzen werden benannt, welche nicht? Welche Seite einer Dichotomie fungiert als Oberbegriff? Welche Wertungen werden mit diesen Benennungen vorgenommen und in welchen Kontexten, Situationen und Medien kommen sie vor?

Ausgehend von diesen Reflexionen kann ein Wort als rassistisch charakterisiert werden, wenn im Prozess der Benennung auf der Grundlage rassistisch-stereotypisierender Konzeptionen Schwarze Menschen und ihre Kulturräume als homogenes Ganzes konzipiert und dabei zum grundsätzlichen »Anderen« stilisiert werden. Unterschiede zwischen Schwarzen und Weißen werden im und durch Sprachgebrauch (re-)konstruiert, verallgemeinert, verabsolutiert und gewertet, um Weiße Hegemonie, Gewalt und Privilegien zu legitimieren.[41] Die Konstruktion und Benennung von Unterschieden mit ihrer Autorisierung über Lehrwerke, Wörterbücher und Lexika beispielsweise vollzieht sich im Kontext von Macht und im Interesse der Herrschenden. Um den rassistischen Gehalt von Wörtern zu erkennen, ist es in der Regel sinnvoll, eine der folgenden Strategien anzuwenden.