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Ein Theaterstück mit einem echten Toten
Eine festlich inszenierte Weihnachtsgeschichte - mit Agatha Raisin als Zuschauerin! Mrs. Bloxby, die Frau des Pfarrers, weiß, wie man eine Unwillige überredet. Bei der Aufführung muss Agatha wie nicht anders zu erwarten mehrfach ein Gähnen unterdrücken. Bis sich unter dem wild agierenden Hauptdarsteller plötzlich der Boden auftut: ein Sturz, ein Schrei, dann Stille - und die erschreckende Erkenntnis: Der Schauspieler liegt tot unter der Bühne. Ein Unfall? Schon bald ahnen Agatha und ihr Team, dass die dramatische Bühnenshow nichts ist im Vergleich zum wahren Leben. Gleich eine ganze Schar Verdächtiger stellt sie nun vor große ermittlerische Herausforderungen, denn nicht wenige von ihnen hatten Gründe, den Hauptdarsteller am liebsten tot zu sehen ...
Der neue Agatha-Raisin-Krimi von SPIEGEL-Bestseller-Autorin M. C. Beaton
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Seitenzahl: 279
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Epilog
Über das Buch
Ein Theaterstück mit einem echten Toten
Eine festlich inszenierte Weihnachtsgeschichte – mit Agatha Raisin als Zuschauerin! Mrs. Bloxby, die Frau des Pfarrers, weiß, wie man eine Unwillige überredet. Bei der Aufführung muss Agatha wie nicht anders zu erwarten mehrfach ein Gähnen unterdrücken. Bis sich unter dem wild agierenden Hauptdarsteller plötzlich der Boden auftut: ein Sturz, ein Schrei, dann Stille – und die erschreckende Erkenntnis: Der Schauspieler liegt tot unter der Bühne. Ein Unfall? Schon bald ahnen Agatha und ihr Team, dass die dramatische Bühnenshow nichts ist im Vergleich zum wahren Leben. Gleich eine ganze Schar Verdächtiger stellt sie nun vor große ermittlerische Herausforderungen, denn nicht wenige von ihnen hatten Gründe, den Hauptdarsteller am liebsten tot zu sehen …
Der neue Agatha-Raisin-Krimi von SPIEGEL-Bestseller-Autorin M. C. Beaton
Über die Autorin
M. C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um die englische Detektivin Agatha Raisin und den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth feierte sie große Erfolge in über 17 Ländern. Sie verstarb im Dezember 2019 im Alter von 83 Jahren.
M. C. BEATON
Agatha Raisin
und der tote Schauspieler
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:Copyright © 2014 by M.C. BeatonPublished by Arrangement with M.C. BEATON LIMITEDTitel der englischen Originalausgabe: »Blood of an Englishman«
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.M.C. BEATON® and AGATHA RAISIN® are registered trademarks of M.C. Beaton Limited
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2025 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln, Deutschland
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Trainingkünstlicher Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.
Textredaktion: Dorothee Cabras, GrevenbroichUmschlaggestaltung: Kirstin OsenauUmschlagmotiv: © Shutterstock: P. REES | nexus 7 | New Africa | Laura Facchini | IMG Stock Studio | Flower design sketch gallery | Nattawit Khomsanit |Juan Manuel Garcia Rey | ferdyart | Shutterstock A IeBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7517-8393-4
luebbe.delesejury.de
Dieses Buch widme ich Tony Lee (Hot Dog) in Liebe
Fee-fi-fo-fum. Ich rieche das Blut eines Engländers.«
Als der riesige Oger in dem Märchenspiel in Winter Parva über die Bühne stolzierte und die altbekannten Worte von sich gab, musste Agatha Raisin ein Gähnen unterdrücken. Sie hasste Laientheater, hatte sich jedoch von ihrer Freundin, der Pfarrersfrau Mrs. Bloxby, überreden lassen, dieses hier zu unterstützen. Die beiden Frauen bildeten einen seltsamen Kontrast: Agatha in ihrer eleganten Kleidung und mit dem schimmernden braunen Haar und Mrs. Bloxby in ihrem ausgeblichenen Tweed und mit dem angegrauten dünnen Haar, das ihr sanftmütiges Gesicht umrahmte.
Agatha fühlte sich allmählich gefangen und entsprechend mürrisch. Warum musste sie, eine Privatdetektivin von einem gewissen Ansehen, ihren Glanz an diesen trüben Gemeindesaal in Winter Parva vergeuden?
Das Stück hieß Babes in the Woods, aber es gab auch Figuren aus anderen Stücken, von Old Mother Hubbard bis hin zum Gestiefelten Kater.
Endlich war Pause. Es gab keine Theaterbar, doch im Eingangsbereich wurde Glühwein serviert. Agatha schnappte sich ein Glas und sagte: »Ich gehe mal draußen eine rauchen.«
Der Parkplatz lag in dichtem Nebel, und Wasser platschte traurig von den Bäumen, die den Platz umstanden.
»Rauchen Sie immer noch? Du meine Güte«, sagte eine Stimme hinter Agatha. Sie drehte sich um und fand sich der größten Klatschbase von Carsely gegenüber, Agathas Dorf: Mrs. Arnold.
»Ja«, antwortete Agatha knapp.
»Wissen Sie, dass in England nur noch zwanzig Prozent der Bevölkerung rauchen?«, erwiderte Mrs. Arnold.
»Ich habe Statistiken noch nie geglaubt«, entgegnete Agatha. »Haben die jeden gefragt?« Sie musterte die kleine, rundliche Mrs. Arnold. »Und was ist mit zu reichlichem Essen? Wie wäre es, wenn Fette so verteufelt würden?«
Ein großer Mann tauchte aus dem Dunst auf. »Was halten Sie von dem Stück?«
Agatha verkniff sich das Wort »gruselig«, das ihr auf der Zunge lag, und sagte stattdessen: »Ich finde, der Oger-Darsteller ist sehr gut. Wer ist er?«
»Das ist unser Bäcker, Bert Simple. Aber ich habe mich gar nicht vorgestellt. Sie erkenne ich. Ich bin Gareth Craven, der Produzent des Stücks. Jetzt ist die Pause vorbei, also gehe ich lieber wieder hinter die Bühne.«
»Ich bin Agatha Raisin!«, rief Agatha ihm nach.
Ziemlich nett anzusehen, dachte sie, als sie zusah, wie seine große Gestalt im Nebel verschwand. Oh, hallo, Hormone! Ich dachte schon, ihr hättet euch zum Sterben gelegt.
Sie begab sich zurück zu ihrem Platz neben Mrs. Bloxby. In dem Saal roch es nach feuchter Kleidung, Glühwein und Pralinen. Erstaunlich viele Leute hatten Pralinenschachteln mitgebracht. Kleine Taschenlampen leuchteten hier und da auf, und Stimmen flüsterten Dinge wie: »Ich will keine harte. Sind die mit Alkohol, du Schlingel?« Kinder, die daran gewöhnt waren, sich auf bequemen Sofas vor dem Fernseher zu fläzen, lärmten oder schlugen sich gegenseitig.
Der Vorhang wurde zurückgezogen, und der Komödiant erschien. »Hallo, hallo, hallo!«, rief er.
»Wiedersehen, Wiedersehen, Wiedersehen«, murmelte Agatha.
Der Komödiant war aus dem Ort, ein George Southern, dem der hiesige Souvenirladen gehörte.
Er war recht zierlich gebaut und hatte etwas Affektiertes mit seinem dünnen braunen Haar und der großen Nase, die seinen kleinen Mund überschattete.
»Ich hoffe, ihr seid heute Abend alle gut bei Stimme«, sagte er, und hinter ihm wurde eine Leinwand heruntergelassen. Jetzt kommt das obligatorische Mitsingen, dachte Agatha angeödet.
Und tatsächlich erschien der Text zu It’s a Long Way to Piccadilly auf der Leinwand. Warum ein Song aus dem Ersten Weltkrieg?, fragte Agatha sich, kam jedoch sofort auf den Gedanken, dass sie bei allem Modernen womöglich Copyright-Probleme fürchteten. Aus Erfahrung wusste sie, dass Laientheatergruppen dem Irrglauben anhingen, die Augen der Welt richteten sich auf sie.
Das Lied schien ewig zu dauern. Der Komödiant brachte erst die Männer, dann die Frauen und die Kinder zum Singen. »Folgt dem springenden Ball!«, rief er und schritt in seinem Moment des Ruhms auf der Bühne auf und ab.
Der Vorhang schloss sich wieder und öffnete sich zum Bühnenbild eines Papp-Cottage. Die »Babes« wurden von zwei hässlichen Kindern dargestellt, bei denen es sich, wie sich herausstellte, um Sohn und Tochter des Gemeinderatsvorsitzenden handelte. Deshalb hatten sie wahrscheinlich die Rollen bekommen.
»Und hier kommt der Oger wieder«, sagte Mrs. Bloxby.
»Soll es nicht eigentlich eine Hexe geben?«, fragte Agatha.
»Pst!«, schimpfte jemand hinter ihnen.
»Fee-fi-fo-fum! Ich rieche das Blut eines Engländers«, rief Bert. »Sei er lebendig oder tot, ich mahle seine Knochen und mach sie mir zu Brot.« Er war ein korpulenter Mann mit einem großen, runden Kopf und kleinen, blitzenden Augen, der sehr hochhackige Stiefel trug, um wie ein Riese auszusehen.
An einem quietschenden Drahtseilgestell kam die gute Fee nach unten geruckelt. Das Gestell brach, als sie fast unten war, und sie landete sehr unelegant auf der Bühne. »Kriegen diese dämlichen Idioten denn nix richtig hin?«, zeterte sie.
Die Kinder pfiffen und jubelten.
»Schäm dich!«, rief jemand aus dem Publikum. »Denk doch an die Kinder!«
Die gute Fee rappelte sich hoch, hob ihren verbogenen Zauberstab auf und wandte sich zum Oger um. »Ich verbanne dich in den Sumpf, aus dem du einst kamst«, sagte sie.
Es gab eine eindrucksvolle grüne Rauchwolke, dann tat sich eine Falltür auf und Bert verschwand. Das sehr kleine Orchester stimmte eine heitere Melodie an, und eine Tanzgruppe aus dürftig zusammengesammelten Stepptänzerinnen trampelte über die Bühne. Das Stück ging dem Ende zu. Beim letzten Vorhang war keine Spur von Bert zu sehen.
»Es war nicht schlecht, bedenkt man, dass sie alle Laienspieler sind«, bemerkte Mrs. Bloxby etwas verhalten.
Agatha verkniff sich die bissige Bemerkung, die ihr auf der Zunge brannte. Die beiden Frauen waren jeweils mit dem eigenen Wagen hergekommen, also wünschte Agatha der Freundin eine gute Nacht und ermahnte sie, vorsichtig zu fahren, da sich der Nebel verdichtete.
Als Agatha sich Carsely näherte, kamen ihr Streifenwagen entgegen, die in Richtung Winter Parva rasten. Agatha wendete und fuhr hinterher. »Irgendetwas ist los«, murmelte sie. »Vielleicht hat jemand den furchtbaren Komödianten ermordet.«
Bald sah sie die blauen Blinklichter vor dem Gemeindesaal.
Dank des dichten Nebels schaffte Agatha es auf den Parkplatz, bevor die Polizei den ganzen Bereich absperrte. Wo war der Bühneneingang? Dieser Bursche, Gareth, war um die Ecke zur Gebäudeseite gegangen.
Agatha wandte sich ebenfalls dorthin und entdeckte eine kleine offen stehende Tür. Ein Polizist, der Gareth Craven stützte, kam im Inneren des Gebäudes einen Korridor entlang.
»Wenn ich nur etwas frische Luft bekommen könnte«, sagte Gareth, der kreidebleich war.
Agatha trat entschlossen vor. »Ich bin eine Bekannte von Mr. Craven«, erklärte sie. »Ich kümmere mich um ihn. Sie können rauskommen, wenn Sie hier fertig sind, und seine Aussage aufnehmen. Mein Peugeot parkt draußen.«
»Name?«
»Mrs. Bloxby«, antwortete Agatha, weil sie fürchtete, der Polizist würde ihren Namen sofort erkennen und misstrauisch werden.
»Wie ist das Kennzeichen Ihres Wagens?«
Sie nannte es ihm und legte einen Arm um Gareths Mitte. »Kommen Sie. Ich habe etwas Brandy im Auto.«
»Ich dachte, Sie sind Agatha Raisin«, murmelte Gareth.
»Bin ich auch, aber das musste der Polizist ja nicht erfahren. Hier wären wir. Steigen Sie ein, und ich schalte die Heizung an.«
Als Gareth auf dem Beifahrersitz saß und ein paar Schlucke Brandy aus dem Flachmann genommen hatte, den Agatha in ihrem Wagen hatte, fragte sie: »Was ist da drinnen passiert?«
»Es war furchtbar«, antwortete Gareth. »Bert kam nicht vor den Vorhang, deshalb bin ich ihn suchen gegangen. Er war nicht in der Garderobe, also bin ich runter unter die Bühne, und da war er. Oh Gott!« Er vergrub das Gesicht in den Händen.
Agatha wartete, bis sie glaubte, dass er sich wieder erholt hatte. »Und weiter? Was war mit ihm?«
»Er stand da, ganz regungslos, den Mund weit offen, wie bei einer Art stummem Schrei. Da war eine große Blutlache zu seinen Füßen. Ich konnte keinen Puls finden, bin nach oben gerannt und habe die Polizei, einen Krankenwagen und die Feuerwehr gerufen. Alle. Mehr konnte ich nicht ertragen. Das ist alles.«
Es klopfte an Agathas Seitenfenster. Sie ließ es herunter und sah Detective Sergeant Bill Wong, der sie vorwurfsvoll anblickte. »Mit Ihnen rede ich später«, sagte er. »Mr. Craven, kommen Sie bitte mit mir. Wir brauchen Ihre Aussage. Und, Mrs. Raisin, fahren Sie bitte hinter die Absperrung.«
Bill muss sehr wütend auf mich sein, wenn er mich Mrs. Raisin nennt, dachte Agatha. Der junge Detective war der erste Freund gewesen, den sie nach ihrem Umzug in die Cotswolds gefunden hatte.
Sie beschloss, nach Hause zu fahren und die Nachrichten des nächsten Tages abzuwarten. Was auch immer mit Bert geschehen sein mochte, es war zu spät für die Morgenzeitungen, aber vielleicht kam etwas im Fernsehen. Falls es allerdings ein Unfall gewesen war, würde man nichts mehr hören.
Agatha Raisin sollte ihre Nachrichten aus einer unerwarteten Quelle bekommen.
Der nächste Tag war ein Sonntag. Agatha überlegte, ausnahmsweise in die Kirche zu gehen, beschloss jedoch, es zu lassen, drehte sich um und schlief weiter.
Erst mittags stand sie auf, zog sich an und ging nach unten, um ihre Kater, Hodge und Boswell, zu füttern und in den Garten zu lassen. Draußen wehte ein eisiger Wind, weshalb beide Kater an der Türschwelle umkehrten und zu Agatha aufblickten.
»Na los«, drängte sie. »Ihr habt Pelzmäntel an, oder etwa nicht?«
In diesem Moment klingelte es an der Tür. Agatha ging öffnen und fand sich einer müde aussehenden Mrs. Bloxby gegenüber.
»Es ist furchtbar«, sagte die Frau des Vikars.
»Kommen Sie rein. Ich mache Kaffee.« Sie wartete, bis ihre Freundin mit einem Becher des heißen Gebräus am Küchentisch saß, dann fragte sie: »Was ist los?«
»Ich bin beinahe die ganze Nacht auf gewesen. Mrs. Simple war in einer schrecklichen Verfassung und hat gebeten, mit Alf zu sprechen.« Alf war der Vikar. »Wir sind beide nach Winter Parva gefahren. Der Arzt war schon dort gewesen und hatte Mrs. Simple ein Beruhigungsmittel gegeben, aber sie war trotzdem noch ganz aufgelöst und sagte, Gott würde sie bestrafen, weil sie eine schlechte Ehefrau gewesen sei.«
»Wurde Bert ermordet? Hat sie gesagt, dass sie ihn umgebracht hat?«
»Nein, ganz und gar nicht. Doch anscheinend war es ein besonders bösartiger Mord. Und gründlich durchdacht obendrein. In die Plattform der Falltür war ein kleines Quadrat gesägt worden. Anscheinend ist sie immer ein bisschen zu schnell nach unten gefahren und dort sehr unsanft gelandet. Nun, als Mr. Simple nach unten fuhr, steckte ein langer Stahlspieß unten im Boden, der durch das Loch in dem Boden ragte und den Körper des Mannes durchbohrte. Alf und ich konnten Mrs. Simple überreden, ins Bett zu gehen. Wir haben bei ihr gesessen, bis sie eingeschlafen ist.«
»Hat Winter Parva keinen Vikar?«
»Nein, Alf hält dort zweimal im Monat Gottesdienste ab.«
»Warten Sie mal«, bat Agatha. »Das verstehe ich nicht. Wie konnte irgendjemand Zeit gehabt haben, diesen Spieß unentdeckt anzubringen?«
»Mr. Simple ist erst gegen Ende der Vorstellung nach unten gefahren. Offenbar hatte er sich über den zu schnellen Aufzug beschwert und gesagt, er würde nur das eine Mal damit nach unten sausen.«
»Aber es muss doch eine Generalprobe gegeben haben.«
»Das nehme ich an. Sein Sohn Walt hat uns erzählt, dass außer dem Schmied nie jemand nach da unten geht.«
»Gibt es heutzutage noch Schmiede?«
»Ja, selbstverständlich. Wir haben drei Reitställe hier in der Gegend. Und Mr. Crosswith, der Schmied, macht auch gusseiserne Pforten und solche Dinge. Bert hatte sich beschwert, dass die Falltür ein bisschen gefährlich sei. Mr. Crosswith hatte eine Star Trap nach alten viktorianischen Entwürfen gebaut.«
»Was ist das?«, fragte Agatha.
»Sie ist in den Bühnenboden eingelassen und besteht aus sternenförmig angeordneten Dreiecken, die sich in der Mitte treffen. Man kann sie erhaben machen, aber normalerweise schließt sie mit den Dielenbrettern ab. Unter der Bühne befindet sich ein Aufzug, der mit Gegengewichten betrieben wird, und die sind schwerer als der jeweilige Darsteller. Für einen eindrucksvollen Auftritt wird die Plattform zuerst heruntergelassen und eine Bremse betätigt, damit die Gegengewichte nicht fallen. Der Darsteller steigt auf die Plattform, und aufs Stichwort wird die Bremse gelöst, sodass die Gegengewichte nach unten sinken und der Darsteller oben aus dem Bühnenboden auftaucht. Wenn die Plattform ganz oben ist, springt der Schauspieler von der Plattform, und die Dreiecke schließen sich wieder. Mit ein bisschen Rauch ist die Illusion komplett. Und umgekehrt öffnen sich die Sternensegmente, und Mr. Simple fährt nach unten. Verstehen Sie?«
»Ungefähr«, antwortete Agatha vorsichtig. »Woher wissen Sie das alles?«
»Die Mütterunion hatte in diesem Jahr eine Führung dort gemacht, um zu zeigen, wie all das in viktorianischen Zeiten genutzt wurde. Und der Schmied hat bei der Gelegenheit einen Vortrag über die Falle gehalten.«
»Denken Sie, jemand hat die Bremse manipuliert, damit die Plattform besonders rasant nach unten rauscht?«
»Kann sein. Doch sie ist so oder so recht schnell nach unten gefahren.«
»Wie kommt man unter die Bühne? Gibt es einen Zugang von draußen?«
»Man kann von vorn direkt durchgehen, das weiß ich. Aber ob es noch einen anderen Zugang gibt, kann ich nicht sagen. Bert hatte nur den einen Auftritt mit der Falltür, also kann sich jemand irgendwann vorher daran zu schaffen gemacht haben.«
Agatha steckte sich eine Zigarette an und beobachtete, wie der Rauch zur Küchendecke aufstieg. »Moment mal. Damit Bert verschwinden konnte, muss jemand den Aufzug unter der Bühne bedient haben.«
»Ich schätze, der Inspizient hat einen Knopf seitlich der Bühne betätigt, der die Klappe geöffnet und den grünen Rauch ausgelöst hat.«
»Aber der Inspizient oder Gareth Craven, der Produzent, werden den Apparat doch vor der Aufführung überprüft haben.«
»Na ja, Mrs. Raisin, wenn bei der Generalprobe alles gut gelaufen ist, hat man eine weitere Überprüfung vielleicht für unnötig gehalten«, erwiderte Mrs. Bloxby.
Wir sollten wirklich anfangen, uns mit Vornamen anzureden, dachte Agatha. Diese Anrede stammt aus dem Frauenverein, und der existiert längst nicht mehr.
»Was ist mit dem Spieß oder was das auch war, das Bert umgebracht hat?«
»Ich habe keine Ahnung. Jemand muss den Mann richtig gehasst haben, um ihn auf so ausgeklügelte Weise zu töten.«
»Der Schmied wird der offensichtliche Verdächtige sein«, sagte Agatha.
»Ich glaube, er ist eher ein ruhiger, sensibler Mensch.«
»Ach, na gut«, murmelte Agatha. »Den Fall muss ich wohl der Polizei überlassen. Ich habe meine eigene Firma zu führen, und ich nehme kaum an, dass Winter Parva mich bezahlen will, um im Mord an einem Bäcker zu ermitteln.«
Am Montagmorgen eine Woche später begrüßte Agatha wie üblich ihre Mitarbeiter, ehe sie sich hinsetzte, um am Schreibtisch ihr typisches Frühstück einzunehmen: eine Tasse starken schwarzen Kaffee und zwei Zigaretten. Ihre Belegschaft bestand aus der jungen, blonden und schönen Toni Gilmour, dem weißhaarigen, sanftmütigen Phil Marshall, dem schwermütigen Expolizisten Patrick Mulligan, dem jungen Simon Black, der das Gesicht eines Hofnarren hatte, und der Sekretärin Mrs. Freedman.
Simon hatte kurzzeitig für eine andere Detektei gearbeitet, als er gedacht hatte, Toni hätte gekündigt. Doch sobald er gehört hatte, dass sie zurück war, hatte er gebeten, seine alte Stelle wiederzubekommen. Agatha mochte Simon nicht besonders, hatte ihn jedoch in einem Moment der Schwäche wieder eingestellt.
Agatha blies einen Rauchring aus. Mrs. Freedman hüstelte vorwurfsvoll und schaltete die Lüftung ein, auf deren Einbau sie bestanden hatte.
»Mal sehen«, sagte Agatha. »Toni und Simon, Sie haben Mrs. Fairlys Fall. Sie will einen Beweis für die Untreue ihres Mannes. Phil und Patrick, Sie suchen nach zwei verschwundenen Teenagern. Haben Sie die Daten und Fotos?«
Beide nickten.
»Gut«, schloss Agatha. »Ich kümmere mich um Berrys Supermarkt. Dort verschwinden wertvolle Artikel aus der Elektronikabteilung, und bisher ist nichts auf den Sicherheitskameras zu finden. Also werde ich den Tag in dem Laden verbringen.«
»Es kommt jemand«, sagte Toni. »Könnte etwas Interessantes sein.« Toni hoffte, dass es ein Auftrag war, den sie allein übernehmen könnte. Sie arbeitete ungern mit Simon zusammen, denn der bat sie dauernd um eine Verabredung, und das war einfach peinlich.
Die Tür wurde geöffnet, und herein kam ein Mann, den Agatha wiedererkannte: Gareth Craven. Er sah sogar noch besser aus, als sie ihn in Erinnerung hatte. Hastig ging sie eine Checkliste im Kopf durch. Hatte sie Kaffeeflecken auf den Zähnen? War ihr Lippenstift verblasst? Warum hatte sie heute eine Hose und flache Schuhe angezogen?
Gareth Craven war ein hochgewachsener Mann mit dichtem braunen Haar, klaren grauen Augen, einem festen Mund und einem angenehmen Gesicht, das leider nach unten auf ein recht fliehendes Kinn zulief.
»Setzen Sie sich doch, Mr. Craven«, bat Agatha und dachte, dass niemand perfekt war.
»Ich brauche Ihre Hilfe«, eröffnete Gareth. »Die Presse ist schon hinter mir her und gibt mir mit ihren Fragen das Gefühl, ich sei der Schuldige. Sie tun fast so, als wäre ich das gewesen. Ich gehe nicht einmal mehr an die Tür oder ans Telefon. Mrs. Raisin, Sie haben solch einen guten Ruf als Detektivin. Da habe ich mich gefragt, ob ich Sie engagieren könnte.«
»Sicher«, antwortete Agatha. »Mrs. Freedman macht einen Vertrag für Sie fertig, und ich fange direkt an. Toni, Sie übernehmen Berrys Supermarkt für mich.« Simon war sichtlich enttäuscht. Er hatte sich auf einen Tag mit Toni gefreut.
Mrs. Freedman brachte die Unterlagen. Gareth blickte kaum auf den Preis und unterschrieb schnell den Vertrag.
»Also«, sagte Agatha zu ihm, »gehen wir irgendwo einen Kaffee trinken, und besprechen wir alle Einzelheiten.«
In der altmodisch dämmrigen Lounge des George Hotels fragte Agatha, nachdem ihnen Kaffee serviert worden war: »Wer könnte Bert Ihrer Meinung nach umgebracht haben?«
»Das ist das Problem«, sagte Gareth. »Ich weiß nicht einmal, wo Sie anfangen könnten.«
»Haben Sie die Sache mit Ihrer Frau besprochen?«
»Ich bin geschieden.«
»Wie ich«, erwiderte Agatha munter. »Was ist mit dem Schmied?«
»Harry Crosswith ist eine Stütze der Gemeinde. Und er ist furchtbar erschüttert.«
»Wie konnte jemand garantieren, dass der Spieß Bert Simple töten würde? Ich meine, Bert könnte am Rand der Plattform gestanden haben.«
»Es ist eine kleine Plattform«, erklärte Gareth. »Und Bert ist – war – ein massiger Mann. Er hat sich beschwert, dass der Aufzug zu schnell nach unten gerauscht ist. Harry und er hatten deswegen sogar einen kleinen Streit. Harry war nämlich sehr stolz auf diese Falltür.«
»Was ist mit seinen Angehörigen? Wie alt ist der Sohn, Walt?«
»Er ist zwanzig. Arbeitet in der Bäckerei. Still und verlässlich.«
»Und Mrs. Simple?«
Gareths Züge wurden weicher. »Gwen ist eine Heilige. Sie bedient im Laden. Alle lieben sie.«
Du hoffentlich nicht, dachte Agatha. Laut sagte sie: »Vielleicht sollte ich heute damit anfangen, einige der Dorfbewohner zu befragen. Wer ist das größte Klatschmaul bei Ihnen im Ort?«
»Das ist wohl Marie Tench. Aber sie kann gehässig sein.«
»Vielleicht ist sie dann genau die Richtige«, erwiderte Agatha. »Haben Sie ihre Adresse?«
»Sie hat eine Wohnung über dem Zeitungsladen, gegenüber dem alten Markt.«
»Da fange ich an. Erzählen Sie mir von sich. Wie sind Sie zum Produzenten dieses Märchenspiels geworden?«
»Ich bin jahrelang Produzent bei BBC Radio 4 gewesen. Letztes Jahr wurde ich dann plötzlich entlassen. Sie streichen überall Stellen. Es war ein ziemlicher Schlag, aber zum Glück habe ich genug private Mittel. Also dachte ich, ich bleibe in Übung, indem ich dieses Stück produziere.«
»Es war aber nicht sehr professionell«, bemerkte Agatha. »Ich meine, das war eine Art Mischmasch aus allen möglichen Märchen.«
»Ja, ich weiß. Mrs. Grant vom Women’s Institute hatte das Skript geschrieben und sollte produzieren, doch sie ist vorher gestorben. Ich wollte einige Änderungen vornehmen, aber die Darsteller haben protestiert. Sie fanden, alles solle zu ihrem Gedenken so bleiben, wie es war.«
»Gab es Reibereien zwischen den Schauspielern?«
Er seufzte. »Ich glaube, Amateurproduktionen sind schlimmer als professionelle, was fragile Egos angeht. Die gute Fee, Pixie Turner, hat sich benommen, als hätte sie die Hauptrolle in einer Shakespeare-Produktion. Und der sogenannte ›Komödiant‹ hat immerzu die Tänzerinnen begrabscht.«
»Woher kamen die Mädchen?«
»Von der Winter Parva High School. Dort wird ein Stepptanzkurs angeboten.«
»Gab es eine kleine Lolita, auf die Bert ein Auge geworfen haben könnte?«
»Oh nein! Er war ganz seiner Frau ergeben.«
»Ich denke, ich habe erst mal genug Namen«, sagte Agatha. »Ich fange mit der Klatschtante an, und später können Sie mich eventuell dem Schmied vorstellen, falls ihn die Polizei nicht noch in der Mangel hat.«
Agatha fuhr nach Winter Parva und parkte in der Hauptstraße. Das Dorf war eine Mischung aus unterschiedlich alten Häusern mit hohen Dächern. Bauten aus dem siebzehnten Jahrhundert standen Schulter an Schulter mit solchen im georgianischen und Tudor-Stil. Die Markthalle mit den sorgsam erhaltenen offenen Torbögen und dem Kopfsteinpflaster stammte aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Das Dorf lag in einer Senke der Cotswold Hills, weshalb es hier oft neblig war. Unter einer Brücke zur Hauptstraße verlief der Fluss Oore, dem man die Schuld an den vielen Nebeltagen im Winter gab.
Eine fahle Sonne versuchte, den Dunst zu durchdringen, als Agatha die alte Steintreppe hinauf zu Marie Tenchs Wohnung stieg. Agatha läutete und wartete. Sie hatte eine alte Frau erwartet, doch es öffnete eine Blondine mit recht üppiger Oberweite. Sie musste einen dieser extrastarken BHs tragen, denn ihre Brüste waren so weit nach oben gedrückt, dass es wirkte, als lugte ihr Kopf hinter ihnen hervor.
»Mrs. Tench?«, fragte Agatha.
»Miss. Wer sind Sie?«
Agatha reichte ihr eine Karte. »Gareth Craven hat mich gebeten, im Mordfall ›Bert Simple‹ zu ermitteln. Und er hat mir erzählt, dass Sie eine Menge über das Dorf wissen.«
»Kommen Sie rein.«
Agatha zwängte sich an ihr vorbei und fand sich direkt in einem sehr vollen Wohnzimmer wieder. Sämtliche Oberflächen waren mit Schnickschnack vollgestellt. Kleine gläserne Tierfiguren standen auf dem Kaminsims, Porzellanfigürchen auf Beistelltischen, eine Sammlung von Porzellanuntersetzern auf dem Couchtisch und eine große giftgrüne Vase mit Seidenblumen auf einem runden Tisch vor dem Fenster.
Über dem Kamin hing ein schlechtes Ölgemälde, das anscheinend eine nackte Marie darstellen sollte, die riesigen Brüste in Schwefelgelb und Rot.
Marie setzte sich auf ein Chintzsofa und schwenkte einen plumpen Arm zu einem Sessel, um Agatha zu bedeuten, sie möge Platz nehmen.
Sonnenlicht fiel zum Fenster herein und beleuchtete Maries Gesicht. Agatha stellte fest, dass die Frau genug Make-up trug, um darauf Schlittschuh zu laufen. Sie hatte einen kleinen, verkniffenen Mund, der knallrot geschminkt war, eine Stupsnase und kalte graue Augen. Ihr Haar war so starr gesprayt, dass es wie eine schlechte Perücke aussah.
»Ich habe mich gefragt, ob Ihnen einfällt, wer Bert Simple ermordet haben könnte«, begann Agatha.
»Pixie Turner war’s.«
»Die gute Fee?«
»Gute Fee, von wegen! Eher die böse Hexe.«
»Aber der Mord an Bert Simple scheint eine Menge Wissen über Mechanik und Tischlerarbeit vorauszusetzen.«
»Pah, doch nicht viel! Jeder Idiot hätte das Loch in die Falltür sägen und den Spieß darunterschieben können.«
Agatha runzelte die Stirn. »Woher wissen Sie, wie der Mord begangen wurde?«
»Molly Kite, die aus dem Souvenirladen, hat es mir erzählt. Ihr Cousin ist Polizist.«
»Abgesehen von Pixie, wer könnte Bert sonst noch genug gehasst haben?«
Sah Marie auf einmal schuldbewusst aus, oder lag es am Licht? Doch sie lächelte Agatha an. »Außer Pixie haben wir alle ihn geliebt. Es ist unnötig, noch weiterzusuchen.«
»Und wo wohnt Pixie Turner?«, fragte Agatha.
»Draußen in der Siedlung am Dorfende. Die Nummer habe ich vergessen, aber es ist an der Ecke Church Road. Sie können es gar nicht verfehlen. Die Haustür ist leuchtend blau gestrichen.«
Agatha fuhr zur Siedlung, sah das Haus mit der blauen Tür und parkte an der Straße. Plötzlich fühlte sie sich unerklärlicherweise müde. Ihre Freundin, Mrs. Bloxby, hätte ihr Problem leicht diagnostizieren können. War Agatha Raisin nicht von irgendeinem Mann besessen, fehlte es ihr an Energie. Sir Charles Fraith, mit dem sie gelegentliche Affären genossen hatte, war mal wieder aus ihrem Leben verschwunden, wie er es hin und wieder tat. Ihr Exmann und direkter Nachbar, James Lacey, war Reisebuchautor und gegenwärtig im Ausland.
Agatha stieg langsam aus ihrem Wagen. Sie trug flache Schuhe und wenig Make-up. Ihr braunes Haar war so schimmernd wie immer, doch in ihren Augen, die an die eines Bären erinnerten, lag ein trauriger Blick. Ihre Gedanken schweiften zu Gareth Craven ab. Das fliehende Kinn war ein Jammer.
Sie straffte die Schultern, marschierte auf Pixies Haustür zu und drückte auf die Klingel.
Der Briefschlitz wurde aufgeklappt, und jemand schrie: »Gehen Sie weg!«
Agatha bückte sich. »Ich bin Agatha Raisin und ermittle zum Tod von Bert Simple.«
»Gehen Sie weg.«
Nun hatte Agatha eine Eingebung. »Ich verstehe, dass Sie nicht belästigt werden wollen. Diese Fernsehteams werden mir sicher schon folgen.«
»Fernsehen!« Die Tür schwang weit auf, und Pixie erschien in einem schäbigen pinken Seidenmorgenmantel. »Kommen Sie schnell rein«, zischte sie, »und warten Sie im Wohnzimmer, bis ich angezogen bin.«
Agatha schaute sich in dem Zimmer um, in das Pixie Turner sie geschubst hatte. Überall waren gerahmte Fotos von Pixie. Ihre Schauspielauftritte schienen sich auf Dorfproduktionen von Märchenspielen zu beschränken. Sie hatte in jungen Jahren als Aschenputtel angefangen, dann den jungen Prinzen gespielt und war schließlich bei der älteren Rolle der guten Fee gelandet.
In einer Vase in der Ecke qualmte ein Räucherstäbchen. Auf dem Couchtisch, den Sesseln und dem Sofa stapelten sich Film- und Fernsehzeitschriften. Eine Wand war von einem riesigen, von Glühbirnen umrahmten Spiegel dominiert.
Ich frage mich, was sie tut, wenn sie nicht vom großen Ruhm träumt, dachte Agatha.
Sie blickte zu ihrem Spiegelbild. War das ein Haar über ihrer Oberlippe? »Mist, verdammter«, murmelte sie und begann, in ihrer Tasche nach einer Pinzette zu kramen. Es war noch nicht allzu lange her, da galt eine Frau mit Anfang fünfzig als recht alt. Frauen ließen sich gehen, bekamen Schnurrbärte und schienen sich nicht daran zu stören. Ach, die guten alten Zeiten! Agatha wühlte noch in ihrer Tasche, als Pixie das Zimmer betrat.
Sie hatte so viel Mascara aufgetragen, dass ihre Wimpern wie Spinnenbeine abstanden. Und sie hatte sich einen kurzen, engen Rock aus rotem Leder zu Netzstrümpfen und hohen Schuhen angezogen. Ihre weiße Bluse war beinahe durchsichtig. Ihr Gesicht unter dem hellen Make-up und dem Wangenrouge trug noch Spuren verwitterter Schönheit. Das blond gefärbte Haar war zu altmodischen Ringellocken gedreht. Sie sah wie eine sehr mitgenommene Puppe aus.
»Sind die Fernsehleute schon da?«, fragte sie aufgeregt.
Agatha wollte soeben lügen und behaupten, dass sie bald aufkreuzen würden, damit Pixie interessiert blieb, als es an der Tür klingelte.
»Das werden sie sein.« Pixie stöckelte, die Hüften schwingend, zur Tür.
Agatha hörte eine Männerstimme: »Midlands Television.« Ich fasse es nicht, dachte sie.
Sie ging in die kleine Diele, um zu hören, was gesprochen wurde.
»Ich habe die gute Fee gespielt«, erzählte Pixie. »Aber lassen Sie sich davon nicht täuschen. Die kleine Pixie kann auch verwegen sein.« Dann stieß sie ein lautes Lachen aus, das tatsächlich wie Har! Har! Har! klang.
»Gab es irgendwelche Unstimmigkeiten unter den Darstellern?«, fragte der Reporter.
»Oh nein. Wir haben uns super verstanden. Jeder hat Bert geliebt.«
»Könnte jemand unter die Bühne gelangt sein, um die Tatwaffe zu installieren?«
»Ja, aber glauben Sie der kleinen Pixie: Das war ein Irrer von außerhalb.«
»Danke für Ihre Zeit, Miss Turner.«
»Wollen Sie nicht auf einen klitzekleinen Drink reinkommen?«
»Nein, ich muss weiter«, antwortete der Reporter.
Agatha zog sich ins Wohnzimmer zurück.
Pixie kam sichtlich beleidigt herein und wollte sich hinsetzen, als es wieder läutete. »Vielleicht sind sie zurück«, sagte sie hoffnungsvoll.
Doch diesmal hörte Agatha, wie sich jemand mit »Mircester Echo« vorstellte.
Pixie kehrte zurück, gefolgt von einem Reporter und einem Kameramann. Den Reporter kannte Agatha. Es war Chris Jenty.
»Ah, Mrs. Raisin«, rief er. »Was für ein Glück, Sie hier zu treffen!«
»Sie will gerade gehen.« Pixies sah Agatha mit stechendem Blick an.
»Wie recht Sie haben«, stimmte Agatha lächelnd zu. Als sie sich zur Tür wandte, folgten ihr der Reporter und der Kameramann.
»Kommen Sie zurück!«, heulte Pixie.
Ihr antwortete lediglich das Knallen der Haustür.
»Gehen wir etwas trinken«, schlug Chris vor. »Sie zeigen mir, was Sie haben, und ich zeige Ihnen, was ich habe.«
Als sie mit ihren Getränken in einer Ecke des Pubs Jolly Beggar in der Hauptstraße saßen, sagte Chris: »Sie zuerst.«
Agatha erzählte ihm, was sie über die manipulierte Falltür herausgefunden hatte, dass die Klatschtante des Dorfes Pixie Turner für die Täterin hielt, sie aber sonst noch nicht sehr weit gekommen war.
»Wer bezahlt Sie für diese Ermittlung?«, fragte Chris.
»Kann ich Ihnen nicht verraten«, erwiderte Agatha. »Was haben Sie?«
»Ich habe einen Bericht über einen heftigen Streit zwischen Bert Simple und Gareth Craven.«
Agatha starrte ihn an, während es in ihrem Kopf arbeitete. Einmal, bevor sie sich einen Namen als Detektivin gemacht hatte, war sie von einem Mörder engagiert worden, der sie für inkompetent gehalten und geglaubt hatte, allein Agatha anzuheuern ließe ihn unschuldig wirken. »Das ist interessant«, sagte sie zögerlich.
»Mehr konnte ich bisher nicht ausgraben. Sind Sie bei Mrs. Simple gewesen?«
»Das versuche ich vielleicht«, antwortete Agatha. »Ich hoffe, sie ist nicht allzu sediert.«
Doch als Agatha den Pub verließ, beschloss sie, zuerst noch ein wenig mehr über Gareth Craven in Erfahrung zu bringen. Immerhin wusste sie schon, dass er jetzt im Ruhestand über ausreichend private Mittel verfügte, um sich ihr Honorar leisten zu können.
Sie fand seine Adresse und schlug die Straße auf ihrem Tablet nach. Es war nicht weit vom Pub, also machte sie sich zu Fuß auf den Weg. Die schmale Straße ging von der Hauptstraße ab. Es war ein Reihenhaus aus dem siebzehnten Jahrhundert, und die einzelnen Einheiten lehnten aneinander, als wollten sie sich gegenseitig aufrecht halten. Vorgärten gab es nicht.
Sie hatte die Hand bereits zur Klingel gehoben, als sie sich bremste, weil von drinnen ein angenehmer Tenor zu hören war, der Take a Pair of Sparkling Eyes aus The Gondoliers von Gilbert und Sullivan sang.
Agatha wartete, bis das Lied vorbei war, dann klingelte sie fest.
Gareth öffnete. Er hatte ein charmantes Lächeln, konstatierte Agatha.
»Haben Sie eben gesungen?«, fragte Agatha.
»Ja. Ich spiele Laientheater – als Strafe für meine Sünden.«
Agathas Hormone gaben einen kleinen enttäuschten Seufzer von sich. Menschen, die »als Strafe für meine Sünden« sagten, hatten ihrer Erfahrung nach Gartenzwerge und avocadogrüne Bäder.
»Kommen Sie rein«, sagte Gareth und trat zur Seite. »Gleich links.«
Agatha betrat ein kleines Wohnzimmer nach vorn raus. Wie Pixie hatte auch er die Wände und Tische voller Fotografien von sich. Agatha verstand es, wenn Leute Familienfotos an ihre Wände hängten, aber es kam ihr exzessiv eitel vor, so viele Bilder von sich selbst zu haben. Andererseits war es womöglich gesünder als ihre eigene Abneigung gegen ihr Aussehen. Sie erinnerte sich, dass sie als Kind gebetet hatte, sie möge eines Morgens mit blonden Locken und grünen Augen aufwachen.
»Ich bin bei den Mircester Savoy Players«, erklärte Gareth. »Sie müssen zur nächsten Vorstellung kommen. Manchmal singe oder produziere ich. Momentan führe ich bei The Mikado Regie.«
»Ein anderes Mal vielleicht«, antwortete Agatha. »Haben Sie noch etwas gehört, was nützlich für mich sein könnte?«
»Eigentlich nicht. Natürlich gab es eine Menge Kabbeleien unter den Darstellern. Wie jedes professionelle Ensemble haben auch wir unseren Anteil an Primadonnen.«
»Wen zum Beispiel?«
Er runzelte die Stirn, dann lachte er. »Sie alle, denke ich.«
»Und hatte der verstorbene Bert irgendwelche dieser Kabbeleien ausgelöst?«
»Mal überlegen … Pixie wollte, dass der grüne Rauch ausfällt, weil sie meinte, der brächte sie zum Husten. Bert nannte sie eine ›alte Spinatwachtel‹, und sie wurde hysterisch. Warten Sie! Sie rief etwas davon, ob seine Frau wisse, mit wem er es treibt.«
»Worauf er was antwortete?«