Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter -  - E-Book

Agile Organisation – Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter E-Book

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Beschreibung

Vor dem Hintergrund unserer immer dynamischeren und komplexeren Welt, entwickelt sich die Fähigkeit zur schnellen Anpassung und Entwicklung zunehmend zu dem entscheidenden Erfolgsfaktor von Unternehmen. Gefordert ist ein schnelles, kreatives, flexibles und kundenorientiertes Denken und Handeln – kurzum Agilität. In diesem praxisorientierten Herausgeberbuch erläutern renommierte Praktiker, Wissenschaftler und Berater vielfältige Umsetzungskonzepte, Methoden, Beispiele und praktische Erfahrungen für eine agile(re) Ausgestaltung von Methoden, Prozessen und Strukturen. Das Buch möchte die Leser befähigen, kritisch über Ansätze für mehr – oder auch weniger – Agilität zu entscheiden. Durch seine reflektierte und undogmatische Ausrichtung unterscheidet es sich von anderen Agilitäts-Büchern und liefert einen entscheidenden Mehrwert. Das Buch richtet sich primär an klassisch ausgebildete bzw. sozialisierte Manager und Menschen, die nach Strukturierung und Systematik im zunehmend wichtigeren, aber auch extrem gehypten „Agilitäts-Kosmos“ suchen. Diesen erfahrenen Praktikern, aber auch in die Praxis strebenden Studierenden und ihren Dozenten bietet das Buch ein – an die klassische Organisationslehre anschlussfähiges – Ordnungsgerüst für die zentralen Begriffe und Konzepte einer agilen Organisationsgestaltung. Inhalte: - Grundlagen und Charakteristika agiler Organisation - Agile Prozess- und Projektmethoden - Agile Skalierungsframeworks - Agile Strukturmodelle - Beispiele agiler Organisationen (z. B. Alois Heiler, B. Braun, ibo, NRW.BANK, R+V Versicherung, //SEIBERT/MEDIA, Siemens, TELE Haase) - Agile Führung und Kultur - Beidhändiges Zusammenspiel von klassisch-hierarchischen und agilen Ansätzen - Vertiefungen wichtiger Themen. Prof. Dr. Thorsten Petry lehrt Unternehmensführung an der Hochschule RheinMain. Als Berater, Coach, Referent und Trainer hilft er Unternehmen bei der Bewältigung der Managementherausforderungen des Digitalzeitalters. Christian Konz begleitet als Trainer, Berater und Agile Coach seit vielen Jahren Unternehmen und Menschen in ihrer Entwicklung. Neben seiner Rolle als Geschäftsführer der ibo Akademie ist er leidenschaftlicher Organisationsentwickler, Speaker und Buchautor.

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Seitenzahl: 741

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Thorsten Petry • Christian Konz (Hrsg.)

Agile Organisation

Methoden, Prozesse und Strukturen im digitalen VUCA-Zeitalter

1. Auflage

Verlag Dr. Götz Schmidt, Gießen 2021

ISBN 978-3-945997-28-4

E-Book im Format Epub, basierend auf der 2021 erschienenen Druckausgabe (ISBN 978-3-945997-27-7)

Copyright © 2021 Verlag Dr. Götz Schmidt, Gießen

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Über dieses Buch

Teil A: Gesamtbild der agilen Organisation

Agile Organisation – Systematischer Überblick des Themenkomplexes (Petry/Konz)

1Agilität als Kernherausforderung im digitalen VUCA-Zeitalter

2Grundlagen von Agilität

2.1Entwicklungsgeschichte

2.2Zentrale Begriffe

2.3Werte und Prinzipien

2.4Adäquate Rahmenbedingungen

3Grundlagen von Organisation

3.1Zentrale Elemente

3.2Gestaltung von Prozessen

3.3Gestaltung von Strukturen

3.4Kernaspekte (klassischer) Organisation

4Charakteristika agiler Organisation

4.1Überblick

4.2Agile Prozessgestaltung

4.3Agile Strukturgestaltung

4.4Agile Koordination

4.5Zusammenspiel von stabilen und dynamischen Elementen in agilen Organisationsansätzen

5Zusammenspiel von klassischen und agilen Organisationsansätzen (Beidhändigkeit)

6Agile Prozess- und Projektmethoden

6.1Überblick

6.2Kanban

6.3Scrum

6.4Lean Startup

6.5Design Thinking

6.6Objectives & Key Results (OKR)

6.7Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Auswahlkriterien

7Agile Skalierungsframeworks

7.1Überblick

7.2Scrum of Scrums

7.3Large Scale Scrum (LeSS)

7.4Nexus

7.5Scaled Agile Framework (SAFe)

7.6Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Auswahlkriterien

8Agile Strukturansätze

8.1Überblick

8.2Spotify-Modell

8.3Holacracy-Ansatz

8.4Kollegiales Kreismodell

8.5Unternehmensindividuelle Strukturansätze

8.6Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Auswahlkriterien

9Agile Führungs- und Zusammenarbeitskultur

10Weitere Elemente agiler Unternehmensführung

11Fazit

Literaturverzeichnis

Teil B: Beispiele agiler Organisation und Transformation

Agile Organisation der Alois Heiler GmbH – Transformation eines Familienunternehmens (Heiler/Borck)

1Notwendigkeit und Zielsetzung der Transformation

2Vorgehen in der Anfangsphase

3Prinzipien zur Entscheidungsfindung

4Grundlegende Denkmodelle

5Neue, agile Organisationseinheiten und -rollen

6Fazit und Handlungsempfehlungen

Literaturverzeichnis

Agile Organisation der B. Braun Melsungen AG – Tasks & Teams als neue Art der Zusammenarbeit (Tillmanns-Estorf/Große/Gumula)

1Einleitung

2Grenzen klassischer Organisationsstrukturen

2.1Auf Organisationsebene

2.2Auf Teamebene

2.3Auf individueller Ebene

2.4Zusammenfassung

3Tasks & Teams als Form der selbstorganisierten, agilen Zusammenarbeit

3.1Grundlagen des Tasks- & Teams-Ansatzes

3.2Standardprozess zur Gründung von Kreisen nach Tasks & Teams

3.3Wie Tasks & Teams die Zusammenarbeit verbessert – das Modell

3.4Tasks- & Teams-Praktiken im Arbeitsalltag

4Erfahrungen und Handlungsempfehlungen

4.1Mehr und komplexere Aufgaben bei gleicher Personenzahl

4.2Teamentwicklung eines standortübergreifenden Teams

4.3Verbesserung der Zusammenarbeit

4.4Mehr Entwicklungsperspektiven für Mitarbeiter*innen

4.5Bessere Teamkommunikation im Homeoffice durch Tasks & Teams

4.6Handlungsempfehlungen

5Fazit

Literaturverzeichnis

Agile Organisation(sentwicklung) bei TELE Haase (Stelzmann/Reininger)

1Einleitung

2Transformationsphase 1 – Was war

2.1Ein Familienunternehmen wagt den frühen Feldversuch

2.2Wie alles begann

2.3Chefs werden abgeschafft

2.4Gemeinsam entscheiden

2.5Wichtige Erkenntnisse

3Transformationsphase 2 – Warum nicht alles so bleiben kann

3.1Die nächste Evolutionsstufe passiert jetzt

3.2Steigende Komplexität

3.3Frust und Unzufriedenheit

3.4Verlorenes „Wir-Gefühl“

4Transformationsphase 3 – Etwas Neues entsteht

4.12020 – alles auf Anfang

4.2Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

4.3Neue Organisation im Überblick

5Neues Führungsverständnis – vom Steuermann zum Dirigenten

6Was schon geschafft ist

6.1Erste Schritte unter neuen Rahmenbedingungen

6.2Transparenz schafft neue Geschäftsfelder

6.3Innovation zulassen

6.4Zusammen „spielen“ und neue Arbeitskonzepte entwickeln

7Fazit

Agile Organisation(sentwicklung) bei //Seibert/Media (Rödiger/Herwarth von Bittenfeld)

1Vom klassischen Dienstleister zum agilen Produkt- und Lösungsanbieter

2Entwicklung der Organisationsstruktur des Gesamtunternehmens //Seibert/Media

2.1Von der Gründung zur Pyramide

2.2Von der Pyramide zum Pfirsich

2.3Vom Pfirsich 1.0 zum Pfirsich 2.0

3Entwicklung der Organisationsstruktur im „Linchpin Universe“ bei //Seibert/Media

3.1Start mit einem kleinen Team

3.2Den Kinderschuhen entwachsen

3.3Wachstum erhöht Komplexität

3.4SAFe-Elemente und Konsolidierung

4Fazit

Literaturverzeichnis

Agile Organisation in der R+V Versicherung – Mit Pioniergeist und Pragmatismus den digitalen Wandel eines Konzerns vorantreiben (Arndt/Mettner)

1Start der agilen Reise der R+V

2Gründungsgeschichte des Bereichs Digitale Transformation

3Ziele und Schwerpunkte des Bereichs Digitale Transformation

4Zusammenarbeitsstruktur

5Kernelemente der Zusammenarbeit

6Personelle Führung

7Abweichungen vom Grundmodell der Holokratie

8Fazit

Literaturverzeichnis

Agile Transformation bei ibo – Eine persönliche Sicht auf eine 7-jährige Lernreise (Fischermanns)

1Wie alles begann

2Lernreise

2.12014: Suche nach einer passenden Organisationsform

2.22015: Start in die Selbstorganisation mit Scrum

2.32016: Wertschöpfung für Kunden im Fokus

2.42017: Selbstorganisation mit ibokratie

2.52018: Holokratie wird offiziell

2.62019: Agile Steuerung mit der OKR-Methode rund machen

2.72020: Agil in das etwas andere Jahr

3(Zwischen-)Fazit und wie es weitergeht

Literaturverzeichnis

Teil C: Praxiserfahrungen und Erfolgsfaktoren bei der Gestaltung agiler Organisation

Traditionelle und erfolgreiche Unternehmen auf dem Weg zu mehr Agilität – Reflexionen und Erfahrungen aus dem Umfeld der R+V Versicherung (Hübner)

1Ausgangssituation

2Bisherige Initiativen für Agilität bei der R+V Versicherung

3Erfolgsfaktoren für Agilität aus den Erfahrungen bei der R+V Versicherung

3.1Gemeinsames Verständnis schaffen

3.2Eindeutige Begrifflichkeiten nutzen

3.3Führung anders leben

3.4Gemeinsam Lernwege beschreiten

3.5Mut zur Arbeit am System haben

3.6Veränderung Zeit geben

4Fazit

Implementierung von Lean & Agile in einer Business Unit der Siemens AG (Kalnik)

1Erfahrungen mit Lean & Agile im Großunternehmen

2Wozu – Einordnung in den Kontext

3Was – Kulturveränderung und ihre Elemente

3.1Ziel der Kulturveränderung

3.2Methoden

3.3Obeya of Obeya (OoO)

3.4Prinzipien

3.5Kultur

4Wie – Klassisch beginnen und langsam überführen

4.1Vier „Säulen“ der Transition

4.2Cross-funktionales Transitions-Team

4.3Training

4.4Coaching

4.5Kommunikation und Koordination

5Wesentliche Erfolgsfaktoren

Hybrides Projektmanagement bei der NRW.BANK am Beispiel einer Portallösung für die öffentliche Wohnraumförderung in NRW (Nagel/Wilhelm)

1Ausgangslage, Projektauftrag und Rahmenbedingungen

2Bestimmung der Projektmanagementmethode

3Übergeordnete Projekt-Roadmap

4Projektvorgehensweise und Projektvision

5Projektorganisation und Rollen

5.1Überblick über die Projektorganisation

5.2Product Owner

5.3Entwicklungsteam und Scrum Team

5.4Scrum Master

5.5Klassische Elemente der Projektorganisation

6Kommunikations- und Meeting-Routinen

7Wesentliche Erfolgsfaktoren

Literaturverzeichnis

Organisatorische Agilität – Ein Blick hinter die Kulissen (Brehm)

1Einleitung

2Grundlagen

2.1Organisation und Agilität

2.2Mindset der agilen Organisation

2.3Ziele einer agilen Organisation

3Bausteine agiler Organisationen

3.1Überblick

3.2Modularisierung – Kreise und Squads als Keimzelle

3.3Lose Kopplungen – personen- und sinnbezogene Schnittstellen

3.4Selbstorganisation und -führung – Bedeutung von Hierarchie und die Verteilung von Macht

3.5Organisationales Lernen – Retrospektiven und Reviews sichern agile Entwicklung

4Review und Retrospektive

Literaturverzeichnis

Führung in agilen Organisationen – Darstellung am Beispiel Common Leadership bei //Seibert/Media (Schuller/Fucker)

1Einleitung

2Status quo der Führung bei //Seibert/Media

2.1Hintergrund

2.2Verständnis von Führung

2.3Grundvoraussetzungen und Erfolgsfaktoren

3Agile Führung durch Common Leadership

3.1Grundverständnis

3.2Positive Effekte

3.3Herausforderungen und Lösungsmaßnahmen

4Fazit

Literaturverzeichnis

Vom agilen Mindset zum permanenten Mindshift – Lebenslanges Lernen im Einklang mit agiler Organisationsentwicklung am Beispiel eines Versicherungsunternehmens (Hartmann)

1Situation von Lern- und Veränderungsprozessen in Organisationen

2Herausforderung einer „nachhaltigen Grundhaltung“

2.1Agiles bzw. Growth Mindset als Grundhaltung für permanenten Mindshift oder Lebenslanges Lernen

2.2Qualität einer Organisation im Kontext der Interaktion von Individuen

2.3Selbstorganisation braucht Führung

3Modifizierung der Personalentwicklungsgespräche am Beispiel eines Versicherungsunternehmens

3.1Ausgangslage und Zielsetzung

3.2Vorgehen

3.3Zwischenfazit und Ausblick

4Transfererfahrung

Literaturverzeichnis

Bewertung von Arbeitsleistung und Gehaltsfindung in agilen Organisationen – Gehaltsgilde bei borisgloger consulting (Gloger)

1Hintergrund

2Hindernisse und Ziele einer agilen Gehaltsfindung

3Konzept der Gehaltsgilde bei borisgloger consulting

3.1Agile Unternehmenskultur als Basis

3.2Zusammensetzung der Gehaltsgilde und Gehaltsfindungsprozess

3.3Zusammenspiel mit kontinuierlichem Feedback

3.4Zusammenhang zwischen Gehaltsbändern und Wettbewerbsfähigkeit

3.5Gehaltsdiskriminierung und Fairness

4Fazit

Lean Portfoliomanagement in der Praxis – Agile Organisation braucht agile Strategie (Schmidt/Jäger/Janning)

1Hintergrund

2Skalierte Agilität: Von Teams zu Portfolios

3Lean Portfoliomanagement als Hebel für die agile Transformation

3.1Agilität erfordert Kulturwandel und sensible Organisationsgestaltung

3.2Prinzipien und Werte bilden die Grundlage des Handelns

3.3Funktionen des Lean Portfoliomanagement

4Lean-Portfoliomanagement-Prozess in der Praxis

4.1Strategische Themen als Richtungsgeber

4.2Portfolio Canvas als Kreativwerkstatt

4.3Portfolio Epics als leichtgewichtige Initiativen

4.4Leitplanken für dezentrale Entscheidungen

4.5Big Room Ranking als gemeinsames Priorisierungsevent

5Fazit

Literaturverzeichnis

Teil D: Agile Organisation unternehmensübergreifender Ökosysteme

Agilität in datenorientierten B2B-Plattformen (Buchholz)

1Plattform-Ökonomie

2Begriffliche Grundlagen

2.1Agilität

2.2Datenorientierte B2B-Plattformen

3Agilität datenorientierter B2B-Plattformen

3.1Dimensionen von Agilität

3.2Agile Strategie

3.3Agile Struktur

3.4Agile Prozesse

3.5Agile Technologie

3.6Agile Mitarbeiter

4Fazit

Literaturverzeichnis

Agile Organisation unternehmensübergreifender Zusammenarbeit – Vom Lieferantenmanagement zur Effectuation in plattformbasierten Ökosystemen (Maurer)

1Agilität als Herausforderung im Plattformwettbewerb

2Wettbewerbsvorteile plattformbasierter Ökosysteme

2.1Merkmale von Ökosystemen

2.2Wertentstehung in Ökosystemen

3Agilität in unternehmensübergreifenden Ökosystemen

3.1Effectuation als Grundlage von Beitrittsentscheidungen

3.2Agilität auf der Unternehmensebene

4Fazit

Literaturverzeichnis

Autorenverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Vorwort

„Manager wollen glauben, dass sie

die Zukunft vorhersagen können.

Aber Manager müssen lernen,

dass Vorhersehbarkeit unmöglich ist,

wenn komplexe, kreative Arbeit … stattfindet.“1

„Die agilen Skeptiker im Unternehmen

sind das eine,

die viel größere Herausforderung

sind die agilen Dogmatiker.“2

Agilität ist ohne Zweifel eines der zentralen Buzzwords unserer Zeit. Vor dem Hintergrund der großen Bedeutung von Anpassungs- und Handlungsfähigkeit in unserer immer schnelleren und komplexeren Welt, hat sich der Begriff in den letzten Jahren fest im Management-Vokabular verankert. Die Forderung nach mehr Agilität fehlt in kaum einem Meeting.

Berater, Enthusiasten und Evangelisten3 predigen, dass Unternehmen anpassungsfähiger, dynamischer, schneller und innovativer werden müssen. Gefühlt wird derzeit vor fast alles das Adjektiv „agil“ gesetzt – gesprochen wird von agiler Strategie, agilen Prozessen, agiler Organisation, agilen Unternehmen, agilen Kunden, agiler Kommunikation, agilem Personalmanagement usw. Zum Teil bleibt es dann bei Hierarchie-Bashing bzw. Bürokratiekritik sowie der Forderung nach mehr Agilität bzw. einer agilen Kultur, ohne jedoch fundierte und praktikable Ansätze aufzuzeigen, wie dies möglich gemacht werden kann.

Nicht selten wird auch ein spezifischer Ansatz, ein Modell bzw. ein einzelnes Instrument herausgehoben – zum Teil als das „ultimative Allheilmittel“. Diverse Berater, Produkt- und Dienstleistungsanbieter propagieren natürlich ihren speziellen Ansatz und versuchen sich durch neue, immer noch einen Schritt moderner klingende Bezeichnungen abzugrenzen. Dann werden im Kern eigentlich sehr ähnliche Dinge völlig verschieden dargestellt. Hinzu kommt, dass sich in der „agilen Community“ eine Begriffswelt etabliert hat, die für in klassischen Umfeldern ausgebildete und sozialisierte Menschen nicht immer ganz leicht zu verstehen ist.

Vor dem Hintergrund dieser – zugegebenermaßen etwas überspitzt formulierten – Gemengelage aus unzweifelhafter Relevanz und einem Wildwuchs aus Begriffen, Methoden und Empfehlungen, ist die Idee entstanden, ein Buch zu schreiben bzw. zusammenzustellen, das dem Leser sowohl ein Ordnungsgerüst für den Gesamtkomplex „agile Organisation“ bietet (im umfangreichen Einführungsbeitrag), als auch konkrete Erfahrungen und Beispiele von verschiedenen, typisch für den deutschen Sprachraum anzusehenden Unternehmen vorstellt und Vertiefungsmöglichkeiten einzelner Teilaspekte liefert. Weil es schwierig ist, den Gesamtkomplex Agilität in einem „verdaubaren“ Buch mit dem nötigen Tiefgang zu behandeln, haben wir den Fokus ganz bewusst auf die Organisation – im Sinne von Methoden, Prozessen und Strukturen – gelegt. Die angrenzenden Aspekte, insbesondere Fragen der Zusammenarbeits- und Führungskultur, werden zwar angesprochen und grundlegend eingeordnet, aber eben nicht in aller Tiefe behandelt.

Das Buch richtet sich primär an klassisch ausgebildete bzw. sozialisierte Manager und Menschen, die nach Strukturierung, Systematik und konkreten Praxisbeispielen im „Agilitäts-Kosmos“ suchen. Diesen soll das Buch ein – an die klassische Organisationslehre anschlussfähiges – Ordnungsgerüst für die zentralen Begriffe und Konzepte einer agilen Organisationsgestaltung liefern. Neben dieser Strukturierung liefern die diversen Buchbeiträge Inspiration, Umsetzungskonzepte und konkrete Methoden auf dem Weg zu einer agileren Organisation. Die Unternehmensbeispiele dienen als Orientierung – nicht als 1:1-Kopiervorlage –, um den eigenen Arbeitsbereich, einen Unternehmensbereich oder gar das ganze Unternehmen agil(er) aufzustellen. Dabei wird aber auch immer wieder betont, dass Agilität weder heiliger Gral noch Allzweckwaffe ist, sondern eine Art der Ausrichtung bzw. der Gestaltung von Arbeitsteilung und Koordination zur besseren Erreichung der Ziele darstellt.

Das Buch möchte die Leser befähigen, kritisch reflektiert über Ansätze für mehr – oder in einigen Fällen möglicherweise auch weniger – Agilität zu entscheiden. Wir hoffen, dass es aufgrund dieser reflektierten und undogmatischen Ausrichtung nicht einfach noch ein weiteres Agilitäts-Buch unter vielen ist, sondern einen entscheidenden Mehrwert liefert.

Bedanken möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bei allen, die am erfolgreichen Zustandekommen dieses Buches mitgewirkt haben. Dies sind in erster Linie natürlich die renommierten Experten aus Wissenschaft und Praxis, die sich trotz vielfältiger anderer Verpflichtungen die Zeit genommen und die Muße gefunden haben, als Autoren an diesem Buch mitzuwirken. Schließlich gebührt natürlich auch unserem Verleger Prof. Dr. Götz Schmidt ein großes Dankeschön. Ebenfalls ganz herzlich bedanken möchten wir uns bei Dagmar Hofmann-Kahlke, Ulla Nappi, Andreas Valentin Schmidt und Axel-Bruno Naumann vom Verlag Dr. Götz Schmidt für ihre professionelle Umsetzung der Buchbeiträge und die kreative Gestaltung des Buchlayouts.

Wiesbaden und Gießen, März 2021

Prof. Dr. Thorsten Petry und Christian Konz

Über dieses Buch

Das vorliegende praxisorientierte Herausgeberbuch richtet sich primär an klassisch ausgebildete bzw. sozialisierte Manager und Menschen, die nach Strukturierung, Systematik, konkreten Erfahrungen und greifbaren Beispielen im aktuell so modernen und gehypten „Agilitäts-Kosmos“ suchen. Diesen erfahrenen Praktikern, aber auch den in die Praxis strebenden Studierenden und ihren Dozenten bietet der erste Teil des Buches ein – an die klassische Organisationslehre anschlussfähiges – Ordnungsgerüst für die zentralen Begriffe und Konzepte einer agilen Organisationsgestaltung. Die diversen Beiträge im weiteren Verlauf des Buches liefern vertiefende Unternehmensbeispiele, Erfahrungsberichte, Umsetzungskonzepte und konkrete Methoden auf dem Weg zu einer agileren Organisation.

Teil A: Gesamtbild der agilen Organisation

Den ersten Teil des Buches bildet ein umfangreicher Überblicks- bzw. Einführungsbeitrag. In diesem geben die beiden Herausgeber, der Hochschullehrer, Forscher und Berater PROF. DR. THORSTEN PETRY sowie der Agile Coach und Geschäftsführer der IBO AKADEMIECHRISTIAN KONz einen Überblick über den Gesamtkomplex „Agile Organisation“.

Sie erläutern die Relevanz und die Grundlagen von Agilität sowie die Kernelemente von Organisation. Auf dieser Basis stellen sie die zentralen Charakteristika einer agilen Organisationsgestaltung vor. Im weiteren Verlauf des Beitrags erläutern und vergleichen die beiden Autoren die wichtigsten agilen Prozessmethoden und Strukturansätze. Dies soll den Lesern dabei helfen, die für die eigene Situation am besten passenden Ansätze auszuwählen bzw. eine gute Ausgangsbasis zur Entwicklung eines eigenen agilen Organisationsansatzes zu haben.

Da Organisation nie ohne die in den Prozessen und Strukturen agierenden Menschen funktionieren kann, wird auch ein Blick auf die Aspekte einer agilen Führungs- und Zusammenarbeitskultur geworfen. Auch auf die agile Ausgestaltung weiterer Unternehmensführungselemente (z. B. Strategie, Portfoliomanagement, Budgetierung, Unternehmensentwicklung, Ökosystem-Management) wird am Ende des Beitrags kurz eingegangen.

Der umfangreiche Beitrag ist so etwas wie das „Herzstück“ dieses Buches. Er bietet einen guten Einstieg in die Thematik und liefert ein Ordnungsgerüst für die folgenden Buchbeiträge, auf die im Einführungsbeitrag immer wieder verwiesen wird.

Teil B: Beispiele agiler Organisation und Transformation

Im Teil B folgen sechs Beiträge, die konkrete Beispiele einer agilen Organisationsgestaltung und -entwicklung vorstellen. Verschiedene Praktiker erläutern, wie sie ihre – z. T. sehr unterschiedlichen Unternehmen – agil organisiert haben. Sie berichten über ihre Antriebe zur Veränderung, Stolpersteine sowie Erfahrungen in der agilen Transformation. Die vorgestellten Ansätze sollen den Lesern als Anregung für Veränderungen im eigenen Unternehmen dienen – sind aber nicht als 1:1-Blaupause zu verstehen, sondern unternehmensindividuell anzupassen.

Im ersten Beitrag des Teils B berichtet STEPHAN HEILER,wie er das bis dato klassisch hierarchisch geführte Handwerks- und Familienunternehmen ALOIS HEILER GMBH nach der Geschäftsübernahme von seinem Vater zusammen mit Unterstützung von GEBHARD BORCK agil organisiert und zu einem weitgehend hierarchiefrei selbstorganisierten Unternehmen transformiert hat. Das Unternehmen setzt auf Selbststeuerung durch die Mitarbeiter. Statt Abteilungen gibt es Organe, Wissen ist verteilt. Klassische Führungskräfte fehlen komplett. Entscheidungen „von oben“ sind verboten. Die Mitarbeiter entscheiden selbst. Und das Reporting richtet sich, anders als üblich, an den Bedürfnissen der operativen Basis aus.

Im folgenden Beitrag erläutern die Leiterin der globalen Unternehmenskommunikation DR. BERNADETTE TILLMANNS-ESTORF, der ehemalige Vorstandsvorsitzende PROF. DR. HEINZ-WALTER GROßE und die Change-Architektin DR. JULIA GUMULA die Grenzen klassisch hierarchiebasierter Organisationsformen in einer VUCA-Welt und wie die B. BRAUN MELSUNGEN AG hierauf reagiert hat. Das Unternehmen hat bewusst keine „Lösung von der Stange“ verwendet, sondern einen eigenen, zu den Spezifika von B. BRAUN passenden, Ansatz entwickelt. Bei dem entstandenen „Tasks & Teams“-Ansatz handelt es sich letztlich um eine Form der Selbstorganisation auf Basis agiler Werte und unter Nutzung von Holacracy-Elementen. Neben den Kernelementen und zentralen Praktiken des „Tasks & Teams“-Ansatzes erläutern die drei Autoren die zentralen Erfahrungen von B. BRAUN mit agiler Organisation und Zusammenarbeit und geben Handlungsempfehlungen für andere Unternehmen.

Der „Regisseur“ MARKUS STELZMANN erläutert in seinem Beitrag, wie die Revolution der Arbeitswelt bei TELE HAASE 2011 begann und wo das Unternehmen heute steht. Unterstützt wird er dabei von BARBARA REININGER, die als selbstständiger Teil des „TELE-Kosmos“ die Organisationstransformation von Beginn an begleitet. TELE HAASE hat in dieser Zeit nicht nur alle Chefs abgeschafft und eine völlig neue Struktur der Zusammenarbeit etabliert. Das mittelständische Unternehmen mit Sitz in Wien erfindet sich immer wieder neu. So eröffnete TELE bspw. einen Factory Hub, in dem die Mitarbeiter gemeinsam mit Start-ups Co-Creation praktizieren. Und mit „The Organisation Playground“ entwickelte sich eine Community, die die eigenen Erfahrungen der Transformation mit anderen Unternehmen teilt. Seit der „Revolution“ 2011 ist kaum ein Stein auf dem anderen geblieben, und TELE HAASE transformiert sich kontinuierlich weiter.

Ähnlich wie TELE HAASE hat auch die //SEIBERT/MEDIA GMBH in den letzten Jahren eine schrittweise Transformation mit Anpassungen von einer klassischen Struktur hin zu einer hochgradig selbstorganisierten Organisation vollzogen. DR. KAI RÖDIGER und PAUL HERWARTH VON BITTENFELD erläutern in ihrem Beitrag, wie sich das Unternehmen nach der Start-up-Phase zunächst eine klassische Bereichsorganisation gegeben hatte, dann über erste Erfahrungen mit Scrum eine Art „agile Erleuchtung“ erfahren hat und sich schließlich im Laufe der Zeit zu einer agilen Organisation entwickelte. Vor dem Hintergrund des Unternehmenswachstums und von Marktveränderungen gab es dabei auch immer mal wieder Phasen kurzzeitiger Desorientierung. Deshalb hat sich die agile Organisationstruktur auch verändert und weiterentwickelt (von einer Pfirsich-Organisation zum kollegialen Kreismodell). Die beiden Autoren betonen, dass es bei der agilen Transformation immer wieder geholfen hat, sich an etablierten Modellen und Frameworks (z. B. Scrum, SAFe) zu orientieren und insbesondere in der Anfangsphase sehr eng an diesen zu agieren.

Die Agile Innovation Coaches DANIELA ARNDT und MELANIE METTNER erläutern in ihrem Beitrag, wie agile Methoden und agiles Denken aus vereinzelten Projekten langsam in die Linienorganisation bei der R+V VERSICHERUNG „schwappt“. Sie berichten, wie sich der 2018 gegründete Bereich „Digitale Transformation“, der die Aufgabe hat, den digitalen Wandel der R+V zu unterstützen und zu forcieren, agil strukturiert hat. Dabei fiel die Wahl auf eine holokratische Struktur. Diese wurde aber bewusst nicht in Reinform umgesetzt, sondern auf die Gegebenheiten bei der R+V angepasst. Der Beitrag geht insbesondere auf die Abweichungen vom Grundmodell der Holokratie tiefer ein.

Im abschließenden Beitrag von Teil B erläutert PROF. DR. GUIDO FISCHERMANNS die agile Transformation bei IBO. Er schildert seine persönliche Sicht auf eine 7-jährige Lernreise. Was 2014 mit der Suche nach einer passenden Organisationsform und ersten agilen Gehversuchen beginnt, entwickelt sich zur Scrum-Organisation und weiter zum holokratischen Betriebssystem. Auf dieser agilen Reise wurden Umwege in Kauf genommen, zahlreiche agile Ansätze ausprobiert und adaptiert, der Chef-Schreibtisch zersägt und eine Purpose-orientierte Organisation geschaffen. Dabei betont FISCHERMANNS, dass Strukturen und Methoden nur den Rahmen geben und Verhaltensweisen ermöglichen können. Letztlich kommt es auf die persönliche Agilität jedes Einzelnen an.

Teil C: Praxiserfahrungen und Erfolgsfaktoren bei der Gestaltung agiler Organisation

Im dritten Teil des Buches finden sich verschiedene Beiträge, die einzelne Aspekte einer agilen Organisation vertiefen. Die Beiträge berichten von den Erfahrungen mit agiler Organisationsgestaltung und -entwicklung und liefern Konzepte sowie konkrete Methoden bzw. Ansätze.

Den Anfang macht der Agile Coach und Personalentwicklungsberater BJÖRN HÜBNER. Er berichtet in seinem Beitrag über Erfahrungen mit agilen Methoden und Strukturen bei der R+V VERSICHERUNG – einem erfolgreichen, aber prinzipiell sehr traditionellen Versicherungsunternehmen. Er stellt einige bisherige Initiativen und Ansätze für Agilität vor (z. B. Agile Community, Bereich digital.werkstatt, agile Leitplanken, Agile Coaches, SAFe) und leitet aus einer kritischen Reflexion der damit gemachten Erfahrungen konkrete Erfolgsfaktoren für Agilität (nicht nur) in traditionellen Unternehmen ab.

Über die Implementierung von Lean und Agile in einer Business Unit der SIEMENS AG berichtet ISABELL KALNIK. Sie begleitet seit 2014 die Veränderung zu einer lean-agilen Kultur. Dabei macht sie gleich zu Beginn ihres Beitrags deutlich, dass bei der Entwicklung von 2.000 Mitarbeitern eine gehörige Portion Geduld und Beharrlichkeit vonnöten ist, auch wenn der CEO voll und ganz hinter dem Vorhaben steht. KALNIK zeichnet in ihrem Beitrag ein gesamtheitliches Bild dieser Transition, denn wenngleich sich agile Tools in einer klassisch geprägten Organisation relativ einfach einführen lassen, so helfen Kanban-Boards und Dailys alleine nicht. Vielmehr ist es die Kommunikation und die Transparenz, die hilft, einander zu verstehen und schließlich auch zu vertrauen. KALNIK beschreibt, wie u. a. mit Hilfe eines cross-funktionalen Transitions-Teams und einem Lean-Office diese Kultur des Vertrauens flankiert und organisiert werden kann.

Wie hybrides Projektmanagement in der Praxis funktioniert, erläutern THORSTEN NAGEL von der NRW.BANK und MATTHIAS WILHELM von der PRORESULT UNTERNEHMENSBERATUNG AG am Beispiel einer Portallösung für die öffentliche Wohnraumförderung. Sie beschreiben ein Projektvorhaben, das sowohl in der Vorgehensweise als auch in seiner Struktur agile Ansätze (Scrum-Methodik) und klassische Elemente des Projektmanagements (Projektleitung, PMO) verzahnt. Dabei zeigt ihre Analyse, dass eine übergreifend strukturierte Projektorganisation entlang einer Projekt-Roadmap und Selbstorganisation in iterativ-inkrementellen Sprints sich nicht ausschließen, sondern unter bestimmten Bedingungen gegenseitig begünstigen. Dazu erläutern die Autoren zahlreiche Methoden und Ansätze, die Verständnis für Bedürfnisse und Abhängigkeiten und eine gemeinsame Identifikation mit der Aufgabe erzeugen.

Der Hochschullehrer PROF. DR. CARSTEN BREHM beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Frage, ob agile Organisation möglicherweise lediglich „alter Wein in neuen Schläuchen“ ist. Er wagt einen Blick hinter die Kulissen des derzeit gehypten Agilitätstheaters und analysiert, was an Agilität altbekannt und was wirklich neu ist. Den Kern seiner Analyse bildet die Frage, ob bzw. inwieweit die schon vor knapp 20 Jahren für die Gestaltung flexibler Organisationen genutzten Bausteine (Modularisierung, lose Kopplungen, Selbstorganisation, organisationales Lernen) auch für das heutige Verständnis agiler Organisation noch passend sind. Neben vielen Klassikern der Organisationslehre dient insbesondere auch das Beispiel NETFLIX als Argumentationsgrundlage.

Die Agile Coaches JENNY CARINA SCHULLER und CLEMENS FUCKER beleuchten in ihrem Beitrag den wichtigen Aspekt der Führung in agilen Organisationen. Als Beispiel stellen sieden bei der //SEIBERT/MEDIA GMBH praktizierten, stark am „Servant Leadership“-Modell orientierten „Common Leadership“-Ansatz vor. Dabei wird gemeinschaftliche Führung als Teilhabe aller Mitarbeiter an Entscheidungssituationen und an der Übernahme von Verantwortung verstanden. Führung sollte in einer spezifischen Situation diejenige Person übernehmen oder derjenigen Person übergeben werden, die die beste Wissensgrundlage für diese Entscheidung hat. Die beiden Autoren erläutern, wie dieser Ansatz bei der //SEIBERT/MEDIA GMBH praktisch gelebt wird, welche positiven Effekte sich daraus ergeben, welche Herausforderungen bestehen und welche Lösungsansätze dabei helfen können, diese Herausforderungen zu lösen.

FRANK HARTMANN, der neben seiner Geschäftsführerfunktion in der IBO AKADEMIE als Coach, Trainer und Berater tätig ist, beschreibt in seinem Beitrag am Beispiel eines Versicherungsunternehmens, wie lebenslanges Lernen und Organisationsentwicklung in Einklang gebracht werden können. Mitarbeiter und Führungskräfte, die sich nicht mehr nur als abhängige Variable von äußeren Rahmenbedingungen sehen, sondern bewusst Selbstführung und Selbstreflexion betreiben, verfügen über ein Growth Mindset – die Voraussetzung für einen gesunden Umgang mit Instabilität. HARTMANN setzt dabei auf unterschiedlichen Ebenen an (Individuum, Team, Gesamtunternehmen) und zeigt anhand einer agilen Vorgehensarchitektur die Zusammenhänge zwischen individuellen Lernprozessen und agiler Organisation auf.

Der Agilitäts-Vordenker BORIS GLOGER beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der heiklen Thematik der Bewertung von Arbeitsleistung und der Gehaltsfindung in agilen Organisationen. Der Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung BORISGLOGER CONSULTING GMBH erläutert, welche Problematik sich aus dem deutschen Arbeitsrecht für eine agile Gehaltsfindung ergibt, welche generellen Hürden bei diesem Thema zu beachten bzw. zu umschiffen sind und wie ein agiles Performance-Management aussehen kann. Den Kern des Beitrags bildet das auf dem Grundsatz „ask the team“ basierende Konzept der Gehaltsgilde bei BORISGLOGER CONSULTING. Es wird detailliert und konkret vorgestellt, wie der Gehaltsfindungsprozess abläuft.

CAROLINE SCHMIDT, KURT JÄGER und DR. THORSTEN JANNING von der auf agile Themen (insbesondere die Skalierung von Agilität) fokussierten Unternehmensberatung KEGON, erläutern in ihrem Beitrag, warum eine agile Organisation auch eine agile Strategie braucht und wie eine agile Strategiearbeit aussehen kann. Die Autoren, weitgehend „alte Hasen“ im Agilitätsumfeld, plädieren für ein agiles Lean-Portfoliomanagement. Sie erläutern zentrale Prinzipien (entnommen aus dem agilen Skalierungsframework SAFe), auf denen ein solches Portfoliomanagement beruhen sollte, und stellen konkrete Werkzeuge und Methoden zur praktischen Umsetzung vor.

Teil D: Agile Organisation unternehmensübergreifender Ökosysteme

Den Abschluss des Buches bilden zwei Beiträge aus der Wissenschaft, die Agilität aus einer unternehmensübergreifenden Perspektive betrachten, denn Organisation findet ja nicht nur in, sondern auch zwischen Unternehmen statt. Auch Ökosysteme und Plattformen sind agil zu gestalten bzw. Unternehmen müssen die nötige Agilität mitbringen, um in dynamischen Netzwerkkonstellationen zu agieren, mit verschiedenen Unternehmen zu kooperieren und ggf. auch mal zwischen Netzwerken zu wechseln.

Der Hochschulprofessor PROF. DR. WOLFGANG BUCHHOLZ betrachtet in seinem Beitrag deshalb die Rolle von Agilität in datenorientierten B2B-Plattformen. Bezogen auf die fünf Dimensionen Strategie, Prozesse, Strukturen, Mitarbeiter und Technologie erläutert er jeweils, warum Agilität für B2B-Plattformen relevant ist und wie eine agile Ausgestaltung aussehen könnte.

Im abschließenden Beitrag beschäftigt sich DR. MARCEL MAURER mit den Wettbewerbsvorteilen und Agilitätseffekten plattformbasierter Ökosysteme. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht das Entscheidungsproblem, schnell genug zu beurteilen, ob eine und wenn ja welche, Form der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit begonnen, beendet oder verändert werden sollte. Zur Lösung dieses Problems wendet MARCEL MAURER die agile Effectuation-Methode an.

Die beiden Beiträge von BUCHHOLZ und MAURER lenken den Blick auf eine bisher weniger beachtete Thematik und sollen als Impuls für eine intensivere Betrachtung von Agilität in unternehmensübergreifenden Ökosystemen dienen.

Die verschiedenen Buchbeiträge zeigen etliche Gemeinsamkeiten, bieten gleichzeitig aber auch unterschiedliche Blickwinkel auf das Thema. Durch die bunte und abwechslungsreiche Palette an Schreibstilen sollte das Lesen hoffentlich kurzweilig und interessant sein.

Wir wünschen allen Lesern viel Spaß und spannende Erkenntnisse bei der Lektüre!

Teil A

Gesamtbild der agilen Organisation

Agile Organisation – Systematischer Überblick des Themenkomplexes

Thorsten Petry und Christian Konz

1Agilität als Kernherausforderung im digitalen VUCA-Zeitalter

Das Digitalzeitalter1 stellt viele Branchen und Unternehmen vor massive Veränderungen und Herausforderungen. Exemplarisch sollen hier kurz zwei typische Beispiele aufgeführt werden. Zum einen die bekannte Automobilindustrie, u. a. mit den deutschen Großkonzernen VW, DAIMLER und BMW, und zum anderen die weniger im Rampenlicht stehende Heizungsbranche, mit typischen deutschen Familienunternehmen wie VIESSMANN oder VAILLANT.

Die Automobilbranche befindet sich in einem massiven Veränderungsprozess. Schon seit einigen Jahren ist klar, dass sich der weltweite CO2-Ausstoß nicht so weiterentwickeln darf wie bisher, wenn wir unsere Welt erhalten wollen. Seit 2009 unterliegen PKW und leichte Nutzfahrzeuge in der EU einer CO2-Regulierung, die erwartungsgemäß verschärft wurde. Demnächst greifen harte CO2-Flottengrenzwerte. Dementsprechend ist schon lange absehbar, dass es neue, saubere Antriebstechnologien wie Elektro oder Wasserstoff benötigt. BMW hat mit dem i3 auch schon frühzeitig ein Elektroauto entwickelt und 2013 auf den Markt gebracht. Die Rahmenbedingungen waren aber noch nicht reif für einen durchschlagenden Erfolg. Das Thema wurde daher in den Jahren danach nicht mehr wirklich intensiv weiterverfolgt. Dass Hybridtechnologien eine interessante Übergangstechnologie sind, haben Hersteller wie TOYOTA schon vor vielen Jahren erkannt. Trotzdem waren VW, DAIMLER und Co. hier sehr passiv. Zu sehr hat der Boom bei SUVs – der durchaus in einem gewissen Gegensatz zur Diskussion über Nachhaltigkeit und Umweltschutz steht – die Autokonzerne beschäftigt. Hier ließ sich (kurzfristig) am meisten Geld verdienen. Deshalb lag der Fokus vieler Anbieter sehr stark auf der Optimierung dieses alten Kerngeschäfts – mit erlaubten und z. T. auch unerlaubten Mitteln (Stichworte: Abschaltautomatik, Dieselskandal).

Innovative neue Wettbewerber wie TESLA wurden lange nur belächelt. DAIMLER hat seine 2009 für 50 Mio. Euro erworbene 9,1 %-Beteiligung an TESLA bereits 2014 wieder verkauft. Dass TESLA – mehr ein Software-, Daten- und Batteriekonzern als ein Autobauer – die Automobilbranche revolutionieren würde, konnten sich die deutschen Ingenieure alter Schule kaum vorstellen. Auch passten die Arbeitsweisen nicht zusammen. Als DAIMLER-Ingenieure 2012 zusammen mit TESLA das Model S entwickelten, zeigten sich drastische Unterschiede in der Herangehensweise. Während TESLA – wie im Softwarebereich üblich – E-Autos schnell auf den Markt bringt, Erfahrungen, Daten und Kundenfeedback sammelt und auf der Basis Fehler per regelmäßigem Update behebt, testen traditionelle Fahrzeughersteller ihre Modelle gerne ausgiebig über Jahre, bevor sie „fix & fertig“ auf den Markt kommen.

„6 Wochen. Das ist die Antwort auf die Frage, wie schnell Kundenwünsche in ein komplexes Software-Ökosystem eines Automobilherstellers aufgenommen werden können. In 2019 schreibt ein TESLA-Fan auf Twitter über seinen Wunsch nach einer Erweiterung der Fahrzeugsoftware seines Model 3: die Betätigung der Hupe solle die integrierte Kamera zum Speichern einer Videosequenz anweisen. „Yeah, makes sense“ war eine der Antworten auf den Tweet am selben Tag – geschrieben von TESLA-CEO ELON MUSK höchstpersönlich. 6 Wochen dauerte es, bis dieser Kundenwunsch seinen Weg via update-over-the-air in alle TESLA Fahrzeuge fand.“2

Noch komplexer wird das Bild, wenn man auch die Themen Autobetriebssystem (mit Vorreitern wie GOOGLE AUTOMOTIVE SERVICES und Wettbewerbern wie der Arene-Plattform von TOYOTA), Batterie (mit mächtigen Playern wie CATL), autonomes Fahren (mit Unternehmen wie der GOOGLE-Tochter WAYMO) und Mobilitätsplattformen (mit Anbietern wie UBER) hinzunimmt. Auch hier gibt es extreme Unsicherheiten und man hat den Eindruck, dass die deutschen Automobilhersteller nicht recht wissen, wie sie sich positionieren sollen. Neben einigen – meist zaghaften – Etablierungsversuchen, gibt es immer wieder auch Marktrückzüge (Stichworte: MOOVEL, CAR2GO, MYTAXI, DRIVE NOW, SHARE NOW). Unerwartete Schocks wie die Covid-19-Pandemie verkomplizieren diese Entwicklungen noch weiter. Und diese dynamische, komplexe und kaum planbare Situation betrifft natürlich nicht nur die Automobilhersteller, sondern auch Zulieferer wie BOSCH oder CONTINENTAL, die auch noch ihren Platz im neuen Mobilitäts-Ökosystem finden müssen. Hier dürften sich zukünftig auch Themen wie z. B. automatische Wartung, datengesteuertes Flottenmanagement, vollautomatisierte Versicherungstarife oder neue Logistikservices (u. a. automatisierte Paketablage) wiederfinden.

Auch wenn diese kurze Darstellung die komplexe „Gemengelage“ bei weitem noch nicht vollständig widerspiegelt, lässt sich in Summe festhalten: Es ist völlig klar, dass es tiefgreifende Veränderungen in der Automobilbranche geben wird. Dies ist rational auch erkannt, wie die folgende Aussagen deutscher Automobil-CEOs verdeutlichen: „Wenn wir weiterhin nur das tun, was wir [bisher] so gut gemacht haben, sind wir erledigt“3 und „Der Sturm geht jetzt erst richtig los“4. Leider ist aber extrem unklar, wie diese Veränderungen konkret aussehen und wann diese genau stattfinden werden. Sowohl die genauen Markt- und Kundenanforderungen, als auch die adäquaten Technologien und Lösungswege sind unklar. Kein Player ist in der Lage, einen detaillierten 5- oder 10-Jahresplan aufzustellen. Stattdessen braucht es neben einer grundsätzlichen, groben Zielausrichtung ein adaptives Herantasten und kontinuierliches Lernen. Es braucht – neben (z. T. neuen) fachlichen Fähigkeiten – die Kompetenz, immer wieder mit neuen Herausforderungen, Technologien und Bedürfnissen umzugehen.

Im Detail natürlich anders, aber von den grundlegenden Herausforderungen durchaus vergleichbar, sind die Herausforderungen in der Heizungsbranche bzw. treffender Umwelt-, Kälte- und Wärmetechnikbranche. Hier sind die etablierten Heizungsbauer wie z. B. VIESSMANN, VAILLANT oder BOSCH-BUDERUS mit diversen Startups bzw. neuen Wettbewerbern konfrontiert, die die Branche gehörig durcheinanderwirbeln.5 Klassischerweise war die Wertschöpfung in der Branche so gestaltet, dass der Heizungsbauer eine Anlage entwickelt, hergestellt und ein Installateur diese an den Endkunden verkauft und im Keller aufgestellt hat. Solange die Heizung dann lief, passierte – außer der Wartung – nicht mehr viel. Es gab so gut wie keinen Kontakt zwischen Heizungsbauer und Endkunden.

Start-ups wie TADO und THERMONDO sowie die zugekaufte GOOGLE-Tochter NEST ermöglichen es aber nun, Thermometer oder auch die ganze Heizung online zu bestellen und diese per Smartphone vom Sofa oder auf dem Nachhauseweg aus dem Auto zu steuern. Das ist bequem, einfach und kann dabei helfen, Energie und damit auch Stromkosten zu sparen. Unter anderem weil vielen Installateuren das Knowhow fehlte, haben Anbieter wie bspw. TADO mit ihren smarten Thermostaten direkt den Endkunden adressiert. Dadurch verändern sich die Marktbeziehungen grundlegend. Im Umfeld von Smart Home und Smart Energy entstanden bzw. entstehen diverse neue Geschäftsmodelle, verbunden mit einem erheblichen Wettbewerbsdruck in dem ehemals sehr stabilen Markt.

Die etablierten Anbieter haben die Herausforderung erkannt und bieten mittlerweile smarte Thermostate und Steuerungs-Apps an. Auch erlauben innovative Angebote den Installateuren bzw. Handwerkern einen digitalen Zugriff auf die Heizungsanlage und ermöglichen so z. B. eine Ferndiagnose. Zum Teil erfolgt die Entwicklung von neuen Produkten und Geschäftsmodellen in Zusammenarbeit mit Start-ups (z. B. VIESSMANN mit TADO) oder in eigens dafür gegründeten digitalen Einheiten (z. B. VIESSMANN WATTX). Auch investieren die traditionellen Player über Venture Capital Fonds in vielversprechende Start-ups und Innovationen. VIESSMANN bspw. wandelt sich vom Heizungsbauer zu einem „Gestalter von Lebensräumen für zukünftige Generationen“. Durch eine agil(er)e Ausrichtung war das Familienunternehmen auch in der Lage, während der Covid-19-Pandemie relativ schnell mobile Beatmungsgeräte und Luftreiniger für die Frischluftzufuhr, die sich bspw. für den Einsatz in Klassenräumen eignen, zu entwickeln und zu produzieren.6

Mit den Fortschritten in der künstlichen Intelligenz und sich auf Basis von z. B. Bewegungs- und Wetterdaten selbstregelnden Heiz- bzw. Klimasystemen stehen die nächsten Innovationen bereits vor der Tür. Auch hierauf müssen BOSCH-BUDERUS, VIESSMANN & Co. schnell und adäquat reagieren.

Vor ähnlichen Herausforderungen stehen bzw. standen einige der in diesem Buch vorgestellten Unternehmen, wie z. B. HEILER, TELE HAASE, B. BRAUN MELSUNGEN, SIEMENS oder die R+V VERSICHERUNG. Auch lassen sich ohne großen Aufwand weitere Branchen und Unternehmen nennen, denen es ähnlich ergeht. Darauf soll aus Platzgründen aber verzichtet werden. Generell ist festzustellen, dass sich die Welt immer schneller verändert, sowie immer komplexer und unübersichtlicher wird. Diese Thematik wird in den letzten Jahren häufig und gerne mit dem Akronym VUCA beschrieben.

VUCA setzt sich zusammen aus den vier Begriffen Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Das Akronym stammt ursprünglich aus dem amerikanischen Militärjargon und hat sich in den letzten Jahren in der Managementliteratur etabliert.7

V steht für Volatility (Volatilität bzw. Unbeständigkeit), d. h. für häufige Veränderungen und sprunghafte Entwicklungen, die aber nicht zwingend unvorhersehbar sein müssen.

U steht für Uncertainty (Ungewissheit bzw. Unsicherheit), d. h. für eine unklare Situation bzw. nebulöse Veränderungen.

C steht für Complexity (Komplexität bzw. Vielschichtigkeit), d. h. für eine Situation, in der viele bzw. vielfältige Elemente ineinander spielen.

A steht für Ambiguity (Ambivalenz bzw. Mehrdeutigkeit), d. h. eine unklare, unscharfe und ggf. sogar widersprüchliche Umwelt.

Insbesondere die exponentielle technologische Entwicklung, die globale Vernetzung und die (dadurch bedingten) gesellschaftlichen Veränderungen führen zu einer immer stärker als VUCA zu charakterisierenden Umwelt. In solchen Umfeldern sind Geschäftsentwicklungen immer weniger vorhersehbar und dementsprechend schwieriger plan- und steuerbar.

Aber auch wenn es richtig ist, dass die Welt immer stärker VUCA wird, sollte man dem aktuellen Hype um dieses Akronym mit Vorsicht begegnen. Denn, dass Dinge volatil, unsicher, komplex und widersprüchlich sind, das gab es auch schon früher. Mal mehr (z. B. in Phasen technologischer Umbrüche wie Dampfmaschine, Elektrizität oder Verbrennungsmotor), mal weniger. Und VUCA gilt auch heute nicht für alle und alles – verschiedene Menschen, Länder, Funktionen und Industrien sind unterschiedlich betroffen. Schließlich sollte man beachten, dass sich das VUCA-Akronym zwar gut eignet, um für die grundsätzliche Thematik zu sensibilisieren, es eignet sich aber nicht als Analysekonzept, weil die Kategorien dafür zu unspezifisch sind.

Seit kurzem sprechen manche Autoren und Berater auch von einer BANI-Welt.8 Dieses Akronym steht für brittle (brüchig), anxious (ängstlich, besorgt), nonlinear (nicht-linear) und incomprehensible (unbegreiflich). Zwar sind auch diese Adjektive zur Beschreibung (der Veränderung) unserer Welt nicht falsch, aber es ist nicht nötig „noch einen drauf zu setzen“ und VUCA nochmal steigern zu wollen. Der Mehrwert eines neuen Akronyms dürfte überschaubar sein und eine tiefere Auseinandersetzung bzw. Abgrenzung von VUCA und BANI ist für das praktische Management nicht wirklich hilfreich. Wichtig ist es „lediglich“, sich dieser Umwelt(veränderung) bewusst zu sein. Sowohl für VUCA als auch für BANI gilt, dass es auch früher bereits Dinge gab, die so waren, dass aber die Häufigkeit bzw. der Ausprägungsgrad zunimmt. Unsere Welt ist bzw. wird immer stärker VUCA (bzw. BANI).

In einer VUCA-Welt wird die Fähigkeit, schnell (re)agieren zu können, immer wichtiger. Gefordert ist ein schnelles, kreatives, flexibles und kundenorientiertes Denken und Handeln. In einer VUCA-Welt muss man mit mehreren Optionen „jonglieren“ und „auf Sicht fahren“. Ein pragmatisches Ausprobieren und Lernen ist dann i. d. R. erfolgreicher als detaillierte Analyse und Planung. Kurz gesagt: VUCA erfordert Agilität. Im folgenden Beitrag und in diesem Buch wird erklärt, was Agilität bedeutet und wie eine agile Organisation gestaltet werden kann.

Dieser Einleitungs- und Überblicksbeitrag soll ein Ordnungsgerüst für das Thema „agile Organisation“ liefern und die wesentlichen Aspekte vorstellen und abgrenzen (vgl. Abbildung 1). Nachdem in Kapitel 1 die Relevanz von Agilität in unserer zunehmend VUCA-artigen Umwelt aufgezeigt wurde, geht Kapitel 2 kurz auf die Entwicklungsgeschichte und die wesentlichen Elemente von Agilität im Allgemeinen ein. Die Kapitel 3 bis 8 fokussieren dann auf die Gestaltung einer agilen Organisation (d. h. Methoden, Prozesse und Strukturen).

Hierfür werden in Kapitel 3 die zentralen Elemente von Organisation allgemein sowie einer klassischen, hierarchischen und bürokratischen Ausgestaltung von Organisation vorgestellt. Das folgende Kapitel 4 stellt als Gegenmodell dazu die zentralen Charakteristika einer agilen Organisationsgestaltung vor. Diese Bausteine werden dann in den Hauptkapiteln immer wieder aufgegriffen. Kapitel 5 erläutert das potenzielle Zusammenspiel von klassischen und agilen Organisationselementen. Dabei wird betont, dass beide Modelle ihre Berechtigung haben – je nach Situation.

Die Kapitel 6 bis 8 betrachten konkrete Ansätze, Methoden und Praktiken, um Prozesse und Strukturen agil(er) zu gestalten. Dabei geht es in Kapitel 6 zunächst um einzelne Prozess- und Projektmethoden (Ablauforganisation). Kapitel 7 stellt verschiedene Ansätze bzw. Rahmenmodelle (Frameworks) zur Skalierung von Agilität vor, d. h. für die Ausweitung von einzelnen auf mehrere agile Teams. Kapitel 8 schließlich betrachtet verschiedene Ansätze zur agilen Gestaltung von Strukturen (Aufbauorganisation). In Summe liefern die Kapitel 6 bis 8 eine Auswahl an potenziellen Ansätzen, um Organisation agiler zu gestalten. Die vergleichende Bewertung am Ende von jedem dieser Kapitel soll dabei helfen, die für die eigene Situation am besten passenden Ansätze auszuwählen bzw. eine Basis zur Entwicklung eines eigenen Ansatzes zu haben.

Da Organisation nie ohne die in den Prozessen und Strukturen agierenden Menschen funktionieren kann, wird in Kapitel 9 ein tieferer Blick auf Aspekte einer agilen Führungs- und Zusammenarbeitskultur geworfen. Denn um eine agile Organisation „zum Leben zu bringen“, bedarf es eines agilen Denkens und Handelns in breiten Mitarbeiterschichten. Kapitel 10 betrachtet zum Abschluss noch kurz weitere, über Organisation und Kultur hinausgehende Managementaspekte, die beim Weg zu einem „agile(re)n Unternehmen“ ebenfalls zu berücksichtigen sind – aber nicht im Fokus des Buchs stehen.

Der Einleitungs- und Überblicksbeitrag schließt mit einem Fazit in Kapitel 11, das die zentralen Erkenntnisse noch einmal kurz zusammenfasst. Es wird betont, dass sich „wirkliche“ Agilität letztlich im tagtäglichen Denken und Handeln zeigen muss, dass Kultur aber nicht direkt beeinflusst werden kann und es deshalb adäquater agiler Prozess- und Strukturansätze zur Formung des Verhaltens und der Kultur bedarf. Organisation war immer und bleibt auch zukünftig „Mittel zum Zweck“. Und genau dafür liefert das Buch wertvolle Hinweise.

Abb. 1: Aufbau des Einführungsbeitrags

2Grundlagen von Agilität

2.1 Entwicklungsgeschichte

Die in Kapitel 1 beschriebene Situation zeigt, dass viele Unternehmen mit einer erfolgreichen Entwicklungsgeschichte vor der Herausforderung stehen, mit bislang bewährten Mustern und Managementprinzipien zumindest in Teilen brechen zu müssen, wenn sie auf Dauer überleben und weiterhin erfolgreich sein wollen. Unser gesamtes Wirtschafts-, Gesellschafts-, Arbeits- und Privatleben steht unter dem Einfluss des dynamischen bzw. beschleunigten technologischen Wandels, der mittlerweile alle Bereiche zwischenmenschlicher Interaktion und Beziehungen beeinflusst. Sämtliche Aufgaben und Tätigkeiten menschlicher Arbeit, Sachmittel und Prozesse stehen zur Disposition, werden durch neue, innovative Verfahren und Lösungen ersetzt oder obsolet. Das Denken und Handeln in linearen und strukturierten Ursache-Wirkungszusammenhängen, in rein Performance getriebenen und planbasierten Prozessen und Strukturen passt nicht in die VUCA-Welt.

Auch wenn es manche so empfinden mögen, VUCA ist nicht plötzlich „vom Himmel gefallen“. Natürlich gab es immer schon Entscheidungen, die in unsicherem und unbeständigem Umfeld getroffen werden mussten. Und auch die Bestrebungen nach einer flexiblen und gleichzeitig effizienten Organisation sind keinesfalls neu. Eines der ersten agilen Projekte wurde bspw. bereits vor über 75 Jahren durchgeführt.

Der Konstrukteur KELLY JOHNSON von LOCKHEED MARTIN erhält 1943 den Auftrag, in nur 180 Tagen einen neuen Kampfjet serienreif zu entwickeln. Er soll eine Antwort auf die deutschen Düsenjäger finden, deren neue Technologie eine Gefahr für die damalige Luftüberlegenheit der Amerikaner darstellte. JOHNSON bringt dafür seine Ingenieure zusammen, entwickelt wird in einem Zelt. Das Team organisiert sich vollkommen autark. Entwicklungsfortschritte werden in kurzen Zyklen überprüft und direkt mit den Kampfpiloten, den Anwendern, validiert. Aufgrund des weniger angenehmen Duftes, der durch das Zelt weht, wird auch von „Skunk Works“ gesprochen. Trotzdem oder gerade deshalb wird der Düsenjäger P80 nach nur 143 Tagen in die Serienproduktion überführt.9

Auch die Apollo-Missionen, in denen die NASA in den 1960ern Astronauten zum Mond schickten, basierten auf einem ähnlich iterativen und inkrementellen Vorgehen. Und TAKEUCHI und NONAKA stellten 1986 bei der Analyse der Produktentwicklungsprozesse bei u. a. CANON, HONDA, NEC, EPSON, BROTHER, 3M, XEROX und HEWLETT PACKARD fest, dass diese Ähnlichkeiten aufwiesen – u. a. setzten sie auf eine Art eingebaute Instabilität, selbstorganisierende Projektteams und überlappende Entwicklungsphasen.10 Es finden sich diverse weitere Beispiele, auf die hier insbesondere aus Platzgründen aber nicht weiter eingegangen werden soll. Es lässt sich in jedem Fall festhalten: Agilität ist keinesfalls neu.11

Das Industriezeitalter war jedoch geprägt durch die vorwiegend planbasierte Massenfertigung. Insbesondere die Erkenntnisse und Errungenschaften von FREDERICK WINSLOW TAYLOR zu Beginn des 20. Jahrhunderts führten zu einer ausgeprägten funktionalen Spezialisierung und einer weitgehenden Arbeitsteilung. Gestützt auf den Studien TAYLORS und dessen Glaubenssatz des sogenannten „One Best Way“, setzte sich zu Beginn der 20. Jahrhunderts das Prinzip prozessgesteuerter Arbeitsabläufe und die Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit immer mehr durch (Scientific Management bzw. Taylorismus). Damit wurde das Zeitalter der Manufakturen überwunden, enorme Skaleneffekte erzielt und Massenfertigung durch ausgeprägte Arbeitsteilung zwischen vielen Menschen ermöglicht.12

Die Kombination aus den organisatorisch-bürokratischen Ansätzen TAYLORS und produktionstechnischen Errungenschaften, insbesondere das durch HENRY FORD eingeführte Fließbandprinzip, entwickelte sich zum dominierenden Produktionskonzept bis weit in das 20. Jahrhundert hinein. Die Aufgaben waren produktionsseitig auf kleinste Handbewegungen reduziert, sodass Fließbandarbeiter nicht mehr denken mussten. Dadurch konnte eine sehr hohe Effizienz erzielt werden. Als wesentliche Voraussetzungen für das Funktionieren dieses Systems definierte TAYLOR:13

Die internen und externen Prozesse können berechnet, geplant und beherrscht werden.

Die Arbeit kann in ausführende und planende Teilaufgaben bzw. Aktivitäten getrennt werden.

Die notwendigen Teilaufgaben zur Fertigung eines Produkts bestehen aus einer bestimmen und festlegbaren Abfolge von Aktivitäten.

Auf Basis wissenschaftlicher Methoden ist es möglich, die beste Art der Ausführung einer Aktivität (Best Practice) zu ermitteln.

Die spezialisierten Arbeiter und Maschinen erfüllen (lediglich) einzelne Aktivitäten, die sich zentral planen und steuern lassen.

Menschen arbeiten lediglich bzw. vorwiegend, um Geld zu verdienen.

Diese Voraussetzungen gelten natürlich nicht immer. Umso VUCA-artiger und damit unklarer die Umwelt ist, desto weniger sind diese Bedingungen gegeben.

Fast zur gleichen Zeit wie der Taylorismus entwickelte sich in Japan eine Organisations- und Produktionsphilosophie, die – ganz im Unterschied zu FORD und TAYLOR – Werksarbeiter verpflichtete darüber nachzudenken, was sie bei ihrer Arbeit tun. Sie erhielten ein erhebliches Maß an Verantwortung und wurden aufgefordert, alles zu reklamieren, was ihnen bei ihrem Arbeitsablauf nicht passt. Sie sollten Vorschläge machen, wieman Abläufe verbessern kann. So war es allen voran TOYODA KIICHIRō, 1937 Chef der TOYOTA MOTOR CORPORATION, der daran arbeitete, mit organisatorischen Mitteln Prozesse zu optimieren und gleichzeitig die Qualität zu steigern. Aufgrund der Rohstoffknappheit während und nach dem Zweiten Weltkrieg galt es dabei vor allem, jegliche Verschwendung zu vermeiden.14 Beeinflusst durch die Arbeiten von WILLIAM EDWARDS DEMING, einem Pionier im Bereich des Qualitätsmanagements, entstand das TOYOTA Production System (TPS), das Mitarbeiter konsequent in die kontinuierliche Gestaltung und Optimierung von Arbeitsabläufen integriert.

Der Ingenieur und Produktionsleiter TAIICHI OHNO entwickelte das TPS bis in die 1980er Jahre systematisch weiter und ergänzte es um zahlreiche Methoden und Techniken.15 Seine auf der Kaizen-Philosophie (kai „Veränderung, Wandel“, zen „zum Besseren“) beruhenden Prinzipien, die auf Produktion im Kundentakt, Eliminierung von Verschwendungen und mitarbeiterzentrierte Verbesserung in kleinen Schritten setzen, haben den japanischen Automobilbauern ab den 1980ern auf dem Weltmarkt zu ihrem Erfolg verholfen. Der in den 1990ern von den MIT-Wissenschaftlern WOMACK, JONES und ROOS entwickelte Lean-Thinking-Ansatz (Lean Production und im weiteren Verlauf Lean Management und Lean Administration) orientiert sich an den Prinzipien des TPS und ist heute in vielen Unternehmen, vor allem bei solchen in westlich geprägten Industrienationen, zu finden.16

PETER DRUCKER stellte ebenfalls bereits in den 1950er Jahren fest, dass die von FORD und TAYLOR vorangetriebenen rein effizienzorientierten Organisationsansätze an Grenzen stoßen.17 DRUCKER erkannte, dass sich Wissen nur schwer aus den Köpfen der Menschen extrahieren und hierarchisch bündeln lässt. Er setzte sich dafür ein, insbesondere in wissensintensiven Bereichen alternative Formen und Modelle der Zusammenarbeit einzuführen (Wissensarbeit).

Ebenfalls in den 1950er Jahren befasst sich der Soziologe und Systemiker TALCOTT PARSONS mit dem Zusammenhang von Stabilität und Veränderung. Die Ergebnisse seiner empirischen Kleingruppenforschung führten ihn zu der Erkenntnis, dass soziale und mithin organisationale Systeme nur dann dauerhaft überleben können, wenn sie nicht nur stabil und standardisiert funktionieren, sondern sich auch weiterentwickeln und innovieren.18

Anfang 1970 plädiert der als Zukunftsforscher bekannt gewordene ALVIN TOFFLER für die Flexibilisierung des Unternehmens, um der ansteigenden Umweltdynamik begegnen zu können.19 In dieser Zeit gewinnt „Wissensmanagement“ zunehmend an Bedeutung, es etabliert sich der Begriff der „lernenden Organisation“, der sich der Erkundung des Neuen durch Kollaboration und Co-Kreation mit Hilfe sogenannter Dynamic Capabilities (dynamische Fähigkeiten) widmet.20

Eine Übersicht verschiedener (theoretischer) Ansätze und Strömungen einer moderneren, flexibleren Organisationsgestaltung findet sich im Beitrag von BREHM in diesem Buch. Bei OESTEREICH/SCHRÖDER findet sich eine interessante Systematisierung der Entwicklungslinien und Einflussbeziehungen der verschiedenen Theorieströmungen, die dem heutigen Agilitätsverständnis zugrunde liegen.21

Vor allem in der Software-Entwicklung breiten sich in den 1990er Jahren aufgrund der ansteigenden Komplexität und Dynamik agile Ansätze immer mehr aus. Der Kern dieser Veränderungen wurde dann 2001 von einer Gruppe von Software-Entwicklern im sogenannten „Agile Manifesto“ zusammengefasst niedergeschrieben. In diesem Manifest ging es aber nicht um konkrete neue Methoden oder Tools, sondern um eine neue Haltung, um mit den Herausforderungen einer unsicheren und komplexen Umwelt Schritt halten zu können (vgl. Kapitel 2.3).

Vor dem Hintergrund dieses kurzen geschichtlichen Aufrisses kann Agilität bzw. kann eine agile Organisationsgestaltung daher getrost als konsequente Fortführung und Weiterentwicklung der Erkenntnisse und Studien der letzten Jahrzehnte betrachtet werden.

2.2 Zentrale Begriffe

Nachdem in Kapitel 1 die Notwendigkeit und in Kapitel 2.1 die Entwicklungsgeschichte von Agilität kurz erläutert wurden, soll nun ein Blick auf den Begriff Agilität und dessen Bedeutung geworfen werden. Aufgrund der unzähligen Ausgestaltungsvarianten in der Praxis existiert eine Vielzahl an Begriffsbestimmungen, die sich gefühlt ungefähr mit der Zahl „agiler“ Experten und Autoren deckt. Das bringt jedoch die Gefahr mit sich, dass durch die Erfindung und exzessive Nutzung immer neuer Begriffe der Blick für den eigentlichen Kern verloren geht. Daher sollen in diesem Kapitel zunächst die dem Agilitätsverständnis zugrunde liegenden Begriffe dargestellt werden.

Laut Duden bedeutet agil „von großer Beweglichkeit zeugend, regsam und wendig“22. Agilität steht also für Beweglichkeit und Wendigkeit. Im Business-Kontext steht Agilität für Wandlungs- bzw. Anpassungsfähigkeit, also die Fähigkeit, sich schnell an Veränderungen anzupassen. Ein häufig synonym verwendeter Begriff ist Adaptivität. Im Zuge der Entwicklung des „Agile Manifesto“ im Jahre 2001 setzte sich bei einer Abstimmung über die Bezeichnung der Begriff agil mit nur einer Stimme Mehrheit gegenüber adaptiv durch. Wäre diese Abstimmung anders ausgefallen, würde dieses Buch möglicherweise den Namen „adaptive Organisation“ tragen.23Wie Kapitel 2.1 gezeigt hat, ist die grundsätzliche Thematik bei weitem keine Neuheit des 21. Jahrhunderts, sondern wird in der Managementliteratur bereits seit langer Zeit diskutiert.24 In der Vergangenheit auch häufig unter dem Begriff Flexibilität.25

Allerdings hat sich unter dem Schlagwort Agilität in den letzten Jahren ein deutlich über die reine Anpassungsfähigkeit hinausgehendes Managementverständnis entwickelt. Agiles Management steht heute u. a. auch für ein kundenzentriertes Vorgehen und ein Empowerment der Mitarbeiter, als wesentliche Voraussetzungen für eine entsprechende Anpassungsfähigkeit (vgl. im Detail Kapitel 2.3 und 4).26 Agilität trägt dem unternehmerischen Anspruch Rechnung, in einer durch Unsicherheit und Komplexität geprägten Welt Veränderungspotenziale zu erkennen und, übertragen auf die eigene Situation, zu nutzen. Das bedeutet, Veränderung nicht nur reaktiv, sondern auch proaktiv zu gestalten.27 Es geht darum, auch in einer VUCA-Welt entscheidungs- und handlungsfähig zu bleiben.

Agilität steht für die Fähigkeit, in volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umfeldern in kurzer Zeit angemessen (re)agieren zu können – strategisch, organisatorisch und kulturell.

Um eine solche Agilität in Unternehmen zu erreichen braucht es diverse Elemente. Eine gute Systematisierung dieser Elemente bzw. verschiedener zentraler agiler Begriffe liefert die auf SCHELLER basierende Abbildung 2.28 Letztlich sind Unternehmen dann als agil zu bezeichnen, wenn die handelnden Akteure agil denken und handeln. Es braucht demnach eine agile Haltung bzw. ein agiles Mindset („agil sein“). Ein solches agiles Mindset lässt sich durch normative Werte beschreiben, die sich in Prinzipien bzw. Handlungsgrundsätzen manifestieren. Umgesetzt wird das agile Mindset über einzelne agile Praktiken (methodische Bausteine, z. B. Review, Task-Board, Backlog) sowie die Kombination verschiedener Praktiken in Form von ausgearbeiteten Prozessen und Strukturen (z. B. Scrum, SAFe, Holacracy). Durch die Anwendung von agilen Praktiken und Ansätzen wird agil gehandelt („agil machen“).

Abb. 2: Elemente von Agilität29

Die linke Seite der Abbildung steht für eine agile Kultur, der rechte Teil für eine agile Organisation. Zwar ist es letztlich entscheidend und daher erstrebenswert, dass die Akteure agil denken, weil sich das Handeln dann daraus ergibt. Allerdings ist es nicht möglich, direkt an der Kultur zu drehen. Einfach ein Hochglanzplakat mit neuen Leitlinien und Werten an die Wand zu hängen ist meist wenig hilfreich. Kultur ist von Natur aus sehr komplex, träge und lässt sich nur indirekt beeinflussen. Der Weg zur Kulturveränderung führt über die Veränderung des täglichen Verhaltens der Menschen, denn das Verhalten, das sich tagtäglich in der Kommunikation und der Zusammenarbeit zwischen den Menschen innerhalb der Unternehmensgrenzen und darüber hinaus zeigt, ist Ausdruck der Kultur, macht diese sichtbar. Daher steht auch die Kulturveränderung in Richtung Agilität im permanenten Wechselspiel mit dem Einsatz und dem Erleben agiler Ansätze. Durch das Ansetzen an der rechten Seite wird die linke Seite beeinflusst und über die dynamischen Wechselwirkungen die Grundlage für eine wandlungs- und anpassungsfähige Gestaltung agiler Ansätze auf der rechten Seite geschaffen. Deshalb fokussiert das vorliegende Buch und dieser Einführungsbeitrag auf die rechte Seite der Abbildung 2, die „agile Organisation“.

Der Begriff agile Organisation steht für Prozesse und Strukturen, die es ermöglichen, in volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Umfeldern in kurzer Zeit angemessen (re)agieren zu können.

Diesen Fokus auf die agile Organisationsgestaltung verdeutlicht auch die Abbildung 3. In den Kernkapiteln 6-8 dieses Einführungsbeitrags werden verschiedene agile Prozessmethoden sowie Strukturansätze vorgestellt, erläutert und bewertet. Dies soll dem Leser helfen, agil zu agieren und darüber – indirekt – auch eine agile Kultur zu entwickeln. Da die Prozesse und Strukturen immer von Menschen gelebt werden und daher eine Trennung von Organisation und Kultur nie ganz trennscharf sein kann, wird der wichtige Bereich der agilen Kultur aber nicht ganz ausgenommen, sondern im folgenden Kapitel 2.3 sowie im Kapitel 9 (agile Zusammenarbeit und Führung) in den notwendigen Grundzügen betrachtet. Die Beiträge von HARTMANN und SCHULLER/FUCKER befassen sich explizit mit einer agilen Kultur, und auch in vielen anderen Beiträgen wird der Kulturaspekt angesprochen.

Abb. 3: Zusammenspiel von agiler Kultur und agiler Organisation

2.3 Werte und Prinzipien

Um das Werte- und Prinzipiengerüst einer agilen Kultur bzw. eines agilen Mindsets zu verstehen, lohnt sich ein Blick in das „Agile Manifesto“ sowie ergänzend in die Grundlagen von „Lean Thinking“.

Das Agile Manifest aus dem Jahre 2001 (vgl. Kapitel 2.1) spiegelt die Einstellung und Haltung einer Gruppe von Software-Entwicklern wider, die feststellten, dass die damaligen Prinzipien und Arbeitsweisen der Software-Entwicklung nicht mehr zu den dynamischen Anforderungen passten, mit denen sie konfrontiert waren. Aus der Haltung „We are uncovering better ways of developing software by doing it and helping others do it“ hat sich ein Werte- und Prinzipiengerüst entwickelt, das heute über IT-Abteilungen hinaus auf alle Organisationsbereiche ausstrahlt. Den Kern des agilen Manifests bilden 4 normative Wertepaare und 12 Prinzipien bzw. Handlungsgrundsätze.30

Im Hinblick auf die agilen Werte heißt es:

Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Tools

Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation

Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlungen

Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans.

Diese vier Wertepaare verdeutlichen den tieferen Sinn von Agilität. Der Fokus liegt auf praktikablen, funktionierenden Lösungen, der Interaktion zwischen verschiedenen Individuen und mit dem Kunden sowie auf kontinuierlicher Veränderung bzw. Verbesserung. Es handelt sich aber bei den Aussagen oben nicht um unvereinbare Gegensatzpaare oder um die Feststellung, dass Prozesse, Tools, Dokumentation, Vertragsverhandlungen und Pläne obsolet oder überflüssig sind. Es zeigt vielmehr, dass die Bedeutung der Werte auf der linken Seite unter den aktuellen Rahmenbedingungen höher eingeschätzt wird und diese im Zweifel denen auf der rechten Seite vorgezogen werden. Auf dieser Grundlage dienen die Wertepaare als Leitlinie für die Priorisierung von Initiativen, Projekten und Aufgaben von der strategischen bis zur operativen Ebene (vgl. Kapitel 6-8).

Die folgenden zwölf agilen Prinzipien konkretisieren dieses Wertegerüst:

1.Kundenpriorität: Unsere höchste Priorität ist es, den Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung wertvoller Software zufrieden zu stellen.

2.Veränderungsgetrieben: Heiße Anforderungsänderungen selbst spät in der Entwicklung willkommen. Agile Prozesse nutzen Veränderungen zum Wettbewerbsvorteil des Kunden.

3.Funktionsfähige Inkremente: Liefere funktionierende Software regelmäßig innerhalb weniger Wochen oder Monate und bevorzuge dabei die kürzere Zeitspanne.

4.Zusammenarbeit: Fachexperten und Entwickler müssen während des Projektes täglich zusammenarbeiten.

5.Motivierte Individuen: Errichte Projekte rund um motivierte Individuen. Gib ihnen das Umfeld und die Unterstützung, die sie benötigen, und vertraue darauf, dass sie die Aufgabe erledigen.

6.Direkte Kommunikation: Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

7.Messung des Fortschritts: Funktionierende Software ist das wichtigste Fortschrittsmaß.

8.Gleichmäßiges Tempo: Agile Prozesse fördern nachhaltige Entwicklung. Die Auftraggeber, Entwickler und Benutzer sollten ein gleichmäßiges Tempo auf unbegrenzte Zeit halten können.

9.Exzellenz in Technik und Design: Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design fördert Agilität.

10.Einfachheit: Die Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren, ist essenziell.

11.Selbstorganisation: Die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe entstehen durch selbstorganisierte Teams.

12.Selbstreflexion: In regelmäßigen Abständen reflektiert das Team, wie es effektiver werden kann, und passt sein Verhalten entsprechend an.

Der Werte- und Prinzipienrahmen des agilen Manifests orientiert sich an bereits bestehenden Werten, Prinzipien und Rahmenwerken, die sich ebenso für eine schnelle, anpassungsfähige und lernende Organisation stark machen. So deckt sich die agile Grundhaltung in großen Teilen bspw. mit den Lean-Prinzipien, deren Vertreter Anfang der 1990er Jahre – motiviert durch die Erfolge des TOYOTA Production System (TPS) – auf den Plan traten (vgl. Kapitel 2.1). Kontinuierliche Verbesserung und das Streben nach Perfektion bilden das Fundament von Lean, dessen fünf Leitprinzipien sich auf agile Arbeitsweisen übertragen lassen bzw. Ähnlichkeiten aufweisen:31

Definiere den Wert aus der Sicht des Kunden – Schaffe ein gemeinsames Verständnis darüber, was dem Kunden wichtig ist, und richte dich darauf aus.

Identifiziere den Wertstrom – Denke die Prozesse vom Kunden zum Kunden (End to End) und setze diese effizient um, indem Du Verschwendungen eliminierst.

Erzeuge einen kontinuierlichen Arbeitsfluss – Schaffe eine optimale bereichsübergreifende Taktung und Synchronisation.

Führe das Pull-Prinzip ein – Ziehe Kundenaufträge durch den Prozess, jede Aktivität wird von der nachfolgenden Aktivität ausgelöst.

Strebe Perfektion an – Etabliere einen gemeinsamen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.

Die Grundhaltung von Lean (= schlank) ist es also, kundenorientierte Wertschöpfung ohne Verschwendung (jap. „muda“) zu schaffen. Der Kerngedanke spiegelt sich wohl am besten in dem fast schon philosophisch anmutenden 10. agilen Prinzip der Einfachheit wider, nämlich „der Kunst, die Menge nicht getaner Arbeit zu maximieren!“ Alle wertschöpfenden Aktivitäten werden kontinuierlich unter die Lupe genommen und so aufeinander abgestimmt, dass Verschwendungen aufgedeckt und eliminiert werden können. Zu diesem Zwecke wird ein bestehendes System aus zwei Perspektiven betrachtet:

1. aus der Sicht des Kunden, dessen Bedürfnisse optimal zu erfüllen sind

2. aus der Sicht des Unternehmens, das sich profitabel auf die Erfüllung dieser Bedürfnisse ausrichtet.

Das Ergebnis sind Wertschöpfungsstrukturen mit hoher Kundenorientierung und hoher Effizienz. Unzählige kontinuierliche Verbesserungsprozesse (KVP) und Wertstromanalysen orientieren sich heute an diesen Leitlinien und Prinzipien, deren Ursprünge auf Kaizen und folglich Lean zurückgehen und in vielfältigen Methoden und Werkzeugen zum Einsatz kommen, für die hier stellvertretend die 5S/5A-Methode (7 Arten der Verschwendung) zur effizienten und effektiven Arbeitsgestaltung genannt werden soll.32

Die ausgeführten Werte und Prinzipien aus dem agilen Manifest und ergänzend dem Lean-Umfeld machen ein agiles Mindset anschaulich und greifbarer. Sie sind aber nicht die einzig möglichen oder die allseits anerkannten Werte und Prinzipien von Agilität. Vielmehr haben diverse agile Methoden und Ansätze eigene Werte- und Prinzipiengerüste (vgl. Kapitel 6-8), die alle leicht unterschiedlich sind und etwas konkreter auf die spezifischen Modelle abstellen. Der Scrum Guide33 bspw. nennt die 5 Werte Offenheit, Mut, Respekt, Fokus und Commitment.

Außerdem finden sich diverse Unternehmen, die sich eigene, unternehmensspezifische Werte und/oder Prinzipien definieren. Und das ist auch legitim und kann sinnvoll sein. Übersetzt in das Leitbild eines Unternehmens, könnte ein agiler Werte- und Prinzipienrahmen exemplarisch wie in Abbildung 4 aussehen.

Abb. 4: Leitbild agiler Werte und Prinzipien (Unternehmensbeispiel)

Werte und Prinzipien liefern Leitlinien für erfolgreiche Zusammenarbeit in einer durch Komplexität und wechselnde Rahmenbedingungen geprägten Welt. Aber erst der Blick hinter die Werte- und Prinzipienkulisse offenbart die wirkliche Haltung im zwischenmenschlichen Umgang und nach welchen Kriterien und Maßstäben Entscheidungen wirklich getroffen werden. Solange die agilen Werte lediglich als Leitlinien an der Wand hängen, handelt es sich, wenn überhaupt, bloß um „agil machen“. Nur wenn das agile Handeln auch in ein agiles Denken übergeht, das sich in den Werten und Prinzipien widerspiegelt, entsteht ein agiles Mindset bzw. eine agile Kultur („agil sein“, vgl. Abbildung 2).

2.4 Adäquate Rahmenbedingungen

Wie in den bisherigen Ausführungen dargelegt, wird Agilität im Zuge der zunehmenden VUCA-Umwelt immer wichtiger. Aber ein agiles Vorgehen passt natürlich nicht immer und überall. Im Hinblick auf die Frage, wann agiles Denken und Handeln passen, helfen verschiedene Modelle. Als vereinfachte bzw. vereinfachende Abbilder der Realität helfen sie dabei, Situationen besser einzuschätzen und zu entscheiden, welche Handlungsstrategien sich auf Grundlage der jeweiligen Annahmen und Bedingungen für die Lösung bestimmter Vorhaben und Fragestellungen eignen.

Mit der sogenannten Stacey-Matrix34 und dem Cynefin-Framework35 haben sich in den vergangenen Jahren zwei Modelle durchgesetzt, die jeweils eine Einordnung verschiedener situativer Kontexte ermöglichen.

Fasstman die wesentlichen Erkenntnisse dieser beiden Modelle, wie in Abbildung 5 gezeigt, in einem Modell zusammen, so lassen sich vier Gestaltungsbereiche voneinander unterscheiden und entsprechende Handlungsstrategien ableiten.

Abb. 5: Typologie situativer Kontexte und Gestaltungsbereiche36

Die Verortung konkreter Vorhaben und Initiativen in diesem Schema orientiert sich an den Bekanntheitsgraden der relevanten Anforderungen (dem Was) und der Technologien, die zur Umsetzung der Anforderungen notwendig sind (dem Wie). Anforderungen bewegen sich im Spektrum zwischen absolut bekannt und komplett unbekannt. In den meisten Fällen liegt die Wahrheit irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Ähnlich verhält es sich mit den Technologien bzw. allgemeinen Lösungsansätzen, die sich für die Umsetzung der Anforderungen eignen. Auch sie liegen zwischen bekannt – erprobte, etablierte Technologien und Verfahren sind verfügbar – und unbekannt bzw. sind im Extremfall noch gar nicht existent.

Auf Basis dieser Matrix lassen sich 4 unterschiedliche Kontexte ableiten, in denen jeweils ein anderes Vorgehen angebracht ist:

Einfache Kontexte: Anforderungen sind bekannt und die Technologie ist vorhanden. Ursache-Wirkungszusammenhänge sind klar, eindeutig und vorhersagbar. Insofern liegt auch die gewünschte Lösung auf der Hand, die durch die Herangehensweise „erkenne, beurteile, reagiere“ erreicht werden kann. Hier empfiehlt sich die Anwendung bewährter Praktiken und Standards (Best Practices).

Beispiel: Mit der Bestätigung der AGB und dem Absenden des Warenkorbs durch den Kunden prüft das Bestellsystem die Plausibilität der Daten und versendet automatisch eine Bestellbestätigung inklusive der Versand- und Rechnungsdaten per E-Mail.

Komplizierte Kontexte: Die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung hängt von vielen Variablen ab, ist jedoch ermittelbar und nachvollziehbar. Für die Konkretisierung von Anforderungen und die Auswahl sowie den Einsatz der Technologie ist entsprechendes Fachwissen erforderlich. Über die Herangehensweise „erkenne, analysiere, reagiere“ eröffnen sich den Experten häufig mehrere Lösungsvarianten. Deshalb gibt es in diesem Fall auch keine Best Practices, sondern nur Good Practices.

Beispiel: Für den Neubau eines Hauses müssen verschiedene Gewerke Hand in Hand gehen. Neben Architekt und Statiker, müssen sich u. a. Dachdecker, Installateure und Trockenbauer synchronisieren und in Abstimmung mit dem Bauherrn den adäquaten Lösungsweg finden.

Komplexe Kontexte: Ursache-Wirkungszusammenhänge werden meist erst im Nachhinein erkannt. Sie entwickeln sich emergent und befinden sich in einer dynamischen Wechselwirkung. Anforderungen sind unklar und mehrdeutig und auch die Technologien sind nicht standardisiert und müssen ggf. adaptiert oder neu konstruiert werden. Durch die Herangehensweise „probiere, erkenne, reagiere“ werden Annahmen über die Anforderungen gebildet, getestet und auf dem Weg zur Lösung verworfen oder verfeinert.



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