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Rom, Provinz Noricum im Jahr 79 n. Chr. Der Tierarzt Magnus Crispinus ist mit seiner schwangeren Frau Lucilla auf dem Weg in die Stadt Aguntum, um ein neues Leben zu beginnen. Bereits die Anreise gestaltet sich schwieriger als erwartet, da sie überfallen werden. Dennoch erreicht das junge Paar sein Ziel. Da sie aber ihres gesamten Hab und Gutes beraubt wurden, stehen sie vor dem Nichts. Glücklicherweise bieten ihnen der Schmied Sulla und dessen Frau Hilfe und Unterkunft an, sodass ihre Zukunft erst einmal gesichert scheint. Hinter den Kulissen der idyllischen Stadt lauert aber das Schicksal, das mit Hilfe von Neid, Gier und Missgunst Magnus und Lucilla in Bedrängnis bringt. Bald schon unfähig Freund von Feind zu unterscheiden, taumeln die beiden von einer Gefahr zur nächsten und dabei ahnt noch niemand etwas vom bevorstehenden Angriff eines Keltenstammes auf Aguntum.
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Seitenzahl: 513
Veröffentlichungsjahr: 2017
Wolfgang Oberkofler
© 2017 Wolfgang Oberkofler
Umschlag, Illustration: Egon Oberkofler
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7439-0347-0
e-Book:
978-3-7439-0348-7
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
I
Die Zuschauer johlten, als es endlich zur Sache ging. Viele von ihnen hatten stundenlang in der brütenden Hitze gewartet, auf dass der Kampf endlich begann. Crassus Gnaeus, der Organisator dieses Schauspieles, war guter Dinge. Er hatte seine gesamte Werbemaschinerie in Gang gesetzt und erntete jetzt bereits erste Früchte. Und wie es sich für einen tüchtigen Geschäftsmann gehört, schmeckten ihm jene Früchte, die funkelnd blitzten und laut klimperten, wenn man sie in einem Beutel langsam aber stetig vermehrte, am allerbesten. Er hatte einen guten Plan für sein Vorhaben ersonnen, eine Gladiatorenschule – einen so genannten „Ludus“ – zu gründen und damit den Bürgern Unterhaltung und Abwechslung zu bieten. Natürlich hatte er dabei nicht nur das im Sinn, sondern vor allem auch seinen bereits nicht unerheblichen Reichtum zu vergrößern. So zog er bereits vor Wochen von seiner Heimatstadt Aguntum im Herzen der Provinz Noricum aus, um seinen Ludus zu bewerben. Da Gladiatorenkämpfe in der Gegend zwar bekannt waren, aber nur seltenst stattfanden, verdiente er bereits mit den Werbe- bzw. Schaukämpfen erkleckliche Summen. Umso mehr freute er sich über das rege Interesse hier in Sebatum.
In dieser „Mansio“, einer Art Raststätte, waren viele Leute und suchten Erholung, etwas zum Essen, vielleicht ein Bad, ganz gewiss und vor allem aber Zerstreuung von den Strapazen der Reise. Zugleich konnte sich Crassus sicher sein, dass jeder, dem sein Schauspiel gefiel, davon in allen weiteren Mansiones bis hin zum Ziele seiner Reise Kunde bringen und so indirekt zum Gelingen des gnaeus’schen Vorhabens beitragen wird.
Stolz stellte sich Crassus Gnaeus auf ein hölzernes Podest und sprach zu den Menschen, die bereits gespannt und ungeduldig auf den Beginn des Kampfes warteten. Seine Rede war kurz, gespickt mit Floskeln und sie umfasste einige Worte des Dankes an die Anwesenden, einige Worte des Lobes über die Mansio Sebatum und viele Worte darüber, was er gedachte, in Zukunft bieten zu wollen. Natürlich vergaß er dabei nicht, sich selbst und seine Interessen in den Hintergrund zu stellen, um als selbstloser Wohltäter wahrgenommen zu werden. Nach tobendem Applaus und „legt schon los“–Rufen aus dem Publikum gab er endlich den Kampf ganz in der Tradition der großen Arenen mit dem Wort „Agite!“ (= „Handelt!“) frei.
II
Bridei Mac Maelon hieß jener Mann, der von Crassus in den Kampf geschickt wurde. Er war ein ehemaliger Kriegsgefangener, der über unzählige Zwischenhändler schließlich in Canbodunum (dem heutigen Kempten in Bayern), einer Stadt in Rätien, auf einem Sklavenmarkt angeboten. Crassus Gnaeus, der eigentlich nur zufällig dort weilte, hatte ihn gesehen und sogleich erworben. Beim Kaufe des Bridei wurde seinem neuen Besitzer verheißen, einen geübten und äußerst wehrhaften Sklaven erstanden zu haben, der gewiss all dem entspräche, was von ihm erwartet werden würde. Ein einziger Wehrmutstropfen war, dass er der Sprache der Römer nicht mächtig war. Das war Crassus jedoch mehr als egal. Sein Eindruck des Mannes war gut, der Preis war annehmbar und sollten Wort und Handzeichen nicht genügen, so würde gewiss die Peitsche jedes Verständigungsproblem rasch lösen. Auf seine Anfrage hin, woher der Sklave wohl stammte, wurde ihm als Antwort Britannien genannt.
Bridei war noch ein Knabe, als er aus sicherer Entfernung die Schlacht seines Stammes der Icener unter der Führung ihrer Königin Boudicca gegen die Legionen Roms miterlebte. Seine Leute verloren die Schlacht, Boudicca wenig später ihr Leben und Bridei jeden Glauben daran, jemals mit Römern in Frieden zusammenleben zu können. So lernte er das Kämpfen und schloss sich schließlich mit Erreichen des Mannesalters einigen Widerstandskämpfern an, die gegen die Herrschaft Roms in Britannien einstanden. Bei einem der zahlreichen Überfälle auf die Besatzer, welche die betroffenen Legionen jedoch mehr als lästige Nadelstiche denn ernsthafte Bedrohung empfanden, gingen Bridei und zwei seiner Kumpanen allzu ungestüm und zügellos vor, so dass sie von Leichtsinn und Mordlust getrieben vom ursprünglichen Plane abwichen, nur um eine noch größere Anzahl der so gehassten Südländer entleiben zu können. Anfangs noch auf ihre Stärke und Ausdauer vertrauend, unterschätzten sie die Anzahl der Gegner und standen alsbald einer Unzahl von römischen Schwertern gegenüber. Schließlich, nach heftigen Kämpfen und vielen durchbohrten Leibern, mussten sie doch einsehen, mit ihrer planlos geführten Attacke gegen die geordnete Kriegsmaschinerie Roms nichts ausrichten zu können. So mussten sie sich gefangen nehmen lassen, denn die Römer verweigerten ihnen den ehrenvollen Tod auf dem Schlachtfeld. Nach langen Wochen und Monaten des steten Reisens kamen sie schließlich an jenen Ort in Rätien, wo sie alle in verschiedene Provinzen des Reiches ihres Feindes verkauft wurden. In den letzten Augenblicken ihres Zusammenseins schworen sich die drei Icener gegenseitig, dass, wenn immer sich ihnen die Gelegenheit bot, sie Römer – ob Bürger oder Soldat – ihres Lebens berauben wollten. Dann trennten sich ihre Wege für immer und Brideis Reise in die Heimat seines neuen Besitzers begann. Dabei dauerte es nicht lange und er durfte mit der Erfüllung seines Schwures, den er mit seinen Kumpanen tat, beginnen.
So auch jetzt wieder. Sein Gegner war ein in und um Sebatum ebenso bekannter wie gehasster Händler, der mehr durch seine abscheulichen und keines Römers würdigen Sitten auffiel, als durch die gewissenhafte Erfüllung seiner Pflichten. Dazu kam, dass er allzu viel dem Weine und den Würfeln zugewandt war, so dass er im Kampfe gegen den Sklaven leicht verdientes Geld wähnte. Da Crassus jedem, der seinen Bridei niederrang, die gesamten Einnahmen des Zuschaueransturms verhieß, stellte er sich allzu gerne dem Kampf. Eigentlich als einfacher Ringkampf geplant, der nicht tödlich, sondern lediglich mit dem Liegen eines der beiden Kontrahenten vor dem anderen enden sollte, entwickelte sich die Sache jedoch anders. Bridei hielt sich mitnichten an die Vereinbarungen, die vor dem Kampfe getroffen worden waren.
Des Händlers Kräfte waren erstaunlich und auch seine Gewandtheit trotz des feisten Bauches, den er vor sich her trug, überraschte Bridei. Um den Kampf nicht zu verlieren und so weiterhin seinem Schwure entsprechen zu können, warf er sein Gegenüber zu Boden – was ihm erst beim vierten Versuch gelang – und zertrümmerte dem Fallenden während seines Sturzes den Kehlkopf. Dieser blitzschnelle und für das Publikum nicht erkennbar geführte Schlag ließ den Händler ersticken und die Zuschauer glauben, er sei aufgrund des Sturzes und seines fetten Wanstes gestorben. Jubelnd feierten sie Bridei als Sieger und freuten sich, an etwas ähnlichem wie einem Gladiatorenkampf beigewohnt zu haben.
III
IV
Lucilla hingegen hatte nichts übrig für derlei Zerstreuung. Seit sie ihr Kind trug, waren ihr laute Menschenmassen zuwider. Sie schrieb dies ihren Umständen zu, da sie selbst – und wohl auch Magnus – gewahrte, wie leicht reizbar und aufbrausend sie geworden war. Doch jetzt genoss sie die Ruhe, die sie umgab. Lange bevor der Kampf auf dem großen Platze Sebatums begann, hatte sie sich nämlich ins Badehaus der Mansio zurückgezogen, um sich dort von den geübten Händen der Thermensklaven verwöhnen zu lassen. Die Thermen Sebatums waren zwar keineswegs so opulent ausgestattet wie jene in den römischen Städten, dennoch fand Lucilla alles, was ihr Herz begehrte. Vor allem aber hatte sie ihre Ruhe. Von den lärmenden Menschenmassen auf dem Kampfplatz bekam sie nur hin und wieder ein leises Raunen mit, was sie nicht allzu sehr störte. Im Gegenteil sogar: die meisten, die sich zurzeit in der Mansio aufhielten, wohnten dem Kampf bei und so kam es, dass sie beinahe das ganze Badehaus für sich alleine hatte. Lediglich im Warmwasserbecken döste ein älteres Paar vor sich hin. Dafür hatte Lucilla jedoch kein Auge. Zu gekonnt bearbeiteten sie die Hände der zauberhaft anzusehenden Thermensklavin, die – ebenso wie Lucilla selbst – völlig unbekleidet war. Zuerst nahmen die beiden gemeinsam ein Bad im Wärmebecken, dort wusch die Sklavin Lucilla die Haare und massierte sanft ihren Nacken. Dann verließen sie das Becken und begaben sich gemeinsam zu den Liegen im Ruhe- bzw. Massageabteil der Therme, nachdem sie das Kältebecken aufgrund ihrer Schwangerschaft gemieden hatte. Behutsam führte Naja – so der Sklavin Name – die Schwangere zu einer Liege, stützte sie bei den beiden Stufen auf dem Weg dorthin und hielt sie beim Hinlegen. Dann begann eine Prozedur des puren Genusses. Mit sinnlichen Bewegungen und einem stets freundlichen und vertrauenserweckenden Lächeln rieb Naja ihre Kundin am ganzen Körper mit einem wohlriechenden Öl ein. Behutsam und überaus zärtlich massierte sie die lauwarme Flüssigkeit buchstäblich in jede einzelne Pore von Lucillas wohlgeformtem Körper. Besonderes Augenmerk verlieh sie dabei dem sich abzeichnenden Bauch, den Brüsten und dem Schambereich. Lucilla hielt ob dieser Behandlung die Augen geschlossen und spürte so Najas Berührungen noch intensiver. Schließlich, als ihr Körper vom Öl glänzend vor der Sklavin ruhte, griff Naja in ein Ablagefach unter der Liege und holte eine rasiermesserscharfe Klinge hervor.
Lucilla zuckte leicht zusammen, als sie die kühle Klinge spürte, mit der die Sklavin nun begann, sie von Kopf bis Fuß zu enthaaren. Dies tat die geübte Sklavin so geschickt und von ständigen Streicheleinheiten begleitet, dass sich die vor ihr Liegende bald wieder völlig entspannt fallen ließ. Naja legte die Klinge erst wieder beiseite, als Kopfhaar und Augenbrauen als einzige Lucillas Körper zierten. Nun griff sie zu einem weiteren Instrument. Dies war einer Sichel nicht unähnlich, jedoch von geringerer Größe. Damit fuhr sie gewissenhaft über den ölverschmierten Körper ihrer Kundin und schabte so jeden Tropfen des Öls mitsamt anderen Unreinheiten ab. Dieser Vorgang dauerte recht lange und versetzte Lucilla – besonders als ihre intimeren Körperteile behandelt wurden – regelrecht in Ekstase. Kaum war Naja damit fertig, begann sie ihre Muskeln mit einer wohltuenden Massage zu behandeln. Die Sklavin wusste, dass bald gebärende Frauen entspannende Massagen äußerst schätzten und gab sich deshalb viel Mühe. Mit Erfolg. Lucillas Beine und Oberkörper entspannten sich deutlich, doch je weiter sich Naja zur Körpermitte vorarbeitete, desto eher schienen ihre Lockerungsübungen das Gegenteil zu bewirken. Lucilla gurrte bald vor Verlangen und sehnte sich Magnus herbei. Doch das Fingerspiel Najas war derart gekonnt, dass sie ihren Mann bald wieder vergessen hatte und nun spitze Schreie ausstieß. Dabei forderte sie das Mädchen auf, jetzt bloß nicht aufzuhören, was diese nur allzu gerne befolgte. Lucillas Schenkel öffneten sich immer weiter und luden Naja förmlich ein, auch diese Regionen ihres Körpers zu erkunden. Als sie mit der Hand die feuchte Hitze des Schoßes von Lucilla spürte, war es beinahe um sie geschehen. Ihre Bewegungen wurden fahriger und ungenauer, so sehr hatte die Lust nun auch die Sklavin ergriffen. Lucilla gewahrte dies und hauchte Naja ein heiseres „Vergiss dich nicht!“ zu. Augenblicklich begann Naja sich ebenfalls dort zu berühren, wo sie es bei Lucilla tat. Dabei flüsterte sie leise: „Danke Herrin“. Dennoch setzte sie die „Behandlung“ so gut es ging fort und ließ erst von Lucilla ab, als diese dreimal unter ihren Fingern erzittert war. Zufrieden bemerkte die Sklavin dann auch, wie ihre Kundin nun ganz und gar entspannt auf der Liege niedergesunken war und um einige Minuten der Erholung bat.
V
Als sich Crassus Gnaeus für die Darbietung seines Kämpfers genügend hatte loben lassen, die Menge wieder ihrer Wege gegangen war und Bridei Mac Maelon erneut sein Lager in einem abgesperrten Pferdewagen bezogen hatte, wartete Magnus Crispinus bereits in der Schänke Sebatums auf sein Weib. Er musste nicht lange ausharren, bis er sie von der Therme kommend erblickte. Ihr Gesicht war, wohl von der Hitze der Wärmebecken, noch immer gerötet und sie sah erschöpft aus. Glücklich, erschöpft und wunderschön.
Er liebte sein Weib über alles. Der glücklichste Mann im gesamten römischen Reich glaubte er zu sein und sie empfand dies ebenso. Als sie sich einst die Ehe versprachen, hatten beide nicht viel. Doch der Wille zur Arbeit und ihre gegenseitige Liebe ließen sie den Schritt wagen, ihre Heimat zu verlassen und ein Leben als reisende Tierärzte und Handwerker zu beginnen.
Magnus erkundigte sich nach dem Befinden seiner Liebsten, was sie mit einem zufriedenen Lächeln beantwortete.
„Der Kampf war allzu rasch entschieden, so dass ich nicht auf meine Kosten kam“, erzählte Magnus. „Das nächste Mal sollte wohl auch ich die Thermen besuchen, anstatt Geld für eine Prügelei auszugeben, die nicht einmal so lange währte, dass man einen Becher Wein dazu leeren konnte.“
Lucilla gab ihm schmunzelnd Recht und erkundigte sich nach dem Zeitpunkt ihrer Abreise.
„Der Fuhrmann, der uns mitnimmt, sitzt dort drüben und nimmt sein Mahl zu sich.“
Dabei zeigte Magnus auf einen eher grobschlächtigen, älteren Mann, der hastig den Inhalt einer Schüssel in sich schaufelte und dazu erhebliche Mengen Wein trank.
„Ich hoffe seine Pferde wissen wohin der Weg führt. Wenn ich mir das so ansehe, fürchte ich mit weiterer Fortdauer seiner Mahlzeit um die Klarheit seines Geistes“, gab Lucilla zu Bedenken.
„Sorge dich nicht, Geliebte. Er versicherte mir, den Weg schon oft befahren zu haben. Darüber hinaus beobachtete ich ihn, als er seine Tiere versorgte. Umsichtig und gewissenhaft tat er dies. Kein Pferdeknecht durfte mehr tun, als die Pferde zu tränken und zu bürsten. Er ist gewiss ein guter Fuhrmann.“
Kaum hatte Magnus seine Gattin beruhigt, klapperte das Geschirr auf dem Tisch des Pferdeführers, der sich schnaufend erhob und ihnen zu verstehen gab, dass es losgehen konnte.
Magnus lud hastig ihr weniges Hab und Gut auf den Wagen des Fuhrmannes, während der – zu Lucillas Entsetzen – herzhaft furzend und rülpsend seine Pferde anspannte. In der Zwischenzeit machte Lucilla es sich in einer Ecke des Wagens bequem. Glücklicherweise führte der Transporteur neben mehreren Amphoren voller bester Öle auch eine Menge Heu mit sich, welches zum einen zur Sicherung seiner zerbrechlichen Fracht, zum anderen auch zur Versorgung seiner Tiere während der Reise diente. Das Heu ermöglichte den beiden Passagieren so eine halbwegs komfortable Reise in dieser milden Frühsommernacht.
VI
Weniger komfortabel, dafür umso schneller war die Reise nach Aguntum für jemand anderen, der ebenfalls von Sebatum aus an diesem Abend aufbrach. Es war dies Crassus Gnaeus, der zurück nach Aguntum musste, da Geschäfte auf ihn warteten, die seine persönliche Anwesenheit erforderten. Er reiste allein. Seine Wachen und Sklaven kamen ihm später nach, da sie den Wagen mit Bridei und einen weiteren Karren mit verschiedenen anderen Gütern begleiten sollten. Unerbittlich trieb er seine Pferde voran. Er kannte die Straße gut und er wusste, wo er sie schnell befahren durfte und wo er dem Vorwärtsdrang seiner Zugtiere Einhalt gebieten musste. Der Wagen mit dem er fuhr war einer jener, mit denen er bzw. einer seiner Bediensteten bei Wagenrennen antrat. Eben aus diesen Wettkämpfen resultierte ein Großteil seines Vermögens. Den anderen Teil seines Reichtums erwarb er sich mit mehr oder weniger legalen Geschäften und Handeln. Gladiatorenkämpfe aber verhießen höhere Gewinne als Wagenrennen, auch wenn das Führen eines Ludus als unehrenhaftes Gewerbe galt. Trotzdem hatte er vor einigen Jahren beschlossen, auch in diese Branche einzusteigen. Nun, nach vielen Rückschlägen und bürokratischen Hürden, hatte er sich einen kleinen Ludus aufgebaut, den zu erweitern er stark im Sinne hatte. Dabei war er ausgesprochen hartnäckig bei der Sache und auch durchaus überzeugt, genauso erfolgreich zu werden, wie bei den Rennen. Und mit Kämpfern vom Schlage eines Bridei war er überzeugt, sein Ziel, in den großen Arenen des Imperiums von sich reden zu machen, bald erreichen zu können.
VII
Pentorax, der Kelte, beobachtete Aguntum mit Missfallen. Die Stadt weitete ihre Grenzen immer weiter aus. Nach Westen hin wäre und war es ihm egal, doch eine weitere Ausdehnung gen Norden konnte er nicht mehr länger dulden. Er war der Anführer eines keltischen Stammes, der seit Generationen in jenem Talkessel gelebt hatte, in dem Aguntum nun wucherte. Das Dorf des Pentorax war in weniger als einer halben Stunde strammen Rittes von Aguntums Ostmauern entfernt. Ursprünglich hatten die Kelten noch näher an der damaligen Römersiedlung gelebt, doch mehrere Gefechte mit den Römern, in denen die Neuankömmlinge stets siegreich blieben, drängten sie immer weiter in die östlichen Wälder und damit fort von dem heiligen Moor, welches nördlich der Römersiedlung lag. Hatten die Kelten trotz aller Feindseligkeit den Römern gegenüber (die manches Mal tiefer und andere Male weniger tief in ihren Herzen schlummerte) deren Baukunst doch stets bewundert, führte eben diese nun dazu, dass Pentorax langsam aber sicher zum Handeln gezwungen wurde. Die Baustellen Aguntums wurden immer tiefer in das Moor getrieben, immer mehr des heiligen Bodens wurde von den Römern trockengelegt, befestigt und überbaut. Die Druiden vom Volke des Pentorax hatten seit dem ersten Auftauchen der Römer davor gewarnt und jetzt wurde es Wirklichkeit. Bald würde jener Steg erreicht sein, über den die Druiden wandelten, wenn sie den Göttern Opfergaben darbrachten. Oder Pentorax selbst, wie auch seine Vorväter, die allesamt Anführer ihres Stammes waren, wenn sie den Rat der Götter suchten. Dieser Steg stellte die Verbindung her zwischen dem Hier und Jetzt und der Welt der Götter und Ahnen. Sollte diese Verbindung, diese Pforte, unterbrochen werden, so käme über Pentorax und sein Volk alles Schlechte aus dieser Welt und jener der Toten. Es konnte schlicht nicht anders sein, wenn kein Gott mehr half und auch der Rat der Ahnen keinen Weg mehr aus der Nachwelt zu den Lebenden finden würde.
Um dies zu vermeiden, hatte Pentorax einen Plan ersonnen. Erst trug er sich mit dem Gedanken, die Stadt anzugreifen, doch er fürchtete, zu wenige Krieger zu haben, um die Schlacht siegreich zu beenden. Denn wenn er nicht rasch siegte, würden Boten und Herolde ausgesandt werden und die so herbeigerufenen Legionen jeden weiteren Gedanken an Krieg und Sieg ad absurdum führen.
Als er diesen ersten Plan verworfen hatte, dachte er daran, sein Glück auf dem Verhandlungswege zu versuchen. So viele Leben würden verschont und so viel Leid vermieden werden. Doch als er bei den Administratoren der Stadt vorstellig wurde, hatten diese nichts als Hohn und Spott für ihn übrig.
Zurück in seinem Dorfe besann sich Pentorax dann erneut und fasste einen kühnen Plan, dessen letzte Fäden, die er vor fast sieben Jahren zu spinnen begonnen hatte, nun endlich zu einem Ganzen zusammengefügt werden sollten. Es bedurfte nur noch einer einzigen Nachricht. Einer Nachricht, der er nun schon seit Tagen gespannt harrte.
Plötzlich wurde der Keltenfürst aus seinen Gedanken gerissen, als neben ihm trockene Zweige brachen und sich ein Jüngling den Weg auf ihn zu bahnte.
„Pentorax! Der Druide schickt mich. Sie sind gekommen! Ich soll dir sagen: sie sind gekommen!“
VIII
Von weitem schon erblickte Crassus Gnaeus die gewaltige Mauer, die Aguntum gen Osten hin vom Lande der Barbaren absichern sollte. Er drosselte die Geschwindigkeit seiner Pferde, um den Wachen genügend Zeit zu geben, ihn zu erkennen und ohne weitere Kontrolle in die Stadt hinein zu lassen. Kaum hatte er die Mauern seiner Heimatstadt hinter sich gelassen und das mächtige Tor passiert, ordnete er seine Kleidung und lenkte seine Tiere im Trab bis vor die Tore seines prachtvollen Hauses, wo er bereits von drei Sklaven erwartet wurde. Kaum hatten die Tiere angehalten und Crassus den Wagen verlassen, führte einer der drei Leibeigenen die Pferde in die Stallungen, wo sie von ihrem Geschirr befreit und versorgt wurden. Der zweite seiner Diener nahm seinem Herrn den von der Reise staubbedeckten Umhang ab und legte ihm einen neuen, sauberen an. Der dritte, welcher der jüngste und auch bei weitem der gepflegteste der drei war, brachte Crassus indes mit schnellen Worten auf den neuesten Stand über die jüngsten Geschehnisse in und um Aguntum.
Crassus Gnaeus liebte solche Auftritte. Deshalb pflegte er sie vorzugsweise mitten in der Stadt auf der Hauptstraße, dem so genannten Decumanus Maximus, abzuhalten und nicht etwa dezenter und bescheidener im Vorhof seines Hauses. Täte er dies, hätte womöglich nicht jedermann sehen können, wie wichtig, reich und geschäftig Crassus Gnaeus war. Schließlich, als er sich lautstark und öffentlich bei seinem Sklaven beklagt hatte, wie viel er zu tun habe und dass ihm nicht ein einziger ruhiger Moment gegönnt sei, verabschiedete er sich sozusagen von der Bühne und begab sich in seine eigenen vier Wände. Dort schlug er sogleich einen anderen Ton an. Er gab barsch Befehle, verlangte etwas zu trinken und zu essen. Vor allem aber wollte er ein Bad. Zu aller Bediensteten Glück hatte Crassus Gnaeus’ Eheweib Namda rechtzeitig von seiner Rückkehr erfahren. Da sie ihren Mann allzu gut kannte, wartete bereits ein heißes Bad mit Rosenblättern und duftendem Öl auf ihn. Sie selbst lag lasziv und nur aufs spärlichste bekleidet auf einer Liege neben dem Becken und sah zu, wie eine Sklavin ihren Gatten auszog und mit einer Mischung aus Massage und Waschung den Staub der Reise abspülte. Dabei prahlte er unentwegt, welch gute Geschäfte er abgeschlossen hatte und welche Halunken seine Geschäftspartner dennoch waren.
Als er seinen Redefluss für einen Moment unterbrochen hatte, begann augenblicklich Namda zu erzählen. Sie sprach davon, wie unerträglich heiß es in letzter Zeit doch gewesen war und welcher ihrer zahlreichen Sklaven negativ und welcher positiv in Erscheinung getreten war.
Zu guter Letzt beteuerten sie sich gegenseitig mehrere Male und von Mal zu Mal in schwülstigeren Formulierungen verpackt, wie sehr sie sich doch liebten und vermisst hatten.
Als endlich die Sklavin die Waschung ihres Herrn beendet, sich um seine dabei entstandene Erektion gekümmert und Crassus anschließend noch abgetrocknet hatte, umhüllte sie ihn mit einer neuen, strahlend weißen Toga. Dann ging er zu seiner Frau, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und sagte noch einmal: „Ich habe dich vermisst.“
Dann begab er sich in seine Geschäftsräume, wo bereits ein lang ersehnter Gast auf ihn wartete. Um ihren Gatten nicht zu stören, gab sich Namda nun derselben Behandlung hin, die er soeben genossen hatte.
Jener Mann, der bereits seit Längerem auf Crassus wartete, zog seine Hand eilig aus der üppig gefüllten Obstschüssel zurück, die auf des Hausherren Tisch stand und reichte sie zum Gruße. Crassus schien beeindruckt von der Größe des Mannes und der überaus feste Griff seiner Hand verriet ihm, dass er nicht nur groß, sondern auch recht kräftig sein musste.
„Ich grüsse dich Koleos und freue mich, dich endlich in meinem Hause willkommen heißen zu dürfen. Mit deiner Hilfe wird mein Name gewiss bald weitum bekannt sein“ sprudelte es aus Crassus heraus. Tatsächlich freute er sich ungemein über die Ankunft jenes Mannes, von dem er sich so viel erwartete.
Koleos sollte ihm nämlich helfen, aus den Männern, die er zu Gladiatoren machen wollte, gefährliche, gute und vor allem am Leben bleibende Kämpfer zu machen. Der bisherige Ausbilder war dieser Aufgabe nicht gewachsen gewesen, so dass Crassus sich genötigt sah, einen Besseren für diese Mission zu finden. Und wer könnte wohl Gladiatoren besser unterrichten, als einer, der 15 Jahre lang selbst in der Arena kämpfte? Koleos focht in den größten Arenen, tötete unzählige Gegner und wurde schließlich vom Kaiser selbst entlassen. Sein Lanista und auch er selbst hatten Unmengen an Geld mit diesen Kämpfen verdient. In seinen letzten fünf Jahren als aktiver Gladiator genoss er sogar jede Menge Sonderbehandlungen. So zum Beispiel durfte er in einem eigenen Hause in der Nähe des Ludus leben und nicht in den – trotz des Reichtums seines Lanistas – heruntergekommenen Unterkünften der übrigen Gladiatoren. Er durfte sich auch relativ frei bewegen. Dazu kam, dass er bei lediglich drei bis vier Kämpfen im Jahr anzutreten hatte und zwar bei jenen mit den höchsten Gewinnaussichten für seinen Besitzer. In der restlichen Zeit fungierte er bereits im Ludus seines Herrn als Ausbilder für seine eigenen Mitstreiter und Nachfolger. Schließlich, im Spätsommer vor sieben Jahren, trat er bei Spielen an, denen sogar der Kaiser des gewaltigen römischen Imperiums beiwohnte. Der Kaiser war dermaßen begeistert von der Kampfkunst des langsam ergrauenden Koleos, dass er beschloss, diesen „überragenden Akteur der Dramen des Sandes in der Arena“ nicht mehr länger den Gefahren seines Geschäftes auszusetzen. Er ließ Koleos’ Lanista von dieser Entscheidung in Kenntnis setzen und sie ihm mit einem äußerst großzügig gefüllten Beutel Sesterzen versüßen. Dann bedachte er den überraschten und nicht minder erfreuten Koleos in der vollbesetzten und vor Jubel tobenden Arena mit einem Holzschwert, dem Rudis, welches als Zeichen für die sofortige und ehrenhafte Freiheit stand. Auch sollte es ihn für immer an das Erlebte in Ludus und Arena erinnern.
„Ah, ich sehe du trägst dein Rudis bei dir“, sprach ihn Crassus sogleich fasziniert und neugierig an. Ruckartig schnellte die Hand des ehemaligen Gladiators an den Griff der hölzernen Auszeichnung, die er stets, gleich einem richtigen Schwerte, an seiner Seite trug.
„Wie du siehst. Und ich werde es bis an das Ende meiner Tage tun“, antwortete er mit rauchiger Stimme.
„Dann hoffe ich, dass dir dieses Vorhaben gelingt“, sagte Crassus, um dann sofort zum Geschäftlichen zu kommen. „Wann kannst du deine Arbeit aufnehmen? Ich hoffe doch sofort. Oder informierten mich meine Herolde falsch?“
„Nein Crassus, das taten sie nicht. Ich kann unverzüglich beginnen. Sag, wie weit sind deine Kämpfer? Was können sie, welche Gattungen an Kämpfern hast du?“
„Nicht so schnell, ich kann deinem Tatendrang kaum folgen!“, lachte Crassus begeistert. „Meine Männer sind recht geübt im Kampfe, doch würde ich sie eher als barbarische Straßenschläger bezeichnen, als sie in Gladiatorengattungen zu unterteilen. Ohnehin bin ich der Meinung, dass eine Einteilung erst erfolgen sollte, wenn Spiele in größeren, bekannteren Arenen stattfinden. Vorerst sollte es genug sein, die Kämpfe siegreich und so unversehrt wie möglich zu überstehen. Doch was erzähle ich dir das alles. Du weißt davon ohnehin viel mehr. Bei Gelegenheit möchte ich von deinen Geschichten und Erlebnissen so viele wie möglich hören. Doch jetzt nicht. Ich muss mich um weitere Geschäfte kümmern. Ich bin ein viel beschäftigter Mann. Einer meiner Diener wird dir den Weg zum Ludus weisen, wo du dein erstes Geld von mir zu erwarten hast. In einem oder zwei Tagen wird ein weiterer Kämpfer dort eintreffen, um den du dich ganz besonders kümmern musst. Meine bescheidene Meinung von ihm ist, dass er der beste Totschläger ist, den ich in meinen langen Jahren als Beobachter gesehen habe. So denke ich weiters, dass er all das in sich birgt, was einen glänzenden Gladiator ausmacht.“ Darauf antwortete Koleos schlicht: „Dessen werden wir uns bald vergewissern. Hol deinen Sklaven, auf dass er mir den Weg in den Ludus weise.“
Der Tatendrang, den sein neuer Angestellter an den Tag legte, gefiel Crassus. Leider war sein Gehalt unverschämt hoch. Dafür hatte er sich auch anzustrengen.
„Naja. Wer weiß, vielleicht kürze ich ihm seinen Verdienst. Wenn er nicht sofort Erfolge vorweisen kann, werden wir neu verhandeln müssen“ dachte der angehende Lanista, während er seinem treuesten Sklaven seine Aufgaben erklärte. Schließlich verabschiedete sich der Geschäftsmann, erneut über die drückende Last der Verpflichtungen klagend und verließ den Raum.
Heute wollte er nichts mehr tun. Zurück bei seiner Namda ließ er sich Wein und Käse bringen und verlebte so den Rest des Tages mit und in seiner Frau.
IX
Von derlei Vergnügungen und Luxus konnten Lucilla und Magnus nur träumen. Die Kühle der Nacht und der kalte, feuchte Morgen brachte sie um alle Genüsse des unbeschwerten Reisens. Doch dies wäre leicht ertragbar gewesen, wäre nicht inmitten eines Laubwäldchens ein allzu geeignetes Plätzchen gelegen, das sich für Gesetzlose geradezu anbot, heimtückische Überfälle auf Reisende zu verüben. Natürlich hatte der Fuhrmann seine beiden Passagiere auf diese mögliche Gefahr hingewiesen. Zugleich aber hatte er sie beruhigt, da er für Räuber äußerst unattraktive Güter mitführte und zugleich sein Wagen in der Gegend recht bekannt war. Doch leider trieb hier seit einigen wenigen Wochen eine neue Bande ihr Unwesen. Deren Mitglieder waren äußerst habgierige und skrupellose Gesellen und da sie allesamt nicht aus dieser Gegend stammten, wussten sie nichts von bekannten Pferdekarren und zum Raub ungeeigneten Gütern. Ihr Credo war, dass jedermann etwas von Wert bei sich zu haben pflegte. Und sei der Betrag an Münzen auch noch so bescheiden, er machte sich auf alle Fälle besser in den Beuteln der Räuber, als in denen der rechtmäßigen Besitzer.
So geschah es, dass der Fuhrmann, Magnus und Lucilla, nicht das Geringste ahnend, geradewegs in dieses Wäldchen und somit in die Hände und vor die blanken Klingen der gezückten Schwerter und Dolche der Räuber fuhren.
„Halte deine Pferde im Zaum und ich werde dies auch mit meinen Kumpanen und deren Schwertern tun!“, rief der offensichtliche Anführer der Gauner dem Fuhrmann zu. Der hielt unverzüglich seine Tiere an und flüsterte Magnus und Lucilla zu: „Magnus, gib deinen Geldbeutel deinem Weibe und du, Weib, setze dich darauf und sorge dafür, dass sie deinen Kindsbauch gut sehen. Vielleicht wird sie das davon abhalten, allzu brutal vorzugehen. Verbrechen an kindstragenden Weibern werden viel härter bestraft. Das sollte uns helfen. Magnus, du machst dich bereit zum Kampfe. Man weiß ja nie. Steig langsam mit mir vom Wagen. Ich stecke dir dann einen Dolch zu. Ich hoffe du kannst damit umgehen.“
Darauf erwiderte Magnus nichts und Lucilla musste zusehen, wie ihr Geliebter aufstand und vom Karren stieg. Dabei gelang es dem Fuhrmann tatsächlich von den Räubern unbemerkt einen Dolch an Magnus weiterzureichen, der ihn sogleich in den Falten seines Gewandes verbarg. Er tat dies keinen Augenblick zu früh, denn schon waren die Räuber bei ihnen. Der Fuhrmann verfluchte sich, nicht schon eher angehalten zu haben, nämlich sobald er die wilden Gesellen gesehen hatte. Das hätte ihnen mehr Zeit gegeben, sich abzusprechen. So hingegen musste er darauf vertrauen, dass Magnus und auch Lucilla nichts Unbedachtes und Törichtes taten.
„Ihr habt den falschen Wagen zum Raube auserkoren“ rief er dem Anführer zu. „Ich und meine Begleiter hier transportieren nur Öl für Aguntums Schänken und Tavernen. Geld haben wir keines dabei, da wir erst bei Abgabe unserer Lieferung bezahlt werden.“
„So, so! Du hast also Begleiter. Das ist recht ungewöhnlich für Händler, wie du einer bist“ knurrte der Gauner ungläubig.
„Na, so ungewöhnlich doch auch nicht, werter Räuber. Sieh doch selbst. Ich bin nicht mehr der Jüngste und die Amphoren sind mit ihrem Gewicht meinen Kräften weit überlegen. Ich schaffe es nicht, sie alleine auf den Wagen zu laden und deshalb hilft mir mein Schwiegersohn. Sein Weib, meine Tochter, erwartet in Bälde ein Kind und will deshalb nach Aguntum. In einer Stadt niederzukommen ich doch allemal erstrebenswerter, als in einer Mansio oder gar einer Mutatio zu gebären. Findet ihr nicht?“
Dabei sah der Fuhrmann von einem der finsteren Gesellen zum nächsten und stellte fest, dass der Großteil derer, die ihnen hier gegenüberstanden, wohl neu waren im Gewerbe der Gaunerei, da sie recht unsicher und nervös wirkten. Auch schauten sie immer wieder zu jenem Manne, der mit dem Fuhrmann sprach, welcher auch der älteste und wohl einzig erfahrene der Bande zu sein schien.
Jener sagte skeptisch: „Und neben deiner schwangeren Tochter, deinem Schwiegersohn und einigen Amphoren an Öl führst du eine Menge Heu mit dir. Ob das deine Pferde fressen oder ihr es in erster Linie benutzt, um etwas zu verstecken, ist eine gute Frage!“
„Oh, glaube mir, das Heu ist für meine Tiere. Was sollte ich darunter verstecken?“
„Das wollten wir herausfinden!“, brüllte der Räuber und schickte einen seiner Männer zum Wagen, um nachzusehen. Zögerlich ging dieser an den Pferden vorbei zum Karren und sah ihn sich genauestens an.
„Scheint so zu sein, wie er sagt“ murmelte der Gauner.
„Ah, dann kannst du also durch Heuhaufen sehen?! Das hättest du uns schon früher sagen können, dann hätten wir sie nicht aufhalten müssen! Nimm jetzt dein verfluchtes scheiß Schwert und stich damit in die verdammten Heuhaufen, dann wirst du merken, ob etwas darunter verborgen ist! Na los! Mach schon! Sonst wird mein Dolch herausfinden, wie weit er in deinen Arsch vordringen kann!“, kläffte der Anführer zornesrot. Dann murmelte er zu sich selbst: „Dieser verfluchte Bastard wird es schon noch schaffen, dass wir entdeckt werden.“
Dazu sollte es aber nicht mehr kommen.
Der Räuber tat wie ihm geheißen und als er den Heuhaufen, an dem Lucilla lehnte, untersuchte, tat er dies mit solcher Vehemenz, dass sie sich an der knapp neben ihr aus dem Heu hervorblitzenden Klinge erschrak und empor schnellte. So kam es schließlich, dass der von seinem Anführer so sehr Gescholtene die beiden Beutel mit Geld und den Utensilien, die Magnus für sein Handwerk brauchte, bemerkte.
Sofort und ohne dass der Räuberhauptmann ein weiteres Wort verlieren musste, kam scheinbar aus dem Nirgendwo ein äußerst kleinwüchsiger Mann gelaufen. Dieser zum Kampf ungeeignete Zwerg wurde als hinterlistiger Dieb eingesetzt, der sich die Beute schnappen konnte, während alle Aufmerksamkeit auf seinen Kumpanen lag. Dann verschwand er so schnell wie er gekommen war, wieder zwischen den Bäumen und Sträuchern um das Diebesgut in Sicherheit zu bringen, auf dass es später unter allen Mitgliedern der Bande aufgeteilt werden konnte. Während dies geschah, hatten sich die übrigen Räuber mit zum Stoße bereiten Schwertern an den Fuhrmann, der neben Magnus stand, angenähert und der Anführer zischte grimmig: „Ach, du hast also nichts außer Öl und Heu auf deinem Karren? Na, jetzt wird es schon stimmen. Du verlogener Mistkerl hättest es dir auch einfacher machen können. Hier. Ich habe etwas für dich, du Lügenmaul!“
Darauf schlug er dem Fuhrmann mit dem Griff seines Schwertes so kraftvoll mitten ins Gesicht, dass dieser taumelte, während hellrotes Blut aus seiner Nase quoll. Magnus musste sich indes gegen zwei weitere Verbrecher behaupten. Während der Fuhrmann zu Boden ging, stieß der Anführer der Räuber plötzlich einen erstickenden Laut aus und sank ebenso zu Boden. Keiner der Umstehenden hatte nämlich bemerkt, wie just in dem Moment, als der Schwertgriff die Nase und noch einige weitere Gesichtsknochen brach, der Fuhrmann seinen Dolch tief in seines Peinigers Leib stieß. Als dieser mit überraschtem Gesichtsausdruck langsam starb, waren seine Gefährten wie gelähmt vor Schreck. Dies nutzte Magnus aus und entleibte sogleich einen seiner Gegner. Ein kurzer, kraftvoll geführter Schnitt durch die Kehle beendete das verbrecherische Dasein jenes üblen Gesellen, dessen Nebenstehender nun, von jedem Mut verlassen, seine Waffe zu Boden fallen ließ und eiligst das Weite suchte. Zugleich suchte ein weiterer der Räuber sein Heil in der Flucht.
Und auch Lucilla blieb nicht untätig. Sie versuchte, eine große Amphore voller Öl vom Wagen aus auf eben jenen Gauner zu stoßen, der sie mit seinem Schwerte aufgeschreckt hatte. Ihre Kraft reichte dazu jedoch nicht aus, so dass das tönerne Behältnis lediglich mit einigem Getöse vom Karren polterte und neben seinem eigentlichen Ziel zu Boden stürzte und zerbarst. Dennoch war dies ausreichend, um den ohnehin nur leidlich zum Gauner Geeigneten zur Flucht zu drängen.
All dies geschah so schnell, dass aus der aufgeschlitzten Kehle des einen Räubers noch immer Blut hervorsprudelte. Dafür hatte jedoch keiner der drei Überfallenen einen Sinn über. Magnus und Lucilla verfolgten mit ihren Blicken die Flüchtenden so lange, bis sie sie im Unterholze nicht mehr erkennen und hören konnten. Dann erst wandten sich beide dem Fuhrmann zu, der noch immer benommen auf dem Boden saß. Er schien sich jedoch bereits langsam zu erholen, da er immer ärgere und wüstere Flüche ausstieß.
Magnus stürzte auf ihn zu und half ihm auf den Wagen, wo er sogleich seine Verletzungen zu untersuchen begann.
„Deine Nase ist gebrochen, so wie auch noch weitere Knochen in deinem Gesicht. Das kann gefährlich werden, wenn es allzu sehr anschwillt. Wenn du anfängst schwer zu atmen, musst du es mir unverzüglich sagen, dann müssen wir dein Gesicht mit kaltem Wasser kühlen.“
Der Fuhrmann nickte und spuckte blutigen Schleim aus.
„Ein Medicus für Tiere sagt mir, was ich zu tun habe. Nun, dann scheint die Hure, bei der ich neulich lag, wohl doch Recht gehabt zu haben, als sie mich ob meiner Manieren einen wilden Eber nannte. Stellt euch vor, das sagte mir eine, deren beste Tage weit schon hinter ihr lagen und die ich nur wegen ihres geringen Preises nahm. Doch nun, führe du die Pferde Magnus. Wir sollten von hier verschwinden. Wenn wir erneut auf Räuber treffen, so haben wir nun immerhin zwei Trümpfe in der Hand.“
Als Lucilla und Magnus den offensichtlich recht Unbekümmerten fragend und schmunzelnd anstarrten, fuhr dieser – nachdem er erneut einen blutigen Schleimbatzen ausgespuckt hatte – fort: „Tja, zum einen habt ihr nichts mehr, das euch gestohlen werden kann und zum anderen nimmt gewiss jeder, der Augen im Kopfe hat, Reißaus, wenn er meine Fratze sieht.“
Daraufhin machten sich die drei lachend auf den Weg nach Aguntum, wo sie nach einigen Stunden bereits vor dem großen Stadttor standen. Die Torwachen hörten sich zwar die Geschichte der drei mit Bedauern an, versicherten ihnen zugleich aber auch, dass sie nichts weiter tun könnten, da „die Zeiten nun einmal schlimm und unsicher“ seien und ohnehin bekannt sein sollte, dass „allerlei gefährliche Gestalten, ob Barbaren oder Räuber in der Weite des Landes sich tummeln“. Darüber hinaus sollten sie froh sein, sich noch des Lebens erfreuen zu können, da ihr Abenteuer „ohne weiteres auch hätte anders ausgehen können“.
Den Dreien blieb also nichts weiter übrig, als sich mit der Untätigkeit der Wachmänner oder vielmehr mit deren fehlendem Willen zur Erfüllung ihrer Pflicht, abzufinden.
Da der Fuhrmann sich darüber so sehr aufgeregt hatte, dass seine Verletzungen wieder zu bluten begonnen hatten, eilten sie weiter. Hoffend, einen Medicus zu finden, dem es nichts ausmachte, zu solch früher Stunde zu praktizieren. Bereits nach kurzer Suche fanden sie jemanden, der sich aufs Heilen geschundener Glieder und Leiber verstand. Dennoch verhielt sich der Arzt recht mürrisch; es war immerhin noch immer einige Stunden vor Sonnenaufgang. Dementsprechend wenig zimperlich war er, als er die Nase des Fuhrmannes untersuchte und auch dessen restliches Gesicht abtastete. Als er die sichtlich schmerzhafte Prozedur beendet hatte und seine Prognose verkündete, meinte er wenig schmeichelhaft: „Es sollte nicht gefährlich sein. Die Knochen werden gewiss heilen. Als junger und hübscher Knabe hättest du mehr Grund mit deinem Schicksal zu hadern. So aber hält sich der angerichtete Schaden in Grenzen.“
Magnus und Lucilla waren beide schockiert über die Offenheit des Medicus, die fast schon die Grenze zur Beleidigung überschritt. Der Fuhrmann jedoch schien dies anders zu sehen: „Was faselst du von Schönheit und Jugend? Das eine hatte ich von Geburt an nie und das andere liegt schon weit zurück. Das einzige was mich interessiert ist, ob ich arbeiten und Geld verdienen kann.“
Dann sagte er noch, dass er erst seine Ware verkaufen müsse, bevor er die soeben erlittene Versorgung bezahlen könne. Dabei schnaubte der Medicus genervt und murmelte: „Lass dir dabei bloß nicht zu lange Zeit. Und nun geht. Ich will versuchen, dem Rest der Nacht noch etwas Schlaf abzutrotzen.“
Kaum vor der Türe des Arztes, trieb der Fuhrmann Magnus und Lucilla wieder zur Eile an.
„Jetzt, da gewiss ist, dass mir nichts allzu Grobes widerfahren ist, müssen wir uns eilen. Ich habe noch die Amphoren abzuladen, denn tagsüber darf ich mit meinem Wagen nicht in der Stadt sein. Des Tages gehören die Straßen dem Volke. Des Nachts den Gewerbetreibenden.“
Er nahm dabei auch keinerlei Rücksicht auf die schwangere Lucilla, die darüber aber nur lächelte.
So luden die drei ihre Amphoren vor dem Zugang zum Macellum, der Markthalle Aguntums, ab. Dort mussten sie stehen bleiben, bis der Besitzer, für den der Fuhrmann den Transport durchgeführt hatte, kommen und sie auf seinem Stand zum Verkaufe anbieten würde. Schließlich waren die Amphoren abgeladen und die Pferde samt Wagen auf einen geeigneten Platz gebracht, da gab der Fuhrmann Magnus die Hand und sagte bedauernd und sich entschuldigend: „So also trennen sich unsere Wege. Die Reise war weniger langweilig als angenommen, auch wenn ich nicht umhinkomme zuzugeben, etwas weniger aufregende Fahrten zu bevorzugen. Das Erlebte war mir doch etwas zu spannend. Doch genug der Scherze. Ich bin froh, euch an meiner Seite gehabt zu haben. Wärt ihr nicht gewesen, hätten die faulen Wachen am Tore womöglich niemals mein erhabenes Antlitz erblicken können.“
Dabei tastete er seltsam grinsend sein Gesicht ab und entschuldigte sich ein weiteres Mal für die Mühen. Auch dass er ihnen nicht einmal etwas zum Essen anbieten konnte, bedauerte er. „Doch wie gesagt, ich werde erst wieder Geld bei mir haben, wenn die Amphoren übergeben wurden und dann muss der Medicus auch noch entlohnt werden. So gehabt euch denn wohl. Und bedenke: erst wenn die Stadt erwacht und auf den Straßen, besonders aber im Macellum, Leben eingekehrt ist, darfst du, Magnus, dir Hoffnungen machen, Arbeit zu finden.“
Dann gab er ihnen noch einen Rat, wie sie die Zeit bis dahin verbringen konnten und ihre Wege trennten sich.
X
„Cornelius, oh Freund, welch Wohltat, dich zu sehen. Ich eilte so schnell mich meine und meines Rosses Beine trugen zurück. Ein Bote brachte mir die Nachricht deiner Ankunft, während ich Aguntum beobachtete. Oh, bei allen Göttern, wie sehr hoffe ich, dass du dich mit deinem Stamme meiner und meines Volkes Sache anschließt!“
Pentorax sagte diese Worte zu Cornelius Crus, dem Anführer eines benachbarten Keltenstammes. Vor einiger Zeit hatte er ihn in seinem Dorf aufgesucht und seinen Plan zum Sturz Aguntums unterbreitet, in der Hoffnung, in ihm einen mächtigen Verbündeten zu finden. Der Stamm von Cornelius Crus umfasste nämlich mehr als dreimal so viele Mitglieder wie jener des Pentorax. Auch lebte Cornelius weitestgehend in Frieden mit den Römern, die recht nahe an seinem Dorf siedelten. Doch im Gegensatz zu Pentorax, der in mehr oder weniger offener Feindschaft zu seinen römischen Nachbarn lebte, hatte Cornelius Crus es geschafft, offene Feindschaft gegenüber den Römern in seinem Dorf zu unterdrücken. Das soll jedoch nicht heißen, dass keinerlei Feindseeligkeiten da waren, sie beschränkten sich aber lediglich auf Betrügereien bei Geschäften oder auf Diebstähle, wobei streng darauf geachtet wurde, das Dorf und deren Bewohner nie verdächtig werden zu lassen. Aus diesem Grund hatte sich Cornelius Crus die Entscheidung mit Pentorax gegen Aguntum zu ziehen, nicht einfach gemacht. Sogar noch während der Reise hierher in dessen Dorf hatte er sich alle Punkte, die dafür sprachen, sowie all jene, die es nicht taten, ein letztes Mal durch den Kopf gehen lassen.
„Pentorax, die Entscheidung, die ich traf, ist mir wahrlich nicht leicht gefallen. Einerseits hasse ich die Römer ebenso wie du. Sie nehmen auch uns unseren Boden weg und sie versuchen vielfach, uns von ihren Göttern zu überzeugen und uns die unseren auszureden. Andererseits jedoch muss ich sagen, dass mir das Leben, so wie es derzeit ist, gefällt. Wir haben Frieden, gute Handelsbeziehungen mit ihnen und du musst auch zugeben, dass wir durch sie auch angenehme Seiten des Lebens kennen gelernt haben. Oder bist du nie in einer ihrer Thermen gewesen? Oder nach schlechten Ernten auf ihren Märkten, um Getreide zu kaufen? Oder kleidest du dich nicht gerne in ihre warmen Stoffe, wenn des Winters Grimm deine Lande in seinen Fesseln hält? Wie gesagt: Pentorax, ich habe mir die Sache gut und reiflich überlegt und deine Argumente unzählige Male gegeneinander abgewogen.“
Pentorax war zum Zerreißen gespannt auf die Entscheidung des Cornelius Crus. Kaum etwas mehr als drei Monate waren vergangen, dass Pentorax seinem Verbündeten in spe sein Vorhaben erörtert hatte. Cornelius Crus war erstaunt gewesen über die Detailliertheit der Informationen, die Pentorax aus und von Aguntum und dessen Bräuchen, Sitten und wichtigen Menschen hatte. Auch dass Pentorax bereits vor Jahren schon die Weichen für diesen Plan gestellt hatte, beeindruckte ihn. Er hatte ihm nämlich von lange schon in der Römerstadt eingeschleusten Spionen erzählt, die ihn in regelmäßigen Abständen von allem berichteten, was in der Stadt vorging. Sogar Arbeiter und zwei Beamte in Diensten Aguntums gehörten zu eben jenen Spionen.
Niemals zuvor hatte Cornelius Crus gehört, dass ein Gegner so genau studiert, analysiert, ja sogar von seinem zukünftigen Widersacher in seinen Geschicken beeinflusst worden war. Zugleich fühlte er sich geschmeichelt, dass er mit seinem Volk von Pentorax zur Mithilfe auserkoren wurde. Zwar waren Einzelheiten wie der genaue Ablauf der Schlacht nur in groben Zügen besprochen worden, doch das verstand Cornelius zur Gänze. Wie sollte Pentorax auch einen Angriff planen, ohne zu wissen, wie viele Krieger ihm schlussendlich zur Verfügung stehen würden?
Das einzige, was ihm im Zusammenhang mit dem Krieg von Pentorax sicher verheißen wurde war, dass nach einer möglicherweise verlorenen Schlacht Cornelius selbst und auch sein Stamm nichts zu befürchten haben würden. Dann nämlich würde Pentorax die volle Verantwortung übernehmen und sich zum Wohle aller den Römern ausliefern. Sollte die Schlacht um Aguntum jedoch die Kelten zum Sieger küren, würde Pentorax von seinem Status als Oberhaupt seines Stammes zurücktreten und ein normaler Bürger unter Cornelius’ Herrschaft werden. So wäre einerseits jener Kelte, der Aguntum angriff, nicht oder nur mehr sehr erschwert auffindbar für die Römer bei ihren gewiss folgenden Vergeltungsschlägen und andererseits erhielt Cornelius Crus zur Vergeltung für sein dem Pentorax entgegengebrachtes Vertrauen mehr Macht und könnte so sein Ansehen unter den Kelten und deren Stämmen weiter ausbauen. Er hätte nämlich wenig zu befürchten von der Rache der Römer, die in ihm seit vielen Jahren schon keinen Aggressor mehr sahen und auch in Zukunft nicht sehen würden, weil jede Beteiligung am Angriff geheim bliebe.
Recht gute Aussichten also für Cornelius Crus, der sich nach dem Gespräch mit Pentorax fast vollständig sicher war, die Schlacht, wenn sie denn endlich stattfände, zu gewinnen. Natürlich nur – und dessen war er sich ebenfalls sicher – wenn Pentorax bei der Planung des Angriffes und der folgenden Schlacht ebenso gewissenhaft, überlegt und akkurat vorginge, wie bisher. Dieses zu verlangen und auch zu kontrollieren war er schließlich selbst in das Dorf des Pentorax gekommen, wo er nun einem auf seine folgenden Worte gespannten Manne gegenübersaß.
Bedeutungsschwanger räusperte er sich mehrmals und sehr geräuschvoll. Langsam öffnete er seinen Mund und sagte mit ruhiger Stimme: „Ich habe meine Götter, die ja zu einem großen Teile auch die deinen sind, befragt und auch die Weisen meines Stammes. Die Entscheidung war trotz allem nicht leicht. Krieg bedeutet immer auch Entbehrung, Tod und Leid. Auch wenn der Sieg uns und unserem Volke gehören sollte. Dennoch bin ich der tiefen Überzeugung, dass Kelten zusammenstehen sollten. Eins sein gegen die Usurpatoren unseres Landes. Deshalb sage ich dir: Pentorax, meine Krieger sollen die deinen sein!“
Über alle Maßen erleichtert lachte Pentorax ob dieser Worte auf. Er wusste, nun eine reelle Chance auf Erfolg zu haben und rief sein Weib herbei, auf dass ein großes Fest gegeben werden sollte. Endlich war dies letzte Zahnrad in seine Maschine des Krieges eingefügt worden, so dass ihr nun Leben eingehaucht und sie gegen den Feind gerichtet werden konnte.
XI
„Oh, welch grandiose Idee des Fuhrmanns!“, stöhnte Lucilla, die im Warmwasserbecken der Thermenanlage Aguntums ihrem Mann gegenübersaß. Magnus hatte die Augen geschlossen und erwiderte lediglich ein lang gezogenes „Mhm“. Auch er genoss es, hier zu sein und sich die Strapazen und vor allem die Kälte ihrer unerfreulichen nächtlichen Reise aus den Knochen baden zu können. Dennoch zerbrach er sich insgeheim den Kopf darüber, wie nun alles weitergehen sollte. Er hatte sich große Sorgen um Lucilla und ihr ungeborenes Kind gemacht. Doch nun schien ihm, als habe sie alles gut überstanden und er war froh, sich etwas ausruhen zu können. Er blickte zu seiner Frau hinüber und sah, dass sie ruhig schlief. Magnus selber jedoch konnte keinen Schlaf finden, da sie trotz aller Harmonie und Entspanntheit ein großes Problem hatten. Da sie ausgeraubt wurden, hatten sie folglich keinerlei Habe mehr. Sie besaßen lediglich das, was sie mit sich trugen; und das war ihr Gewand. Der Verlust des Geldes – immerhin die Ersparnisse der letzten drei bis vier Monate – hätte ihm weniger ausgemacht, doch was wirklich schmerzte und Magnus überaus bedauerte, war das Abhandenkommen seines gesamten Werkzeuges. Da er spezielle Geräte und Utensilien besessen hatte, die ihm bei seiner Tätigkeit als Tierheiler gute Dienste geleistet hatten, würde sich die Ausübung seines Berufes bis auf weiteres schwieriger gestalten, als geplant. Dies würde sich auf sein Einkommen in nicht unerheblicher Weise negativ auswirken, was wiederum einen längeren Aufenthalt in Aguntum erschweren würde.
Je mehr Magnus darüber nachdachte, desto schwerer fiel es ihm, die angenehme Wärme des Bades zu genießen. Die Angebote der überaus zahlreichen Massier-, Rasiersowie Lustsklaven und –innen mussten er und Lucilla samt und sonders ausschlagen. Der einzige Dienst, den sie in Anspruch nehmen konnten da er umsonst angeboten wurde, war die Wäscherei der Therme.
„Den Göttern sei Dank, dass am frühen Morgen der Besuch der Therme nichts kostet!“, dachte sich Magnus, während er sich leise erhob und nachsehen wollte, wie es um seiniges und Lucillas Gewand bestellt war.
„So schaue ich wenigstens nicht aus wie ein Barbar, wenn ich mich um Arbeit bewerbe“, sinnierte er, nachdem ihm mitgeteilt wurde, dass die Gewänder gereinigt wurden und bereits trockneten. Er müsse jedoch noch etwas warten, da die feuchte Morgenluft die Trocknung nicht gerade begünstige. So blieb Magnus nichts weiter übrig, als wieder zu seiner Frau zu gehen, die immer noch die wohlige Wärme ihres Bades genoss.
In der Zwischenzeit mussten wohl weitere Gäste eingetroffen sein, die die morgendlichen Vergünstigungen des Badehauses in Anspruch nehmen wollten, da er die Stimmen mindestens zweier weiterer Menschen – einer Frau und eines Mannes – vernahm. Er kümmerte sich jedoch nicht weiter darum und sah seiner Frau zu, wie sie ruhig vor sich hin döste. Nach einer Weile jedoch forderte die Natur ihren Tribut und er musste sich in die Latrinen zurückziehen. Auf dem Weg dorthin hörte er wieder die Stimmen von vorhin. Die beiden schienen sich in den Massageräumen aufzuhalten, die in Hörweite zu dem stillen Örtchen waren, auf dem Magnus nun saß. Es war ihm unangenehm, in dieser delikaten Situation einem Gespräch fremder Leute zuhören zu müssen. Wären mehrere Besucher in der Badeanstalt, so würde deren Geschwatze, Gestöhne und Geplansche für etwas mehr Intimsphäre sorgen, doch das Schicksal hatte anderes vor.
Die Unterhaltung, so viel er mitbekam, war recht dramatisch. Der Mann musste ziemlich im Zwiespalt seiner Gefühle stecken, da er einmal über den „famosen Geschäftsabschluss“ frohlockte, einige Augenblicke später aber bereits wieder mit weinerlicher Stimme klagte, „den Auftrag nie und nimmer zur gewünschten Zeit abarbeiten zu können“. Wieder nur wenige Sekunden später knurrte er verärgert verächtliche Worte über seinen Geschäftspartner, der „durch ein Übermaß an Geld und Einfluss höchst unseriöse Geschäftsgebaren an den Tag legte“.
Magnus wurde immer unruhiger. Zum einen, weil er sein „Geschäft“ ebenfalls noch nicht wie geplant zum Abschluss gebracht hatte, da er einerseits und neugierig den Worten jenes Unbekannten lauschte und andererseits beim Verrichten seiner Notdurft immer etwas gehemmt war, wenn er Leute in seiner unmittelbaren Nähe wusste. Zum anderen steigerte sich seine Unruhe, weil er gewahrte, wie die Stimme des Mannes immer lauter wurde und näher kam.
Doch er machte sich vergebens Gedanken. Der Mann kam nämlich in die Latrine und setzte sich Magnus gegenüber auf den Abort.
Dass dieser Mann die Hemmungen, die Magnus plagten, nicht hatte, wurde offensichtlich, als er seinen Darm lautstark entleerte und dabei auch seiner Blase Erleichterung verschaffte. Während er dies tat, grüßte er freundlich und Magnus grüßte zurück. Da des Mannes Leib wohl noch zuviel Luft enthielt, erhob er sich nicht gleich, sondern entließ sie in kurz aufeinander folgenden, äußerst kräftigen Schüben.
Dies löste endlich Magnus’ Hemmungen, denn er konnte sich plötzlich mit dem befassen, weshalb er eigentlich hergekommen war. Als er sein Geschäft endlich verrichtet hatte, musste er geradezu erlöst wirken, denn der Mann sagte zu ihm: „Ja, auch mir fällt es schwer der Natur zu folgen, wenn ich das Rechte aß. Du solltest wohl rotes Fleisch und trocken Brot meiden. Nicht ganz, versteh mich nicht falsch, doch denke ich, dass in deinem Falle weniger mehr sein könnte. Mir zum Beispiel erleichtern oftmals Nüsse und ölhaltige Früchte wie Oliven und Kerne den Gang zu den Latrinen.“
Magnus erklärte ihm daraufhin, was es mit seiner Blockade auf sich hatte und so kamen die beiden rasch ins Gespräch. Der Fremde stellte sich als Sulla Theodorius vor und Magnus nannte ihm ebenfalls seinen Namen.
Nun – einander vorgestellt – begann Sulla zu erzählen.
Zu Magnus’ Verwunderung erzählte Sulla, als ob sie sich seit Jahren schon kennen würden. Er klagte darüber, zu viel zu tun zu haben und dass die Auftragslage „die Kräfte eines einzelnen Mannes übersteige“. Des Weiteren monierte er, dass er wochen- und monatelang kaum zu tun gehabt hätte und jetzt allem Bitten und Betteln zum Trotz so kurze Lieferzeiten verlangt würden, die sein kleines Gewerbe niemals würde einhalten können. Bei allem Klagen hatte Sulla vergessen, dass Magnus das Gesagte überhaupt nicht einordnen konnte. Er lauschte den Worten Sullas und dachte sich dabei, dass er bisher noch keinen Geschäftsmann getroffen hatte, der sich über eine gute Auftragslage so sehr beklagte. Auch dass Sulla noch mit keiner Silbe erwähnt hatte, welchem Gewerbe er nachging, schien diesem noch nicht aufgefallen zu sein.
Doch gerade in jenem Moment, da Magnus seinen redseligen Gesprächspartner darauf aufmerksam machen wollte, ertönte von den Wasserbecken her eine Frauenstimme, die nach Sulla rief.
„Oh, gewiss sein Weib. Wenn sie ebenso mitteilungsbedürftig wie er ist, kann ich mich auf etwas einstellen“, dachte Magnus besorgt. Als Sulla die Latrine verlassen hatte und den Rufen seines Weibes gefolgt war, atmete Magnus erleichtert auf. Doch als er sich bereits von der Plaudertasche erlöst wähnte, rief Lucilla nach ihm. Und als nach zweimaligem Rufen seiner Frau die Stimme Sullas in das Geschrei mit einstimmte, dachte Magnus bereits an einen Scherz. Dem war jedoch nicht so. Tatsächlich schien Lucilla sehr aufgeregt zu sein.
Auf sein nun ebenfalls nervöses Fragen hin – er befürchtete bereits Probleme mit dem Kind in ihrem Bauche – begann sie in hastigen Worten zu erzählen.
„Als du in der Latrine weiltest, kamen diese beiden netten Leute in die Therme. Als dann Sulla ebenfalls genötigt war, die Aborte aufzusuchen, gesellte sich sein Weib, deren Name Claudia ist, zu mir in das Becken. Sogleich vertieften wir uns in ein Gespräch und sie schlug mir etwas vor. Magnus, Liebster, ich bin so aufgeregt. Erzähle du weiter, oh Claudia!“
Diese ließ sich nicht lange bitten und begann: „Nun, da du ja bereits im Bereich der Latrinen warst, hast du sicher das Klagen und Jammern meines Gatten vernommen?“
Magnus nickte lächelnd während Sulla leicht errötete.
„Ich schlug deinem Weibe und dann meinem Sulla ganz einfach vor, euch bei uns zu Hause aufzunehmen, auf dass ihr ein Dach über dem Kopfe und wir einen tüchtigen Gehilfen haben. Nachdem mir Lucilla berichtete, was euch widerfuhr, finde ich dies eine gute Lösung für alle. Zumal dein Weib dein Geschick bei allerlei Handwerk erwähnte. So sollte Magnus meinem Mann in dessen Schmiede zur Hand gehen und Lucilla mir bei meinem Gewerbe helfen. Natürlich nur soviel und so lange, wie deine Umstände es dir gestatten.“
Magnus blieb wie angewurzelt stehen. Er konnte sein Glück nicht fassen. Vor wenigen Minuten noch hatte Magnus sich damit abgefunden, bis auf weiteres als Tagelöhner arbeiten zu müssen. Ohne sein gewohntes Werkzeug konnte er seine Tätigkeit als Tierheiler nur eingeschränkt ausüben und die Arbeit als Tagelöhner war sehr unsicher, da spezialisierte Handwerker es nicht gerne sahen, wenn ihnen ein Fremder die Arbeit abnimmt. Die einzige Möglichkeit, sicheres und regelmäßig ausbezahltes Geld zu erhalten, wäre die Legion. Doch obwohl Magnus im Kampfe geschickt zu sein glaubte, wäre ein Leben in ständiger Gefahr und zudem womöglich noch weit entfernt von Lucilla und ihrem ungeborenem Kinde nicht das, was er seiner Familie bieten wollte.
In Magnus’ Augen standen Freudentränen. Sah er doch jetzt eine halbwegs sichere Zukunft für sich und die seinen. Dazu kam, dass Sulla ihm gewiss dabei helfen würde, passendes Werkzeug für sich zu fertigen, so dass er seinem recht lukrativen Geschäft als Tierheiler wieder nachkommen konnte. Er hatte sich nämlich vor Jahren geschworen nur mehr spezielle Messer und Zangen bei dieser Arbeit zu verwenden. Damals führte er nämlich die Hufpflege bei einem Pferd mit einem normalen Dolch durch, was darin gipfelte, dass ein Hinterlauf des Tieres ihn ziemlich unsanft gegen einen Zaun bugsierte, da er das spitze Schneidewerkzeug versehendlich zu tief führte. Doch das war jetzt alles vergessen und vorbei. Vor Freude noch immer überwältigt, kam auch nach mehrmaligem Anlauf nicht mehr als ein aufgeregtes Japsen über seine Lippen und so beschloss Sulla etwas zu sagen und seinen neuen Gehilfen seinen Gedanken zu überlassen.
„Nun, ich denke es ist alles gesagt und da ich keinen Widerspruch vernommen habe, gehe ich davon aus, dass unser Vorschlag nicht nur in unserem, sondern viel mehr noch in eurem Sinne ist. Wir sollten also nach Hause gehen, um, nachdem ihr euch etwas ausgeruht habt, in Ruhe noch einmal darüber zu sprechen.“
Er klang wie ein Gelehrter, der versuchte, sein weinerliches Gehabe von vorhin vergessen zu machen, indem er möglichst hochgestochen und seriös wirken wollte. In ihrem Freudentaumel fiel dies jedoch weder Lucilla noch Magnus auf, so dass lediglich Claudia von Sullas Bemühungen Notiz nahm und verschmitzt schmunzelte. Ihre prächtige Laune rührte aber nicht nur davon, zwei Gehilfen – die womöglich irgendwann zu Freunden werden konnten – gefunden zu haben, sondern auch von einer neuen, guten Idee, die ihr gerade eben gekommen war.
Wenige Augenblicke später kam einer der Sklaven von der Wäscherei und brachte die Mitteilung, dass die Gewänder von Lucilla und Magnus fertig wären. So verließen alle vier wenig später die Therme in Richtung des Hauses von Sulla.
Glücklicherweise sollte sich der Weg als nicht allzu lang erweisen, denn sowohl Lucilla, als auch Magnus mussten unumwunden zugeben, dass die Ereignisse der letzten Nacht ihnen mehr zugesetzt hatten, als ihnen bis dato bewusst war.
Während des kurzen Fußmarsches berichtete Sulla voller Stolz über die Besonderheiten seines Domizils, gab Anekdoten aus der Bauphase zum Besten und lobte sich ob der Tatsache, alles selbst geplant und es „beinahe zur Gänze mit den eigenen Händen“ errichtet zu haben.