Alaaf für eine Leiche - Gereon A. Thelen - E-Book

Alaaf für eine Leiche E-Book

Gereon A. Thelen

4,8

Beschreibung

Karneval in Köln: Kommissar Peter Merzenich feiert ausgiebig die Fünfte Jahreszeit. Doch dann wird die Karnevalsfreude jäh durch den Mord am Trainer der Tanzgruppe "Fidele Rheinschiffer" unterbrochen. Bald geschieht in der Altstadt ein weiterer Mord. Wieder ist das Opfer Mitglied einer Karnevalstanzgruppe. Ein Mord aus Konkurrenz zwischen Karnevalsvereinen? Wussten die Opfer zuviel über die Methoden einer Firma, die gezielt Schwarzarbeiter ausbeutet? Bald deutet eine Spur auf einen mysteriösen Mann im Indianerkostüm. Ihren Höhepunkt erreicht die Jagd nach dem Täter im Trubel des Rosenmontagszugs.

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Inhalt

Prolog

1. Kapitel: Feiern

2. Kapitel: Erste Ermittlungen

3. Kapitel: Mordkommission „Rotberg“

4. Kapitel: Hausbesuche

5. Kapitel: Die Aalglatten

6. Kapitel: Die Niehler Fescherjunge

7. Kapitel: Auf Indianerjagd

8. Kapitel: Geständnisse

Epilog

Danksagung

Prolog

Wie vor jedem Auftritt hatte ich ziemliches Lampenfieber. Zwar waren wir eine eingespielte Truppe, aber gegen die Nervosität half das nichts. So standen wir im Foyer des Kristallsaals im Messekongresszentrum und nippten an unserem Kölsch. Ich schaute auf die Uhr: schon zehn. Noch gut fünfzehn Minuten, dann würde unsere zwanzig Mann starke Truppe der „KG Löstije Kuletschhöt vun 1982 e.V.“ unter der Leitung unseres Kommandanten Erich Koslowski den Einmarsch des Elferrates in den Festsaal begleiten und einige kölsche Lieder zum Besten geben.

Ich stand mit meinen Vereinskameraden Marcel und Dario etwas abseits vom Rest der Truppe an der überfüllten Theke. Unter den anwesenden Gästen schien keine allzu große Karnevalsstimmung zu herrschen. Wie für die Prunksitzungen der großen Karnevalsgesellschaften üblich, zeigten sich hier die Wichtigen und Prominenten aus Köln und Umgebung. Ums Feiern ging’s bei solchen Veranstaltungen nur am Rande. Man zeigte sich, seine neueste Rolex, die junge Geliebte und den maßgeschneiderten Smoking. Ein reines Schaulaufen.

Ich schaute mich um. Und tatsächlich, meine zugegebenermaßen voreingenommene Meinung wurde vollends bestätigt. Die wirklich kostümierten Gäste konnte man an zehn Fingern abzählen. Von den smokingtragenden und havannarauchenden Wirtschaftsbossen wurden die Cowboys und Clowns angestarrt, als wären sie von einem anderen Stern. Ich hasste solche „Events“. Wenn sie unserem Verein keine schöne Stange Geld eingetragen hätten, wäre ich der Letzte gewesen, der solche Möchtegern-Shows besuchte. Ein Gespräch wollte bei der herrschenden Lautstärke nicht so recht aufkommen. Dario und Marcel wirkten auch nicht gerade sonderlich motiviert, sie lehnten gelangweilt an der Theke. Ich winkte den gestressten Kellner heran und bestellte ein weiteres Kölsch. Aus den Lautsprechern ertönte „Superjeile Zick“, der karnevalistische Durchbruch für Brings. Neben mir unterhielt sich ein Yuppie mit seiner Gefährtin über „Personalmanagement“ und die „Einsparung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze“. Ein Thema, das seine Herzensdame sichtlich langweilte und gar nicht zu einer Karnevalssitzung passte. Erich kam auf uns zu. Langsam wurde mir in meinem bunten Lappenkostüm warm, ich nahm das schwarze Lack-Tschako – auf Kölsch „Kuletschhot“ –, das unserem Verein seinen Namen gab, zusammen mit der feuerroten Clownsperücke vom Kopf und wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Erich, der mit Hartmut Groß, unserem 2. Vorsitzenden, zu uns herüberkam, umarmte Marcel und mich freundschaftlich.

„Und Jungs, alles klar? In fünf Minuten ist die Pause vorbei, dann marschieren wir mit dem Elferrat ein. Denkt dran: Immer lächeln. Wir wollen doch schließlich Spaß und Freude vermitteln, oder?“

Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand Erich wieder. Sein langjähriger Freund Hartmut, Marcels und mein ehemaliger Dienstgruppenleiter, der mit seinem rotblond-weißen Bart und dem freundlichen Dackelblick Herzlichkeit nur so ausstrahlte, zwinkerte uns zu und folgte ihm in Richtung der Stehtische in der Mitte des Foyers, an denen noch einige weitere Mitglieder unseres Vereins standen. Meine beiden väterlichen Freunde, zwei sonst sehr zurückhaltende Menschen, waren an Karneval doch jedes Jahr wieder aufs Neue in ihrem Element. Ich konnte ihre Begeisterung an diesem Abend nicht teilen. Irgendwann fragte ich Marcel schließlich, ob meine Clownschminke nicht verwischt war, um wenigstens ein bisschen zu reden. Es half aber nicht viel. Nach einem gemurmelten „Nä!“ ebbte das kaum begonnene Gespräch wieder ab. Also widmete ich mich meinem inzwischen vierten Kölsch. Es beruhigte meine angespannten Nerven ein wenig.

Dann waren wir endlich an der Reihe. Die Jungs vom Elferrat in ihren Fräcken und den Narrenkappen auf den Köpfen stürmten zu der Tür, die den Weg in den spiegelverkleideten Kristallsaal freigab. Erich klatschte ein paar Mal in die Hände und wir bezogen unsere Einmarschpositionen. Dario hatte sich mit unserer Vereinsstandarte als Erster aufgestellt, danach kam der Rest der Truppe. Unter dem Beifall der Menge zogen wir zu dem Bläck-Fööss-Klassiker „Schötzefess“ in den durch etliche Scheinwerfer erhellten Saal. Eine enorme Hitze schoss mir entgegen; ich fühlte, wie das Clownskostüm an meinem Körper klebte. Jetzt hieß es nur, freundlich zu lächeln und die nächsten zwanzig bis fünfundzwanzig Minuten durchzuhalten. Der Gedanke an meine bevorstehende freie Woche, in der ich den „richtigen“ Karneval in vollen Zügen genießen würde, hielt mich aufrecht.

Der übertrieben freundliche und gespielt witzige Sitzungspräsident begrüßte in schlechtem Kölsch die langsam wieder in den Saal eintrudelnden „leev Fastelovendsfründe“ und sagte alsdann ein „Highlight des kölschen Fasteleers“ an. Damit war unser mit bunten Lappenkostümen, roten Perücken, Pappnase und nachgebildetem Polizei-Tschako bekleideter Männerchor gemeint. Die Kapelle setzte auf ein Zeichen Erichs hin ein und begann mit dem ersten Lied. Ich hakte Marcel und Eugen, die links und rechts neben mir standen, unter, und begann zu schunkeln. Aus voller Brust schmetterten wir der nicht besonders begeistert wirkenden Menge den Willi-Ostermann-Hit „Heimweh nach Köln“ entgegen, das, als sehr melancholisches Lied, eher als Abschlussnummer gepasst hätte. Nach drei weiteren Liedern des größten Kölner Komponisten wurden wir mit „Drei Mol Kölle Alaaf“ verabschiedet. Den Geschmack des Publikums hatten wir offensichtlich nicht getroffen. Dafür waren die Gäste zu borniert und unser Bühnenprogramm zu konservativ.

Es war inzwischen Viertel vor elf, der einzige Auftritt an diesem Tag lag hinter uns. Ich beschloss, gemeinsam mit Marcel und Dario noch ein bisschen im Foyer zu bleiben und ein paar Kölsch zu trinken. Der Rest der Truppe wollte nach Hause, schließlich stand uns eine anstrengende Woche bevor. Wir hatten ja gerade mal Dienstag, den 25. Februar. Mit Weiberfastnacht und Rosenmontag lagen die Sessionshöhepunkte noch vor uns. Erst in einer Woche würde die „fünfte Jahreszeit“ vorbei sein. Nur gut, dass ich mir – dank genügend Überstunden – freigenommen hatte. Nach ein paar Gläsern Kölsch tauten Marcel und Dario langsam auf. Wir erzählten Witze und alberten herum. Mit zunehmendem Alkoholpegel gewann auch die langweilige Party an Attraktivität. Wir nickten dem Wachmann an der Saaltür freundlich zu, betraten den Sitzungsraum und bewunderten das Bühnenprogramm von Bernd Stelter, der eher den Geschmack des Publikums zu treffen schien als wir. Ich zog die rote Pappnase aus, das Tschako und die Perücke hatte ich schon im Umkleideraum abgelegt.

„Der Bernd hat dieses Jahr wieder ein super Programm, was?“, meinte Marcel.

„Auf jeden Fall. Sollen wir noch ein Kölsch trinken?“ Ich blickte Marcel und Dario fragend an.

„Na klar. Wir haben doch morgen alle frei“, sagte Dario.

„Ihr faulen Beamten vielleicht. Ich hab morgen ein wichtiges Meeting mit einem meiner Kunden. Muss um halb elf in Münster sein.“

„Jetzt stell dich mal nicht so an, Marcel. Kommt, ich geb noch einen aus!“ Ich trieb Marcel und Dario vor mir her ins Foyer. Der Kellner schaute mich genervt an. „Noch drei Kölsch, die Herren?“

„Was für ’ne Frage. Na klar!“ Aus dem Saal ertönte Bernd Stelters Version des Smokie-Hits „Alice“, „Ober Zack ’n Helles“. Die Leute tobten.

Ich ließ meinen Blick durch das relativ leere Foyer streifen. Ein paar Meter vor uns bereitete sich eine Tanzgruppe auf ihren bevorstehenden Auftritt vor. Eines der Mariechen machte einen Spagat, ein paar junge Männer machten Dehnübungen. Sie alle trugen weiße Matrosenuniformen. Ich hatte die Truppe schon öfter gesehen, sie zählte zu den besten ihrer Zunft. Die „Fidelen Rheinschiffer“ waren eine traditionsreiche Tanzgruppe, über die die Presse während der Session fast täglich Lobeshymnen veröffentlichte. Ein kleiner, durchtrainierter Mann in weißer Kapitänsuniform kam aus dem Umkleideraum, in dem auch wir uns gut anderthalb Stunden zuvor eingefunden hatten. Er war etwa Anfang vierzig, hatte die Haare gelb-orange gefärbt und war so braungebrannt, als ob er sich gerade sechs Wochen auf Mallorca gesonnt hätte. Ich kannte diesen Mann, um den sich die gesamte Tanzgruppe scharte, als er kaum den Raum betreten hatte: Klaus-Dieter Döring, einer der erfolgreichsten kölschen Tanztrainer, der zur fünften Jahreszeit in den lokalen Medien allgegenwärtig war. Döring brauchte nicht viele Worte, um die kreischenden und herumalbernden Teenager zu disziplinieren. Die sechzehn jungen Karnevalisten formierten sich zu einem großen Kreis, fassten sich an den Schultern und beugten sich nach vorn. Eine Geste, die ich bisher nur von den Footballspielern der Cologne Crocodiles kannte. Döring erhob die Stimme: „Also, Leute: Wir gehen jetzt da rein und geben unser Bestes! Wir sind die Besten! Wir sind cool! Wir zeigen allen anderen, wo’s langgeht! Wer sind wir?“

Die Gruppe antwortete einstimmig und aus voller Brust: „Die Besten!“

„Ich kann euch nicht hören! Wer sind wir?“

„Die Besten!“

„Lauter!“

„Wir sind die Besten und wir sind cool!“

„Na also!“

Der Kreis löste sich auf, die Gruppe klatschte noch dreimal in die Hände und bezog Aufstellung. Ich verzog das Gesicht. „Was war das denn jetzt? Ist das ein Motivationskurs oder ein Tanzverein?“

„Keine Ahnung, Pitter, aber dieser Döring spinnt doch sowieso. Du musst nur mal mit den Leuten aus seinem Umfeld reden. Ich hab letzte Woche noch mit ’ner Bekannten gesprochen, die auch mal bei den Rheinschiffern getanzt hat. Ich war fassungslos, was der für Trainingsmethoden hat. Der verlangt den armen Teenies alles ab. Proben bis zum Umfallen. Ein richtiges Arschloch ist das. Und arrogant obendrein.“

Ich konnte gerade selbst feststellen, was Marcel meinte: Döring hatte uns erblickt und rümpfte nur abfällig die Nase, bevor er sich wieder abwandte. Marcel schüttelte den Kopf. „So ’n Idiot. Kommt sich wie der Größte vor. Dabei war der doch vor einem guten halben Jahr mit seiner Truppe ziemlich in die Schlagzeilen geraten.“

„Was meinst du?“

„Na, habt ihr das nicht mitgekriegt? Der hat doch mit seinen beschissenen Trainingsmethoden ein Mariechen auf dem Gewissen! Sagt bloß, ihr habt da nix von gehört. War doch groß in der Zeitung. Da ist vor ’nem halben Jahr das Hauptmariechen der Rheinschiffer bei der Probe für eine Hebefigur so unglücklich gestürzt, dass es seitdem querschnittsgelähmt ist. Die Mutter hat Döring in der Öffentlichkeit angeprangert und ihn sogar angezeigt. Aber die Staatsanwaltschaft sah keine Veranlassung für Ermittlungen. Der Typ hat doch überallhin Beziehungen. Ein richtiger Kotzbrocken!“

„Na, na, na, Herr Koslowski, was sind denn das für Ausdrücke?“ Ich leerte mein halbvolles Kölsch in einem Zug und winkte den Kellner abermals heran. „Noch drei!“

Der mit seinem Job sichtlich überforderte Mann verdrehte die Augen und ging zum Zapfhahn.

Bernd Stelter war mittlerweile mit seiner Zugabe fertig und verließ nach einer Rakete den hörbar mitgerissenen Saal. Der Sitzungspräsident kündigte nun überschwänglich die Rheinschiffer an, woraufhin die Kapelle „Heidewitzka“ anstimmte. Döring klatschte in die Hände und rief laut „Einmarsch!“ Dann begab er sich mit dem vor ihm gehenden Tanzmariechen, das er unsanft durch die Eingangstür bugsierte, in den Saal und nahm seine Tanzpartnerin in den Handsitz. Die restlichen Rheinschiffer legten die rechte Hand zum Narrengruß an die linke Schläfe und folgten Döring im Gleichschritt.

„Sollen wir uns die Angeber ansehen?“, fragte Dario.

Ich schüttelte den Kopf. „Nee, lass uns lieber noch einen trinken.“

Dario schaute ungläubig auf mein leeres Glas. Seit unserer Ankunft vor fast zwei Stunden hatte ich schon acht Kölsch getrunken. Langsam wurde mir warm. Ich stützte mich lässig auf die Theke.

Der Kellner unterdrückte ein genervtes Seufzen.

„Wollen Sie schon wieder eins?“

„Wenn’s Ihnen nicht zu viele Umstände macht ...“

Der Kellner schüttelte den Kopf und ging wieder zur Zapfanlage. Ich zog das knallbunte Jackett aus. „Was ist mit euch beiden, ihr Abknicker? Wollt ihr nicht langsam mal austrinken? Ihr hinkt hinterher!“

Marcel hob beschwichtigend die Hände. „Ich hab genug, muss jetzt nach Hause. Dario, sollen wir uns ein Taxi nach Riehl teilen?“

Ich schaute auf die Uhr: 23.15 Uhr. „Der Abend ist doch noch jung, Freunde! Lasst uns noch ein bisschen feiern!“

„Nee, Pitter, der Marcel hat recht. Ich mach mich auch vom Acker! Wir sehen uns dann morgen Abend zum Auftritt in den ‚Riehler Heimstätten‘. Ciao!“

„Tschüss Pitter!“

Dario und Marcel tranken aus, schüttelten mir die Hand, holten aus dem Umkleideraum ihre Sporttaschen und Vereinsanoraks und verließen über die vor dem Foyer befindliche Rolltreppe das Kongresszentrum.

Na ja, was soll’s?, sagte ich mir und leerte mein Glas. Bevor ich etwas sagen konnte, hob der Kellner resigniert die Hände und stöhnte nur: „Ich weiß schon!“

Zwischenzeitlich war der Auftritt der Rheinschiffer vorbei. Mit ihnen strömten auch mehrere Sitzungsgäste ins Foyer. Nach etwas mehr als einer Stunde der zweiten Sitzungshälfte schien sich bei einigen der Kölschdurst breitzumachen. Es gehörte zu den Regeln der großen Kölner Festsäle, in den Sitzungsräumen kein Bier, sondern nur Wein, Sekt und ähnliche feine Alkoholika auszuschenken. Vollkommener Schwachsinn! Die Theke füllte sich, ich wurde unsanft beiseite geschubst. Aber das war mir auch egal. Ich bestellte ein neues Kölsch. Aufgrund des Andrangs musste ich jetzt allerdings länger warten. Kaum hatte ich zum Trinken angesetzt, da wurde ich von der Seite angerempelt, sodass sich das köstliche Bier über mein weißes T-Shirt ergoss. „Hey, pass doch auf!“, raunzte ich die Verursacherin des Unfalls an. Aber die Frau, deren Kostüm ich nicht so genau definieren konnte – es bestand aus einem schwarzen Spitzenkleid, einem schwarzen Schleier und einer venezianischen Gesichtsmaske –, ließ sich statt einer angebrachten Entschuldigung nur zu einem hochnäsigen „Tststs“ bewegen und machte sich mit ihrem Kölsch in der mit einem auffälligen Edelsteinring geschmückten Hand von dannen. So stand ich da wie ein begossener Pudel. Die Freude am Feiern hatte mir diese Tussi gründlich verdorben. Abgesehen davon sah ich mit dem besudelten Hemd wie ein besoffener Heckenpenner aus. Ich beschloss, mir ein Taxi zu nehmen und nach Hause zu fahren.

So bahnte ich mir den Weg durch die Massen in den eleganten Konferenzraum, der uns „Profi-Karnevalisten“ als Umkleide diente. Ich erblickte die von ihrem Auftritt sichtlich geschafften Rheinschiffer. In der hintersten Ecke entdeckte ich meine Sporttasche und die Vereinsjacke. Ein lauter Streit riss mich aus der Müdigkeit. Ich konnte eine aufgeregte Frauenstimme vernehmen: „Sie verdammtes Schwein! Sie haben meine Tochter zum Krüppel gemacht! Das zahl ich Ihnen heim, darauf können Sie sich verlassen!“

Eine Mittvierzigerin stand vor dem gelangweilt lächelnden Klaus-Dieter Döring und packte ihn am Kragen. Döring ergriff die Handgelenke der Frau und riss sie von seinem Oberkörper. Im nächsten Moment wischte er provokant mit den Fingerspitzen über seinen Reverskragen, als ob die Frau ihn beschmutzt hätte. „Sehen Sie lieber zu, dass Sie ganz schnell von hier verschwinden, Frau Wegberg! Sie machen sich ja lächerlich! Wer hat Sie hier überhaupt reingelassen?“ Dann lachte er und drehte sich um. Die Frau kämpfte mit den Tränen. Sie riss Döring an der Schulter herum und gab ihm mit voller Kraft eine Ohrfeige.

Nachdem sie Döring noch als „Arschloch“ tituliert hatte, machte sie kehrt und verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Döring hatte nur für einen kurzen Moment die Fassung verloren und versuchte jetzt, seine treudoofe Schafherde zu beruhigen. „Ganz ruhig Leute, von dieser Person lassen wir uns doch nicht den Abend verderben! Ich schmeiß ’ne Runde Cola!“ Die Meute hatte sich wieder beruhigt. Ich sah zu, dass ich Land gewann. Ich wollte einfach nur ins Bett und ausschlafen.

Den ganzen Mittwoch hing ich nur zuhause rum und schaute irgendwelche Talkshows. Abends aß ich dann mit Marcel, seiner Frau Diana und Dario zu Abend. Danach traten wir vor einem begeisterten Publikum in den „Riehler Heimstätten“ auf, einem großen Seniorenzentrum. Bei den älteren Mitbürgern fand unser Programm, anders als am Tag zuvor, großen Anklang. Zuhause trank ich noch zwei Flaschen Kölsch und bereitete mich mental auf den folgenden Tag vor – Weiberfastnacht. Ein Blick in den Auftrittsplan verriet mir, dass wir an diesem bedeutenden Tag in diversen Festzelten und -sälen in Köln und dem Umland von Bergheim bis Eitorf auftreten würden. Den Abschluss sollte ein Auftritt in der Börse um elf Uhr abends bilden. Danach war nur noch pures Feiern angesagt. Aber aus dem Feiern sollte an diesem Karneval für mich nicht allzu viel werden ...

1. Kapitel: Feiern

Gasthaus „Zum Jan“,Thieboldsgasse 137, 50676 Köln-Altstadt/Süd,Freitag, 28. Februar 2003, 00:36 Uhr

Ein anstrengender Tag lag hinter uns. Seitdem wir uns um acht Uhr morgens in unserem Vereinslokal in Ehrenfeld getroffen hatten, waren wir „im Auftrag des Frohsinns“ unterwegs gewesen. Es fing an mit einem Auftritt in Bergheim, dann ging es auf die PP-Sitzung in unserer behördeneigenen Kantine, dann weiter nach Euskirchen, Siegburg, Overath und zum Schluss nach Eitorf. Bis Eitorf war alles glattgegangen, aber dort hatten wir eine halbe Stunde Programmverzögerung, sodass wir unseren letzten Auftritt in der Börse am Maria-Ablass-Platz in der Nähe des Doms erst um halb zwölf wahrnehmen konnten.

Nun lag dieser letzte Auftritt für Weiberfastnacht auch hinter uns. Das Kostüm war durchgeschwitzt, die Füße taten weh. Von der Singerei war meine Kehle ganz trocken. Eigentlich die besten Voraussetzungen dafür, ins Bett zu fallen und auszuschlafen. Aber wenn man so ein Vollblutkarnevalist ist wie ich, lässt man sich durch solche Beschwerden wahrlich nicht vom Feiern abhalten. Der Großteil unseres Vereins – pensionierte Polizisten jenseits der sechzig – hatte sich dann auch direkt nach dem Börsen-Auftritt Richtung Heimweg verabschiedet. Nur der „harte Kern“ – bestehend aus Marcel, Dario, Erich, Hartmut und meiner Wenigkeit – war noch übrig geblieben. Nach zwei von Erich auf die erfolgreichen Auftritte ausgegebenen Runden Kölsch baten wir den Fahrer unseres kleinen gecharterten Reisebusses, uns zum Neumarkt zu fahren. Wir hatten uns entschlossen, der bei Karnevalisten bekannten und beliebten Kneipe „Zum Jan“ in der an den Neumarkt grenzenden Thieboldsgasse einen Besuch abzustatten. Dieses urige Lokal bot den idealen Rahmen zum Feiern nach einem harten Vereinstag. Zwar war das „Kasino“, wie der gemütliche Keller des Gasthauses offiziell hieß, an Weiberfastnacht für das traditionsreiche Reiter-Korps Jan von Werth reserviert, aber Erich kannte eines der Mitglieder des „Corps à la suite“, des Ehren-Korps dieser in historischen Musketieruniformen gekleideten Gesellschaft. Und dieser „Kontaktmann“ hatte unseren Verein offiziell eingeladen. Schließlich feierte das Korps in diesem Jahr seine „sieben mal elfte“, seine siebenundsiebzigste, aktive Session seit der Gründung im Februar 1925. Willi, unser Busfahrer, beeilte sich, uns am Neumarkt abzuliefern. Er war hundemüde und wollte ins Bett.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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