Alanna - Das Lied der Löwin - Tamora Pierce - E-Book

Alanna - Das Lied der Löwin E-Book

Tamora Pierce

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Beschreibung

Eine mutige Heldin erkämpft sich ihren Traum

Die willensstarke Alanna verspürt nur wenig Lust, ihre Tage als Hofdame zu verbringen. Stattdessen fasst sie einen gewagten Plan: Mithilfe ihres Zwillingsbruders schlüpft sie in die Rolle des Pagen Alan und tritt ihren Dienst am Königshof in der Hauptstadt Corus an. Die Ausbildung zum Ritter ist hart und die Gebräuche und Sitten in Corus sind der jungen Alanna sehr fremd. Zudem muss sie ihr Geheimnis hüten und weiß nicht, wem sie trauen kann. Auf dem langen Weg zur Erfüllung ihres großen Traumes trotzt Alanna vielen Gefahren – aber lernt auch das freie, wilde Leben eines Ritters kennen …

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Seitenzahl: 1222

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Die Autorin

Tamora Pierce, geboren 1954 in Pennsylvania, ist schon seit Jahrzehnten eine Legende. Mit ihren großen Fantasy-Zyklen für Jugendliche, ihren starken Heldinnen wie Alanna und Dhana und dem von ihr erfundenen Reich Tortall hat sie sich weltweit eine riesige Fan-Gemeinde geschaffen. Tamora Pierce lebt in New York City zusammen mit ihrem Ehemann und zahlreichen geretteten Tieren.

Das Buch

Die junge Alanna und ihr Zwillingsbruder Thom sind alles andere als begeistert über den Lebensweg, den ihr Vater für sie vorgesehen hat: Thom soll am Hofe von Tortall zum Ritter ausgebildet werden, und auf Alanna wartet im Kloster der übliche langweilige Unterricht für ein Mädchen aus besserem Hause. Kurzerhand tauschen die beiden ihre Rollen, und Thom geht ins Kloster, um dort Magier zu werden, während sich Alanna, verkleidet als Alan, an den Hof begibt: Ihr Traum soll wahr werden – seit sie denken kann, will sie zum Ritter geschlagen werden.

Doch zunächst steht ihr eine einsame und harte Zeit bevor. Das tägliche Training verlangt ihr alles ab, zudem muss Alanna dauernd auf der Hut sein, damit ihr Rollenspiel unentdeckt bleibt. Inmitten der üblichen Intrigen am Hof weiß sie oft nicht, wem sie trauen kann.

Noch ahnt sie nicht, dass sie dazu auserwählt ist, ein geheimnisvolles Kleinod zu finden, dessen magische Kraft das Schicksal des ganzen Landes verändern wird ...

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel The Song of the Lioness: Alanna – The First Adventure / In the Hand of the Goddess / The Woman Who Rides Like a Man / Lioness Rampantbei Atheneum, New York.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 1983, 1984, 1986 und 1988 by Tamora Pierce

Copyright © 1985, 1986, 1987 und 1988 der deutschsprachigen Ausgabe by Arena Verlag GmbH, Würzburg Copyright © 2012 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung einer Illustration von © Ksenia Kostritski

Redaktion: Babette Kraus

lSBN 978-3-641-10650-8V002

www.heyne-fliegt.de

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDie AutorinERSTES BUCH - Die Schwarze Stadt
1 - Die Zwillinge2 - Der neue Page3 - Ralon4 - Tod im Palast5 - Das zweite Jahr6 - Alanna wird zur Frau7 - Die Schwarze Stadt
ZWEITES BUCH - Im Bann der Göttin
1 - Die Dame im Wald2 - Herzog Roger von Conté3 - Der Knappe des Prinzen4 - Krieg5 - Am Fluss6 - Gefangen!7 - Winterlicher Unterricht8 - Ängste9 - Die Prüfung10 - Das Duell mit dem ZaubererEpilog
DRITTES BUCH - Das zerbrochene Schwert
1 - Die Frau, die wie ein Mann reitet2 - Der Stamm des Blutigen Falken3 - Schamanin der Bazhir4 - Zauberstudien5 - Lehrlinge6 - Zeremonien7 - Die Stimme der Stämme8 - Der König der Diebe9 - Im Tanzenden Täubchen10 - Die todgeweihte Zauberin
VIERTES BUCH - Das Juwel der Macht
1 - Die Löwin aus Tortall2 - Die Straße nach Osten3 - Die Tochter des Kriegsherrn4 - Das Dach der Welt5 - In der Hauptstadt von Tortall6 - Die Heimkehr7 - Zeit der Trauer8 - Scheideweg der ZeitenEpilog
Copyright

ERSTES BUCH

Die Schwarze Stadt

1

Die Zwillinge

»Ich habe meine Entscheidung getroffen. Keine Diskussionen mehr«, sagte der Mann am Schreibtisch. Er schaute schon wieder in ein Buch. Seine beiden Kinder verließen den Raum und machten die Tür hinter sich zu.

»Er will uns nicht bei sich haben«, murrte der Junge. »Was wir wollen, interessiert ihn nicht.«

»Das ist ja nichts Neues«, antwortete das Mädchen. »Außer seinen Büchern und Schriftrollen interessiert ihn überhaupt nichts.«

Der Junge schlug mit der flachen Hand gegen die Wand. »Ich will aber kein Ritter werden! Ich will ein großer Zauberer werden! Ich will Dämonen töten und mit den Göttern wandeln...«

»Denkst du vielleicht, ich will eine Dame werden?«, fragte seine Schwester. »Geh langsam, Alanna«, fügte sie in gekünsteltem Tonfall hinzu. »Sitz still, Alanna. Halt die Schultern gerade, Alanna. Als könnte ich nichts Besseres mit mir anfangen!« Sie ging aufgeregt auf und ab. »Es muss einen Ausweg geben.«

Der Junge warf ihr einen Blick zu. Thom und Alanna von Trebond waren Zwillinge. Beide hatten rotes Haar und violettfarbene Augen. Für die meisten Leute waren die beiden nur durch die unterschiedliche Länge ihrer Haare auseinanderzuhalten. Was Gesicht und Figur betraf, hätten die beiden genau gleich ausgesehen, wären sie gleich gekleidet gewesen.

»Find dich damit ab!«, meinte Thom zu seiner Schwester. »Du machst dich morgen auf den Weg ins Kloster, und ich muss in den Palast. Da ist nichts zu machen.«

»Warum solltest du den ganzen Spaß haben?«, stieß sie hervor. »Mir werden sie Nähen und Tanzen beibringen und du lernst Lanzenfechten und Degenfechten und ...«

»Meinst du vielleicht, so etwas macht mir Spaß?«, schrie er. »Ich hasse es, hinzufallen und auf irgendetwas einzuhauen! Du bist es, der so was gefällt, nicht ich!«

Sie grinste. »Du hättest Alanna werden müssen. Den Mädchen bringen sie immer das Zaubern bei ...« Der Gedanke kam ihr so schlagartig, dass sie nach Luft schnappte. »Thom! Das ist die Idee!«

An ihrem Gesichtsausdruck konnte Thom ablesen, dass seine Schwester mal wieder einen ihrer verrückten Einfälle hatte. »Was genau ist die Idee?«, fragte er misstrauisch.

Alanna sah sich um und vergewisserte sich, dass sich keine Bediensteten auf dem Flur aufhielten. »Morgen gibt er uns einen Brief für den Mann, der die Pagen ausbildet, und einen für die Leute im Kloster. Da du seine Handschrift fälschen kannst, könntest du ja neue Briefe verfassen und schreiben, wir seien Zwillingsbrüder. Du gehst ins Kloster und im Brief schreibst du, du solltest Zauberer werden. Du weißt ja – die Töchter der Göttin sind es, die den Jungen das Zaubern beibringen. Sobald du dann älter bist, schicken sie dich zu den Priestern. Und ich gehe in den Palast und lasse mich zum Ritter ausbilden!«

»Du spinnst doch!«, widersprach Thom. »Was ist mit deinem Haar? Und nackt schwimmen kannst du auch nicht. Und du wirst dich in eine Frau verwandeln – du weißt schon. Dann kriegst du Brüste und so.«

»Das Haar schneide ich einfach ab«, entgegnete sie. »Und – na ja, um den Rest kümmere ich mich dann, wenn es so weit ist.«

»Was ist mit Coram und Maude? Die werden uns begleiten und alle beide können uns auseinanderhalten. Sie wissen, dass wir keine Zwillingsbrüder sind.«

Sie kaute auf ihrem Daumen herum und überlegte. »Ich sage Coram, dass wir unseren Zauber mit ihm treiben, falls er etwas verlauten lässt«, sagte sie schließlich. »Das müsste ausreichen – er hasst Magie. Und mit Maude können wir vielleicht reden.«

Thom sah auf seine Hände hinunter und dachte nach. »Meinst du, wir könnten es schaffen?«, flüsterte er.

Alanna betrachtete das hoffnungsvolle Gesicht ihres Zwillingsbruders. Ein Teil von ihr wollte aufhören, bevor diese Sache zu weit ging, aber dieser Teil war nicht sehr groß. »Wenn du nicht die Nerven verlierst«, erklärte sie ihrem Bruder. Und ich auch nicht, dachte sie.

»Was ist mit Vater?« Thom schaute schon in die Ferne und sah die Stadt der Götter vor sich.

Alanna schüttelte den Kopf. »Sobald wir weg sind, vergisst er uns.« Sie beäugte Thom. »Ist dein Wunsch, Zauberer zu werden, stark genug?«, fragte sie ihn. »Wir werden jahrelang lernen und arbeiten müssen. Traust du dir das wirklich zu?«

Thom zog seinen Waffenrock gerade. Seine Augen waren kalt. »Zeig mir nur, wie wir es anstellen können!«

Alanna nickte. »Komm! Wir gehen Maude suchen!« Maude, die Dorfheilerin, hörte sich die beiden an und schwieg. Als Alanna fertig war, drehte sich die Frau um und sah eine Zeit lang zur Tür hinaus. Schließlich wandte sie sich wieder den Zwillingen zu.

Die beiden wussten es nicht, doch Maude war in Schwierigkeiten. Sie hatte ihnen jeglichen Zauber beigebracht, den sie beherrschte. Alle beide waren fähig noch viel mehr zu lernen, doch es gab keine anderen Lehrer in Trebond. Thom wollte seine Zauberei so weit wie möglich auskosten, aber er mochte die Menschen nicht. Auch auf Maude hörte er nur, weil er der Meinung war, sie habe ihm noch etwas beizubringen. Coram – den zweiten Erwachsenen, der sich um die Zwillinge kümmerte – hasste er, weil er sich durch ihn ziemlich dumm vorkam. Der einzige Mensch, den Thom außer sich selbst noch liebte, war Alanna. Maude dachte über Alanna nach und seufzte. Das Mädchen war ganz anders als ihr Bruder. Alanna hatte Angst vor ihrer Magie. Thom musste man dazu zwingen, auf die Jagd zu gehen; Alanna dagegen musste man überlisten und anflehen Zaubersprüche auszuprobieren.

Maude hatte sich auf den Tag gefreut, an dem sich andere um diese beiden würden kümmern müssen. Jetzt hatte es den Anschein, als wollten die Götter sie durch die Zwillinge noch ein letztes Mal auf die Probe stellen.

Sie schüttelte den Kopf. »Ohne Hilfe kann ich eine derartige Entscheidung nicht treffen. Ich muss versuchen im Feuer zu ›sehen‹.«

Thom runzelte die Stirn. »Ich dachte, das könntest du nicht? Ich dachte, du könntest nur heilen?«

Maude wischte sich den Schweiß vom Gesicht. Sie hatte Angst. »Es muss dich nicht kümmern, was ich kann und was nicht«, gab sie barsch zurück. »Alanna, bring Holz. Thom, du holst Eisenkraut.«

Eiligst taten die beiden, was man ihnen befohlen hatte. Alanna kehrte als Erste zurück und legte Holz auf das Feuer, das in der Feuerstelle brannte. Thom folgte kurz darauf mit Blättern der magischen Pflanze Eisenkraut.

Maude kniete sich vor die Feuerstelle und bedeutete den Zwillingen, sich rechts und links von ihr niederzusetzen. Sie spürte, wie ihr Schweißtropfen den Rücken hinunterliefen. Die Leute, die sich an Zauberkünsten versuchten, die ihnen die Götter nicht verliehen hatten, starben oft auf hässliche Art und Weise. Maude sandte ein lautloses Gebet zur Großen Muttergöttin und versprach gutes Betragen für den Rest ihres Lebens, sofern die Göttin nur dafür sorgte, dass sie diese Angelegenheit heil überstand.

Sie warf die Blätter ins Feuer, und ihre Lippen bewegten sich lautlos, als sie die heiligen Worte sprach. Langsam griff ihre Zauberkraft und die der Zwillinge auf das Feuer über. Die Flammen verfärbten sich grün von Maudes Magie und purpurfarben von derjenigen der Zwillinge. Die Frau atmete ein, packte die linken Hände der beiden und stieß sie ins Feuer. Eine Energie schoss ihre Arme empor. Thom stieß einen Schrei aus und wand sich vor Schmerz, den ihm die Zauberkraft zufügte, die ihn nun nach und nach erfüllte. Alanna biss sich auf die Unterlippe, bis sie blutete, und kämpfte so auf ihre eigene Art und Weise gegen den Schmerz an. Maudes Augen waren weit aufgerissen und leer, während sie die verschlungenen Hände der beiden ins Feuer hielt.

Plötzlich runzelte Alanna die Stirn. Im Feuer stieg ein Bild auf. Das war unmöglich – nicht sie war es, die ›sehen‹ sollte. Da ja Maude den Zauberspruch gesprochen hatte, stand das nur ihr zu. Doch im Widerspruch zu allen Zauberregeln, die Alanna gelernt hatte, wurde das Bild größer und breitete sich aus. Es war eine Stadt, die ganz und gar aus schwarzem, schimmerndem Stein bestand. Alanna beugte sich vor und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. So etwas wie diese Stadt hatte sie noch nie zuvor erblickt. Die Sonne brannte auf funkelnde Mauern und Türme herab. Alanna hatte Angst – mehr Angst als jemals zuvor ...

Maude ließ die Zwillinge los. Das Bild verschwand. Alanna fror jetzt und sie war völlig durcheinander. Was für eine Stadt war das gewesen?

Wo lag sie?

Thom untersuchte seine Hand. Keine Brandspuren waren zu sehen; nicht einmal Narben. Es gab nichts, woran man hätte ablesen können, dass Maude ihre Hände minutenlang in die Flammen gehalten hatte.

Maude setzte sich auf ihre Fersen zurück. Sie sah alt und müde aus. »Ich habe viele Dinge gesehen, die ich nicht verstehe«, sagte sie endlich. »Viele Dinge ...«

»Hast du die Stadt gesehen?«, wollte Alanna wissen.

Maude warf ihr einen durchdringenden Blick zu. »Ich habe keine Stadt gesehen.«

Thom beugte sich vor. »Du hast etwas gesehen?« Seine Stimme klang ungeduldig. »Aber es war doch Maude, die den Zauberspruch gesprochen hat ...

»Nein!«, entgegnete Alanna ungehalten. »Ich habe nichts gesehen! Gar nichts!«

Thom entschloss sich, sie später noch einmal zu befragen, wenn sie nicht mehr so verängstigt aussah. Er wandte sich an Maude. »Also, was ist jetzt?«, fragte er.

Die Heilerin seufzte. »Na gut. Morgen breche ich mit Thom zusammen zur Stadt der Götter auf.«

 

Im Morgengrauen des nächsten Tages gab Lord Alan seinen beiden Kindern jeweils einen versiegelten Umschlag und seinen Segen, bevor er Coram und Maude unterwies. Coram wusste noch nichts von dem geänderten Plan. Alanna hatte nicht vor, ihn einzuweihen, bevor sie Trebond weit hinter sich gelassen hatte.

Nachdem Lord Alan die beiden entlassen hatte, brachte Maude sie in Alannas Zimmer. Coram richtete inzwischen die Pferde. Rasch waren die Briefe geöffnet und gelesen.

Lord Alan übergab seinen Sohn in die Hände des Herzogs Gareth von Naxen und seine Tochter in die der Ersten Tochter des Klosters. Jedes Vierteljahr würde er Gelder für den Lebensunterhalt seiner Kinder schicken, und zwar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem es ihre Lehrer für richtig hielten, sie wieder nach Hause zu schicken. Er sei mit seinen Studien beschäftigt und schenke dem Herzog und der Ersten Tochter in allen Dingen sein volles Vertrauen. Er stehe in ihrer Schuld, Lord Alan von Trebond.

Eine Vielzahl solcher Briefe wurde jedes Jahr ins Kloster und in den Palast geschickt. Alle Töchter aus adligen Familien studierten im Kloster, bis sie sich mit fünfzehn oder sechzehn zum Hof begaben, um sich einen Ehemann zu suchen. Der älteste Sohn einer Adelsfamilie erlernte gewöhnlich am Königspalast die Pflichten und die Fertigkeiten eines Ritters. Die jüngeren Söhne konnten ihren Brüdern in den Palast folgen oder sie konnten erst einmal ins Kloster der Töchter der Göttin und später ins Kloster der Priester gehen, wo sie Religion oder Zauberei studierten.

Thom war Experte, was das Fälschen der Handschrift seines Vaters betraf. Er schrieb zwei neue Briefe, einen für »Alan«, den anderen für sich selbst. Alanna las sie sorgfältig. Sie war erleichtert, als sie sah, dass zwischen Thoms Fälschung und den Originalen kein Unterschied zu entdecken war. Der Junge lehnte sich grinsend zurück. Er wusste, dass Jahre vergehen konnten, bis die Angelegenheit aufgedeckt wurde. Während Thom in einen Reitrock stieg, brachte Maude Alanna ins Umkleidezimmer. Dort zog das Mädchen ein Hemd, Reithosen und Stiefel an. Dann schnitt ihr Maude das Haar.

»Ich muss dir etwas sagen«, erklärte Maude, als die erste Locke zu Boden fiel.

»Was?«, fragte Alanna nervös.

»Du hast die Gabe zu heilen.« Die Schere war weiterhin am Werk. »Sie ist größer als die meine, größer als jede, die mir jemals begegnet ist. Und du hast noch andere Zauberkräfte, von denen du noch lernen wirst, dich ihrer zu bedienen. Aber das Heilen – das ist das Wichtigste. Ich hatte einen Traum heute Nacht. Eine Warnung war es, so klar und so deutlich, als hätten mir die Götter ins Ohr gebrüllt.«

Alanna, die sich das vorstellte, unterdrückte ein Kichern.

»Es schickt sich nicht, über die Götter zu lachen«, erklärte ihr Maude streng. »Aber das wirst du noch früh genug selbst herausfinden.«

»Was soll das heißen?«

»Lass es gut sein. Hör mir zu! Hast du an all diejenigen gedacht, deren Leben du nehmen wirst, wenn du dich auf den Weg machst, um deine großen Taten zu vollbringen?«

Alanna biss sich auf die Lippe. »Nein«, gestand sie.

»Das habe ich mir gedacht. Du siehst nur den Ruhm. Aber es wird Leben kosten und es wird vaterlose Familien geben. Und Leid. Denk nach, bevor du kämpfst. Denk an denjenigen, den du bekämpfst, und sei es nur deshalb, weil du eines Tages auf einen Gegner treffen wirst, der dir ebenbürtig ist. Und wenn du für all diejenigen, deren Leben du beenden wirst, bezahlen willst, dann benutze deine Heilkraft. Benutze sie, so oft du nur kannst, sonst wirst du deine Seele jahrhundertelang nicht mehr von den Toten befreien, die du zu verantworten hast. Das Heilen ist schwerer als das Töten. Die Mutter weiß, warum, aber du hast eine Gabe für beides.« Rasch bürstete sie Alannas kurz geschnittenes Haar. »Lass deine Kapuze ein Weilchen auf. Aber abgesehen von Coram wird dich jeder für Thom halten.«

Alanna starrte sich im Spiegel an. Mit violettfarbenen Augen in einem bleichen Gesicht starrte ihr Thom, ihr Zwillingsbruder entgegen. Grinsend wickelte sie den Umhang um sich. Mit einem letzten Blick auf den Jungen im Spiegel folgte sie Maude hinaus auf den Schlosshof. Coram und Thom, die schon auf ihren Pferden saßen, warteten auf sie. Thom legte seine Röcke zurecht und zwinkerte seiner Schwester zu.

Maude hielt Alanna zurück, als diese eben auf Chubby, ihr Pony, steigen wollte. »Heile, Kind!«, riet sie ihr. »Heile, so viel du nur kannst, sonst wirst du dafür bezahlen. Die Götter wollen, dass man ihre Gaben benutzt.«

Alanna schwang sich in den Sattel und tätschelte Chubby. Das Pony, welches spürte, dass das freundlichere der beiden Geschwister auf ihm saß, wurde ruhiger. Wenn Thom ihn ritt, gelang es Chubby gelegentlich, ihn abzuwerfen.

Alle vier winkten den Bediensteten des Schlosses zu, die sich zum Abschied versammelt hatten. Langsam ritten sie durchs Schlosstor hinaus, wobei Alanna ihr Bestmögliches tat, Thoms mürrische Miene nachzuahmen – oder zumindest die mürrische Miene, die Thom gemacht hätte, wäre er auf dem Weg zum Palast gewesen. Thom sah auf die Ohren seines Ponys hinunter und hielt das Gesicht versteckt. Jedermann wusste, wie den Zwillingen nun zumute war, weil sie weggeschickt wurden. Der Weg, der vom Schloss fortführte, mündete ganz übergangslos auf stark überwuchertes und felsiges Gelände. Ungefähr einen Tag lang würden sie durch die unwirtlichen Wälder des Grimholdgebirges reiten, das eine natürliche Grenze zwischen Tortall und Scanra bildete. Den Zwillingen war diese Gegend wohlbekannt. Obwohl sie den Leuten aus dem Süden dunkel und unwirtlich vorkommen mochte, war sie für Alanna und Thom die Heimat, und das würde auch immer so bleiben.

Am frühen Vormittag erreichten sie die Stelle, wo sich der Trebondweg und die Große Straße kreuzten. Die von den Gefolgsleuten des Königs bewachte Große Straße führte nach Norden bis zur fernen Stadt der Götter. Das war der Weg, den Thom und Maude einschlagen würden. Alanna und Corams Weg führte nach Süden zur Hauptstadt Corus und zum Königspalast.

Die beiden Bediensteten ritten ein Stück abseits, um sich Lebewohl zu sagen und um den Zwillingen Gelegenheit zu geben, sich unter vier Augen voneinander zu verabschieden. Genau wie Alanna und Thom würden sich auch Coram und Maude jahrelang nicht mehr sehen. Zwar würde Maude nach Trebond zurückkehren, doch Coram sollte für die Zeit, die Alanna im Palast verbringen würde, als ihr Diener bei ihr bleiben.

Alanna sah ihren Bruder an und lächelte. »Da wären wir also«, meinte sie.

»Ich wollte, ich könnte dir ›viel Spaß‹ wünschen«, sagte Thom ohne Umschweife. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, wie es jemandem Spaß machen sollte, zum Ritter ausgebildet zu werden. Trotzdem – viel Glück. Wenn sie uns auf die Schliche kommen, ziehen sie uns allen beiden bei lebendigem Leib die Haut ab.«

»Keiner wird uns auf die Schliche kommen, Bruderherz.« Sie griff zu ihm hinüber und drückte seine Hand. »Viel Glück, Thom. Pass auf dich auf.«

»Du wirst jede Menge Prüfungen durchstehen müssen«, sagte Thom ernst. »Pass du besser auf dich auf.«

»Die Prüfungen werde ich schon überstehen«, sagte Alanna. Sie wusste, dass das kühne, nahezu vermessene Worte waren, aber Thom sah so aus, als könnte er sie gebrauchen. Sie wendeten ihre Ponys und gesellten sich wieder zu den Erwachsenen.

»Los, machen wir uns auf den Weg!«, brummte Alanna Coram zu.

Maude und Thom schlugen die linke Abzweigung der Großen Straße ein, Alanna und Coram die rechte. Unvermittelt blieb Alanna noch einmal stehen, drehte sich um und sah zu, wie ihr Bruder davonritt. Sie blinzelte die aufsteigenden Tränen weg und musste schwer schlucken. Irgendetwas sagte ihr, dass Thom völlig verwandelt sein würde, wenn sie ihn wiedersah. Seufzend wendete sie Chubby zurück in die Richtung der Hauptstadt.

Coram zog ein Gesicht und drängte seinen großen Wallach vorwärts. Er hatte nicht die geringste Lust einen wehleidigen Jungen zum Palast zu geleiten. Einst war er der mutigste Soldat im Heer des Königs gewesen und jetzt musste er sich zum Gespött machen lassen. Jeder würde sehen, dass Thom kein Krieger war, und ihn, Coram – den Mann, der dem Jungen die Grundbegriffe des Kriegshandwerks hätte beibringen sollen –, würde man dafür verantwortlich machen. Stundenlang ritt er wortlos dahin, hing seinen trübseligen Gedanken nach und war zu niedergeschlagen, um zu bemerken, dass Thom, der gewöhnlich nach einem einstündigen Ritt zu nörgeln begann, ebenfalls schwieg.

Coram hatte das Schmiedehandwerk erlernt, doch früher war er einer der besten Infanteristen des Königs gewesen, bis er dann nach Schloss Trebond heimgekehrt und dort ein bewaffneter Lehnsmann geworden war. Nun wollte er wieder zu den Soldaten des Königs gehören, allerdings nicht, wenn sie ihn auslachen würden, weil sein Herr ein Schwächling war. Warum war denn bloß Alanna nicht der Junge? Sie war eine Kämpfernatur. Zuerst war Coram nur deshalb ihr Lehrer gewesen, weil man bei Zwillingen unweigerlich alle beide unterrichtete, auch wenn man eigentlich nur einen davon unterrichten wollte. Eine Mutter hatten die beiden armen Dinger ja nicht. Später begann es ihm Spaß zu machen, Alanna etwas beizubringen. Sie lernte rasch und gut – besser als ihr Bruder. So wie schon immer wünschte sich Coram Smythesson auch jetzt, Alanna möge der Junge sein.

Ohne es zu wissen stand er kurz davor, dass sich sein Wunsch erfüllte. Die Sonne brannte direkt von oben herab – Zeit zum Mittagessen. Coram gab dem in seinen Umhang gehüllten Kind unwirsch entsprechende Anweisungen, und so stiegen sie beide auf einer an der Straße liegenden Lichtung von ihren Pferden. Coram zog Brot und Käse aus einer Satteltasche, brach etwas davon ab und gab es dem Kind. Dann nahm er den Weinschlauch von seinem Sattelhorn. »Bis es dunkel wird, wenn nicht schon vorher, haben wir das Gasthaus erreicht«, brummte er. »Bis dahin muss das hier genügen.«

Alanna nahm ihren schweren Umhang ab. »Ich hab nichts dagegen.« Coram verschluckte sich und spuckte prustend die Flüssigkeit aus. Alanna musste ihm auf den Rücken klopfen, bis er wieder Luft bekam.

»Branntwein?«, flüsterte er und schaute den Weinschlauch an. Dann wandte er sich dem dringlichsten Problem zu. »Beim Schwarzen Gott!«, brüllte er, und sein Gesicht verfärbte sich purpurfarben. »Wir reiten augenblicklich zurück, und wenn wir heimkommen, werd ich dir den Hintern versohlen! Wo steckt deine Satansbrut von Bruder?«

»Coram, beruhige dich«, sagte sie. »Trink einen Schluck.«

»Ich hab keine Lust was zu trinken!«, polterte er. »Ich hab gute Lust, euch alle beide ordentlich durchzuprügeln,!« Und damit nahm er einen tiefen Schluck aus dem Schlauch.

»Thom ist mit Maude zusammen auf dem Weg zur Stadt der Götter«, erklärte Alanna. »Maude ist der Meinung, dass wir das Richtige tun.« Coram fluchte leise vor sich hin. »Klar, dass diese Hexe mit euch beiden einer Meinung ist. Und was hält dein Vater von der Geschichte?«

»Es besteht kein Grund, dass er es jemals erfahren muss«, sagte Alanna. »Coram, du weißt doch, dass Thom kein Ritter werden will. Ich jedenfalls weiß es.«

»Mir ist’s gleich, ob ihr Tanzbären werden wollt oder was auch immer!«, erklärte ihr Coram und nahm einen weiteren Schluck aus dem Schlauch. »Du bist ein Mädchen!«

»Das braucht ja keiner zu erfahren.« Sie beugte sich vor.

Ihr kleines Gesicht war angespannt. »Von jetzt an bin ich Alan von Trebond, der Zweitgeborene der beiden Zwillinge. Ich werde Ritter – und Thom wird Zauberer. So wird es geschehen. Maude hat es für uns im Feuer gesehen.«

Coram machte mit seiner rechten Hand das Zeichen gegen das Böse. Magie machte ihn nervös. Maude machte ihn nervös. Er trank noch einmal, um seine Nerven zu beruhigen. »Kleine, dein Vorhaben ist gewiss nobel, es ist das Vorhaben eines Kriegers, aber es wird nie und nimmer klappen. Wenn sie dich nicht beim Baden erwischen, dann wirst du dich früher oder später in ’ne Frau verwandeln ...

»All das kann ich verbergen – mit deiner Hilfe. Und wenn nicht, dann verschwinde ich eben wieder.«

»Dein Vater bringt mich um!«

Sie zog ein Gesicht. »Vater interessiert sich für nichts außer für seine Schriftrollen.« Sie holte Luft. »Coram, ich bin nett zu dir. Thom wäre nicht so nett. Willst du für die nächsten zehn Jahre Dinge sehen, die es gar nicht gibt? Das kann ich schaffen, so viel kannst du mir glauben. Erinnerst du dich noch, wie der Koch damals Vater verraten wollte, wer die Kirschtorte aufgegessen hat? Oder wie meine Patin versuchte Vater dazu zu bringen, sie zu heiraten?«

Coram wurde bleich. An jenem Nachmittag, als man entdeckt hatte, dass die Torten weg waren, hatte der Koch große hungrige Löwen gesehen, die ihn in der Küche verfolgten. Somit hatte Lord Alan nie von den fehlenden Torten erfahren. Und als die Patin der Zwillinge nach Trebond gekommen war, um sich Lord Alan als ihren nächsten Gatten einzufangen, hatte sie mit der Behauptung, das Schloss sei verhext, schon nach drei Tagen die Flucht ergriffen.

»Das würdest du doch nicht tun?«, flüsterte Coram. Er hatte schon immer den Verdacht gehegt, hinter den Wahnvorstellungen des Kochs und den Geistern Lady Catherines müssten die Zwillinge stecken. Aber diese Vermutung hatte er für sich behalten. Der Koch tat nämlich so, als sei er etwas Besseres, und Lady Catherine war grausam zu ihrem Personal.

Als Alanna sah, dass sie Coram an einer empfindlichen Stelle getroffen hatte, änderte sie ihre Taktik. »Thom ist eine totale Niete, was das Bogenschießen betrifft. Ich nicht. Thom würde dir keine Ehre machen. Ich schon, glaube ich. Du hast selbst gesagt, kein Erwachsener könne schneller ein Kaninchen häuten als ich.« Sie fütterte Chubby mit ihrem letzten Stück Brot und sah Coram mit riesigen, flehenden Augen an. »Lass uns weiterreiten. Wenn du morgen früh noch genauso denkst, können wir ja umkehren.« Sie überkreuzte die Finger, während sie log. Sie hatte nicht vor, nach Trebond zurückzureiten. »Und überstürz nichts. Vater wird es erst erfahren, wenn es zu spät ist.«

Coram nahm noch einen Zug aus dem Schlauch und rappelte sich wacklig auf. Er bestieg sein Pferd und beobachtete dabei das Mädchen. Schweigend ritten sie weiter. Coram dachte nach und trank. Alannas Drohung, sie wolle ihn Dinge sehen lassen, die es gar nicht gab, beunruhigte ihn nicht sonderlich. Stattdessen dachte er an Thoms Leistungen im Bogenschießen, die jedem Soldaten die Tränen in die Augen treiben mussten. Alanna war viel geschickter als ihr Bruder. Sie ermüdete nur selten, nicht einmal bei Fußmärschen durch schwieriges Gelände. Sie hatte ein Gespür, was die Kampfsportarten betraf, und das war etwas, was man niemals erlernen konnte. Im Übrigen war sie so stur wie ein Maulesel.

Da Coram so in Gedanken versunken war, sah er nicht, wie eine Waldschlange über die Straße glitt. Alanna und Corams Pferd entdeckten die sich dahinschlängelnde Kreatur im gleichen Augenblick. Der große Wallach bäumte sich auf und um ein Haar hätte er seinen Herrn abgeworfen. Chubby, den diese Possen überraschten, blieb stocksteif mitten auf der Straße stehen. Coram stieß einen Schrei aus und mühte sich, im Sattel zu bleiben, während das zu Tode erschrockene Tier wie wild bockte. Alanna zögerte keine Sekunde lang. Sie sprang aus dem Sattel und packte mit beiden Händen die Zügel von Corams Pferd. Sie mühte sich verzweifelt, den fliegenden Hufen des Wallachs auszuweichen, und setzte ihre ganze Kraft und ihr ganzes Gewicht ein, um das Pferd herunterzuziehen, bevor Coram herabstürzen und sich das Genick brechen würde.

Der Wallach, den das neue Gewicht, das da an seinen Zügeln hing, völlig überraschte, ließ sich auf alle viere fallen. Er zitterte, während Alanna seine Nüstern streichelte und ihm tröstende Worte zuflüsterte. Sie wühlte in einer Tasche und zog einen Apfel hervor, den sie dem Pferd zu fressen gab, während sie es weiter liebkoste, bis das Zittern aufgehört hatte.

Als Alanna aufschaute, entdeckte sie, wie Coram sie seltsam ansah. Sie hatte keine Ahnung, dass er sich gerade ausmalte, was Thom in einer derartigen Situation wohl getan hätte: Er hätte es sicher Coram überlassen, sich selbst aus der Patsche zu helfen. Coram wusste, wie viel Mut es erforderte, ein großes, bockendes Pferd zu beruhigen. Es war die Art von Mut, die ein Ritter massenhaft brauchte. Aber trotzdem  – Alanna war ein Mädchen ...

Bis sie am Gasthof eintrafen, war Coram völlig betrunken. Der Gastwirt half ihm ins Bett, während seine Frau ›den armen kleinen Jungen‹ umhegte. Im Bett hörte Alanna mit einem breiten Grinsen auf den Lippen zu, wie Coram schnarchte. Maude hatte es bewerkstelligt, den Weinschlauch mit Lord Alans bestem Branntwein zu füllen in der Hoffnung, ihr alter Freund Coram möge sich leichter zur Vernunft bringen lassen, wenn seine Gelenke gut geölt waren.

Am nächsten Morgen erwachte Coram mit dem schlimmsten Kater, den er jemals gehabt hatte. Er stöhnte, als Alanna in sein Zimmer trat.

»Geh nicht so laut«, flehte er.

Alanna übergab ihm einen dampfenden Becher. »Trink. Maude sagte, das hätte dir bisher jedes Mal geholfen.«

Coram nahm einen tiefen Zug. Er keuchte, als ihm die heiße Flüssigkeit in der Kehle brannte. Aber anschließend ging es ihm tatsächlich besser. Er schwang seine Füße auf den Boden und rieb sich vorsichtig den schmerzenden Schädel. »Ich brauch ein Bad.«

Alanna deutete auf die Wanne, die schon in der Ecke bereitstand.

Coram warf ihr einen durchdringenden Blick zu. »Geh das Frühstück bestellen! Ich nehme an, ich sollte dich jetzt ›Alan‹ nennen?«

Sie stieß einen Freudenschrei aus und hüpfte aus dem Zimmer.

 

Vier Tage später ritten sie kurz nach Morgengrauen in die Stadt Corus hinein, zusammen mit unzähligen Leuten, die ebenfalls in die Hauptstadt zogen, um dort den Markt zu besuchen. Coram führte sein Pferd durch die Menge, während sich Alanna mühte mit Chubby dicht hinter ihm zu bleiben und trotzdem alles zu sehen. So vielen Menschen war sie in ihrem ganzen Leben noch nicht begegnet! Sie sah Händler, Sklaven, Priester und Edelleute. Die Bazhir – das waren die Angehörigen eines Wüstenstammes – erkannte sie an dem schweren weißen Burnus, den sie trugen, und die Seeleute an ihrem geflochtenen Zopf. Glücklicherweise schien Chubby in der Nähe von Corams Wallach bleiben zu wollen, sonst hätte sich Alanna augenblicklich verirrt.

Der Anblick des eigentlichen Marktplatzes war fast zu viel für ein Mädchen aus einem Schloss in den Bergen. Alanna musste mit den Augen blinzeln wegen all der grellen Farben. Stapel mit orangefarbenen und gelben Früchten, leuchtend blaue und grüne Wandbehänge, Goldstränge und Silberketten gab es da. Manche Leute starrten ebenso unverhohlen wie sie selbst. Andere hielten den Vorübergehenden ihre Waren unter die Nase und forderten lauthals zum Kauf auf. Frauen in engen Kleidern beäugten aus Türeingängen die Männer, und Kinder rannten den Erwachsenen zwischen den Beinen hindurch und steckten verstohlen die Hände in Taschen und Börsen.

Coram entging nichts. »Behalte deine Satteltaschen im Auge!«, rief er Alanna zu. »Hier gibt es welche, die würden ihrer eigenen Mutter die Zähne klauen!« Diese Bemerkung schien auf einen hoch gewachsenen jungen Mann gemünzt zu sein, der in Alannas Nähe stand.

Der schlanke junge Mann grinste, wobei in seinem gebräunten Gesicht die weißen Zähne blitzten. »Du meinst doch wohl nicht mich, oder?«, fragte er unschuldig.

Coram schnaubte und trieb sein Pferd mit einem Fußtritt an. Der Mann zwinkerte Alanna mit funkelnden, haselnussbraunen Augen zu und verschwand in der Menge. Sie sah ihm nach, bis ihr jemand zurief, sie solle Acht geben. Sie fragte sich, ob er wohl wirklich ein Dieb war. Sie jedenfalls fand ihn ausgesprochen nett. Sie ließen den Marktplatz hinter sich und ritten die einen lang gezogenen Hügel hinaufführende Marktstraße entlang, die durch Bezirke führte, in denen die reichen Händler wohnten, und an den Villen der noch reicheren Edelleute vorbei. Dort, wo die Marktstraße die Harmoniestraße kreuzte, begann der Tempelbezirk. Hier wechselte die Marktstraße ihren Namen und wurde zur Palaststraße. Coram setzte sich aufrechter in den Sattel. Nach all den Jahren, die er hier einstmals als Soldat gedient hatte, war dies wie ein Nachhausekommen.

Alanna entdeckte zahllose Tempel, während sie diesen Bezirk durchquerten. Sie hatte gehört, in Corus bete man hundert verschiedene Götter an, und tatsächlich gab es da genügend Tempel für alle. Sie sah sogar eine Gruppe von Frauen, die in Rüstungen gekleidet waren – die Wächterinnen des Tempels der Großen Muttergöttin. Sie waren mit mächtigen, zweischneidigen Äxten bewaffnet und sie wussten mit ihnen umzugehen. Ihre Pflicht war es, dafür zu sorgen, dass kein Mann jemals seinen Fuß auf den der Großen Mutter geweihten Boden setzte.

Alanna grinste. Eines Tages würde auch sie eine Rüstung tragen. Aber sie würde sich außerhalb der Grenzen eines Tempelgeländes bewegen!

Ganz plötzlich stieg die Straße steil an. Hier endete der Tempelbezirk. Über ihnen, auf der Spitze des Hügels, lag der Palast. Alanna keuchte, als sie ihn erblickte. Vor ihnen lag das mit Tausenden von Figuren beschnitzte und mit Gold besetzte Stadttor. Durch dieses Tor in der Palastmauer kamen an den heiligen Tagen Könige und Königinnen in die Stadt herunter. Durch dieses Tor gingen die Leute an den Audienztagen zu ihren Herrschern. Es war so hoch wie die Mauer, in die es eingelassen war: eine Mauer, an der aufgereiht die in königliches Gold und Rot gekleideten Soldaten standen. Hinter der Mauer erhoben sich bis zum eigentlichen Palast hinauf in vielen Ebenen gestaffelt Gebäude und Türme. Dieser Bezirk verfügte über eigene Gärten, Brunnen, Ställe, Kasernen und Tierzwinger. Draußen auf der anderen Seite der Mauer lag der Königswald.

All diese Dinge kannte Alanna aus den Büchern und den Karten ihres Vaters, doch dieser wirkliche Anblick verschlug ihr den Atem.

Coram ritt voraus auf den Schlosshof und zu den Ställen. Hier erwarteten Bedienstete die Ankunft der Gäste, um sie zu ihren Gemächern zu führen, die Diener der Ankömmlinge einzuweisen und sich um die Pferde zu kümmern. Einer dieser Männer kam auf sie zu.

Coram stieg vom Pferd. »Ich bin Coram Smythesson vom Lehnsgut Trebond. Ich habe meinen Herrn, Alan von Trebond, der seinen Dienst am Hof antreten soll, hierhergeleitet.«

Der Pferdeknecht verbeugte sich. Einem königlichen Pagen wurde ein gewisses Maß an Respekt gezollt, jedoch nicht im gleichen Maß wie einem erwachsenen Edelmann. »Dann werd ich mal die Pferde nehmen, Herr«, sagte er im starken Dialekt der Stadtbewohner. »Timon!«, rief er.

Ein schlanker junger Mann in königlicher Livree kam herangeeilt. »Ja, Stefan?«

»Da ist jemand für Seine Gnaden. Ich kümmre mich ums Gepäck.«

Alanna stieg ab und umarmte Chubby für einen Augenblick. Es kam ihr so vor, als sei er der letzte Freund, den sie noch hatte. Sie musste sich beeilen, um Timon und Coram einzuholen.

»Dass du mir Seiner Gnaden den Respekt erweist, der ihm zusteht«, knurrte ihr Coram ins Ohr. »Er ist ein Zauberer, der mit seinem Schwert umzugehen weiß, und einem besseren Lehrmeister wirst du nie begegnen.«

Alanna rieb sich nervös an der Nase. Was war, wenn etwas schiefging? Was war, wenn ihr der Herzog auf die Schliche kam?

Sie warf Coram einen Blick zu. Er schwitzte. Alanna knirschte mit den Zähnen und reckte störrisch das Kinn nach vorn. Sie würde diese Sache schon überstehen.

2

Der neue Page

Herzog Gareth von Naxen war groß und dürr, und glanzloses braunes Haar fiel ihm in die trüben braunen Augen. Obwohl er unscheinbar aussah, lag etwas Respekteinflößendes in seiner Erscheinung.

»So – Alan von Trebond?« Seine Stimme war dünn und näselnd. Er runzelte die Stirn, als er das Siegel von Alannas Brief brach. »Ich hoffe, du wirst dich hier besser machen als dein Vater. Er hockte nur unentwegt über seinen Büchern.«

Alanna schluckte schwer. Der Herzog machte sie nervös. »Das tut er noch immer, Herr.«

Der Herzog, der nicht sicher war, ob das schnippisch gemeint war, warf ihr einen strengen Blick zu. »Soso. Das habe ich mir gedacht.« Er lächelte und nickte Alannas Diener zu. »Coram Smythesson. Es ist lange her seit der Schlacht im Frohwald.«

Coram verbeugte sich und strahlte. »Ich hätte nicht gedacht, dass sich Eure Lordschaft erinnern würden. Das ist schon zwanzig Jahre her, und ich war damals noch ein junger Bursche.«

»Ich vergesse keinen, der mir das Leben gerettet hat. Willkommen im Palast. Es wird euch hier gefallen – obwohl du hart arbeiten wirst, mein Junge.« Herzog Gareth wandte seine Aufmerksamkeit wieder Alanna zu. »Setzt euch, alle beide.« Sie gehorchten. »Du, Alan von Trebond, bist hier, um zu lernen, was es bedeutet, ein Ritter und ein Edelmann von Tortall zu sein. Das ist keine leichte Aufgabe. Du musst lernen die Schwachen zu verteidigen, deinem Oberherrn zu gehorchen, dem Recht zum Sieg zu verhelfen. Eines Tages wirst du uns vielleicht sogar verraten können, was das ist – das Recht.« Es war unmöglich zu beurteilen, ob er scherzte. Alanna beschloss, nicht zu fragen.

»Bis zum Alter von vierzehn wirst du Page sein«, fuhr der Herzog fort. »Du wirst beim Abendessen bei Tisch servieren. Du wirst für jeden, der dich darum bittet – sei es nun ein Lord oder eine Lady –, Botengänge erledigen. Die Hälfte deines Tages wirst du darauf verwenden, Kampfsportarten zu erlernen. In der Hoffnung, dass wir dir das Denken beibringen können, wirst du die andere Hälfte mit Büchern verbringen. Wenn deine Lehrer der Meinung sind, du seist dafür bereit, wirst du mit vierzehn zum Knappen ernannt. Vielleicht wird dich dann ein Ritter zu seinem persönlichen Knappen wählen. Sofern das geschieht, wirst du dich um die Besitztümer deines Herrn kümmern, Botengänge für ihn erledigen und seine Interessen wahren. Dein übriger Unterricht wird weitergehen – und er wird natürlich schwieriger werden.«

»Mit achtzehn wirst du der Ritterprüfung unterzogen. Falls du überlebst, wirst du zum Ritter von Tortall ernannt. Doch nicht jeder überlebt.« Er hielt seine linke Hand hoch und zeigte, dass dort ein Finger fehlte. »Den habe ich im Prüfungssaal eingebüßt«, sagte er und seufzte. »Aber im Augenblick solltest du dir wegen dieser Prüfung noch keine Gedanken machen. Vorerst wirst du im Pagenflügel wohnen. Coram wird bei dir untergebracht, doch ich hoffe, dass er in seiner freien Zeit bei der Palastwache dienen kann.«

Coram nickte. »Gern, Euer Gnaden.«

Herzog Gareth verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. »Ausgezeichnet. Einen Mann mit deinen Fähigkeiten können wir gebrauchen.« Er sah wieder zu Alanna. »Einer der älteren Pagen wird dich betreuen und dir zeigen, wie die Dinge hier ablaufen. Er wird für dich verantwortlich sein, bis du mit dem Palast und mit deinen Pflichten vertraut bist. Wenn du folgsam bist und hart arbeitest, wirst du mich nicht oft zu Gesicht bekommen. Benimmst du dich daneben, wirst du merken, wie streng ich sein kann. Sofern du es verdient hast, wirst du Freizeit erhalten, um in die Stadt zu gehen. Aber täusche dich nicht – du wirst dir jedes Vorrecht dreifach erarbeiten müssen. Du bist hier, um das Rittertum zu erlernen, und nicht, um dir eine schöne Zeit zu machen. Timon« – Alanna merkte erst jetzt, dass der Diener die ganze Zeit über im Raum gewesen war –, »bring die beiden in ihre Zimmer. Kümmere dich darum, dass der Junge ordentlich eingekleidet wird. Und besorge auch eine Wachtpostenuniform für Meister Smythesson.« Der Herzog sah Alanna prüfend an. »Ich erwarte, dass du in fünf Tagen deinen Dienst bei Tisch antrittst. Du wirst mich bedienen. Hast du noch irgendwelche Fragen?«

Sie musste ihre ganze Kraft zusammennehmen, um zu antworten: »Nein, Eure Lordschaft.«

»Ein Herzog wird mit ›Euer Gnaden‹ angesprochen.« Der ältere Mann lächelte und hielt ihr die rechte Hand hin. »Es ist ein hartes Leben, aber du wirst dich daran gewöhnen.«

Alanna küsste ihm schüchtern die Hand. »Ja, Euer Gnaden.« Sie und die beiden Männer verneigten sich und verließen den Raum. Der Pagenflügel erstreckte sich an der Westseite des Palasts und befand sich in der Nähe der Mauer, von der aus man auf die auf die Stadt hinunterblicken konnte. Hier zeigte Timon Alanna und Coram zwei kleine Zimmer, die sie für die Zeit, in der Alanna als Page diente, bewohnen würden. Jemand hatte hier schon ihr Gepäck abgestellt.

Ihr nächster Weg führte zum Palastschneider. Alanna wurde schlecht, als ihr klar wurde, dass man ihr eine Pagenuniform anpassen würde. Ihr gingen Befürchtungen durch den Kopf, man könnte sie zwingen sich auszuziehen, man könnte sie ertappen und in Schmach und Schande nach Hause schicken, noch bevor sie Gelegenheit hätte überhaupt anzufangen.

Stattdessen wand ihr ein missmutig wirkender Mann hastig eine mit Knoten versehene Kordel um Schultern und Hüften und rief seinem Gehilfen die Zahl der Knoten zu, die nötig waren, um Alanna zu umspannen. Dann maß er mit der Kordel die Länge ihres rechten Armes und ihres rechten Fußes ab. Er scheuchte den verängstigt dreinschauenden Lehrling in einen Lagerraum, während er Coram ebenso hastig vermaß. Der Lehrling kehrte mit einem Arm voll Kleider zurück und wurde sogleich beauftragt, nach passenden Stiefeln und Schuhen zu suchen. Inzwischen schüttelte der missmutige alte Schneider einen goldenen Waffenrock aus und hielt ihn Alanna hin. Das Kleidungsstück hätte ohne Weiteres einem wesentlich größeren Jungen gepasst.

Coram gab sich Mühe ein Grinsen zu unterdrücken. »Ist der nicht ein kleines bisschen zu groß?«

Der Schneider warf dem Diener einen bösen Blick zu. »Jungs wachsen«, bellte er und lud Alanna unsanft den Kleiderhaufen und die Stiefel auf die Arme. »Das liegt in ihrer Natur.« Er wandte sich mit finsterer Miene Alanna zu. »Wenn du die Sachen kaputt machst, dann flickst du sie auch«, sagte er. »Ich will dich mindestens drei Monate lang nicht mehr sehen.«

Alanna folgte Coram und Timon nach draußen. Sie hatte ganz weiche Knie vor Erleichterung. Ihr Geheimnis war nicht entdeckt worden!

Timon brachte sie zum Mittagessen in die riesige Küche. Den Nachmittag verbrachte er damit, sie im Palast herumzuführen. Alanna hatte im Nu jegliche Orientierung verloren. Sie glaubte Timon nicht, als er ihr sagte, sie würde sich schnell zurechtfinden. In den königlichen Palast hätten ohne Weiteres etliche Trebonds hineingepasst, und hier lebten mehr Leute, als Alanna jemals gesehen hatte. Sie erfuhr, dass viele Adelige hier im Palast über Suiten verfügten. Außerdem gab es Unterkünfte für ausländische Besucher, einen Bedienstetenflügel, Thron- und Ballsäle, Küchen und Bibliotheken. All das bewirkte, dass sie sich sehr sehr klein vorkam.

Als sie schnell ihre Sachen auspackten, ging gerade die Sonne unter. Coram zog sich in seinem Zimmer frische Kleider an, während Alanna bedächtig ihre neue Uniform ausbreitete. Sie bemerkte, dass ihre Finger zitterten.

»Alan!«, rief der Diener.

Sie öffnete ihre Tür. Coram war bereit loszugehen. »Na, – Mäd... Junge?«, begann er. Seine dunklen Augen blickten freundlich. »Wie sollen wir es machen? Die Jungs ziehen sich gerade für das Abendessen um.«

Alanna versuchte zu lächeln. »Geh nur voraus.« Sie bemühte sich, ganz locker zu klingen. »Ich komme schon zurecht.«

»Bist du sicher?«

»Natürlich«, entgegnete sie entschlossen. »Würde ich es sagen, wenn es nicht der Wahrheit entspräche?«

»Ja«, antwortete er ruhig.

Alanna seufzte und rieb sich die Stirn. Sie wünschte sich, er würde sie nicht so gut kennen. »Am besten machen wir es gleich von Anfang an so, Coram. Ich schaffe es schon. Wirklich. Geh nur.«

Er zögerte einen Augenblick. »Viel Glück – Alan.«

»Danke.« Sie sah zu, wie er ging, und fühlte sich plötzlich ganz verlassen. Dann schloss sie die Tür ab – es ging nicht an, dass irgendeiner unangemeldet hereinkam – und nahm ihr Hemd.

Als sie fertig angezogen war, starrte sich Alanna im Spiegel an. Nie hatte sie so gut ausgesehen. Das weitärmelige Hemd und die Kniehosen hoben sich leuchtend scharlachrot von dem goldenen Waffenrock ab. Ihre Füße steckten in derben Lederschuhen; an einem schmalen Ledergürtel hingen ihr Dolch und ihr Beutel. Die Kleider waren wirklich etwas groß, aber sie war so von den Farben geblendet, dass sie sich daran nicht störte.

Ein so leuchtendes Rot und ein noch strahlenderes Gold hatten etwas für sich: In der königlichen Uniform fasste sie Mut, die Tür aufzuschließen und in den Flur hinauszutreten. In ihren schäbigen alten Kleidern hätte sie das nicht gewagt. Mehrere Jungs sahen sie und verbreiteten sofort die Nachricht: Es gibt einen neuen Pagen im Palast! Plötzlich war es vollkommen still geworden im Pagenflügel. Alle kamen herbei, um den Neuankömmling zu mustern.

Jemand packte sie von hinten. Sie wirbelte herum. Ein hoch aufgeschossener, knapp vierzehnjähriger Junge starrte sie an. Sein Mund war zu einem höhnischen Grinsen verzogen. Er hatte kalte blaue Augen und sandfarbenes Haar, das ihm über die Stirn fiel.

»Wen haben wir denn da?« Er spuckte beim Sprechen. Alanna wischte sich etwas Spucke von der Wange. »Vermutlich ist es ein Junge aus dem Hinterland, der sich für einen Edlen hält.«

»Lass ihn in Ruhe, Ralon!«, warf jemand ein. »Er hat doch gar nichts gesagt.«

»Das würde ich ihm auch nicht raten!«, gab Ralon barsch zurück. »Ich wette, er ist ein Bauernsohn, der so tun will, als sei er einer von uns.«

Alanna wurde tiefrot. »Man hat mir gesagt, dass die Pagen hier lernen sollen, wie man sich benimmt«, murmelte sie. »Derjenige, der mir das gesagt hat, hat sich offensichtlich geirrt.«

Der Junge packte sie am Kragen und hob sie hoch. »Du hast zu tun, was man dir befiehlt«, zischte er, »bevor du dir das Recht verdienst, dich Page zu nennen. Wenn ich sage, du bist der Sohn eines Ziegenhirten, dann antwortest du: ›Ja, Lord Ralon!‹«

Alanna keuchte vor Empörung. »Da küss ich noch eher ein Schwein! Das ist es wohl, womit du so deinen Spaß hast, was? Schweine küssen? Oder dich von ihnen küssen zu lassen?«

Ralon schleuderte sie gegen die Wand. Alanna ging zum Angriff über, rammte ihn in den Magen und warf ihn zu Boden. Ralon stieß einen Schrei aus und schob sie von sich weg.

»Was ist denn hier los?«

Die junge, männliche Stimme war klar und kraftvoll. Ralon erstarrte; Alanna stand langsam auf. Die anderen Jungs machten einem dunkelhaarigen Pagen und seinen vier Begleitern Platz.

Ralon sprach als Erster. »Hoheit, dieser Junge hat sich aufgeführt, als gehörte ihm der Palast«, sagte er mit weinerlicher Stimme. »Als wäre er der König hier. Und er hat mich beleidigt, wie kein Ehrenmann einen anderen beleidigt ...«

»Ich glaube nicht, dass ich dich angesprochen habe, Ralon von Malven«, sagte der Junge, den Ralon ›Hoheit‹ genannt hatte. Seine blauen Augen ruhten auf denen Ralons. Die beiden Jungen waren etwa gleich groß, doch der dunkelhaarige Junge schien ungefähr ein Jahr jünger zu sein und er besaß wesentlich mehr Autorität. »Wenn ich mich nicht irre, habe ich dir befohlen, mich überhaupt nicht mehr anzusprechen.«

»Aber Hoheit, er...«

»Halt den Mund, Ralon!«, befahl einer der Freunde des Jungen. Er war stämmig, hatte dichte, braune Locken und seine Augen waren pechschwarz. »Du weißt, was man dir befohlen hat.«

Mit zornrotem Gesicht trat Ralon beiseite. Der Junge, der hier die Befehl zu geben schien, sah sich um. »Douglass.« Er nickte einem Jungen zu, der schon die ganze Zeit über mit dabei gewesen war. »Was ist geschehen?«

Ein kräftiger blonder Page trat nach vorn. Seine Haare waren noch nass vom Waschen. Er war es gewesen, der Ralon zugerufen hatte, er solle Alanna in Ruhe lassen.

»Es war Ralon, Jon«, sagte er. »Der neue Junge stand einfach nur hier herum. Ralon hat angefangen auf ihm herumzuhacken  – er hat ihn einen Jungen vom Land, einen Bauernsohn genannt. Der Neue sagte, er habe gemeint, wir seien hier, um Manieren zu lernen. Ralon packte ihn und sagte, er habe zu tun, was er, Ralon, ihm befehle, und er habe ›Ja, Lord Ralon‹ zu sagen.«

Der Junge, der Hoheit genannt wurde, sah Ralon angewidert an. »Das überrascht mich nicht.« Er wandte seine hellen Augen wieder Alanna zu. »Und dann?«

Douglass grinste. »Der neue Junge meinte, da würde er noch eher ein Schwein küssen.« Die Pagen begannen zu kichern. Alanna wurde rot und ließ den Kopf hängen. Ralon hatte sich schlecht benommen, aber ihr Verhalten war auch nicht viel besser gewesen. »Er sagte, Ralon habe wohl schon Schweine geküsst. Oder sich von ihnen küssen lassen.«

Die meisten Jungs begannen laut loszulachen. Alanna konnte sehen, dass Ralon die Fäuste ballte. Sie hatte sich ihren ersten Feind gemacht. »Ralon hat den Neuen gegen die Wand geschleudert«, fuhr Douglass fort. »Der neue Junge hat sich gewehrt und ihn zu Boden geworfen. Und dann bist du gekommen, Jon.«

»Mit dir rede ich später, Ralon«, meinte der dunkelhaarige Junge. »In meinen Wohnräumen, vor dem Lichterlöschen.« Als Ralon zögerte, fügte Jon mit leiser, eisiger Stimme hinzu: »Du bist hiermit entlassen, Malven.«

Ralon stürzte durch den Flur davon. Die Jungs sahen ihm nach, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder Alanna zuwandten, die immer noch den Fußboden anstarrte.

»Du hast einen guten Geschmack, was deine Feinde betrifft, auch wenn du sie dir gleich am ersten Tag hier einhandelst«, sagte Jon. »Lass dich mal anschauen, Feuerschopf!«

Langsam hob sie den Blick und sah in seine Augen. Er war etwa drei Jahre älter als sie, hatte pechschwarzes Haar und Augen in der Farbe von Saphiren. Seine Nase war leicht gebogen, seine Gesichtszüge streng, doch auf seinen Lippen lag ein leichtes Lächeln, und seine Augen strahlten sie verschmitzt an. Alanna verschränkte die Hände hinter dem Rücken und erwiderte seinen Blick, bis ihr der stämmige Junge, der Ralon zum Schweigen gebracht hatte, zuflüsterte: »Das ist Prinz Jonathan.«

Sie verneigte sich nur leicht, denn sie befürchtete, sie könnte umfallen, wenn sie sich tiefer beugte. Man traf nicht jeden Tag einen Thronerben. »Königliche Hoheit«, sagte sie. »Ich bedaure dieses – dieses Missverständnis.«

»Du hast nichts missverstanden«, erklärte ihr der Prinz. »Ralon ist kein Ehrenmann. Wie heißt du?«

»Alan von Trebond, Hoheit.«

Er runzelte die Stirn. »Ich kann mich nicht erinnern, deine Eltern hier am Hof gesehen zu haben.«

»Nein, Hoheit.«

»Warum nicht?«

»Es liegt an meinem Vater. Er mag den Hof nicht, Hoheit.«

»Ich verstehe.« Man konnte ihm nicht ansehen, was er von ihrer Antwort hielt. »Magst du den Hof, Alan von Trebond?«

»Ich weiß es nicht«, entgegnete sie ehrlich. »In ein paar Tagen werde ich es Euch sagen können.«

»Ich bin gespannt auf deine Meinung.« Lachte er etwa leise in sich hinein? »Hast du die anderen schon kennengelernt?«

Dank dieser königlichen Erlaubnis wollten sich die anderen nun alle gleichzeitig vorstellen. Der freundliche stämmige Junge, der ihr gesagt hatte, wer Jonathan war, hieß Raoul von Goldensee. Der kräftige Junge mit den kastanienbraunen Augen und Haaren war Gareth – Gary – von Naxen, der Sohn des Herzogs. Der dunkle, dünne Junge neben ihm war Alexander von Tirragen und Raouls schüchterner blonder Schatten war Francis von Nond. Da waren noch zehn andere, aber diese vier – und der Prinz – waren die Anführer.

Schließlich sagte Jonathan: »Jetzt, wo wir unser neuestes Mitglied kennengelernt haben – wer wird ihn betreuen?«

Fünf der älteren Jungs hoben die Hand. Jonathan nickte. »Dein Betreuer wird dafür sorgen, dass du dir nicht allzu verloren vorkommst«, erklärte er Alanna. »Ich glaube, es ist das Beste, wenn Gary sich um dich kümmert.«

Der kräftige Junge nickte Alanna zu.

Seine braunen Augen blickten sie freundlich an. »Ist mir eine Freude.«

Alanna verneigte sich höflich.

Eine Glocke erklang. »Wir sollten gehen«, verkündete Jonathan. »Alan, du bleibst in der Nähe von Gary und passt auf, was er dir sagt.«

Alanna folgte ihrem neuen Betreuer zu dem großen Speisesaal, der nur den Sommer über geschlossen war, wenn sich die meisten Edlen auf ihren Ländereien aufhielten und sich der restliche Hof zum Sommersitz am Meer begab. Für den Rest des Jahres tafelte hier der gesamte Hof, wobei die Pagen auftrugen. Gary wies Alanna an, sich in eine Nische zu stellen, aus der sie alles beobachten konnte. Während er seinen Servierpflichten nachging und hin und her eilte, gab er ihr flüsternd Erklärungen ab. Es war Gary, der ihr den Weg zum Speisesaal der Pagen zeigte, nachdem das Bankett vorüber war, und er war es auch, der sie aufweckte (sie schlief über dem Nachtisch ein) und sie in ihr Zimmer brachte. »Willkommen im Palast, junger Trebond«, sagte er grinsend, als er sie Coram übergab.

Alanna kroch müde ins Bett und dachte: Gar nicht so übel – wenn man bedenkt, dass es der erste Tag war.

 

Die Glocke, die hoch über dem Pagenflügel in einem Turm hing, weckte Alanna, als der Morgen graute. Stöhnend tauchte sie das Gesicht in kaltes Wasser. Sie war noch immer erschöpft von ihrem fünftägigen Ritt und hätte ausnahmsweise einmal länger schlafen können.

Gary – hellwach, unverschämt gut gelaunt und voller Energie –, kam sie abholen, gerade als sie fertig angekleidet war. Während Alanna, die Frühstück hasste, am liebsten nur einen Apfel gegessen hätte, häufte ihr Gary den Teller voll. »Iss«, ermahnte er sie. »Du wirst deine Kraft brauchen.«

Leise bimmelte die Glocke. Die Pagen eilten zu ihrem Unterricht. Alanna musste fast rennen, um mit ihrem Betreuer Schritt zu halten.

»In der ersten Stunde haben wir Lesen und Schreiben«, erklärte er ihr.

»Aber lesen und schreiben kann ich schon!«, protestierte Alanna.

»So? Gut. Du würdest dich wundern, wie viele Söhne von Edelleuten es nicht können. Mach dir keine Sorgen, junger Trebond.« Er grinste sie an. »Ich bin sicher, der Lehrer wird schon irgendetwas finden, was du tun kannst.«

Alanna entdeckte bald, dass das, was die Edlen die »Geisteskünste« nannten, von Mithran-Priestern gelehrt wurde. Diese in orangefarbene Roben gekleideten Männer waren strenge Lehrmeister, die jeden Jungen ertappten, der vor sich hin träumte oder döste. Als sich der Priester überzeugt hatte, dass Alanna lesen und schreiben konnte (er ließ sie eine Seite aus einem Buch laut vorlesen und anschließend abschreiben), teilte er ihr ein langes und ziemlich langweiliges Gedicht zu. Alanna sollte es lesen und sich darauf vorbereiten, am nächsten Tag etwas darüber zu erzählen. Als die Glocke am Ende der Stunde erklang, war sie noch längst nicht fertig.

»Wann soll ich den Rest machen?«, fragte sie Gary und wedelte mit der Rolle, auf der das Gedicht geschrieben stand. Er führte sie zum nächsten Unterrichtsraum.

»In deiner Freizeit. So, da wären wir. Mathematik. Kannst du auch rechnen?«

»Ein wenig«, gestand sie.

»Ein echter Gelehrter«, bemerkte Alex, der sie eben einholte, und lachte.

Alanna schüttete den Kopf. »Nein. Aber was das Studieren von Büchern betrifft, ist mein Vater sehr streng.«

»Hört sich so an, als wäre er in dieser Hinsicht ganz ähnlich wie meiner«, sagte Gary trocken.

»Keine Ahnung«, entgegnete Alanna. Da ihr einfiel, was der Herzog am Tag zuvor über ihren Vater gesagt hatte, fügte sie hinzu: »Ich glaube nicht, dass sie gut miteinander auskämen.«

Wieder musste Alanna zeigen, was sie konnte. Als sich der Priester, der Mathematik unterrichtete, überzeugt hatte, wie weit ihre Kenntnisse reichten, wollte er, dass sie etwas lernte, das er »Algebra« nannte.

»Was ist Algebra?«, wollte Alanna wissen.

Der Priester runzelte die Stirn. »Das ist die Grundlage für die verschiedensten Dinge«, erklärte er ihr streng. »Ohne Algebra kannst du keine sichere Brücke, keinen ordentlichen Kriegsturm, kein Katapult, keine Windmühle und kein Bewässerungsrad bauen. Es gibt unendlich viele Anwendungsgebiete, und lernen kannst du Algebra, indem du sie studierst, und nicht, indem du mich anstarrst.«

Tatsächlich starrte Alanna ihn an. Der Gedanke, dass ausgerechnet Mathematik Dinge wie Windmühlen und Katapulte zum Funktionieren brachte, war erstaunlich. Und als ihr klar wurde, wie schwer die Aufgaben waren, die sie für den nächsten Tag erledigen sollte, war sie noch erstaunter.

Als Gary herüberkam, um ihr zu behilflich zu sein, fragte sie ihn wieder: »Wann soll ich das alles erledigen? Ich muss für morgen vier Aufgaben lösen, und es ist schon fast Zeit für die nächste Stunde!«

»In deiner Freizeit«, entgegnete Gary. »Und in der Zeit, die dir jetzt noch verbleibt. Hör zu – wenn du nicht klarkommst, dann biete Alex an, ihm bei seinen Extrapflichten zu helfen. Was Mathematik betrifft, ist er ein richtiger Rechenkünstler.« Die Glocke läutete. »Komm, wir gehen, Kleiner.« In der nächsten Unterrichtsstunde ging es um Umgangsformen – oder vielmehr um die Manieren, wie sie ein Edelmann an den Tag legen sollte. Alanna hatte schon frühzeitig gelernt »Bitte« und »Danke« zu sagen, aber sie merkte rasch, dass das nur die einfachsten Grundbegriffe waren. Sie wusste nicht, wie man sich verneigte. Sie wusste nicht, wie man einen Lord im Gegensatz zu einem Grafen anredete. Sie wusste nicht, welcher der drei Löffel bei einem Bankett zuerst benutzt wurde. Sie konnte nicht tanzen und sie beherrschte kein Instrument. Der Lehrer gab ihr einen riesigen Band mit Benimmregeln zu lesen und befahl ihr, sofort Harfenunterricht zu nehmen – in ihrer Freizeit.

»Aber ich muss doch heute Abend in meiner Freizeit das erste Kapitel hiervon lesen!«, erklärte sie Gary, und Alex und pochte auf das dicke Etikettebuch. Sie saßen während ihrer Vormittagspause, die ganze zehn Minuten dauerte, auf einer Bank. »Und vier Mathematikaufgaben habe ich auch zu lösen, und dann ist da noch der Rest von diesem blöden Gedicht ...«

»Ah«, sagte Gary verträumt. »Freizeit. Davon habe ich auch schon mal gehört. Mach dir nichts vor, Feuerkopf. Bei den zusätzlichen Unterrichtsstunden, die du sowieso schon jeden Tag kriegst, ist Freizeit eine Illusion. Freizeit hast du, wenn du tot bist – als Belohnung der Götter für ein Leben, in dem du von Sonnenaufgang bis Mitternacht geschuftet hast. Das wird uns allen früher oder später klar – die einzige freie Zeit, die du hier hast, ist diejenige, die dir mein ehrenwerter Vater möglicherweise zugesteht, wenn er der Meinung ist, du habest sie verdient.«

»Und die gibt er dir nicht abends«, warf Alex ein. »Die gibt er dir, wenn du eine Weile hier warst, am Markttag und manchmal einen Vormittag oder einen Nachmittag, den du ganz allein für dich verbringen darfst. Aber niemals einen Abend. Abends lernst du. Tagsüber lernst du. Im Schlaf ...«

Die Glocke bimmelte.

»Ich könnte lernen diese Glocke zu hassen«, murrte Alanna, während sie ihre Sachen einsammelte. Die beiden älteren Jungs grinsten und schleppten sie zur nächsten Unterrichtsstunde.

Zu ihrer Überraschung war diese Stunde ganz anders. Die Jungen saßen aufrecht auf ihren Stühlen und sahen so aus, als wären sie gespannt auf das, was ihnen bevorstand. An den Wänden hingen Karten und Schaubilder. Vor den Stühlen stand ein Brett, auf dem mehrere große, unbeschriebene Papierbögen befestigt waren. Auf einem Tisch daneben lag eine Schachtel mit Kohlestiften.

Als der Lehrer eintrat, wurde er freundlich begrüßt. Dieses Mal war es kein Priester. Der Mann war klein und dick, sein langes braunes Haar war von grauen Strähnen durchzogen, sein langer Bart war struppig. Seine Kniehose war an den Knien ausgebeult; sein Waffenrock so zerknittert, als habe er darin geschlafen. Er hatte eine winzige, fein geschnittene Nase und auf seinen Lippen war ein Lächeln. Alanna sah in die großen, grünbraunen Augen des Mannes und musste unwillkürlich lächeln. Er wirkte so seltsam chaotisch und gutmütig zugleich, wie sie es noch nie bei jemandem erlebt hatte, und sie mochte ihn auf den ersten Blick. Er hieß Sir Myles von Olau.

»Hallo!«, begrüßte er Alanna freundlich. »Du musst Alan von Trebond sein. Du bist ein ziemlich tapferer Kerl, dass du am ersten Tag bis jetzt durchgehalten hast. Hat dir jemand verraten, was wir hier lernen wollen?«

Alanna sagte das Erste, was ihr in den Sinn kam. »Ich weiß nur, dass ich gehorchen muss, wenn man mir etwas befiehlt, und dass ich keine Freizeit habe.«

Die Jungs kicherten und Myles lächelte. Alanna wurde rot.

»Entschuldigung«, murmelte sie. »Ich wollte nicht frech sein.«

»Macht nichts«, versicherte ihr Myles. »Dein Leben hier wird nicht einfach werden. Unser Ritterkodex stellt hohe Anforderungen.«

»Sir Myles, wollt Ihr schon wieder mit dem Kodex anfangen?« , fragte Jonathan. »Ihr wisst, dass wir Eure Meinung, er verlange uns zu viel ab, nicht teilen.«

»Nein, heute werde ich mich nicht wieder über den Kodex auslassen«, entgegnete Myles. »Erstens einmal werdet ihr mir nicht zustimmen, bis der Ruhm, ein Ritter und ein Edelmann zu sein, seinen Glanz verloren hat und bis ihr seht, welchen Preis ihr für diese Lebensweise zahlen müsst. Und zweitens hat Herzog Gareth mir zu verstehen gegeben, dass unsere Kenntnisse über die Bazhir-Stämme nicht adäquat sind und dass wir ein höheres Niveau erreicht haben müssen, wenn er uns das nächste Mal mit seinem Besuch beehrt.«

»Wie bitte?«, fragte einer.

Myles sah Alanna an und seine Augen blitzten verschmitzt. »Ich vergesse des Öfteren, dass nicht jeder ein Gelehrter ist wie ich, und ich neige dazu, mich unverständlich auszudrücken. Also – anders formuliert – Herzog Gareth wünscht, dass ich die Bazhir-Kriege behandle, weil er findet, dass ich zu viel Zeit darauf verwende, mit euch über den Ritterkodex zu diskutieren, und zu wenig auf die Geschichte von Tortall und die Kriege – und das ist es ja, was ich euch beibringen soll.«

Alanna verließ nachdenklich den Unterrichtsraum, was sie sonst nur selten ernsthaft tat.

»Warum runzelst du die Stirn?«, fragte Gary, als er sie einholte. »Magst du Myles nicht? Ich schon.«

Überrascht blinzelte Alanna ihn an. »Oh, nein. Ich mag ihn sehr. Er kommt mir nur ...«