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Alarm am Gletscher! Die MounTeens erleben aufregende Herbsttage, als der 16-jährige Klimaschützer Leon Tanner für eine grosse Gletscherkonferenz in Bad Lärchenberg eintrifft. Mit Plakaten machen viele Jugendliche an einer Demonstration auf die globale Erderwärmung und das Abschmelzen der Gletscher aufmerksam. Das gefällt nicht allen. Leon wird in den sozialen Medien beschimpft und auch real bedroht. Nachdem er im Stadtpark tätlich angegriffen wird, treten die MounTeens – zusammen mit Spürhund Dali – in Aktion. Dabei gerät Matteo zuerst als Lockvogel in Schwierigkeiten und erlebt dann, wie bedrohlich das ewige Eis sein kann ...
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Band 4
Mit freundlicher Unterstützung von Zürioberland Kultur
Impressum
Copyright © 2021 boox-verlag, Urnäsch
Alle Rechte vorbehalten
Illustrationen und Covergestaltung: Natalie Behle
Korrektorat: Beat Zaugg
ISBN
978-3-906037-64-6 (Hardcover)
Auch erhältlich als:
978-3-906037-65-3 (ebook)
MounTeens ist eine eingetragene Marke von Feigenwinter Strategy & Creation
www.boox-verlag.ch
(Mit 1% seiner Einnahmen unterstützt der Verlag eine Umweltschutzorganisation)
Marcel Naas
Der vierte Fall für die MounTeens
Für Melina
DIE MOUNTEENS SIND
DIE BEERDIGUNG
PROTESTE UND PAROLEN
EIN HINTERHÄLTIGER ANGRIFF
EISIGER SONNTAGMORGEN
LOCKVOGEL IN GEFAHR
EINE UNERWARTETE SPUR
EISZEIT
DIE GLETSCHERKONFERENZ
LICHTSPEKTAKEL MIT DUNKLEM AUSGANG
FALSCHE FANS
WO IST LEON?
HEISSE SPUR IN DER KÄLTE
UNGLEICHER KAMPF
DIE DROHUNG
AUFGEDECKTER TÄTER UND ZUGEDECKTE BROTE
DIE FALLE
DER SECHSTE GAST
Sam
Samuel Winter, von seinen Freunden Sam genannt, ist für seine dreizehn Jahre gross, kräftig und ein richtig guter Sportler. Er ist stets voller Tatendrang, wagemutig und besitzt einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Vielleicht liegt das ja daran, dass sein Vater, Wachtmeister Jan Winter, als leitender Polizist in Bad Lärchenberg arbeitet.
Seine Mutter Sarah ist Englischlehrerin im örtlichen Sportgymnasium und hofft insgeheim, dass sich Sam in der Schule noch etwas mehr anstrengt, um nicht nur im Eishockey erfolgreich zu sein. Sam hat wilde blonde Locken und blaue Augen. Die vereinzelten Sommersprossen und sein spitzbübisches Lächeln machen ihn unwiderstehlich sympathisch. Sam ist selbstbewusst, spontan und unbekümmert, sodass er sich oft ohne zu überlegen in neue Abenteuer stürzt.
Lena
Lena Sander ist blitzgescheit und gilt als Denkerin der MounTeens. Gemeinsam mit ihren Freunden besucht sie die siebte Klasse in Bad Lärchenberg, wobei sie den Schulstoff eher als lästige Pflicht sieht. Viel lieber stillt sie ihren grossen Wissensdurst, indem sie in ihrer Freizeit das Internet nach allen möglichen Informationen durchsucht. Mit ihren schulterlangen roten Haaren, der frechen schwarzen Hornbrille und ihrem leicht spöttisch wirkenden Gesichtsausdruck gilt Lena als pfiffiger, kaum zu bändigender Wirbelwind. Was andere über sie denken, kümmert sie wenig. Das zeigt sich auch in ihrem ausgefallenen Kleidungsstil. Sie legt sich – zumindest mit Worten – mit jedem an und ist dabei nicht auf den Mund gefallen. Ihre Mutter, Anna Sander, ist alleinerziehend und als Tourismusdirektorin von Bad Lärchenberg zeitlich stark beansprucht, weshalb Lena viele Freiheiten geniesst.
Matteo
Matteo Bertone, kurz »Berti«, ist ausgesprochen hartnäckig – und dies nicht nur beim Fussballspielen, wenn er dem Ball nachjagt. Auch bei den MounTeens kann er sich so richtig in einen Fall verbeissen. Besonders auffallend ist Matteos positive Ausstrahlung – sein allzeit spürbarer Optimismus und die ansteckend gute Lau-ne, welche seine Freunde Matteos italienischen Wurzeln zuschreiben. Mit seinem wachen Blick, den dunkelbraunen Augen und seiner temperamentvollen Art versprüht Matteo jedenfalls viel Charme. Als Einziger der MounTeens wohnt Matteo nicht in Bad Lärchenberg, sondern mitten im Ski- und Wandergebiet, da seine Eltern Claudio und Monica Bertone das Hotel Regina auf der Lärchenalp führen. Matteos Bruder Diego ist bereits achtzehn, was ihn aber nicht daran hindert, seinen Bruder und die MounTeens immer wieder mal tatkräftig zu unterstützen.
Amélie
Amélie Richard ist humorvoll und unkompliziert. Ihr Lachen steckt an und macht sie gepaart mit ihrer herzlichen Art zur unverzichtbaren »Seele« der MounTeens. Amélie ist sehr sportlich, was wenig verwundert, da ihr Vater Tim Richard im Winter als Skilehrer und im Sommer als Bademeister in Bad Lärchenberg arbeitet.
Ihrer Mutter Lou Richard hilft sie manchmal im familieneigenen Friseurgeschäft, weshalb sie über Klatsch und Tratsch in der kleinen Bergstadt gut informiert ist. Amélie hat lange blonde Haare, blaue Augen und ist wie alle MounTeens dreizehn Jahre alt. Mit ihrer eher zurückhaltenden und bisweilen ängstlichen Art weckt sie den Beschützerinstinkt der Jungs – insbesondere jenen von Sam. Mit allen MounTeens verbindet sie eine enge Freundschaft, wobei sie sich selbst nicht sicher ist, ob der Begriff »Freundschaft« ihre Gefühle für Sam wirklich treffend beschreibt …
»Er ruhe in Frieden«, sagte Pfarrer Kern, und eine tiefe Trauer schien sich über die Anwesenden zu legen.
»Amen«, wisperte Amélie, bevor sich eine Träne aus ihrem Augenwinkel löste und die Wange hinunterkullerte.
Sam legte seinen Arm um sie und drückte sie an sich. »Es ist ja niemand gestorben«, versuchte er Amélie zu trösten.
»Doch«, schluchzte sie, »der Gletscher ist tot!«
Matteo schaute hoch zu den kümmerlichen Überresten des Rautalgletschers und schüttelte den Kopf. »Das ist eben der Unterschied zu einer Beerdigung von Menschen. Der Gletscher ist noch da, aber er wurde von Glaziologen für tot erklärt, weil er nicht mehr fliesst.«
Die MounTeens hatten soeben an einer Gletscherbeerdigung teilgenommen, wie sie seit einiger Zeit an verschiedenen Orten in den Alpen stattfand.
»Glaziologen müssen übrigens keine Glatze haben oder zu Haarausfall forschen«, witzelte Sam, um die Stimmung etwas aufzuheitern, wobei er auf die zierliche, junge Gletscherforscherin zeigte, die kurz zuvor vehement auf die Gefahren der Erderwärmung und die Wichtigkeit der Gletscher hingewiesen hatte.
Lena kicherte und sah sich um. Neben den MounTeens, Glaziologin Kraus und Pfarrer Kern hatten etwa hundert weitere Personen die knapp dreistündige Wanderung hinauf zum Rautalgletscher auf sich genommen. Sie standen nun versammelt vor der herrlich gelegenen Rautalhütte und warteten auf einen freien Tisch, um sich hinzusetzen und etwas zu trinken. Viele von ihnen waren schwarz gekleidet, andere trugen Transparente, die auf den Klimawandel hinwiesen. Lena kannte die wenigsten Teilnehmenden. Mehrheitlich waren sie unter dreissig Jahre alt und schienen zur »Gefolgschaft« von Leon Tanner zu gehören.
»Was hältst du von ihm?«, fragte Matteo, der bemerkt hatte, dass Lenas Blick am sechzehnjährigen Anführer der Schweizer Klimabewegung hängengeblieben war.
»Er ist cool.« Lena errötete. »Also nicht, dass du jetzt denkst, ich würde auf ihn stehen oder so.«
Matteo schwieg, doch seine Mundwinkel zuckten.
»Hör auf, so dämlich zu grinsen, Berti!«, sagte Lena schnell. »Ich finde es einfach unglaublich, wie er sich für die Umwelt einsetzt und was er alles bewegt. Schau dir nur das hier an.« Sie zeigte auf die »Trauergäste«, dann wies sie mit dem Kinn in Richtung Plateau vor der Rautalhütte, wo zweihundert Meter unter dem Gletscher die symbolische halbstündige Feier stattgefunden hatte. »Da wären sonst nicht halb so viele gekommen, wenn er nicht dazu aufgerufen hätte!«
«Du hast natürlich recht.» Amélie nickte, bevor sie die Nase rümpfte. »Aber ich finde, Leon nimmt sich schon sehr wichtig und hält sich für etwas Besonderes. Der würde wohl nicht mal mit uns sprechen.«
»Er ist wichtig und etwas Besonderes«, konterte Lena. »Ausserdem habe ich gelesen, dass ihm in den sozialen Medien so viel Hass entgegenschlägt, dass er sich halt mittlerweile distanzierter gibt.«
Amélies Augen weiteten sich, dann gab sie Lena ein Zeichen, dass sie nicht mehr weiterreden solle.
»Was ist los?«, fragte Lena alarmiert.
»Hey, schön, dass ihr gekommen seid!«, sagte eine Stimme hinter ihr.
Lena drehte sich um und blickte ins Gesicht des freundlich lächelnden Leon Tanner. »Meinst du uns?«, stammelte sie überrascht.
»Ja, seid ihr von hier, oder kennen wir uns bereits von den Anlässen in Bern?«
»Warum Bern?«, platzte Sam heraus.
Lena verdrehte die Augen. »Du stehst auf dem Schlauch, Sam! Er meint natürlich die öffentlichen Demonstrationen und Sitzstreiks.«
Sam wurde rot. »Klar«, murmelte er kleinlaut. »Weiss ich doch.«
»Ich höre es eurem Akzent an, dass ihr von hier seid«, lachte Leon, der Sam nicht blossstellen wollte. »Und in Bern protestieren wir jeweils, um Politikerinnen und Politiker auf unsere Anliegen aufmerksam zu machen. Kommt einfach auch mal.« Leon schaute ins Tal. »Wohnt ihr in Bad Lärchenberg?« Er sog die kühle Oktoberluft ein. »Schön hier.«
»Ja«, beeilte sich Lena zu sagen, stellte sich neben Leon und genoss die Aussicht auf die idyllisch in einer Hochebene gelegene kleine Alpenstadt, die rund tausend Meter unter ihnen lag. »Ich mag vor allem den See«, schwärmte sie. »Schade, dass der Sommer bereits wieder vorbei ist.« Sie schloss den Reissverschluss ihrer Windstopper-Jacke. »Warst du schon mal hier?«
»Vor Jahren besuchte ich mit meinem Vater ein Spiel des HC Lärchenberg.« Er zeigte ins Tal. »Ist das Stadion nicht dort neben dem Thermalbad?«
»Ja, genau.« In Sams Antwort schwang Stolz mit. »Da trainiere ich drei Mal die Woche. Vielleicht schaffe ich es auch mal in die erste Mannschaft!«
Leon musterte Sam. »Du bist jedenfalls jetzt schon so gross wie ich und deutlich kräftiger.«
Amélie betrachtete den schlaksigen, bleichen Jungen, der mit seiner runden Brille und den kurzen, dunklen Haaren so ziemlich das Gegenteil von Sam darstellte. Wäre er ihr nicht aus dem Fernsehen bekannt gewesen, hätte sie sich nie im Leben nach ihm umgedreht. Leon fiel definitiv nicht durch sein Äusseres, sondern vielmehr durch seinen scharfen Verstand auf, den er in bedachten, aber eindringlichen Reden oder während Diskussionen immer wieder bewies. »Das Stadion befindet sich gleich bei der Fussgängerzone«, fuhr Sam weiter. »Nebenan siehst du die Kirche und das Kongresszentrum. Ich vermute, du bist wegen der Gletscherkonferenz hier, die ab Montag stattfindet.«
»Richtig«, bestätigte Leon. »Übermorgen geht’s los. Und am Donnerstag nehme ich an der abschliessenden Gesprächsrunde teil, einer Podiumsdiskussion, wie man das nennt. Erst stand aber heute die Gletscherbeerdigung auf dem Programm. Und um siebzehn Uhr dann die Demonstration in der Fussgängerzone. Kommt ihr auch?«
»Na klar«, antwortete Matteo. »Wir haben sogar ein Plakat gemacht.«
»Und was steht da drauf?«, fragte Leon und schaute interessiert.
»Wir haben uns für ›Schluss mit den neugierigen Fragen von Berner Klimaaktivisten!‹ entschieden«, entgegnete Lena keck. »Lass dich überraschen.«
»Gerne.« Leon lachte. »Hauptsache, ihr seid dabei.«
»Ehrensache«, bekräftigte Lena und zeigte auf die gegenüberliegende Talseite. »Siehst du die Lärchenalp?«
»Du meinst die vereinzelten Häuser, wo oberhalb die vielen Skilifte und anderen Anlagen sind?«
»Ja, das ist unser Skigebiet. Es reicht hinauf bis knapp dreitausend Meter. Folge mit deinem Blick mal den Masten der Gondelbahn, die von der Lärchenalp her hochführt.«
»Mach ich.« Leon kniff die Augen zusammen. »Hat es dort oben auch noch einen Gletscher?«
»Genau den wollte ich dir zeigen. Es ist der Firstgletscher, der gleich neben der Gondelstation am Gämshorn liegt. Er ist ganz klein geworden.«
Leon schien nachzudenken. »Ich glaube, ich habe von diesem Gletscher in einer Fachzeitschrift gelesen – im Zusammenhang mit einer aufwendigen Rettungsaktion, oder nicht?«
Ein Tisch war frei geworden, und die MounTeens setzten sich schnell hin.
»Das ist eine längere Geschichte.« Lena zeigte auf den Platz neben sich. »Setz dich zu uns, wenn du sie hören möchtest.«
Leon sah auf die Uhr. »Es ist gleich zwölf. Und die Wanderung zurück dauert etwa zwei Stunden … Das sollte also gut reichen, um zur Demo wieder unten zu sein. Schiesst los.«
»Meine Mutter ist die Tourismusdirektorin von Bad Lärchenberg«, begann Lena. »Deshalb weiss ich, dass wegen des Firstgletschers ein erbitterter Streit tobt. Die Gemeinde unterhält nämlich zusammen mit den Bergbahnen oben auf dem Gämshorn eine Gletschergrotte.«
»Ich bin froh, gibt es hier keine«, sagte die Kellnerin, die gerade an den Tisch getreten war. »Was möchtet ihr trinken?«
Erst jetzt erkannten die MounTeens, dass es Paula Roth, die Betreiberin der Rautalhütte, war.
»Hallo Paula«, antwortete Amélie erfreut, weil sie die Hüttenwartin von den Besuchen im Friseursalon ihrer Mutter kannte. »Drei Cola und zwei Wasser, bitte. Aber wie meintest du das wegen der Grotte?«
»Entschuldigt, dass ich mich eingemischt habe. Ich hatte gerade eure letzten Worte aufgeschnappt und finde halt einfach, man soll die Gletscher so lassen, wie sie sind, und sie nicht künstlich kühlen!«
»Das sehe ich genauso«, bemerke Leon. »Wir müssen die Klimaerwärmung grundsätzlich stoppen.«
Paula Roth murmelte etwas Zustimmendes und nickte eifrig, was allerdings wenig überraschte, da sie die Präsidentin der Grünen-Partei von Bad Lärchenberg war.
»Ich bin da anderer Meinung«, schaltete sich Matteo ein. »Wir brauchen diese Gletschergrotte. Viele Touristen kommen extra wegen der Attraktion auf dem Gämshorn zu uns und übernachten dann im Hotel meiner Eltern auf der Lärchenalp. Wir müssen den Gletscher deshalb dringend retten.«
Sam schüttelte den Kopf. »Mit einer zusätzlichen Kühlung können wir ihn auch nicht retten, nur länger am Leben erhalten.«
»Siehst du, Leon«, sagte Lena. »Da wären wir eben schon mitten im Streit – nicht mal wir sechs sind uns einig.«
Nachdenklich schaute Leon hinüber zum Firstgletscher auf der anderen Talseite. »Gibt es denn schon konkrete Pläne?«
Lena wiederholte, was ihre Mutter ihr erzählt hatte: »Bei der Gletschergrotte möchte man beschichtete Vliese nehmen, das sind eine Art Tücher, die das Eis vor der Sonne schützen. Weiter unten beim Skilift werden Schneekanonen installiert, die den Gletscher das ganze Jahr beschneien.«
Leon blickte angewidert. »Was für eine Wasser- und Energieverschwendung.«
»Und schon wieder sind wir uns nicht einig, Leon«, erwiderte Matteo. »Die beschneiten Pisten sichern dem Wintertourismus das Überleben, und ein Grossteil des Stroms kann mit Sonnenenergie erzeugt werden.«
»Wie weit ist denn das Projekt schon fortgeschritten?«, erkundigte sich Leon.
»Die Schneekanonen sind längst beschlossene Sache. Sie werden nächsten Frühling installiert. Und für die Vliese liegt der Gemeinde eine Offerte der einheimischen Tuchfabrik vor – es geht um mehrere hunderttausend Franken!«
Leon pfiff durch die Zähne. »So was müsste man eigentlich auch mal in einer grösseren Öffentlichkeit diskutieren …«
»Mach das!« Paula klopfte Leon aufmunternd auf die Schultern. »Bisher scheinen wir Grünen nämlich die Einzigen zu sein, die gegen das Projekt sind. Alle anderen sehen nur das Geld der Touristen.« Sie verwarf die Hände. »Investiert wird nie der Umwelt zuliebe, sondern bloss, wenn sich die Investition für den eigenen Geldbeutel auch lohnt.« Paula schnaubte. »Wie kurzsichtig und egoistisch!«
»Ganz meine Meinung.« Leons Gesicht widerspiegelte Streitlust. »Ich werde das am Donnerstag als Beispiel verwenden.«
Paula wandte sich zum Gehen. »Entschuldigt mich, ich muss dringend arbeiten. Morgen mache ich hier bis auf den Winterraum alles dicht, die Saison ist vorbei!«
»Bist du bereit?« Anna Sander sah ihre Tochter lächelnd an. Lena war um halb vier erst von der Wanderung vom Rautalgletscher zurückgekehrt, hatte kurz geduscht und sich dann für die Schülerdemonstration bereitgemacht, die um fünf Uhr beim Gemeindehaus beginnen sollte.
»Es ist erst halb fünf, Mama.« Lena rollte mit den Augen. »Ich habe noch genügend Zeit!« Sie verschwand in ihrem Zimmer und tauchte mit einer Holztafel wieder auf.
»Ich bin stolz auf dich!«, sagte Lenas Mutter. »So viel Einsatz für die Umwelt und unsere Gletscher. Du erinnerst mich an meine Zeit als junge Politikerin, bevor es mich zum Tourismus zog.«
Lena war sich nicht sicher, ob sie ihrer Mutter wirklich gleichen wollte, beschloss aber, sie in diesem Glauben zu lassen, wenn es ihr Freude machte. Sie ging ins Badezimmer und betrachtete sich im Spiegel: Das wirkte genug rebellisch, fand sie. Schliesslich nahm man ja nicht jeden Tag an einer Demonstration teil. Da musste der Look schon auch stimmen!
»Es hat geklingelt!«, rief ihre Mutter aus dem Wohnzimmer.
»Das wird Amélie sein. Bin dann mal weg. Tschüss!«
Lena und Amélie näherten sich dem Stadtzentrum von Bad Lärchenberg. Auch an anderen Samstagnachmittagen war entlang der Hauptstrasse mit den vielen kleinen Läden einiges los, aber heute schien die Innenstadt aus allen Nähten zu platzen.
»Schau dir diesen Stau an!« Lena schüttelte den Kopf. »So sieht es nicht mal aus, wenn im Winter an einem Samstag alle Skiurlauber gleichzeitig ankommen!« Sie reckte ihr Holzschild in die Höhe und schrie mit gespielt grimmigem Blick in Richtung der wartenden Autofahrer: »Rettet die Gletscher, ihr Umweltsünder!«
Amélie betrachtete ihre Freundin von der Seite. Das war unverkennbar Lena: voller Energie, frech und bunt wie ein Paradiesvogel! Wer sonst würde eine kurze Jeans-Latzhose mit einem gelben T-Shirt und einer knallgrünen Jacke kombinieren? Dazu steckten Lenas Beine in rot-weiss gestreiften Strumpfhosen und halbhohen Lederboots. Amélie fühlte sich in Lenas Gegenwart geradezu spiessig, wenn sie an ihren eigenen Look dachte. Gut, dass Sam den »normalen« Stil zu mögen schien. Nur seinetwegen hatte sie nämlich die enge schwarze Jeans und den weissen Pullover angezogen, den er so mochte. Zumindest hatte er das mal gesagt. Sie vermutete ja, dass ihm alles Figurbetonte gefiel, aber das war wohl eher eine Unterstellung. Schliesslich fand sie selbst, dass sie so besser aussah als in unförmigen Hoodies. Lena hielt Amélie ihre Handfläche mit einer Scheibenwischerbewegung vors Gesicht. »Träumst du von Sam, oder was? Ich spreche mit dir.«
Erwischt, dachte Amélie und lief rot an.
»Nein«, log sie. »Ich habe darüber nachgedacht, dass wir MounTeens seit dem Sommer keinen Fall mehr zu lösen hatten.«
»Ärgert mich auch, dass nichts läuft«, stimmte ihr Lena zu. »Aber heute ist was los hier!« Sie zeigte aufgeregt auf eine Ansammlung von etwa fünfzig Schülerinnen und Schülern, die vor dem Gemeindehaus mit eingehakten Armen auf der Hauptstrasse herumhüpften und irgendetwas schrien. Ein Polizist versuchte vergeblich, sie von der Strasse in Richtung Fussgängerzone zu weisen. »Nun ist klar, warum sich der Verkehr so zurückstaut.« Lena lachte. »Ich will da auch mitmachen.«
»Sam sagte aber, die Demo sei nur in der Fussgängerzone, vom Gemeindehaus bis hoch zum Bahnhof, erlaubt worden«, wandte Amélie ein. Sie schaute nervös zur pöbelnden Meute auf der Strasse.
»Sams Vater ist ja auch bei der Polizei, aber die ist heute für einmal nicht unser Freund«, scherzte Lena übermütig.
Amélie zuckte zusammen, als der Polizist heftig in seine Trillerpfeife blies. Zwei weitere Uniformierte tauchten beim Gemeindehaus auf, worauf sie es schafften, die Jugendlichen zum Weiterziehen zu bewegen und den Verkehr wieder rollen zu lassen.
Nachdem Lena und Amélie kurz darauf in die Fussgängerzone eingebogen waren, blieben sie mit offenem Mund stehen.
»So viele Menschen hätte ich nicht erwartet. Das sind sicher fünfhundert. Wow!« Unter den wartenden Demonstrierenden entdeckte Lena auch zahlreiche bekannte Gesichter aus ihrer Schule. Sie zeigte zum Brunnen. »Dort drüben sind Matteo und Sam. Lass uns hingehen!«
Wenig später standen die MounTeens neben Leon, der sie zu sich gewinkt hatte.
»Es sind mehr Leute, als ich gedacht habe. Toll, dass ihr auch hier seid!« Leon wirkte aufgeregt. »Sagt mal, kennt ihr die Gruppe, die vorher auf der Strasse herumgehüpft ist? Sind die aus Bad Lärchenberg?«
»Zum Teil ja«, antwortete Lena, »warum fragst du?«
»Ich trage auch ein wenig Verantwortung für das Ganze hier, wisst ihr.« Leon seufzte. »Und Chaoten mag ich nicht.« Er schaute die MounTeens an und sah plötzlich müde aus. »Aber wenn das keine stadtbekannten Schläger oder Krawallmacher sind, wird schon alles gut kommen …« Er zuckte resigniert mit den Schultern, als ob er sagen wollte, dass er sowieso nichts ausrichten könnte, falls die Stimmung kippen würde. »Lasst uns also besser losmarschieren, bevor sie auf weitere dumme Gedanken kommen.«