Alea und die Katzengöttin - Heike Westendorf - E-Book

Alea und die Katzengöttin E-Book

Heike Westendorf

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Beschreibung

Eigentlich wollte Alea nur ihre Tante in Wien besuchen, aber dann landet sie zusammen mit ihrem Bruder Jori im antiken Alexandria. Dort entdeckt sie, dass die verlorengeglaubte Magie der Katzengöttin wiedererwacht ist, ein Zeichen, dass die Stadt und ihre Bewohner in großer Gefahr schweben. Die Geschwister müssen so schnell wie möglich die Artefakte der Katzengöttin finden, um Alexandria zu retten. Alea benötigt dazu all ihren Mut, denn in der fremden Welt bekommt sie es mit finsteren Schlangen, tödlichen Sandstürmen und grimmigen Palastwachen zu tun. Dabei weiß sie überhaupt nichts darüber, wie man mit göttlicher Magie umgeht – und wie man antike Städte rettet, schon gar nicht.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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ALEA UND DIE KATZENGÖTTIN

DER BRUNNEN DER ABENTEUER 1

HEIKE WESTENDORF

ALEA UND DIE KATZENGÖTTIN

Eigentlich wollte Alea nur ihre Tante in Wien besuchen, aber dann landet sie zusammen mit ihrem Bruder Jori im antiken Alexandria.

Dort entdeckt sie, dass die verlorengeglaubte Magie der Katzengöttin wiedererwacht ist, ein Zeichen, dass die Stadt und ihre Bewohner in großer Gefahr schweben. Die Geschwister müssen so schnell wie möglich die Artefakte der Katzengöttin finden, um Alexandria zu retten.

Alea benötigt dazu all ihren Mut, denn in der fremden Welt bekommt sie es mit finsteren Schlangen, tödlichen Sandstürmen und grimmigen Palastwachen zu tun. Dabei weiß sie überhaupt nichts darüber, wie man mit göttlicher Magie umgeht – und wie man antike Städte rettet, schon gar nicht.

© 2022 Heike Westendorf, www.heikewestendorf.de

c/o Rainbow Rebel Books, Alte Hattinger Str. 13, 44789 Bochum

Cover: Dream Design - cover and art, www.cover-and-art.de

Lektorat / Korrektorat: Lektorat Koda

Erstausgabe 2022

Sämtliche Rechte liegen allein bei der Autorin, eine Wiedergabe - auch in Teilen - ist nur mit Genehmigung erlaubt.

Für alle, die genauso gerne

Abenteuer erleben, wie ich.

KAPITELÜBERSICHT

Die Statue

Der geheimnisvolle Brunnen

Der Rattenfänger

Der hässliche Leuchtturm

Prinzessin Senet

Der Armreif der Bastet

Das magische Summen

Auf dem Bazar

Die Räucherschlange

Heimweh

Die Nachtwanderung

Über den Dächern

Das Versteck der Priesterinnen

Die Tempelkatze

Die Legende des Schlangengottes

Katzenwäsche

Die Fibel der Bastet

Bastets Tempel

Kamelmist und Palmenfraß

Regen über Alexandria

Entführt

Die Karawanserei

Das Zepter der Bastet

Einfach umdrehen

Der Schlangenpriester

Knollennase und Hinkebein

Der Sandsturm

Der Weg der Göttin

Nachts in der Wüste

Erwischt

Ein echter Held

Die Krönung

Die Katzengöttin

Gerettet

Drei Klappen

Liebe Leserin, lieber Leser

Nachwort

Das Abenteuer geht weiter …

Lesetipp: Ägyptische Sagen

Lesetipp:Weltraumwale

Über die Autorin

DIE STATUE

Als Alea das Museum betritt, denkt sie noch, dass es ein ganz normaler Ferientag ist. Noch nimmt sie das leise Summen nicht wahr, das an ihr Ohr dringt und die Luft im Museum schwingen lässt. Sie ignoriert auch die mannshohe Katzenstatue, die in der Eingangshalle auf einem Sockel steht - regungslos, wie sich das für Steinstatuen gehört. Bis … Ja, bis zu dem Zeitpunkt, als die Statue wie eine lebendige Katze mit den Ohren zuckt.

Alea blinzelt, dann schüttelt sie den Kopf. So ein Quatsch, das muss sie sich eingebildet haben. Das Sonnenlicht, das in breiten Streifen durch die Glaskuppelfenster in die Museumshalle fällt, hat ihr einen Streich gespielt. Das ist die einzige mögliche Erklärung.

Die Statue besteht aus dunklem Stein, hat den Kopf einer Katze und den Körper einer Frau, eingehüllt in ein langes, steinernes Gewand. Die Zeit hat ihren rechten Unterarm abgenagt, aber sie strahlt dennoch etwas Erhabenes aus. Alea macht zur Probe einen Schritt nach vorne, dann zwei zurück. Da - schon wieder ein Zucken. Und dieses Mal hat sie es sich nicht eingebildet.

»Geh weiter, Alea«, drängelt ihr kleiner Bruder Jori von hinten.

»Aber die Statue …«, sagt sie.

»Was ist mit der Statue?«, fragt er.

Auf einmal kommt Alea sich dumm vor.

»Ach, nichts«, murmelt sie unsicher, als Jori sich an ihr vorbeischiebt, behält die komische Katze aber im Auge.

Außer Alea und Jori befindet sich nur noch Tante Johanna in der verlassenen Eingangshalle. Kein Wunder, es ist schon weit nach Feierabend. Na ja, ganz richtig ist das nicht: Ringsherum an den Wänden stehen weitere Statuen. Neben der Katzenfrau gibt es einen Engel aus strahlend weißem Marmor mit ausgebreiteten Flügeln, einen Mann und zwei Kinder, die gegen Schlangen kämpfen, und zwei Männer mit ernsten Gesichtsausdrücken – einer mit einer steinernen Tafel, der andere mit einem Schwert in der Hand. Alea beobachtet sie aufmerksam, aber keine von ihnen rührt sich.

»Guten Abend, ehrwürdige Bastet.« Tante Johanna verbeugt sich ehrfurchtsvoll vor der Katzenstatue, die gerade mit den Ohren gezuckt hat. Jetzt bewegt sie sich allerdings nicht.

»Wieso sprichst du mit der Statue?«, fragt Jori verwundet.

»Ich mag den Gedanken, dass ein Teil der Götter immer noch in ihren Ebenbildern wohnt«, antwortet Tante Johanna fröhlich. »Und Göttern gebührt nun mal Respekt.«

»Hat sie dir schon mal geantwortet?«, fragt Jori neugierig. Alea spitzt die Ohren. Kann Tante Johanna etwa mit den Statuen sprechen? Vielleicht hat sie sich das Zucken doch nicht eingebildet und es steckt mehr dahinter.

Johanna lacht. »Bisher noch nicht, Jori, aber ich gebe nicht auf. Kommt mit, ich zeige euch meinen ganzen Stolz: die Ägyptische Sammlung.«

Alea will ihm gerade folgen, da beschleicht sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Als sie sich umblickt, sind die Augen der Katzenstatue, ein grünes und ein blaues, wie sie erst jetzt bemerkt, fest auf Alea gerichtet. Der wird bewusst, dass sie auf einmal mutterseelenallein in der großen Halle steht. Ein Schauer läuft ihr über den Rücken, also folgt sie schnell ihrer Tante und Jori. Ihre Schritte hallen laut durch den riesigen Raum.

Johanna führt Alea und Jori eine breite Prachttreppe hinauf in den ersten Stock. Die Säulen und Decke sind über und über mit Gold, Stuck und Gemälden verziert, das Museum gleicht einem Kaiserpalast. Rund um die Treppenhalle verläuft im ersten Stock eine prachtvolle Galerie, die durch reich verzierte Bögen mit bemalten Säulen und einem Geländer aus Marmor abgetrennt ist. Staunend bleibt Alea mitten auf den Stufen stehen, um sich umzusehen.

»Es ist der wunderschönste Arbeitsplatz, den ich mir vorstellen kann«, sagt Johanna schmunzelnd, als sie Aleas Blick bemerkt. »Wohin man auch schaut, sieht man ein Wunder nach dem anderen.«

Jori zupft am Flügel eines marmornen Pegasus.

»Jori, lass das«, zischt Alea.

»Deine Schwester hat recht«, sagt Johanna ruhig. »Ihr dürft um diese Zeit eigentlich gar nicht hier sein. Und wenn euer Vater das erfährt, bekomme ich Ärger mit ihm. Ich weiß, wie verlockend es ist, aber besser, ihr fasst nichts an, dann bekommen wir auch keine Schwierigkeiten.«

Jori rollt mit den Augen, zieht aber seine Hand zurück.

»Tante Johanna, du hast da was in den Haaren«, sagt Alea und streckt die Hand nach ihr aus. »Irgendeine Pampe, igitt.«

Johanna greift sich in die dunklen Locken, die sie zu einem wippenden Zopf gebunden hat und fühlt nach. Prüfend hält sie sich die Masse vors Gesicht und schnuppert daran. Plötzlich lacht sie ihr mitreißendes Lachen.

»Das ist Möhrenbrei«, erklärt sie der verwunderten Alea. »Ich habe vorhin auf die kleine Pippa aufgepasst, die Tochter meiner Nachbarin. Ein sehr lebhaftes Kind, ich glaube, ihr würdet sie mögen. Sie hat mit ihrem Löffel den Brei in der ganzen Küche verteilt und ich scheine etwas davon abbekommen zu haben.«

Johanna wischt sich die Finger an einem Taschentuch ab, dann tritt sie durch einen hohen Türrahmen, der auf beiden Seiten von verwitterten, steinernen Figuren bewacht wird - eine mit dem Kopf eines Falken und eine mit dem Kopf eines Schakals. Erhaben sitzen sie auf ihren Thronen.

Alea beobachtet sie eingehend, aber keine der Steinfiguren macht Anstalten, sich zu rühren. Ob sie sich das Zucken vorhin doch eingebildet hat?

Die Halle mit der Ägyptischen Sammlung wirkt dunkel, als sie eintreten, und nicht nur, weil das Licht im Museum um diese Uhrzeit gedimmt ist. Ein riesiges Gemälde an der gegenüberliegenden Wand zeigt Alltagsszenen aus dem Alten Ägypten, vor Pflüge gespannte Rinder, einen Mann mit Pfeil und Bogen und vieles mehr. Die helle Kleidung der Menschen leuchtet vor dem dunklen Hintergrund.

Johanna ignoriert die eindrucksvollen Sarkophage und bleibt vor einem unauffälligen Bild stehen, das einen großen Leuchtturm zeigt. »Das ist eines der sieben Weltwunder«, sagt sie. »Der Leuchtturm von Alexandria.«

»Ist der hässlich«, sagt Jori und Alea muss ihm recht geben. Er sieht aus, als hätte jemand lieblos drei Quader übereinandergestapelt und einfach ein Licht draufgesetzt - die kleine Pippa könnte das mit ihren Bauklötzen besser bauen. Aber bevor Alea das sagen kann, wird sie von einer Mücke abgelenkt, die frech um ihren Kopf summt. Sie schlägt mit der Hand nach dem Plagegeist, scheint ihn aber nicht erwischt zu haben, denn der summt immer weiter, das Summen wird sogar lauter, als ob die Mücke mutiger wird.

»Geh weg«, ruft Alea und schüttelt irritiert den Kopf, um sie loszuwerden, dass ihre halblangen Haare nur so fliegen.

»Hossa - wer geht da?«, dröhnt es da vom anderen Ende des Raumes. Schwere Schritte sind zu hören.

Alea und Jori zucken zusammen, aber Johanna ruft unbekümmert zurück.

»Federico, ich bin’s nur.«

Die Schritte nähern sich, dann erscheint ein grauhaariger Mann mit einer Schirmmütze zwischen den antiken Steinsäulen, die bis zur hohen Decke reichen. Seine Nachtwächteruniform spannt über seinem Bauch und er atmet schwer.

Sobald er sie sieht, verzieht sich sein vor Anstrengung puterrotes Gesicht zu einem breiten Lächeln.

»Dottora Johanna«, sagt er zur Begrüßung, mit starkem, italienischen Akzent, »schon wieder Nachtschicht?« Dann fällt sein Blick auf Alea und Jori. Er zieht eine Augenbraue hoch. »Und wer sind die Bambini?«

»Federico, darf ich vorstellen: meine Nichte Alea und mein Neffe Jori. Sie verbringen einen Teil ihrer Sommerferien bei mir.« Sie beugt sich verschwörerisch nach vorne und flüstert so laut, dass Alea und Jori alles hören können: »Sie sind zum ersten Mal ohne ihre Eltern unterwegs und zum allerersten Mal in Wien und da dachte ich, dass ein nächtlicher Ausflug ins Museum genau das Richtige ist.«

»Un’avventura, bellissima«, sagt Federico wohlwollend und zwinkert Alea und Jori zu. »Ich habe euch nicht gesehen. Benvenuti im Kunsthistorischen Museum, ihr beiden! Ihr habt euch die beste Halle ausgesucht: Ägypten.«

»Gibt es hier auch Mumien?«, fragt Jori eifrig.

Federico lacht ein dröhnendes Lachen, sodass sein ganzer Oberkörper vibriert.

»Si, si«, lacht er und zeigt auf die Sarkophage und Statuen, die im ganzen Raum verteilt sind. »Und noch vieles mehr.«

Dann greift er in seine Tasche und hält Alea etwas hin.

»Ich habe hier etwas für dich. Eine Kopie eines Armreifs aus dem alten Ägypten«, sagt er.

Erstaunt streckt Alea die Hand danach aus. Der Armreif ist goldfarben und mehrere Zentimeter breit, mit einem Muster aus schwarzen und roten Tropfen und Pfeilen, auf die mit goldener Farbe Hieroglyphen aufgemalt sind. Er wackelt lose an ihrem Handgelenk, als sie ihn überstreift.

»Danke«, sagt sie überrascht.

Federico zwinkert ihr zu. »Prego.«

»Und was bekomme ich?«, will Jori wissen.

Federico wirkt ertappt, dann wühlt er in seiner Hosentasche. Schließlich drückt er Jori etwas in die Hand.

»Zwei Euro!«, freut der sich.

Federico grinst.

»Ach, Federico, wo du gerade da bist«, sagt Johanna. »Im Mumiendepot gibt es ein Problem mit der Mechanik. Kannst du mal danach sehen?« Sie wirft einen Blick auf Alea und Jori. »Am besten zeige ich es dir selbst. Könnt ihr beiden einen Moment allein bleiben?«

»Ich will aber auch die Mumien sehen«, fordert Jori, der beim Wort Mumiendepot große Augen bekommen hat.

»Keine Angst, hier sind ja ebenfalls welche«, beruhigt ihn Johanna. »Und die sind ansehnlicher als die im Lager.«

»Da hat eure Tante allerdings recht«, lacht Federico.

Alea nickt. »Klar.«

Ihre Tante dreht sich mit erhobenem Zeigefinger zu ihnen um.

»Und wehe, ihr fasst etwas an«, sagt sie mit gespielt ernster Miene.

»Wir doch nicht«, behauptet Jori und sieht Johanna treuherzig an.

Alea verdreht die Augen. »Ich passe auf ihn auf.«

»Brauchst du nicht«, wehrt Jori sich und rempelt Alea an, sodass sie fast gegen eine Vitrine stößt.

»Hoppla.«

Jetzt verdreht Johanna die Augen.

»Ich bin gleich wieder da«, sagt sie und verlässt gemeinsam mit Federico den Raum.

Jori macht sich auf die Suche nach Mumien, während Alea sich umblickt. Als sie schließlich den Kopf in den Nacken legt, weiten sich ihre Augen. Auf einem dunkelblauen Hintergrund befinden sich zwei Reihen mit demselben Bild eines majestätischen Vogels, der von oben über die gesamte Ausstellung zu wachen scheint. Flügel und Federn sind weit gespreizt und die orange und weiße Farbe leuchten zu ihr herunter. Und bewegen sich im nicht vorhandenen Wind.

»Alea, komm mal«, reißt Jori sie laut aus ihren Gedanken.

Es dauert etwas, bis sie ihn am Ende der Halle findet. Er steht vor einem steinernen, runden Brunnen, etwa anderthalb Meter im Durchmesser. Man kann noch die Reste der kunstvoll eingemeißelten Verzierungen erkennen, die im Laufe der Jahrtausende verwittert und von den Elementen abgetragen worden sind.

»Siehst du das?«, fragt Jori und geht fasziniert um den leeren Brunnen herum.

»Was meinst du?«

»Na, das Flirren in der Luft. Wie im Sommer, wenn es heiß ist.«

»Das denkst du dir aus.« Alea ist wieder vom Summen der Mücke abgelenkt, die ihr hierher gefolgt zu sein scheint.

»Nein, wirklich, hier.« Jori greift in die Luft direkt über dem breiten Brunnenrand, dann legt er seine Hand auf den Stein.

»Jori, nicht anfassen, hat Johanna gesagt.« Alea springt nach vorne und greift nach der Hand ihres Bruders. In diesem Moment löst sich eine der gemalten Vogelfedern von der Decke und segelt, sich wie in Zeitlupe um sich selbst drehend, durch die Luft. Sie landet inmitten des Brunnens. Ein Schauer durchläuft Alea, dann knarzt der uralte Stein.

Erschrocken treten beide einen Schritt zurück.

Das Knarzen wird stärker, dann öffnet sich im Brunnenrand ein Loch.

»Was hast du gemacht?«, ruft Alea panisch.

»Nichts!«, schreit Jori zurück, währen er mit schreckgeweiteten Augen beobachtet, wie sich die Öffnung weitet.

»Doch! Du hast ihn kaputt gemacht«, schimpft Alea.

»Hab ich gar nicht!«, wehrt sich Jori.

Das Knarzen weicht einem Knacken, dann erheben sich ganz langsam zwei spitze Ohren über dem Brunnenrand.

DER GEHEIMNISVOLLE BRUNNEN

»Jori, mach das wieder heil!«, schreit Alea.

»Es geht nicht!« Jori drückt und drückt am Brunnen herum, aber es gelingt ihm nicht, die Bewegung aufzuhalten. Es rumpelt tief im Brunnen, dann schieben sich die spitzen Ohren aus dem buchgroßen Loch im Rand. Sie sind aus dunklem Stein.

»Jori, was ist das?«

Er hält inne und starrt auf die Öffnung.

Den Ohren folgt ein steinerner Kopf, der etwa die Größe einer Pampelmuse hat.

»Aber das ist ja …« Alea verschluckt sich an ihren eigenen Worten. Aus dem Brunnenrand erhebt sich eine kleinere Version der Katzenstatue, die sie vorhin in der Eingangshalle beobachtet hat. Tante Johanna hatte sie Bastet genannt.

Dieses Exemplar zuckt allerdings nicht mit den Ohren, sondern fängt an, aus seinem geöffneten Maul Wasser in den Brunnen zu speien, sobald es komplett aus dem Loch aufgestiegen ist.

Aber Moment mal, das ist kein Wasser.

Aus dem Katzenmaul kommt Sand. Richtig feiner Wüstensand. Alea starrt ungläubig auf den Punkt, an dem die Körner hervorschießen. Jetzt ist sie endgültig verrückt geworden. Oder sie bildet sich das alles bloß ein, so wie Jori das komische Flimmern in der Luft.

»Jori, äh, siehst du das?«

Jori starrt mit offenem Mund auf den Boden des Brunnens, auf dem sich nach und nach eine Sandschicht aufhäuft. »Was ist das denn für ein Trick?«

Währenddessen sieht Alea sich nach Hilfe um. Aber weder von Tante Johanna noch von Federico ist eine Spur zu sehen.

»Tante Johanna!«, ruft sie laut.

»Sei ruhig, sonst kriegen wir noch Ärger.« Jori drückt wieder am Brunnen herum. »Das ist doch nur Sand. Irgendwo muss der Knopf doch sein. Alea, hilf mir doch mal.«

Gemeinsam versuchen sie, den Ausschalter zu finden. Alea fühlt den rauen Stein des Brunnens unter den Fingern und lässt ihre Hände über die verwitterten dekorativen Elemente wandern, wahrscheinlich Bilder längst vergangener Gottheiten.

Der Sand rieselt weiter in den Brunnen, langsam steigt der Spiegel an.

»Wir müssen den Sand anhalten«, sagt Alea.

»Ich versuche es ja«, wehrt sich Jori.

»Dass du auch immer alles anfassen musst«, beschwert sich Alea. »Tante Johanna hat doch gesagt, dass das nur Ärger gibt.«

»Jetzt lass mich doch mal in Ruhe.« Jori funkelt sie wütend an. »Das wollte ich doch überhaupt nicht.«

Er versucht, der steinernen Katze das Maul zuzuhalten, aber den Sand dringt zwischen seinen Fingern hervor und läuft ins Brunnenbecken. Höher und höher steigt er. Einen Abfluss scheint es nicht zu geben.

»Der Brunnen ist bestimmt verflucht!«, ruft Jori über das Geräusch des rieselnden Sandes hinweg. Dann grinst er verschmitzt. »Vielleicht hat jemand den Wüstengott geärgert und jetzt rächt er sich.«

»Jori, das ist nicht lustig. Wahrscheinlich ist der Brunnen einfach kaputt.« Götter oder nicht, Alea ist gerade fürchterlich egal, warum immer mehr Sand in das alte Brunnenbecken läuft. Viel wichtiger ist, dass sie ihn aufhalten. Mittlerweile ist er fast bis zum Rand angestiegen.

»Gleich läuft er über«, warnt sie, aber genau wie ihr Bruder muss sie hilflos zusehen, wie sich die ersten Körner auf den Rand legen. Einen Moment lang scheinen sie sich dort festzuhalten, dann schiebt der nachkommende Sand sie über den Brunnenrand hinweg und auf den Boden.

Jori hat die Suche nach dem Aus-Knopf mittlerweile aufgegeben und hockt sich auf den Boden, um den Sand zu begutachten. Prüfend schiebt er die Hand hinein und zieht sie wieder heraus. »Der Sand ist warm, Alea, fühl mal.« Alea schwankt zwischen Panik und Neugier.

Die Neugier siegt. Alea bückt sich und hebt vorsichtig ein wenig Sand auf, der durch ihre Finger rieselt. Er fühlt sich tatsächlich warm wie Wüstensand an, als ob den ganzen Tag die Sonne darauf geschienen hätte.

Immer mehr Sand rieselt über den Rand des Brunnens und umspült Aleas Füße. Schnell steht sie bis zu den Knöcheln darin. Und es fließt immer noch mehr nach. Das holt Alea aus ihrer Starre.

»Wir müssen was machen!«

»Was denn?«

»Weiß ich auch nicht. Irgendwas halt.«

Die beiden sehen sich an, dann brüllen sie gemeinsam aus vollem Hals: »Tante Johanna!«

Nichts passiert. Oder doch, denn auf einmal fühlt Alea, wie der Boden unter ihren Füßen nachgibt.

»Jori«, sagt sie eindringlich. »Ich rutsche.«

»Wie meinst du das?«

»Der Boden ist nicht stabil.« Alea schwankt jetzt, als der Stein unter ihren Füßen immer mehr zu Sand wird. Auch Jori steht nicht mehr sicher.

Alea will gerade nach ihrem Bruder greifen, da merkt sie, wie sie langsam zu sinken beginnt. Einfach in den Boden hinein, als ob er gar nicht da wäre, sondern stattdessen ein Loch, in das sie gemeinsam mit dem Sand hineinrutscht.

»Alea, was geht hier vor?« Jori steckt fest und wird ebenfalls in den Sand hinein gezogen. Hilfesuchend streckt er die Hand nach Alea aus. Kalte Angst steigt in ihr auf. Das ist nicht mehr lustig.

»Tante Johanna!«, brüllt sie, so laut sie kann.

Endlich hört sie, wie sich schnelle Schritte nähern.

»Alea, Jori, was ist denn los?«, ruft ihre Tante, als sie durch den Türbogen sprintet.

Ungläubig erstarrt sie mitten in der Bewegung und blickt auf die beiden, die mittlerweile bis zur Hüfte im Sand feststecken.

»Was habt ihr gemacht?«, ruft sie erschrocken.

»Gar nichts, ich schwöre«, ruft Jori kläglich, während er strampelnd versucht, sich aus dem Sand zu befreien, dadurch aber nur noch mehr hineingezogen wird.

»Bitte hol uns hier raus«, jammert Alea. Sie will so schnell wie möglich weg und wieder festen Boden unter den Füßen haben.

Johanna nimmt den Schrubber aus einem Putzeimer neben der Tür und hält ihn Alea hin.

»Federico!«, schreit Johanna mit kaum unterdrückter Panik in der Stimme. »Federico, schnell!«

Alea hört noch seine schweren Schritte auf dem Flur, dann gibt der Sand unter ihr nach. Sie umklammert Joris Hand und beide werden in die Tiefe gerissen.

Das Letzte, das Alea vom Museum sieht, sind die sandspeiende Katzenstatue und das erschrockene Gesicht von Tante Johanna, die verzweifelt ihren Arm nach Alea ausstreckt.

Dann füllt Sand Aleas Augen, Mund und Nase. Um sie herum wird alles schwarz. Sie spürt Joris Hand in ihrer und hält sie mit aller Macht fest. Dann schickt sie ein Stoßgebet zu allen Göttern, die ihr gerade zuhören mögen.

Einen langen Moment fühlt Alea sich schwerelos. Das Blut in ihren Ohren pulsiert so laut, dass sie nichts anderes hören kann. Das Einzige, das sie spürt, ist Joris Hand und Millionen kleiner Sandkörner auf der Haut.

Dann ist der Spuk mit einem Schlag vorbei. Alea fällt unsanft auf eine harte Oberfläche und helles Sonnenlicht drückt von außen gegen ihre geschlossenen Lieder.

Noch bevor sie reagieren kann, packt jemand unsanft ihr Handgelenk.

Blinzelnd versucht sie, in der blendenden Sonne etwas zu erkennen. Zwei unfreundliche, dunkle Augen starren sie unter buschigen Brauen an. Dann ertönt eine tiefe, drohende Stimme:

»Keine Bewegung, ihr Eindringlinge!«

DER RATTENFÄNGER

Alea will schreien, aber ihr Mund ist voller Sand. Sie spuckt und hustet, als sie versucht, wieder Luft zu bekommen. Joris Hand krallt sich fest in ihre Seite. Ein riesiger Mann mit ungewöhnlich breiten Schultern hat Aleas Handgelenk umfasst und so fest gepackt, dass es schmerzt. Sie versucht verzweifelt, ihre Hand zu befreien, aber sein Griff ist eisern.

»Lassen Sie meine Schwester los!«, ruft Jori, der zuerst

wieder Luft bekommt und spuckt dabei Sandkörner auf den Boden. Er versucht, den Arm des Mannes wegzuschlagen, aber er ist dafür zu schwach. Der Mann sieht aus, als ob er aus einem Kostümfilm gestiegen ist. Anstelle von Haaren trägt er ein rot-weiß gestreiftes Tuch auf dem Kopf und hat sich ein helles Bettlaken mit goldenem Besatz wie einen Rock um die Hüfte geschlungen. In seiner freien Hand hält er einen Speer aus schwarzem Holz mit einer goldenen Spitze, mit der er jetzt Joris Nase so nahekommt, dass der anfängt zu schielen.

»Wie habt ihr das gemacht, ihr kleinen Gauner?«, knurrt er und beugt sich herunter, sodass er Alea direkt ins Gesicht blickt. Ihre schreckgeweiteten Augen spiegeln sich in seinen. Unter dem rechten Auge hat er eine hässliche, rote Narbe, die an eine aufgerichtete Kobra erinnert.

»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Lassen Sie mich los!« Endlich erwacht auch Alea aus ihrer Starre und wehrt sich nach Kräften.

Erst jetzt bemerkt sie, dass sie sich nicht mehr im Saal des Museums befinden, sondern in einem schmalen, langgezogenen Korridor aus verputztem Stein. Durch quadratische Öffnungen unterhalb der Decke fallen von einer Seite breite Sonnenstrahlen auf den Boden. Es riecht nicht mehr nach der leicht muffigen, klimatisierten Luft des Museums, sondern nach heißer, trockener Wüstenluft.

»Jori?« Alea dreht sich zu ihrem Bruder, als Panik in ihr hochsteigt. »Wo sind wir hier?«

Aber Jori kann nicht antworten, weil er immer noch die Speerspitze des Riesen im Gesicht hat.

»Soso, ihr wollt also unschuldig tun«, wettert der Mann. »Aber nicht mit mir. Wartet, bis ich euch dem Prinzen vorführe. Der lässt euch ins Verlies werfen.« Dann lacht er dröhnend, aber es ist kein freundliches Lachen.

»Wache!«, bellt er. »Eindringlinge!«, und sofort kommen unter lautem Klirren drei weitere Männer in ähnlicher Kleidung im Laufschritt um die Ecke. »Diese beiden sind mit Magie hier eingedrungen. Ganz hinterlistige Magier sind das!« Dabei verstärkt er den Griff um Aleas Handgelenk noch, sodass sie vor Schmerz aufschreit.

»Was? Aber das stimmt doch überhaupt nicht!«, ruft sie verzweifelt.

»Ich habe es doch gesehen!«, sagt der Riese nachdrücklich. »Sie sind genau hier hereingekommen, mit dem Sand.« Dabei zeigt er auf den Boden, auf die Stelle, wo der Sand Alea und Jori ausgespuckt hat. Die anderen Wachen haben ihre Speere und Schilde abgelegt und bemühen sich redlich, etwas zu finden, aber es ist, als ob der Steinboden alle Sandkörner einfach verschluckt hat.

Bestimmt ist das nur ein Albtraum, denkt Alea. Erst die zuckende Statue, dann der komische Brunnen und jetzt das hier. Erleichterung schwappt wie eine Welle durch sie hindurch. Ja, das muss es sein!Das hier ist alles gar nicht echt! Wobei ihre Hand für einen Traum ziemlich weh tut.

»Hauptmann Cydas«, sagt eine der Wachen zögerlich zu dem Mann mit dem Speer, als ob er Angst vor ihm hat, »hier ist nichts!«

»Jetzt vielleicht nicht mehr«, bellt der Hauptmann, »aber wenn ich es euch doch sage, das sind Magier. Sie sind unerlaubt in den königlichen Palast  eingedrungen.« Alea und Jori tauschen einen überraschten Blick.

Die Wache überlegt ganz offensichtlich, ob der Hauptmann sie auf den Arm nimmt, oder sie ihm glauben soll. Schließlich siegt der Gehorsam und der Mann nickt. »Was sollen wir mit ihnen machen?«

»Prinz Amosis wird entscheiden, in welches Verlies wir sie werfen.«

Verlies? Jetzt läuft Alea eine Gänsehaut den Rücken herunter. »Aber wir haben doch gar nichts getan«, versucht sie sich zu verteidigen.

»Nur ein bisschen mit dem Brunnen gespielt«, gibt Jori zu. »Wir wollten ihn nicht kaputt machen.«

Und jetzt soll irgendein Prinz sie einsperren?

In diesem Moment öffnet sich eine Doppeltür und eine Frau tritt heraus, begleitet von zwei Dienerinnen. »Hauptmann, Cydas, was geht hier vor?«, fragt sie in sanftem, aber bestimmtem Ton. Der Hauptmann und die anderen Wachen fallen auf die Knie und beugen respektvoll die Köpfe. Die elegante Frau sieht aus, wie Alea sich Königin Kleopatra immer vorgestellt hat: Sie hat hüftlanges, schwarzes Haar, eine feine Nase, trägt kostbaren Goldschmuck an Arm und Hals und eine aufwendig mit goldenen Mustern bestickte, helle Robe.

Der Hauptmann hält den Kopf gesenkt und präsentiert ihr seinen Speer. Alea betrachtet das alles mit offenem Mund.

»Prinzessin Senet, verzeiht die Störung. Wir haben zwei Eindringlinge gestellt. Gauner, die sich mit einem magischen Trick Zugang zum Korridor Eurer Majestät verschafft haben.« Er hebt den Kopf und deutet mit dem Kinn auf Alea und Jori, die die Prinzessin mit großen Augen ansehen.

»Ihr meint, diese beiden Kinder da?« Prinzessin Senet legt ihre hübsche Stirn in ungläubige Falten. »Sie sehen gar nicht aus wie Verbrecher.« Sie mustert die beiden neugierig und tritt einen Schritt auf sie zu.

---ENDE DER LESEPROBE---