All The Things That Matter - Mira Manger - E-Book

All The Things That Matter E-Book

Mira Manger

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Beschreibung

Austin und Vic Eine turbulente Liebesgeschichte in Seattle, der berühmten Emerald City – fesselnd, gefühlvoll und voller Geheimnisse. Vic kann es kaum erwarten, ihr Studium an der University of Washington endlich zu beenden – im luxuriösen Verbindungshaus der Schwesternschaft Alpha-Omega-Alpha hat sie sich nie wirklich zugehörig gefühlt. Doch dann trifft sie auf den Youtuber Austin, der mit seiner ruhigen und besonnenen Art schneller einen Weg in ihr Herz findet als gedacht. Als Vic auch noch ein verlockendes Jobangebot winkt, scheint es plötzlich tausend gute Gründe zu geben, in Seattle zu bleiben, Austin allen voran. Allerdings wird schnell klar, dass er nicht ganz ehrlich zu ihr ist. Er verstrickt sich immer wieder in widersprüchlichen Aussagen und hält sie auf Abstand. Was verschweigt Austin ihr? Kann Vic ihm überhaupt vertrauen? Oder liegt ihre gemeinsame Zukunft bereits in Scherben? Band 2 erscheint voraussichtlich April 2022

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Sammlungen



All The Things That Matter

Mira Manger

Copyright © 2021 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

https://www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Nina Bellem

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout: Stephan Bellem

Umschlagdesign: Schattmaier Design

Bildmaterial: Shutterstock

978-3-95991-760-5

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Triggerwarnung

Playlist

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Epilog

Danksagung

Drachenpost

Triggerwarnung

Achtung, dieses Buch beinhaltet sensible Themen wie Rassismus, Gewalt, Verlust und familiäre Problematiken.

Playlist

Blink 182 – Darkside

Blink 182 – I Miss You

Blink 182 – Misery

PVRIS – Old Wounds

The Chainsmokers – Family

Machine Gun Kelly feat. Halsey – Forget me too

Machine Gun Kelly – Love Race

3 Doors Down – Kryptonite

Eminem – Leaving Heaven

Jimmy Eat World – The Middle

Tate McRae – You broke me first

1

Victoria

Ich mag es, wenn sich die Wolken an einem warmen Tag für einen kurzen Moment vor den Himmel schieben und die Sonne verdecken. Die Wärme lässt nach, und plötzlich ist alles um einen herum in ein völlig anderes Licht getaucht, eine andere Perspektive zeigt sich, neue Farben entstehen. Und wenn die Sonne dann erneut durchbricht, ist es, als wäre die Welt einige Sekunden stehen geblieben, als wäre einem die Schönheit des sonnigen Tages durch diese Unterbrechung erst klar geworden.

Danai scheint das ähnlich zu sehen, denn sie begrüßt das Ende der kurzen Schattenepisode mit einem wohligen Seufzer und schließt die Augen, als die Sonne wieder zum Vorschein kommt und uns die Gesichter wärmt. Es ist ein Freitag Ende Mai, nach dem Spring Break der erste richtig warme Tag des Jahres. Wir, das heißt Danai, Mia und ich, haben den gesamten Morgen damit verbracht, die ausladende Terrasse unseres Verbindungshauses mit dem Hochdruckreiniger zu bearbeiten und neu zu bepflanzen, um sie nach dem Winter endlich wieder vorzeigbar zu machen. Zur Belohnung stehen unsere Liegestühle jetzt in der Sonne und wir schlürfen Danais selbst gemachten Eiskaffee, ebenfalls der erste des Jahres.

»Mia, komm schon, es sind Semesterferien, wir haben acht Wochen frei. Lass die Lernerei doch mal für einen Tag sein.« Ich beschatte mein Gesicht mit der Hand, um zu unserer Verbindungsschwester hinüberzublinzeln, die ihre Unterlagen auf dem frisch gesäubertem Terrassentisch ausgebreitet hat und über ihrem Laptop brütet.

»Ich lerne gar nicht«, entgegnet sie, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken, »sondern feile an meiner Kolumne für die Youth, die muss ich morgen einreichen.«

»Ist das ein Kinderheft? So wie die Girl’s Life?«, wirft Danai naserümpfend ein. Auch wenn ich es durch Mias überdimensionale Sonnenbrille nicht erkennen kann, könnte ich schwören, dass sie die Augen verdreht.

»Nein, es ist ein seriöses Jugendmagazin. Und jetzt halt die Klappe, ich muss mich konzentrieren.«

Danai deutet ein Schulterzucken an und wendet sich mir zu. »Wie läuft’s mit der Themensuche für das letzte Essay vor den Finals?«

»Ganz gut, ich glaube, ich hab’s endlich«, erzähle ich und strecke die Beine aus. »Professor Nguyen hat mir gestern per Mail das Okay gegeben, es zum Semesterstart anzumelden.«

Danai seufzt. »Verdammt, ich muss langsam in die Gänge kommen. Ich habe noch überhaupt keine Ahnung, worüber ich schreiben will, und habe noch nicht mal einen betreuenden Professor.«

»Das wird schon«, beruhige ich sie, doch sie verzieht nur das Gesicht. Danai studiert wie ich Soziale Arbeit an der University of Washington, nach den Ferien werden wir beide dort unser letztes Semester antreten.

»Ich erzähle dir das schon seit Wochen«, meldet sich Mia von ihrem Arbeitsplatz aus zu Wort. »Langsam wird’s eng, meine Liebe.«

»Wolltest du nicht arbeiten?«, entgegnet Danai giftig und schneidet Mia eine Grimasse, was diese jedoch mit einer rüden Geste quittiert. Es gibt nichts, was Danai mehr hasst, als Mias Ich-hab’s-dir-doch-gesagt-Tonfall.

»Außerdem habe ich noch bis August Zeit, ich …« Weiter kommt sie nicht, denn in diesem Moment fliegt plötzlich ein Baseball in hohem Bogen durch die Luft und landet mit einem dumpfen Aufprall zwischen uns auf der Terrasse, wobei er Danais Eiskaffee haarscharf verfehlt. Der Ball schlägt noch mal auf, prallt gegen die Terassentür des Hauses und hinterlässt dort einen staubigen Abdruck auf dem Glas, das Mia kurz zuvor akribisch poliert hat.

»Heilige Scheiße!« Danai rappelt sich aus ihrem Liegestuhl hoch, doch ich bin schon aufgestanden und hebe den Baseball auf. Zu unserer Rechten, von wo das Geschoss kam, erscheint der Kopf eines Mannes über dem angrenzenden Gartenzaun.

»Hey! Sorry. War keine Absicht!« Er schiebt die blühenden Äste unseres Kirschbaums zur Seite und stützt die Arme auf den Zaun, um besseren Halt zu finden. Der Höhe des Zauns nach zu urteilen ist er auf die mittlere Holzplanke geklettert. Ich gehe über den Rasen auf ihn zu. Der Fremde hat schwarzes Haar und dunkle, asiatisch anmutende Augen. Er trägt ein weißes T-Shirt und sein linker Arm ist vom Bizeps bis zum Handgelenk tätowiert. Ich habe ihn in der Nachbarschaft noch nie gesehen. Als ich vor ihm stehen bleibe, grinst er so breit und so herzlich, dass es ansteckend ist.

»Hey. Du hast uns fast zu Tode erschreckt«, sage ich und werfe ihm den Baseball zu, den er zwar fängt, dabei aber bedrohlich schwankt.

»Sorry«, wiederholt er und lässt den Ball auf seine Zaunseite fallen. »Mein Bruder hat’s übertrieben. Danke fürs Zurückgeben.«

»Keine Ursache.« Ich wende mich schon zum Gehen, als der Fremde mich aufhält: »Warte mal, äh, ist das hier ein Verbindungshaus?« Er deutet auf die weiße Holzfassade unseres Hauses, auf der auch auf der Rückseite die überdimensionalen griechischen Buchstaben Alpha und Omega angebracht sind.

Ich hebe die Brauen. »Ja, wir sind eine Schwesternschaft. Wieso fragst du?«

»Ach, nur so. Meine Brüder und ich räumen das Haus meines Großvaters aus, er ist vor Kurzem gestorben und na ja, meine Schwester und ihr Mann werden hier einziehen, sobald wir renoviert haben.« Seine Stimme klingt angenehm dunkel. Er fischt sich eine Kirschblüte aus den Haaren und schnippt sie zu Boden. Dabei streift sein Blick für einen kurzen Moment meinen.

»Keine Sorge, wir feiern hier nicht jedes Wochenende eine Hausparty, falls du auf die Lautstärke anspielst«, entgegne ich und vergrabe die Hände in den Taschen meiner Shorts, da meine neue Bekanntschaft anscheinend vorhat, mich in ein längeres Gespräch zu verwickeln.

»Okay, gut.« Wieder grinst er, wie um seine Unsicherheit zu überspielen. Dabei entblößt er eine Reihe gerader, perlweißer Zähne. »Ich meinte das gar nicht böse oder so, also nicht dass ich Vorurteile hätte …«

Seine Unbeholfenheit entlockt mir ein Lächeln. »Schon gut, so habe ich es nicht aufgenommen. Ich bin übrigens Victoria«, stelle ich mich dann vor und recke mich, um dem Mann die Hand zu schütteln. Seine Haut ist warm und sein Händedruck angenehm fest.

»Austin. Schön, dich kennenzulernen, Victoria.«

Austin. Ich mag den Namen, würde ich am liebsten erwidern, beiße mir aber auf die Zunge. »Gleichfalls. Tut mir leid, das mit deinem Großvater.«

Austin verlagert sein Gewicht, sodass der alte Zaun beunruhigend in seiner Verankerung hin und her wackelt.

»Ach, schon okay, er war alt und krank. Es war abzusehen.« Als hinter ihm ein Ruf ertönt, dreht er den Kopf. »Ich komme gleich!«, brüllt er zurück, ehe er sich wieder mir zuwendet. »Meine Brüder«, fügt er erklärend hinzu, und zwischen uns entsteht ein kurzes Schweigen.

»Dieser Zaun hat auch schon bessere Tage gesehen.« Austin, der wieder das Wort ergriffen hat, streicht mit der Hand über den weißen Lack, der schon überall abblättert. Wieder sieht er mich an. Im Sonnenlicht wirkt das Braun seiner Augen wie flüssiger Honig, warm und irgendwie anziehend. »Habt ihr was dagegen, wenn wir den erneuern?«

Ich werfe meinerseits einen Blick über die Schulter, doch drüben auf der Terrasse sind Danai und Mia in eine Diskussion vertieft und beachten uns nicht. Ich räuspere mich. »Da müsste ich die anderen fragen, ich denke, da spricht nichts gegen. Sag Bescheid, wenn wir uns finanziell beteiligen sollen.«

Austin winkt ab. »Schon gut, das übernehmen wir.«

»Bist du sicher?«

»Klar. Okay, Victoria, ich klettere mal wieder runter, meine Beine werden taub. War schön, dich kennenzulernen. Vielleicht sieht man sich wieder.«

»Ja, bis dann. Schönes Wochenende.« Ich winke ihm zu, ehe sein Oberkörper hinter dem Zaun verschwindet und ich höre, wie er mit einem leisen Ächzen auf der anderen Seite landet.

Danai und Mia, die sich schon wieder wegen Danais Girl’s Life-Anspielung kabbeln, verstummen, als ich auf die Terrasse zurückkehre.

»Wer war das?«, fragt Mia und wirft einen skeptischen Blick zum Kirschbaum, wo Austin noch vor wenigen Augenblicken am Zaun gehangen hat. »Ist er der neue Nachbar?«

»Nein, er renoviert nur das Haus«, entgegne ich und nehme meinen Platz neben Danai wieder ein. Auch ich schaue noch einmal auf die Stelle, an der Austin eben verschwunden ist. Aus irgendeinem Grund hat sich ein seltsam warmes Gefühl in meiner Magengegend festgesetzt. »Er hat gefragt, ob es okay wäre, wenn sie den Zaun erneuern.«

»Komischer Typ«, bemerkt Danai und schlürft den letzten Rest ihres Eiskaffees. »Einfach so zu uns rüber zu spannen …«

»Fliegst du jetzt eigentlich in den Semesterferien nach Washington?«, frage ich, um das Gespräch von unserem unerwarteten Besucher wegzulocken. Danai streicht sich die Braids aus dem Gesicht und streckt sich, wobei sie ein tiefes Gähnen unterdrückt. »Glaube nicht. Ich muss endlich ein Thema für meine verdammtes Essay finden, Mom und Dad kann ich auch noch nach dem letzten Höllensemester besuchen. Und du? Fährst du nach Vancouver zu deiner Mom?«

»Nein, dieses Mal nicht, ich bin knapp bei Kasse. In den Ferien findet der Kinderschwimmkurs nicht statt und ich muss Extraschichten im Kino schieben.«

Danai hebt eine sorgfältig nachgezogene Augenbraue. »Vic, wenn du Geld brauchst, musst du nur was sagen, das weißt du doch«, sagt sie sanft. »Ich helfe dir aus, ist gar kein Problem.« Ich sehe meine beste Freundin an. Ihre schwarze Haut glänzt in der Sonne und in dem senfgelben Kleid, das bis knapp über ihre Knie reicht, sieht sie umwerfend aus. Danai kommt wie alle anderen Verbindungsschwestern aus einer wohlhabenden Familie und muss im Gegensatz zu mir nicht in zwei Nebenjobs schuften, um sich ihr Studium finanzieren zu können. Auch wenn es mir unangenehm ist, Geld von ihr anzunehmen, zahlt sie manchmal meinen Mitgliedsbeitrag für die Verbindung, wenn es eng wird. Auch darüber hinaus würde Danai mir, ohne mit der Wimper zu zucken, jederzeit einen Scheck ausstellen.

»Danke, das ist nicht nötig«, gebe ich zurück und lege eine Hand auf ihren Arm. »Du tust schon viel zu viel für mich.« Danai drückt meine Hand kurz und lächelt mir zu. Es ist ein trauriges Lächeln und ich muss den Blick abwenden, denn ich hasse es, wenn sie mich so ansieht.

»Ich kann es nicht leiden, wenn du Geldsorgen hast, Süße. Wenn’s eng wird, kommst du zu mir, okay?«

»Okay«, räume ich widerwillig ein und greife nach der Sonnenmilch neben meinem Liegestuhl, um nicht weiter darüber reden zu müssen. Im Gegensatz zu Danai und Mia, die einen beneidenswerten Teint hat, muss ich mich alle halbe Stunde in Sonnenmilch ertränken, um nicht zu einem Hummer zu mutieren. Blasse Haut und rotes Haar sind für mich inzwischen keine Schönheitsmakel mehr, auch wenn das lange anders war. Trotzdem ist die Sonne nach wie vor mein Feind, so bedauernswert ich das auch finde.

»Was habt ihr am Wochenende so vor?«, frage ich, als Mia ihren Laptop endlich zuklappt und ihre Unterlagen zusammenräumt, während ich meine Haut mit Sonnenmilch einreibe. Ein paar Stunden draußen haben ausgereicht, um die Sommersprossen auf meinen Armen förmlich explodieren zu lassen. Es kommt mir vor, als würden es jeden Sommer mehr werden.

»Morgen früh treffe ich mich mit Kyle im Renner’s, diesem neuen Coffeeshop«, beginnt Mia zu erzählen. »Und danach habe ich Grace, Jacky und Maddie versprochen, mit ihnen shoppen zu gehen. Grace will sich einen Bikini für Kalifornien kaufen, Jackson nimmt sie über die Ferien mit zu seinen Eltern.«

»Wie bezaubernd«, murmelt Danai und verdreht die Augen, was Mia glücklicherweise nicht mitbekommt. Grace, Jacky und Madison, drei weitere Mitglieder unserer Schwesternschaft, sind nicht gerade Danais und meine Seelenverwandte, doch wir müssen wohl oder übel miteinander auskommen, da wir nun mal unter demselben Dach wohnen. Insgesamt leben wir zu sechst in einem der Alpha-Omega-Alpha-Verbindungshäuser, zumindest im Moment. Zu Beginn eines neuen Herbstsemesters kann es immer sein, dass eine Füchsin, wie neue Verbindungsschwestern genannt werden, zuzieht oder jemand das Verbindungshaus wechselt. Jacky, die wie Grace und Madison Jura studiert, ist die Letzte, die im Frühjahrssemester neu dazukam. Die anderen Mädels leben wie ich schon seit unserem ersten Semester im Haus an der Burke Avenue, fußläufig vom Campus der Universität.

»Und du triffst dich mit Kyle, im Ernst?«, fährt Danai fort und über ihrer Nase erscheint eine kleine Falte. »Leidest du an Amnesie oder so was? Hast du vergessen, dass dich der Typ auf dieser Spring-Break-Party einfach abserviert hat?«

»So war das gar nicht«, hält Mia mit mäßig fester Stimme dagegen, jedoch ohne Danai anzusehen. »Außerdem ist das meine Sache, du hast dich da nicht einzumischen, wie oft soll ich dir das noch sagen?«

Danai öffnet schon den Mund, um eine empörte Antwort zu geben, als ich beschließe, dem aufkommenden Streit Einhalt zu gebieten. »Lass es gut sein, D.«, komme ich ihr energisch zuvor, sodass sie mir zwar einen düsteren Blick zuwirft, den Mund jedoch wieder schließt.

»Und du, Vic?«, fragt Mia, als wäre nichts gewesen, und setzt sich zu uns auf eine der freien Liegen in die Sonne. Wie ich ist sie in Shorts und Top gekleidet und bindet sich das schulterlange dunkle Haar zu einem Zopf im Nacken zusammen.

»Ich muss arbeiten«, murmele ich verdrießlich und versuche, nicht daran zu denken, wie schrecklich es sein wird, einen ganzen Samstag im muffigen dunklen Kino verbringen zu müssen.

»Und ich muss ein Thema für meine Arbeit finden«, meint Danai und sieht dabei mindestens so unmotiviert aus wie ich. Mia beißt sich auf die Lippe. »Es ist schon komisch, zu wissen, dass ihr nur noch ein Semester hier sein werdet«, sagt sie und ihr Blick pendelt nachdenklich zwischen uns beiden hin und her. Danai stöhnt und vergräbt das Gesicht in den Händen.

»Erinnere mich doch nicht daran! Ich bin überhaupt nicht darauf vorbereitet. Ich weiß nicht mal, ob ich danach noch den Master machen will oder nicht.«

»Wenn du den Master dranhängst, kannst du dein Zimmer ja behalten«, räumt Mia vergnügt ein und ihre Augen leuchten auf. »Das wäre super, ich habe noch drei Semester vor mir und bleibe wahrscheinlich noch eine ganze Weile hier wohnen.«

Danai nimmt die Hände vom Gesicht. Ihre blauen Nägel haben kleine Kerben in der Haut hinterlassen. »Ja, schon. Aber Vic ist Ende des Jahres definitiv weg.« Sie zieht eine Schnute und ich spüre ihren Blick auf mir. Augenblicklich schnürt sich mir die Kehle zu und ich starre auf die Sonnencreme in den Händen.

»Ich find’s ja auch nicht toll«, murmele ich, ohne meine Freundinnen dabei anzusehen. »Mein Plan war schon immer, nach meinem Studium zurück nach Vancouver zu gehen und dort als Sozialarbeiterin anzufangen. Es ist einfach das Richtige für mich.« Außerdem kann ich es mir nicht leisten, noch den Master dranzuhängen, selbst wenn ich wollte, setze ich in Gedanken nach.

»Ist ja auch in Ordnung.« Danai lächelt mir zu. »Wir können uns trotzdem ab und an sehen. Vancouver liegt schließlich nicht am anderen Ende der Welt. Außerdem weiß ich, dass du insgeheim die Tage zählst, bis du dieses Verbindungshaus endlich verlassen kannst.«

Ich winke ab. »So schlimm ist es gar nicht. Es ist nur manchmal nicht ganz meine Welt.«

»Meine schon.« Mia schnappt mir meinen Eiskaffee weg, in dem inzwischen kein Eis mehr übrig ist. »Ich verstehe das, Vic. Wir bleiben trotzdem Freundinnen, okay?«

»Natürlich. Also, worum geht’s in deiner Kolumne für die Youth?«

Am frühen Abend, als auch Grace, Madison und Jacky zu Hause sind und Danai und ich Kochdienst haben, versammeln sich alle in der geräumigen Wohnküche. Wir schaffen es nicht jeden Abend, zusammen zu essen, aber wir versuchen es zumindest einmal wöchentlich zu tun, um uns gegenseitig auf dem Laufenden zu halten und Verbindungsthemen zu besprechen. Während wir uns über Danais Spezialcurry hermachen, erzählt Grace von ihren Urlaubsplänen mit Jackson, einem der Quarterbacks der Huskies, mit dem sie seit dem letzten Semester zusammen ist.

»Er will mich mit zu seinen Eltern nach Santa Monica nehmen!« Sie schüttelt so heftig den Kopf, dass ihre blonden Locken nur so umherhüpfen und sie vor lauter Aufregung mit dem Ellbogen gegen meinen Arm prallt. »Oh, entschuldige, Vic. Jedenfalls besuchen wir seine Eltern, fahren dann ins Disneyland und sehen uns zum Abschluss noch irgendeinen Nationalpark an, den Jackson mir unbedingt zeigen will.« Sie strahlt. »Das wird super!«

»Wow, muss was Ernstes sein, wenn er dich direkt seinen Eltern vorstellen möchte«, schaltet Danai sich mit erhobenen Brauen ein und deutet mit der Gabel auf Grace. »Ging das von ihm aus oder hast du den Besuch vorgeschlagen?«

»Es ging von ihm aus, ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, dass er mich fragen würde«, entgegnet Grace. Sie ist so aus dem Häuschen, dass sie Danais Skepsis nicht einmal bemerkt. Ihre Augen leuchten und die Röte auf ihren Wangen kommt nicht nur von ihrem Rouge.

»Freut mich für dich, Grace, die Reise wird sicher toll«, sage ich, denn ich halte es für besser, meine ehrliche Meinung über Jackson Shaw lieber für mich zu behalten. Wie viele seiner Teamkollegen der Huskies stolziert er durch die Uni, als gehöre sie ihm allein und als würden alle Normalsterblichen seines Respekts nicht würdig sein. Ich habe ein solches Verhalten schon in der Highschool verabscheut, aber gleichzeitig keine Lust, deswegen beim Abendessen eine Grundsatzdiskussion zu starten. Grace und ich leben nun einmal in zwei völlig verschiedenen Welten und das ist in Ordnung.

»Danke.« Grace strahlt und lehnt sich mit einem zufriedenen Seufzer auf ihrem Stuhl zurück.

»Vic, Danai, ist es okay für euch, wenn in den kommenden Wochen ein paar Mädels vorbeikommen, um sich eure Zimmer anzusehen? Wir müssen sie ja ab Februar neu vermieten«, wechselt Madison das Thema und stapelt ihren leeren Teller auf Jackys. Maddie, die sich in unserem Haus um die Verwaltung kümmert und diesen Posten sehr ernst nimmt, zückt wie immer sogleich ihr Handy, um sich Notizen zu machen. Mit der anderen Hand fährt sie sich durch ihren makellosen karamellbraunen Pixie-Haircut.

»Ich habe mich immer noch nicht entschieden, ob ich den Master mache«, sagt Danai in aller Seelenruhe, Maddies Augenverdrehen gekonnt ignorierend. »Also schreib bitte erst mal nur einen neuen Platz im Haus aus.«

»In Ordnung«, flötet Maddie hörbar gereizt und tippt die Notiz in ihr Handy.

»Du kannst gern Mädels zum Vorbeischauen einladen«, schalte ich mich an Maddie gewandt ein. »Du brauchst auch nicht Bescheid sagen wann, geht einfach in mein Zimmer, das ist schon okay.« Das scheint Maddie zu besänftigen.

»In Ordnung. O Mann, es ist sooo schade, dass du gehst, Vic!«

»Richtig schade«, pflichtet Jacky ihr bei, und wie Danai zuvor zieht auch sie einen Schmollmund. Dabei fällt ihr eine krause Haarsträhne in das kleine, runde Gesicht. »Du wirst uns fehlen.«

»Ach, ihr findet im Handumdrehen eine neue Mitbewohnerin«, winke ich ab.

»Nur keine, die so ist wie du«, murmelt Mia von der anderen Seite des Tisches aus und stützt den Kopf in die Hände. Wieder rumort das schlechte Gewissen in meiner Magengegend und ich seufze.

»Willst du den Master denn definitiv nicht machen?«, erkundigt sich Grace. Sofort flammt Ärger in mir auf. Eigentlich weiß jede am Tisch genau, was für ein nervenzehrender Kampf es für mich ist, genug Geld für meine Unkosten zusammenzukratzen, und das jedes Semester aufs Neue. Schließlich haben alle meine Mitbewohnerinnen es nun fast drei Jahre lang aus erster Hand mitbekommen. Sie wissen, dass meine Mom eine geschiedene Frau ist, die für meinen kleinen Halbbruder sorgen und gleichzeitig Schichten im Krankenhaus schieben muss. Es ist ihr unmöglich, mich finanziell zu unterstützen, und mein Dad meldet sich nur in Form zweier unpersönlicher Grußkarten pro Jahr, zu Weihnachten und zu meinem Geburtstag. Doch ich glaube, Grace kommt es in ihrer privilegierten Welt nicht einmal in den Sinn, dass so etwas wie finanzielle Probleme überhaupt existieren könnten. Also reiße ich mich zusammen und setze ein stählernes Lächeln auf. »Nein, ich habe andere Pläne. Ich möchte ins Berufsleben und wieder zurück nach Vancouver zu meiner Mom. Sie kann meine Unterstützung gut gebrauchen.«

»Mit einem Masterabschluss würdest du mehr verdienen, oder?« Madison runzelt die Stirn und erneut muss ich meinen Zorn über die Gedankenlosigkeit meiner Verbindungsschwestern runterschlucken.

»Mag sein, ja. Aber ich kann mich auch hocharbeiten. Uniabschluss ist Uniabschluss, für den Berufseinstieg wird es reichen.«

»Wenn du meinst.« Grace, für die das Thema somit beendet zu sein scheint, steht auf, um sich ans Abräumen zu machen. Ich tue es ihr nach und bin erleichtert, dass dieses Gespräch endlich ein Ende hat.

2

Victoria

Am Samstagmorgen machen Danai und ich uns auf den Weg zu einer der Leichtathletikanlagen des Campus, wo wir, wie jeden Samstag, unsere Runden joggen, bevor ich zur Arbeit muss. In den Semesterferien treibt sich auf der von hohen Eichen gesäumten Anlage so gut wie niemand herum und wir haben die rote Aschenbahn nur für uns.

»Mia trifft sich heute echt mit Broswell?«, nimmt Danai das Gespräch auf, als wir einen Satz Liegestütze machen, bevor wir unseren Lauf beginnen.

»Sieht so aus«, sage ich und richte mich auf. »Zumindest hat er sie eben mit seinem Wagen abgeholt.«

Danai lässt ein Schnauben hören, dem ihre Abneigung gegen Kyle Broswell anzuhören ist. Dann steht auch sie auf und schüttelt ihre Beine aus. »Unfassbar. Der Typ ist echt ein Widerling. Genau wie Shaw und der Rest seines Teams. Ich weiß nicht, was Mia an ihm findet. Also, dass Grace mit Shaw anbändelt, ist keine Überraschung, aber Mia und Broswell? Schon wieder? Das geht einfach nicht in meinen Kopf.«

»Ich weiß es nicht. Mia muss selbst wissen, mit wem sie sich trifft.« Seite an Seite laufen wir in gemächlichem Tempo los.

»Sie muss doch merken, was für ein Holzkopf er ist. Ich meine, es ist kein Geheimnis, dass er fast jedes Mädchen an der Uni schon im Bett hatte.« Sie wirft mir einen nachdenklichen Seitenblick zu.

»Mehr als warnen können wir sie nicht. Sie weiß selbst, was für ein Typ Kyle ist«, entgegne ich. »Wer weiß, vielleicht mag er sie ja wirklich und daraus wird was Festes.«

»Das glaubst du doch wohl selbst nicht.« Allmählich beschleunigen wir unser Lauftempo und kommen in unseren üblichen Rhythmus. »Du bist viel zu gutgläubig, Vic. Broswell wird Mia wieder verarschen, so wie er all die anderen vor ihr verarscht hat.«

»Selbst wenn, dann ist das immer noch Mias Sache, Danai. Können wir also bitte über was anderes reden?«

Ein Grinsen schleicht sich auf das Gesicht meiner besten Freundin. »Klar. Was hat es mit dem Kerl am Zaun auf sich? Wie heißt er noch, Alex? Andy?«

»Er heißt Austin«, entgegne ich und der Klang dieses Namens löst ein seltsames Prickeln auf meiner Zunge aus. Ein Prickeln, das mich verwirrt. »Was ist mit ihm?«

»Er sah nett aus.«

»Ja, und?«

»Nichts und. Das war nur eine Feststellung.«

»Aha, nur eine Feststellung also.« Ich werfe Danai einen skeptischen Blick zu. »Kommt jetzt der Teil, wo du mir rätst, mich mit doch mal wieder mit jemandem zu treffen?«

»Nein, Quatsch!«, beteuert sie. Aus ihrem dicken Zopf haben sich zwei Braids gelöst, die sie zurück unter das Haargummi klemmt.

»Okay, vielleicht. Irgendwie glaube ich, dass ein Kerl wie dieser Austin zu dir passen könnte. Er war süß.«

»Wir kennen uns doch gar nicht! Wir haben uns vielleicht drei Minuten unterhalten«, entgegne ich schnaubend, nicht sicher, ob die Hitze auf meinen Wangen vom Joggen oder von unserem Gesprächsthema rührt. Danai grinst nur noch breiter. »Wenn er den Zaun erneuert, siehst du ihn sicher wieder.«

Daran habe ich noch gar nicht gedacht, und mein Magen kommentiert diese Tatsache mit einem nervösen Ziehen. Was ist nur los mit mir? Seit Monaten war da niemand mehr, der mir so im Gedächtnis geblieben ist wie dieser Austin und sein Lächeln. Doch sobald ich an ihn denke, klopft in meinem Hinterkopf eine andere, dunklere Erinnerung an, die ich auch nach einem halben Jahr einfach nicht vergessen kann. Danai, die meine Gedanken wie so oft zu lesen scheint, stupst mich an. »Hey, du denkst doch nicht an Zach, oder?«

Ich schlucke und plötzlich ist mir kalt, obwohl mein Körper inzwischen warm gelaufen ist.

»Nee, mach ich nicht«, nuschele ich, doch mit dieser Lüge kann ich Danai überzeugen. Zach, mein Ex-Freund, oder besser gesagt Beinahe-Ex-Freund, besucht ebenfalls die UW. Zwar ist er kein Sportler, aber trotzdem von der beliebten Sorte, denn er ist groß, sieht gut aus und ist intelligent. Letzten Winter hatten wir sechs Dates, doch zu mehr ist es nie gekommen, da Zach sich schließlich als jemand anderes entpuppte als die Person, die er mir vorspielte. Ab und zu verfolgt mich der Gedanke an ihn noch immer, auch wenn wir uns inzwischen kaum noch über den Weg laufen. Ich habe mein Herz vorschnell an ihn verloren und musste machtlos dabei zusehen, wie er einfach darauf herumtrampelte, ehe unsere kurze gemeinsame Zeit endete und ich schmerzhaft auf dem Boden der Tatsachen landete. Und diesen Fehler werde ich nie wieder machen.

Danai stupst mich erneut an, diesmal energischer. »Hey, ich weiß, dass du nach Zach nichts mehr überstürzen willst, und das verstehe ich. Aber das musst du ja auch gar nicht. Wenn dir dieser Austin gefällt, kannst du es einfach langsam auf dich zukommen lassen. Also, gefällt er dir?«

»Ja, kann sein«, gebe ich mich gelassen, denn ich habe keine Lust, länger über Zach und unsere gescheiterte Fast-Beziehung zu reden. »Du hast eigentlich gar kein Recht, mich zu einem Date bewegen zu wollen, weiß du das? Du hattest selbst seit Monaten kein einziges.«

Danai verdreht die Augen. »Ja, weil die Auswahl an Frauen in unserer Uni momentan sehr mau ist. Und die, die erreichbar für mich wären, finde ich uninteressant.«

»Hm«, mache ich und stoße ihr neckisch mit dem Ellbogen in die Seite. »Bei deinen Flirtkünsten verlieben sich doch glatt auch die scheinbar unerreichbaren Frauen in dich, da wette ich mit dir.«

»Schön wär’s«, entgegnet Danai trocken, und eine Weile laufen wir einvernehmlich schweigend nebeneinanderher.

»Hey, hast du Lust, nächsten Samstag mit zu Deeks Party zu kommen? Er ist aus Mexiko zurück und schmeißt eine Ferienparty bei sich zu Hause«, ergreift Danai nach einer Weile wieder das Wort. »Ich soll dich einladen.«

»Liebend gern, aber ich kann nicht«, entgegne ich verdrießlich, denn auch wenn ich eigentlich nicht der Typ bin, der gern feiert, die Partys bei Danais kleinem Bruder Deacon sind immer einen Besuch wert. »Ich muss nach Stanwood, Abschlussgespräch fürs Praktikum. Der Termin ist erst am frühen Abend und mit dem Zug bin ich eine Weile unterwegs.«

Im letzten Semester habe ich ein neunmonatiges Pflichtpraktikum in einer kommunalen Einrichtung in der Nachbarstadt Stanwood absolviert, um meinen Bachelor in Sozialer Arbeit auch auf der praktischen Ebene abschließen zu können. Im Gegensatz zu Danai hatte ich nicht das Glück, einen Platz direkt in Seattle zu bekommen, und nächste Woche muss ich ein letztes Mal dorthin, um ein abschließendes Gespräch mit meiner Betreuerin zu führen. Ausgerechnet an einem Samstag.

»Und was, wenn ich dich hinfahre?«, schlägt Danai kurzerhand vor. »Dann sind wir rechtzeitig wieder hier, mit dem Auto brauchen wir nur vierzig Minuten. Deal?«

»Deal.« Ich schlage in Danais Hand ein.

»Perfekt.« Sie strahlt und wischt sich mit dem Ärmel ihres Longsleeves den Schweiß von der Stirn. Inzwischen ist die Sonne hinter den Wolken hervorgekommen und bringt uns ins Schwitzen. »Deek wird sich freuen, dass du kommst. Seit er zurück ist, habt ihr euch noch gar nicht gesehen, oder?«

Ich schüttele den Kopf. »Nein, das wird bestimmt lustig.«

Deacon, der Danai nach Seattle gefolgt ist und nun seit zwei Semestern Englische Literatur studiert, hat den Winter über ein Auslandssemester an einer mexikanischen Universität verbracht. Auch wenn er in jeglicher Hinsicht das genaue Gegenteil seiner großen Schwester ist, habe ich ihn gern und freue mich, ihn wiederzusehen.

»Das glaube ich auch.« Danai klatscht in die Hände, und als wir zum zehnten Mal das Ende der Rundbahn erreichen, laufen wir aus und beenden unser Training.

»Tut mir übrigens leid, dass Grace und Maddie gestern beim Essen mal wieder den Vogel abgeschossen haben«, bemerkt sie, als wir uns zum Abschluss dehnen.

»Ach, schon okay. Ich glaube, sie meinen es nicht mal böse.« Ich lasse mich auf die nächstbeste Bank fallen und nehme einen Schluck aus meiner Wasserflasche.

»Ignorant ist es trotzdem.« Danai setzt sich neben mich und lässt den Kopf kreisen. »Lange musst du ihre Solo-Show ja nicht mehr ertragen.«

»Eben.«

»Ich werde dich vermissen, wenn du weg bist, Vic«, sagt Danai leise und legt mir den Arm um meine Schulter.

»Ich weiß«, krächze ich, denn plötzlich ist meine Stimme belegt. »Ich dich auch.«

Ein paar Minuten bleiben wir noch sitzen und gönnen unseren Beinen eine wohlverdiente Pause, dann treten wir den Heimweg an. Wie immer nach dem Joggen fühle ich mich ausgepowert, aber zufrieden.

»Hey, wenn du Hilfe bei der Themensuche für deine Arbeit brauchst, sagst du Bescheid, ja?«, biete ich mich an, als wir den wenig besuchten Campus verlassen.

»Mach ich, danke«, seufzt Danai. »Ich kriege das schon hin, ich muss mich einfach aufraffen. Eigentlich wollte ich die Semesterferien nutzen, um ein paar neue Songs zu schreiben, aber das stelle ich lieber hintenan.«

»Machst du mit der Musik erst mal allein weiter?«, frage ich, obwohl mir nicht entgeht, dass dabei ein Schatten über Danais Gesicht huscht. Neben Sport ist Musik Danais große Leidenschaft. In unserem zweiten Semester hat sie mit Leslie Holland, einer Kommilitonin aus unserem Studiengang, ein wirklich gutes Musikprojekt auf die Beine gestellt. Die beiden haben im Singer-Songwriter-Stil zusammen gesungen, Gitarre gespielt und eigene Songs geschrieben. Damit sind sie ein paarmal in umliegenden Bars und Kneipen aufgetreten – bis Leslie letzten Herbst unerwartet ausgestiegen ist.

»Ich weiß es nicht«, grummelt Danai. »Muss ich wohl, die Musik ist mir zu wichtig, als dass ich sie einfach an den Nagel hängen könnte.«

»Finde ich gut«, sage ich und schenke ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Du könntest dir auch einfach eine neue Partnerin suchen. Oder einen Partner. Mach doch im neuen Semester einen Aushang am Schwarzen Brett.«

Danai rümpft die Nase und ich weiß, dass mein Vorschlag auf wenig Begeisterung stößt. »Ich denk drüber nach«, murmelt sie dennoch.

Wie ich gehofft habe, herrscht im Three Dollar Bill Cinema heute nicht viel Betrieb, da das sonnige Wetter die Leute nach draußen zieht anstatt ins Kino. Doch aus meinem Plan, einfach am Empfang zu stehen und in Ruhe in dem Buch zu lesen, das Mia mir geliehen hat, wird nichts, denn meine Chefin trägt mir auf, eine der beiden Popcornmaschinen zu reinigen, was ein schweißtreibendes und mühseliges Unterfangen ist. Dementsprechend wandert meine Laune immer weiter in den Keller, und als ich um kurz nach einundzwanzig Uhr endlich Feierabend mache, würde ich am liebsten jemanden erwürgen, allen voran meine Chefin.

Auf dem Heimweg dämmert es bereits, doch die Luft ist noch mild und angenehm frisch. Praktischerweise liegt das Kino unweit unseres Verbindungshauses, sodass ich mir die Fahrerei mit dem Bus ersparen und stattdessen einen etwa zehnminütigen Spaziergang nach Hause machen kann. Im Gegensatz zu Danai und meinen anderen Mitbewohnerinnen kann ich mir ein Auto nicht leisten, doch in der Großstadt bräuchte ich es ohnehin kaum. Dennoch sind die beiden Garagen unseres Hauses mit fünf Autos besetzt, und selbst Grace und Maddie bieten mir ab und zu an, mich irgendwo abzusetzen, was wirklich nett von ihnen ist.

Als ich in die Burke Avenue einbiege, kann ich schon sehen, dass unser Haus unbeleuchtet ist, niemand ist zu Hause. Mia, Jacky, Grace und Maddie werden ihre Shoppingtour sicher gerade mit einem ausladenden Abendessen im Olive Garden beenden, und Danai ist bei Deacon. An Wochenenden kommt es öfter vor, dass ich das Haus für mich allein habe, und ich liebe es. Wenn Jacky meinen Eisvorrat im Gefrierschrank nicht heimlich vernichtet hat, werde ich mich mit einem Becher Cookie-Dough-Eis im Wohnzimmer auf die Couch werfen und Gilmore Girls anschauen, ohne dass mich jemand dabei stört.

Das Eckhaus nebenan, in dem bis vor Kurzem Austins Großvater gelebt hat, ist hell erleuchtet. Inzwischen steht ein großer Schrottcontainer im Vorgarten, der schon über und über mit alten Holzvertäfelungen, Teppichen und Fliesen gefüllt ist. Auf der Straße vor dem Haus parkt ein alter, gepflegter Dodge, an dessen schwarz lackiertem Heck ein Mann lehnt, zwei weitere sitzen auf der niedrigen Mauer vor dem Haus, die den Vorgarten vom Gehweg abgrenzt. Als ich näher komme, erkenne ich, dass der Mann am Auto Austin ist, die beiden anderen müssen seine Brüder sein. Austin winkt mir zu, als er mich entdeckt. Ich winke zurück und öffne schon das gusseiserne Tor zu unserem Grundstück, als er sich vom Auto abstößt und auf mich zukommt. Wie angewurzelt bleibe ich stehen, während sich mein Herzschlag beschleunigt, als würde ich einen spontanen Sprint hinlegen.

»Hey«, ruft Austin und legt die letzten Meter im Laufschritt zurück. Heute trägt er ein schwarzes T-Shirt, Shorts und Turnschuhe. Jetzt, wo er zum ersten Mal vor mir steht, fällt mir auf, dass er ziemlich groß ist und mich um mehr als einen Kopf überragt.

Er ist so groß wie Zach. Ich schlucke.

»Hey«, entgegne ich und halte mich am Tor fest, denn aus irgendeinem Grund fühlen sich meine Beine plötzlich weich an.

»Kommst du gerade von der Arbeit?«, fragt er ehrlich interessiert und lehnt sich lässig gegen die Straßenlaterne, die Arme vor der Brust verschränkt. Sein tätowierter Arm zeigt eine Flutwelle und drei große rote Kois im japanischen Stil.

»Äh, ja. Ich arbeite neben dem Studium drüben im Three Dollar Bill.« Wieso zum Teufel erzähle ich ihm das? Ich kann förmlich spüren, wie mir die Röte ins Gesicht schießt, doch Austin lächelt.

»Echt? Cool, da war ich auch schon ein paarmal. Das Popcorn dort ist super.«

»Ja … Macht ihr auch gerade Feierabend?«

Er mustert mich aus seinen warmen, braunen Augen. »Ich denke schon, für heute sind wir durch. Ähm … ich wollte dich nur kurz sprechen wegen des Zauns«, sagt er und deutet mit einer vagen Handbewegung in unseren Garten. »Hast du mit deinen Mitbewohnerinnen gesprochen?«

»Ja, kein Problem, ihr könnt ihn erneuern. Die anderen haben nichts dagegen«, höre ich mich sagen, obwohl ich nur Danai und Mia von Austins Vorhaben erzählt habe.

»Cool. Danke.«

»Klar.« Halb rechne ich schon damit, dass er sich wieder abwendet, doch dazu macht er keine Anstalten.

»Hey, darf ich raten, was du studierst?«, fragt er stattdessen unvermittelt. Ich lache auf, denn damit habe ich nicht gerechnet.

»Okay, dann los«, sage ich und verschränke meinerseits die Arme vor der Brust. Austin mustert mich eingehend von Kopf bis Fuß, die dunklen Augenbrauen nachdenklich erhoben.

»Hm … Literatur? Oder nein! Kunstgeschichte?«

»Weder noch«, entgegne ich schmunzelnd. Wie schon bei unserer ersten Begegnung ist sein Lächeln ansteckend. »Tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss.«

»Mist. Kriege ich noch einen Versuch?«

»Nur noch einen.«

Austin seufzt und nimmt die Cap ab, die er verkehrt herum auf dem Kopf trägt. Mit der Hand fährt er sich durch das Haar, das im dämmrigen Licht so schwarz wirkt wie die Nacht. An den Seiten ist es kurz geschnitten, auf dem Kopf jedoch so lang, dass es ihm in die Stirn fällt.

»Na gut. Lass mich überlegen … Journalismus?« Er setzt die Cap wieder auf.

»Auch nicht«, entgegne ich, woraufhin er frustriert das Gesicht verzieht. »Du liegst immer noch ziemlich daneben.«

»Verrätst du es mir dann?«, fragt er und lässt die Hände in die Taschen seiner Shorts gleiten.

»Ich studiere Soziale Arbeit«, lüfte ich das Geheimnis. »Nächsten Monat beginnt mein letztes Semester, dann bin ich hier fertig.«

Austin atmet tief ein. »Okay, darauf wäre ich wahrscheinlich nie gekommen«, gibt er zu. »Klingt gut. Wie kommt es, dass du einen Nebenjob hast, wenn du in so einem Haus wohnst?«, fragt er und deutet mit dem Daumen auf das ausladende, dreistöckige Verbindungshaus, das in der Tat nicht aussieht wie das Zuhause von jemandem, der Geldprobleme hat.

»Für Mitglieder der Schwesternschaft ist die Zimmermiete sehr günstig, da wir ja Mitgliedsbeiträge zahlen. Das Haus selbst wird von der Verbindung finanziert«, erkläre ich ihm und betrachte das Verbindungshaus ebenfalls für einen kurzen Moment.

Und ich habe mich hier all die Jahre nie zu Hause gefühlt, würde ich gern hinzufügen, überlege es mir jedoch anders.

»Eigentlich wollte ich nie in eine Studentenverbindung, aber meine inzwischen beste Freundin hat mich überredet, mich mit ihr zusammen zu bewerben«, sage ich stattdessen. »Sonst würde ich wahrscheinlich jetzt in einem winzigen Studentenheim wohnen.«

»Verstehe. Was tut man nicht alles für seine Freunde, hm?«

Ehe ich antworten kann, ruft einer seiner beiden Brüder nach Austin: »Hey, Linguini, lass uns abhauen!«

»Komme gleich!«, entgegnet er, eher sich wieder an mich wendet. »Entschuldige. Meine Brüder sind nicht gerade die geduldigsten Menschen.«

»Linguini?«, frage ich neckisch, ohne dass ich es mir verkneifen kann.

Austin verdreht die Augen. »Der Spitzname ist aus Kindertagen hängen geblieben. Austini Linguini. Total alberner Scheiß.«

»Klingt hinreißend.« Ich lache. »Darf ich dich in Zukunft auch so nennen?«

»Bitte nicht.« Er macht einen Schritt zurück, doch sein Blinzeln sieht verdächtig nach einem Zwinkern aus. »Also dann, Victoria, ich muss los. Am Montagabend setzen wir den neuen Zaun. Vielleicht sehen wir uns ja.«

»Ja, okay. Gute Nacht.«

»Gute Nacht.« Ich sehe ihm nach, wie er im Laufschritt zu seinen Brüdern aufschließt und ins Auto steigt. Mit einem ungewohnt warmen Gefühl in meinem Inneren schließe ich die Haustür auf, schalte das Licht ein und gehe die Treppe hinauf in mein Zimmer. Meinen Plan mit Eis und Gilmore Girls habe ich inzwischen völlig vergessen.

3

Austin

Am Montagmorgen fahre ich zum Baumarkt, um einen neuen Sichtschutzzaun für Grandpas Garten zu kaufen. Für mich ist es immer noch Grandpas Haus, auch wenn er schon ein paar Monate tot ist und April und Raf im neuen Jahr dort einziehen werden. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, wie Grandpas Haus zu ihrem Haus wird, aber immerhin bleibt es in der Familie, was eine gute Sache ist.

Aaron und Adrien sind bei der Arbeit, also schleppe ich die Zaunelemente und Pfeiler allein zu Dads Truck und zurre alles mit Spanngurten fest. Der Holzzaun ist schon weiß lackiert und die Verkäuferin hat mir versichert, dass er mit der Zeit nicht abblättern wird, woran ich allerdings meine Zweifel habe. Heute Abend, sobald meine Brüder Feierabend haben, werden wir den Zaun erneuern und auch hoffentlich damit fertig werden. Für Aaron und Adrien ist es hart, neben ihren Vollzeitjobs noch täglich mehrere Stunden im Haus zu schuften, und April selbst kann kaum mithelfen, da Aila ihre meiste Zeit beansprucht, und auch Dad ertrinkt derzeit in Arbeit. Also bleibe nur ich übrig, was Grandpas Haus automatisch zu meinem Projekt macht.

Auf dem Weg vom Baumarkt zum Haus stehe ich etwa zwanzig Minuten im Stau, bis ich die Burke Avenue endlich erreiche. Ich fahre Dads Truck rückwärts in die Einfahrt und trage die Zaunelemente in den Garten, wo ich sie gegen die Terrasse sinken lasse. Der alte Zaun, der sich windschief und verwittert gegen die Kirschbäume des Nachbargrundstücks lehnt, macht einen mickrigen Eindruck. Heute Abend würde es uns Zeit kosten, ihn rauszureißen, also beschließe ich, schon Vorarbeit zu leisten und das alte Ding gleich zu entfernen. Ich ziehe mir mein Sweatshirt über den Kopf, hänge es über einen der alten Gartenstühle und schiebe Grandpas wilde Sträucher zur Seite, um mir anzusehen, wie der Zaun im Boden verankert ist. Erleichtert stelle ich fest, dass die Pfeiler nur noch etwa dreißig Zentimeter tief im sandigen Boden stecken und nicht an einem Fundament befestigt sind – es ist ein Wunder, dass der Zaun überhaupt so lange gehalten hat. Ich kann die einzelnen Elemente also einfach aus dem Boden reißen und die Löcher für die neuen Pfeiler graben, bevor ich heute Abend mit Aaron und Adrien den Beton für das Fundament gieße.

Ich stöpsele mir meine Airpods in die Ohren, schalte Music to be murdered by von Eminem an und beginne mit der Arbeit. Bald kommt die Mittagssonne zwischen den grauen Wolken zum Vorschein und verbrennt mir den Nacken. Die alten Zaunelemente zu entfernen ist leicht, die Holzpfeiler sind so morsch, dass sie fast von selbst umfallen, wenn ich sie nur anfasse. Inzwischen ist schon über die Hälfte des Zauns gewichen und meine Position gibt den Blick auf die ordentlich bepflanzte Terrasse des Verbindungshauses von Alpha Omega Alpha frei, in dem Victoria wohnt.

Victoria.

Bei der Erinnerung an sie klopft mein Herz ungewohnt schnell in meiner Brust, dabei kennen wir uns kaum. Samstagabend muss ich ihr wie ein Vollpfosten vorgekommen sein, als ich sie so überrumpelt und über ihr Leben ausgefragt habe. Verdammt. Allein der Gedanke an unsere letzte Begegnung treibt mir die Schamesröte ins Gesicht. Sie gefällt mir, das kann ich nicht leugnen. Ihr rotes Haar, das ihr in sanften Wellen über die Schultern fällt, die helle sommersprossige Haut, die grünen Augen. Und dieses Lächeln. Doch was, wenn ich sie mit meiner Fragerei verschreckt habe? Automatisch wandert mein Blick erneut zum Grundstück der Schwesternschaft, doch anders als am Freitag ist dort niemand zu sehen. Ich unterdrücke ein tiefes Seufzen und widme mich wieder meiner Arbeit. Vielleicht sollte ich sie einfach fragen, ob sie einen Kaffee mit mir trinken möchte, wenn ich sie wiedersehe. Falls ich sie wiedersehe. Es ist gut möglich, dass sie mir nach meinem seltsamen Auftritt am Wochenende von nun an aus dem Weg geht, bis wir das Haus fertig renoviert haben und es für mich keinen Grund mehr gibt, regelmäßig herzukommen. Was habe ich mir auch dabei gedacht, sie so ungeniert mit Fragen zu bombardieren? Ihren Studiengang erraten zu wollen ist keine gute Idee gewesen, ich lag meilenweit daneben, und, wahrscheinlich hält sie mich insgeheim für einen aufdringlichen, distanzlosen Holzkopf. Jetzt seufze ich doch, werfe den letzten Pfeiler zu Boden und gehe hinüber zu Grandpas Terrasse, wo ich mir einen Schluck Wasser aus meiner Trinkflasche genehmige und die Kühle des Schattens genieße. Wenn Aaron jetzt hier wäre, würde er mir sagen, dass ich mal wieder zu viel nachdenke, und vermutlich hätte er recht. Fakt ist, ich habe keine Ahnung, was Victoria von mir denkt, und ich werde es auch nicht erfahren, wenn ich sie nicht frage, ob sie mit mir einen Kaffee trinken möchte. So einfach ist das.

Für einen Moment schließe ich die Augen, pausiere die Musik und lausche dem Vogelgezwitscher von den Bäumen um mich herum. Die Burke Ave ist eine verhältnismäßige ruhige Straße, auch wenn sie unweit des Stadttrubels liegt. Zusammen mit Dad, Aaron, Adrien und April habe ich unzählige Sommer in Grandpas Garten verbracht, früher sogar noch mit meiner Mom. Wir haben gegrillt, Geburtstage gefeiert, Blumen gepflanzt und um die Wette geschaukelt. Das alte Schaukelgestell, das früher einmal grün war, ist heute rostig und verwittert, Adrien hat versprochen, es für Aila auf Vordermann zu bringen und neu zu streichen. Bei dem Gedanken, dass meine kleine Nichte im selben Garten groß werden wird wie ihre Mom und ihre Onkel, muss ich unwillkürlich lächeln.

»Hey, Linguini!«

Ich zucke zusammen, als aus einiger Entfernung eine Stimme ertönt. Mein Kopf schießt in die Höhe und ich entdecke Victoria, die barfuß auf der Terrasse des Verbindungshauses steht, eine überdimensionale Gießkanne in der Hand.

»Hältst du ein Mittagsschläfchen?«

Ehe ich weiß, was ich mache, bin ich schon aufgestanden, nehme mir die Airpods aus den Ohren und gehe zu der Stelle hinüber, an der bis vor Kurzem noch der Zaun gestanden hat. Auch Victoria stellt die Gießkanne ab und kommt über den frisch gemähten Rasen zu mir herüber. Heute trägt sie ihr rotes Haar in einem Dutt, aus dem sich einige Strähnen bereits gelöst haben. Die Sommersprossen leuchten wie winzige Goldsprenkel auf ihrer Nase und ihren Wangen, was sie einfach hinreißend aussehen lässt. Am liebsten hätte ich ihr das gesagt, doch ich beiße mir auf die Zunge. Heute werde ich mich sicher nicht wie ein Vollpfosten aufführen.

»Hey«, sage ich, als wir im Schatten der Kirschbäume voreinanderstehen. »Peinigst du mich jetzt echt mit diesem furchtbaren Spitznamen?«

»Keine Sorge, das war nur ein Scherz.« Victoria lehnt sich gegen den Stamm des Baumes, der uns am nächsten ist. Sie trägt Shorts und ein schwarzes T-Shirt, auf dem das Blink-182-Logo prangt. Ihre Figur ist schlank, aber nicht dürr, ihre Beine sind lang und ihre Füße sind so winzig, dass es fast schon niedlich ist. Ich reiße den Blick von ihr los, ehe sie bemerkt, dass ich sie anstarre.

»Wie geht’s dir?«, frage ich, da ich keine Ahnung habe, was ich sonst sagen soll.

»Ganz gut, ich habe gerade unseren Dschungel gegossen. Und dir? Kannst du vielleicht Hilfe gebrauchen?«

»Danke für das Angebot, ich bin fast fertig. War eben im Baumarkt, den neuen Zaun kaufen. Heute Abend kommen meine Brüder dazu und wir ziehen den neuen Zaun. Ist keine große Sache.«

Mir entgeht nicht, dass auch sie mich unauffällig mustert, während ich spreche.

»Hey, darf ich raten, was du beruflich machst?«, fragt sie unvermittelt. Ihre Zähne sind hell und gerade, aber nicht so gerade, dass sie gemacht wirken. Sie hat ein schönes, echtes Lächeln. Und ihre Lippen …

»Klar«, erwidere ich, auch wenn dieser Themenwechsel ein nervöses Ziehen in der Magengegend mit sich bringt. »Das ist nur fair, schätze ich. Aber wer sagt, dass ich nicht auch studiere?«

»Nur so eine Vermutung. Du siehst aus wie jemand, der schon mit beiden Beinen fest im Berufsleben steht.«

»Wenn du wüsstest. In Wahrheit ist es ein bisschen komplizierter als das.«

Sie stößt sich vom Baumstamm ab und kommt einen Schritt näher. »Ich versuche es trotzdem. Gut, also … Ich denke, du machst irgendwas Handwerkliches. Vielleicht Mechaniker? Schlosser?«

»Nein und nein«, gebe ich zurück. Dass sie mich ebenfalls nicht sofort wie ein offenes Buch zu lesen vermag, ist nach meiner Niederlage am Samstag eine kleine Erleichterung. »Ganz falsche Richtung. Ich bin überhaupt nicht handwerklich begabt. Den Zaun rauszureißen schaffe ich noch, für alles andere müssen mir Aaron und Adrien die Hand halten.«

»Sind Aaron und Adrien deine Brüder?«, fragt sie und streicht sich eine vom Wind verirrte Haarsträhne hinter das Ohr.

»Ja. Aaron ist der älteste und Adrien der jüngste. Dazwischen komme ich und meine Schwester April. Und ja, unsere Eltern haben uns absichtlich so genannt. Sie wollten, dass unsere Namen gut harmonieren.«

»Finde ich cool. Und wow, drei Geschwister? Das stelle ich mir echt schön vor«, sagt sie und ihre grünen Augen leuchten auf. »Ich selbst habe keine Geschwister. Abgesehen von meinem Halbruder Jason, er ist erst vier. Er kam zur Welt, als ich schon fast ausgezogen war.«

Ich bin mir nicht sicher, ob ich es mir nur einbilde, aber bei der Erwähnung ihres Halbbruders huscht ein verbitterter Ausdruck über ihr Gesicht.

»Verstehe«, entgegne ich und lehne mich gegen den letzten Pfeiler, der noch steht. »So schön ist es in der Realität nicht immer. Die drei können mir oft genug ganz schön auf die Nerven gehen.«

»Kann ich mir vorstellen.« Unsere Blicke treffen sich und Victoria strafft die Schultern. »Einen Versuch habe ich noch, um deinen Beruf zu erraten, okay?«

Mir wäre es lieber, wenn sie es nicht täte, doch ich nicke. »Okay.«

»Mal überlegen …« Auf ihrer Stirn erscheint eine kleine, nachdenkliche Falte. »Irgendwas in die technische Richtung? IT?«

»Auch nicht. Ich verrate es dir. Darauf kommst du sowieso nie.«

Sie lässt ein theatralisches Seufzen vernehmen, das mich trotz meiner Unsicherheit zum Lächeln bringt.

»Dann schieß mal los.«

»Ich bin Fahrradkurier für ein Take-away«, erzähle ich. »Das ist eine Übergangslösung. Momentan jobbe ich nur.« Ich weiß, dass jetzt eigentlich der Moment wäre, um die Klappe zu halten, doch die nächsten Worte brechen wie von selbst aus mir heraus, da der Drang, mich zu rechtfertigen, plötzlich unglaublich stark ist. »Im Juli möchte ich mich an der Police Academy in Seattle bewerben und bis dahin verdiene ich mir nebenbei ein bisschen Geld.«

Verdammt, wieso erzähle ich ihr das? Kurz starre ich auf meine Füße, doch als ich wieder zu Victoria sehe, hat sich ihre Miene aufgehellt. »Stimmt, darauf wäre ich wirklich nicht gekommen. Eine Polizeiuniform würde dir sicher stehen, Officer Linguini.«

Plötzlich ist mir ziemlich heiß und ich muss den Blick wieder von ihr abwenden. Ich habe mich selbst in die Ecke gedrängt, ganz ohne Victorias Zutun. Und das innerhalb von knapp einer Minute.

»Ja, mal sehen«, murmele ich und zwinge mich, ihr Grinsen zu spiegeln, auch wenn es sich plötzlich wie eine Grimasse anfühlt. »Momentan hapert’s noch an den Vorbereitungen.«

Verdammt, halt doch endlich die Klappe!

»Welche Vorbereitungen?«

Mein Kopf arbeitet fieberhaft. »Der Sporttest. Beim Schwimmen kriege ich die vorgegebene Zeit einfach nicht hin.« Das stimmt wenigstens, ich schwimme wirklich schlecht und kann mich nach einer Bahn kaum noch richtig über Wasser halten.

Victorias Augenbrauen wandern in die Höhe. »Im Ernst?«

»Ja … Wieso fragst du?«

»Das ist ja ein Zufall. Neben meinem Job im Three Dollar Bill arbeite ich in der Vorlesungszeit als Schwimmlehrerin für zwei Kinderkurse«, erzählt sie.

Ich zögere, nicht sicher, was sie mir damit sagen will. »Früher in der Highschool war ich im Schwimmteam und bin ein paar Wettkämpfe geschwommen.«

In meinen Ohren rauscht das Blut. »Du bringst also Kindern das Schwimmen bei«, sage ich langsam, während in meinem Kopf eine ziemlich, ziemlich schlechte Idee wächst. Nein, ich kann sie nicht fragen, ob sie mir Schwimmunterricht gibt. Auf keinen Fall, das wäre …

»Ja.«

Das Lächeln auf ihren Lippen verrät mir, dass ihr völlig klar ist, wohin uns dieses Gespräch führen wird, wenn ich mich nicht endlich zusammenreiße. Doch ehe ich weiß, wie mir geschieht, steht die Frage auch schon ausgesprochen zwischen uns. »Meinst du, du könntest dir mal ansehen, wie ich schwimme, und mir ein paar Tipps geben?«

Victoria zuckt völlig unbeeindruckt mit den Schultern, als hätte ich sie gerade um eine alltägliche Kleinigkeit gebeten. »Klar, wieso nicht?«

Ich schlucke. Das ging schnell. Und es ist nach wie vor eine furchtbare Idee.

»Cool«, würge ich hervor und räuspere mich, um den Kloß aus meinem Hals zu verbannen.

»Donnerstagabend hätte ich Zeit.« Victoria streicht sich eine Strähne aus der Stirn und mein Blick bleibt an ihren Augen hängen. Sie sind so grün wie der moosige Rasen in Grandpas Garten, weich und lebendig. »Ich darf die Schwimmhalle der West Seattle Highschool ab zwanzig Uhr nutzen. Am Donnerstag trainiert zwar das Schwimmteam für seinen nächsten Wettkampf, aber es gibt zwei Pools, also stören wir sie nicht. «

»Das klingt fantastisch. Ich … äh, danke, Victoria.« Meine Kehle fühlt sich an wie mit Schmirgelpapier überzogen, und noch immer brennt die Hitze unter meiner Haut. Mir ist völlig bewusst, dass ich gerade dabei bin, mir mein eigenes Grab zu schaufeln. Verdammt.

»Meine Freunde nennen mich übrigens Vic«, informiert sie mich beiläufig und greift in die Tasche ihrer Shorts, um ihr Handy hervorzuholen. »Und ich mache das wirklich gern. Ich freue mich, wenn ich helfen kann.«

»Vic, okay«, murmele ich, wobei mein Herz einen aufgeregten Satz macht. Sie reicht mir ihr Handy.

»Speicher deine Nummer ein, ich schicke dir die Adresse der Highschool.«

Ich nehme ihr Handy entgegen und tippe meine Nummer in das Tastenfeld. Als ich es ihr zurückgebe, berühren sich zum ersten Mal unsere Finger und plötzlich ist es, als würde ich unter Strom stehen.

»Also, dann sehen wir uns am Donnerstag?«, fragt sie.

Ich nicke, da meine Kehle so eng zugeschnürt ist, dass ich kaum in der Lage bin zu sprechen. »Ja«, krächzte ich und räuspere mich erneut. »Und noch mal danke, Victo… Vic.«

»Du musst dich wirklich nicht bedanken.« Vic wirft einen Blick auf ihr Handy. »Ich muss los. Wir sehen uns, Austin.«

»Ja. Bis dann.«

Ich blicke ihr nach, wie sie schnellen Schrittes über den Rasen zur Terrasse geht und im Haus verschwindet. Erst als sich die Terrassentür hinter ihr schließt, kann ich wieder richtig atmen.

»Also hast du sie angelogen?«, fragt Aaron, als wir in der Dämmerung auf Grandpas Terrasse sitzen und ein Feierabendbier trinken, das Adrien bei der Tankstelle geholt hat. Der Zaun ist fertig und sein neuer weißer Lack schimmert im Licht der Straßenlaterne.

»Irgendwie schon«, gebe ich missmutig zurück und drehe die Bierflasche nachdenklich in den Händen. Dabei spüre ich den Blick meines Bruders auf mir.

»Das ist kein sonderlich guter Start, wenn du sie wirklich gern hast, Aus.«

»Ich weiß.« Meine Kiefermuskeln kribbeln, so fest beiße ich die Zähne zusammen. Ich könnte mich dafür ohrfeigen, vor Vic einfach so losgeplappert zu haben, ohne es mir vorher richtig zu überlegen. Was für eine bescheuerte Idee.

»Was hast du denn genau gesagt?«, will Adrien wissen, der am Fuß der Terrasse sitzt, die langen Beine im Gras ausgestreckt. Noch immer ist es ziemlich warm, auch wenn die Sonne längst untergegangen ist.

»Sie hat mich nach meinem Job gefragt und da hab ich die Nerven verloren«, murmele ich. »Also hab ich erzählt, dass ich momentan noch jobbe und vorhabe, mich bei der Police Academy zu bewerben. Ist mir einfach so rausgerutscht.«

»Hm.« In der Dämmerung ist der Ausdruck auf Adriens Gesicht nicht zu erkennen. »Du hast den pikanten Teil also ausgelassen.«

»Na ja, wenn man’s genau nimmt, hat er gelogen. Ich kann’s ihm nicht verdenken, die Wahrheit ist schließlich nicht gerade für Small Talk geeignet«, stellt Aaron nüchtern fest. »So was posaunt man nicht beim ersten Treffen raus.«

»Eben.« Ich zögere, ob ich meinen Brüdern von dem bevorstehenden Schwimmunterricht mit Vic erzählen soll, entscheide mich aber dagegen, denn diese Dummheit bringe ich bestimmt nicht über die Lippen. Außerdem würde Aaron mir die Hölle heiß machen.

»Ich würde vorschlagen, du schaust erst mal, in welche Richtung das mit ihr geht«, rät Aaron mir und stellt seine leere Bierflasche zur Seite. Mit einem leisen Seufzen löst er seinen Dutt und fährt sich durch das schwarze Haar. »Wenn es was Ernstes wird, kannst du ihr immer noch die Wahrheit erzählen.«

Irgendetwas sagt mir, dass es sicher nicht so einfach sein wird, doch ich nicke. »Ja. Bestimmt.«

Aaron beugt sich vor, um mir kräftig auf die Schulter zu klopfen. »Mach dir keinen Kopf, Aus. Das wird schon.«

Adrien gähnt und steht auf. »Ja, das wird, Bruder. Ehrlichkeit wird sowieso überbewertet. Fahren wir? Ich bin todmüde.«

Auch ich erhebe mich und ziehe Aaron leise ächzend mit mir auf die Beine. »Lass uns abhauen.«

Auf dem Heimweg reden wir nur wenig miteinander, und als wir zu Hause ankommen, wünschen Aaron und Adrien mir eine gute Nacht und verschwinden nach oben in ihre Zimmer. Ich bleibe allein in der Küche zurück, wo ein Zettel von meinem Dad auf mich wartet, der mich über einen Teller Hühnchen in der Mikrowelle informiert. Auch wenn mein Magen sich anfühlt wie mit tausend Steinen gefüllt, schalte ich die Mikrowelle an – Dad hasst es, wenn Essen verschwendet wird.

Mit einem schweren Seufzer lasse ich mich am Küchentisch nieder und stütze das Kinn in die Hände. Vielleicht sollte ich das Schwimmtraining mit Vic einfach wieder absagen. Es wäre falsch, ihr von Anfang an etwas vorzumachen, nur um sie näher kennenzulernen. Andererseits bin ich wirklich ein miserabler Schwimmer und sie könnte es mir beibringen, auch wenn mir schleierhaft ist, wieso sie das tun möchte. Sie hat nicht einmal eine Gegenleistung verlangt.

Beruhig dich, Mann. Es ist ’ne einmalige Sache. Sie gibt dir ein paar Tipps und dann ist es erledigt. Da ist nichts dabei.

Das Pling der Mikrowelle reißt mich aus meinen heuchlerischen Gedanken. Ich stehe auf, hole den Teller heraus, nehme mir eine Gabel und mache mich appetitlos über mein Abendessen her. Ich mag Vic. So sehr, dass ich sie wegen meiner Berufslaufbahn angelogen habe. Dabei kenne ich sie kaum, ich weiß nicht mal, wie ihr Nachname lautet oder wo sie herkommt. Und genauso wenig weiß sie diese Dinge über mich. Trotzdem war das Gespräch mit ihr heute Morgen toll und ich will mehr davon, mehr von ihr, auch wenn ich mich dafür hasse. Doch irgendwie muss ich den Fehler, den ich heute gemacht habe, wieder korrigieren, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie zum Teufel ich das anstellen soll.

Als ich später schlaflos im Bett liege und mir eine Doku über Wale auf dem Discovery Channel ansehe, ohne wirklich etwas davon mitzubekommen, vibriert mein Handy. Ich drehe mich auf die Seite, um es unter dem Kissen hervorzufischen, und kneife die Augen zusammen, als das helle Display mich blendet. Ich habe eine Nachricht von einer unbekannten Nummer.

Unbekannt: 3000 Calfornia Ave SW. Donnerstag 20 Uhr. Ich sehe dich dort! xx Vic (23:24)

Ein Stöhnen verlässt meine Lippen und ich vergrabe das Gesicht in meinem Kissen. Verdammt.

4

Victoria

»Du gehst mit ihm schwimmen? Echt?« Danai pfeift anerkennend durch die Zähne. Es ist Dienstagnachmittag und ich schiebe mal wieder eine Schicht im Kino. Meine beste Freundin, die mit einem Frappuccino von Renner’s für mich vorbeigeschaut hat, sitzt in einem der roten Samtsessel in der Lounge nahe der Theke, während ich missmutig das Popcorn zusammenfege, das die Gäste ständig überall fallen lassen.

»Japp«, entgegne ich leichthin, als wäre das keine große Sache. »Er braucht Hilfe für den Aufnahmetest bei der Police Academy.«

Danai macht ein belustigtes Geräusch. »Wenn das so ist. Nein, ich denke, du solltest ihn dir schnappen«, setzt sie grinsend nach, als ich ihr einen Blick von der vernichtenden Sorte zuwerfe. »Im Ernst.«

»Ich werde mir niemanden schnappen«, stelle ich klar und lehne mich mit dem Rücken gegen die Theke. »Wir kennen uns doch kaum.«

»Das lässt sich ja ändern.« Danai steht auf und schlürft den letzten Rest ihrer Eisschokolade, ehe sie den Becher zielsicher in den beinahe überfüllten Mülleimer wirft. Seufzend ziehe ich die Mülltüte heraus und knote sie zusammen.

»Ich meine, du und er, ganz allein in der Schwimmhalle …« Anzüglich wackelt sie mit den Augenbrauen und taucht unter meinem Arm weg, als ich zum Schlag gegen sie aushole.

»Halt endlich die Klappe!« Ich dränge mich an ihr vorbei, schnappe mir die Mülltüte und stapfe zum Hinterausgang, wo ich sie in den Container werfe. Als ich zurückkomme, hebt Danai beschwichtigend die Hände.

»Okay, okay. Ich hab doch nur Spaß gemacht. Ich meine, gut, ich wundere mich vielleicht ein wenig über dein Angebot.« Mit gerunzelter Stirn sieht sie mich an, und wie so oft scheint sie direkt in mein Inneres zu blicken. »Das sieht dir gar nicht ähnlich, Vic. Dein Plan nach Zach war doch, dich nicht mehr Hals über Kopf …«

»Das weiß ich selbst, okay?«, unterbreche ich sie, giftiger als beabsichtigt. »Und hör auf, ständig seinen Namen zu erwähnen. Außerdem werden wir nicht allein sein, ich bin ja nicht bescheuert. Das Schwimmteam ist auch da.«

Die Wahrheit ist, dass ich selbst keine Ahnung habe, was gestern in mich gefahren ist, als ich Austin quasi dazu genötigt habe, mich um Schwimmunterricht zu bitten. Danai hat recht, ein so offensives Verhalten sieht mir ganz und gar nicht ähnlich – erst recht nicht seit der Geschichte vergangenen Winter. In Austins Gegenwart war es ungewohnt einfach, mutig zu sein.

»Hör mal, das war ’ne spontane Sache«, fahre ich fort und umrunde die Theke, um eine neue Tüte für den Mülleimer aufzuschütteln. »Er scheint ein guter Kerl zu sein. Ich gebe ihm ein paar Tipps, wie er besser schwimmt, und das war’s. Da ist doch nichts dabei.«

»Okay.« Danais Miene ist unergründlich, doch ich ahne, dass sie sich alle weiteren Kommentare zu dem Thema mühsam verkneift. Stattdessen zieht sie ihr Handy hervor und hält es mir dicht unter die Nase. Es zeigt die Shoppingseite eines Musikladens. »Welche Gitarre soll ich mir kaufen? Ich kann mich einfach nicht entscheiden. Die türkise Konzertgitarre oder die kleinere mit den Schnörkeln?«

Ich betrachte beide kurz. »Mir gefällt die mit den Schnörkeln gut. Wie ich dich kenne, kaufst du doch eh beide.«

»Stimmt genau.«

Ehe ich etwas erwidern kann, vibriert mein eigenes Handy, das neben der Kasse liegt. Ich beuge mich vor, um den Absender der Nachricht zu erkennen, und mein Herz macht einen aufgeregten Hüpfer. Bisher hatte Austin mir noch nicht auf meine Nachricht von gestern Abend geantwortet, doch jetzt blinkt sein Name auf meinem Display auf und bringt mich völlig aus dem Konzept. Meine Hände sind plötzlich schwitzig, als ich nach dem Telefon greife und es entsperre.