»Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren« -  - E-Book

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Beschreibung

Seeraub ist ein aktuelles Thema, dessen Wurzeln bis in die frühe Menschheitsgeschichte zurückreichen. Doch so vertraut die Piraten uns auch scheinen, so widersprüchlich und schillernd sind die Freibeuter der Meere bei näherer Betrachtung. Sind sie Helden der Freiheit oder organisierte Kriminelle? Rächer der Entrechteten oder mörderische Agenten imperialer Großmächte? Räuber zur See oder Entrepreneure mit politischem Gestaltungsanspruch? Die Beiträge dieses Bandes beschränken sich nicht nur auf die Geschichte der Seeräuber von der Antike bis heute, sondern nehmen auch die literarische, mythologische und filmische Bearbeitung der Piraterie in den Blick. Sie achten zudem auf den Rollenwechsel der Seeräuber – zwischen Held und Pirat in der Odyssee, zwischen Pirat und Söldner in Byzanz oder Venedig, zwischen Kaperfahrer mit staatlicher Erlaubnis und freiem Pirat in der frühneuzeitlichen Karibik.

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Seitenzahl: 413

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Cover for EPUB

Rainer Hank, Hartmut Leppin, Werner Plumpe (Hg.)

»Alle, die mit uns auf Kaperfahrt fahren«

Piratengeschichten auf den Meeren der Welt

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

Seeraub ist ein aktuelles Thema, dessen Wurzeln bis in die frühe Menschheitsgeschichte zurückreichen. Doch so vertraut die Piraten uns auch scheinen, so widersprüchlich und schillernd sind die Freibeuter der Meere bei näherer Betrachtung. Sind sie Helden der Freiheit oder organisierte Kriminelle? Rächer der Entrechteten oder mörderische Agenten imperialer Großmächte? Räuber zur See oder Entrepreneure mit politischem Gestaltungsanspruch? Die Beiträge dieses Bandes beschränken sich nicht nur auf die Geschichte der Seeräuber von der Antike bis heute, sondern nehmen auch die literarische, mythologische und filmische Bearbeitung der Piraterie in den Blick. Sie achten zudem auf den Rollenwechsel der Seeräuber – zwischen Held und Pirat in der Odyssee, zwischen Pirat und Söldner in Byzanz oder Venedig, zwischen Kaperfahrer mit staatlicher Erlaubnis und freiem Pirat in der frühneuzeitlichen Karibik.

Vita

Rainer Hank, Dr. phil., ist Wirtschaftsjournalist; er leitete die Wirtschafts- und Finanzredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).

Hartmut Leppin ist Professor für Alte Geschichte an der Universität in Frankfurt am Main; er ist Träger des Leibniz-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Werner Plumpe ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität in Frankfurt am Main; von 2008 bis 2012 war er Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands.

Übersicht

Cover

Titel

Über das Buch

Vita

Inhalt

Impressum

Inhalt

Vorwort

Rainer Hank: Freibeuter, Halunken, Unternehmer. Zur Einführung

Literatur

I.

Geschichten aus der Geschichte

Hartmut Leppin: Enterhaken zu Pflugscharen. Piraten in der griechischen Antike

Wortgeschichte

Die Odyssee

Klassisches Athen

Hellenismus

Das Reich der Kilikischen Piraten

Schluss

Literatur

Daphne Penna: Seeräuber aus dem Hinterhalt. Theorie und Praxis im byzantinischen Reich

Einführung

1.

Teil: Die Theorie

2.

Teil: Die Praxis

Epilog

Literatur

Alasdair C. Grant: Gottlose Korsaren. Erzählungen aus der spätmittelalterlichen Ägäis

Terminologie

Pirat oder Korsar?

Seeraub als kultureller Kontakt

Seeraub als politischer Kontakt

Seeraub als wirtschaftliche Praxis

Seeraub als Ursache von Demographie- und Umweltwandel

Schluss

Literatur

Quellen

Cornel Zwierlein: Kaperfahrer an der Grenze des Rechts. Zur französischen Prisenjustiz um 1700

Einleitung

Die französische Admiralitätsgerichtsbarkeit und die Prozess-Quellen

Kaperfahrten im Umfeld des Spanischen Erbfolgekriegs vor Gericht

Schluss

Literatur

Quellen

Michael Kempe: Jäger und Beute. Maritime Gewalt jenseits von Legalität und Illegalität

Literatur

II.

Narrative aus der Nautik

Georg Christ: Den Piraten an sich gibt es nicht. Die Politische Ökonomie des Meeres

Einleitung

Das Modell: Thalassonomische Thalassokratie

Von der Dromonomie zur Thalassonomie – Nutzung maritimer Resourcen

Von Thalassonomie zur Thalassokratie: Geschichtete Staatlichkeit

Piraten: Praxis der Seeherrschaft und Gewaltthalassonomie

Erste Phase: Von imperialer Peripherie zu aufstrebendem Piratennest (7. Jahrhundert bis 1204)

Zweite Phase: Seeherrschaft und Wendung zum diskrimierenden Piratenbegriff in Venedig (13.–15. Jahrhundert)

Dritte Phase: Bröckelnde Seemacht und Piratenperipherien (16.–18. Jahrhundert)

Schluss

Literatur

Werner Plumpe: Protokommunismus oder schlichte Gewaltkriminalität. Seeraub als Praxis

Das Phänomen

Seeraub: praxeologisch

Ökonomische und soziale Organisation des Seeraubs

Seeraubkommunismus als soziale Utopie oder situative Form der Gewaltorganisation

Literatur

Eva-Maria Roelevink: Fluide Bedingungen, oder: Der Pirat ein Unternehmer des Meeres?

Der handelnde Pirat

Der organisierte Pirat

Der wirkende Pirat

Fazit

Literatur

Heinz Bude: Partisanen auf hoher See. Piraterie aus der Perspektive von Joseph Schumpeter und Carl Schmitt

Ursprüngliche Akkumulation

Meeresherrschaft

Raumrebellen

Große Transformation der globalen Geografie

Literatur

III.

Konstruktionen aus der Kunst

Anselm Haverkamp: Der Mohr von Venedig. Shakespeare’s Othello als Korsar

Ausgeblendeter Kontext: Lepanto

Piraten-Pathologie: Tragödie ohne Erlösung

Archäologie und Antidot: Ovid, Maris stella

Literatur

Torsten Hahn: Im revolutionären Ausnahmezustand. Piraten in Schillers Nachlass

Das Maritime und die Einheit des Dramas

Die auf Dauer gestellte Ausnahme: Das Piratenschiff

Die Verschwendung und die Verhinderung des Staates

Die Bühne als maritime Form

Literatur

Barbara Vinken: Bekehrung. Vom Piraten zum Heiligen – Balzacs Argow: Das ewig Weibliche zieht uns hinan

Eingeweide

Keusch

Befleckt

Der gespaltene Körper des époux de gloire

Bal des victimes

Literatur

Karin Wieland: Unterm Totenkopf. Mussolini und die Jolly Roger

Neue Seele

Krieg im Frieden

Fasci di Combattimento

Literatur

Autorinnen und Autoren

Vorwort

Die Beiträge dieses Buches gehen zurück auf eine von den Herausgebern initiierte und organisierte wissenschaftliche Tagung zum Thema »Piraterie und die Ökonomie des Meeres«. Sie fand statt vom 10. bis 15. April 2022 im Patrick Leigh Fermor House, Kardamili, auf der Halbinsel Mani im Süden der griechischen Peloponnes.

Patrick Leigh Fermor, ein britischer Abenteurer und Reiseschriftsteller, und seine Frau Joan hatten sich in den 1960er Jahren auf der Mani sesshaft gemacht. Beide liebten Griechenland über alles. Im Jahr 1996 schenkte das Paar ihre Villa dem Benaki-Museum in Athen, verbunden mit dem ausdrücklichen Wunsch, dass an diesem Ort künftig wissenschaftlich geforscht und diskutiert werden solle. Die Herausgeber sind dem akademischen Direktor des Benaki-Museums, George Manginis, und seinem Chief Executive Officer Haris Siampanis sowie Myrto Kaouki zu größtem Dank verpflichtet für die Möglichkeit, an diesem außergewöhnlichen Ort zum Thema »Piraterie« eine Tagung mit internationalen Experten aus unterschiedlichen Disziplinen veranstaltet haben zu dürfen. Die inspirierende und zugleich die Gedanken fokussierende Atmosphäre und der Geist der Leigh Fermors trugen maßgeblich zum Gelingen der Tagung bei, ebenso wie die perfekte Organisation vor Ort.

Außer der Unterstützung durch das Benaki-Museum wäre die Tagung nicht zustande gekommen ohne einen großzügigen finanziellen Beitrag der »Freunde und Förderer der Goethe-Universität Frankfurt« und der Johanna-Quandt-Hochschulstiftung in Bad Homburg v.d.H.

Große Hilfe bei der Vorbereitung der Tagung kam von Dr. Miltos Pechlivanos, Professor für Neogräzistik an der FU Berlin. Nadja Schäfer danken die Herausgeber für einen Abendvortrag, der der Gruppe Leben und Werk von Patrick Leigh Fermor nahebrachte. Dr. Nadja Schäfers Kenntnisse des Neugriechischen waren zudem sehr bei der Organisation vor Ort behilflich.

Großer Dank für die Organisation der Tagung in Frankfurt gebührt Angela Vardopoulos und Milena Klumbies. Bei der Redaktion der Beiträge und der Übersetzung der englischsprachigen Aufsätze waren Aresa Citaku, René Gebhardt, Felix Plantenberg, David Sanchez-Namenyi und Katharina Stadler eine unentbehrliche Hilfe. Für Hilfe bei der Bildbeschaffung danken wir Andreas Kuther.

Rainer Hank, Hartmut Leppin, Werner Plumpe

Freibeuter, Halunken, Unternehmer. Zur Einführung

Rainer Hank

Im Jahr 1661 verkündete Edward D’Oley, der Gouverneur des britischen Jamaika, dass der gerade geschlossene Frieden zwischen England und Spanien auf die Karibik keine Anwendung finde. Piraten und Freibeuter konnten folglich gefahrlos in Port Royal eine Basis errichten, von wo sie spanische Schiffe attackierten, ohne mit den Behörden in Konflikt zu kommen. Auch die Nachfolger von D’Oley tolerierten das Piratengewerbe: Tavernen, Bordelle, Piraten-Zubehörläden, sie alle bezogen von der Piraterie ihr Auskommen.

Mehr und mehr verwischte der Unterschied zwischen kolonialem Establishment und Freibeutertum, zwischen staatlicher Autorität und illegalem Geschäft. Henry Morgan (1635 bis 1688), einer der berühmtesten Piraten der Weltgeschichte und »Schrecken der Karibik« genannt, vermochte seinen illegal erbeuteten Reichtum zu »legalisieren«, indem er in großem Stil in Zuckerrohrplantagen investierte. Am Ende wurde er sogar Vize-Gouverneur der Kolonie und zur Belohnung zum Ritter geschlagen vom englischen König Charles II.

Kommt uns das bekannt vor? Den Freibeutern von heute mag das Flair von Captain Morgan abgehen. Aber auch sie - die wir Oligarchen, Klepto- oder Plutokraten nennen - veredeln ihr auf zweifelhafte Weise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erworbenes Eigentum in von der britischen Krone geschützten »sicheren Häfen« (Londongrad). Die Kopie eines Personalausweises genügte in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts, um in London Immobilien in großem Stil zu erwerben. Dass hinterher im Grundbuch nicht der Name aus dem Personalausweis eingetragen war, sondern eine Firma mit Sitz ausgerechnet in der Karibik, scherte niemanden. Aus Freibeutern waren »honorable men«, ehrbare Leute, geworden.

Ist Piraterie womöglich eine »zeitlose« Existenzform - oder sollte man besser sagen »Abenteurerlebensform« auch jenseits von Totenkopf, Augenklappe, Holzbein oder Johnny Depps »Fluch der Karibik«? Ist Piraterie gar ein Musterbeispiel illegaler Märkte, wo die Schwelle zwischen Legalität und Illegalität verwischt oder gar nicht greift? Beide Fragen wird man bejahen dürfen.

Immerhin: Auch das klassische Geschäftsmodell funktioniert noch, allen Fortschritten des Völkerrechts zum Trotz: In den letzten beiden Jahrzehnten registrierte die »International Maritime Organization« (IMO) mehrere Tausend Piratenüberfälle auf Handelsschiffe. Erfolgreiche Piratenjahre waren nach der IMO-Statistik die Jahre 2000 und 2011 mit jeweils mehr als 500 schweren Überfällen weltweit. Die regionalen Schwerpunkte sind dieselben wie zu klassischer Zeit der Piraterie: die Karibik, die afrikanische Küste und die fernöstlichen Hauptfahrwasser im Indischen Ozean.

Insbesondere die Straße von Malakka bleibt höchst gefährlich. Dort werden derzeit so viele Schiffe überfallen wie seit Jahren nicht mehr. Allein im ersten Quartal 2022 hat sich die Zahl der Angriffe im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Singapur empfiehlt Kapitänen, die die Verbindung zwischen Europa und Nordasien befahren, ihre Schiffe mit Stacheldraht und Wasserkanonen auszustatten, Türen und Luken mit Stahlträgern zu sichern und die Mannschaft mit Helmen auszurüsten. Dass die Piraterie derart zugenommen hat, liegt an den gesunkenen Opportunitätskosten: Schwindende Beschäftigungsmöglichkeiten im Fischfang und Beschränkungen durch Corona ließen die Bewohner der indonesischen Küste nach alternativen Geschäftsmodellen suchen.

Freilich kann man nie sicher sein, ob die kapernden Angreifer »echte« Piraten sind. Jene Freibeuter, die am 6. Juli 2011 den Rohöltanker »Brillante Virtuose« auf der Reise von Kertsch in der Ukraine nach Qingdao in China überfielen, waren nach allem, was man heute weiß, vom Schiffseigner selbst angeheuerte kriminelle Banden, die einen Versicherungsbetrug großen Stils als Piraterie-Verbrechen camouflieren sollten (Campbell 2022). Dass – trotz internationaler Gerichtsverfahren – der Eigner des Schiffs, ein einflussreicher Investor aus Athen, nicht belangt werden konnte, bestätigt den Verdacht, dass man sich bis heute auf offener See mit der Legalität schwertut.

Auf dem Meer sollte es – so der holländische Rechtsgelehrte Hugo Grotius Anfang des 17. Jahrhunderts – gerade kein Privateigentum geben, sondern jene »Freiheit der See« regieren, eine Art rechtloses Wild West, die keiner Autorität gehorchen muss: Das »Mare Liberum« begründete zugleich das Recht der Holländer auf freie Schifffahrt und den Handel in der überseeischen Welt. Inzwischen ist die Freiheit der Meere aus unterschiedlichen Gründen erodiert. Während zweier Weltkriege unterwarfen die verfeindeten Nationen den maritimen Handel mit Restriktionen, welche die internationalen Regeln grob missachteten, ja »zerfetzten« (Bosco 2022). Seither haben nationale Regierungen ihren Einfluss auf See Schritt für Schritt ausgeweitet. Die See wird zunehmend nationalisiert. Die »Zeitenwende« einer neuen Geopolitik seit Beginn des Ukrainekriegs, welche die Globalisierung zur Slowbalisierung mutieren lässt, wird den Trend zur Re-Nationalisierung der Meere mutmaßlich beschleunigen.

Gleichwohl: Die »Ökonomie der Meere«, soviel steht fest, unterscheidet sich grundsätzlich von der uns vertrauten Ökonomie an Land. Ohne festen Grund und Boden kommen alle distinkten Begriffe (vor allem jene des Rechts) ins Schwanken. Die Lust an der Entdeckung dieser anderen Welt dürfte mit ein Grund dafür sein, warum in den vergangenen Jahren die historische Forschung zur Piraterie explodierte. Niemand würde heute die Piraten lediglich als eine Spielform des organisierten Verbrechens kategorisieren. Eine von den Herausgebern dieses Sammelbandes initiierte und organisierte wissenschaftliche Tagung im Frühjahr 2022 auf der Halbinsel Mani, ganz im Süden der griechischen Peloponnes, hatte sich zur Aufgabe gemacht, den romantischen Reiz der Piraterie und ihrer Ökonomie zu ergründen. Als Ort der Konferenz bot sich die mediterran üppige Villa des britischen Abenteurers und Reiseschriftstellers Patrick Leigh Fermor (1915 bis 2011) in Kardamili an.

Bis in das 20. Jahrhundert war die Mani, eine Region ohne jegliche Staatlichkeit, ein Hort der Piraterie. Die Ortschaften hatten sich zu »Hornissennestern« (Leigh Fermor 2012) entwickelt, wo jeder der Feind des anderen ist. »Es war ein Leben im permanenten Ausnahmezustand«, so der Historiker Norbert Schindler (Schindler 2019). Davon zeugen die Mani-typischen Wohnwehranlagen, die seit dem 16. Jahrhundert die Halbinsel überziehen. Dass der Kampf auf der Insel seine quasi natürliche Fortsetzung auf dem Meer fand, überrascht nicht, zumal - wie gesagt - Piraterie allen Seerechtskonventionen zum Trotz eben nicht als Verbrechen, sondern als Fortsetzung der Seehandelskonkurrenz mit anderen, etwas härteren Bandagen galt.

Doch schon seit der Antike ist das Mittelmeer ein bevorzugter Ort maritimer »Gewaltgemeinschaften«, so der Hartmut Leppin. Dabei bedeutet das griechische Wort »Peirates« sowohl »Pirat« als auch »Unternehmer«, so Leppin in diesem Band. Das erklärt die enge Verbindung zwischen kaufmännischen und piratischen Aktivitäten. Der Ökonom Joseph Schumpeter hätte seine Freude gehabt. Es ist jene schillernde Nachbarschaft der Begriffe, der Goethe noch den »Krieg« hinzufügte: »Krieg, Handel und Piraterie, /Dreieinig sind sie, nicht zu trennen.« An der antiken Begriffswiege ist der Unternehmer ein Abenteurer, der hohe Risiken eingeht, für die er entsprechende Gewinne fordert. Er ist einer, der sich ins Offene der Weltmeere hinauswagt. Dort, wo das Recht schweigt und die Kreativität sich entfalten kann. Sollten die Landmenschen es wagen, sich überlegen zu dünken, ziehen ihnen die Piraten die moralische Maske vom Gesicht. Darauf hat schon Augustinus hingewiesen:

»Elegant und triftig ist die Antwort eines gefangenen Seeräubers gegenüber Alexander dem Großen. Als dieser König den Mann fragte, was ihm denn einfalle, das Meer unsicher zu machen, erwiderte er mit freimütigem Trotz: ›Und was fällt dir ein, den Erdkreis unsicher zu machen? Aber freilich, weil ich es mit einem armseligen Fahrzeug tue, nennt man mich einen Räuber, und dich nennt man Imperator, weil du es mit einer großen Flotte tust.‹«

Am Ende geht es um die schiere Macht, jedoch, im Fall der Meeresfürsten, auch noch um die Freiheit.

Von da ist es nicht weit zu einer libertären wie auch zu einer marxistischen Deutung der Piraterie. Im Jahr 1980 prämierte der marxistische Historiker Christopher Hill die Piraten zu Helden der Arbeiterklasse - quasi avant la lettre (Hill 1990). Das liegt seiner Meinung nach daran, dass viele der unterlegenen Rebellen nach dem englischen Bürgerkrieg und der Wiederherstellung der Monarchie im Jahr 1660 in die Karibik emigriert sind. Dort habe ihr revolutionärer Idealismus mannigfach fruchtbare Aufnahme gefunden in ihrem Ziel, mit den Armen, Häretikern und Schwerverbrechern, die sie dort antrafen, eine gerechte und gleiche - sozusagen vorkommunistische - Gesellschaft zu schaffen. Der amerikanische Geschichtswissenschaftler Marcus Rediker, der sich auf seiner Homepage als »Writer, Teacher, Activist« vorstellt, hat diesen Gedanken aufgegriffen und die These aufgestellt, dass die Piraterie tatsächlich eine bessere Gesellschaft hervorgebracht habe (Rediker 2017). Die Gemeinschaft auf den Piratenschiffen war eben gerade kein anarchischer Sauhaufen, sondern hatte sich einer Verhaltensregel unterworfen, die sich aus einem egalitären Grundgedanken speiste: mit einer starken demokratischen Verfassung, ökonomischer Fairness, ethnischer Toleranz und sogar ersten Ansätzen einer Sozialversicherung für die Hinterbliebenen im nicht seltenen Todesfall.

Der Begriff »to strike« bezeichnet ursprünglich das Lahmlegen eines Schiffes durch Einholen der Segel und wurde, so Rediker, zum ersten Mal 1768 auf einem britischen Schiff während harter Auseinandersetzungen um den Lohn eingesetzt. Die Piraten wären, so gesehen, Vorläufer der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterbewegung. Sie hätten die Idee einer Alternative zum Kapitalismus in die Welt gebracht, ausgerechnet oder eben gerade zur Zeit der Entstehung des Kapitalismus. Ihre große Leistung bestünde darin, die kapitalistische Idee des Privateigentums zu attackieren und zu dementieren, um stattdessen eine Art kommunistischer Urgesellschaft auf hoher See vorzuleben. Eine Gemeinschaft von »Sozialbanditen« (Eric Hobsbawm) im egalitären Paradies der Weltmeere.

Auf diesem Forschungsweg wurde die Piraten auch von der Wissenschaft mehr und mehr entkriminalisiert, romantisiert und heroisiert - aus Verbrechern wurden Dissidenten. In die Gruppe dieser Romantisierer reiht sich der Anthropologe David Graeber (Graeber 2023). Für ihn handelt es sich bei der Piraterie um ein Experiment »radikaler Demokratie« und alternativer Eigentumsverhältnisse. Piraten werden auf diese Weise aufgewertet zu heroischen Vorläufern der Aufklärung. So mag es nicht überraschen, dass unsere Freibeuter nicht nur zu proto-sozialistischen Helden taugen, sondern ebenfalls als libertäre Vorkämpfer, Hayekianer auf den Weltmeeren beschrieben werden. Seeraub war nicht nur selbst ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell, das viele weitere Akteure auf den Plan rief. Seeraub brachte auch Zugang zu Waren, die sonst nur schwer erhältlich waren oder hohen Zöllen unterlagen. Die Piraterie hat hier die Preise gedrückt. Die Freibeuter schleifen Kartelle, Monopole und Handelsbarrieren, brechen überlebte staatliche Regulierungen auf, sind gefürchtete Wettbewerber der autoritären Handelsschifffahrt. Sie deregulieren und liberalisieren den Welthandel: Aus Makroparasiten, die den Wohlstand der Nationen mindern, werden in der modernen Deutung Vorläufer der Globalisierung, die den Wohlstand mehren.

Auch dieser Gedanke lässt sich noch einmal radikalisieren. Der amerikanische Ökonom Peter T. Leeson vertritt die These, Piraten hätten auf ihren Schiffen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verwirklicht als eine überlegene Form der modernen Corporate Governance (Leeson 2009). Doch bestreitet Leeson, dass dahinter kommunistische Ziele stecken. Nicht Idealismus, sondern Profitgier sei der Treiber des piratischen Geschäftsmodells. Auch ein kriminelles Business bleibt immer noch ein Business, das wie jedes erfolgreiche Unternehmen effizient betrieben werden muss. Eine demokratische Verfassung der Piratenmannschaft sieht so aus: klare Incentives für die Besatzung nach erfolgreichen Beutezügen - inklusive einer fairen Bezahlung und einem nicht zu hohen Abstand zwischen der Entlohnung des CEO (Kapitän) und der Belegschaft. Hinzu kommen klare moralische Anforderungen (kein Glücksspiel, keine Frauengeschichten, kein Alkohol, kein Tabak) und Toleranz gegenüber den »people of colour«. Das alles, so Leeson, wurde nicht aus moralischen Motiven vorgeschrieben, sondern um das Geschäft nicht zu gefährden. Die egalitäre Governance der Piraten, extrem modern wie von einer Business School entwickelt, habe sich der hierarchisch-autokratischen Praxis der Handelsschiffer als überlegen erwiesen. Die Piraten hatten einen ethischen Code of Conduct, die Handelsschiffe nicht. So gesehen wären die Piraten die Erfindung der »good governance«. Diese und andere Regeln, stark und flexibel zugleich, haben nach Leeson eine liberal-marktwirtschaftliche Ethik und Institutionenarchitektur grundgelegt als unintendierte Konsequenz eines im Kern verbrecherischen Gewerbes: Adam Smiths »invisible hand« gründet auf dem »invisible hook«, dem unsichtbaren Haken der Freibeuterschiffe.

Sowohl die marxistische wie auch die libertäre Deutung der Piraterie, so intellektuell anregend sie sein mögen, schießen weit über das Ziel hinaus. Ohne romantische Überhöhung bleibt Piraterie am Ende schlicht und brutal eine Form des organisierten Verbrechens, eine Jahrhunderte alte »Geißel der Menschheit« neben Kriegen, Sklaverei, Seuchen und Hungersnöten (Kohlhammer 2022). Dagegen bilden all die ideologisch profilierten Interpretationen weniger die Realität der Freibeuter ab als die Idiosynkrasien und Fantasien von Forschern, die nach utopischen Gegenwelten zum dominanten Verlauf der Weltsiegergeschichte suchen. Mitherausgeber Werner Plumpe lässt in seinem Beitrag für diesen Band ordentlich Luft aus diesen Super-Deutungen heraus. Die marxistische Märchenwelt der Piraterie bricht jedenfalls dann sofort zusammen, zieht man die notwendige Landbasis dieser Art der Kriminalität in Betracht. Das Leben an Bord mag man noch als Form des selbstbestimmten Handelns stilisieren und von der Matrosensklaverei der Kriegs- und Handelsmarine bildkräftig unterscheiden. Eine Gegenwelt zur herrschenden Wirtschaft sei das aber immer dann nicht mehr gewesen, wenn die Piraten mit ihrer Beute, die sie zumeist im Auftrag von Händlern besorgt hatten, Land betraten, so Plumpe. »Land und Meer« sind eben nicht nur strikte Gegensätze, wie der Jurist Carl Schmitt meinte (Schmitt 2020). Ohne Konnex zum Land, wo Recht und Kapitalismus herrschen, können die Piraten nicht überleben

Klassenkampf auf See war die Freibeuterei also auf keinen Fall. Auch verhielt sich die Masse der Piraten, sofern man das angesichts der Illiteralität der Gruppe überhaupt genau sagen kann, anders, situativer. Nicht nur wurde im Falle positiver Erträge der Gewinn häufig rasch verprasst, sodass schließlich wenig anderes übrigblieb, als erneut auf einer Piratenfahrt anzuheuern. Werner Plumpes Fazit: Die Mehrzahl der Piraten lebte in einer Art situativem Taumel, den man als den Typus des Desperados beschreiben kann, also als Menschen, der seine Lage nicht rational reflektiert, sondern nur lustbetont-gewaltsam vollzieht.

Die in diesem Band auf der Grundlage der Mani-Tagung abgedruckten Aufsätze beschränken sich nicht auf die »Realgeschichte« der Piraterie. Piraterie ist fast durchgängig auch die Geschichte ihrer Mythologie. Fast idealtypisch zeigt sich hier die menschliche Fähigkeit zur Projektion, zweifellos ein kreatives Vermögen, das nicht nur den jeweiligen Zeitgeist spiegelt, sondern auch utopische Hoffnungen aller Art als Gegenentwurf des Geistes der eigenen Zeit. Gleichwohl: Von der Antike bis zum Goldenen Zeitalter war die piratische Mythologie noch weniger ausgeschmückt als im 19. und 20. Jahrhundert.

Dementsprechend dominiert im ersten Teil unseres Buches die historische Erzählung. Hartmut Leppin (Frankfurt) zeigt, dass schon in der Antike die Grenzen zwischen Legalität und Illegalität der Piraterie fließend waren. Eine klare Unterscheidung etwas zwischen Söldnern und Piraten lässt sich gerade nicht ziehen. Die »Fortschrittsgeschichte« des Abenteuers zur See in der Antike zieht sich von einer okkasionellen Piraterie, die nicht als illegitim galt, sondern zuweilen sogar als ehrenvoll, über die Verbindung zwischen Söldnerwesen und Piraterie bis schließlich zur »Veralltäglichung« und Professionalisierung der Piratenexistenz. Daphne Penna (Groningen) weist auf die eklatanten Widersprüche zwischen Theorie und Praxis im byzantinischen Recht hin: Piraten wurden oft nicht bestraft, Piraten wurden manchmal vom Kaiser benutzt. Und Menschen, die ihr Eigentum durch Piraterie verloren haben, wurden selten entschädigt. All das widersprach dem geltenden Recht. Alasdair C. Grant (Hamburg) thematisiert ebenfalls die Ambivalenz der Piraterie: Sie ist simultan ein destruktives und ein kreatives Phänomen. Das führt zur Grundsatzfrage, »was ist überhaupt ein Pirat?«, derer sich Michael Kempe annimmt. Piraterie, so Kempe, war in den seltensten Fällen eine Kategorie der Selbstbeschreibung und impliziert von vornherein »die Positionierung einer Person im Unrecht«.

Im zweiten Teil des Bandes geht es um die großen Narrative, Konstruktionen, Dichotomien und Utopien, zu denen sich die Piraterie offensichtlich anbietet: Land (Ordnung) versus Meer (Anarchie). Frühsozialismus versus Frühkapitalismus (nebst Good Governance). Recht versus Unrecht. Freiheit versus maritimer Imperialismus. Georg Christ macht sich Michael Kempes Beobachtung zu eigen: Den Piraten an sich gibt es nicht. Der Pirat, so Christ, wäre »eine Konstruktion des radikal Anderen – im Schlechten wie im Guten«. Auf diese Weise kann der Pirat zum Ausdruck einer Sehnsucht nach einer Freiheit werden, die im Zuge seegestützter Staatswerdung und Wirtschaftswachstums verlorenzugehen schien. Werner Plumpe (Frankfurt) widmet sich dem Piratenschiff als Organisationsform von Humankapital, welche nicht ohne Infrastruktur zu Land denkbar ist, die für den Support der Piraterie nötig waren. Von der Idee des Piraten als Rollenmodell zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit müssen wir uns nach Lektüre dieses Aufsatzes verabschieden. Auch Eva-Marie Roelevink (Mainz) tutet in dieses entmythologisierende Horn, wenn sie den Piraten (mit Niklas Luhmann und Stefan Kühl) als Protagonisten der »brauchbaren Regelabweichung« interpretiert, aber eben nicht als Robin Hoods der Meere. Heinz Bude (Kassel) schließlich sieht im Piraten einen »first mover« einer Transformation der globalen Geographie. Gewisse Leute haben die Macht zu Raub und Unterdrückung erworben, indem sie sich zu Nutznießern und Anstoßern dieser Transformation ermächtigt hätten, die ihnen »eine Chance in der Chancenlosigkeit« bot.

Der dritte Teil der Beiträge schließlich widmet sich den Piraten in Literatur und politisierter Kunst (»Jolly Roger«). Anselm Haverkamp (München/New York) stellt uns Shakespeares Othello überraschend als Kaperkapitän und Korsar vor. Das erklärt die Faszination, die der Abenteurer und Seefahrer auf Desdemona ausübt. Dies erklärt aber auch die systematische Verdrängung der Sklavenhaltergesellschaft (Venedigs wie Britanniens), auf welche die Macht Othellos sich stützt. Torsten Hahn (Bonn) macht uns vertraut mit Nachlassfragmenten Friedrich Schillers, bei denen die maritime Welt zur Bühne des revolutionären Ausnahmezustandes (Liberté, Égalité, Fraternité) mutiert. Für den Weimarer Dramatiker ist dies natürlich eine positive Utopie, die sich am Ende doch der Darstellung auf der realen Bühne widersetzte – und deshalb Fragment blieb. Barbara Vinken (München/Wien) macht sich stark für einen frühen Schmachtfetzen Balzacs: »Argow le pirate« (zunächst unter dem Titel »Annette et le criminel« erschienen). Es ist eine Konversionsgeschichte: Der Bösewicht tut Buße und übt sich in guten Werken, dazu verführt und bekehrt von einer keuschen Frau. Es nützt ihm am Ende alles nichts. Schließlich deutet Karin Wieland (Berlin) die Piratenflagge mit dem Totenkopf auf schwarzem Grund in der Mailänder Redaktionsstube Benito Mussolinis als Ausdruck des faschistischen Selbstverständnisses einer elitär-anarchische Avantgarde.

Man darf sich wundern, dass Indianer und Cowboys seit geraumer Zeit dem postkolonialen Bann unterliegen und Kindern die entsprechende Verkleidung an Karneval untersagt ist. Piraten dagegen sind, wenn der Eindruck nicht trügt, vom Bann verschont geblieben, obwohl sie zweifellos zutiefst in die koloniale Unterdrückung und den Sklavenhandel verstrickt waren, ja ihn ermöglicht und über Jahrhunderte am Leben gehalten haben. Ganz abgesehen von ihren grausamen Mord- und Raubzügen, die den Kern des Geschäftsmodells ausmachen. Geschadet hat das ihrem Ruf nie wirklich: Der Pirat, schöner noch der edle Freibeuter, überlebt als Traumfigur bis heute, als »Gegenfigur des Arbeiters und Bourgeois und erst recht des Spießers« (Bohn 2020). Jüngstes Beispiel ist der Kinofilm »Triangle of Sadness«, in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet und 2022 in die Kinos gekommen, der aus dem Stoff der Piraterie eine satirische Tragikomödie bastelt. Bewaffnete Freibeuter lassen eine Luxus-Yacht der dekadenten Reichen und Schönen in die Luft gehen. Die wenigen Passagiere, die sich auf eine einsame Insel retten können, unterwefen sich einer Putzfrau des Luxusschiffs als neuer Kapitänin, die sich flugs zur Diktatorin mausert. Nicht Schillers naive Utopie der Egalité, sondern die Umkehrung einer herkömmlichen Robinsonade steht am Ende des Films, welche nur ein weiteres Mal die Ambivalenz der Piratengeschichte seit der Antike vergegenwärtigt.

Die lustvolle Beschäftigung erwachsener Frauen und Männer mit solchen Desperados lässt sich wohl am ehesten als eine Art erlaubter Regression deuten: Die Lizenz, auch im höheren Alter anknüpfen zu dürfen an die Abenteuer- und Phantasiewelten der Jugend. Selbstredend viel elaborierter und sophistizierter. Jedenfalls bilden wir uns das ein.

Literatur

Bohn, Robert, Die Piraten, München, 42020.

Bosco, David, The Poseidon Project. The Struggle to Govern the World’s Oceans, Oxford 2022.

Cambel, Matthewl/Chellel, Kit, Dead in the Water. A True Story of Hijacking, Murder, and a Global Maritime Conspiracy, New York 2022.

Fermor, Patrick Leigh, Mani. Reisen auf der südlichen Peloponnes, Frankfurt am Main 2012 (1958).

Graeber, David, Piraten. Auf der Suche nach der wahren Freiheit, Stuttgart 2023.

Hill, Christopher, Über einige geistige Konsequenzen der englischen Revolution, Berlin 1990 (Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek, Bd. 23).

International Chamber of Commerce Commercial Crime Services (ICC) 2022, Life Piracy and Armed Robbery, letzter Zugriff: 31.01.2023, https://www.icc-ccs.org.

International Maritime Organization (IMO), Piracy Monthly Reports, letzter Zugriff: 1. Juli 2022, https://www.imo.org/en/OurWork/Security/Pages/Piracy-Reports-Default.aspx.

Kohlhammer, Siegfried, Piraten. Vom Seeräuber zum Sozialrevolutionär, Berlin 2022.

Leeson, Peter T., The Invisible Hook. The Hidden Economics of Pirates, Princeton 2009.

Rediker, Marcus, Gesetzlose des Atlantiks. Piraten und rebellische Seeleute in der frühen Neuzeit, Wien 2017.

Schindler, Norbert, »Die Piraten der Mani«, in: Historische Anthropologie 27/2019, H. 1, S. 192–224.

Schmitt, Carl, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, Stuttgart 2020 (1942).

I.Geschichten aus der Geschichte

Enterhaken zu Pflugscharen. Piraten in der griechischen Antike

Hartmut Leppin

Das Wort Pirat ist griechischer Herkunft, das Konzept des Piraten als eines verdammenswerten Seeräubers kam indes in Griechenland nur allmählich auf.1 Jedenfalls lässt sich an der griechischen Geschichte, wenn man bereit ist, einen weiten Bogen zu schlagen, beobachten, wie sich die Piraten gegenüber anderen Gewaltgemeinschaften ausdifferenzierten und dann doch mit ihnen verwechselbar blieben. Zwar wusste seit der klassischen Zeit Griechenlands jeder, was man sich unter einem Piraten vorstellen sollte, doch war es in vielen Fällen schwer oder doch unklug zu sagen, ob eine bestimmte Gruppe gewalttätiger Menschen zur See als Piraten anzusprechen seien.

Wortgeschichte

Die Schwierigkeiten können bereits einige Worte zum sprachlichen Hintergrund verdeutlichen. Das griechische Wort für Pirat ist peiratés, ein Substantiv, technisch gesprochen ein Nomen agentis, das sich vom Verb peiráo ableitet. Dessen Grundbedeutung geben Wörterbücher mit »einen Versuch unternehmen« wieder. Bedeutungsschattierungen können sein: »etwas unternehmen, etwas wagen, sich an etwas versuchen«, aber auch später im christlichen Kontext, »jemanden versuchen«. Das Nomen heißt gewöhnlich einfach Seeräuber – die Grundbedeutung »Unternehmer« hat bei den Herausgebern den Anstoß für die Beschäftigung mit dem Thema gegeben. Später kam ein sehr ähnliches Wort, peirastés auf, das denjenigen meint, der einen Versuch unternimmt, also die allgemeine Bedeutung des Verbs bewahrt, vor allem aber unter Christen den Versucher bezeichnet.2

Daneben existiert das Wort lestés, das sowohl die Räuber zur See als auch zu Lande bezeichnen kann. Dieses Wort ist das ältere. Peiratés kommt erst in der Zeit des Hellenismus auf, also in der Zeit nach Alexander dem Großen, der 323 vor Christus starb. Seit dem frühen 4. Jahrhundert bezeugt, indes selten ist das Wort katapontistés, In-die-See-Versenker, zu dem es auch das zugehörige Verb gibt.3

Das Konzept der Piraten als Akteure, die zur See in einem größeren Umfang Schiffe kaperten und Menschen gefangen nahmen, entwickelte sich vorher, aber auch nur allmählich. Es ist keineswegs schon mit Beginn der Seefahrt vorhanden, sondern setzt bestimmte Unterscheidungen voraus, die keineswegs selbstverständlich sind, geschweige denn allgemeingültig.

Das blieb vielen antiken Autoren bewusst. Noch Augustin, der darin Cicero folgt, zitiert zustimmend einen Piraten:

»Elegant und triftig ist die Antwort eines gefangenen Seeräubers gegenüber Alexander dem Großen. Denn als dieser König den Mann fragte, was ihm denn einfalle, das Meer unsicher zu machen, erwiderte er mit freimütigem Trotz: »Und was fällt dir ein, den Erdkreis unsicher zu machen? Aber freilich, weil ich es mit einem armseligen Fahrzeug tue, nennt man mich einen Räuber, und dich nennt man Imperator, weil du es mit einer großen Flotte tust.«4

Dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen Piratenbanden und anerkannten politischen Einheiten gebe, war in den späteren Epochen der Antike eine weit verbreitete Auffassung – sonst hätte auch die Anekdote nicht funktioniert. Diese war aber an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die sich allmählich herausbildeten. Wer von Piraten spricht, muss davon ausgehen, dass die See der Raum einer regelbasierten Ordnung ist.

Ich spreche ausdrücklich nicht vom Völkerrecht, weil das ein Anachronismus wäre. Denn es gab keine Instanz, die irgendwelche überregionalen Regeln hätte entwickeln, erlassen, geschweige denn durchsetzen können. Garanten der Ordnung waren für manche die Götter, die als innerweltliche Akteure wahrgenommen wurden, ansonsten war man auf wechselseitiges Vertrauen angewiesen, das durch bestimmte Ehrbegriffe stabilisiert wurde. Über diese gab es unter Griechen oft ähnliche Vorstellungen, bisweilen auch mit Nicht-Griechen, also Barbaren aus griechischer Sicht, aber stabil waren sie nicht.

Die Odyssee

Die Offenheit der Situation verdeutlicht Homers Odyssee. Als Odysseus, schiffbrüchig bei den Phäaken angekommen, sich zu erkennen gibt, erzählt er, was ihm auf der Reise von Troja widerfahren ist:

»Von Ilion her trug mich der Wind und brachte mich zu den Kikonen, nach Ismaros. Dort zerstörte ich die Stadt und vernichtet die Männer. Und als wir aus der Stadt die Frauen und viele Güter genommen hatten, verteilten wir sie unter uns, so dass mir keiner des gleichen Anteils verloren ginge.«5

Odysseus drängt sodann zum Aufbruch, doch seine Gefährten feiern lieber. So können die entkommenen Kikonen die anderen herbeirufen und gemeinsam die Griechen angreifen, die unter großen Verlusten fliehen.

Was hier geschah, war nach den Begriffen späterer Griechen und nach unseren ohnehin Piraterie, doch Odysseus erzählt dies ohne Vorbehalt und rühmt sich seiner Gerechtigkeit, die aber nur seinen Gefährten gilt – interne Gerechtigkeit ist auch unter echten Piraten später oft ein wichtiges Thema. Wenn man den Begriff des Piraten nicht als fest abgegrenzten Terminus verwendet, sondern als Bündelbegriff, der verschiedene Elemente enthält, so wären Odysseus und seine Gefährten insofern Piraten, als sie aus persönlichen wirtschaftlichen Interessen heraus von der See aus Gewaltakte begingen.

Aber diese Gewaltakte widersprachen keinen normativen Vorstellungen, sondern lediglich den Interessen der Kikonen. Es zeigt sich aber auch ein anderes Phänomen, das man immer wieder bei Piraten beobachtet, auch bei solchen, die als illegitim gelten: Ihre Stärke ist der überraschende Erfolg, gegen die massierte Macht der Landbewohner kommen sie nicht an. Was in der Odyssee berichtet wird, ist kein vereinzeltes Zeugnis. Bezeichnend ist die offenbar ritualisierte Frage an Ankömmlinge: »Seid ihr Räuber oder Händler?«6

Derartige Unternehmungen werden immer wieder erwähnt und in einer Weise, dass man den Eindruck hat, so etwas sei selbstverständlich. In der Zeit, die wir fachwissenschaftlich archaisch nennen, war mithin von Piraterie noch gar nicht die Rede.

Klassisches Athen

Doch irgendwann ändert sich das. Als gut 300 Jahre nach der Entstehung der Odyssee der Historiker Thukydides seinen Peloponnesischen Krieg schreibt, seine Abhandlung über den verheerenden Krieg zwischen Athen und Sparta, der 431, auf der Höhe der griechischen Klassik, ausbrach, gibt er auch einen historischen Rückblick. Dort macht er folgende Beobachtung:

»Früher nämlich wandten die Griechen und diejenigen Barbaren, die auf dem Festland an der Küste lebten oder Inseln hatten, nachdem es ihnen leichter fiel, einander zur See zu erreichen, sich der Piraterie zu, wobei ihre Anführer nicht eben die Schwächsten waren. Sie taten dies um ihres eigenen Gewinns willen und zur Ernährung der Bedürftigen. Sie überfielen Poleis, die unbefestigt waren oder nur aus einer Ansammlung von Dörfern bestanden, und plünderten sie. Daraus gewannen sie den größten Teil ihres Lebensunterhaltes und sie zogen damit überhaupt keine Schande auf sich, vielmehr gewannen sie sogar einen gewissen Ruhm.«7

Griechen wie Barbaren betrieben somit Piraterie – und das schadete ihrem Ruf keineswegs, so Thukydides. Entsprechende Hinweise entnimmt er, wie er im Folgenden ausführt, den älteren Dichtern, gewiss auch Homer. Vor allem stellt er fest, dass selbst manche Zeitgenossen derartige Werte teilten und Seeräuber zu schätzen wussten. Hier sieht Thukydides offenbar einen Unterschied zu seiner Welt, wo Seeräuberei auf Ablehnung stieß. Gründe gibt er nicht an.

Seine Position ist aber verständlich als die des Angehörigen einer Stadt, die ihre Bürger zwar regelmäßig zu den Waffen rief, in der man aber Waffen nicht einfach offen herumtrug8 und die insofern so etwas wie ein Gewaltmonopol hatte. Vor allem aber war Athen für seine Getreideversorgung auf sichere Seewege angewiesen, denn das Getreide kam vom Schwarzen Meer. Der Weg durch die Ägäis führte durch lauter Inseln, die dem Attischen Seebund angehörten, einem Bündnissystem, das stark von Athen bestimmt war. In einem Vertrag wurde ein Bündner aufgefordert, nicht Seeräuberei zu treiben und auch keine Seeräuber in den Hafen zu lassen, wobei diese von gewöhnlichen Feinden unterschieden werden.9

Die Getreideversorgung wiederum war einer der ganz wenigen wirtschaftlichen Bereiche, in die politische Einheiten der Antike eingriffen – es ging um elementare Bedürfnisse der Bevölkerung. Unter diesen Umständen war es offenbar wichtig, zwischen einer legitimen und illegitimen Gewaltausübung zu See zu unterscheiden. Thukydides hantiert allerdings nicht mit solchen Begriffen. Im Zentrum steht für ihn das Ansehen, das jemand durch seine Tätigkeit gewinnen konnte, und zwar unter bestimmten Voraussetzungen auch aus Piraterie. Er selbst beobachtet, dass die entsprechenden Konzepte regional unterschiedlich sein konnten, hält aber seines, nämlich die Piraterie von anderem zu trennen, offensichtlich für das zukunftsweisende.

Jedenfalls war die Unterscheidung zwischen angesehenem Gewalthandeln zu See, wie es die Athener Flotte auszeichnete, und schändlichem Gewalthandeln zu dieser Zeit offenbar etabliert, ohne dass wir die Entwicklungsschritte davor greifen können. Natürlich bedeutete die Unterscheidung im Allgemeinen nicht, dass man im Einzelfall in der Bewertung übereinstimmte. Eine klare Unterscheidung zwischen Söldnern und Piraten, wie sie in der Forschung oft postuliert wird, gab es meines Erachtens in der Antike nicht. Piraterie war teils perspektivisch. Verbündete des Feindes konnten als Piraten diskreditiert werden.10 Dieselbe Gruppe konnte auch situativ bisweilen als Piraten oder als Söldner agieren, je nachdem, ob sie im Dienst anderer standen oder »freiberuflich« tätig waren; dies ging schon auf frühe Zeiten zurück.11

Die Erfindung der Piraterie, um es modisch auszudrücken, erfolgte überhaupt durch diejenigen, die eine anerkannte politische Einheit bildeten und die Macht beanspruchten, die See zu kontrollieren – man denkt wieder zurück an den Seeräuber bei Augustin. Thukydides spricht noch einen zweiten Gedanken an, der für den Umgang mit Piraterie in der Antike wesentlich werden sollte. Bevor er von dem Ansehen der Piraterie in früher Zeit spricht, erwähnt er den kretischen König Minos, der für ihn eine historische Gestalt ist. Dieser habe als erster eine Seemacht erworben und damit die Seeherrschaft über das zur Zeit des Thukydides griechische Meer erringen können. »Und, natürlich, das Seeräuberwesen beseitigte er auf dem Meer, soweit er konnte, damit die Einkünfte ihm zufielen.«12

Die Formel hos eikos, hier mit »natürlich« wiedergegeben, bezeichnet Vorgänge, die man erwarten kann, etwa wenn vor Gericht plausibel gemacht werden sollte, dass eine Person der Täter war oder gerade nicht. Wenn jemand die Seeherrschaft errang, war es somit zu erwarten, dass er die Piraterie beseitigen werde, schon aus schierem Eigeninteresse. Dies hieß umgekehrt, dass, wer die Piraten beseitigte, auch als Herrscher über die See gelten musste. Offenbar war das keine Frage einer anerkannten rechtlichen Stellung, sondern ein Zeichen des Erfolges und Gegenstand des Ruhmes. Und praktisch waren die wirtschaftlich immer stärker vernetzten antiken Mächte auf eine möglichst sichere See angewiesen – schon die Fährnisse der Natur bedeuteten ja eine gewaltige Bedrohung.

Die Frage der Sicherheit des Meeres stellte sich verstärkt nach dem Ende des Peloponnesischen Krieges 404. Da Athen ihn verlor, fiel es als Ordnungsmacht zur See aus. Berichte über marodierende Banden auf dem Lande und zur See durchziehen die zeitgenössischen Quellen des 4. Jahrhunderts, der Zeit Platons. Oft handelte es sich um Gruppen von Gewaltakteuren, die zwischenzeitlich auch als Söldner Dienst taten. Waren im 5. Jahrhundert die meisten griechischen Soldaten Bürger gewesen, so spielten jetzt Söldner eine weitaus größere Rolle, die spezialisiert waren, aber eben dem dienten, der zahlte, und die daher nicht unbedingt ihrer Stadt verpflichtet waren. Das sahen Politiker gerade in Athen mit Entsetzen – die fließenden Grenzen zwischen staatlicher Gewalt und Räuberei, die Augustins Seeräuber beobachtet, ist auch hier erkennbar.

Fehlten ein Auftraggeber oder anderweitige Einkünfte, verdienten die Söldner nämlich ihr Geld auf eigene Rechnung. Überall da, wo es an militärischer Sicherung mangelte, war man daher von Piraten oder Räubern bedroht, vor allem an der Küste. Die zersplitterte politische Situation in der Ägäis ließ keine gemeinsame Abwehr zu, zumal das Problem als ein moralisches, nicht als ein strukturelles interpretiert wurde. Das Perserreich scheint hingegen in seinem Machtbereich, dem östlichen Mittelmeerraum, für Ruhe gesorgt zu haben.

Dass Söldnertum und Piratentum oder Banditentum in der Ägäis und angrenzenden Gewässern derart ineinandergriffen, scheint für die Seegeschichte dieser Zeit wesentlich geworden zu sein. Die militärische Praxis der Piraten wurde so professionalisiert und gewann Kontinuität. Es handelte sich um mobile Gewaltgemeinschaften, die ihr Einkommen auf unterschiedliche Weise generierten, teils im Dienste einer anerkannten politischen Autorität, teils auf eigene Faust.

Hellenismus

Mit dem Reich Alexanders des Großen stand die Möglichkeit einer einheitlichen Herrschaft in der gesamten Ägäis und im östlichen Mittelmeer im Raum, doch erwies es sich als kurzlebig wie auch seine Nachfolgereiche, die der Diadochen. Diese rangen miteinander um die Vorrangstellung, wobei besonders die Ptolemäer, deren Herrschaftsbasis Ägypten bildete, eine Thalassokratie beanspruchten, also eine Herrschaft über das Meer. Im 3. Jahrhundert hatten sie tatsächlich Stützpunkte und ganze Territorien an Gegenküsten Ägyptens, in der Ägäis, in Kleinasien und in der Levante, die sie aber allmählich einbüßten. Ziel ihrer Gegner war es, ihnen die Thalassokratie zu entwinden oder sie zumindest zu zersetzen, was ihnen tatsächlich gelang. Dies bedeutete eine Destabilisierung des Meeres, zumal die Kriegsparteien gerne Truppen einsetzten oder Bündnispartner suchten, die ihre Gegner polemisch als Piraten bezeichneten.13 Was sich dahinter im Einzelfall konkret verbirgt, lässt sich nur schwer sagen. Diese Gewaltunternehmer könnten ähnlich den Gruppen gewesen sein, die später Kaperbriefe erhielten; sie könnten aber auch in dem schon angesprochenen Wechsel zwischen Söldnerstatus in unabhängigen Gewaltgemeinschaften gelebt haben.

Die Reisenden, aber auch viele Küstenstädte lebten in ständiger Furcht vor den Piraten. Die See war, wie erwähnt, ohnehin durch Unwetter gefährlich, Schiffbruch ein ernstes Risiko, und nun kamen die Piraten hinzu. Sprachen die Risiken des Meeres dafür, Küstenschifffahrt zu treiben, so erwies sich gerade die Nähe der Küste als bedrohlich, da Piraten die Schiffe aus ihren Schlupflöchern leichter erreichen konnten. Die Sorgen bezeugen nicht nur literarische Texte, sondern auch Steininschriften, auf denen Städte Beschlüsse festhielten, die ihre Maßnahmen gegen Piraten dauerhaft dokumentierten, oder aber Männer ehrten, die die Piraten bekämpft hatten. Schon wer auch nur ihre Ankunft mitgeteilt hatte, konnte eine Ehrung verdienen.14 Gerade die Konkurrenz zwischen den hellenistischen Großreichen eröffnete den Piraten Handlungsspielräume, da sie vielfältige Gelegenheiten besaßen, sich als Söldner zu verdingen.

Dass die Römer seit dem 2. Jahrhundert im östlichen Mittelmeerraum an Macht gewannen, stabilisierte die Lage nicht: Die Römer zwangen 188 vor Christus den seleukidischen König Antiochos III. nach seiner Niederlage im sogenannten Frieden von Apamea dazu, die Herrschaft über Kleinasien westlich des Taurus und einen Großteil seiner Flotte aufzugeben, errichteten aber an der Südküste keine stabilen Strukturen. Dies stärkte die Position der Piraten, die dort ein Zentrum hatten. Rom schwächte ferner den Inselstaat Rhodos, der zusammen mit seinen Verbündeten die Piraten in der Ägäis erfolgreich bekämpft hatte, und machte Delos, das sich selbst nicht verteidigen konnte, zum Freihafen. Anfangs hatten die Römer offenbar kein Interesse an einer stabilen Osthälfte des Mittelmeerraums – sei es, dass dieser Raum für sie nicht wichtig genug war, sei es, dass sie sogar stabile Strukturen verhindern wollten, damit ihnen dort kein gefährlicher Gegner erwuchs. Da wären Piraten überaus nützlich gewesen.

Just in der Zeit nach Alexander dem Großen tauchte, wie erwähnt, auch das Wort peiratés auf, das gewöhnlich spezifisch auf Seeräuber verweist, und verbreitete sich rasch.15 In der Literatur spielten jetzt Piraten ebenfalls eine größere Rolle, interessanterweise vor allem in Komödien und Romanen. Denn die Tatsache, dass Menschen von Piraten gefangen werden, führt dazu, dass Geschwister, Liebespaare, Eltern und Kinder auseinandergerissen werden und sich im Rahmen jener Literaturgattungen auf komplizierten Wegen wieder zusammenfinden, begleitet von Abenteuern, vielen Missverständnissen und Verwechslungen. Was, wenn ich recht sehe, in der Literatur nicht existiert, ist der Typus des Piraten als eines romantischen Helden. Auch ein Piratenstereotyp in der bildenden Kunst scheint es nicht zu geben.

Das Reich der Kilikischen Piraten

Eine wichtige und gefürchtete Erfahrung war die Rollenumkehr, die es bedeutete, wenn ein Vornehmer, gar ein mächtiger Römer, in die Hände von Piraten fiel. Falls jemand sich darauf berief, ein vornehmer Römer zu sein, zollten sie ihm scheinbar Respekt, bekleideten ihn römisch und zwangen ihn unter Verhöhnungen über eine Leiter ins Meer zu steigen, um dort zu ertrinken, berichtet Plutarch in seiner Lebensbeschreibung des Pompeius.16 Die Präsenz der Piraten gefährdete somit alle Reisenden, gerade die Vornehmen, da sie begehrte Opfer waren.

Der junge Julius Caesar fiel in den siebziger Jahren den Piraten in die Hände. Die spätere Tradition rühmt indes seinen souveränen Umgang mit ihnen. Er habe die Lösegeldsumme erhöht, weil die 20 Talente, die sie forderten, zu wenig für jemanden wie ihn seien; er habe sie gezwungen, seinem Biorhythmus zu folgen, ihnen seine literarischen Werke vorgelesen und sie als Barbaren beschimpft, wenn der Applaus nicht heftig genug aufbrauste. Wieder befreit, konnte Caesar übrigens die Piraten überwältigen, indem er genügend römische Schiffe zusammenbrachte, und ließ sie, nachdem der römische Statthalter, den er angesprochen hatte, einen einträglichen Verkauf betreiben wollte, kreuzigen. Jetzt war, falls die Anekdote stimmt, die Ordnung wiederhergestellt. Doch gerade die strahlenden Berichte über diesen Erfolg17 zeigen, welche Demütigung die Entführung durch Piraten bedeutete.18 Und eine dauerhafte Lösung hatte Caesar nicht gefunden, denn die Piraterie ging weiter.

Dass Piraten so erfolgreich agieren konnten, hängt nicht nur mit äußeren Faktoren zusammen, sondern auch mit einer veränderten Struktur der Piraterie. Gewiss gab es weiter okkasionelle Piraten wie den fiktiven Odysseus, sicherlich gab es weiter Gewaltgemeinschaften, die bisweilen als Söldner, bisweilen als Piraten daherkamen, aber es sind jetzt auch stabile, weitgehend autonome Organisationsformen von Piraten zu beobachten. Bezeichnenderweise kam auch die Vorstellung auf, dass die Griechen einen gemeinsamen Krieg gegen Piraten führen sollten; doch war der schwer zu realisieren, wenn nicht eine Macht, wie zeitweise Rhodos, das in die Hand nahm.19

Inbegriff dieser Entwicklung sind die Kilikischen Piraten – diejenigen, die auch Caesar gefangengenommen hatten und an denen er Rache übte, ohne sie insgesamt vernichten zu können. Seit dem 2. Jahrhundert sind sie bezeugt, an der Südküste Kleinasiens, zu der auch Kilikien gehörte, mit Korakesion als Zentrum. Das war die Region, die durch Roms Politik einer Kontrolle durch ein größeres Reich entzogen war. Diese Landstriche waren in seenahen, durch Hügelzüge abgetrennten Regionen ähnlich der Mani gelegen und boten sich daher für eine asymmetrische Kriegführung an. Die großen Mächte scheuten offenbar den Aufwand einer Belagerung. Zudem waren diese Gegenden wenig fruchtbar, so dass sie nicht geeignet schienen, eine sich selbst tragende, nur auf friedlichen Handel gestützte Machtbildung zu erlauben. Deswegen waren sie ja zuvor kaum besiedelt worden. Eine Alternative zum Seeräuberhandwerk war daher für die dort Lebenden schwer zu entwickeln.

Noch einmal gestärkt wurden die Piraten dadurch, dass sie die Flotte eines syrischen Thronprätendenten namens Tryphon, der Suizid begangen hatte, übernehmen konnten.20 Erneut zeigt sich der wenig überraschende fließende Übergang vom Söldnerwesen zum Piratentum.

Schließlich beruhte die Macht der Piraten darauf, dass sie ein begehrtes Handelsgut bereitstellten, nämlich Sklaven. War man sonst auf Kriege angewiesen, um Sklaven zu gewinnen, wodurch das Angebot sehr ungleichmäßig war, so lieferten die Piraten kontinuierlich ihre Ware und verkauften sie unbehelligt an anerkannten internationalen Handelsplätzen wie dem erwähnten Delos, aber auch in Side, in ihrer kilikischen Heimat.21 Sie gebärdeten sich als Sklavenhändler statt als Seeräuber, klagt ein Autor.22 Die Nachfrage in der immer wohlhabenderen römischen Gesellschaft war offenbar ihrerseits zuverlässig.

Die überregionale Selbstorganisation der Piraten wurde bisher nicht hinreichend gewürdigt; da sie aber für das Anliegen des Bandes, der immer wieder den fließenden Übergang von anerkannter Gewalt zu See und Piraterie betont, von besonderem Interesse ist, sei sie hier etwas detaillierter behandelt. Die Kilikischen Piraten sollen auf ihrem Höhepunkt mehr als tausend Schiffe besessen und mehr als 400 Städte eingenommen haben23 – solche Zahlen sind immer mit Vorsicht zu nehmen. Manche Städte nutzten sie als Stützpunkte an verschiedenen Küsten – nicht nur in Kilikien, sondern auch auf Kreta, in der Ägäis und auf den Balearen. Einige Piraten herrschen über mehrere Städte und vielleicht auch im Hinterland. Wenn römische Quellen den Lebensstil der Piraten schildern, so rücken sie bestimmt das Abnorme in den Vordergrund, etwa die vergoldeten Masten und purpurnen Segel24 – Purpur war die Farbe des Königtums. Von demonstrativem Konsum ist die Rede, keineswegs vegetierten sie in finsteren Höhlen. Vielmehr agierten sie wie lokale Potentaten; nach der Definition des von Augustin zitierten Piraten wären sie also gar nicht mehr Seeräuber gewesen. Mit ihrer guten Logistik und ihren schnellen Schiffen waren sie militärisch schwer zu fassen, zumal sie auch im Winter zur See stachen.25 Sie fühlten sich mächtig genug, um gelegentlich ins Landesinnere vorzustoßen, und segelten sogar in den Hafen von Ostia, der Rom versorgte.26

Ihr innerer Zusammenhalt galt als groß.27 Doch unklar ist, wie stabil die inneren Strukturen waren. Die Piraten hatten offenbar Familien,28 gingen also davon aus, sich auf Dauer einrichten zu können. Sie waren auf dem Weg zu regulärer Staatlichkeit, hatten ihre eigenen Vorstellungen von Ehre und waren begehrte Bündnispartner. Ein empörter Bericht des kaiserzeitlichen Historikers Appian gibt eine Vorstellung von ihrer Selbstdarstellung: Die Kommandeure hätten sich wie strategoí gebärdet.29 Die Bezeichnung als lestaí hätten sie abgelehnt und ihre Beute als Soldatenlohn bezeichnet. Sie hätten über spezialisierte Handwerker für den Schiffbau verfügt und ihre Anführer als Könige bezeichnet.30 Signalstationen zwischen ihren Städten und Stützpunkten hätten sie ebenfalls eingerichtet.31 Plutarch spricht sogar davon, dass Reiche und Vornehme sich angeschlossen hätten, weil sie so Ruhm gewinnen konnten.32 Das erinnert an Thukydides und zeigt, dass das archaische Modell der rühmlichen Piraterie weiter lebendig war.

Die Piraten setzten sich offenbar über das hinweg, was unter Griechen als heilig galt: Gemeingriechische Heiligtümer wie Epidauros oder Didyma hätten sie geplündert und ein eigenes Kultzentrum mit speziellen Riten im südkleinasiatischen Olympos unterhalten, wo sie unter anderem Mithras verehrt hätten.33 Der Kult für den ursprünglich iranischen Gott, wie wir ihn aus späteren Zeiten kennen, unterstützte ein ausgeprägtes Männlichkeitsideal, was zu dieser Gruppe passen würde. Da Religion und Polis unlösbar miteinander verbunden waren, bedeutete der Kult nicht einfach eine Idiosynkrasie, sondern bildete ein Element von Staatlichkeit.

Natürlich muss man solche Angaben mit Vorsicht nehmen. Denn die entsprechenden Passagen aus Plutarch sollen vor allem die herausragenden Leistungen und königlichen Eigenschaften des späten Piratenbezwingers Pompeius feiern. Doch der Titel des Königs für einen Piratenführer ist sogar inschriftlich, also in einer dokumentarischen Quelle, bezeugt, auf einer Weihung des Zeniketes in dem gemeingriechischen Zeusheiligtum von Dodona – hier suchte man dann anscheinend doch Anerkennung.34

Gewiss empörend war aus Sicht der Römer, dass ihr hartnäckiger Gegner Mithridates VI. Eupator, legitimer König im nordkleinasiatischen Bithynien und Pontus (circa 120–63 vor Christus), auf Piraten zurückgriff, die die Küsten Kleinasiens unsicher machten35, und sich von einem Seeräuberschiff transportieren ließ, als seine Flotte durch einen Sturm weitgehend zerstört war. Es brachte ihn sicher und unangetastet zu seiner Residenz.36 Das heißt aber auch, dass Mithridates, wenn auch in einer Notsituation, diese Gruppe anerkannte und sie gleichsam auf Augenhöhe behandelte – was nur klug war, denn die Römer trugen durch sie weit mehr Schaden davon als seine Leute. Seine Kriege mit Rom vermehrten überhaupt die Handlungsspielräume der Piraten, auch wenn er schließlich verlor.

Diese Piratenherrschaft war mithin auf dem Weg zu einer gewissen Staatlichkeit; diese Entwicklung scheint das bei Augustin überlieferte Diktum über die Nähe von Räuberei und Staatlichkeit zu bestätigen. Aus römischer Sicht aber blieben diese Menschen Piraten, sofern sie die Entwicklung des Handels empfindlich störten, vor allem in einer strategisch wichtigen Region. Ähnlich wie im Falle Athens war der Bereich gefährdet, bei dem antike Mächte am stärksten zu einer gezielten Wirtschaftspolitik neigten: der der Getreideversorgung, wenn die Piraten eben bis nach Ostia, wo das Getreide gelöscht wurde, vordrangen.

Mehrfach versuchten Römer seit dem ausgehenden 2. Jahrhundert zu intervenieren, direkt oder, indem sie anderen verboten, Piraten Unterschlupf zu gewähren.37 Meist waren sie auch erfolgreich, wenn es denn zu einem militärischen Aufeinandertreffen kam wie eben mit Caesar. Doch fanden die Piraten gleichsam in einer maritimen Partisanentaktik stets Rückzugsorte, von denen aus sie ihre Aktivitäten weiterführen konnten, und der langjährige Konflikt mit Mithridates verschärfte die Lage.

Erst Pompeius, der spätere Rivale Caesars, besiegte 67 vor Christus die Seeräuber mit einem koordinierten Unternehmen. Als er sich ihnen näherte, so hören wir in einer idealisierenden Quelle, ergaben sich die ersten, die er schonte und mitsamt Familien bei sich aufnahm. Sie verrieten ihm die Verstecke der anderen, die er leicht ausheben konnte. Bei ihrem Zentrum Korkesion besiegte er die verbliebenen Piraten in einer Seeschlacht. Zugleich bot er ihnen eine Perspektive: Er siedelte die Überlebenden in Städten an, und sie betrieben fortan Ackerbau.38 Enterhaken wurden zu Pflugscharen, um es etwas flapsig auszudrücken. Allerdings fanden sich offenbar viele Piraten auch in der römischen Armee wieder, wo sie ihre Tätigkeit legitim fortsetzen konnten und unter Kontrolle standen. Damit setzte sich die älteren Traditionen des Wechsels zwischen Piratentum und Söldnertum fort.