Alle für Ella - Buch zum Film - Carola Wimmer - E-Book

Alle für Ella - Buch zum Film E-Book

Carola Wimmer

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Beschreibung

Das Buch zum Film mit Teenie-Superstar Lina Larissa Strahl

Ella hat einen großen Traum: mit ihrer Band VIRGINIA WOOLFPACK nach dem Abi richtig durchstarten. Das Woolfpack – das sind Ella und ihre besten Freundinnen Anaïs, Romy und Cahide. Gemeinsam Songs schreiben und irgendwann auf Tour gehen – kann es etwas Schöneres geben?
Der Song Contest eines Radiosenders wäre DIE Chance, groß rauszukommen. Doch schnell wird Ella klar, dass ihre Freundinnen ganz andere Pläne haben. Der Einzige, der wirklich an Ella glaubt, ist ausgerechnet der Rapper ALFAMK – Obermacho und Rich Kid mit eigenem Tonstudio. Aber mit ihm gemeinsame Sache zu machen, bedeutet Verrat an der Band ...

Mit exklusiven Filmfotos

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Basierend auf dem gleichnamigen Film

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1. Kapitel

Vier. Piep. Sieben. Piep. Neun. Piep –

Ellas Zeigefinger schwebte unsicher über der Tastatur an der Pforte. Wie war noch mal die letzte Ziffer? Genervt wischte sie sich das klebrige Haar aus der Stirn. Sie schwitzte. Denn hinter ihr lag nicht nur eine stressige Fahrradtour quer durch die sommerlich heiße Stadt – sondern auch eine nicht enden wollende Arbeitsschicht im Pizzaturm. Das hieß: Sechs Stunden Pizzen belegen, sechs Stunden stechende Ofenhitze. Ellas Gesicht glühte. Der ölige Küchendunst begleitete sie immer noch. Er haftete als dünner Film auf ihrer Haut, er hatte es sich in ihren Haaren gemütlich gemacht und einen Zweitwohnsitz in Ohren und Nase beantragt. Und keine Dusche der Welt konnte diesen Mief wirklich killen!

Sie schnaubte genervt und probierte es aufs Geratewohl: ein Glück, die Drei war richtig. Ein erneuter Piepton, und mit zweifachem Klacken öffnete sich das schwere Schloss und die Torflügel zur Villenauffahrt schwangen sanft zur Seite. Ella betrat das Grundstück.

Sofort fühlte sie sich leichter. Für jemand wie Ella, die immer nur durch die Gegend hetzte, war so ein Garten das reine Paradies. Dichte Hecken schluckten den Straßenlärm, Kiefern beschatteten das akkurat geschnittene Grün. Bis auf das Knirschen des Kieswegs unter ihren Sohlen und eine kleine Vogelschar, die vergnügt in den Sträuchern schwatzte, herrschte geradezu übernatürliche Ruhe. Ella atmete tief durch, ihr Hirn schaltete einen Gang runter.

Sie näherte sich der Terrasse – und Ella traf der Schlag. Die ganze Fläche glich einem Schlachtfeld! Überquellende Aschenbecher, in halb leeren Bierflaschen versenkte Kippen, Teller mit Essensresten, rollenweise Toilettenpapierfahnen, Glitzerkonfetti – und Hühnerfedern! Alles sah nach einer völlig aus dem Ruder geratenen Party aus. Ella hob eine leere Flasche vom Boden auf. Wow, die gönnten sich ja was. Champagner! Mit Blattgold drin? Als sie sich genauer umsah, entdeckte sie noch mehr Champagnerflaschen. Dazu überall leergeschleckte Leckmuscheln. Ella hob eine Verpackung auf. Das Zeug nannte sich »Schleck-o-mio-Shell«. Brrr!

Wirkliche Sorgen bereiteten ihr allerdings die Hühnerfedern. Hatte hier etwa ein Huhn gefeiert oder war es vielmehr gerupft worden?

»Mom?«, rief Ella. Keine Antwort.

Ella rief noch mal, lauter diesmal, und ein Anflug von Panik mischte sich in ihre Stimme. »Mom?!«

Im selben Moment setzten in der Ferne dumpfe, extrem tiefe Bässe ein, die die Fensterscheiben zum Klirren brachten. Ella spürte die Vibration bis in ihre Eingeweide. What the fuck? Irritiert sah sie sich um. Also, entweder experimentierte hier jemand mit ultrageheimer Alien-Technologie – oder er hatte einen Subwoofer aus der Hölle! Sie lauschte einen Moment. Der Beat schien aus dem obersten Stockwerk zu kommen.

»Hallo?« Sie war nun mehr empört als beunruhigt.

»Schrei doch nicht so!«, hörte sie da die vertraute Stimme ihrer Mom. Im nächsten Moment erschien diese auch schon in der Terrassentür. Sie trug ihre Arbeitskluft: Putzhandschuhe und ein rosa T-Shirt mit der Aufschrift »sauber.de«. Die schulterlangen Haare hatte sie mit einer Spange aus dem Gesicht gesteckt.

»Hierher! Komm!« Sie winkte Ella zu sich, während sie sich geräuschvoll die Handschuhe von den Händen schnalzte. Ungeduldig nahm sie Ella den Pizzakarton aus der Hand.

»Was ist hier passiert?«, wollte Ella wissen.

Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber wie du ja sehen kannst, bin ich hier sicher noch ein paar Stunden beschäftigt. Deswegen: Lebensrettung!«

Dann ging sie voran ins Wohnzimmer, das ebenfalls noch unaufgeräumt war, setzte sich auf die Couch und riss den Deckel auf. Dankbar griff sie nach einem Stück Pizza.

Von oben waren immer noch Bässe zu hören. Doch mit einem Mal brach der Lärm ab.

»Der macht mich noch wahnsinnig mit seinem Gewummer«, seufzte ihre Mom in die plötzliche Stille, während sie hungrig kaute. Sie war kaum vierzig, drahtig und fit und manchmal schon für Ellas Schwester gehalten worden. Aber heute wirkten ihre Augen müde und alt. Ella sah, wie krass erschöpft ihre Mutter war. Sie arbeitete wirklich jeden Tag, sogar an den Wochenenden. Denn als alleinerziehende Mutter in einer der teuersten Städte Deutschlands brauchte sie mehr als einen Job, um die Miete zu bezahlen. Das galt zwar nicht gerade für eine Ärztin oder einen Bankbesitzer, aber mindestens für all jene, die sich mit Mc-Jobs durchschlagen mussten.

»Hast du noch ein paar Handschuhe?«, fragte Ella.

Ihre Mom wusste sofort, worauf Ella hinauswollte. Sie wehrte entschieden ab: »Ach nee, wirklich, da büffelst du lieber Physik.«

Ella verdrehte die Augen. Ihrer Mutter war es extrem wichtig, dass sie das Abitur schaffte. Ella sollte schließlich mal ein einfacheres Leben haben.

»Du wirst hier alleine doch bis übermorgen nicht fertig«, widersprach Ella. »Außerdem helfe ich dir lieber jetzt, als später mit Tim Abendessen zu kochen. Hab so was von keinen Bock, noch mal irgendwas in der Küche zu machen heute.«

Das mit dem Abendessen war natürlich gelogen. In Wirklichkeit wollte Ella ihre Mom nur auf keinen Fall im Stich lassen. Dass sie – wenn es eng wurde – auch für ihre Mutter da sein wollte, war schließlich Ehrensache, ob es nun ungelegen kam oder nicht. Eigentlich war sie nämlich in weniger als zwei Stunden zur Probe mit ihrer Band verabredet und sie würde ungern zu spät kommen. Denn in den letzten Wochen waren ihre Freundinnen Anaïs, Cahide und Romy für regelmäßige Treffen immer zu beschäftigt gewesen. Durch den ganzen Abistress war die Musik leider in den Hintergrund geraten. Ella hatte die gemeinsamen Sessions aber unendlich vermisst. Sie hatte regelrechte Entzugserscheinungen. Trotzdem ging ihre Mutter heute vor. Ihre Freundinnen würden die Situation sofort verstehen. Sie kannten ihre Mutter schließlich schon seit Jahren, gingen wie Familienmitglieder bei ihnen ein und aus. Ja, sie waren irgendwie selbst schon Teil ihrer Familie geworden und wussten daher ganz genau, wie sehr Ellas Mom sich jeden Tag abrackern musste.

Von oben setzten die Beats wieder ein, lauter als zuvor. Ihre Mutter schüttelte erneut den Kopf und versuchte, dabei streng und bestimmt auszusehen.

»Komm. Ich bin voll im Groove«, behauptete Ella und wippte im Takt. Sie schmiss ihre bronzene Secondhand-Lederjacke aufs Sofa und band sich die rotblonden Locken zusammen. Ihre Mutter zögerte noch immer. Aber dann seufzte sie ergeben und reichte ihrer Tochter das zweite Paar Handschuhe.

2. Kapitel

Manche Leute glauben vielleicht, Putzen sei der schlimmste Job der Welt. Ella war da anderer Meinung. Also okay, von Rückenschmerzen und Niedriglohn mal abgesehen. Aber wenigstens war Putzen eine grundehrliche Angelegenheit, und niemand verlangte, dass man sich verbog. Konnte es etwas Wichtigeres geben im Leben? Für Ella war die Sache klar: Nein!

Sich selbst anfeuernd, tanzte sie rüber zur Treppe und sammelte im Takt Flaschen, Leckmuscheln und Essensreste ein. Sie füllte Mülltüte um Mülltüte und kam allmählich in den Flow. Mit jeder Minute verwandelte sich das Wohnzimmer weiter zurück in seinen ursprünglichen, Insta–tauglichen Zustand: der absurd hochflorige weiße Teppich, dem eine ganze Schafherde ihre Wolle geopfert haben musste, edle Bodenvasen, cremefarbene Sideboards, bodentiefe Panoramafenster – und dazwischen jeweils unglaublich viel Platz. Der Raum allein war schon so groß wie ihre ganze Wohnung in der Hochhaussiedlung.

Unter einem in die Ecke geworfenen Sofakissen entdeckte Ella eine Bronzekugel. In Wohnzeitschriften wird so etwas Eyecatcher genannt. Ella war von ihrer perfekten Form beeindruckt. Ihre Mutter hatte selbst so ein Faible für Raumschmuck. Aber statt eine fancy Kugel in die Ecke zu stellen, verzierte sie die enge Wohnung lieber mit Wandtattoos und Deko aller Art: Lichterketten, Traumfänger, bunte Kettenvorhänge, Steine von der letzten Reise, Geschenkladenschrott, alles natürlich dicht an dicht. Nichts davon durfte angefasst oder gar weggeworfen werden. Den Vogel schoss ein hässlicher Keramikfrosch – »Fredi Kackfrosch« genannt – ab. Ella, ihr Bruder und sogar ihre Mom hassten das scheußliche Ding. Aber: Fredi Kackfrosch war ein Geschenk, der musste bleiben!

Trotzdem hätte Ella nicht tauschen wollen. Die Villa war einfach zu kalt und unpersönlich. Ein gemütliches Zuhause sah ihrer Meinung nach jedenfalls anders aus. Immer noch im Schwung schnappte sie sich den Staubsauger, sang theatralisch den Refrain eines Songs in den Rüssel und stürzte sich dann auf das schicke Designersofa. Sie saugte die Lehnen, die Sitzkissen, die Ritzen – als ihr plötzlich etwas Glibberiges begegnete. Es war ein gebrauchtes Kondom. Angeekelt schnalzte sie es weg. Ella ächzte. Verdammt, Putzen war eben doch der schlimmste Job der Welt! Kurz überlegte sie, das widerliche Teil einfach liegen zu lassen. Lieber hätte sie stattdessen in ein Nest behaarter Riesenspinnen gefasst! Ächzend betrachtete sie das Ding auf dem Boden. Immerhin bewegte es sich nicht. Ella atmete tief durch. Dann nahm sie eine Plastikgabel und fischte mit gebührendem Abstand nach dem Gummi. Schnaufend warf sie es in einen Müllbeutel. »Urch!«

Dann rannte sie zum Waschbecken, um alle eventuell anhaftenden Ekelmoleküle von den Handschuhen zu schrubben. Anschließend saugte sie mit grimmiger Miene das Sofa bis in die letzte Ritze durch, als müsste sie ein Dixie-Klo abkärchern.

Endlich fertig, wischte sie sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn, ihre Laune war deutlich gesunken. Um frische Luft zu schnappen, trat sie auf die Terrasse, als im nächsten Moment ein orientierungsloses Schneehuhn an ihr vorbeispazierte. Ella schlich vorsichtig heran. Doch das Tier ließ sich nicht ohne Weiteres einfangen. Bei jeder Annäherung legte es augenblicklich einen Gang zu und flüchtete federfliegend in eine andere Ecke. Aber nach einigem, von lauten Flüchen begleiteten, Hin und Her, gelang es ihr dann endlich doch. »Was haben sie denn nur mit dir gemacht, hm?«, flüsterte Ella, während sie dem verängstigten Vogel über die Flügel strich. Behutsam brachte sie das Huhn in den hinteren Teil des Gartens, wo tatsächlich ein großer Käfig stand. Dort warteten bereits drei weitere Schneehühner auf ihre flüchtige Artgenossin.

Ella atmete durch. Aktion Hühnerrettung abgeschlossen, Treppe, Wohnzimmer und Diele waren so gut wie fertig. Jetzt würde sie sich das obere Stockwerk vornehmen. Bei dieser Gelegenheit würde sie wohl auch den Hühnerverwirrer und Kondomliegenlasser kennenlernen. Sie konnte es kaum erwarten, ihn mit ihren Blicken zu judgen! Also schnappte sie sich einen Besen und lief nach oben. Energisch öffnete sie die Tür, hinter der die Bässe vor sich hin pumpten. Und da traf sie auch schon der zweite Schlag des Tages:

Was sie beim Eintreten entdeckte, war – abgesehen von einem pornösen King-Size-Bett – ein professionelles Tonstudio mit Riesenmischpult, fantastischen Monitorboxen und extrem edlem Outboard-Equipment. Davor fläzte ein Typ in einem bossigen Designer-Chair. Er war wenig älter als sie und sah unverschämt gut aus. Dunkle glatte Haare, die ihm in die Stirn fielen, schöne Augen, breite Schultern. Fette Goldkette um den Hals und ein Hemd mit Leopardenmuster, das bestimmt ein Schweinegeld gekostet hatte. Eine Mischung aus Bad Boy und Mädchenschwarm. Ella ächzte innerlich. Offenbar war nicht nur Reichtum, sondern auch gutes Aussehen ungerecht verteilt. Aber dieses Studio haute sie tatsächlich um: »Heiliger Kurt Cobain«, entfuhr es ihr.

Der Junge riss den Lautstärkeregler am Mischpult runter, während er sich ganz zu ihr umdrehte. »Ey. Hier ist für die Putztruppe tabu«, blaffte er sie an. Er hob den Kopf und stutzte kurz, als er sie sah. Es war nicht mal der erwartete Bodycheck, sondern er sah ihr direkt in die Augen. Aber ihm fiel nichts Besseres ein als: »Bist du neu, oder was?«.

Ella blinzelte irritiert. Doch sie ließ sich nicht einschüchtern. »Sag mal …«, erwiderte sie und ihr Blick fiel auf seinen Monitor. Auf dem Bildschirmschoner stand »alfaMK« – was immer das bedeuten sollte.

»Also: ALFA-EMM-KA. Was soll das da unten eigentlich sein? Hangover Teil 8?«

Statt einer Erklärung erntete sie nur ein kühles Lächeln. »Ihr werdet doch nach Stunden bezahlt, oder nicht?«, gab er ungerührt zurück.

Ella verdrehte die Augen. Really? Was glaubte er, wer er war? Gerade wollte sie sich umdrehen und wortlos das Zimmer verlassen, da fiel ihr Blick auf eine an der Wand lehnenden Gitarre. Es war nicht einfach nur irgendeine, sondern eine Custom Les Paul, die vielleicht schönste elektrische Gitarre der Welt. Ein wahres Schmuckstück aus Mahagoni und Ahornholz.

»Ist das etwa ’ne Les Paul?«, fragte sie atemlos.

Der Junge sah Ella einen kurzen Moment lang überrascht an. Mit einer solchen Frage hatte er offenbar nicht gerechnet von jemand aus der Putztruppe. Aber er fasste sich schnell wieder.

»Ja. Kompensationsgeschenk von meinem Dad, weil Weihnachten 2018 ausgefallen ist«. Er deutete in die Zimmerecke: »Die Strat ist 19, und die Fender da drüben, warte mal, 15, glaub ich.«

»Du Armer!«, entfuhr es Ella spöttisch, während sie nun teils fasziniert, teils empört auf die exklusive Sammlung starrte. Was wollte dieser Möchtegern-Coolio bloß mit den Teilen? Das waren doch Perlen vor die Säue! Ella hatte niemanden in ihrem ganzen Bekanntenkreis, der sich ein so teures Instrument leisten konnte. Was würde sie darum geben, die Gitarre einmal in die Hand nehmen zu können! Ohne es zu merken, machte Ella einen Schritt Richtung Gibson. Aber sie wurde sofort gestoppt: »Ey … das ist kein Museum hier! Also …«

Ella begriff nicht. »Also …?«

Der Junge wedelte sie mit einer Hand weg: »Tschüsseldorf!«

Am liebsten hätte Ella lauthals gelacht. Was für eine Frechheit! Und dann auch noch Tschüsseldorf! Warum nicht gleich Tschüssikowski und Tschö mit ö! Was stimmte mit dem Typen nicht? Niemand sprach so! Zumindest niemand, den sie kannte. Aber statt überlegen zu lächeln, stieß Ella zu ihrer Überraschung nur ein albern affektiertes »Pfft« aus. Himmel, wo kam das denn jetzt her, wunderte sie sich, während sie erhobenen Hauptes die Tür hinter sich zuzog. Sie hatte sie noch nicht ganz geschlossen, da wurde die Lautstärke auch schon demonstrativ voll aufgedreht. Ella blieb stehen und lauschte einen Moment.

Erschrocken ertappte sie sich beim Mitnicken. Sie hielt inne. »Ella, bitte! So ein Macker-Hip-Hop ist doch scheiße«, tadelte sie sich.

3. Kapitel

Eigentlich ließ sich Ella von irgendwelchen dahergelaufenen Kerlen nicht so leicht aus der Ruhe bringen. Dort wo sie herkam, war der Ton schon immer etwas rauer gewesen. Wer sich in der Siedlung jeden Diss zu Herzen nahm, war verloren. Das hatten sie früh gelernt. Hier wohnten Leute aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt und man konnte ihre Sorgen auf den Straßen spüren. Dass die Miete zu hoch und das Geld knapp war. Da hatte nicht jeder die Nerven für ausgesuchte Höflichkeit. Aber obwohl Ella sonst hart im Nehmen war, war sie doch verstimmt. »Das ist kein Museum hier …«, ätzte sie mit Nachäffstimme, während sie mit Schwung die Treppe fegte. Der Dreck flog weiter als geplant und verteilte sich in der Halle und auf dem Geländer. Ella bemerkte es nicht.

»Tschüsseldorf – dass ich nicht lache!«

Wieder flog der Schmutz nur so. Es brauchte mehr als nur ein paar Besenstriche, bis ihr Groll verflogen war. Aber dann waren auch Haus und Garten endlich in ihren ursprünglichen Zustand versetzt. Zufrieden hievte sie mit ihrer Mutter den Müll vor die Tür. Die hielt müde lächelnd die Hand hoch. Ella klatschte ab, während sie gleichzeitig ihr Handy hervornestelte.

»Fuck, spät, FUCK, FUCK!!!! Mom, ich muss!«

»Du musst so was von. Ich halt dich schon viel zu lang von Physik ab!« Ihre Mom reichte ihr den Rucksack.

Ella zögerte: »Äh, genau …« Sollte sie vielleicht doch beichten, dass Lernen heute überhaupt nicht mehr auf dem Programm stand?

Ihre Mutter lächelte: »Kuss?«

Ella entschied sich, besser zu schweigen. Hastig hauchte sie ihrer Mom einen Schmatzer auf die Wange. Im nächsten Moment joggte sie auch schon die Auffahrt hinunter. Sie drückte den Schalter, der das Tor von innen öffnete oder zumindest öffnen sollte. Doch nichts geschah. Ella probierte es wieder und wieder. Genervt sah sie auf die Uhr. Als das Tor sich trotz aller hilflosen Versuche immer noch nicht rühren wollte, kletterte sie kurzerhand daran hoch. Schwungvoll hob sie ihr Bein auf die andere Seite – doch genau in diesem Moment öffnete sich das Gatter plötzlich wie von Geisterhand und brachte sie kurz aus dem Gleichgewicht. Fluchend sah sie sich um. Was war das denn? War hier etwa eine versteckte Kamera? In einem Fenster der Villa entdeckte sie alfaMK Breit grinsend steuerte er über eine App die Bewegungen des Tores.

»Ja. Sehr witzig. Als ob ich Zeit hätte für so einen Scheiß«, rief Ella, musste aber über die alberne Kindsköpfigkeit von Mr. Supercool auch ein bisschen lachen. »Tschüsseldorf. Passt schon«, dachte sie. Nachdem das Tor noch ein paarmal mit ihr obenauf hin und her schwang, beschloss sie, dem unwürdigen Schauspiel ein Ende zu bereiten. Sie sprang kurzerhand ab, zeigte alfaMK den Stinkefinger und eilte zu ihrem Fahrrad. Erschrocken stellte sie fest, dass sie es in der ganzen Hektik vorhin nicht einmal richtig abgeschlossen hatte. Zum Glück war es noch da. Ella atmete erleichtert auf – aber irgendwie auch ein bisschen empört. Ein abgewracktes Damenfahrrad ohne Gangschaltung wollte in dieser noblen Gegend offenbar niemand klauen. Kopfschüttelnd radelte sie los. Über abendleere Straßen zwischen den Bogenhausener Villen in Richtung Isar. Der Fahrtwind auf der Haut versetzte sie sofort in bessere Stimmung. Ella freute sich unendlich auf ihre Virginia-Woolfpack-Gang. Bandprobe! Musik machen! Das war ihr Leben. Damit ließ sich alles andere aushalten! Einen Song schreiben, gemeinsames Proben, auf der Bühne stehen – für sie gab es nichts Vergleichbares auf der ganzen Welt. Morgen, mittags, abends, und vor allem während des Jobs – zwischen Calzone und Pizza Hawaii – konnte sie an nichts anderes denken. Leider waren Proben wegen der Schule schwierig gewesen. Doch zum Glück trafen sie sich seit letzter Woche wieder regelmäßig. Ella konnte es kaum mehr erwarten. Mit ungeahnter Energie trat sie in die Pedale und war im Nu auf dem Radweg am Isarufer.

Je mehr sie sich dem Zentrum näherte, desto öfter musste sie in den Maximiliansanlagen Fußgängern ausweichen, die ungerührt auf dem Radweg spazierten, schnaufenden Joggern – oder irren Radfahrern, die sich ohne Rücksicht auf Verluste klingend vorbeidrängten. Deshalb überquerte sie am Friedensengel die Isar und zog auf der Luitpoldbrücke an den Pendlern vorbei, die in ihren Autos genervt Stoßstange an Stoßstange stadtauswärts standen.

Am anderen Ufer bog sie auf den breiten Radweg ein und kam nun schneller voran, vorbei an der Praterinsel und am Deutschen Museum. Vom Flussufer zog der Duft nach Grillanzünder herauf und am Reichenbachkiosk stand eine lange Schlange. Unten am Isarstrand war wie immer die Hölle los. Familien mit Kind und Kegel hatten ihre Picknickdecken ausgebreitet, in der Isar standen die Leute und ließen sich die Sonne auf den Bauch scheinen, Frisbees und Federbälle flogen auf den Wiesen hin und her.

Sie schlug den Weg Richtung Schlachthofviertel ein. Lächelnd dachte sie an die Anfangszeiten der Band. Damals hatten sie noch in Romys Keller geübt. Keine von ihnen hatte wirklich ein Instrument spielen können. Bis auf Romy. Ihre Eltern hatten ihr früh Schlagzeugunterricht organisiert. Es sollte wohl so eine Art Antiaggressionstherapie sein. Allerdings war die Maßnahme nicht sonderlich erfolgreich gewesen.

Damals waren sie auf jeden Fall noch völlig unbekümmert an die Sache herangegangen. Obwohl sie ehrlich gesagt furchtbar schlecht spielten, hatten sie sich an Coverversionen ihrer Lieblingslieder gewagt und von einem Popstarleben geträumt. Mit der Zeit waren sie besser geworden. Auch wussten sie bald, was sie wirklich wollten. Nämlich ihr eigenes Ding machen. Musik ganz unabhängig von Likes und Klicks. Vor allem Anaïs, Ellas beste Freundin, lehnte jede Art von Kommerz entschieden ab.

Nach und nach hatten sie sich mit ihrer Musik auch eine kleine Fangemeinde erspielt. Diese bestand zwar in erster Linie aus Mitschülern und Freundinnen, aber hey! So wie es war, war es perfekt! Allerdings hätte Ella nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn es noch ein klitzekleines bisschen perfekter wäre – oder anders perfekt. An einer vierspurigen Kreuzung sprang die Ampel auf Rot. Ein langer Lastwagen zog lärmend an ihr vorbei. Die qualmigen Dieselabgase brachten sie zum Husten.

Wieder einmal kam ihr der Gedanke, ob es nicht auch einen Mittelweg geben könnte zwischen total ehrlicher Indie-Musik und ein bisschen mehr Erfolg. Insgeheim hatte sie nämlich der Verdacht beschlichen, dass sie das Abi in den Sand setzen würde. Sie stand einfach mit zu vielen Fächern auf Kriegsfuß – und Physik war ihr absoluter Endgegner. Und überhaupt – wie sollte es danach weitergehen? Denn egal ob mit oder ohne Abitur: Am liebsten würde sie ohnehin nur noch Musik machen. Wie wäre es wohl, wenn Virginia Woolfpack ein kleines bisschen mehr sein wollte? Was könnte dann nicht alles geschehen? Doch leider zogen ihre Freundinnen da nicht richtig mit. Letzte Woche hatte Ella ihnen ganz vorsichtig die Teilnahme an einem Song Contest vorgeschlagen. Aber Anaïs hatte gleich abgewunken, noch bevor die anderen sich die Idee überhaupt genauer anhören konnten.

Endlich war sie am Ziel. Auf dem Gelände des Großmarkts hatte die Band ihren Hideout: ein mit Paletten und Luftmatratzen ausgestatteter Spot auf dem Dach des ehemaligen Verwaltungsgebäudes, nicht weit von dem auf einer Eisenbahnbrücke gestrandeten Dampfer der Alten Utting. Es war ganz einfach, über eine Mauer und eine rostige Leiter nach oben zu klettern. Romy hatte den Zugang letztes Jahr bei einer ihrer halsbrecherischen »Ich beweis euch jetzt, wie tough ich bin«-Aktionen entdeckt. Das erste Mal Hochklettern fühlte sich total krass an. Aber jetzt war der Weg für Ella wie ein Weg nach Hause. Ohne abzubremsen, sauste sie mit ihrem Rad durch ein eingetretenes Tor auf das verlassene Gelände. Die letzten Meter raste sie über löchrigen Asphalt, durch Staub und Scherben.

4. Kapitel

Wartet ihr schon lang?« Keuchend erklomm Ella die Leiter zu ihren Freundinnen aufs Dach des alten Verwaltungsgebäudes. Die tief stehende Sonne zauberte ein magisches Glühen auf die Umrisse von Gleisanlagen und Strommasten und das Gelände des angesagten Bahnwärter Thiel auf der anderen Seite. Anaïs bemerkte, wie abgehetzt Ella aussah, und winkte sofort beruhigend ab: »Wir warten nicht, wir sind.«

Cahide nickte. »Deep.«