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Ein Miniunterseeboot durchpflügt die dunklen Tiefen des beschaulichen Diemelsees auf dem schmalen Grat zwischen Sauerland und Waldeck. Bei der spektakulären PR-Aktion für eine Ferienhaussiedlung an den bewaldeten Hängen des St. Muffert wird die Leiche eines 16-jährigen Jungen gefunden. Wer begeht eine so abscheuliche Tat? Doch es ist der Sohn einer bekannten Politikerin, die keine Grenzen kennt. Damit gibt es Tatverdächtige wie Kiesel am Diemelseestrand. Und spätestens als die Richterin Carolina Piechottka eine zwielichtige Gestalt in Notwehr erschießen muss, wird es erst recht kompliziert. Das bekannte grenzüberschreitende Ermittlerduo Jo Nigge und Wil Wagner behält auch im dritten Fall den Überblick – wie immer unterstützt von der Vermessungsingenieurin Susie Balkenhol. Selbst der für gewöhnlich zurückhaltende Messgehilfe Schorsch Vorderwülbecke läuft zur Hochform auf - und das kurz vor dem Frühstück! In der sagenhaften Kneipe "Zum sturen Landmesser" kommt man dem Mord auf die Spur. Für eine ordentliche Pressearbeit hat ihnen das Innenministerium diesmal eine Kommunikationsexpertin verordnet. Da kann doch nichts mehr schiefgehen? …
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Seitenzahl: 311
Veröffentlichungsjahr: 2023
Über den Autor:
Frank L. Mause, geboren 1964 in Bruchhausen an den Steinen (Hochsauerland), war knapp 10 Jahre bei der Bundeswehr und studierte dort Geodäsie, bevor er in die hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation eintrat. Er ist heute Leiter einer Landesbehörde in Korbach, hat vier erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in Bad Arolsen.
Mause hat inzwischen drei jeweils in sich abgeschlossene Grenzkrimis mit dem bekannten Ermittlerduo Jo Nigge und Wil Wagner als Taschenbuch bzw. E-Book veröffentlicht (Zusammenfassungen am Ende dieses Buches):
Mord(s)genau
Jetzt wirdʼs grenzlich (2018)
(M)Ortsgericht
Es bleibt grenzlich (2021)
Alles (m)ordentlich?
Ein Grenzkrimi am Diemelsee +/- 3 cm (2023)
Alles (m)ordentlich?
Ein Grenzkrimi am Diemelsee +/- 3 cm
Von Frank L. Mause
Warnhinweis:
Die Charaktere sind, trotz regionaltypischer Nachnamen, allesamt frei erfunden: Nichts entspricht der Wahrheit. Ähnlichkeiten mit Personen und Begebenheiten sind folglich zweifellos ziemlich zufällig.
© Dezember 2023 Frank L. Mause
Website: www.frankmause.de
ISBN 978-3-384-04828-8 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-384-04829-5 (E-Book)
Druck und Distribution im Auftrag des Autors: tredition GmbH
Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter:
Frank Mause
Helser Weg 18, 34454 Bad Arolsen,
Germany
Cover
Titelblatt
Urheberrechte
Prolog
Kapitel 1: MORDERMITTLUNGEN ERFOLGREICH ABGESCHLOSSEN
Kapitel 2: PETRÓLEO VENEZUELA MELDET KONKURS
Kapitel 3: LEICHE TAUCHT AUS DEN FLUTEN DES DIEMELSEES AUF
Kapitel 4: SCHWIERIGE VERHANDLUNG VOR DEM AMTSGERICHT BRILON
Kapitel 5: NEUES VOM DIEMELSEEMORD
Kapitel 6: NOCH KEINE HEISSE SPUR IM DIEMELSEEMORD
Kapitel 7: STAUMAUER WIRD VOLLSANIERT
Danksagung:
Personenregister
Das Sauerland in Zahlen und Fakten
Die Grenzkrimi-Bibliografie
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Die Grenzkrimi-Bibliografie
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Prolog
RICHTERIN CAROLINA PIECHOTTKA seufzte innerlich. Der Pflichtverteidiger, in Fachkreisen bevorzugt der Philosoph genannt, setzte zu seinem gefürchteten Plädoyer an. Obwohl der Fall glasklar daherkam, nutzte der Verteidiger die Gelegenheit: Er ließ die spärlichen Besucher der Verhandlung im klassizistischen Bau des Amtsgerichts Brilon wortreich und weitschweifig an seinen eingebildeten rhetorischen Fähigkeiten teilhaben. Das konnte dauern, mindestens.
Ihre Gedanken flüchteten zu dringenderen Problemen, während ihr Gesicht mit dem schon zu Studienzeiten eingeübten Pokerface auf Standby schaltete. Der Fall um den Mord an dem flüchtigen Rentmeister war von der Kripo schnell abgeschlossen und an die Anklagebehörde abgegeben worden1. Dass die Richterin höchstselbst da mittendrin steckte, nach Aktenlage überhaupt kein Thema, nicht mit einer einzigen Silbe. Das entsprach vollkommen ihrem ursprünglichen Plan: Sie hielt sich zwar zur Tatzeit am Tatort auf, aber ihr Alibi hatte sie wasserdicht kalkuliert und meisterhaft umgesetzt. Und schlussendlich wollte sie den Mord schon selbst begehen, doch war ihr jemand zuvorgekommen. Leider konnte sie sich keinesfalls sorglos zurücklehnen: Falls sie als Repräsentantin der Jurisprudenz mit der Tat in Verbindung gebracht würde, könnte sie sich nach einem gänzlich neuen Leben umsehen. Beruhigend: Die Polizei ging von einem Einzeltäter aus. Natürlich hatte sie selbst keinen Zugang zu den Akten der ermittelnden Staatsanwaltschaft, jedoch der Rechtsreferendar, den sie derzeit betreute. Und im Manipulieren von Menschen zeigte sich die Richterin gewohnt kenntnisreich. Die Ausbildung des begriffsstutzigen Nachwuchsjuristen war lästig, erwies sich aber in diesem Fall als ausgesprochen dienlich.
Also alles gut? Vielleicht, sogar wahrscheinlich, aber eben nicht summa cum laude und damit unter ihrem Niveau! Denn sie stand vor einem minimalen Problem: Es existierte ein Zeuge, der sie mehrmals mit dem Mordopfer zusammen gesehen hatte – unter ziemlich ungewöhnlichen, nicht nur strenggenommen sogar rechtswidrigen Umständen, um exakt zu sein. Wenn sie dieses Problem nachhaltig beseitigen wollte, musste dieser Zeuge zum Schweigen gebracht werden – und zwar endgültig!
Und dann gab es noch diesen Dorfsheriff Nigge. Der hatte unverschämterweise ihre ausgeklügelten Pläne durchkreuzt, wenn auch ohne ihre Rolle zu kennen oder die wahren Hintergründe zu ahnen. Dafür sollte dieser Möchtegern-Cop büßen: Alles in ihr schrie nach Rache! Sie versuchte, das Wort zu schmecken, wie einen kalten, jedoch besonders süßen Nachtisch.
Nebenbei registrierten ihre auf Durchzug gestellten Ohren, dass das Plädoyer des Philosophen geendet hatte. Ein Blick auf den weit vorgerückten Zeiger ihrer Armbanduhr verriet einen neuen Rekord. „Danke, Herr Verteidiger. Ich denke, jetzt ist Zeit für eine kleine Pause.“ Ihr Blick fiel auf den Angeklagten, einen groben Klotz von knapp zwei Metern Sehnen und Muskeln und höchstwahrscheinlich nur wenigen Gramm Gehirnmasse. Sie sollte sich vor der Urteilsverkündung mit ihm unterhalten – und zwar allein. Das sah die Strafprozessordnung so nicht vor. Aber ‚wo kein Kläger, da kein Richter‘, dachte sie lächelnd. Vielleicht konnte der Angeklagte im Gegenzug bei ihren Problemen für klare Verhältnisse sorgen.
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1 Grenzkrimi 2: „(M)Ortgericht – es bleibt grenzlich“ [2021]
Kapitel 1
Sonntag, 13. Oktober 2019
MORDERMITTLUNGEN ERFOLGREICH ABGESCHLOSSEN
JO NIGGE konnte es nicht fassen. Wie hatte das nur passieren können? Statt den Abschluss der Ermittlungen zu feiern, stand er verlegen neben Susie im Tanzstudio und ließ seinen Blick über ein halbes Dutzend Tanzwillige voller Erwartungen schweifen. Warum hatte er ausgerechnet gegen Susie wetten müssen? Sie gewann jede Wette, in der es um Zahlen ging. Der fällige Wetteinsatz: ein kompletter Tanzkurs! Und das alles an seinen dienstfreien Sonntagen.
„Jo!“
Er spürte ihren spitzen Ellbogen in seiner Seite.
„Mhm?“
„Jo, du sollst mich vorstellen“, zischte seine Freundin leise.
Ach ja, jeder sollte in der ersten Stunde nicht sich selbst, sondern seinen jeweiligen Tanzpartner präsentieren. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er an der Reihe war. „Äh, also, … ich meine …“, stotterte er verwirrt. Die Tanzlehrerin sah ihn aufmunternd an. Was bei allen vorläufigen Festnahmen sollte er nur sagen? Er war doch sonst nicht auf den Mund gefallen! „Tja, das ist Susie“, würgte er mühsam raus.
„Und weiter?“, entfuhr es seiner langjährigen Freundin enttäuscht. „Aber sag jetzt bloß nicht wie alt und wie schwer, sondern wie wir zueinander stehen.“
„Wie wir zueinander stehen?“ Perplex schwieg er eine Weile. Gehörte das hierher? Dann: „Bestens, wenn du mich fragst.“
„Jo! Jetzt hast du einen Moment zu lange gezögert.“
„Ach so, ja, also nein, eine, äh, alte, ich meine, sie ist eine Freundin von mir“, tröpfelte es verwirrt aus ihm. Am liebsten hätte er seine Pistole gezogen und sich den Weg freigeschossen, zumindest aber die Flucht ergriffen. Doch hier saß er in der Falle. Alle starrten ihn neugierig an.
Susie verdrehte in der ihr unnachahmlichen Weise die Augen. „Typisch Jo. Also ich fahre fort: Das ist Jo, von dem ich annahm, wir seien zusammen. Und nein, diese Tanzstunde ist für uns keine Paartherapie.“
Was für eine Katastrophe. Jo sehnte sich in den Sturen Landmesser bei einem dunklen Feldsteinpilsken.
„Bist du nicht der Inspektor, der den Mord am Rentmeister aufgeklärt hat?“, kam es von der Tanzlehrerin.
„Kommissar“, entfuhr es Jo automatisch. „Können wir jetzt mit dem Tanzen loslegen?“
„Selbstverständlich, sobald sich alle vorgestellt haben.“
Jo bekam den Rest gar nicht mehr mit. Er war damit beschäftigt, im blankpolierten Tanzboden zu versinken. Wenn er das hier überlebte, musste er auswandern, zumindest aber auf einen Trip in den Sturen Landmesser.
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WIL WAGNER kuschelte sich behaglich in seinen Ohrensessel und ließ die Gedanken schweifen. Das rhythmische Klackern der Stricknadeln übte einen beruhigenden Einfluss auf ihn aus. Doch zwei-linkszwei-rechts später konnte er nicht verhindern, dass ein Gefühl der Leere in ihm aufstieg. Das passierte an Sonntagen häufig. Seltsam, hatte er sich doch ins Waldeckische versetzen lassen, um nach der ständigen Überlastung in der Mainmetropole seine Ruhe zu haben. Und nun machte ihm genau das zu schaffen: Die Arbeit hier bestand zum größten Teil aus Routine. Es war wie mit dem Geld, die einen hatten zu viel, die anderen zu wenig, aber niemand hatte die genau richtige Dosis.
Sehnsüchtig dachte er an die vergangenen Tage. Die Zusammenarbeit mit Jo von jenseits der Landesgrenze zeigte sich für ihn als beste Therapie. Nachdem sie sich ständig gerauft hatten, passten sie inzwischen zusammen wie Topf und Deckel, Yin und Yang, Sauerländer und Waldecker – oder so ähnlich. Durfte man sich ein grenzüberschreitendes Verbrechen wünschen, damit sie wieder gemeinsam ermitteln konnten?
Mist, das Wollknäuel war alle. In der Schublade musste doch noch eins in der richtigen Farbe rumliegen? Nein! Suchend schaute er sich um: nichts! Nachdem er in seiner kleinen Willinger Wohnung das Unterste zuoberst gekehrt hatte, schloss er mit scharfem, kriminalistischem Verstand, dass er einem Gedächtnisirrtum unterlegen war. Sein bevorzugtes Fachgeschäft in Bad Arolsen hatte längst geschlossen und selbst die Wunderwelt des Internets lieferte kaum spontan am heiligen Sonntag ins Upland. Er seufzte. Jetzt half nur noch ein Besuch im Sturen Landmesser.
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JO NIGGE sog das vertraute Knarren der Tür in sich auf, als er den Schankraum betrat.
„Hallo Onkel Au, wie geht es dir?“
„Dem jugendlichen Alter entsprechend.“
Jo musste grinsen. „Was soll ich denn da sagen? Heute Morgen habe ich erstmals ein graues Haar entdeckt. Wenn das so weitergeht, habe ich bald eine graue Matte!“
„Ich wäre froh, wenn ich graue Haare hätte. So bleibt mir nur, die Platte zu polieren.“
„Wenn dich das stört: Gibt es da nicht Wässerchen für?“
„Solange es Frisöre mit Glatze gibt, kaufe ich kein Haarwasser“, kam es entschieden zurück. „Außerdem: Haare werden überschätzt.“
„Und sonst?“
„Ganz okay, nur meine Blase mutiert nachts zum Stundenglas.“
„Vielleicht etwas weniger beim Zapfen tanken?“
„Ach, das bisschen Beifang! Apropos trinken: Willsse ´nen Bier?“
Sieben Minuten später stürzte Jo das dunkle Pilsken herunter. ‚Kein Bier vor Vier‘ galt eben nicht im Sauerland und schon gar nicht an Wochenenden. Ohne eine weitere Bestellung abzuwarten, zapfte Onkel Au ein neues. Nach der Tanzstunde war Susie wortlos entschwunden. Abschiedskuss? Fehlanzeige! Beim heiligen Valentin, wie sollte er das nur wieder kitten?
„Probleme?“ Onkel Au stellte ihm das Feldsteinpils auf den fleckigen, mit unzähligen Strichen umsäumten, Bierdeckel. Vielleicht sollte Jo den Lattenzaun endlich bezahlen.
„Ach Onkel Au …“, begann er und brach abrupt ab.
„So schlimm?“
„Eine Katastrophe!“ Jo fragte sich, wie viele derartige Geschichten der Gastronom in seinem langen Leben schon hatte anhören müssen: ein Psychiater auf Gerstensaftbasis. Ob Onkel Au was ahnte? Letztlich kannte ihn der Wirt seit Kindesbeinen und hatte eine fast unheimliche Kunst perfektioniert, in Jo hineinzuschauen.
Das Knarzen der Schanktür unterbrach seine finsteren Gedanken.
„N´Abend Leute!“
„Wil!“ Jo atmete auf. Als wenn das sein Kollege von jenseits der Landesgrenze geahnt hätte. „Herr Wirt, kannsse noch ein Eis zapfen?“
Onkel Au schlurfte zurück zur Theke und murmelte gedankenverloren: „Wenn Jo wieder die gleichen dummen Sprüche wie immer drischt, ist noch nicht alles verloren.“
Wil stürmte rein, klopfte seinem Kollegen auf die Schulter und ließ sich ächzend auf der Eckbank nieder. Dann stutzte er: „Jo, du siehst aus wie drei Tage, ach was soll ich sagen, mindestens vier Wochen Regenwetter.“
Jo winkte ab: „Ach komm, wir sind im Sauerland. Was willsse erwarten. Lass uns lieber besaufen.“
„Was ist denn los?“
Jo zuckte mit den Schultern.
„Schätze Ärger mit Susie“, kam es wie beiläufig von hinter dem Tresen.
Jo schaute beide wütend an. „Samma, habt ihr euch gegen mich verschworen, oder was? Kann man nichma in Ruhe sein Pilsken schlürfen?“
Wil zuckte zurück. „Holla, …“
Ein durchdringender, chaotischer Klingelton erfüllte den Schankraum. Automatisch griff Jo zu seinem Smartphone. Es war die Briloner Wache. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Wil ebenfalls sein Handy aus der Jackentasche kramte.
„Nigge?“, bellte er in das Mikro.
„Jo? Wir haben eine Leiche.“
„Am heiligen Sonntag? Ich komme, wo?“
„Am Diemelsee, Fährhaus am Nordufer. Und halt dich fest, es ist …“
„… ziemlich genau auf der Grenze zu Waldeck!“, ergänzte Wil grinsend. „Die paar Paar-Probleme mit Susie müssen warten, schätze ich.“
Jo boxte seinem Kumpan erleichtert in die Rippen. „Jetzt fängst du mit Flachwitzen an. Egal: Wir alle müssen in diesen Zeiten Opfer bringen. Darüber sprechen wir später.“
„Fahren wir mit meinem oder deinem Hobel?“
„Ich habe schon ein paar Pilsken gekippt. Besser du fährst.“
„Gern. Ist sowieso sicherer.“ Wil trat hastig den Rückzug an, bevor ihn Jo mit der flachen Hand erwischte.
„Onkel Au? Schreib´s auf den Deckel.“
„Der ist schon schwatt von Strichen.“ Von Jo kam keine Reaktion. „Ich fürchte, ich muss am Bierdeckel anbauen.“
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WIL WAGNER fuhr gemächlich die Diemelsee-Randstraße entlang. Die Kommentare Jos über seinen unaufgeregten Fahrstil ignorierte er inzwischen routiniert. Bald waren sie am Fährhaus. Eine Armada silbergrau-blauer Streifenwagen ließ das Blaulicht in einem bizarren Takt durch den Nachmittag zucken. Er sah sowohl Wagen mit Wiesbadener Kennzeichen als auch mit NRW auf den Nummernschildern. Rotweißes Flatterband knatterte im kühlen Wind.
Umständlich stieg er aus und knöpfte seine Jacke zu. Warum war es hier nur immer so kalt? Jo eilte schon längst den Weg herunter zum Ufer. Wil hingegen ließ sich Zeit und schaute sich die Umgebung in aller Ruhe an, während Jo schon mit den Streifenbeamten und der Kriminaltechnik palaverte.
Am Steg dümpelte ein seltsames Boot, es sah wie tiefergelegt aus, mit einem offenen Luk in einem niedrigen Turm. Neben dem Fährhaus waren zahlreiche weiße Klapp-Pavillons festgezurrt. Kameraleute vom Fernsehen geisterten zwischen den Beamten herum. Warum hatte die niemand des Feldes verwiesen? Und woher wussten die nicht nur Bescheid, sondern waren sogar vor der Kriminalpolizei da? Außerdem käme das TV kaum zu einem schnöden Mord in den hintervorletzen Winkel Nordrhein-Westfalens beziehungsweise Hessens, je nach Perspektive.
Wil wollte einen Tontechniker zusammenfalten, der seinen Weg kreuzte, als ihm siedend heiß einfiel, dass an diesem Wochenende die Dreharbeiten zu einer skurrilen Koch-Show mit einem speziellen U-Boot aus Rotterdam stattfinden sollten. Das hatte er in der Waldecker Post gelesen. Er stoppte einen Uniformierten mit hessischem Löwen am Oberarm. Pechschwarzes, dichtes Haar, dunkler Bartschatten, gebräunte Haut. Er kannte ihn nicht, nie zuvor gesehen, vermutlich aus Kassel. „Hallo Kollege, Wilke Wagner, Kripo Korbach. Was ist hier los?“
„Wilke?“, kam es misstrauisch.
„Kriminalhauptkommissar Wagner“, beruhigte ihn Wil und hielt ihm seinen Ausweis unter die Nase. Das hätte er sich denken können. Wilke assoziierte man in Waldeck immer noch in erster Linie mit Wurstwaren, obwohl die Firma längst liquidiert worden war.
„Ah, danke Herr Kommissar. Talay, Efrem Talay mein Name. Hier ist richtiges Chaos. Die Kollegen aus Westfalen waren schon da und wollten wie üblich alles an sich reißen. Aber keine Sorge, wir lassen uns nicht abdrängen!“ Der Mann wies vielsagend mit dem Kinn Richtung Steg, auf dem Jo lautstark mit einem Uniformierten der hessischen Polizei stritt, der demonstrativ die Arme vor der Brust verschränkt hatte.
Wil fasste sich an den Kopf. „Egal. Jetzt bin ich ja hier. Aber was können Sie mir berichten?“
Talay zuckte mit den Schultern: „Bei den Dreharbeiten in dem Tauchboot haben die glatt eine Leiche auf dem Grund des Diemelsees gefunden. Folglich riefen sie die 110. Der Notruf lief in Korbach auf. Der Kollege von der Zentrale glaubte zunächst, jemand wolle ihn verar… äh, … in den April schicken, weil der Anrufer aufgeregt in Niederländisch gefärbtem Deutsch davon berichtete, dass er mit einem U-Boot eine Leiche gefunden hätte. Der Intelligenzbolzen von Notrufmanager meinte, Korbach ist zwar Hansestadt, aber der Hafen am Kuhbach habe noch niemals ein Schiff, geschweige denn U-Boot gesehen und legte auf. Ha, ha, ha, typisch Kreisstadt-Humor.“ Er lachte gespielt übertrieben und verdrehte die Augen. „Immer diese Landeier.“
„Hallo!“, holte ihn Wil wieder in die Gegenwart zurück. „Und weiter?“
„Was? Als nächstes haben die vom Set dann die Wache in Brilon angerufen, die prompt eine Streife schickten. Unser Mann in der Zentrale erzählte mir lauthals lachend von dem Anruf, als ich die heutigen Einsatzberichte abgeben wollte. Ich habe ihn dann über die Dreharbeiten aufgeklärt, stand doch in der Waldecker, und bin schnell mit dem Streifenwagen hierher. Als ich die Streife aus Westfalen bemerkte, habe ich sie darauf hingewiesen, dass wir hier zuständig sind. Aber Sie wissen ja, wie die Sauerländer sind: stur wie das Finanzamt bei der Steuererklärung. Da habe ich Verstärkung aus Kassel angefordert. Schließlich ist das hier unser Land.“
Wil lächelte amüsiert. „Seit wann genau sind Sie in Waldeck? Ich kenne Sie gar nicht.“
Der Polizist verdrehte ungehalten die Augen. „Ich bin der Neue, wenn Sie das meinen, und ja, habe schon verstanden. Nur weil ich aus Frankenberg bin, werde ich wieder mal total ausgegrenzt!“
Der Hauptkommissar stutzte. „Efrem Talay ist aber kein typisch Frankenberger Name, oder?“, konnte er sich nicht verkneifen.
„Stimmt auffallend und erwischt, meine Eltern stammen tatsächlich aus Battenberg. Aber das kann einer aus Mainhattan wohl kaum wissen.“
Der Mann war zwar neu, doch offensichtlich über Wils Herkunft bestens im Bilde. Die dunklen Wellen plätscherten träge an den Kiesstrand. Das konnte ja heiter werden.
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JO NIGGE winkte Wil zu sich. „Komm doch mal bitte, Wil!“
Sein Kollege und Freund unterbrach das Gespräch mit einem Beamten in hessischer Uniform und bahnte seinen knapp zwei Zentnern einen Weg durch die aufgescheuchte Hühnerschar.
„Wil, ich denke, unsere Kollegen rennen sich gegenseitig über den Haufen. Wir sollten die Hälfte nach Hause schicken. Was meinst du?“
„Schon klar, aber welche Hälfte genau bekommt jetzt Feierabend?“
„Ach, du denkst immer so praktisch. Für die Sauerländer Seite bin ich mit Paul gut bedient. Und Kalle kann meinetwegen den Verkehr regeln. Da ist er in seinem Element.“
„Hm, scheint plausibel. Ich baue auf Rosa Schluckebier.“ Wil schien einen Moment zu überlegen. „Und dann auf den Neuen. Den kann ich gleich mit meinen Gepflogenheiten vertraut machen.“
„Ihr habt ungelogen in Korbach einen frischen Kollegen? Etwa strafversetzt?“
Wil boxte ihm in die Rippen. „Schließ nicht immer von dir auf andere.“
„Touché! Aber wenigstens brauchen wir uns bei der Kriminaltechnik nicht zu entscheiden. Die Westfälische aus Dortmund steckt im Stau auf der A44, die Bielefelder sind woanders gebucht.“ Jo riss plötzlich die Augen auf und röchelte ein entsetztes „Nein, nicht die schon wieder!“
Mit dem Schreibblock in der Hand stolzierte diese Tintenkleckserin Karla „Kolumna“ Bathen auf ihn zu. „Wie zum Teufel sind Sie hinter die Absperrung gekommen?“, fauchte er sie an.
Bathen blickte ihn hochmütig aus halbgeschlossenen Lidern an. „Na na, nicht so unfreundlich.“
„Beantworten Sie bitte meine Frage. Wobei das Wort bitte nur eine Höflichkeitsfloskel in einer polizeilichen Anweisung ist.“
„So? Der Herr Kommissar ist mal wieder im Unnahbarkeitsmodus.“
„Frau Bathen! Ich warte auf die Antwort.“
„Boah, fast wie im Fernsehen bei Hart aber Fair.“ Sie hob abwehrend die Hände, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. „Schon verstanden. Ich hatte eine Einladung von Jürn.“
Bathen grinste selbstgefällig. Schließlich provozierte sie mit der Beschränkung auf den Vornamen die nächste Frage. Und Provozieren schien ihr Lebensinhalt zu sein. Aber da hatte sie sich geschnitten. Den niederländisch-niederdeutsch klingenden Namen hatte er heute schon gehört. Klar, der finanzierte die Kochshow. „Herr Schreiner hat Sie eingeladen. Wozu?“
„Als exklusive Berichterstatterin zu der sensationellen Show, natürlich. Denn wer käme da eher in Betracht als ich?“
„Mir fielen da einige Alternativen ein.“
„Die hat er aber nicht gefragt“, kam es pikiert zurück. „Ich wiederhole: exklusiv!“
„So exklusiv wie Ihre Schützenfestberichterstattung?“ Er sah, dass das getroffen hatte. Der Punkt ging an ihn. „Waren Sie dabei, als die Leiche gesichtet wurde?“
„Leider nein, auf dem U-Boot war bedauerlicherweise kein Platz. Aber ich wartete hier am Ufer.“
„Ok, Sie können gehen.“
„Ach, ich sehe mich noch etwas um.“
„Welchen Teil von ‚Sie können gehen‘ haben Sie nicht verstanden?“
„Müssen Sie nicht meine Personalien aufnehmen?“ „Von einer so exklusiven Berichterstatterin?“
„Sparen Sie sich Ihre billige Ironie. Aber als Pressevertreterin habe ich ein Anrecht auf Informationen.“
„… von der Pressestelle“, ergänzte Jo. „Frau Bathen, das hatten wir schon. Und jetzt verlassen Sie bitte den Tatort.“
„Ich werde mich beschweren!“
„Auch das hatten wir schon. Aber wenn diese Beschwerde alles ist, was Sie vorzubringen haben, nehme ich das als Hinweis, auf dem richtigen Weg zu sein. Einen schönen Tach noch.“ Dieser Blick von der Bathen! Allein der war es wert, heute Morgen aufgestanden zu sein.
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Kapitel 2
Montag, 24. Juni 2019
PETRÓLEO VENEZUELA MELDET KONKURS
JÜRN SCHREINER zuckte zusammen.
„Sag mir, dass das nicht stimmt.“ Das kehlige Niederländisch seiner Mutter vibrierte drohend. Ihr Zeigefinger tippte anklagend auf den Titel des Leitartikels. Wenn seine Mutter so richtig in Rage geriet, konnte sie nichts bremsen.
„Mama, woher soll ich denn wissen, dass die Kurse dermaßen einbrechen.“
„Schreiner, bleib bei deinem Hobel, mijn Jong, hat de Grootvader immer zu uns Kindern gesagt! Wie kann man nur in venezolanische Öl-Aktien investieren, die eine Verdoppelung des Einsatzes nach sagenhaften drei Jahren versprechen?“
„Es war ein todsicherer Tipp.“
„Todsicher? Bist du zwakzinnig? Und dann Firmengelder!“
„Ich wollte doch auch zum Erfolg der Firma beitragen“, entgegnete er trotzig.
„Indem du unser Kapital verbrennst? Weißt du, was das für Domizilia heißt? Diesen Millionenverlust können nicht mal wir einfach als Peanuts verbuchen und abschreiben.“
Schreiner wusste, dass jetzt jedes Wort gefährlich sein konnte, also schwieg er lieber.
Die Augen seiner Mutter blitzten auf: „Ich sag dir was: Ich bin es leid, und zwar endgültig.“
„Mama! Was hast du vor? Willst du mich rausschmeißen? Komm schon, ich bin dein einziger Sohn!“
„Das ist mir nur zu bewusst.“ Seine Mutter straffte sich. Sie hatte folglich einen Entschluss getroffen und würde jetzt ihr Urteil verkünden, gegen das es keine Rechtsmittel gäbe: „Nee, so leicht mache ich es dir nicht. Du wirst den Verlust eben wieder reinholen müssen. Mir egal, wie. Hauptsache zum Jahresende sind die Bücher tipptopp in Ordnung. Hast du das verstanden?“
Erleichtert atmete Schreiner Junior aus. Nochmal Sahne gehabt.
Seine Mutter verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Aber Achtung, mijn Jong! Hör jetzt aufmerksam zu.“
Wie Jürn dieses joviale mijn Jong hasste. Was denn noch?
„Damit du die richtige Gelegenheit zum Geldverdienen erhältst, werde ich dir die Geschäftsführung von Vakantie Domizilia Duitsland übertragen.“
„Mama, ich … verstehe nicht.“
„Jürn, natürlich nicht, was kapierst du schon? Aber das kommt, glaube mir: Ich werde deinen Verlust in voller Höhe auf diese Teilgesellschaft übertragen. Und damit du dich auf die neue Aufgabe konzentrieren kannst, werde ich deine Prokura für alle anderen Gesellschaften der Schreiner-Groep löschen.“
Jürn wurde kreidebleich. „Du lässt mich eine Firma übernehmen, die von Beginn an pleite ist?“
„Oh, meine Medizin ist bitter, aber sie wirkt schon: Glückwunsch! Du hast es kapiert! Immer dran denken: Das hast du dir selbst zuzuschreiben. Abgesehen davon handelt es sich um ein Unternehmensteil mit prächtigem Potential. Unsere niederländischen Mitbürger sind inzwischen wie versessen auf eine Ferienwohnung in Ländern mit mindestens einem Dutzend Metern über dem Meeresspiegel, selbst wenn sie in diesem Duitsland liegt. Jetzt hast du die Chance, dich zu beweisen. Nutze sie, eine weitere erhältst du definitiv nicht.“
Jürn wusste, dass es zwecklos war, sie umzustimmen. Er brauchte dringend eine neue Geschäftsidee. Zeit, mal wieder den Coffee-Shop in der Slijkstraat zu besuchen.
#einen Monat später#
BEA SAMSTAG schlürfte genüsslich an ihrem Drink im teuersten Restaurant Kölns, als hätte sie alle Zeit der Welt.
„Bea, mach es nicht so spannend. Was willst du mir sagen?“ Die Programmleiterin „Kultur“ kam wie gewohnt gleich zur Sache.
„Ich habe eine neue Idee. Eine Riesensache!“
„So wie das Mordsding, das war dein Originalton, vom letzten Mal? Bei der selbst im vorabendlichen Werbefernsehen mehr Zuschauer registriert wurden? Die Antwort lautet ‚Nein, danke‘!“
„Jetzt hör doch erstmal zu!“
„Beaaa! Du bist nicht mehr die angesagteste Chefköchin des deutschen Showbiz. Und wolltest du nicht mit dem Saufen aufhören?“
Das war sowas von klar. Sie hielt ihr das bunte Glas unter die Nase: „Das ist Sinalco!“ Samstag hoffte, dass der Wodka von dem süßen Limoduft unauffällig überdeckt wurde. Sie hatte nur ein paar wenige Schlucke darunter gemixt.
„Mein Angebot: Du hast fünf Minuten.“ Die Programmleiterin schaute betont genervt auf die Uhr.
Samstag setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf: „Ein Knüller, du wirst sehen. Ich werde auf der Grenze zwischen Hessen und Westfalen kochen.“
„Das gab es schon bei der Konkurrenz im WDR“, kam es prompt gelangweilt.
„Mo-ment! Ich werde nicht auf, sondern im Diemelsee kochen.“
„Diemelsee? Sag ich doch: nichts Neues, auf der Fähre“, winkte die Direktorin ab.
„Ach?“ Die Fernsehköchin lächelte wissend.
Die Leiterin stutzte: „Moment, was meinst du mit im?“
Samstag nickte: „Genau das ist der springende Punkt. Ich werde in einem, halt dich fest, Unterseeboot ein spezielles Forellenmenü kreieren und zwar exakt auf der Landesgrenze.“
„Krass!“
„Ja, genau, nicht wahr?“
„Ich meine: Du spinnst!“
„Was? Das ist die Idee! Es ist alles durchgeplant. Brauchst nur ‚ja‘ zu sagen.“
„Du weißt doch, dass wir finanziell …“
Wie abgesprochen erschien Samstags Geldgeber an ihrem Tisch. „Darf ich vorstellen: Das ist Jürn Schreiner. Er wird den Dreh finanzieren.“
Der Angesprochene, im eleganten Zwirn, setzte sich dazu. Lässig schlug er die Beine übereinander. Sorgfältig gestutzter Oberlippenbart, kantiges Kinn, leichte Hakennase. „Goede dag, mijn Dames!“
„Guten Tag“, kam es lahm von der Programmleiterin. Sie schaute verdutzt von einem zum anderen. „Na, so ein Zufall!“
„Nein, natürlich nicht“, gab Samstag zu. „Aber die gesicherte Finanzierung unterstreicht die Machbarkeit. Das betonst du doch immer. Wie gesagt, ist alles durchgeplant.“
„Und die Mittel übernimmt Herr …“
„Schreiner. Aber bitte: Meine Freunde nennen mich Jürn.“ Seine deutsche Grammatik makellos, wenn auch im Tonfall attraktiv niederländisch eingefärbt.
„Schreiner? Da dämmert mir was. Sie sind doch nicht etwa von der Immobiliengesellschaft, die derzeit in Deutschland alles aufkauft, was nicht bei drei auf den Bäumen ist?“
„Genau! Schreiners Fijn Domizilia Groep.“
„Und Sie wollen eine ‚Kochshow‘ finanzieren?“
„Bitte, lassen Sie uns doch zum du übergehen. Und ja, das ist der Plan.“
Samstag sah, wie es in der Programmdirektorin heftig arbeitete. Dann erhellte sich ihre Miene: „Jetzt kapiere ich. Das ist Verstehen Sie Spaß und gleich erscheint Guido Cantz und grinst von einem Ohr zum anderen.“ Sie drehte sich mehrfach um und spähte in alle Ecken. „Guido, kannst rauskommen.“ Pause. Als nichts geschah, schüttelte sie den Kopf. „Kein verspäteter Aprilscherz?“
Schreiner und Samstag verneinten unisono.
„Ich weiß, das ist jetzt wenig romantisch. Aber kann ich mal Ihren Ausweis sehen?“
„Natuurlijk.“ Der Niederländer kramte in seiner Jackentasche. „Hier bitte.“
Die Programmleiterin musterte die ID-Karte mit dem gewohnt langweiligen biometrischen Foto. „Zumindest der Name stimmt.“
„Ach so, hier ist mein Firmenausweis.“
„Ihr meint das ernst, mit Unterseeboot und so?“
„Genau! Ich bin aus den Niederlanden, da ist ein U-Boot nicht ganz so normal wie ein Wohnwagen, aber sicherlich kein lila Einhorn. Genau genommen handelt es sich weniger um das Boot à la U96 im Kriegsfilm von Wolfgang Petersen, sondern um ein zweisitziges Tauchboot mit Glaskanzel im Bug.“
„Trotzdem. Ich wiederhole: Sie wollen einfach so eine Kochshow sponsern?“
„Ich verstehe. Geplant ist, dass das Arrangement beiden Seiten nützt. Ideal, nicht wahr? Sie bekommen eine originelle Show. Wir präsentieren im Hintergrund unauffällig eine neue Ferienhaussiedlung mit Blick auf den Diemelsee. Germany and Netherlands twelve points.“
„Bea, du kennst schon die Compliance-Regeln unseres Senders, oder?“
Die Köchin winkte ab. „Jürn hat alles von einer externen Medienberatungsgesellschaft rechtlich prüfen lassen. Zu Beginn der Sendung weisen wir mit ‚enthält Produktplatzierungen‘ darauf hin und alles ist in Sauce Hollandaise.“
#sechs Wochen später#
PETER WISTUBA lehnte sich zurück. „Vier Euro?“
Der Makler nickte ernst, der niederländische Akzent unverkennbar: „Satte vier Ocken, für jeden einzelnen Quadratmeter! So viel wie für sehr fruchtbares Ackerland - in der Warburger Börde. Und wir reden hier über kargen Waldboden in Helminghausen.“
„Und wie viele Morgen brauchen Sie?“
„Wie bitte? Morgen?“ Der Makler schüttelte irritiert seine Goldlocken.
„Also wie viel Fläche, wie viele Hektar?“
„Ah, insgesamt etwa fünfundzwanzig Hektar.“
„Hundert Morgen sind eine verdammte Menge.“
„Nun, nicht allein von Ihnen. Das sind nur grob zehn Hektar. Wir werden das notwendige Areal exakt ausmessen lassen. Dann wissen wir genau, welche Flächen benötigt werden.“
„Vermessen? Klingt teuer!“
„Das soll nicht Ihre Sorge sein. Zahlt alles die Vakantie Domizilia.“
„Was wollen Sie überhaupt mit den Flächen anfangen? Es ist doch nur hängiger Wald?“
„Wir werden dort einige Holzhütten zum Kampieren erstellen.“
„Hütten?“
„Exakt.“
„Zum Übernachten?“
„Genau.“
„Braucht man da nicht eine Genehmigung?“
„Darum kümmern wir uns. Die Planung ist längst nicht abgeschlossen. Wir haben bislang nur eine vorläufige Wirtschaftlichkeitsberechnung. Womöglich wird nichts daraus. Wer weiß? Dann treten wir natürlich vom Verkauf zurück und Sie behalten den Wald.“
Oha! Vielleicht sollte er doch schnell abschließen, bevor die es sich anders überlegten? Forstwirtschaft wurde in Zeiten des Klimawandels nicht einfacher. Egal, er sollte pokern: „Aber ich weiß doch noch gar nicht, ob ich überhaupt verkaufen will.“
„Herr Wistuba, ich schlage vor, wir lassen zunächst alles ausmessen. Danach unterbreiten wir Ihnen ein großzügiges Angebot. Sie können es sich dann immer noch überlegen.“
„Was ist mit dem aufstehenden Holz? Das ist üblicherweise nicht im Bodenwert enthalten.“
Sein Gegenüber zog die Augenbrauen hoch. „Daran haben wir kein Interesse. Sie können es abräumen und selbst verwerten.“
„Moment, Sie müssten es doch für ihre Hütten sowieso abholzen. Das heißt, ich würde Ihnen Arbeit abnehmen.“
Der Niederländer schnaubte: „Sie wissen zu verhandeln. Okay, den Aufwand für das Abräumen ersetzen wir Ihnen zu den aktuellen Bedingungen.“
„Hm, klingt fair.“ Das bedeutete für jeden Festmeter nochmal zusätzlich 80 bis 100 Euro. Ob der Makler das checkte?
„Ja, die Vakantia Domizila ist sowohl seriös als auch generös, wie mein Chef zu sagen pflegt. Ich benötige nur noch Ihre Unterschrift unter dem Vorvertrag. Hier bitte.“
„Unterschreiben?“
„Ja, wo das schwarze Kreuzchen prangt. Aber keine Sorge: Es ist nur ein Vorvertrag. Sie beauftragen uns nur mit der Vorbereitung. Hier steht es schwarz auf weiß: Die Kosten trägt die Vakantia Domizila, und die Vermessung verpflichtet keine der beiden Vertragsparteien.“
„Ja, aber was ist mit den ausgehandelten Bedingungen? Hinterher verschlechtern Sie kurz vor dem Abschluss die vereinbarten Grundlagen?“
Der Verkäufer verengte die Augen zu schmalen Schlitzen: „Die Konditionen verstehen sich als Mindestbedingungen.“
„Das steht hier aber nicht.“
„Also gut. Ich werde den Vorvertrag nochmal neu fassen lassen und Ihnen das Ergebnis zur Prüfung zusenden.“
#
JÜRN SCHREINER schüttelte ungläubig den Kopf. Vor ihm stand ein strahlender Bolle Borgard, der für ihn die Grundstücke erwerben sollte. „Du hast was?“
„Ja, Chef, einen Vorvertrag. Wir können gleich mit der Vermessung beginnen.“
Und der Leichtmatrose schien stolz darauf zu sein. „Vorvertrag!“ Verachtung tränkte jeden Buchstaben. „Dass du dich damit hertraust!“
„Aber Chef? Ich habe hart am Wind gesegelt! Mehr war nicht drin.“
„Was, wenn sich das der Waldbauer vom Silberwald anders überlegt?“
„Landei hin oder her. Der verhandelte sehr schlau. Ich musste ihm was bieten: vier Euro und das Gefühl, die Kontrolle zu behalten. Das ist das Achtfache des Werts von Waldboden. Außerdem braucht der Typ Geld.“
„Woher weißt du das?“
„Sein Holzvollernter ist kaputt.“
„Na, so ein Zufall.“
„Wie man es nimmt.“ Borgard grinste diabolisch. „Die Ölablassschraube ein klitzekleines bisschen aufgedreht und früher oder später reißt der Ölfilm.“
„Clever, so wie ich dich kenne. Aber reicht das? Der Typ ist doch kein Waldschrat. Der liest sicher noch Zeitung. Was, wenn der checkt, dass da mehr drin ist?“
„Chef, ich habe bisher jeden rumgekriegt, oder?“
„Ja, verkaufen kannst du.“ Schreiner erinnerte sich lebhaft daran, dass Borgard einmal die Herengracht in Amsterdam an eine chinesische Dumpfbacke ‚verkauft‘ hatte. Dumm nur, dass der einige einflussreiche Personen kannte. Wenn ihn Schreiner nicht da rausgehauen hätte, wäre Borgard im Knast verschimmelt. Seitdem hatte er einen treuen Helfershelfer. „Aber darauf soll ich mein Feriendorf bauen? Das ist mir zu riskant.“
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JÜRN SCHREINER nahm noch einen tiefen Schluck Genever in seiner Hotelsuite. So ein Großprojekt bedeutete ständig neue Probleme. Er kam sich vor wie ein Jongleur, dem ständig ein neuer Ball zugeworfen wurde. Er musste trotzdem alle Bälle im Blick und in der Luft behalten. „Was willst du mir eigentlich sagen?“
„Jürn, die hessischen Behörden werden eine Ferienhaussiedlung in dieser Größenordnung niemals genehmigen! Schon gar nicht am bewaldeten Hang des St. Muffert mit exklusivem Blick auf den Diemelsee.“ Der Immobilienhai seines Vertrauens vor Ort, Bolle Borgard, schüttelte betrübt den Kopf.
„Verstehe ich nicht. Am Niederrhein hat es doch auch geklappt.“
„Ja, das ist aber Nordrhein-Westfalen. Da sind sie neuerdings etwas lascher. Hier liegen die Flächen jedoch in Hessen, wenn auch nur knapp.“
„Du meinst, in den Bundesländern gelten unterschiedliche Regelungen? Die spinnen, die Deutschen.“
„So ist das hier eben. Die Bauordnungen ähneln sich zwar, sind aber im Detail durchaus verschieden. Dazu kommt, dass der politische Wille derzeit komplett konträr unterwegs ist. NRW wird im Moment von der konservativen Partei KDU regiert, Hessen von der Arbeiterpartei APD.“
„Ja, ja und?“
„Die politischen Verwaltungsspitzen legen alle Verordnungen in ihrem Sinne aus. Das ist nicht anders als in den Niederlanden.“
„Da können wir doch was machen, oder?“, warf die dritte Person im Raum ein, seine Expertin für harte Touren. Schreiner kannte sie unter dem Namen Sarah Münch. Er bezweifelte, dass es sich um ihren richtigen Namen handelte.
„Wie, ich verstehe nicht?“, fragte Borgard verdutzt.
„Kann man den politischen Verwaltungsspitzen eine andere Auslegung nahebringen?“
„Wie meinen?“
„Stell dich nicht so dumm an, Bolle. Kann man sie beispielsweise mit finanziellen Argumenten auf unseren Kurs bringen?“
Der Makler schaute entrüstet auf seinen Auftraggeber: „Chef! Die regierende Arbeiterpartei hat sich im Gemeinderat von Diemelsee sowie im Landkreis bereits öffentlich und endgültig festgelegt.“
„Mist, wie konnte das passieren? Wozu bezahle ich euch eigentlich?“
Borgard bekam große Augen, die Frau im schlichten Kostüm blieb jedoch ruhig: „Wenn Sie es wünschen, beende ich selbstverständlich mein Engagement für Ihre Firma. Meine Diskretion ist in meinem Rechnungsbetrag natürlich inbegriffen.“
Sie blieb eigentlich immer ruhig, was Schreiner nur noch mehr auf die Palme brachte. „Werd´ nicht albern! Wir sind nicht beim Fußball. Ich brauche Lösungen, keinen neuen Trainer.“
„Wie Sie wünschen. Können Sie die Siedlung nicht einfach auf der NRW-Seite bauen?“
„Red´ keinen Unsinn, Sarah! Zum einen hat Bolle schon dreiviertel der Flächen zusammengekauft, zum anderen bietet nur diese Fläche den perfekten Mix aus Sonnenuntergang und ungestörter Sicht auf den See bei gleichzeitiger Nähe zum Ufer. Es ist alles auf Kante genäht. Nein, es funktioniert nur dort.“