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Auf dem schmalen Grat zwischen Sauerland und Waldeck geschehen erneut seltsame Dinge. Ein Wisent als Mordwaffe? Ein Leichenfund bei Vermessungsarbeiten? Ein Dorfschullehrer unter Verdacht? Was hat eine Richterin mit uralten Riten rund um die Bruchhauser Steine zu tun? Und ein wildgewordener Rentmeister, der unbedingt einen Vierundzwanzigender erlegen will. Die beiden Kriminalpolizisten Jo Nigge und Wil Wagner arbeiten wieder grenzüberschreitend im Team - unterstützt von der Vermessungsingenieurin Susie Balkenhol. Diesmal unter den Argusaugen der Consulting-Firma MuMPAC, die den Beamten das richtige Geldausgeben beibringen soll. Kann das gutgehen? ...
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Seitenzahl: 344
Veröffentlichungsjahr: 2021
(M)Ortsgericht
von Frank L. Mause
Warnhinweis:
Zugegeben: Die Geschichte habe ich mir von Anfang bis Ende nur ausgedacht; die Charaktere sind, trotz regionaltypischer Nachnamen, allesamt frei erfunden: Nichts entspricht der Wahrheit. Ähnlichkeiten mit Personen und Begebenheiten sind folglich zweifellos ziemlich zufällig. Auch die Szenen mit historischen Figuren sind meiner Fantasie entsprungen.
Der deutsche Wortschatz wird mit bis zu 500.000 Wörtern veranschlagt. Obwohl sich daraus theoretisch eine ungeheure Anzahl möglicher Kombinationen ergibt, kann ich nicht gänzlich ausschließen, dass die ein oder andere Wortkombination schon mal irgendwer irgendwann irgendwo gedacht, gesagt oder notiert hat. Es ist alles nur Spaß und keine wissenschaftliche Abhandlung.
Buchbeschreibung:
Auf dem schmalen Grat zwischen Sauerland und Waldeck geschehen erneut seltsame Dinge. Ein Wisent als Mordwaffe? Ein Leichenfund bei Vermessungsarbeiten? Ein Dorfschullehrer unter Verdacht? Was hat eine Richterin mit uralten Riten rund um die Bruchhauser Steine zu tun? Und ein wildgewordener Rentmeister, der unbedingt einen Vierundzwanzigender erlegen will.
Die beiden Kriminalpolizisten Jo Nigge und Wil Wagner arbeiten wieder grenzüberschreitend im Team - unterstützt von der Vermessungsingenieurin Susie Balkenhol. Diesmal unter den Argusaugen der Consulting-Firma MuMPAC, die den Beamten das richtige Geldausgeben beibringen soll. Kann das gutgehen? …
Frank L. Mause
Es bleibt grenzlich:
(M)Ortsgericht
Der zweite Grenzkrimi vom schmalen Grat zwischen Sauerland und Waldeck
Regionaler Kriminalroman
September 2021
www.frankmause.de
Copyright © 2021 by
Autor und Umschlaggestaltung:
Frank L. Mause
Verlag und Druck:
tredition GmbH
Halenreie 40-44
22359 Hamburg
1. Auflage 2021
Paperback:
978-3-347-34727-4
E-Book:
978-3-347-34728-1
weitere Informationen unter
https://www.frankmause.de
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Über den Autor:
Frank L. Mause, geboren 1964 in Bruchhausen an den Steinen (Hochsauerland), war knapp 10 Jahre bei der Bundeswehr, studierte dort Geodäsie, bevor er in die hessische Verwaltung für Bodenmanagement und Geoinformation eintrat. Er ist heute Leiter einer Landesbehörde in Korbach, hat vier erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in Bad Arolsen.
Mause hat bereits zwei Taschenbücher veröffentlicht (Zusammenfassungen am Ende dieses Buches):
„Der ganz reale Tod – Verloren zwischen Netz und Wirklichkeit“ (2016), ein Science-Fiction-Thriller und
„Mord(s)genau – jetzt wird’s grenzlich“ (2018), der erste Grenzkrimi, ebenfalls ein in sich abgeschlossener Roman.
Inhaltsverzeichnis
Prolog: Die allerletzte Prozession
Niemand überholt die Presse
Vertrauen ist gut, Controlling besser
Astronomie interessiert kein Schwein
Morgenstund mit Knochenfund
Jäger des verlorenen Schatzes
Moderne Hexen denken hexagesimal
Die Richterin wird´s richten
Wer Pils predigt, sollte kein Kölsch trinken
(M)Ortsgerichtstag
Vom Jäger zum Gejagten
Rache ist B lutwurst
Quod erat demonstrandum
Anhang
Personenregister
Stilgerechtes Essen
Thema Wetter
Prolog: Die allerletzte Prozession
#Vor- und Frühgeschichte#
DER HIMMELSMANN schritt würdevoll voran. Noch blieb der Stamm friedlich. Aber jeder weitere frostige Tag zerrte an seiner Geduld. Der frisch polierte Hut aus fremdem Metall drückte schwer auf seine Stirn. Heute trug er zum ersten Mal den Heiligen Hut: die Verbindung seines Stammes zu den Ahnen, Stammvater Isto und den Göttern. Der verkrustete Schnee unter seinen Füßen knirschte laut. Wo blieb nur die Sonne, um den zornigen Winter zu vertreiben? Die Männer schwiegen mutlos, die Kinder und Frauen wimmerten matt vor Hunger.
Im Schatten der Götterfelsen hatte der Schamane für jeden Tag eine der alten Marken an der heiligen Esche mit Holzkohle schwarz gefärbt. Unter diesen Zeichen, die Stammvater Isto selbst in das Holz geritzt hatte. Ein eiskalter Luftzug fuhr ihm durch den grob gewebten Stoff. Gut so: Wind war nötig, um die tiefgrauen Wolken von Istos Berg zu vertreiben. Hinter sich hörte er sein Gefolge durch den Schnee stapfen. Heute würde ein neuer Lebenskreislauf einsetzen, das spürte der Schamane deutlich durch seinen Heiligen Hut. Aufmerksam hörte er auf die Vogelstimmen. Nicht mehr lange und der Herr des Himmels würde erscheinen. Gestern hatte der Himmelsmann endlos in der eisigen Luft ausgeharrt. Vergeblich: Die dichte Wolkendecke hatte den leuchtenden Gott verborgen, so wie seit Wochen. Doch heute frischte der Wind auf und scheuchte die Wolkensippen über den Himmel. Er horchte auf die Stimme des Heiligen Huts: Das dumpfe Summen und Rauschen in seinen Ohren klang bislang nicht gerade verständlich, aber verheißungsvoll. Heute würde das Warten ein Ende haben.
Der Himmelsmann blieb stehen, breitete die Arme aus: Ein Wolkenloch jagte heran, rötlich-goldenes Licht strahlte durch die Lücke. Endlich, die Sonnenscheibe des Herrn! Erleichtertes Seufzen hinter ihm. Jetzt hatte die Sonne langsam die Felsenkante erreicht, hauchte ihren lebensspendenden Odem auf Istos Thron. Er stimmte den uralten Himmelsgesang an. Die Menge folgte ihm, erst leise und zögernd, dann immer lauter und kräftiger. Langsam schritt er weiter, entlang der doppelten Spur des Himmelspfads, den Blick Richtung Sonne gerichtet. Genau hundert Atemzüge lang. Pure Erleichterung durchströmte ihn. Nur wenige Sonnenaufgänge, und die Sippe übergäbe das Saatgut Mutter Erde. Wie in Trance schritt er immer weiter. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass der Stamm aufgehört hatte zu singen.
Unwillig wandte sich der Schamane um. Der Sonnengott durfte nicht erzürnt werden. Er sang lauter, gestikulierte mit den Armen, doch niemand hörte auf ihn. Er sah pures Entsetzen in ihren geweiteten Augen, starr auf die Morgensonne hinter ihm gerichtet. Was war los?
Beunruhigt wandte er sich wieder Richtung Sonne. Angestrengt blinzelte er in das gleißende Licht: Unmöglich! Etwas schob sich vor den Gott des Taghimmels, mit jedem Atemzug ein gnadenloses Stückchen.
Der Wind peitschte schneidend über sein Gesicht. Seine Augen brannten. Doch er konnte den Blick nicht wenden: Ein schwarzer Schatten fiel auf das Antlitz des Himmelsherrschers, fraß sich unaufhaltsam durch das Licht des Gottes, wie ein erlöschendes Feuer. Dunkelheit umfing ihn. Hoffnungslos begann die Sippe zu klagen.
Er hatte versagt. Das Wehgeschrei schlug in Wut um. Etwas fegte ihm den Heiligen Hut vom Kopf. Ein Wurfspieß hatte das dünne Metall durchschlagen. Jetzt lag er direkt vor ihm, von einem Speer durchbohrt und in den Dreck genagelt! Blankes Entsetzen explodierte in seinem Kopf. Fassungslos vermochte er sich nicht zu bewegen, schon gar nicht umzudrehen. Ein metallischer Knall löste seine Erstarrung: Ein Stein hatte den Hut getroffen. Der Himmelsmann ließ sich fallen, um das Heiligtum mit seinem Leib zu schützen. Erst traf ihn ein Steinbrocken, dann immer mehr, bis tausend Schläge auf ihn herab prasselten. All seine Kraft entfloh aus seinem Körper, anfangs tröpfelnd, darauf in Strömen. Schließlich blieb es dunkel – für immer.
#
DER MANN wachte schweißgebadet auf. Er atmete heftig, sein Puls raste. Es brauchte eine Weile, bis er verstand: Es war nur ein Alptraum. Sein Atem beruhigte sich allmählich. Undeutliche Bilder von einem metallisch glänzenden Helm blitzten auf, um dann wieder zu verblassen. Alles, was blieb, war ein hartes Klopfen an der Fensterscheibe. Er richtete sich im Bett auf und blinzelte in das Dämmerlicht. Von Windböen getrieben schlugen Hagelkörner hart gegen das Glas. Es war nur ein alberner Traum. Beruhigt dämmerte er noch einmal weg.
Niemand überholt die Presse
„Wir haben heute Dienstag, den
05. August 2019.
Kinners hömma, hier ist Radio Hochsauerland, der spannende Sender aus der Bezirkshauptstadt Arnsberg. Für euch exklusiv anne Arbeit euer gern gehörter Conférencier Konny Kracht mit eurer Lieblingsshow ‚Bis es Kracht‘, und das Wort des Tages heißt Schlaffanzuch. Wenn ihr diesen Begriff vernehmt, sofort melden und die Chance auf ein Wochenende in der Pension Wandertraum in Frettermühle, Gemeinde Finnentrop, sichern.
Das Wetter zeigt sich wie gewohnt nicht von seiner allerbesten Seite! Nieselregen von morgens früh bis abends spät und nachts mit Beleuchtung.
Aber jetzt erstmal die ersehnte Werbung. Dann etwas Fetziges aus den Neunzigern: ‚I am a Looser‘ von Beck.“
#
JO NIGGE nahm im Zeugenstand Platz.
„Name?“, donnerte die neue Richterin befehlsgewohnt.
Sie wirkte auf Jo wie die Stellvertreterin Gottes auf Erden, knapp vor dem Papst. Hier kam es darauf an, einen absolut sicheren Eindruck zu hinterlassen, wie er nur zu gut wusste. Jetzt bloß keinen Fehler fabrizieren. Er hatte nur einen Versuch. „Johannes Nigge.“
„Geboren?“
„Am 26. Mai 1995 in Olsberg-Hoperinghausen.“
„Beruf?“
„Polizeibeamter.“ Blöde Frage: Warum nur hatte er sich heute Morgen in die längst zu eng gewordene Uniform gezwängt?
„Soso. Wohnort?“
„Olsberg-Hoperinghausen.“
„Straße?“
„Hoperinghausen hat nur eine Straße.“
„Trotzdem, sie wird doch einen Namen haben!“
„Hoperinghausen ist gleichzeitig der Straßenname.“
Die Richterin schüttelte den Kopf: „Stimmt, das ist dieses völlig verschlafene Nest hinter den Steinen.“
Gedankenlosigkeit oder Provokation? Egal, hier war sie der Chef im Ring: „Jawoll, Frau Vorsitzende.“
Nach der obligatorischen Mahnung der Vorsitzenden Richterin Piechottka am Amtsgericht Brilon ging es gleich ans Eingemachte.
„Ihnen wird vorgeworfen, am Mittwoch, dem neunten Januar diesen Jahres, vor einer Kuppe auf der L743 zwischen Bruchhausen und Brilon-Wald das Auto mit dem amtlichen Kennzeichen HSK-WL 12345 überholt zu haben, obwohl eine Gefährdung des entgegenkommenden Verkehrs wegen der eingeschränkten Sicht nicht sicher ausgeschlossen werden konnte.“
„Das ist so nicht korrekt, Frau Vorsitzende.“
„So hat es die Zeugin Karla Bathen zu Protokoll gebracht.“
„Dann steht Aussage gegen Aussage.“
„Ach? Warum sollte Frau Bathen falsches Zeugnis ablegen?“
„Wieso sollte ich lügen?“
„Weil Sie keine Lust haben, zu Fuß zu laufen? Immerhin droht ein Fahrverbot gegen den Verkehrssünder.“
„War das eine Frage, Frau Vorsitzende?“
„Werden Sie jetzt nicht frech, Herr Kriminalkommissar Nigge! Sie glauben wohl, Ihre Uniform schützt Sie, macht Sie mit der Justiz gemein? Aber ich zeige Ihnen jetzt, dass an meinem Gericht andere Gepflogenheiten gelten als beim anscheinend aus gutem Grund frühpensionierten Vorgänger!“
Jo zuckte zusammen. Er und sein vorschnelles Mundwerk!
#gleich am nächsten Morgen#
JO NIGGE zog den Kopf ein, als seine Chefin die Westfälische so hart auf den Schreibtisch knallte, dass das Designer-Tässchen mit Espresso von der Untertasse kippte. Sie beachtete gar nicht, dass die tiefbraune Flüssigkeit eine schnell größer werdende Pfütze erzeugte. Gleich erreichte sie irgendwelche Papiere und Akten. Hoffentlich nichts Wichtiges. Naja, ihr Problem. Obwohl: Sie neigte dazu, ihre Schwierigkeiten in seine Probleme umzuwandeln.
„Sagen Sie jetzt bitte, dass das nicht wahr ist!“, fuhr sie ihn empört an. Ihre Frisur, heute wie ein kunstvolles Vogelnest geflochten, wippte gefährlich.
Jo zögerte. Doch Leugnen erschien ihm zwecklos: „Irgendwie schon, Frau Claaßen.“
„Das glaube ich jetzt nicht. Das glaube ich jetzt einfach nicht! Fährt mit dem neuen Dienstwagen und landet glatt auf der Titelseite der Zeitung!“
„Frau Claaßen, ich konnte doch nicht ahnen, dass ausgerechnet Karla Kolumna in ihrer fahrenden Handtasche auf der Landstraße im Schritttempo vor sich hin träumte.“
„Karla Kolumna?“
„Äh, die örtliche Lokalredakteurin der Westfälischen Landeszeitung, mit bürgerlichem Namen Frau Bathen. Kolumna ist nur ihr Künstlername.“
„Die nennt sich echt nach der Reporterin in den Benjamin-Blümchen-Geschichten?“
Jo verdrehte die Augen. Kein Humor, seine Chefin. „Nein, natürlich nicht, das mit dem Pseudonym ist ein Scherz.“
„So, ein Jux. Und ein flacher dazu: Sie lenken ab, Kollege Nigge!“ Aus ihrem Mund klang ‚Kollege‘ wie ausgespuckt. „Mussten Sie denn unbedingt überholen, so kurz vor der Kuppe?“
„Also Chefin, die Frau fuhr höchstens sechzig-siebzig, parkte sozusagen, und der Begriff Kuppe ist an dieser Stelle völlig übertrieben. Die ist flacher als meine Witze, da sieht man locker drüber hinweg.“ Zumindest, wenn man größer als eins-sechzig war, was man von der Zeitungstante beim besten Willen nicht behaupten konnte.
„Wie auch immer: Jedenfalls wird die angesagte aktuelle Aktion des Innenministers zur Verkehrssicherheit doch kaum gefördert, wenn ein Kriminalkommissar der Briloner Polizeistation mit dem Dienstwagen auf der Titelseite der örtlichen Presse prangt, wie er vor einer Kuppe überholt.“
Jo hätte Kolumna erwürgen können. Hatte Sie es wieder geschafft, ihn in Schwierigkeiten zu bringen. „Das Foto in der Zeitung verzerrt die Realität“, entgegnete er lahm.
„Das spielt überhaupt keine Rolle. Oder glauben Sie, dass würde auch nur eine Leserin, respektive eine potentielle Wählerin des Innenministers kapieren? Damit das klar ist: Sie absolvieren sofort ein Fahrsicherheitstraining, bevor Sie wieder einen Dienstwagen auch nur ansatzweise auf dem Parkplatz bewegen! Haben wir uns da verstanden?“
„Ach nee, das glaube ich jetzt nicht.“
„So? Ich dachte immer, Sie wären ein gläubiger Mensch? Mir egal, ob Sie das überzeugt. Ich bin Atheistin. Kommen Sie mir ja nicht ohne Teilnahmebestätigung der Kreisverkehrswacht zurück!“
„Ich habe Berufung eingelegt! Immerhin steht Aussage gegen Aussage. Sicher werde ich von einem richtigen Gericht freigesprochen. Diese neue Richterin hat alles, was ich zu meiner Verteidigung vorgebracht habe, als unglaubwürdig vom Tisch gewischt.“
„Was? Ziehen Sie die Berufung sofort zurück! Erstens schlachtet das die Presse doch nur noch mehr aus! Und was mag zweitens denn dabei schon anderes herauskommen? Glauben Sie, wegen eines profanen Verkehrssünders, der nebenbei sogar Bulle ist, wird das Justizsystem geändert?“
Mist, da hatte Jo nicht dran gedacht. Die Schreiberin würde diese Gelegenheit erneut nutzen, um ihm eins auszuwischen, weil er ihr damals beim Langenbergmord1 die Tour vermasselt hatte. Und die Richterin wirkte zweifellos durchsetzungsstark. Andererseits stand ja wahrhaftig Aussage gegen Aussage: kein Fahrer auf dem unscharfen Foto zu erkennen! Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Reporterin es unglaublicherweise während der Fahrt geschafft hatte, ihn zu fotografieren. Egal: Es drohte ein Fahrverbot, wenn es Kolumna gelänge, ihm zusätzlich eine konkrete Gefährdung des Gegenverkehrs anzuhängen.
Und das alles kurz vor dem Schützenfest in Bruchhausen!
#
WIL WAGNER steckte seinen Dienstausweis umständlich in die Innentasche seines makellosen Sakkos, obwohl er ahnte, was jetzt kam. „Nein“, sagte er bemüht ruhig.
„Nein?“
„Nein!“
„Aber verwandt?“
„Nein!!“
„Verschwägert?“
„Nein!!!“
„Kann ich Ihren Dienstausweis noch mal sehen?“
Also kramte er die Karte nochmals heraus und hielt sie der Frau betont nah vor das Gesicht.
Sie schob die Brille hoch und fuhr mit dem Kopf mehrfach vor und zurück. Offensichtlich versuchte die Frau, die Buchstaben in den Fokus ihrer Augen zu bringen. Eine steile Falte durchfurchte ihre gebräunte Stirn. Wil erkannte, wie es in ihr arbeitete. Zu guter Letzt siegte der Triumph über den Zweifel:
„Aber hier steht es buchstäblich: Wilke! “
„Nein, also doch, ja, trotzdem ist das nur der Vorname.“
„Man kann so mit Vornamen heißen? Warum sagen Sie das nicht gleich“, kam es beleidigt zurück.
Wil seufzte. Was seine Eltern im fernen Offenbach für eine originelle Idee gehalten hatten, erwies sich hier in Waldeck als zumindest anstrengend. Jeder nahm an, er habe etwas mit Wurstwaren zu tun. Deswegen nannte er sich nur kurz Wil. Aber manchmal ließ es sich eben nicht vermeiden, den vollen Vornamen zu präsentieren.
„Wie auch immer“, fuhr Wil fort. Er beneidete seinen Kumpel Jo Nigge. Der glaubte heutzutage überraschenderweise an Gott, unglaublich. „Pragmatisch-katholisch“, wie er zu sagen pflegte. Besuchte sogar sonntags als ehemaliger Messdiener die Kirche. Wil nicht, schon seit seiner Konfirmation nicht mehr. Aber jetzt würde er gern doch beten - dass er aus diesem Einerlei erlöst würde! Dabei hatte er es sich selbst zuzuschreiben. Nach seinem Burnout bei der Frankfurter Kripo hatte er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seinen polizeilichen Lebensabend hier in der Provinz mit Rumlümmeln zu verbringen. Doch die Beschäftigung mit den hiesigen Kriminalfällen zeigte sich ausgesprochen eintönig, sah man von diversen Verkehrsverstößen ab. Er musste sich eingestehen: Er brauchte dringend eine ungeklärte Leiche. Am besten auf dem schmalen Grat zwischen Waldeck und Sauerland. Denn das ermöglichte ihm, erneut mit seinem Kollegen Jo Nigge aus Westfalen gemeinsam zu ermitteln!
„Also: Sind Sie in der Lage, mir den Sachverhalt kurz und bündig zu schildern?“
„Nein.“
„Aber Sie haben doch angegeben, die Tat beobachtet zu haben?“
„Das stimmt.“
„Und?“
„Kurz und bündig geht das schon mal gar nicht. Und nehmen Sie doch ein Teilchen. Ist frisch vom Bäcker.“
Wils rechte Hand zuckte schon Richtung Teller.
„Ich habe die erst letzte Woche als Sonderangebot im Dutzend geholt“, fuhr sie fort.
Sicher längst hart wie Stein. Enttäuscht ließ er die Hand, wie er hoffte unauffällig, in seine spärlichen Haare statt auf den Teller greifen. Vielleicht besser so, er hatte sowieso zu viel auf den Hüften. „Danke, ich habe schon gefrühstückt.“
„Aber es ist mit Familienpudding!“
„Familienpudding?“
„Ja … also Vanille-Pudding.“
„Ach so, darf ich wieder zu Ihrer Aussage zurückkommen? Danke. Was genau haben Sie denn jetzt gesehen?“
„Also, das war so. Ich erinnere mich an letztes Jahr, wo ich …“
Wil musste sich beherrschen, aber gewaltig. Wenn die ihn weiter so nervte, bekäme er seine Leiche auf der Stelle - allerdings entweder ihre, aus purer Notwehr erwürgt, oder seine eigene, gestorben aus schierer Langeweile. Und dabei war erst früher Morgen und der Feierabend etliche Verhöre entfernt.
„Äh, Herr … Inspektor …“
„Kriminalhauptkommissar Wagner.“
„Was machen Sie jetzt da?“
„Was? Ach so. Ich hole nur mein Strickzeug heraus.“
„Stricknadeln?“
„Genau!“
Pure Empörung tränkte die Worte: „Aber ich wollte gerade eine Aussage machen!“
„Bitte gern, lassen Sie sich nicht stören. Das Stricken hilft mir bei der Konzentration: altes Hausrezept.“ Und vermeidet, dass ich hier einschlafe. Allein die Aussicht auf ein frisch Gezapftes im Sturen Landmesser ließ ihn jetzt nicht gleich auf der Stelle zusammenbrechen.
„Äh, Herr … Inspektor …“
„Kriminalhauptkommissar Wagner.“
„Was soll das denn werden? Doch nicht etwa ein Pullover?“
„Aber, aber: Ich stelle hier die Fragen!“
„Oh, stimmt. Wo war ich nochmal stehengeblieben?“
„Sie waren im Begriff zu Protokoll zu geben, was genau Sie gesehen haben.“
„Also, das war so. Letztes Jahr …“
„Nee, das hatten wir schon. Mir fehlt nur der entscheidende Schluss.“
„Ich habe bereits vom Vorjahr erzählt?“
Er nickte abgeklärt: „Sehen Sie, das Stricken wirkt!“
#im Mittelalter#
DIE NONNE sah sich furchtsam um. Hörte sie Schritte? War sie entdeckt worden? Oder nur der Sturmwind? Sie packte ihren Schatz fester, drückte ihn gegen ihre Brust. Die Kühle des Metalls durchdrang das dünne Tuch. Nein, das Prunkstück durfte sie nicht verlieren! Das war wichtig! Schnellen Schrittes eilte sie weiter durch den finsteren Wald zurück Richtung Kloster Borberg.
Wolken hatten den Himmel bezogen, türmten sich hoch auf. Wurden immer schwärzer und dichter. Wind fuhr ihr bitterkalt um den Kopf, fegte ihr das Tuch herunter, zerrte an ihren zum Knoten hochgesteckten samtbraunen Zöpfen.
In der Ferne grollte Donner. Die dumpfen Schläge donnerten nach jedem Aufblitzen näher.
Die Nonne Pia lief los. Unmöglich, es bis ins Kloster zu schaffen. Vielleicht sollte sie Schutz suchen?
Krachend schlug ein Blitz wenige Schritte entfernt in einen Baum ein. Holzsplitter flogen wie Armbrustbolzen in alle Richtungen. Der Stamm polterte zu Boden. Die Nonne rannte, als wäre, Gott-sei-bei-uns, der Leibhaftige persönlich hinter ihr her.
Endlich der Eckstein! Da konnte sie sich unterstellen, vertraut aus Kindertagen. Kalter Regen rann ihr inzwischen in den Kragen, tränkte ihr Unterkleid. Ihre aufgelösten Zöpfe klatschten ihr ins Gesicht. Die Kleidung klebte ihr schon patschnass am Körper und saugte das letzte bisschen Wärme aus ihr heraus. Fest an die Felswand unter dem Überhang gedrückt, suchte sie Schutz vor dem Zorn der Elemente. Um sie herum schlugen die Blitze im Minutentakt ein. Ob sie hier heil rauskäme? Aber vermochte sie ruhigen Gewissens zur Heiligen Barbara zu beten? Sie hatte das Gelübde gebrochen, ein Versprechen an Gott höchstpersönlich: Jetzt war sie verflucht, ja jeder Gnade verlustig.
Sie starrte auf ihren Schatz. Alles wegen dieses Juwels, das ihre geliebte Schwester in ihre Hände gegeben hatte. Ein Prunkstück aus uralten Zeiten, heidnischen Tagen! Dieser seltsame Helm mit zwei gezackten Löchern war, Gott-sei-bei-uns, des Teufels! Hatte ihn ausgerechnet ihr, einer treuen Nonne des Herrn, anvertraut. Und sie hatte versprochen, ihn zu bewahren.
Bizarre, überirdische Reflexe blendeten sie bei jedem Blitzschlag. Hörte sie leise Stimmen? Angestrengt versuchte sie, zwischen den Donnerschlägen zu horchen. Wo kam das undeutliche Gemurmel nur her? War es möglich, dass der Hut zu ihr sprach?
Unschlüssig drehte sie den Schatz in den Händen. Impulsiv stülpte sie den Helm über ihre nassen Haare. Ein Rauschen drang in ihre Ohren, formte Wortfetzen. Das war ja wahrlich wider die Natur! Ein hellgrelles Licht, das den Himmel von oben nach unten spaltete, blendete sie. Gleichzeitig ließ sie ein lauter Knall zusammenfahren. Ein gewaltiges Krachen erfüllte die Luft. Der Felsen bebte und polterte. Gesteinsbrocken und Bruchstücke platzten ab. Ein seltsames Kribbeln durchzog ihren gesamten Körper. Vom Felsendach schlug ein gewaltiger Lichtbogen funkensprühend direkt in ihren Schatz, ließ die Frau zittern wie Espenlaub im Sturm. Ihr Herz verkrampfte sich, kam aus dem Takt. Der Felsen in ihrem Rücken barst. Ihr Innerstes zersprang: Schließlich schwärzte sich ihr Bewusstsein: Aus!
#
DER MANN hatte wieder mal schrecklich geträumt! Er wischte den kalten Schweiß von der Stirn und versuchte, sich zu beruhigen. Das nahm langsam überhand. Er hätte das mit dem letzten Kölsch besser gelassen. Möglicherweise waren da, allen Unkenrufen zum Trotz, doch einige Spuren von Alkohol drin gewesen? Warum hatte er auch diese neue Kneipe besucht? Draußen wetterleuchtete es in der Ferne. Aber sei es drum: Wieso träumte er immer wieder so ein wirres Zeug? Und endete stets mit dem Tod?
Jedes Kind in Bruchhausen kannte die grausame Legende über die Felsbrocken auf der Wiese am Fuße der Steine. Damit sollte schon immer der Nachwuchs zum Gehorsam angehalten werden: Im Mittelalter lebte eine Tochter derer von und zu Bruchhausen in der Abtei auf dem Borberg. Die Nonne Pia hatte das Gelübde abgelegt, ausschließlich Gott zu dienen und das Kloster niemals wieder lebend zu verlassen. Dann heiratete ihre geliebte Schwester einen Edelmann aus dem Baltikum. Gleich nach der Heirat wollten die beiden in seine Heimat ziehen. Trotz ihres Versprechens musste Pia unbedingt ein letztes Mal ihre einzige Schwester sehen. Sie schlich in der Verkleidung einer Magd in die Kapelle ihres Heimatdorfs und wohnte heimlich der Hochzeit bei. Auf dem Heimweg ins Kloster erhob sich ein gewaltiges Unwetter. Pia suchte Schutz im Schatten des fünften Bruchhauser Steins. Plötzlich schlug ein Blitz in den Felsen ein und zerschmetterte ihn in tausend Bruchstücke. Sie begruben die arme Nonne unter sich und sühnten ihr gebrochenes Versprechen. Seitdem waren es nur noch vier große Steine und die Wiese voller zersprengter Felsbrocken. Es handelte sich gewiss nur um eine Legende, das war ihm bewusst. Aber hatten derlei Geschichten nicht einen wahren Kern?
Doch was hatte es mit diesem rundlichen Metallgegenstand auf sich, den Pia in seinem Traum als Schatz bei sich getragen und der den Blitz magisch angezogen hatte?
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1 Veröffentlicht in „Mord(s)genau – jetzt wird’s grenzlich“, erschienen 2018.
Vertrauen ist gut, Controlling besser
„Wir haben heute Mittwoch, den
07. August 2019.
Kinners hömma, hier ist Radio Hochsauerland, der mystische Sender aus der magischen Stadt Arnsberg. Für euch beim Musikzaubern euer langjähriger Hexenmeister Konny Kracht mit der Zaubershow ‚Bis es Kracht‘, und das Wort des Tages heißt bölken. Wenn euch das Sauerländer Tuwort anfliegt, gleich mit dem Zauberstab den Sender anwählen, und vielleicht werdet ihr für ein Wochenende in die Pension Negertalblick in Mittelneger Kreis Olpe gezaubert.
Das Wetter macht total lunterich: Graue Wolken deprimieren alle an Sonne interessierten Suerlänner.
Natürlich gibt es eine winzigkleine Dosis Werbung. Und danach die passende Musik: ‚Voodoo in my Blood‘ von Massive Attack.“
#
POLIZEIHAUPTMEISTER PAUL BEULE saß da mit offenem Mund. Was versuchte die Chefin eigentlich gerade zu sagen?
Claaßen schaute abwesend in die versammelte Belegschaft der Polizeistation Brilon. Heute hatte sie ihre Haare wie zum Schiefen Turm von Pisa gebunden. Jetzt spulte die Dienststellenleiterin ihre Rede herunter, als lese sie das Telefonbuch von Arnsberg vor. Dabei hatte Beule doch extra ein Rednerpult aus dem Saal des Kreishauses herbeigeschleppt, mit buntem Landeswappen, Mikrofon und so.
„Wie Sie alle wissen, ist der Haushalt von NRW dieses Mal besonders knapp kalkuliert“, fuhr sie emotionslos fort. „Damit wir mit den wenigen Mitteln auskommen, hat das Polizeipräsidium beschlossen, uns zu helfen. Herr Mickenbecker und seine Mannschaft von MuMPAC, der Mickenbecker und Mickenbecker Public Authority Consulting, wird in den nächsten Tagen unsere finanzielle Situation analysieren und die zugrundeliegenden Prozesse verschlanken.“
Neben der Chefin stand ein hagerer Mann: maßgeschneiderter Einheitsanzug in Grau mit Weste, blondglänzendes, nach hinten gegeltes Haar, ein dicker goldener Siegelring am rechten Mittelfinger, eine Uhrenkette an der Weste, vor sich eine teure Aktentasche aus gemustertem Leder.
„Herr Mickenbecker, Herr Doktor Mickenbecker, ist anerkannter Fachmann mit besten Referenzen.“
Beules Augenbrauen fuhren in ungeahnte Höhen. Für ihn waren gute Abschlussnoten kein Beweis von Intelligenz, sondern bestenfalls ein Gradmesser, wie geschickt der Kandidat die Lehrer bei den Tests betuppt hatte. Ihm kam das alles doch total bekannt vor. Er erinnerte sich nicht, jemals gehört zu haben, dass der Etat ausreichend war. Stattdessen jedes Jahr dasselbe Laientheater. Vokabeln wie ‚nicht auskömmlich‘, ‚knapp‘ und so weiter bevölkerten, seit er sich erinnern konnte, die Ansprachen der jeweiligen Dienststellenleitung. Ja, Chefs kamen und verschwanden, doch der knappe Etat blieb an der Polizeiwache kleben wie Kaugummi. Er hörte da schon lange nicht mehr hin. Aber das mit dem durchgestylten Typen war völlig neu.
Der stand da mit stahlhartem Blick und durchgedrücktem Rücken, als wenn er einen Besenstiel verschluckt hätte. Beule schwante, dass es gänzlich neue Schwierigkeiten gab.
Mickenbecker räusperte sich: „Also, dann wollen wir mal keine Zeit verlieren und gleich loslegen.“
Die Claaßen nickte: „Bitte unterstützen Sie die Consulting-Firma so, wie Sie mir helfen würden! Befolgen Sie alle Anweisungen. Die kommen praktisch von ganz oben. Ich wiederhole: Sämtliche Vorgaben sind unverzüglich und ohne Abstriche zu beachten!“ Dann wandte sie sich nochmal an den Anzugträger. „Ich denke, damit ist alles gesagt. Ich lasse Sie jetzt allein, ich habe noch einen wichtigen Termin.“ Ohne die Belegschaft eines Blickes zu würdigen, stolzierte sie nach draußen.
‚Natürlich‘, dachte Beule, als sie aus dem Raum rauschte. ‚Mit ihrem Starcoiffeur aus Bella Italia, woll?‘, ergänzte er in Gedanken. Das war inzwischen ein offenes Geheimnis, dass sie ständig in dem neuen Frisiertempel in Brilons Fußgängerzone saß. Dafür verließ sie sogar Arnsberg gen Osten, statt wie üblich Richtung Dortmunder Kreuzviertel, in dem sie immer noch residierte. Sie legte Wert auf ein großstädtisches Auftreten. Offenbar behandelte der Haarkünstler ihre strohigen Haare mit bei Vollmond kaltgepresstem Bio-Olivenöl seiner Spaghetti für einen Spottpreis. Nachteil: Jetzt besuchte sie deutlich öfter die Polizeiwache im sonst gern vernachlässigten Brilon. Dienstaufsicht stand sinnigerweise im Dienstreisewochenplan.
Alle Augen richteten sich auf Mickenbecker, der einige Unterlagen aus dem Koffer auf dem Pult vor sich deponiert hatte. „Meine Damen und Herren, jetzt wird es ernst. Sämtliche Vorgänge, buchstäblich alles, auch liebgewordene Gewohnheiten, werden untersucht, nichts bleibt außen vor. Wir werden jetzt ein paar spannende Monate miteinander verbringen. Es liegt an Ihnen, wie aufregend diese Zeit wird.“
„Ist das eine Drohung?“, witzelte Kalle Wiegelmann in der letzten Reihe. Verhaltenes Lachen.
Mickenbecker verzog keine Miene. „Drohung? Warnung? Ich formuliere das mal so: Es ist eine Vorhersage!“
Beule ließ den Kopf ein Stück tiefer hängen. Auf diese Art von Spannung, egal ob angedroht oder nur gewarnt, verzichtete er gut und gerne. Und seine Chefin benahm sich, als ginge sie das alles nichts an. Nur immer wieder der ungeduldige Blick auf ihre Armbanduhr. Wusste sie etwa mehr? Hatte sie die Polizeistation schon abgeschrieben? Schien so. Beule musste Weiteres in Erfahrung bringen!
#
JO NIGGE wusste gleich, dass es schwierig werden würde. Vor ihm in seinem eigenen Büro unter dem steilen Dach der Polizeiwache stand die gewissermaßen jüngere Ausgabe des Vorstandsvorsitzenden von MuMPAC, sein Sohn Dr. Martin Mickenbecker. Sie schienen sogar das gleiche Gel zu benutzen, anzunehmen aus einer Familienpackung - aus Kostengründen, versteht sich. Dieses jüngere Double kündigte an, sie für ein paar Tage bei den Ermittlungen zu begleiten. Um ‚Prozesse zu verschlanken‘ und ‚Synergien zu heben‘, wie er überflüssigerweise betonte. Überhaupt war ‚Prozess‘ eines seiner fünf Lieblingswörter. Die anderen waren Controlling, Bericht, Bilanz und SOFORT. Bitte und Danke waren dagegen eher rudimentär ausgeprägt.
„Samma, wo kommsse denn wech?“, verlangte Paul Beule zu wissen.
Irritiert blickte der Controller von seinem Konzept auf. „Wie bitte?“
„Na, wo de wech bist, wollt’ ich wissen, woll?“
„Wech? Woll?“ Mickenbeckers linke Augenbraue hob sich fragend steil in die Höhe.
„Die Frage lautete, wo stammen Sie her?“, half ihm Nigge betont langsam.
„Ah, jetzt ja.“ Er wandte sich an den Kommissar: „Gibt es den auch mit deutschen Untertiteln?“
Jo sagte lieber erstmal nichts. Hörte er bei Auswärtigen öfters. Das Gespräch drohte zu entgleiten. Und das alles nur, weil es Beule übertrieb. Seit er einen Volkshochschulkurs Suerlänske Dönekes abgelegt und mit der Urkunde zum „Native Speaker“ abgeschlossen hatte, küerte er nur Platt. Dafür hatte nicht jeder Besucher Verständnis. Er musste jetzt höllisch aufpassen, sonst gäbe es gleich auf der Dienststelle Mord und Totschlag.
„Und spielt das irgendeine Rolle für das Controlling?“, fuhr der Controller misstrauisch fort.
„Für mich schon“, kam es beleidigt zurück. Jo legte beruhigend seine Hand auf Beules Arm.
Mickenbecker schnaubte: „Also gut, Bielefeld.“
„Abba das gibt’s doch gaa nich!“
„Durchaus!“, kam es scharf zurück. „Und wenn jemand in der Lage ist zu beweisen, dass es diese Großstadt nicht gibt, winkt eine Million von der Stadtverwaltung. Jedenfalls ist Bielefeld realer, als sagen wir mal beispielsweise Volpe.“
„Issen dat?“
„Na, diese wundersame Weltstadt Volpe.“
„Hä? Im Sauerland? Habe ich noch niemals nie von gehört.“
„Sie kennen nicht das Zentrum deutscher Kriminalistik im nordöstlichen Südwestfalen?“
Jetzt sprang Jo Paul bei: „Sie meinen die fiktive Stadt der Serie Polizeiruf 110, die hier in Brilon gedreht wurde. Die Wache musste für die Dreharbeiten vor dem Rathaus absperren, das weißt du doch, Paul!“
„Jau! Das war, wo ich dem Hauptdarsteller Sigi meine abgeranzte Polizeilederjacke unterjubeln konnte, gleich für die erste Szene, weil die von der Requisite dem Regisseur zu quietschneu war.“
„Interessant“, warf der CO-Papstsohn ungerührt ein.
Jo erinnerte sich: „Stimmt. Ihr habt getauscht, aber nach wenigen Tagen hatte deine neue Jacke fast so viele Fettflecken wie die alte.“
„Also“, fuhr Mickenbecker fort. „Ich stelle fest: Die ostwestfälische Metropole ist völlig real, euer Volpe nicht.“
„Quatsch, datt mein’ ich gaa nich. Klar gibt’s Bielefeld, das hat sich selbst bis in den HSK rumgesprochen. Seit vier Jahren hamma sogar elektrischen Strom. Die Arminia zum Beispiel is zwar oft nur inner Zweiten, aber sicher kein Ergebnis einer queren Verschwörungstheorie. Die habe ich live auf der Alm gegen Paderborn erlebt.“
„Sie meinen die Schüco-Arena“, korrigierte Mickenbecker automatisch.
„Ne, Alm passt besser: ein Jahr Aufstieg, das nächste Abstieg, wie inne Alpen, so tun wir die kennen, woll? Aber egal, watt ich meine: Das gibt’s doch gaa nich, dass enner aus der wunnersamen Metropole Bielefeld hier im höchsten Suerland de Polizei ansagen tut, was Masse is. Schließlich geht’s nicht um Tiefkühl-Pizza, sonnern um Mord und Totschlag, woll?“
„Nun, die Mechanismen der Marktwirtschaft sind universell und gelten genauso für die öffentliche Hand und sogar hier im HSK. Steht alles in meiner Doktorarbeit.“
Hörte Nigge da so etwas wie Stolz? „Das beeindruckt keinen Gangster, vermute ich“, warf er ein.
„Schauen Sie, es bedarf größere Einheiten zu schaffen und Synergien zu heben.“
„Machen wir doch schon, woll?“
„Ach wirklich?“
„Abba hallo! Wir arbeiten sogar mit de Waldecker zusammen“, entgegnete Beule stolz.
„Wie bitte?“
„Na, da staunsse, woll?“
Nigge hätte das lieber gar nicht erwähnt. Jetzt war es raus. „Der Kollege meint, dass wir bei grenzüberschreitenden Verbrechen eine Sonderkommission mit der benachbarten Polizeibehörde aus Hessen gebildet haben. So konnten wir den verzwickten Langenberg-Mord lösen.“
„Ja“, kam es begeistert von Beule. „Ganz ohne Bielefelder Backmischung.“
„So? Aber auf welcher Kostenstelle ist das verrechnet worden?“, fragte der Controller entsetzt.
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DR. MARTIN MICKENBECKER konnte es nicht fassen. Das Polizeirevier erwies sich ja bei nahezu allen relevanten Themen als Hort der Unwissenheit. Wie vermochte er da Ordnung zu erzielen? Vielleicht versuchte er es mal mit etwas Einfachem.
„Herr Nigge, kommen wir zum Thema Compliance.“
„Können Sie nicht mal in der offiziellen Amtssprache unseres Landes sprechen?“
„Das ist ein Fachterminus.“
„Genau das meine ich!“
„Also gut, Ihnen ist der Begriff Bestechlichkeit lieber?“
„Kommen Sie zur Sache.“
„Aber das versuche ich ja“, verzweifelte Mickenbecker. „Wir sorgen mit geeigneten Maßnahmen dafür, dass kein Geld verschleudert wird. Ausschreibungen zum Beispiel. Sie müssen doch zugeben, dass das wirkt: Nur die günstigste Offerte kommt zum Zuge.“
Der Streifenpolizist neben Nigge schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Das Einholen von Angeboten rettet die Polizei? So eines, wie für die vielgeliebten Dienstwagen? Wo uns so ein Ladenhüter-BMW, so ein bayerischer Mikrowagen, untergejubelt wurde? Der zeigte sich als so eng, dass man vor dem Einsteigen die schusssichere Weste und den Gürtel mit der Waffe ablegen musste. Es war aber unmöglich, diese im Kofferraum unterzubringen, weil der bis zum Dachhimmel mit Ausrüstung vollgestopft war, woll?“
Mickenbecker konnte es sich nicht verkneifen: „Der Wagen entsprach exakt den Spezifikationen des Innenministeriums. Das Kraftfahrzeug war jedenfalls normal groß. Das musste andere Gründe haben: Wie viel wiegen Sie und Ihr Kollege überhaupt? “
So, das hatte gesessen!
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JO NIGGE gab auf den Schrecken eine Runde im Sturen Landmesser aus. Seine Freundin Susie Balkenhol, sein Kollege Paul Beule sowie die Waldecker Beamten Rosa Schluckebier und Wil prosteten ihm zu: „Auf alle Synergien dieser Welt!“
Die Gläser klirrten so laut, dass der Wirt Onkel Au hinter der Theke zusammenzuckte.
„Vielleicht kommt doch etwas Positives heraus?“, versuchte ihn seine Freundin zu trösten.
„Susie, die haben tatsächlich mein Ermittlungs-White-Board stillgelegt. Weil es nicht in der Anlagenbuchhaltung zu finden war, kannst du dir das vorstellen?“
„Jo, bei uns gab es auch so etwas. Da wird eine Menge überflüssiges Zeug abgeschafft. Und dass die wirtschaftliche Seite berücksichtigt wird, sind wir dem Steuerzahler doch schuldig, oder etwa nicht?“
„Ach Susie, klar, in allen großen Betrieben gibt es für gewöhnlich Leute, die arbeiten und solche, die beschäftigt sind. Und die gilt es voneinander zu unterscheiden, soweit stimme ich dir zu. Aber die gestriegelte Managermeute von MuMPAC zählt zu den Letzteren.“
„Du denkst mehr Schein als Sein? Warum immer so negativ?“
„So? Wetten, die Typen wollen unsere Briloner Polizeiwache schließen? MuMPAC ist Mumpitz! Außerdem haben die von Polizeiarbeit so viel Ahnung wie eine Kuh vom Stabhochsprung.“
„Jawoll“, grollte Beule. „Als wenn wir zu dick wären.“
„Wie kommst du darauf?“, wollte jetzt Wil wissen.
Beules Stimme troff vor Empörung: „Ach, der Controllingfetischist wollte uns die missglückte Ausschreibung unseres mickrigen Dienstwagens schönlabern. Du weißt schon, da wo wir mit voller Montur und Ausrüstung nicht reinpassen tun, woll? Und dann wollt’er uns auno die Schuld in die Dienstschuhe schieben: Wir wären eben zu dick für den flotten Dreier-BMW, kannsse dir das vorstellen?“
Wil legte den Kopf schief. „Ich kann mir inzwischen beim Thema Essen eine Menge vergegenwärtigen, seit ich euch beiden kenne. Zum Beispiel, dass ihr unter einem Wurstbrot eine dünne Scheibe Brot zwischen einer längs halbierten Fleischwurst versteht. Das sagt ja schon alles!“
Jo entschloss sich, das Thema zu wechseln: „Ey hömma Wil, jetzt lenk nicht durch unqualifiziertes Gequatsche ab. Immer wenn Berater ins Haus geholt werden, heißt das, dass unangenehme Veränderungen drohen. Unsere Führung ist einfach nur zu feige, es selbst zu verantworten. Jetzt sagen die immer mit Unschuldsmiene, dass sie das ja gar nicht wirklich wollen! Aber diese bitterbösen Berater haben uns dazu gezwungen.“ Jo nahm einen tiefen Schluck Feldsteinpils. „Die verdienen Unsummen, die dann woanders fehlen. Und wenn es schief läuft, sind die genau so wech wie das Geld. Das Ergebnis badet die Belegschaft aus.“
„Das ist aber eine sehr grob vereinfachte Weltsicht, oder?“, fragte Susie.
Das war doch etwas irritierend! Klar hatte sie recht. Aber konnte sie ihm nicht einmal zustimmen? Nur ein klitzekleines Mal?
„Hasse gemerkt, wie abwesend die Claaßen rüberkam?“, fragte Beule. „Et gait schließlich um ihre Wache. Aber nee nech, als wenn de Chefin übers Wetter parlierte.“
„Wahrscheinlich hat die schon eine Beförderung nach Dortmund oder Essen sicher“, mutmaßte Jo.
Jetzt schaltete sich Wil ein: „Und es kommt noch schlimmer: Deine Controller haben glatt bei uns angerufen und verlangten zu wissen, wie das mit den zwischenbehördlichen Leistungen von NRW und Hessen vertraglich geregelt ist.“
„Das gibt´s doch gar nicht!“
„Doch!“
„Nein!“
„Oooh!“
#Schützenfestsamstag#
RENTMEISTER MATTHIAS BECKERMANN frohlockte: Seine Frau hatte Migräne, und der Samstagabend auf dem Schützenfest in Bruchhausen zeigte sich noch jung und verheißungsvoll. Mal sehen, welche Ricke er heute zur Strecke brachte. Auf dem Vorplatz zur Schützenhalle drängten sich die üblichen Feierbiester jeden Alters aus dem Dorf und der näheren und weiteren Umgebung. Der bunt blinkende Autoscooter, das gemächlich rotierende Kinderkarussell, die ‚jedes Los ein Treffer‘ Losbude, der verführerisch duftende Süßigkeitenwagen und natürlich sein Favorit: der Schießstand. Seit Generationen wurden die Geschäfte von denselben Familien immer in genau dieser Zusammenstellung betrieben. Literweise Pils und fette Schnitzel gab es in der Halle. Same procedure as every year!
Bestens gelaunt schlenderte der Rentmeister mit seiner fülligen Gestalt durch die Massen. Halb, nein dreiviertel Bruchhausen bevölkerte den Platz. „Ey pass doch auf, du Vollpfosten“, schimpfte er entrüstet. „Was läufst du mir über die Schochen. Ach natürlich, Nigge, keine Augen im Kopp oder was?“
„Ah, der Herr Rentmeister höchstpersönlich. Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Ich dachte, es heißt rechts vor links.“
Seit Nigge bei der Polizei war, hatte er einen totalen Höhenflug. Zeit, ihn mal wieder auf den Boden zurückzuholen: „Hör mir mit diesem verkehrspolizeilichen Gequatsche auf.“
„Schon gut, ich sach ja: Tausendmal Entschuldigung!“ Der Tunichgut verbeugte sich übertrieben und grinste seine Freundin spöttisch an: Dieses blonde Gift von Balkenhol, mit der Nigge schon seit einiger Zeit wieder rummachte.
Sie zog ungeduldig an seinem Arm: „Ach komm Jo.“
Nigge wandte sich ab.
„Ne, nich gut, gar nichts ist okay. Ich sach, wir müssen das ein für alle Mal klären!“
Der Bulle stutzte. „Klären? Was denn bitte klären?“
„Du bist mal wieder total begriffsstutzig, Nigge. Natürlich, wer der beste Schütze von uns beiden ist. Wir marschieren auf der Stelle zum Schießstand und machen es aus wie echte Männer.“
„Du meinst, sowas wie Jägermeister gegen Red Bull?“
Klar, Nigge versuchte, alles ins Lächerliche zu ziehen. Beckermann deutete auf den Schießstand. „Dir wird das Witzeklopfen noch vergehen, wenn ich mit dir fertich bin!“
In der einsetzenden Abenddämmerung blinkten die zahlreichen Lampen um die Schießbude grell. Stofftiere in allen erdenklichen Größen, Formen und Farben bevölkerten die Auslage und warteten auf erfolgreiche Schützen. Dieses Jahr lockte eine Meute hoffnungslos pummeliger Teddybären in grellem Rot oder Blau.
Der Rentmeister packte Jo und zog ihn mit sich. Jetzt würde er es diesem aufgeblasenen Nichtskönner zeigen! „Also, Nigge, traust du dich, gegen mich anzutreten?“
Beckermann nickte der Bedienung zu. Routiniert fütterte sie das Luftgewehr mit Kugeln. Die übertrieben geschminkte Frau drehte den Zähler auf null. „Bitteschön! Aber Sie wissen ja, schießen nur ohne aufzulegen!“
Der Jäger nahm die Spielzeugwaffe entgegen. „Kein Problem für mich, Süße. Jetzt wirst du Zeugin einer Lehrstunde.“
Dieser nichtsnutzige Schmalspurbulle hatte schon einige Pülleken vorgeglüht, schließlich war Schützenfest: beste Voraussetzungen für die ein oder andere Fahrkarte! „Was ist jetzt Nigge? Ich habe nicht den ganzen Abend Zeit.“
„Nur, um Ihnen zu gefallen, Herr Rentmeister. Wie viel Schuss?“
„Zweimal zehn, sozusagen Hin- und Rückrunde, das reicht, um zu zeigen, wer hier der Meister ist.“
„Ach komm Jo, erspar mir das. In der Halle lockt die Sektbar.“ Die Balkenhol zerrte ungeduldig an Nigges Arm.
„Ach Susie, lass mich doch. Du hast es gehört: Das muss geklärt werden. Einverstanden: Zwanzig Schuss stilecht auf den Wildwechsel.“ Nigge deutete auf die Anlage, auf der pausenlos Metallsilhouetten von Keilern und Hirschen von rechts nach links sausten. „Damit sich unser Bundesjägermeister heimisch fühlt. Der wollte doch schon immer einen Vierundzwanzigender schießen, wenn ich mich nicht irre. So wie weiland der alte Wildschütz Klostermann. Der Verlierer zahlt einen Meter Pils.“
Den Spott ließ der Rentmeister abperlen und konterte: „Du trittst mir freiwillig eine Runde ab? So sei es.“
„Abwarten, der Herausforderer fängt an!“
Inzwischen hatte sich eine neugierige Menschenmenge gebildet. Gut so: Er würde dem Tunichtgut hier und jetzt vor allen Leuten eine Lehre erteilen.
„Das wird dich nicht retten.“ Beckermann brachte die Waffe in Position und zielte abgeklärt über Kimme und Korn. Die Ziele ratterten nacheinander unbeirrbar wie eine Kolonne Eisenbahnwaggons durch sein Sichtfeld. Er zögerte kurz, drückte ab und klack! Ein Keiler kippte weg. Die Digitalanzeige reagierte sofort. ‚Das war der erste Streich, doch der zweite folgt zugleich‘. Triumphierend lud er nach, ohne den Lauf aus dem Ziel zu nehmen. Ein kurzer Blick, warten bis eines der Wildtiere über Kimme und Korn erschien und sofort gleichmäßig durchziehen. Wieder fiel eine Figur mit einem metallischen Klacken um. Nummer zwei. Routiniert gab er Kugel um Kugel ab: Insgesamt zehn – und natürlich alles Treffer!
Die Menge quittierte jeden Schuss mit einem bewunderndem „Ah“ oder „Oh“. Das lief ja wie am Schnürchen: „Jetzt du!“
„Halt mal bitte“, bat Nigge seine Freundin. Er gab ihr sein halbvolles Pilsglas und nahm die Waffe entgegen. „Für zwanzig Treffer gibt es sogar einen großen Stoffhirsch. Siehst du, Susie?“ Nigge wies auf einen einsamen Hirsch mit riesigem Geweih inmitten der Teddy-Armada. „Den schieße ich für dich!“
„Nigge, dieses edle Tier wirst du niemals erhalten“, fuhr Beckermann dazwischen. „Da steht bereits mein Name drauf.“
Die Leute verstummten.
Der Bulle zielte kurz, schoss. Und traf auch noch! So ein Mist. Die nächsten Schüsse saßen ebenso. Sogar alle zehn: „Nigge, du Glückspilz, aber dir wird das Grinsen noch vergehen!“
„Ich sach: Abwarten und Pils trinken.“
Ungeduldig riss ihm der Rentmeister das Gewehr aus den Händen. Klack, klack, klack, … So macht man das: Wieder zehn Treffer! „Noch Fragen?“
Dieser Blindgänger von Nigge nickte langsam. „Okay, ich bin dran.“
„Willst du nicht erst austrinken?“, reizte ihn Beckermann. Das steigerte den Alkoholpegel und die Chance auf Fehlschüsse.
„Warum nicht?“
„Jo, du hast schon genug, lass uns endlich in die Halle zu den anderen gehen.“
„Aber Susie, ich habe doch so einen Durst.“ Er kippte das Pils weg.
Die Balkenhol verdrehte genervt die Augen.
Nigge legte das Gewehr an und schoss auf die sausenden Silhouetten. Die Tiere klappten weg und die Digitalanzeige zählte jedes Mal hoch.
„So, Einstand“, kam es triumphierend nach dem letzten Schuss. „Schätze, Herr Rentmeister, wir sind beide vortrefflich im Schießen. Fall geklärt. Komm Susie.“
„Moment, nicht so voreilig. Es kann nur einen geben.“
„Wir sind hier nicht bei der Präsidentenwahl oder dem Highlander, woll?“
„Es gibt nur einen Hirsch als Siegertrophäe. Wir schießen jetzt abwechselnd solange, bis der Sieger feststeht.“
Die Balkenhol zog wieder an Nigges Arm. „Ja doch, Susie. Ich komme schon.“ Und an Beckermann gewandt: „Dein Stechen dauert mir zu lange. Ok, du hast gewonnen, behalt den Hirschen!“
„Nigge, was bildest du dir ein? Willst mich mit einem Stoffhirschen abspeisen oder was?“